Читать книгу Der schweizerische Robinson - Johann David Wyss - Страница 2
Zweites Kapitel
ОглавлениеErzählt die Entdeckungsfahrten einer tapfern Mutter und wie eine Brücke und ein Baumhaus gebaut werden. Fritz erweist sich als ein Held. Es wird Sonntag gefeiert. Die Natur schenkt reiche Gaben.
»Tatsächlich«, begann die Mutter, »scheinst du nicht begierig zu sein, mich anzuhören, da du mich den ganzen Abend gar nicht zum Worte kommen lässest. Aber je länger sich das Wasser gesammelt hat, je länger fließt es; und nun will ich reden nach Herzenslust!
Morgens frühe war ich aufgestanden, und als ich erkannte, daß ihr so bald nicht zurückkehren würdet, war mein Plan bald gefaßt. Ich wollte einen bequemeren Wohnplatz suchen; denn hier in der furchtbaren Hitze am Strand ist es tagsüber fast nicht auszuhalten. Die Knaben waren bald munter geworden; sie hatten sich sofort daran gemacht, Fritzens Schakal abzuhäuten und nicht ohne Kunst aus Streifen, die sie aus der Haut schnitten, Jacks Gürtel und Türks Halsband zu verfertigen, die beide ihr heute abend angestaunt habt.
Ich eröffnete ihnen jetzt meinen Reiseplan, und alle gaben ihre freudige Zustimmung. Ohne Säumen setzten sie sich in Bereitschaft, untersuchten ihre Gewehre, luden sie, wählten sich Hirschfänger und erhielten Mundvorrat auf den Rücken. Mir blieb die Wasserflasche und statt des Hirschfängers ein Handbeil. Dafür nahm ich Ernsts leichte Flinte und gab ihm ein Jagdrohr, das mit Kugeln geladen werden konnte. So waren wir gerüstet, und da eure Rückkehr sich noch immer verzögerte, brachen wir, von den zwei Hunden begleitet, auf und zogen dem Bache zu.
Türk, der bei eurem ersten Zuge mitgewesen war, schien gleich zu bemerken, daß wir den nämlichen Weg aufsuchten, und warf sich sofort zu unserm Anführer auf. Hinter ihm her kamen wir bald an die Stelle, wo ihr über den Bach gesetzt, und glücklich, obwohl nicht ohne Mühe, gelangten auch wir hindurch.
Nachdem ich aus dem Bache noch die Wasserflasche gefüllt hatte, setzten wir unsern Stab weiter, und als wir die Anhöhe jenseits des Baches erreicht hatten, bekam in der Tat, wie ihr es beschrieben, die Gegend ein ungemein anmutiges Aussehen, und mein Herz eröffnete sich seit langem zum erstenmal wieder einem hoffnungsvollen Gedanken.
Wir hielten uns links nach dem Strande hin, wo wir ohne Hindernis weiterschreiten konnten. Wir trafen auf eure vorgestrigen Fußstapfen und folgten ihnen nach, bis wir in die gerade Linie mit einem Wäldchen kamen, wo wir denn den Strand wieder verließen und uns rechts gegen dasselbe hinwandten. Bald aber mußten wir durch hohes Gras eindringen, was äußerst beschwerlich war und uns ganz ungemein ermüdete.
Eine Menge unbekannter Vögel sangen uns aber fröhlich entgegen oder flatterten vor uns her. Die Knaben verschlangen sie gierig mit den Augen und schickten sich an, sie herunterzuschießen; allein ich gab es um so weniger zu, da die Bäume von solcher Höhe waren, daß schwerlich ein Schuß nur hinaufgetragen hätte.
Aber, was das auch für Bäume waren! – Nein, du kannst dir keinen Begriff davon machen. In deinem Leben hast du keine Bäume von solcher Größe gesehen. Was uns von ferne ein ganzes Wäldchen geschienen, das war in der Nähe doch bloß eine Gruppe von zehn bis vierzehn Stämmen, und, was das Sonderbarste war, sie standen sicher in den Lüften, wobei sie rings herum wie von großen Strebepfeilern kräftig unterstützt wurden. Die weit ausgebreiteten starken Wurzeln hatten den ungeheuer dicken Stamm gleichsam in die Höhe gehoben. Dennoch war derselbe auch in der Mitte fest in den Boden gewurzelt, aber unten war er ungleich dünner als oberhalb, wo die Wurzeln sich in ihn verloren und ihn wohl um die Hälfte dicker machten.
Jack mußte mir an einem Wurzelpfeiler eines der Riesenbäume hinaufklettern und droben den Umfang des Stammes mit Packfaden ausmessen. Da fanden wir denn an elf Meter; und rings um die Wurzeln, wo sie aus der Erde brachen, hatte ich vierzig Schritte zu gehen. Die Höhe des Baumes von der Erde bis da, wo die Äste anfingen, mochte an zweiundzwanzig Meter betragen. Laub und Zweige waren dicht und gaben vortrefflichen Schatten. Die Blätter sind ungefähr wie unsere Nußblätter, aber Früchte habe ich nicht entdeckt. Unter den herrlichen Bäumen endlich ist der Boden mit reinem Grase bewachsen und von Buschwerk oder Dornen vollkommen frei, so daß sich alles vereinigt, um den schönsten und lieblichsten Ruheplatz zu bilden.
Auch gefiel es mir dort so wohl, daß ich beschloß, ein kühles Mittagslager zu halten, und daß ich mich samt den Knaben in dem grünen Waldpalast niederließ. Die Futtersäcke wurden hervorgenommen, ein Bächlein gewährte einen frischen Trunk, und wir erquickten uns nach Herzenslust. Indes kamen auch unsre Hunde herbei, die am Strand zurückgeblieben waren, und zu meinem Erstaunen bettelten sie nicht einmal zu fressen, sondern legten sich, wie mir schien, mit ziemlich gefülltem Wanste ruhig zu unsern Füßen hin und schliefen alsbald ein.
Ich konnte nicht satt werden, mich an diesem unvergleichlichen Platze umzusehen, und mir deuchte, wenn wir uns auf einem der hochstämmigen Bäume ansiedeln könnten, so würden wir ganz außerordentlich sicher sein. Zudem sah ich weit und vermutete noch weiter umher nicht einen einzigen Ort, der zum Ansiedeln lieblicher und freundlicher wäre, so daß ich den Entschluß faßte, nicht ferner zu suchen, sondern umzukehren und nur, wenn die Zeit es erlaubte, am Strande noch einiges aufzufischen, das von unserm Wracke angetrieben worden war.
Am Strande fanden wir dann aber wenig zu retten, weil der größere Teil der angeschwemmten Sachen für unsere Kräfte viel zu schwer war.
Soviel wir aber bezwingen konnten, zogen wir landeinwärts, bis es uns vor der künftigen Flut gesichert schien, und bei dieser Arbeit merkte ich, was unsre Hunde vor kurzem gefressen haben mochten. Denn ich sah sie an seichten und klippigen Stellen des Ufers auf Krabben lauern und dieselben vermittelst der Pfoten beglückt aufs Trockene ziehen oder selbst unter dem Wasser mit Behendigkeit wegschnappen. Da wußten wir also, wo unsere Fresser vorhin ihre Nahrung gefunden hatten.
Indem wir unsern Weg fortsetzten und schon im Begriffe waren, vom Strande abzulenken, ward ich inne, daß unser Bill etwas Rundes mit Begier aus dem Sande scharrte und alsbald hastig verschlang. Ernst sah ihm gleichfalls zu und sagte gelassen: ›Das werden Schildkröteneier sein.‹
›Oh‹, rief ich, ›in diesem Falle wollen wir retten, was zu retten ist; denn dergleichen können auch wir verspeisen!‹
Es kostete jedoch Mühe, bis wir den Näscher von der schmackhaften Beute wegbringen konnten. Aber endlich gelang es uns, gegen zwei Dutzend Eier noch unversehrt zu erhalten und in unsere Säcke zu verteilen.
Über diesem Geschäfte blickten wir zufällig auf das Meer hinaus und gewahrten mit Verwunderung ein Segel, das sich lustig dem Lande näherte. Ich wußte gar nicht, was ich denken sollte. Ernst behauptete, daß es der Vater und Fritz seien, und Fränzchen fing an bange zu werden, daß die Wilden kommen und uns auffressen möchten. – Indes bestätigte sich bald, was Ernst behauptete, und wir liefen eilig dem Bache zu, sprangen alle von Stein zu Stein hinüber und kamen bald bei der Ankerstelle an, wo wir mit Frohlocken in eure Arme flogen.
Das ist, mein lieber Mann, der Bericht von unsrer Erkundigungsreise, und jetzt, wenn du mir einen Gefallen tun willst, ziehen wir gleich morgen aus und setzen uns bei meinen herrlichen Bäumen fest.«
»Ei«, sagte ich, »Mutterchen, so, das ist alles, was du für unsre künftige Bequemlichkeit und Sicherheit herausgefunden hast! Ein zweiundzwanzig Meter hoher Baum, auf dem wir wie die Hühner auf der Stange sitzen müßten, wenn wir schon das Glück hätten hinaufzukommen! Denn, werden wir keinen Luftballon auftreiben, wird es uns schwerlich gelingen.«
»Oh, scherze nur lustig zu!« entgegnete die Mutter. »Mein Gedanke ist so abgeschmackt nicht. Wenigstens wären wir nachts vor den Schakalen und vor ähnlichen Gästen sicher, und ich weiß noch wohl, daß ich in unserm Vaterland so ein paar Linden sah, auf welchen man vermittelst einer Treppe hinanstieg und zwischen den Ästen eine hübsche Laube mit einem tüchtigen Fußboden fand. Was hindert uns, nach ähnlicher Weise hier auf den Bäumen ein Schlafzimmer einzurichten?«
»Nun, wir werden ja sehen, was sich tun läßt!«
Wir hatten inzwischen unser Mahl beendet, und die Dunkelheit brach mächtig herein; so beschlossen wir, zur Ruhe zu gehen, legten uns, nach verrichteter Andacht, in gewohnter Ordnung unter den Schirm unsres Zeltes nieder und schliefen wie die Murmeltiere bis an den lichten Morgen fort.
