Читать книгу Die großen Western 181 - Joe Juhnke - Страница 3

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Die beiden Reiter ritten auf staubbedeckten Pferden den breiten Fahrweg hoch und kletterten vor der Schmiede aus den Sätteln.

Sie gingen über den Stepwalk zur nahen City-Bank. Sie standen einen Augenblick rauchend am Straßenrand und beobachteten Dick Morris, der drüben beim Mail Office fluchend seine Gäule vor die Kutsche schirrte. Durch die halbhohe Tür des Nugget-Saloons trat ein Lieutenant der US-Kavallerie, blieb gelangweilt im Schatten des Vordaches stehen und streifte die hellen Handschuhe über.

Die beiden Fremden wechselten einen kurzen Blick, schnippten ihre Zigarettenstummel in den braunen Staub und wandten sich um.

Gelassen nahmen sie die fünf Stufen zum Portal der Bank.

In der nahen Schmiede formte der Besitzer glühendes Metall mit wuchtigen Hammerschlägen zu einem Hufeisen.

Die Fremden hatten den Schalterraum erreicht. Ein einzelner Mann stand vor dem Zahltisch und diskutierte mit dem weißhaarigen Kassierer John Barkey. Es war Fred Lincoln, Rancher in South Dakota, auf der Durchreise. Ein Mann Ende der Dreißig, von knochigem Körperbau und mit kräftigen Fäusten. Seine Haut war dunkel gegerbt von der Glut sonnenheißer Tage.

Er hob leicht erstaunt den Kopf, als der Bankclerk plötzlich beide Arme über den Kopf streckte.

»Was gibt’s, Mr. Barkey?« fragte Lincoln überrascht. Er sah die Augen des alten Mannes, die vor Angst fast aus den Höhlen quollen, und wollte den Kopf wenden. In diesem Augenblick bohrte sich ein harter Revolverlauf brutal in seinen Rücken.

»Eine dumme Bewegung, mein Freund, und du bist ein toter Mann«, knurrte eine Stimme.

Gleichzeitig glitt eine Hand zum Gurt, wo Lincolns Sechsschüsser in dem Halfter steckte.

»Und nun zurück zur Wand, Mister«, forderte der Unbekannte.

Lincoln spürte leichtes Kribbeln unter der Haut.

Er war kein Feigling. Aber er sah nun einen zweiten Fremden, der über die Theke sprang und Barkey zum offenen Safe trieb. Er zog den Kopf in den Nacken, stellte sich mit dem Gesicht zur Wand und hielt brav die Hände über den Kopf.

Er hörte harte, fordernde Stimmen. Dazwischen das Jammern des Kassie­rers.

Plötzlich gab es einen dumpfen Schlag. Barkeys Gestammel endete mit einem tiefen Seufzer. Aus den Augenwinkeln heraus sah der Rancher, wie der alte Mann blutüberströmt zusammenbrach.

»Warum tust du das, Kid?« fragte einer der Verbrecher zornig.

»Weil ich sein Geheul nicht mehr ertragen kann. Verdammt, pack zu!«

Fred Lincoln hatte leicht den Kopf gewandt.

Die beiden Banditen füllten wahllos den großen Leinensack mit Scheinen.

In diesem Moment betrat ein weiterer Fremder die Bank. Seine blaue Uniform mit den Goldtressen wies ihn als Offizier der US-Kavallerie aus.

Lincoln sog tief Luft in die Lungen.

»Vorsicht, Lieutenant. Überfall!« brüllte er und warf sich blitzschnell zu Boden. Dabei riß er das Schreibpult um, das ihm als Deckung dienen sollte.

Lieutenant Cloud Mitchel war jung. Aber er hatte gewisse Erfahrungen. Er hörte den Ruf, wirbelte herum und sprang zurück. Sofort fuhren die Geschosse aus den Revolvern der Banditen nur krachend in die Holzfüllung.

Lincoln duckte sich tiefer.

Im Echo der Detonationen hörte er wilde Flüche. Fast gleichzeitig sprangen die Banditen über den Schalter hinweg in den Raum.

Wieder krachte es.

Drei – vier – fünf Geschosse drangen tief in Lincolns massigeichenes Schutzschild.

»Ich bringe ihn um!« brüllte der jüngere Mann.

»Halt’s Maul, Landy!« tauchte sein Begleiter. »Wir müssen weg.«

Sie stürzten aus dem Haus, während Lincoln auf die Beine kam. Schüsse fielen.

Der junge Lieutenant lag hinter einer Regentonne und schoß wie auf dem Schießstand.

In diesem Augenblick erreichten die Verbrecher ihre Pferde.

Während sich Landy Youngers mit einem Sprung in den Sattel schwang und dem Falben die Sporen in die Flanken trieb, glitt aus dem Schatten der Schmiede ein junger Fremder. Er sprang Kid Youngers an und riß ihn zu Boden.

Kid Youngers gab sich nicht geschlagen. Er kämpfte mit allen Mitteln um seine Freiheit. Erst als der Schmied dazwischenfuhr, fiel die Entscheidung. Der Schlag seiner knöchernen Faust schmetterte Kid zu Boden. Sein Bruder hatte inzwischen die Straße erreicht. Er hing seitlich im Sattel und bot kein Ziel.

Er schoß, daß der Laut seines Peace­maker heiß wurde.

Überall sah man Menschen in überstürzter Flucht davonhasten.

Nur einer bewahrte den Kopf. Dick Morris, der alte Coachman der Overland Line.

Mit heftigem Ruck löste er die Fußbremse, schwang die Peitsche und lockerte einseitig die Zügel.

»Go on!« brüllte sein heiserer Baß, und die Pferde schwenkten im rechten Winkel zur Straße.

Der flüchtige Bandit hatte nur Augen für das, was hinter ihm vorging.

So war der Zusammenprall zwischen seinem Pferd und dem Gespann so fürchterlich, daß er, aus den Bügeln rutschend, pfeilschnell über den Pferderücken hinwegflog und bewußtlos im Straßenstaub landete.

»Brrr!« Morris trat die Bremse durch und zerrte an den Zügeln. »Schön brav, ihr lieben Pferdchen!«

Noch während er vom Bock sprang, schnellte an den Köpfen der schnaubenden Gäule Lieutenant Cloud Mitchel vorbei. In der Faust hielt er den rauchenden Army-Revolver.

Landy Youngers lag verkrampft im Straßenstaub, als die beiden Männer sich über ihn beugten. Er rührte sich nicht.

»Ich wette, der Gauner hat sich das Genick gebrochen«, raunzte Old Morris und schob den Priem von der einen in die andere Wangentasche.

Cloud Mitchel drehte den Bewußtlosen auf den Rücken. Er starrte in ein verschmutztes Antlitz.

»Hoh!« Morris schlug sich überrascht auf den Oberschenkel. »Ich will keinen Bock mehr besteigen, wenn das Früchtchen nicht Landy Youngers ist!«

»Sie haben recht.« Mitchel lächelte. »Ohne Ihre Hilfe wäre er entwischt.«

»Zum Teufel, Lieutenant.« Morris trat einen Schritt zurück. »Es gibt eine Menge Dollars für seinen Kopf. Aber ich verzichte auf meinen Anteil. Und wissen Sie warum, Lieutenant? Weil Landy noch drei Brüder hat, und ich durch die Gegend kutschiere, die zu ihrem Bereich gehört.«

»Es sind nur noch zwei Brüder, Freund.« Lächelnd deutete Mitchel auf die Gruppe Männer, die den noch halb bewußtlosen Kid Youngers heranschleppte. »Und Sie können nicht mehr zurück. Mitgehangen, mitgefangen. Ich wette, in einer Woche weiß jeder auf Ihrem Trail, daß Sie mitgeholfen haben, zwei der gefährlichsten Banditen des Mittelwestens unschädlich zu machen. Man wird Sie wie einen Helden feiern.«

»Und wie einen Helden begraben, wenn Frank und Allan Youngers meinen Weg kreuzen.«

Dick Morris seufzte und spie wütend eine Ladung Tabaksaft in der Sand.

»Hätte ich mich in diese Geschichte nur nicht eingelassen.«

*

Für Dick Morris gab es kein Zurück mehr.

Patrick O’Neil, der Sheriff von Clay Center, schloß zufrieden die Jailtür hinter den Gefangenen. Der Schlüsselbund rasselte in seiner Faust, als er hinter den Schreibtisch trat und sich niedersetzte.

»Sie sind Glückspilze, Gentlemen, und unserer Stadt ist Ihnen zu großem Dank verpflichtet. Auf Kid und Landy Youngers stehen zwanzigtausend Dollar Kopfgeld. Das bedeutet pro Kopf fünftausend Dollar.«

O’Neil fuhr sich mit dem Handrücken über den rostfarbenen Schnauzbart. »Allerdings auch einige Tage Zwangsaufenthalt in der Stadt. Aber seien Sie versichert, Gentlemen, die Bürger hier werden alles tun, um Ihnen den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen.«

»Und wie lange wird das sein?« fragte Rancher Lincoln. »Ich werde auf meiner Ranch erwartet.«

»Nun, Mr. Lincoln«, Sheriff O’Neil lächelte bedauernd, »eine Woche wird es schon dauern, bis Richter Sarin sein Urteil fällt. Ich werde meinen Gehilfen noch heute in die Distriktstadt schicken und alle Vorbereitungen für den Prozeß treffen.«

»Ich muß ins Fort zurück, Sheriff.« Lieutenant Cloud Mitchel hob bedauernd die Schultern. »Die Zeit des Soldaten mißt man mit anderen Maßstäben als die des Zivilisten.«

»Ich werde Sie rechtzeitig benachrichtigen, Lieutenant. Vermutlich wird Captain Hogeman Sie für Ihre Handlungsweise öffentlich loben. Dies dürfte sich wiederum nicht nachteilig auf Ihre Karriere auswirken. Sie können gehen, Lieutenant.«

Mitchel verabschiedete sich von den Männern mit korrektem Gruß und verließ das Office.

»Die Armee, immer zackig«, sagte O’Neil lachend.

»Sie, Mr. Nash, wollen zum Süden?«

Doug Nash schüttelte den Kopf. »Nach Südosten, Texas. Dorther komme ich. Ich will die Ranch meiner Eltern übernehmen.«

»Sie leben nicht mehr?«

»Nein, sie sind vor vier Jahren gestorben. Irgendeine Seuche. Ebenso meine beiden Geschwister.«

»Dann treibt es Sie wohl nicht?« Der junge Mann schüttelte abermals den Kopf.

»Auf ein paar Tage kommt es nicht mehr an, wenn man fünf Jahre von zu Hause fort war. Und dann werde ich für die Wartezeit ausreichend entschädigt. Wie denken Sie darüber, Mr. Lincoln?«

»Für fünftausend Dollar muß ein kleiner Rancher eine Weile schuften. Der alte Coachman wird sich bestimmt über die Belohnung freuen.«

»Dick Morris gönne ich sie.« Sheriff O’Neil hatte sich erhoben. »Darf ich Sie zu einem Drink einladen?«

Beide Männer nickten zustimmend.

*

Es wurde eine anstrengende Woche für Lincoln und Nash. Jeder Bürger der Stadt wollte mit ihnen anstoßen. Und alle feierten sie die Männer wie Helden.

Endlich, nach fünf Tagen, erschien der Richter.

Zum gleichen Zeitpunkt wurde ein Reiter nach Fort Pottawatomie geschickt, der Lieutenant Mitchel holen sollte. Gleichzeitig wurde Dick Morris in Clay Center von einem anderen ­Coachman abgelöst.

Der Prozeß war kurz. Es dauerte nur einen halben Tag, bis die Geschworenen und somit das Gericht ihr Urteil fällten.

Kid und Landy Youngers wurden für schuldig des verbrecherischen Überfalls auf die Bank befunden, sowie des versuchten Mordes an Mr. Barkey, dem Kassierer.

»Tod durch den Strang«, verkündete Richter Sann das Urteil und schloß mit drei Hammerschlägen die Verhandlung.