»Horch, Weibchen,« sagte ich zu meiner Frau, als wir beide des Morgens früh erwachten, »du hast mir vergangenen Abend eine in jeder Hinsicht schwere Aufgabe vorgelegt, wir müssen uns über dieselbe noch ein wenig näher beraten. – Im Grunde deucht mir, die Vorsehung habe uns gleich anfangs an die passendste Stelle dieser Küste geführt, um sowohl für unsere Sicherheit als für unsern Unterhalt aufs beste zu sorgen. Gerade als ob der ganze Raub von dem gescheiterten Schiffe uns zuteil werden sollte, haben wir einen bequemen Weg zu demselben, und die Klippen hier rings herum bergen uns so gut, daß wir alle Wachsamkeit nur gegen die Seite des Baches zu richten haben, der ohnehin an den wenigsten Stellen einen Übergang erlaubt. Wie wäre es also, wenn wir uns einstweilen geduldeten und zum wenigsten ausharrten, bis wir uns alles Beweglichen auf dem Wrack bemächtigt haben? Und wie wäre es, wenn wir dein auserkorenes Wäldchen zum Wohnplatze wählten und hier zwischen den Felsen unser Magazin und unsere Festung hätten? – Wenn ich mit der Zeit an einigen Stellen das Ufer des Baches mit Pulver sprenge, so kommt gegen unsern Willen auch keine Katze hinüber. Vor allem aber müssen wir an eine Brücke denken, wenn wir mit Sack und Pack von hinnen wollen.«
»Oh, dann geht es wieder eine Ewigkeit, bis wir ausziehen können«, bemerkte sie dagegen. »Warum nicht aufpacken und durchwaten? – Das Notwendigste mögen Esel und Kuh auf dem Rücken tragen!«
»Das werden sie wohl immer tun müssen«, sagte ich; »aber da sind Bastkörbe und Säcke nötig, und während du für diese sorgst, können die übrigen an der Brücke schon ein Tüchtiges fördern. Einmal gebaut, nützt sie uns immer. Der Bach kann anschwellen und den Durchgang unmöglich machen. Zudem mag ich unsre Schafe und Ziegen nicht der Gefahr des Ertrinkens aussetzen, und selbst die Knaben und wir dürften in dem Überspringen nicht immer so viel Glück haben wie bisher.«
»Nun denn, in Gottes Namen!« rief sie aus, »ich ergebe mich. Aber ohne Unterbrechung muß jetzt daran gearbeitet werden, daß wir weiter kommen; und dann hoffe ich, daß du unser Pulver hier zurücklassest; denn ich ängstige mich fort und fort, eine solche Menge davon in der Nähe zu wissen.«
»Wir wollen es mit der Zeit verteilen«, beruhigte ich sie, »und in den Felsen eingraben, daß es vor Feuersgefahr und vor Nässe besser verwahrt sei. Allerdings ist es unser gefährlichster Feind, wenn wir es nicht mit Sorgfalt hüten; aber es ist auch unser nützlichster Freund, wenn wir es in Obacht nehmen.«
So war nun die wichtige Frage von der Veränderung unsres bisherigen Wohnorts abgetan und zugleich unser heutiges Tagwerk bestimmt. – Die Kinder wurden aufgeweckt und der Plan ihnen mitgeteilt. Sie fanden ihn prächtig und wären nur des Brückenbaues gern enthoben gewesen, um in lauter Luftsprüngen sogleich nach dem angenehmen Wäldchen zu fliegen, dem sie jetzt anfingen, den Namen des gelobten Landes zu geben.
Alles sah vorerst der emsigen Mutter zu, die der Reihe nach erst die Kuh und dann die Ziegen ihrer Milch entledigte und rechts und links den schmunzelnden Knaben davon zu kosten gab. Den Rest goß sie teils in einen Topf über das Feuer, um mit Zwieback eine Milchsuppe zu kochen, teils in unsre Wasserflasche, um ihn aufzubewahren.
Unterdessen rüstete ich unser Tonnenschiffchen, um nach dem Wracke zu fahren und Bretter für die künftige Brücke zu holen. Dann wurde gefrühstückt, und gleich darauf bestieg ich mit Fritz und Ernst unser Fahrzeug, weil mir zur Beschleunigung meines Geschäftes nötig schien, doppelte Hilfe mitzunehmen.
Ernst war ganz entzückt, daß ihm erlaubt worden war, mitzufahren, und daß er nun das Segel so prächtig sich füllen, den Wimpel so lustig dahinflattern sah. Wir brauchten aber diesmal gar nicht bis zum Wrack zu fahren. Als unser Schifflein von der Strömung hinausgetrieben wurde, bemerkte ich ein kleines Inselchen unweit vom Strande, und mit Vergnügen sah ich dort eine Menge Balken und Bretter, die das Wasser nach und nach hier angetrieben hatte und die uns der Mühe überhoben, für ihresgleichen nach dem Wracke zu fahren. Ich wählte also, was zu meinem Brückenbau mir dienlich schien, machte mit Hilfe des Hebeeisens und einer Winde flott, was auf dem Trocknen saß, verknüpfte die Balken zu einem Floße, lud die Bretter darauf und hängte das Ganze hinten an unser Fahrzeug, so daß wir, vier Stunden nach der Abreise von den Unsrigen, wieder zur Heimkehr gerüstet waren und uns mit Fug wohlverrichteter Dinge rühmen konnten.
Es dauerte auch nicht lange, so fuhren wir glücklich in die kleine Bucht, ließen das Segel fallen und legten an der alten Stelle bei. Von den Unsrigen war zwar niemand bei der Hand, aber ihre Abwesenheit erschreckte uns nicht wie das vorige Mal; wir erhoben vielmehr unsre Stimmen im Chor und riefen ein tapferes ho! ho!, bis endlich ein lauter Gegenruf erschallte und die Mutter mit den zwei Kleinen vom Bache her zum Vorschein kam, wo das Ufer sie unsern Augen entzogen hatte. Jedes trug in der Hand sein Schnupftuch bauchig und gefüllt, und Fränzchen führte das kleine Fischnetz, das an einem langen hölzernen Gabelstock festgemacht war.
Als die lieben Leute jetzt bei uns standen und sich über unsre baldige Rückkehr sattsam verwundert hatten, konnte sich Jack nicht länger enthalten, sein Schnupftuch hoch in die Luft zu heben und eine Anzahl der prächtigsten Flußkrebse vor unsern Augen auszuschütten. Die Mutter und Fränzchen folgten seinem Beispiel nach, und ein wimmelnder, zappelnder Haufe lag plötzlich beisammen. Aber die Krebse, die anfingen, sich frei zu fühlen, watschelten rechts und links nach allen Kräften davon, und die Knaben hatten genug zu tun, die Flüchtlinge beieinanderzuhalten. Da gab es denn ein Springen und Bücken und Schimpfen und Lachen, das ganz unvergleichlich war.
»Ja, gelt, Vater«, sagte Jack, »da haben wir jetzt von den rechten? Es waren erschrecklich viel, gewiß über tausend, und wenigstens zweihundert davon haben wir mitgehen heißen. Seht nur, was für große darunter sind! Und was für Scheren sie haben!«
»Aber wer ist denn der Urheber dieses herrlichen Funds?« fragte ich. »Gewiß bist du es selbst!«
»Nein, das nicht«, sagte er, »der kleine Lecker da hat das Meisterstück gemacht. Aber wer gleich zur Mutter gelaufen ist und es ihr gesagt und das Gabelnetz geholt und bis über die Knie im Wasser gestanden und die Burschen zu Dutzenden herausgefischt hat – das weiß ich! Und nun will ich euch erzählen, wie alles gegangen ist: Während die Mutter mit Nähen beschäftigt war, ging ich mit Fritzens Affen auf den Schultern und mit Fränzchen dem Bache nach, um ein bißchen zu sehen, wo wir doch die Brücke schlagen könnten.«
»So, so!« fiel ich ihm in die Rede, »da hat dein flüchtiges Köpfchen einmal einen wichtigen Gedanken erfaßt! Der junge Herr Werkmeister war folglich auf den Augenschein ausgegangen, und nun werden wir, seine Gesellen und Lehrburschen, vernehmen, was für eine passende Stelle sich finden ließ.«
»Ja, höre nur«, fuhr er fort, »ich will dir alles zeigen! – Wir gingen immer dem Bache zu, und Fränzchen las bunte Steinchen auf, und wenn er ein glänzendes fand, so lief er zu mir her und sagte: das ist ein prächtiges, siehst du da, Gold! Das will ich zerstoßen und Schreibsand machen. Als er endlich auf dem obern Rande des Ufers der Dinger zu wenig fand, ließ er sich niederwärts in den Bruch bis an das Wasser, und jetzt rief er plötzlich: Jack, Jack, komm doch her und sieh, wie ungeheuer viel Krebse an Fritzens Schakal sind! – Ich rutschte hinab über das Bord und sah in der Tat mit Erstaunen, daß der Schakal an einer seichten Stelle festgeblieben und jetzt die Beute einer Legion der prächtigsten Krebse war. – Auf und davon machte ich mich jetzt und verkündigte es der Mutter, die gleich mit einem Gabelgarn herausrückte, das ich noch nie gesehen hatte, und so fingen wir teils mit dem Werkzeug, teils mit den Händen, soviel wir nur wollten, und wir hätten noch mehr gefangen, wenn wir nicht euer Rufen gehört hätten. – Aber, nicht wahr, es sind doch grimmig viel?«
»Ja«, sagte ich, »wenn wir auch die kleinsten davon wieder laufen lassen, so sind noch genug zu der freigebigsten Mahlzeit für uns alle; und so haben wir abermals unvermutet eine Vorratskammer entdeckt, die uns Speise verspricht für manchen Tag. Gott sei‘s gedankt, daß wir allenthalben Überfluß finden!«
Nachdem wir nun auch unserseits Bericht erstattet hatten, traf die Mutter Anstalten, eine gute Portion von den Krebsen zu sieden; wir übrigen aber waren indes beschäftigt, die hergebrachten Balken und Bretter teils voneinander zu lösen, teils an das Land zu schaffen. Es bedurfte zwar noch des Nachdenkens, um eine so einfältige Sache zustande zu bringen, weil wir gar kein Geschirr hatten, um unsere Tiere vorspannen zu können; ich machte es aber kurz und gut so, wie die Lappländer ihre Rentiere vor die Schlitten binden. Ein langer Strick ward an dem einen Ende zur Schlinge geknüpft und diese dem Esel über den Hals geworfen, so daß das andere Ende zwischen den Beinen des Tieres nach hinten ging und dort an die Hölzer festgebunden wurde. Die Kuh mußte sich auf gleiche Weise anspannen lassen, und so brachten wir unser Floß Stück für Stück bis an den Bach, auf die Stelle, die der kleine Werkmeister auf seinem Augenschein zum Brückenbau ausersehen hatte und die auch mir bei näherer Betrachtung die beste schien. Beide Ufer des Baches nämlich waren hier zusammengedrückt, ziemlich steil, fest und gleich hoch. Dazu kam noch diesseits der Strunk eines alten Baumes, an den ich meine Hauptbalken anlehnen konnte, während jenseits ein paar kräftige Bäume mir ebenfalls einen guten Stützpunkt versprachen.
Es war nur die einzige Schwierigkeit, auszumachen, wie die langen und schweren Balken, die zum mindesten acht Meter lang sein mußten, über den Bach zu bringen wären; eine Frage, die uns während der bevorstehenden, fast um eine Stunde verspäteten Mahlzeit recht nützlich beschäftigen konnte.
Wir begaben uns also sämtlich zur Kochstelle, wo die Mutter inzwischen nach Herzenslust Krebse gesotten hatte und jetzt uns erwartete. Vor allem aber zeigte sie mir die Näherei, mit welcher sie den Vormittag zugebracht hatte, und überraschte mich sehr mit zwei Tragsäcken für unsern Esel, die sie aus Segeltuch mit Packfaden mühselig zusammengenäht hatte. Da es ihr nämlich an großen und starken Nadeln gefehlt hatte, so war sie genötigt gewesen, mit einem Nagel allemal ihrem kleinen Werkzeug vorzubohren; und so hatte sie nur durch seltene Geduld und Ausdauer ihre Arbeit zustande gebracht, was ihr denn auch dreifaches, aus dem Herzen kommendes Lob einbrachte.
Mit dem Essen ging es diesmal rasch vorwärts; wir schwatzten über das bevorstehende Werk, und wir waren kaum satt, als wir schon wieder aufsprangen und frisch an den kunstreichen Brückenbau gingen.
Das erste, was ich hier veranstaltete, war, daß ich einen Balken hart hinter den Baumstumpf der Länge des Ufers nach legte und ihn vier bis fünf Fuß über einem seiner Enden so an dem Stumpf befestigte, daß er sich leicht um denselben herumdrehen und auf diese Weise das kürzere Hinterteil des Balkens dem längern allenfalls Gegengewicht halten konnte, wenn dieses über den Bach hinaus und nach dem untern Ufer gezogen würde. Hierauf befestigte ich an das andere Ende des Balkens einen Strick, und dieser, in gehöriger Länge um einen Stein gebunden, wurde über den Bach geworfen. Da ich keine Möglichkeit sah, den Esel oder die Kuh sogleich dorthin zu schaffen, nahm ich einen Flaschenzug und ein Seil, sprang damit von Stein zu Stein über, befestigte den Flaschenzug an einem Baum, zog den hergeworfenen Strick hindurch und kehrte mit dem Ende desselben in der Hand auf das diesseitige Ufer zurück. Nun war leicht zu helfen. Die Kuh samt dem Esel wurden an dieses Strickende vorgespannt und wacker angetrieben. Der Balken wandte sich sanft um den Strunk und hielt fest, obgleich sein längeres und schwereres Ende schon anfing, frei über dem Bach zu schweben. Bald berührte das Holz die andere Seite des Ufers und legte sich dort durch sein Gewicht fest. Jetzt waren Jack und Fritz im Sprung auf dem Balken, und verwegen, aber mit ungemeiner Leichtigkeit, gingen sie hinüber.
Nachdem der erste Balken gelegt war, minderte sich die Schwierigkeit unsres Werkes um vieles. Ein zweiter und ein dritter wurden so hinübergezogen, daß sie mit dem einen Ende diesseits liegen blieben und mit dem andern, auf den befestigten Balken aufgelegt, sich bequemen mußten, bis hinüber zu rutschen, wo sie, in passender Entfernung, neben dem ersten hingebettet wurden.
Bald blieb uns nur noch übrig, Bretter und Laden quer auf diese Unterlage zu breiten, und in einem Nu war dieses Geschäft abgetan, und die Brücke stand fertig vor unsern Augen. Fast ausgelassen vor Lustigkeit tanzte das junge Volk nun darüber hin, und schier hätte ich in der Freude selbst ein paar Sprünge gemacht. Die Brücke war zweieinhalb bis drei Meter breit und ganz erträglich ausgefallen; nur daß ich noch unterließ, die Bretter fest aufzulegen, weil mir ratsam schien, sie beweglich zu erhalten, damit man sie leicht wegnehmen und den Übergang des Baches erschweren könnte.
Die Arbeit hatte unsere Kräfte nicht wenig mitgenommen, und als der Abend hereinbrach, fanden wir uns so erschöpft, daß wir ohne weiteres uns nach Essen und Nachtlager umsahen.
Des andern Morgens erhielten die Knaben Befehl, unsere Herde zusammenzutreiben und den Esel samt der Kuh zum Bepacken näher zu bringen. Beide mußten sich Säcke von der Arbeit der fleißigen Mutter aufladen lassen, und beide hielten geduldig her. Die Säcke bestanden aus einem langen Stück Segeltuch, das den Tieren über den Rücken hing, an beiden Enden beträchtlich aufgeschlagen und auf den Seiten mit Packfaden fest vernäht war.
Hierauf fingen wir an einzupacken, was wir in den nächsten Tagen an Mundvorrat, Werkzeug, Küchengeschirr, Stricken und andern Bedürfnissen nötig haben konnten. Des Kapitäns Flaschenfutter und ein kleiner Vorrat aus dem Butterfasse wurden nicht vergessen. Zuletzt wollte ich oben über die Säcke unsere Bettdecken und Hängematten schlagen und damit die Ladung vollenden, als die Mutter eilig herbeikam und plötzlich meinem Eifer Einhalt tat.
»Die Hühner«, sagte sie, »dürfen wir doch unmöglich diese Nacht allein lassen, sonst ist es aus mit ihnen; und dann hatte ich gehofft, den Franz auf den Esel zu setzen; denn ich weiß noch wohl, wie er mich im Marsche aufgehalten hat, und dann muß auch mein Zaubersack mit; denn wer weiß, wie bald wir ihn nötig haben!«
»Ach!« rief ich aus, »was hast du doch alles aufzuladen! Wir wollen sehen, ob es möglich ist, deinem Wunsche nachzukommen; aber je weniger wir uns diesmal aufbürden, je schneller können wir wiederkehren.«
Zum Glück hatte ich doch den Esel im Bepacken etwas geschont und bereits an die Möglichkeit gedacht, ihm auf dem Wege vielleicht den kleinsten der Knaben aufsetzen zu müssen. Diesem also wurde jetzt mit dem Zaubersack eine Rücklehne gemacht, und bald saß er da zwischen den drei Säcken so sattelfest, daß er im Notfall galoppieren durfte, zumal da ich ihn auf alle Gefahr angebunden hatte.
Indes war die junge Mannschaft den Hühnern und den Tauben nachgelaufen und hatte nicht ein einziges Stück erhascht. Alles war auseinandergestoben, und die Knaben kehrten leer und verdrießlich zurück.
»Ei, laß es gut sein!« sagte die Mutter, »wir wollen sie schon bekommen.«
»Ja, ja«, meinten die Jungen, »das wird was Feines absetzen; wir möchten es auch sehen!«
»Ihr sollt es gleich auf der Stelle sehen«, versetzte die Mutter, »und sollt erfahren, daß, wer seinen Kopf zu brauchen weiß, oft viel weiter kommt, als wer läuft oder jagt und sich auf Stärke oder Schnelligkeit blindlings verläßt.«
Mit diesen Worten fing sie an, den Hühnern und Tauben freundlich zu rufen und aus beiden Händen einzelne Erbsen und Haferkörner, die sie aus dem Zaubersacke zurückbehalten hatte, hinzuwerfen. Bald kam das Geflügel näher; die Mutter warf den Rest des Futters in unser offenes Zelt, das Federvieh trippelte allmählich hinein, und als es sämtlich am besten Fressen war, schlich sie seitwärts hinzu und schlug plötzlich die Flügel des Eingangs zusammen, so daß alle die Näscher glücklich gefangen waren.
»Wie nun«, rief sie den Knaben zu, »ihr hochweisen Herren! – habe ich Wort gehalten? Und hört ihr auf, die Achseln zu zucken?«
Jack mußte gleich in das Zelt, wie der Fuchs in das Hühnerhaus, und uns einen der Gefangenen nach dem andern herauslangen, worauf wir ihnen die Beine zusammenbanden und sie oben auf dem Gepäck der Kuh anknüpften, so gut es sich in der Kürze tun ließ. Zwei Bogen von einem Reifen wurden über das Völklein aufgespannt, ein paar Decken darauf hingelegt, damit die Finsternis es ruhig hielte, und so war auch dieses nun glücklich abgetan.
Was wir an dem Landungsplatze zurücklassen mußten, das von der Sonne oder von einem allfälligen Regen verdorben werden konnte, schafften wir in das Zelt, dessen Eingang zugeheftet und an Pflöcke auf dem Boden festgeknüpft wurde. Als weiteren Schutz stellten wir die vollen und leeren Tonnen rings wie ein Bollwerk auf und vertrauten dann das Ganze getrost der öffentlichen Sicherheit und der Obhut des freundlichen Himmels.
Endlich begannen wir unsern Zug, sämtlich mit Ober- und Untergewehr ausgerüstet, klein und groß, jung und alt, jedes seine Weidtasche auf dem Rücken, fröhlich und guten Mutes. Fritz und die Mutter marschierten voraus; Kuh und Esel mit Ritter Franz folgten nach; die Ziegen, von Jack aufgeführt, machten das dritte Glied; der Affe saß possierlich auf einer der Ziegen. Hinter diesen kam Ernst als Führer der Schafe, und hinter den Schafen, als wachsame Nachhut, ging ich. Auf der Seite trabten wie rasche Flügeladjudanten unsere Hunde. Der ganze Zug rückte langsam vor, und mich dünkte, er sehe fast aus wie der Zug des Erzvaters Abraham oder des Jakob, die mit der Familie und den Herden von Land zu Land gezogen waren. Glücklich kamen wir über unsere Brücke, und hier erst half auch das Schwein unsern stattlichen Zug verherrlichen. Es hatte sich so widerspenstig angestellt, daß wir nicht imstande gewesen waren, es mit dem übrigen Vieh zusammenzubringen; aber jetzt, da es uns samt und sonders abziehen sah, trat es freiwillig der übrigen Herde bei, wiewohl es mit Grunzen seine Mißbilligung deutlich zu verstehen gab.
Inzwischen fing hier eine andere Not an. Das üppige Gras jenseits des Baches stach unserm Vieh so mächtig in die Augen, daß alles sich ans Fressen machte und rechts und links aus dem Zuge strebte. Wir hätten das näschige Volk auch nimmermehr wieder in Reih und Glied gebracht, wenn nicht unsere Hunde dabei das Beste getan und mit entsetzlichem Bellen und Anspringen alles in Ordnung gebracht hätten.
Um dieselbe Geschichte nicht zum zweitenmal zu haben, befahl ich, links gegen den Strand zu wenden, weil ich wußte, daß dort kein Gras sei, das uns aufhalten konnte.
Mit bereit gehaltener Flinte ging Fritz immer voraus und hoffte, sich ein Wild zu erjagen. Wir andern schlenderten gemächlich nach, und ohne weiteres Ereignis kamen wir in kurzem bei der neu erkorenen Wohnstelle an.