Unter Schmährufen wurden die Verbrecher ins Jail zurückgebracht. Von diesem Zeitpunkt an – bis zur Urteilsvollstreckung in zwei Tagen – wurden die Gefangenen scharf bewacht.

»Das nimmt kein gutes Ende für uns«, unkte Dick Morris, als sie in Begleitung des Sheriffs die Bank betraten, um die fällige Belohnung abzuholen. »Frank und Allan schicken uns allesamt zur Hölle, wenn sie’s erfahren.«

Doch Morris’ innere Sorge verflüchtete sich schnell, als er den Dollarberg sah, den Barkey vor ihnen zu vier gleichen Teilen aufstapelte.

Fünftausend Dollar waren so etwas wie eine Existenzgrundlage. Er konnte die Gegend verlassen und irgendwo seßhaft werden, wo ihn niemand kannte. Als er die Straße betrat, verschwanden die düsteren Gedanken. Optimismus zog in sein Herz und die Absicht, in den nächsten Tagen seinen Job bei der Overland Line zu kündigen.

Am Abend jedoch war Dick Morris Ehrengast der Stadt Clay Center und hatte den Ruhm und die Ehre, zur Linken von Richter Sarin zu sitzen. Es wurde bis tief in die Nacht hinein gezecht und mancher Toast ausgesprochen. Der Morgen graute bereits, als die letzten Zecher das Hotel verließen und heimatlichen Gefilden entgegenstrebten.

Zu diesem Zeitpunkt saßen Kid und Landy Youngers auf den harten Pritschen ihrer Zelle und lauschten dem Lärm der Betrunkenen.

»Sie versaufen schon unsere Haut«, knurrte Kid Youngers. »Und du trägst die Schuld an unserer Lage. Du hättest den Rancher besser im Auge behalten müssen.«

»Schuld oder nicht Schuld«, knurrte Landy wütend, »wir müssen hier raus, ehe sie uns den Strick um den Hals legen. Ob Frank und Allan es schon wissen?«

»Bestimmt. So etwas spricht sich rund. Sicher sind sie schon auf dem Weg hierher. Ich befürchte nur, sie kommen zu spät.«

Während Landy auf der Pritsche kauerte, stand Kid schweigend am Fenster. Frühnebel lagen auf der Straße. Der Tag schien heiß zu werden.

Von Zeit zu Zeit trat einer der Deputies ans Gitter und leuchtete mit der Lampe in die Zelle.

Sie rauchten und registrierten mit Entsetzen, wie schnell die Zeit verrann.

Gegen Mittag erschien O’Neil und schob ihnen schweigend das Essen durch die Gitter.

Graupensuppe.

Kid schnupperte an dem Napf.

»He, O’Neil!« donnerte er los. »Das ist ein Fraß für Schweine. Ich hoffe, das willst du uns nicht anbieten, wie?«

Der Sheriff wandte sich leicht erstaunt um. »Wir sind hier kein Sanatorium, Boys. Eure Wunschkost könnt ihr morgen abend bestellen. So ist es allerorts üblich für jemand, der am nächsten Tag hängen soll. Inzwischen aber eßt ihr, was unsere Küche bietet. Wenn euch das nicht paßt, schiebt es einfach unter dem Gitter durch. Ich lasse nachher abräumen.«

Kid Youngers strich sich zornig über die wulstigen Lippen. »Der Teufel soll dich holen, O’Neil, samt deinem Fraß.«

Er schleuderte den Napf unter dem Gitter durch und wandte sich ab.

Sheriff O’Neil schien diese wenig frommen Wünsche nicht zu hören.

Er trat hinter den Schreibtisch, ließ sich nieder und legte seufzend die Beine auf die Platte. Umständlich begann er, seine Pfeife zu stopfen.

Kid tobte. Jähzornig rüttelte er an den Gitterstäben, bis Landy ihn hart anfuhr.

Da schwieg auch Kid.

Er stand lange am Fenster und beobachtete die Menschen, die über den Sidewalk gingen. Nach einiger Zeit wandte er den Kopf.

»Landy, komm mal her.«

Landy rutschte von der Pritsche und trat neben den Bruder, der auf drei Reiter deutete, die gemächlich die Straße hinuntertrabten.

Fred Lincoln – Dick Morris – Doug Nash.

»Merk dir genau ihre Gesichter, Landy, und vergiß nicht den Blaurock aus Pottawatomie. Sollten Frank und Allan es rechtzeitig schaffen, holen wir uns die Burschen vor den Revolver.«

Landy nickte. Was Kid an Brutalität besaß, hatte Landy an Gehirn. Während der Verhandlung hatte er sich fest Namen und Adressen der Zeugen eingeprägt.

Er wußte, wo sie zu finden waren.

*

Während die drei Reiter ahnungslos Clay Center verließen und jedermann seinen Weg nahm, begann der Zimmermann mit seinem Gehilfen die Arbeit in der Stadt. Auf dem freien Platz, direkt vor dem Jail, bauten sie den Galgen auf. Und während Kid und Landy mit gemischten Gefühlen der Vollendung des Werkes entgegensahen, hetzten zwei Reiter über die Straße am Smoky Hill River ihre Gäule fast zu Tode.

Frank und Allan Youngers…

Vor drei Tagen hatten sie vom Mißgeschick ihrer Brüder gehört. Da steckten sie in Garden City am Arkansas River in einer harter Pokerrunde.

Zunächst hielten sie es für ein Gerücht. Aber als sie Näheres hörten, gab es kein Zögern. Noch in der Nacht klemmten sich die Youngers in den Sattel und verließen die Stadt.

Sie schonten weder sich noch ihre Gäule und erreichten am Vorabend der Hinrichtung einen kleinen Fluß, an dessen Nordufer sie das Nachtlager aufschlugen. Ihre Pferde benötigten Schonung. Sie waren ziemlich fertig.

Lustlos saßen sie in einer Senke und starrten in den sinkenden Tag.