»Potz Wunder«, rief Ernst, »was sind das für Bäume! Schrecklich, schrecklich groß!«
»In der Tat«, sagte ich, »einen solchen Begriff habe ich mir nicht davon gemacht. Ich gebe dir die Ehrenerklärung, liebe Mutter, hier ist anmutig zu wohnen! Wenn es uns gelingt, einen Baum zu ersteigen und uns droben anzusiedeln, so sind wir so sicher vor den Tieren, als man nur wünschen kann; denn es wird selbst dem Bären, sonst einem guten Kletterer, nicht gelingen, an diesen ungeheuern und astlosen Stämmen emporzuklimmen.«
Jetzt wurde alles abgepackt, und unserm Vieh spannten wir, mit Ausnahme des Schweins, die Vorderfüße mit Stricken, damit es sich nicht zu weit verlaufen könne; den Tauben aber und den Hühnern ließen wir vollkommene Freiheit. Darauf setzten wir uns vergnügt ins Grüne und hielten Rat, wie wir uns denn eigentlich einquartieren wollten. Insbesondere war ich wegen der Nacht besorgt und wegen reißender Tiere, denen wir hier auf ebener Erde und bei den offenen Umgebungen bloßgestellt waren. Es muß etwas versucht werden, um in die Höhe zu kommen, dachte ich; und während ich anfing, mit der Mutter Rücksprache zu nehmen, wischte Fritz wieder auf und davon – im Augenblick geschah ein Schuß, und wieder ein Schuß dicht hinter unserm Rücken.
»Getroffen, getroffen!« rief der jagdlustige Junge, und im Sprunge kam er daher und jubelte: »Vater, Vater! welch eine prächtige Tigerkatze!« – Stolzierend hob er die Beute an den Hinterpfoten hoch in die Luft und zeigte sie von allen Seiten.
»Brav, brav, Herr Jägermeister!« sagte ich. »Da hast du den Tauben und Hühnern wahrhaftig einen Ritterdienst geleistet; der saubere Kamerad da würde gleich diese Nacht uns Hühner- und Taubenbraten für immer erspart haben. – Gib acht, ob solcher Kaper noch mehr da herumstreichen. Es wäre schlimm, wenn sich diese Brut hier eingenistet hätte; wir müßten sie mit Feuer und Schwert ausrotten. Aber nun erzähle erst, wie du es geschossen hast.«
»Da, mit der Pistole habe ich das Ungetüm erlegt«, antwortete er.
»Doch wohl nicht auf dem Baume?« fragte ich.
»Das freilich nicht«, versetzte Fritz. »Ich merkte, daß sich dort in den Ästen etwas regte, stand auf, schlich näher, erkannte die gefleckte Katze, schoß mit der Flinte und sah das Tier vor meine Füße fallen. Aber im Hui sprang es wieder auf und versuchte, trotz seiner Wunde, den Baumstamm von neuem zu erklimmen. Da gab ich ihm den Rest mit der Pistole, und es fiel zum zweitenmal und fiel für immer.«
»Wahrhaftig, du hast von Glück zu reden«, sagte ich, »daß es nicht wütend auf dich losgefahren ist; denn solche Tiere, wenn sie verwundet sind, verstehen nicht viel Scherz.«
»Ja, Vater«, versetzte Fritz, »aber nun möchte ich mir verbitten, daß Jack mir diesen hübschen Balg nicht wie den des Schakals verderbe! Sieh doch, Vater, wie schön die schwarzbraunen Flecken und Streifen auf dem goldgelben Grunde stehen! – Was ist das wohl eigentlich für eine Katze?«
»Vorderhand kannst du bei deiner ersten Benennung bleiben«, sagte ich, »und sie Tigerkatze heißen. Doch scheint es mir nicht eben die, welche man auf dem Vorgebirge der Guten Hoffnung mit diesem Namen bezeichnet. Vielmehr könnte es der Margay sein, der sonst in Amerika zu Hause ist und als ein böses, ungemein wildes Tier den Vögeln und allem, was er übermeistern kann, gar sehr gefährlich wird, so daß ich selbst im Namen unserer Ziegen und Schafe für die Vernichtung dieses furchtbaren Feindes Dank sagen muß.«
»Aber nicht wahr, mein herzliebes Väterchen«, bat Fritz, »ich darf jetzt die Haut für mich behalten? Wenn ich nur schon wüßte, was ich daraus machen könnte, das uns nützlich wäre!«
»Wenn du sie selbst abstreifen willst«, sagte ich, »und dabei Sorge trägst, daß die Schenkelbedeckung unverletzt bleibt, so will ich dir etwas angeben, das uns nützlich genug wäre, wenn es im Grunde schon nicht notwendig ist. Zur Kleidung brauchen wir einstweilen noch keine Felle, solange wir Segeltuch haben; ein Gürtel dagegen ist immer dienlich, und da kannst du den Schwanz zu dem allerprächtigsten verarbeiten. Die vier Schenkel taugen vortrefflich zu vier Bestecken, um Messer, Gabeln und Löffel im Gürtel zu führen. Die übrige Haut in vier Stücke zu saubern Überschlägen für die Bestecke zerschneiden, wäre dann nicht übel angewandt.«
Fritz und Jack ließen mir keine Ruhe, bis ich aufstand und die Beute an den Hinterfüßen auf eine hochstehende Wurzel nagelte und ihnen Anweisung gab, die Haut ohne Risse von dem Fleische zu bringen. Mit Herzenslust gingen die kleinen Jäger an ihr Geschäft, und Ernst ward inzwischen ausgesandt, um große Steine zu einem Feuerherd zu suchen, während Fränzchen uns dürres Reisig zusammentrug, damit die Mutter das Mittagsmahl bereiten könne.
Bald war Ernst so glücklich, seiner Aufgabe genug zu tun, und wir machten uns emsig an die Arbeit, die Steine, die er hergeschafft, in Ordnung zu setzen, wobei uns die Mutter nach den Bedürfnissen ihrer Kocherei anleitete.
Indes wir so arbeiteten, kam endlich auch Fränzchen mit einem Arm voll Reisholz zurück, machte runde Backen und schmatzte herzlich, indem er der Mutter fast unverständlich zurief: »Ja, das ist gut, ungeheuer gut!«
»O du genäschiger Junge!« rief ihm die Mutter ängstlich zu, »was stellst du mir an? – Um Gotteswillen, verschlinge nicht alles, was dir schmecken mag! Du könntest dich ja vergiften! Gib heraus, was du noch im Munde hast, und schlucke mir kein Bröcklein herunter!«
Mit diesen Worten fuhr die Mutter in Angst auf den Knaben zu, griff mit den Fingern in seinen Mund und holte, nicht ohne Mühe, den Überrest einer kleinen Feige hervor.
»Woher hast du das?« fragte ich. – »Gottlob, daß unsere Furcht umsonst war! Ich weiß nicht, daß es giftige Feigen gebe.«
»Dort im Grase«, erzählte Fränzchen, »sind der Dinger viel tausend, und ich habe gedacht, weil sie gut sind, so würden sie nicht giftig sein; und dann fressen die Tauben, die Hühner und das Schwein dort hinten aus allen Leibeskräften davon, und da habe ich gemeint, es würde mir auch nichts schaden.«
»So siehst du nun, Mutter«, sagte ich, »daß unsere stattlichen Bäume Feigenbäume sind, und das ist ja herrlich. – Aber bei diesem Anlaß muß ich euch ernstlich ermahnen, Kinder, daß ihr forthin keine Art von Früchten genießet, die ich nicht gesehen und für unschädlich erklärt habe. Besonders laßt euch nicht etwa kindisch durch den angenehmen Geschmack verführen, das, was euch auf der Zunge behagt, sofort, wie Fränzchen, für unschuldig und gesund zu halten! Auf den Fall jedoch, daß ihr mich nicht solltet befragen können, mag euch wenigstens die Regel dienen, nach welcher man gewöhnlich sich in fremden Ländern zu richten pflegt: daß man nämlich ohne Gefahr nur solche Früchte genießen dürfe, von denen sich Vögel ernähren oder allenfalls auch Affen.«
»Da sind aber doch die Kokosnüsse«, wendete Ernst ein, »die uns vortrefflich schmecken und gleichwohl von keinem Vogel gefressen werden.«
»Ei, und dann ist einer klugen Katze doch eine Maus entwischt!« versetzte ich lachend. »Wenn die Kokosnüsse nicht so schwer und groß und hart wären, so würden sie unter den Vögeln schon ihre Liebhaber finden. Überdies will ich keineswegs behaupten, daß es nicht auch Früchte gebe, die dem Menschen zwar unschädlich, aber einzelnen Arten von Vögeln Gift sein mögen; wie man zum Beispiel von den bittern Mandeln es sagt, die den Hühnern und Papageien tödlich sein sollen. Dieser Fall jedoch scheint der seltenere zu sein, und im ganzen zweifle ich, ob im Naturzustande ein Vogel von einer ihm schädlichen Frucht genießen werde, so daß meine Regel für den ersten Anlauf uns sicher genug wird leiten können. Nur möchte ich weniger auf unsere hergebrachten Hühner und Tauben als auf die Vögel dieses Landes sehen; denn bei den erstem ist vielleicht der natürliche Trieb durch die Zucht schon etwas gelähmt. Aber hier von unserm Affen läßt sich das Beste erwarten.«
Auf diese Äußerung sprangen die Jungen um Fränzchen zusammen und forschten eifrig, ob er nicht noch ein paar Feigen in der Tasche habe, bettelten sie ihm schmeichelnd ab und zogen dann im Triumphe zu dem kleinen Affen, der auf einer Baumwurzel saß und mit Zähnefletschen der Schmiererei des Ausbalgens zugesehen hatte.
Die Feigen wurden dem possierlichen Knirps zur Prüfung vorgehalten; er griff hurtig zu, beroch die Dinger von allen Seiten und fuhr dann getrost, unter drolligem Gesichterschneiden, mit der Bescherung in das Maul, so daß die Knaben anfingen zu klatschen und dem kleinen Pickelhering ein lautes Bravo riefen.
Indes hatte die Mutter auf der fertig gewordenen Kochstelle Feuer gemacht, den Kessel mit Wasser aufgesetzt und angefangen, das Mittagsmahl mit Behendigkeit zuzurüsten. Ich war daher bedacht, den unerfahrenen Knaben in ihrer Arbeit beizustehen. Die Katze wurde endlich enthäutet und ihr Fleisch den Hunden preisgegeben, die mit Heißhunger darüber herfielen.
Bis zum Essen ließ ich nun die Knaben den Versuch machen, Steine und Prügel über die untersten Äste von demjenigen Feigenbaum zu werfen, den ich als den höchsten und schönsten zum künftigen Wohnsitz auserlesen hatte. Ja, ich versuchte es endlich selbst; aber da wir uns zufällig in diesem Stück niemals geübt hatten und auch die niedrigsten Äste schon in beträchtlicher Höhe standen, so gelang es uns nicht ein einziges Mal, und ich mußte mir etwas anderes ersinnen; denn es war mir um ein Mittel zu tun, eine Strickleiter an einen der Äste zu bringen.
Von diesem mißlungenen Unternehmen hinweg ging ich mit Fritz, um das Fell zum Einweichen, mit Steinen beschwert, in den nahen Bach zu legen; und dann endlich rief die Mutter zum Essen, wo wir uns hurtig einfanden und uns das einfache Mahl ganz vortrefflich schmecken ließen.
Nachdem wir gesättigt waren, sagte ich zu meiner Frau: »Wir werden wohl einstweilen unser Nachtlager hier auf der Erde bestellen müssen; denn ich sehe durchaus nicht, wie wir heute noch auf den Baum gelangen sollen. Arbeite du also gleich an den Zugriemen und an tüchtigen Brustbändern, damit Kuh und Esel dann Laden und Holz herbeischleppen und wir uns auf dem Baume einrichten können, wenn ich endlich ein Mittel gefunden habe, um glücklich hinaufzukommen.«
Die gute Mutter ging mit Kopfschütteln an das Schneidern und ich an das Aufschlagen unserer Hängematten, damit wir auf jeden Fall ein Nachtquartier hätten. Es war leicht, an den hochgewölbten Baumwurzeln unsre luftigen Lager in traulicher Nachbarschaft aufzuknüpfen, und so konnte ich alle zusammen auch mit einem ausgespannten mächtigen Stück Segeltuch gemeinschaftlich bedecken, um wider den gefährlichen Nachttau ein Obdach zu haben.
Als diese Vorkehrung getroffen war, eilte ich mit Fritz und Ernst an den Strand, um das angeschwemmte Holzwerk in Augenschein zu nehmen und vor allem etwas Taugliches zu haltbaren Sprossen einer Strickleiter aufzufinden.
Am Ufer lag nun freilich eine Menge von Holzwerk, doch so, daß es noch eine langweilige Zurüstung für meinen Endzweck erforderte, und mein Geschäft wäre sehr ins Stocken geraten, wenn mir nicht Ernst von ungefähr eine Anzahl Bambusrohre, die von Sand und Schlamm fest überdeckt lagen, zu meinem Troste vorgezeigt hätte. – Flugs war ich darüber her, scharrte sie vollends hervor, fing an, sie mit Hilfe der Knaben zu säubern und von den Überbleibseln halbverfaulter Blätter zu reinigen, prüfte sie und fand sie so fest und zähe, daß sie meinem Zwecke durchaus entsprachen. Ich fing also an, die Stücke mit einem Handbeil in Stäbe von einem bis anderthalb Meter Länge zu hauen und diese durch die Knaben in drei Bündel von angemessener Dicke schnüren zu lassen, damit ein jeder von uns den seinen nach unserer Wohnstelle tragen könne. Hierauf suchte ich ein paar dünnere Rohre, aus denen ich mir Pfeile verfertigen wollte, weil ich diese mir zum Mittel ausgesonnen hatte, um auf den gewaltigen Baum zu gelangen.
In einiger Entfernung erblickte ich bald einen grünen Rohrbusch, der zu meiner Absicht tauglich schien und nur noch näher untersucht werden mußte. Wir waren nach unserer Gewohnheit alle mit Feuergewehren bewaffnet; und da zufällig Bill mit uns an das Ufer geschlendert war, so marschierten wir auf das Rohrdickicht los, als wenn es Mord und Totschlag gelten sollte.
Kaum aber näherten wir uns demselben, so fuhr Bill wie ein Toller hinein und trieb einen Flug der schönsten Flamingos auf, die sich mit rauschendem Schwunge stracks in die Luft erhoben. Fritz, der allezeit rasch und auf seiner Hut war, schlug plötzlich an, schoß hinter dem dichten Schwärme drein und brachte glücklich zwei von den Ausreißern in das Geröhr herab. Der eine davon lag tot, der andere dagegen war nur leicht an einem Flügel verwundet, erhob sich sofort auf seine Füße und lief mit der ganzen Macht seiner langen Beine, wie auf Stelzen, durch Sumpf und Rohr davon.
Aber rascher noch war Bill; der bahnte sich gewaltig einen Pfad durch Sumpf und Rohr und erhaschte zeitig genug den Flamingo beim Flügel, bis ich herbeikommen und mich des Tieres, das mit dem andern Fittich aus allen Kräften um sich schlug, endlich bemeistern konnte.
Ich nahm ihn unter den Arm und eilte zu den Meinigen zurück. Die Freude der Knaben war ganz unbändig, als sie meinen Flamant noch am Leben sahen; denn sie hofften, ihn zähmen zu können.
Unterdessen fing ich an, mir Rohre zu suchen, die abgeblüht hatten, weil ich wußte, daß die Wilden auf den Antillen aus der Spitze besonders von diesen ihre Pfeile machten. Zugleich hieb ich zwei der höchsten Rohre in ihrer ganzen Länge ab, um mit ihrer Hilfe womöglich die Höhe unseres großen Baumes zu messen, auf die ich recht neugierig war. Als aber die Knaben das hörten, lachten sie mich aus und meinten, wenn ich auch zehn der armseligen Rohre aneinanderbände, so würde ich doch noch kaum bis an die untersten Äste reichen. Da bat ich sie um ein bißchen Geduld und mahnte an den Hühner- und Taubenfang der Mutter in unserm Zelte, wie da die Spötter zuschanden geworden waren.
Sämtlich mit Beute bepackt, langten wir bald bei den Unsrigen wieder an und wurden mit großer Teilnahme und Neugier freundlich bewillkommnet. Am meisten freute sich alles über den herrlichen Flamant, nur bemerkte die Mutter, wo wir am Ende für all das lebendige Vieh, das wir nach Hause brächten, auch Futter herbeischaffen sollten? – Ich ließ mich durch diese Frage jedoch nicht abhalten, die Wunden des armen Tieres nun genauer in Augenschein zu nehmen, und fand, daß der Schuß ihm das äußerste Gelenk des einen Flügels zerschmettert habe und daß das andere von den Zähnen Bills ebenfalls zerknirscht worden war. Bei meiner Ungeschicklichkeit in der Heilkunde hielt ich es für das beste sowie für das kürzeste, beide Gelenke mit einer großen Schere ganz wegzuschneiden, und als die Wunden von diesem Schnitte gewaltig bluteten, nahm ich eine glühende Kohle vom Herd und brannte die Flügelenden so, daß das Blut sich plötzlich stillte, worauf denn die verletzte Stelle mit Butter eingeschmiert, der Vogel an dem einen Bein mit einer langen Schnur gebunden an einem Pflock neben unserm Bächlein festgemacht und seinem Schicksal einstweilen überlassen wurde.
Unterdessen hatte ich die Höhe unseres Wohnbaumes zu schätzen gesucht und nach genauer und sorgfältiger Berechnung gefunden, daß er wohl zwölf Meter hoch sein müsse.
Es war nun die Frage, ob wir fünfundzwanzig Meter haltbare Seile vorrätig hätten, wenn eine Strickleiter zur Besteigung des Baumes verfertigt werden sollte. Ich hieß Fritz und Ernst unsern Vorrat messen, setzte mich selber ins Gras und fing eilfertig an, aus einem Stück von Bambusrohr einen Bogen und aus den hergetragenen Rohrspitzen ein halb Dutzend Pfeile zu machen. Diese letztern ließ ich vorn nur stumpf und füllte sie mit feuchtem Sande, damit sie nicht gar zu leicht würden; von hinten aber versah ich sie mit Flamingofedern, damit sie hübsch gerade fliegen möchten, und so brachte ich sie glücklich zustande.
Kaum war ich fertig, als mein junges Volk zu mir hersprang, mich umringte und jauchzend ausrief: »Ein Bogen, ein Bogen! alle Welt! und auch Pfeile! Was willst du damit machen? Oh, laß mich schießen! und mich auch! mich auch!«
»Geduld, Kinder, Geduld!« sagte ich. »Diesmal begehre ich den Vorrang, weil ich selbst das Werkzeug verfertigt habe, und nicht etwa nur zum Spiel, sondern zum Nutzen und zum augenblicklichen Gebrauch.– Frau, wenn du rohen und starken Faden hast, so lange ihn hervor!«
»Wir wollen sehen«, erwiderte sie, »was mein Zaubersack vermag. – Also, mein lieber Sack, gib her, was du birgst! – Mein Mann will Faden, und zwar guten und starken. – Ei, sieh mal, da fällt mir ein ganzes Knäuel, gerade wie du verlangt hast, von selber in die Hand!«
»Oh, das ist eine große Zauberei«, lachte Ernst, »aus einem Sacke herauszuholen, was man zuvor hineingetan hat!«
»Das ist freilich keine Kunst«, versetzte die Mutter; »aber zur rechten Zeit daran zu denken und hineinzutun, was man im Notfall brauchen möchte, das ist aufs wenigste eine halbe Zauberei; denn ob es auch damit sehr natürlich geht, so ist es für einfältige oder unbedachte Menschen doch fast ein Wunder, wenn man weiter in die Zukunft denkt als gerade der Nase lang. Gibt es doch Wilde, die des Morgens ihr Bett verhandeln, weil sie gar nicht bedenken, daß sie es abends wieder brauchen.«
In diesem Augenblick kam Fritz zu uns, der mit der Messung unsres Seilwerks fertig geworden, und brachte mir den guten Bericht, daß ungefähr fünfzig Meter vorhanden seien.
Ich band nun den erhaltenen Faden an einen Pfeil, wickelte von dem Knäuel etwas ab, legte den Pfeil auf den Bogen und schoß aufs Geratewohl in die Höhe, bis ich nach ein paar Versuchen meinen Pfeil über einen starken Ast des auserwählten Baumes hinüberschießen konnte, so daß er auf der andern Seite herunterfiel und der Faden jetzt über den Ast vor uns niederhing. Sogleich wurde ein Stück Seil über den Ast gezogen, weil der Faden zu schwach schien, um eine Strickleiter daran emporzuziehen, und nun maßen wir die Hälfte des Fadens ab, wobei wir denn richtig die zwölf Meter fanden, die uns meine Schätzung zuvor schon angegeben hatte.