»Nach Clay Center sind es etwa zwei Reitstunden. Wenn wir gegen Mitternacht aufbrechen, haben wir noch Zeit, in der Stadt Pferde für Kid und Landy zu besorgen. Ich denke, es wird nicht ohne Schießerei abgehen, Allan.«

Franks knochige Fäuste zerlegten den Patterson-Colt, während der Bruder fein säuberlich ein Tuch ausbreitete und Pulver und Blei in die Reservetrommeln stampfte.

Sie waren beide gleich groß, sehnige, hochgewachsene Hünen. Wilde Burschen, deren Namen im Westen einen mehr als zweifelhaften Ruf hatten.

Sattelwölfe – Revolverschwinger – Mörder…

In Missouri, Oklahoma und weiter im Süden, in Texas, wurden sie gesucht.

Auch in Kansas klebte seit jüngster Zeit ihr Steckbrief an allen Anschlagbrettern größerer Ortschaften.

*

Drei gezielte Schüsse zerfetzten das Schloß. Ein harter Fußtritt schleuderte die Tür ins Innere des Office.

Zwei Männer standen auf der Schwelle.

Patrick O’Neil fuhr schlaftrunken vom zerschlissenen Sofa hoch. Im Halbdunkel der herabgedrehten Lampe erkannte er zwei Männer.

Instinktiv glitt seine Rechte zum Halfter.

Doch auf halbem Wege erschlafften seine Bewegungen.

Aus der Finsternis spritzten zwei grelle Flammen. Wilder, glühender Schmerz zerriß seine Brust. Mit dumpfem Stöhnen sank er zurück und verlor das Bewußtsein.

Frank hatte bereits den Docht der Lampe höher gedreht.

Hinter dem Gitter erkannte er die Gesichter der Brüder.

»Der Schlüssel liegt auf dem Schreibtisch«, rief Kid geistesgegenwärtig. »Macht schnell, denn bei eurem Krach bringt ihr die ganze Stadt auf die Beine.«

Ungeduldig umspannten seine Fäuste die Gitterstäbe.

Allan trat näher. Sein Blick war zornig. »Für eure Dummheit möchte ich euch stundenlang ohrfeigen.«

Der Schlüssel rasselte im Schloß, die Tür war offen.

Rasch huschten die Gefangenen über die Schwelle.

An der Wand hingen ihre Revolver. Sheriff O’Neil stöhnte in tiefer Bewußtlosigkeit.

Frank schraubte die Lampe nieder.

»Raus hier«, kam sein scharfer Befehl. »Beim General Store stehen die Pferde!«

Das alles dauerte keine zwei Minuten. Als sie die Pferde von der Halfterstange lösten, gingen die ersten Fensterläden auf. Verschlafene Gesichter blickten auf die Straße, aus deren Hausschatten plötzlich vier Reiter sprengten.

Nur langsam schienen die Menschen zu begreifen, was geschehen war.

Plötzlich wehte ein gellender Ruf über die verschlafene Stadt.

»Überfall – die Youngers sind ausgebrochen!«

Die mutigsten Männer schlüpften hastig in die Hosen, nahmen ihre Gewehre und stürzten auf die Straße. Alle hatten das gleiche Ziel.

Das Sheriff Office.

Patrick O’Neil bot einen jämmerlichen Anblick. Er war vom Sofa gerutscht und lag am Boden.

Doc Edwards kniete neben dem Schwerverletzten, während eine Mauer hilfloser Männer sie umgab.

O’Neil röchelte wie ein Erstickender. Ein großer, blutiger Fleck hatte sein Hemd dunkel gefärbt. Er war noch immer ohne Besinnung.

Mit ruhigen, selbstsicheren Bewegungen untersuchte Doc Edwards den Verletzten. Dabei gab er seine Anweisungen.

»Harvey«, rief er über die Schulter, »laufen Sie zu meinem Haus! Meine Frau soll heißes Wasser machen und alles für eine schnelle Operation vorbereiten. Dann bringen Sie mir die Bahre… Higgins!« Seine buschigen Brauen zuckten, als er den Deputy entdeckte, der schweigend im Kreis der Männer stand. »Warum nehmen Sie nicht ein Dutzend Männer und verfolgen die Verbrecher?«

Higgins zuckte zusammen. An diese Möglichkeit schien er erst jetzt zu denken. Er sprach halblaut auf die Leute ein. Nach einigen Minuten war der Doc mit dem Verletzten allein. Es stand nicht gut um O’Neil.

Als erfahrener Arzt erkannte Doc Edwards, daß zwei Geschosse zwischen der fünften und sechsten Rippe steckten. Es war durchaus möglich, daß sie O’Neils Lungenflügel verletzt hatten. Trotzdem mußte er schnellstens operieren. Vorsichtig schob er mit einer Pinzette Mullstreifen in die Schußkanäle, um das Blut zu stocken.

Als Harvey erschien, betteten sie den Sheriff auf die Bahre und brachten ihn nach draußen. Noch während sie die Straße überquerten, sprengten an ihnen ein Dutzend bis an die Zähne bewaffnete Reiter vorbei.

Ihre Herzen waren voller Groll, denn Patrick O’Neil war ein beliebter Mann.

Die Sonne kroch schüchtern über die Berge und schien ins Tal, als Doc Edwards endlich das Besteck beiseitelegte und einen festen Verband um O’Neils Brust schlang. Schweiß stand auf seiner Stirn, und die Anstrengungen hatten ihn geschwächt. Harvey, der ihm assistierte, saß mit grünblauem Gesicht im Sessel und schlürfte hastig den starken Kaffee, den Mrs. Edwards ihm gereicht hatte.

Ihm war hundeübel.

Edwards lächelte ihn an.

»Sie können nach Hause gehen, Harvey. Haben sich tapfer gehalten.« Der Mann schluckte.

»Wird – wird er durchkommen?«

»Das liegt an Sheriff O’Neil selbst. Er kann schon einiges vertragen. Wenn es das Herz durchsteht, dürfte er in einigen Monaten wieder Banditen jagen.«

Der Sprecher schob Slim mit sanfter Gewalt aus dem Haus und verschloß die Tür.

Noch einmal trat er ins Krankenzimmer.