Nun ging es mit Zuversicht und Eifer an die Verfertigung einer Strickleiter. Ich schnitt zuerst ungefähr dreißig Meter von meinem vorrätigen, etwa daumendicken Seil ab und teilte es dann in zwei gleiche Hälften. Hierauf legte ich beide Stücke nebeneinander der Länge nach auf den Boden, doch so, daß ein Zwischenraum von einem halben Meter blieb. Dann ließ ich durch Fritz die Bambusrohre in Stücke von sechzig Zentimeter Länge schneiden, durch Ernst mir die Stücke reichen, wickelte derweil an den zwei Seiten rechts und links, immer nachrutschend, von dreißig zu dreißig Zentimeter ein Stück des Seils auf, steckte das Rohrstück hindurch, ließ von Jack an beiden Enden jedesmal einen Nagel einschlagen, und erhielt so die vierzig Sprossen meiner Leiter in ganz kurzer Zeit und nicht ohne vergnügtes Erstaunen der zusehenden Mutter.
Jetzt wurde das neue Machwerk fest an das eine Seilende geknüpft, das von dem untersten Aste herabhing, und vermittelst des andern zogen wir es in die Höhe, so daß die Leiter hinangelangte, der Paß auf den Baum eröffnet war und ein Freudengeschrei der Knaben den Beschluß machte.
Gleich wollte nun jeder empor und lief an die Leiter hin; aber ich erwählte mir Jack als den leichtesten der drei ältern und als den flinksten, weil ich der Festigung meiner Leiter noch nicht ganz traute und gleichwohl hoffte, daß sie mit Jack doch weniger als mit einem der größern brechen würde. Der Junge krabbelte dann auch keck und hurtig wie eine Katze davon und kam wohlbehalten hinauf.
Da wir uns nun von der Festigkeit unsrer Arbeit überzeugt hatten, stieg auch Fritz hinauf und befestigte die Leiter so geschickt, daß ich es wagen durfte, sie selbst zu betreten, um sie vollends nach allen Erfordernissen sicher und begehbar zu machen. Ich zog unsern Flaschenzug hinauf und befestigte ihn an einem der nächsten obern Äste, die ich erreichen konnte, um für den folgenden Tag alles bereit zu haben, wenn ich nun Bretter und Balken hinaufschaffen wollte. Mit dieser Arbeit, die ich im Mondschein vollendete, schloß ich mein heutiges Tagewerk, und zufrieden stiegen wir die stattliche Seiltreppe wieder hinunter.
Die Mutter übergab mir jetzt die Zugriemen und die Brustbänder für unsern Esel und die Kuh, so daß ich voraussah, wir würden uns am folgenden Morgen auf dem Baum ansiedeln können.
Als unser Vieh sich indes zusammengefunden und selbst das Geflügel sich eingestellt hatte, wurde einiges Futter gestreut, damit die Tiere sich gewöhnten, des Abends stets herbeizukommen; und wir sahen es gern, daß, während die Tauben im Fluge sich bald zu den obern Zweigen des großen Baumes erhoben, auch die Hühner ihre Richtung aufwärts nahmen und von Sprosse zu Sprosse den Weg unserer Leiter emporzogen, um gackernd sich droben ihr Nachtlager zu suchen.
Das vierfüßige Volk wurde unter den gewölbten Wurzeln des Baumes in der Nähe unserer Hängematten angebunden und legte sich wiederkauend sorgenlos dahin. – Auch der Flamant wurde nicht vergessen, sondern mit Milch erquickt und in einer Ecke hart an dem Baumstamme festgebunden, wo er stracks seinen Kopf unter den rechten Flügelrest steckte, das linke Bein in die Höhe zog und so sich der Süßigkeit des Schlummers getrost zu ergeben wagte.
Endlich kam auch für uns die willkommene Zeit des Essens und des Schlafes. Wir hatten, während die Mutter auftrug, unser Reisholz in einzelnen Haufen rings um den Baum gelegt; denn ich hatte mir vorgenommen, mit Einbruch der Nacht etwa zwei davon anzuzünden und während der Nacht, da ich mir vornahm, nur wenig zu schlafen, allmählich auch die übrigen zum Schrecken eines allfälligen Feindes in Brand zu stecken. So war also für möglichste Sicherheit alles in Ordnung gebracht, und als die Mutter nun rief, daß sie fertig sei, sprangen wir eifrig hinzu und saßen bald bei der gesegneten Mahlzeit, auf die uns so lange schon der Mund gewässert hatte.
Zum Nachtisch zogen die Jungen noch Feigen hervor, welche sie sich den Tag hindurch aufgelesen hatten, und erlustigten sich an den faden, süßlichen Dingern gar herzlich. Doch ging es nicht eben lange, so gähnten sie Schlag auf Schlag, und nach einem kurzen Gebete suchten sie sämtlich die Ruhe. Das tat endlich auch ich, nachdem ich zuvor ein paar Reisighaufen angezündet und bei den übrigen die Runde gemacht hatte.
Während der ersten Hälfte der Nacht war ich sehr unruhig, weil ich der öffentlichen Sicherheit noch gar nicht traute und jedes rauschende Blatt in mir Besorgnis erweckte. Von Zeit zu Zeit, wenn ich merkte, daß ein Holzhaufe heruntergebrannt war, stand ich auf und zündete den folgenden an. Im Anfang erhob ich mich leicht; nach Mitternacht aber war ich träger und begnügte mich, bloß hinzusehen oder hinzulauschen, ob alles in Ordnung sei, bis endlich gegen Morgen der Schlaf mich übermannte, so daß ich beinahe zu spät für das bevorstehende Tagwerk erwachte. Ich weckte die Meinigen auf, und sogleich wurde gefrühstückt und zur Arbeit geschritten.
Nachdem die Mutter das Vieh gemolken und für einiges Futter gesorgt hatte, machte sie sich mit Ernst, Jack und Fränzchen samt dem Esel auf den Weg nach dem Strande, um uns Laden und Holzwerk herbeizuschaffen, indem das Meer so viel davon angeschwemmt hatte, daß wir uns ein paar Ladungen holen konnten.
Unterdessen stieg ich mit Fritz auf den großen Baum und traf die nötigen Anstalten, uns mit Bequemlichkeit einzurichten. Es fand sich alles nach meinem Wunsche; die Zweige waren ziemlich dicht beieinander, und die stärkern liefen fast waagrecht von dem Stamme hinaus in die Luft. Einige, die mir nicht passend standen, sägten wir hinweg oder hieben sie mit den Beilen ohne weiteres ab. Diejenigen, welche sich am niedrigsten nebeneinander hervorstreckten, ließ ich stehen, um meinen Fußboden darauf festzumachen. Über diesen, in der Höhe von vier bis sechs Fuß, verschonte ich ein paar andere, um unsre Hängematten zu befestigen; und noch höher ward eine dicht gedrängte Reihe bestimmt, die Decke unseres Luftpalastes aufzunehmen, welche vorderhand bloß in dem großen Stück Segeltuch bestehen sollte.
Mit diesen Zurüstungen ging es langsam genug, so daß inzwischen zwei volle Lieferungen von Balken und Laden durch die Mutter herbefördert wurden; und so fing ich denn an, mittels des Flaschenzugs Stück um Stück, was ich nötig hatte, emporzuwinden und zunächst einen Fußboden zurechtzulegen, der dann sogleich doppelt gemacht wurde, damit desto weniger aus dem Rutschen und Verschieben eines einzelnen Balkens oder Brettes ein Unglück entstehen könne. Hierauf ward am Rande dieses Estrichs eine Brustwehr von Laden aufgerichtet, wegen Gefahr, über Bord zu stürzen, und mit dieser Arbeit sowie mit der Herbeischaffung einer dritten Holzfuhr wurde der Morgen dergestalt ausgefüllt, daß niemand an die Zubereitung des Mittagsmahls denken konnte und wir uns für diesmal mit kalter Küche begnügen mußten.
Nach dem Essen ging es von neuem an die Vollendung unseres Baumhauses, das nun anfing, recht freundlich und sommerlich einladend auszusehen. Wir spannten das Segeltuch und die Hängematten von den Wurzeln des Baumes los und zogen sie, zusammengerollt, mit Hilfe des Flaschenzugs in die neue Wohnung. Mit saurem Schweiß ward das Segeltuch dann über die bedeckenden Äste der Wohnung hingebreitet, und da seine Länge zu beiden Seiten beträchtlich herunterhing, so fiel mir ein, es rechts und links an unser Brustgeländer festzunageln und mit dem Dache zugleich zwei Wände zu bereiten. Eine dritte Wand gab uns hinten der Baumstamm, indem ich unser Gehäuse nur an der einen Seite desselben aufgerichtet hatte, und so blieb zu freier Aussicht und zum Einsteigen bloß noch die vierte von den Seiten meines Hauses.
Leicht und bald wurden in der fertigen Wohnung endlich unsere Hängematten aufgeknüpft, und so war am Abend dieses Tages die neue, wunderbare Lagerstätte für uns alle schon vollendet.
Ich stieg vergnügt mit Fritz von dem Baume herab; und da ich noch einige Laden übrig fand, so machte ich mich daran, zwischen den Wurzeln unseres Baumes gleich einen Tisch und zwei Bänke aufzuschlagen, damit wir den Tag über einen gemütlichen Platz zum Essen und zu mancherlei Verrichtungen hätten. Es wurde freilich mit dieser Arbeit etwas gepfuscht, weil ich mich ermüdet fühlte; doch kam alles erträglich zustande, und während ich den Rest des Tages damit ausfüllte, die Mutter das Nachtessen rüstete, mußten mir die Knaben alles kleine Holz, das wir auf dem Baume abgehauen hatten, fleißig zusammenlesen, in Bündel verteilen und zu künftigem Gebrauch etwas seitwärts von unserm Feuerherd aufschichten, und zwar an einer Stelle, wo es den Tag hindurch Sonne hatte und vorläufig austrocknen konnte. Die größeren Äste sägte ich in Scheiter oder spaltete sie, und die Jungen schleppten auch diese zu dem Haufen.
Von der mannigfaltigen Anstrengung des Tages durchaus erschöpft, warf ich mich endlich auf eine Bank, wischte mir die Stirn, die voll Schweißtropfen stand, langsam ab, seufzte laut und sagte nach einer Pause: »Wahrhaftig, Mutter, heute habe ich gearbeitet wie ein Pferd, aber morgen will ich mir gewiß auch Ruhe gönnen!«
»Das kannst du, mein lieber Mann, und das sollst du«, antwortete sie. »Denn, um dir die Wahrheit zu sagen, ich habe nachgerechnet und gefunden, daß morgen ein Sonntag ist, und daß wir leider an dieser Küste bereits einen solchen unbeachtet gelassen haben.«
»Gut, du gewissenhafte Seele, daß du an das alles gedacht hast, und dieser Tag soll morgen gefeiert werden! Ich merkte wohl, daß wir einen Sonntag übergingen; aber ich glaube, damals in der Not unserer Rettung und über den ersten dringenden Anstalten unsres Hierseins war es verzeihlich. Jetzt hingegen, da wir angesiedelt und für die nächsten paar Monate hoffentlich geborgen sind, wäre es unrecht, wenn wir nicht diesen schönen Feiertag in gewohnter Weise, mit mehr als einem kurzen Gebet, begehen wollten!«
»Ich wenigstens freue mich von Herzen, einen Tag hindurch an das Beste und Vortrefflichste, das ich kenne, ganz ungestört denken zu dürfen. Die Knaben wollen wir morgen mit dem Sonntag recht überraschen und nun Anstalten treffen, um uns alsbald zur Ruhe zu begeben. Ich muß dir sagen, mein Lieber, daß du mir das Luftschloß auf dem Baum ungemein zum Dank eingerichtet hast, und daß ich nun wagen will, mit euch allen die erste Nacht droben schlafen zu gehen; denn ich sehe, du hast alles so zweckmäßig veranstaltet, daß wir hoffen dürfen, dort nicht nur ohne Gefahr hausen, sondern auch die Nächte weit sicherer zubringen zu können als auf der ebenen Erde, wo Schakale und andere Raubtiere uns überfallen möchten. – Aber jetzt ist es Zeit zum Essen«, schloß sie; »rufe du die Knaben herbei, während ich anrichte.«
Es ging nicht lange, so war die junge Mannschaft zur Hand, und die Mutter brachte vom Feuerherd einen irdenen Kochtopf, nach dessen Geheimnis wir alle lüstern waren. Als der Deckel abgehoben worden, zeigte sich unser geschossener Flamant, und die Mutter bemerkte, daß sie ihn nicht gebraten, sondern vorgezogen habe, ihn zu dämpfen, weil Ernst ihr gesagt, daß es ein altes und zähes Tier sei. Wir lachten über die Vorsorge des Jungen, der sich in der Mutter Kochamt gemischt, fanden aber in der Tat, daß er nicht unrecht gehabt hatte. Man griff zu, nagte jedes Knöchelchen rein ab und fand alles unvergleichlich.
Nach dem Essen wurde ein mächtiges Feuer angefacht, das einigermaßen wenigstens unser Vieh beschützen sollte, und nun begannen wir, unsern Baum zu besteigen. Im Hui waren die drei altern Knaben droben. Ihnen folgte die Mutter, die nicht ohne Furcht und nur langsam, aber doch glücklich in die Höhe klimmte. Zuletzt betrat auch ich die Leiter, und zwar, nachdem ich sie erst an ihrem untern Ende losgeknüpft hatte, so daß sie nun schwankend in der Luft hing und das Aufsteigen mir gewaltig erschwerte, zumal, da ich mir Fränzchen auf den Rücken gepackt hatte; denn ich wagte nicht, ihn allein auf der schwankenden Leiter hinaufklettern zu lassen. Endlich langte ich ebenfalls in dem Luftrevier an und zog zu großem Vergnügen der Knaben die Strickleiter hinter mir herauf, so daß es ihnen vorkam, wir seien in einer Ritterburg und, nach aufgezogener Fallbrücke, sicher gegen alle Feinde der Welt.
Weil ich mir nun vorgenommen hatte, mich nicht wieder mit der Unterhaltung von Feuer zu quälen, da die erste Nacht so ruhig und still vorübergegangen war, so setzte ich nur noch unser Schießgewehr in Bereitschaft, damit es allenfalls bei der Hand sei, wenn sich unten etwas Feindseliges zeigen sollte, und ich von oben zur Unterstützung der wachenden Hunde hinabschießen könne. Darauflegte ich mich wohlgemut zur Ruhe, und die allgemeine Ermüdung ließ uns alle vortrefflich die Süßigkeit des Schlafes bis zum Anbruch des folgenden Morgens in reichlichem Maße genießen.
Andern Tags erwachte alles fröhlich und guten Mutes. »Was gibt es heute zu tun?« riefen die Knaben wie aus einem Munde. »Nichts, gar nichts«, erwiderte ich; »heute soll nicht ein Streich gearbeitet werden.«
»Ach, du willst nur scherzen, lieber Vater, wir merken es wohl«, riefen die Kinder.
»Nein, Kinder, ich scherze nicht. Es ist Sonntag heute, und wir wollen ihn feiern, wie recht und billig ist.«
»Ah, Sonntag, Sonntag!« rief Jack freudig aus; »das ist ja prächtig; da will ich Pfeile schießen und herumspazieren und faulenzen, daß es eine Lust sein soll.«
»Davon ist einstweilen nicht die Rede, mein Kleiner!« sagte ich. »Der Sonntag ist der Tag des Herrn und bestimmt, daß wir mit aller Innigkeit an den lieben Gott denken.«
»Ich habe geglaubt«, meinte Ernst, »der Gottesdienst bestehe im Kirchengehen, im Predigthören und im Kirchengesang; wie wollen wir denn den Sonntag feiern?«
»Ja, Vater«, fiel ihm das kleine Fränzchen in die Rede, »hier ist ja keine Kirche; wie können wir da in die Predigt gehen und auf der Orgel spielen?«
»Gerade, als wenn der Vater uns nicht auch predigen könnte«, sagte Jack, »und als ob es im Freien nicht auch gut wäre und man nicht ohne Orgel auch singen könnte. – Weißt du nicht mehr? Die Soldaten zu Hause gingen auch nicht in die Kirche, wenn sie kampierten, und hatten auch keine Orgeln, und doch hatten sie Predigt.«
»Freilich, Kinder«, nahm ich nun das Wort, »Gott ist allenthalben; und wo man aufrichtig an ihn denkt, da ist Gottesdienst. In diesem Sinne kann jeder Ort in der Welt zur Kirche werden. Und am Ende ist die schöne Natur und der blaue, herrliche Himmel wohl schöner und herzerquickender als ein steinernes Haus von Menschenhand.«
Da sahen die Jungen ein, daß wir recht guten Grund hatten, auch auf unserer Insel Sonntag zu feiern. So geschah denn nur das Nötigste, wie ich es angeordnet hatte, und nachdem wir auch für unsere Tiere gesorgt hätten, setzten wir uns endlich hin auf das weiche Gras. Während alle andächtig lauschten, erzählte ich ihnen, wie gut es Gott mit uns fügte, als er uns auf diese wunderschöne Insel geraten ließ, die uns alles zum Leben biete. Ich ermahnte sie, sich der weisen Führung Gottes zu unterwerfen, die sicher auch uns mit diesem harten, arbeitsreichen Leben nur Gutes bringen wolle.
Mein junges Volk war ein Weilchen ganz nachdenkend und gesetzt; aber bald, da ich sie nicht mehr zusammenhielt, ging ein jeder seines Weges, und weil sie glaubten, keinerlei Geschäfte unternehmen zu dürfen, so schien es mir, daß sie sich zwar Mühe gäben, sich mit ihren Gedanken allein die Zeit zu vertreiben, daß aber ihre Seele noch zu arm sei, um sich ohne äußere Beschäftigung oder Unterhaltung den Rest des Tages genügen zu können.
Ich sprach also die Knaben, da ich sie nicht mit Sittenlehren auf einmal überschwemmen wollte, von einer allzu strengen Muße frei, und nun war ihnen geholfen. Jack verlangte meinen Bogen samt den Pfeilen und wollte den Versuch machen, die letztern mit Spitzen zu bewaffnen. Fritz hatte Lust, an seinem Besteck zu arbeiten, und brauchte dazu Rat von mir. Fränzchen bat gar, weil er mit der Flinte noch nicht schießen dürfe, daß ich doch einen Bogen und Pfeile für ihn schnitzen möge.
Da mußte ich wohl nachgeben, und zuerst überantwortete ich Jack meine Pfeile und wies ihn an, wie er unten den Sand wieder herausschaffen und dafür seine Spitzen in die Rohre hineinfügen solle. »Das Ganze«, sagte ich, »muß dann mit Packfaden wohl verbunden und sollte zu mehrerer Festigkeit noch in Leim getunkt werden.«
»Ja«, meinte Jack, »du hast gut reden; wenn ich nur wüßte, wo hier die Leimsieder wohnen, da wollt‘ ich schon kaufen!«
»Nun«, sagte Fränzchen, »laß dir von der Mutter ein Fleischtäfelchen geben, die Dinger sehen aus gerade wie Leim.«
»Ei was«, versetzte Jack, »du kleiner Knopf wirst das wohl nicht besser verstehen als wir!«
»Mit alledem«, bemerkte ich, »ist der Einfall so übel nicht. Nimm du das Gute an, woher es auch kommen mag! Es sind wohl manche berühmte Erfindungen aus Gedanken hervorgegangen, die anfangs um kein Haar klüger schienen. Geh, hole ein Fleischtäfelchen herbei, setze es in einer Kokosschale ans Feuer und mache wenigstens einen Versuch.«
Während sich Jack für sein Geschäft in Atem setzte, kam auch Fritz und verlangte Auskunft wegen seiner Bestecke. Ich hieß ihn vor allem sein Fell herbeischaffen und lagerte mich in das Gras, um aus einem Rest von Bambusrohr einen Bogen zu schneiden. Es ist gut, dachte ich, wenn die Jungen frühzeitig lernen, auch mit dieser Waffe sich durchzuhelfen. Unser Pulvervorrat wird früher oder später zu Ende gehen, und wenn ein Unglück damit geschähe, so könnten wir ihn schnell verlieren. Es ist daher ratsam, daß wir so bald wie möglich für ein anderweitiges Mittel der Jagd und der Verteidigung sorgen; und da die Knaben der Karaiben schon jung es dahin bringen, auf die Weite von dreißig bis vierzig Schritten ein Ziel von dem Umfang eines kleines Talers mit Pfeilschüssen zu treffen und Vögel von den Bäumen zu schießen, so werden wohl meine Jungen bei fortgesetzter Übung das nämliche lernen.
Als ich mich nun nach unserm Geflügel umschaute, war es mir angenehm zu sehen, daß Tauben und Hühner sich eifrig teils hoch im Baume, teils auf der Erde an unsern wilden Feigen sättigten.
Noch vor dem Mittagessen war Jack mit der Zurüstung seiner Pfeile fertig geworden und übte sich wacker im Schießen. Auch für Fränzchen hatte ich jetzt Bogen und Pfeile vollendet und war damit zufrieden. Aber wenn ich Ruhe haben wollte, so mußte noch für einen Köcher Rat werden; denn die kleine Person ließ sich nicht davon abbringen, daß ein Bogenschütze so gut einen Köcher, als der Flintenschütze eine Weidtasche brauche. Ich ergab mich endlich und nahm die abgeschälte Rinde von einem Baumzweig, leimte sie wieder zusammen, versah sie mit einem Boden und einer Schnur zum Anhängen und brachte das Ding ganz leidlich zustande. Eben, als ich fertig war und auch Fritz die Schenkel seiner Katzenhaut gesäubert hatte, rief die Mutter zum Essen, und wir lagerten uns fröhlich hin. Während der Mahlzeit aber kam mir die Laune, den Knaben einen Vorschlag zu machen, von dem ich wußte, daß er sehr nach ihrem Geschmack sein würde.