O’Neil lag reglos auf weißem Leinen. Sein Gesicht wirkte schmal und verhärmt. Hin und wieder zuckten die blassen Lippen. Seine Brust hob und senkte sich unter unregelmäßigen Atemzügen.

Mrs. Edwards stand an der Tür. In ihrem Blick lag eine offene Frage.

Zweifelnd hob der Doc die Schultern.

»Allzu groß sind meine Hoffnungen nicht, Kathleen. Aber ich habe mein Bestes getan.«

*

Captain Hodgeman, Kommandant von Fort Pottawatomie, zwirbelte den eisgrauen Schnurrbart. Auf seiner hohen Stirn standen zwei steile Falten, in den adlergrauen klugen Augen lag ein nachdenklicher Blick.

Er war ein alter Haudegen, der schon unter Custer gekämpft hatte.

»Flint!« rief er ins Nebenzimmer, »holen Sie mir Lieutenant Mitchel!«

Er stand auf und wanderte unruhig durch sein Office.

Eine große, stattliche Erscheinung. Straff in Bewegung und Gang. Ein typischer Soldat.

Cloud Mitchel kam nach etwa zehn Minuten. Flint hatte ihn aus dem Quartier geholt.

»Sir?« Er stand stramm an der Tür.

Nachdenklich wandte sich der Captain um. Sein Blick glitt wohlwollend über den jungen Mann, denn Cloud war nicht nur ein guter Offizier, sondern auch sein angehender Schwiegersohn.

Endlich deutete der Commander auf einen Sessel.

»Setz dich, ich möchte mit dir sprechen.«

Cloud Mitchel schien über den Ernst in der Stimme ein wenig beunruhigt. Dennoch nahm er Platz.

Auch Captain Hodgeman setzte sich in einen Sessel.

»Hast du es schon gehört?«

Stummes Achselzucken. Ein fragender Blick aus Mitchels braunen Augen.

»Vorgestern war in Clay Center der Teufel los, Cloud.« Umständlich zündete der Sprecher ein Zigarillo an und legte das Zündholz in den Ascher. »Frank und Allan Youngers haben ihre Brüder aus dem Jail geholt. In der Nacht vor ihrer Hinrichtung.«

Cloud Mitchel biß sich auf die Lippen.

»Das war zu erwarten. Ich verstehe nicht, daß Sheriff O’Neil sich darauf nicht eingerichtet hat.«

»O’Neil wurde schwer verletzt. An seinem Durchkommen bestehen Zweifel.«

»Bedauerlich.« Um Clouds Mund glitt mattes Lächeln. »Aber war das der Grund, weshalb Sie mich rufen ließen?«

Hodgeman nickte ernst. »Ich mache mir Gedanken. Gedanken in zweifacher Richtung, denn es besteht durchaus die Möglichkeit, daß ich nicht nur einen guten Offizier verliere, sondern auch meinen Schwiegersohn.«

Mitchel lachte. »Sie machen sich Sorgen, Sir, daß die Youngers nach Pottawatomie kommen werden?«

»Mit der Möglichkeit ist zu rechnen. Man erzählt, die Youngers seien sehr rachsüchtig. Kid Youngers hat während der Verhandlung geschworen, dich zu töten.«

»Nicht nur mich, sondern auch die anderen. Mr. Lincoln zum Beispiel. Sie müßten einige hundert Meilen reiten, um ihn zu erwischen. Doug Nash lebt in Texas. Der Mensch spricht viele Dinge aus, wenn er zornig ist. Ich persönlich halte nichts von diesem Geschwätz. Vermutlich wird die Bande möglichst schnell Kansas verlassen, um irgendwo unterzutauchen.«

»Hoffen wir es, Junge«, antwortete Hodgeman in väterlichem Ton. »Dennoch möchte ich dich bitten, deine täglichen Ausflüge ein wenig einzuschränken. Zumindest solltest du dich nicht allzu weit vom Fort entfernen. Wir wollen das Schicksal nicht unbedingt herausfordern.«

Mitchell schüttelte verächtlich den Kopf. »Ich fürchte dieses Verbrechergesindel nicht.«

»Laß dir meine Worte wenigstens durch den Kopf gehen«, sagte der Captain zum Abschied.

Cloud Mitchel verließ das Zimmer.

Draußen stand er im Schatten des Hauses und blickte gedankenverloren zu den hohen Barrikaden, die das Fort umschlossen und von der Ortschaft trennten.

Er war ein Soldat und alles andere als ein Feigling.

Aber vielleicht hatte der Alte recht. Er würde künftig seine Ausflüge mit Ann zum Big Blue Creek unterlassen. Eine Woche etwa – oder zwei. Es gab auch in der Nähe des Forts ein paar nette Plätze, wo man allein sein konnte.

Ann erzählte er nichts von der Geschichte. Und auch Captain Hodgeman schwieg darüber. Der Captain wußte es einzurichten, daß Lieutenant Mitchel fast ständig mit einer Abteilung unterwegs war.

Seiner Tochter erklärte er, daß im Reservat Unruhen herrschten und verstärkte Patrouillenritte erforderlich waren.

*

Die Youngers-Brüder fanden nach anstrengender Hetzjagd Unterschlupf in einer feuchten Höhle am Big Blue Peak.

In den nächsten Tagen wagten sie sich kaum aus dem Bau. Nur wenn Verpflegung und Tabakvorräte zu Ende gingen, ritt einer von ihnen bei Anbruch der Nacht nach Garison Cross, einer Ansiedlung hinter den Bergen.

Eine Woche blieben sie in der Erdhöhle.

Kids und Landys Absichten stießen zunächst auf ernsthaften Widerstand des ältesten Bruders Frank.

»Was ihr vorhabt, ist doch Unsinn«, sagte er mehrmals, als Landy seinen Plan offenbarte. »Wenn wir den Lieutenant umlegen, haben wir die ganze Kavallerieabteilung auf den Fersen. Außerdem bin ich der Ansicht, daß wir unsere Eisen nur dort gebrauchen sollten, wo was zu holen ist.«

»Richtig«, erwiderte Landy hitzig. »Bei Mitchel ist nichts zu holen, denn es ist nicht anzunehmen, daß er seine gesamte Barschaft mit herumschleppt. Mir geht es ums Prinzip. Und was die Kavallerieabteilung betrifft, werden wir längst über die Grenze reiten, wenn sie aufwachen und ihren Lieutenant finden. In Dakota holen wir diesen Lincoln vor den Lauf. Der Kerl ist Rancher, bei ihm können wir unsere Barschaft auffrischen. Ist der Rancher tot, reiten wir weiter.«

»Nach Texas«, äffte Allan, der dem Gespräch schweigend gefolgt war.

»Nein, zunächst holen wir uns Dick Morris. Er fährt ja bei der Overland Line. Und sicher gibt es auch dabei Beute.«

»Du verrennst dich in deinen Haß.«

Allan Youngers schüttelte verärgert den Kopf, tippte sich an die Stirn und verließ die Höhle. Er saß reglos auf dem Hügel und starrte über den schmalen Fluß. Im dunstigen Schleier sah er in der Ferne Pottawatomie, den kleinen Ort und die hochragenden Palisaden des Forts.

Er saß lange allein, ehe Frank auftauchte und sich neben ihm niederließ.

»Wir wollen uns Landys Gedanken durch den Kopf gehen lassen, Allan. Ich möchte nicht, daß wir uns entzweien. Denn solange wir zusammenreiten, waren wir uns stets einig. Und das war unsere Stärke.«

Allan Youngers wandte langsam den Kopf. Seine dunklen Augen waren gefüllt mit Unwillen. »In dieser Gegend gibt es noch manche Bank. Weshalb also sollen wir uns mit der Armee anlegen? Landys Sturheit bricht uns allen den Hals.«

Frank winkte verärgert ab. »Wir ­Youngers haben unseren eigenen Stolz. Du solltest es nie vergessen.«

Dann stand er auf und ging davon.

Allan sah ihn zwischen filzigen Büschen verschwinden und schob wütend eine Zigarette zwischen die Lippen.

Irgend etwas warnte ihn vor dem verrückten Unterfangen. Er spürte instinktiv die Gefahr, die wie eine Lawine auf sie zurollte.

Zugleich aber wußte er, daß die anderen ihn längst überstimmt hatten. Die Würfel waren gefallen.

*

Inspektor Raflin, dem die Geschäftsführung der Overland Line in Salin unterstand, blickte Dick Morris durchdringend durch die dicken Brillengläser an. Er schien nicht recht verstanden zu haben. Mit zorniger Bewegung schob er Morris’ Kündigungsschreiben zurück.

»Du hast einen Tick, Dick. In deinen alten Jahren einen festen Job zu kündigen. Die Gesellschaft weiß, daß du der zuverlässigste Mann auf dem Trail bist, und niemand käme auf den Gedanken, dich jemals rauszuschmeißen. Wer nimmt schon einen alten grauhaarigen Esel wie dich? Oder…« Der Sprecher kniff ein Auge zu, »sind dir die fünftausend Dollar in den Kopf gestiegen, daß du vielleicht glaubst, mit diesem lächerlichen Geld die Welt kaufen zu können?«

Der Coachman kratzte umständlich sein Bartgestrüpp. Verlegen trampelte er von einem Bein aufs andere.

»Hör zu, Danny. Seitdem die Youngers in Clay Center ausgebrochen sind, habe ich mächtigen Bammel. Und hier drinnen«, er tippte mit dem Zeigefinger auf die Brust, »sagt mir jemand: Old Dick, verdufte, ehe dir die Bande noch einmal in den Weg läuft. Schon allein der Gedanke an eine solche Begegnung läßt es mir eiskalt den Rücken runterlaufen. Vielleicht komme ich wieder zurück, Danny. In einem Jahr oder in zwei. Aber gegenwärtig möchte ich gehen.«

*

Es war spät geworden.

Die ersten Schatten zunehmender Dunkelheit zogen ins Tal.

Cloud Mitchel beschleunigte die Schritte. Es war nur eine halbe Meile zum Fort. Aber er wollte Ann nicht mit dem Abendbrot warten lassen.

Lieutenant Mitchel blieb unvermutet stehen.

Aus dem Wald trabten drei Reiter, die ihm den Weg versperrten. Ein vierter lenkte geschickt sein Pferd so, daß er in seinem Rücken hielt und ihm somit den Weg abschnitt.

Verwegene Gestalten. Stoppelbärtig, mit zerschlissener Kleidung und tiefhängenden Revolvern.

Sattelwölfe…

Unwillkürlich legte sich Mitchels Hand auf die Revolvertasche. Sein Daumen löste die Schnalle. Er spreizte die Beine.

Dann sah er ihre grinsenden Gesichter und zuckte leicht zusammen. Landy Youngers nahm es mit diebischer Freude auf.

»Angst, Lieutenant?« fragte er und glitt aus dem Sattel.

Mitchel hob stolz den Blick.

»Gesindel wie euch habe ich nicht zu fürchten.«

»So?« Auch Kid war aus dem Sattel gerutscht. Er warf Allan die Zügel zu und kam mit gleitenden Schritten näher.

»Dein Stolz wird nicht von langer Dauer sein, Lieutenant«, sagte er gelassen und schlug unvermutet zu.

Mitchel verspürte den harten Faustschlag im Gesicht. Blut lief über seine Lippen. Seine Haut färbte sich mit zorniger Röte. Als Kid zum zweitenmal zuschlagen wollte, konterte er blitzschnell.

Er beugte den Oberkörper zur Seite, unterlief den Schlag und knallte dem Banditen eine Doublette in den Magen und gegen das Kinn.

Kid Youngers ging stöhnend zu Boden.

Ohne Zögern fuhr Mitchel herum. Mit einer Reflexbewegung warf er den Oberkörper zurück. So dämpfte er den heimtückischen Schlag, den Landy mit dem Revolverkolben gegen seinen Schädel führte.

Dennoch wurde ihm sekundenlang schwarz vor Augen.

Taumelnd ging er in die Knie.

»Aber – aber«, hörte er aus weiter Ferne den dunklen Baß Frank Youngers vorwurfsvoll sprechen. »Wer macht denn gleich schon schlapp?«

Während Cloud unsicher auf die Beine kam, stapfte Landy Youngers heran. Sein Lächeln wirkte verzerrt. Wilder und leidenschaftlicher Haß flammte in den Augen des Banditen, und er war seiner Sinne nicht mehr mächtig, als er drauflos zu schlagen begann.

Cloud Mitchel wehrte sich verzweifelt gegen eine Niederlage. Aber sie waren wie eine Meute Hunde. Sie hetzten ihn und ließen ihm keine Ruhe.

Schläge deckten ihn ein, bis er keuchend am Boden lag und sich nicht mehr regen konnte.

Und noch immer fielen sie über ihn her, bis Allan Youngers mit herrischer Stimme Einhalt gebot.

»Genug jetzt, Kid, Landy – ihr habt euer Mütchen gekühlt. Gebt ihm den Rest, und, dann verschwinden wir.«

Mitchel lag mit offenen Augen am Boden, unfähig einer Bewegung.

Durch einen Schleier sah er die Gesichter seiner Peiniger. Sah plötzlich die große, dunkle Öffnung einer Revolvermündung und einen grellen, blendenden Funken, der auf ihn zuspritzte.

Die Detonation hörte Cloud Mitchel nicht mehr, denn er war bereits tot.

*

Sheriff O’Neil sah seiner Genesung entgegen.

Lieutenant Cloud Mitchel wurde mit allen militärischen Ehren beigesetzt, und aus der lebensfrohen und lustigen Ann Hodgeman wurde ein stilles, zurückgezogen lebendes Mädchen, das die Illusion am Glück verloren hatte.

Während neue Steckbriefe gedruckt, das Kopfgeld der Youngers auf fünfundzwanzigtausend Dollar erhöht wurde und die Verbrecher ihren Weg durch die einsamen Bergtäler Nebraskas suchten, lebte Rancher Lincoln ahnungslos der Dinge, die sich im Süden abspielten, auf seiner kleinen Ranch am Oberlauf des White Rivers.

Das Leben des Ranchers war hart. Schon bald vergaß er die kleine Episode von Clay Center. Nur sein Kontostand erinnerte ihn von Zeit zu Zeit daran. Und Freunde, die ihn in der Stadt daraufhin ansprachen.

Lincoln besaß etwa zweitausend Stück Vieh.

Fleischige Shetland-Rinder, die im Gegensatz zu den groben, zähen Longhorns wetterempfindlich waren.

Es regnete seit einer Woche, und der Boden am White River war aufgeweicht.

»Wir wollen uns die Zäune an der Nordkoppel anschauen«, sagte Fred Lincoln, »dann kannst du deinen Whisky haben, Pat.« Fred Lincoln wischte sich den Regen aus dem Gesicht. »Wo stecken Yip und Todd?«

»Sie flicken das Dach des Futterspeichers, bevor das Heu zu faulen beginnt.«

»Gut!« Lincoln schwenkte den zottigen Schecken nach Norden. In der grauen Regenwand trottete seine Herde. Aufmerksam ritten sie den Zaun entlang.

Nach etwa einer Stunde stoppte der Rancher den Schecken. Mit ausgestreckter Hand deutete er auf schlaff herabhängende Drähte.

»Wir wollen ihn flicken und die Pfähle erneuern.«

Pat Yankton nickte.

Beide Männer stiegen vom Pferd und machten sich an die Arbeit.

Es dunkelte bereits, als sie zum Fluß zurückritten.

Doch Fred Lincoln war zufrieden. Noch einmal wandte er sich im Sattel.

»Wenn alles klappt, Pat«, er lachte zuversichtlich, »und wir den Winter gut überstehen, können wir im Frühjahr vielleicht vierhundert Dreijährige zur Bahnstation treiben.«

Schon bald erreichten sie das Weidecamp.

Die Futtertenne ragte wie ein mächtiger, quadratischer Klotz aus der Dunkelheit. Sie trieben die Pferde unter das Schutzdach der massiven Blockhütte und sattelten sie ab.

Als sie das kleine Bunkhaus betraten, brannte im offenen Kamin lustig ein wärmendes Feuer.

Yankton schüttelte sich wie ein Pudel, während er die nasse Kleidung abstreifte.

»Bei diesem Wetter soll man nicht mal einen Bastard nach draußen schicken. Yip, bring dem Boß ’ne trockene Decke und eine Flasche Whisky. Und dann schlag ein paar Eier in die Pfanne. Der Tag war lang.«

Yip, der Cowboy, saß, die Beine lang von sich gestreckt, am Tisch. Mißmutig schob er die alte Zeitung beiseite. »Du kannst wohl nicht sehen, wenn ein Mann mal fünf Minuten Pause einlegt.«

»Doch, Yip.« Yankton grinste Launisch. »Aber erst muß unser Hintern so trocken sein wie deiner.«

Sie saßen am Tisch und aßen mit bestem Appetit. Langsam drang wohltuende Wärme in ihre erstarrten Glieder.

Während Todd schnarchend in der Koje lag, hatte Yip den alten Platz eingenommen. Bei dem trüben Funzellicht studierte er eifrig die Hot Springs Times. Yankton füllte die Gläser. Verächtlich deutete er auf Yip. »Er tut so, als könne er die Zeitung lesen, Boß. Laß dich nicht beeindrucken. Yip blufft gern.«

Der Cowboy grinste über den Rand der vergilbten Zeitung.

»Deinen Vater hast du nie im Leben kennengelernt, Pat Yankton«, äffte er verächtlich. »Meiner aber war so was wie ein Schuldiener. Und als solcher legte er größten Wert darauf, daß seine Söhne lesen und schreiben lernten. Ich habe ein paar Jahre gebüffelt. Und das bin ich dir heute voraus. Übrigens, Boß«, er wandte sich ohne Übergang an den Rancher, »du hast uns doch erzählt, daß Kid und Landy Youngers in Clay Center aufgeknüpft wurden.«

Rancher Lincoln lächelte. »Und ich nehme an, das stimmt. Letzten Endes war ich dabei, als sie geschnappt wurden.«

»Und hast dafür fünftausend Dollar kassiert.«

»Genau.«

Umständlich legte Yip die Zeitung auf den Tisch. Weit schob er die Arme vor und grinste den Rancher mit gutmütigem Spott an.

»Wie kommt es dann, Boß«, erlegte eine Kunstpause ein, »daß die vier ­Youngers vor sieben Wochen am Big Blue River gesehen wurden? Und daß sie dort einen gewissen Lieutenant Cloud Mitchel umlegten?«

Eine peinliche Pause entstand. Lincoln, der die Gabel zum Mund führte, senkte die Hand. Zwei steile Falten traten auf seine Stirn. Mit großen Augen starrte er den Sprecher an.

Schließlich hatte er die Überraschung überwunden.

»Das ist doch Unsinn, Yip. Gib mir das Blatt!«

Hastig griff er zu, als Yip ihm die Zeitung über den Tisch reichte.

*

Doug Nash erfuhr es aus der Phoenix-Gazette.

Aber er war jung und nahm es mit einem Achselzucken hin. Er hatte andere Dinge im Sinn und freute sich auf die Heimkehr. Es lag nun viele Jahre zurück, daß er den Gila River aufwärts geritten war. Damals war sein Herz gefüllt von Neugierde. Ihn reizte das Fernweh, das Unbekannte – das Abenteuer. Er wollte andere Länder sehen.

Doug – inzwischen fünfundzwanzig Jahre alt – war ausgereift und hatte einige Erfahrungen gesammelt. Doch wenn er Bilanz zog, enttäuschten ihn diese fünf Jahre. Sie erschienen ihm sinnlos, weil er im Grunde kein Abenteurer war.

In seinem Wesen verbarg sich nicht der Feigling.

Aber zum Helden war er auch nicht geboren.

Eigentlich war jener Vorfall vor Monaten in Clay Center das einzig Herausragende in seinem Leben. Und diese Episode wurde aus einem Zufall geboren.

Doug Nash setzte seinen Weg fort. Er hoffte, bis Sonnenuntergang Buckeye zu erreichen. Dort lebten Freunde, bei denen er übernachten wollte. Morgen würde er auf der Nash-Ranch sein.

Seine Ranch – seine neue Heimat, nachdem seine Eltern damals Texas verlassen hatten.

Die niedersengende Sonne brannte im Nacken. Sein buntes Flanellhemd war getränkt von Schweiß.

Schaumflocken klebten an den Nüstern des Mustangs.

Langsam versank die Sonne in den endlosen Dünen der Gila.

Hinter der Flußschleife tauchte die langgestreckte Ortschaft mit ihren Lehmhütten auf.

Buckeye.

Während er den sandigen Weg zwischen den verstreut liegenden Häusern entlangritt, dachte er an Rose Plewith, die sommersprossige, rothaarige Tochter des Drugstore-Mannes. Sie war ein kleiner Teufel, immer zu Scherzen aufgelegt. Übermütig wie der sprudelnde Quell eines Flusses.

Ob sie verheiratet war?

Vor Juan Estalantes Cantina stieg er etwas schwerfällig aus dem Sattel. Er führte sein Pferd zur Tränke und lockerte den Sattel.

Ziemlich steifbeinig betrat er den Schankraum des Mexikaners.

Juan saß hinter der Theke. Durch die Nickelbrille musterte er forschend den Fremden, der nähertrat. Es verirrten sich selten Fremde in ihre kleine Stadt. Meist hatten sie etwas zu verbergen oder kamen enttäuscht aus den Goldfeldern Kaliforniens auf dem Weg in ihre Heimat.

Es war kein gutes Geschäft, das Juan hatte. Aber er war ein bescheidener Mann.

»Einen Whisky, Señor?« fragte er. Freundlich strich er über den kugelrunden Bauch. »Vielleicht einen Tequila? Ich braue ihn selbst aus dem Saft der besten Agaven, die am Gila River zu finden sind.«

Nash lachte. »Deinen Tequila konnte mein Vater schon nicht vertragen. Ich persönlich habe mich inzwischen an Whisky gewöhnt.«

Estalante stutzte.

»Dios«, murmelte er schließlich verblüfft und kam mit kurzen, schleifenden Schritten hinter der Theke hervor. »Wenn mein Augenlicht mich nicht täuscht, bist du Doug Nash. Nimrod Nashs jüngster Sohn.« Er schob die Brille auf die Stirn. »Ja, du bist es«, lachte er heiser. »Willkommen in der Heimat.«

Lachend löste Doug sich aus der Umarmung des Dicken.

»Nun krieg nicht gleich vor Freude einen Herzschlag. Gib uns zwei Brandy und dann erzähle, was es Neues in Buckeye gibt.«

»Nichts gibt es in Buckeye, was erwähnenswert wäre. Vielleicht, daß Rick Leon, der Einsiedler, im Yurro Tal der Teufel geholt hat, weil er sich seinen Schnaps selber brannte. Oder daß Wash Lanner, unser alter Sheriff, vor zwei Jahren an Herzschwäche starb. Buckeye hat der Satan geschaffen. Und sicher ist es auf keiner Landkarte verzeichnet.«

»So wenige Fremde?«

»Seit drei Monaten sah ich niemanden mehr. Kein Wunder. Wen treibt es schon in diese Einöde? Slim Tackett hat seine Zucht aufgegeben. Und Rancher Lorenz zog über Nacht mit seiner Habe nach Osten. Die Gila Wüste ist wie die schleichende Pest. Unaufhaltsam wandern ihre Dünen und verschlingen das wenige fruchtbare Land. Salute, Amigo!« Er hob sein Glas.

Doug Nash trank mit kurzen Schlucken.

»Und wie sieht es auf der Nash-Ranch aus?«

»Dios mio!« Der Mexikaner schlug die Hände über dem Kopf zusammen. »Die Wüste schont niemanden. Aber du wirst es selbst sehen.«

»Morgen.« Nash nickte in Gedanken. Schon sein Vater hatte einen verzweifelten Kampf gegen den immer weiter vordrängenden Wüstensand geführt. »Hast du ein Zimmer frei?«

Die großen Western 181

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