»Wie wäre es«, sagte ich, »wenn wir endlich daran gingen, unsrer Wohnung und den verschiedenen Gegenden dieses Landes, soweit sie uns bis jetzt bekannt geworden, ordentliche Namen zu geben? – Die Küste überhaupt wollen wir zwar damit verschonen; denn wer weiß, ob sie nicht längst von unsern gelehrten Herren Landsleuten, den erdkundigen Europäern, zu Buche getragen und mit dem Namen irgendeines Schiffers oder eines Heiligen christlich getauft worden ist? Aber die einzelnen Plätze, an denen wir uns aufhalten, oder die uns merkwürdig sind, wollen wir benennen, damit wir uns in Zukunft desto kürzer und leichter darüber verständigen können und außerdem die liebliche Täuschung haben, als lebten wir mitten in einem bevölkerten Lande zwischen angebauten Ortschaften, die uns längst bekannt wären.«
»Oh, das ist herrlich, das ist vortrefflich!« – jubelten alle. Jack aber machte sogleich einen Vorschlag. »Nun wollen wir auch«, sagte er, »so vertrackte und türkische Namen ersinnen, wie sie auf den Landkarten stehen, die Leute können sich dann recht den Kopfzerbrechen, wenn sie die Geographie dieser Insel erlernen. Ich habe auch genug an ihrem Monomotapa und Zanguebar und Coromandel geschwitzt.«
»Ja, mein Junge«, bemerkte ich lächelnd, »wenn nur jemals die Leute von unserm Lande und von den beizulegenden Namen etwas in Erfahrung bringen! – Übrigens wären wir am Ende selber am meisten gestraft, wenn wir uns die Zunge mit wunderlichen Namen zermarterten.«
»Aber, wie machen wir es denn?« fragte Jack.
»Wir wollen es machen, wie alle Völker es gemacht haben«, erwiderte ich; »wir wollen die Orte in unsrer Muttersprache nach auffallenden Eigenschaften bezeichnen oder nach Ähnlichkeiten mit andern Dingen oder nach Ereignissen und Begebenheiten, oder nach Menschen, das heißt hier, am besten nach uns selbst.«
»Ja, ja, so wird es besser sein«, sagte er; »aber wo fangen wir denn an?«
»Ich denke, wohl bei der Bucht«, versetzte ich, »in der wir zuerst gelandet haben. Wie heißen wir die?«
»Ich möchte sie aus Dankbarkeit für unsere glückliche Rettung künftig die Rettungsbucht heißen«, sprach die Mutter.
Dieser Name gefiel allen und wurde daher sogleich angenommen. Hierauf gaben wir auch den übrigen Punkten, die uns bis dahin merkwürdig geworden waren, Namen, welche an irgendeinen bedeutenden Umstand erinnerten. So wurde unser erster Wohnplatz bei der Bucht Zeltheim genannt, weil unser Obdach ein Zelt gewesen war; das Inselchen, das am Eingang der Rettungsbucht liegt, erhielt den Namen Haiinsel, weil Fritz dort einen Haifisch gesehen haben wollte; und eine weitere Insel wurde im Gegensatz dazu nun die Walfischinsel genannt. Den Morast, wo wir die Pfeilrohre geschnitten, nannten wir nach dem dort geschossenen Vogel den Flamantsumpf; unser Baumschloß erhielt den poetischen Namen Falkenhorst; »denn«, sagte ich zu den Knaben, »ihr seid alle ein so junges Raubgesindel, hoffentlich von edler Art, gelehrig, folgsam, rasch und mutig wie die Falken.« – Auf meinen Vorschlag ward das Vorgebirge, auf welchem ich mit Fritz vergebens nach unsern Schiffsgesellen umgesehen hatte, das Vorgebirge der betrogenen Hoffnung und der Hügel, auf welchem wir standen, einfach die Warte genannt. Endlich tauften wir den Bach, über welchen die Schakale nach unserm frühern Wohnsitz gedrungen waren, den Schakalbach.
So verplauderten wir lustig die Zeit, während wir speisten, und legten das Fundament zu einer Geographie unsres neuen Vaterlandes, die wir denn auch lachend beschlossen, mit der ersten Post nach Europa zu senden. Nach dem Essen ging jeder wieder an seine Arbeit. Fritz vollendete seine Bestecke; Jack, Ernst und Fränzchen übten sich im Pfeilschießen und leisteten zwischenhinein dem größern Bruder einige Hilfe.
Unterdessen war es Abend geworden, und die drückendste Tageshitze war vorübergegangen, so daß es anfing, zu einem Spaziergang einladend zu werden und ich die ganze Familie dazu aufforderte. – »Wohin könnte man wohl gehen?«
»Ich dächte, nach Zeltheim!« rief Jack. »Denn wir müssen doch morgen brav Pulver und Blei haben, damit wir hier auf den Feigenbäumen ein bißchen die Vögel, die haufenweise droben sitzen, vermindern und einen Vorrat von annehmlichem Fleisch zurücklegen können.«
»Ich stimme auch für Zeltheim«, sagte die Mutter; »denn meine Butter ist ausgegangen; Fritz hat mir mit seiner Gerberei den Rest verschmiert, und die Herren, die beständig von einfacher Kost und sparsamer Küche predigen, sind doch allemal froh, wenn hübsch fett und ansehnlich aufgestellt wird.«
»Ja«, bemerkte Ernst, »wir sollten auch ein paar Enten und Gänse herüberschaffen, sie wären hier im Bache sehr anmutig.«
»Da ihr alle so statthafte Gründe gebt«, sagte ich, »so trete ich gern euerm Vorschlage bei, aber dann wollen wir nicht unsern alten Weg an dem Strand nehmen, sondern einen neuen versuchen; wir gehen hier unserm Bächlein nach hinauf an die Felswand und ziehen uns in ihrem wohltätigen Schatten hinüber, bis wo der Schakalbach niederstürzt. Da kommen wir dann wohl über die Steine nach Zeltheim und kehren beladen über die Brücke, den gewöhnlichen Weg am Ufer, nach Hause, wobei wir die Sonne, wenn sie noch nicht untergegangen ist, im Rücken haben. Dieser neue Weg läßt uns auf neue Entdeckungen und Vorteile hoffen.«
Mein Gedanke ward gutgeheißen, und bald machten sich alle bereit, unter meiner Führung aufzubrechen. Fritz war mit dem Schwanze seiner Tigerkatze umgürtet; doch waren seine Bestecke noch nicht so vollendet, daß er sie mitführen konnte. Alles trug Waffen und Weidtaschen, weil man nicht wußte, was uns begegnen möchte. Selbst Fränzchen hatte seinen Bogen und seinen Pfeil in der Hand und den gespickten Köcher als Hinterhalt auf dem Rücken. Die Mutter allein war unbewaffnet, aber sie trug ihre Butterflasche, um sie in Zeltheim aus dem Vorratsfasse wieder anzufüllen. – Den Affen kam die Lust an, mit uns zu gehen. Er sprang ohne viel Federlesens Fritz auf die Schulter und gedachte, so auf gewohnte Art zu reisen. Dem Jungen wurde die Sache aber mit der Zeit zu lästig. Der kleine Geselle hielt keine Minute Ruhe, sondern seiltänzerte beständig von einer Schulter, von einem Arm zum andern. »Höre du«, sagte Fritz endlich, »das geht mit dir nicht so weiter. Ich kann mich auf die Dauer nicht von dir als Baum benutzen lassen. Wir müssen‘s ernstlich nochmals mit einem Gaul versuchen. Bill hierher!«
Er war natürlich empört über die Zumutung, dem kleinen Affenreiter als Zirkuspferd dienen zu sollen; aber Fritz, der diesmal mehr Zeit und Geduld aufwenden konnte als kürzlich bei der Heimkehr vom anstrengenden Marsche, ließ mit immer erneuten Versuchen nicht locker. Das schnelle Begriffsvermögen unsres Affenkindes kam ihm dabei zustatten. Der Kleine merkte nicht sobald, daß es sich auf Bills Rücken gut sitzen ließe, als er sich auch mit aller Kraft seiner gelenkigen vier Händchen festkrallte. Es half dem Hunde nichts mehr, daß er sich zu Boden warf; das Knirpschen saß wie angenagelt. Bill rieb sich an einem Baum, um seinen Reiter abzuscheuern – umsonst, der Schlingel schnitt eine Fratze und rückte ein bißchen zur Seite. Lachend sahen die Kinder dem Handel zu. Fritz faßte endlich den Hund zärtlich um den Hals, streichelte seinen Kopf und redete ihm gut zu: »Komm, Bill, komm, mein schönes Tier, sei brav, sei vernünftig, laß den frechen kleinen Kerl reiten. So, so, so zeig, daß du ein kaltblütiger Engländer bist. Sollst auch mein Bester sein, mein schönster Hund, mein kluger Hund! Siehst du wohl? Nun komm her.« Dabei hatte er einen Strick in Bills Halsband befestigt und sich das Ende desselben mehrfach um die Hand geschlungen, um etwaigen Ausreißgelüsten vorzubeugen. Bill blieb aber stehen und sah trübselig vor sich hin. Er begriff, daß sein Schicksal besiegelt sei; aber Freude hatte er nicht daran. Auf immer wiederholtes Zureden entschloß er sich endlich, mit seinem unverschämten Reiter neben uns herzutraben.
»Siehst du, mein Junge«, sagte ich, »das hat mich gefreut, daß du mit Ruhe und Geduld dem Ding beigekommen bist. Auf diese Weise wird sich Bill am besten gewöhnen und mit der Zeit ohne Murren seiner Pflicht genügen.«
Unser Weg am Bache hinauf war außerordentlich angenehm, weil er eine Zeitlang noch im Schatten der großen Bäume und über einen weichen, ebenen Grasplan ging. Wir eilten deswegen nicht, sondern schlenderten gemächlich dahin und sahen uns mit Bequemlichkeit um. Die Knaben streiften rechts und links auf die Seite und entwischten zum Teil meinem Blicke. – So kamen wir an das Ende des Gehölzes; und nun nahm ich mir vor, das junge Volk wieder zusammenzurufen, um in geschlossenem Zuge weiterzugehen. Indem ich mich aber wandte, sah ich die Bürschchen von selbst im Galopp daherrennen, und zwar diesmal den bedächtigen Ernst voraus, der keuchend mich fast umrannte, vor Freuden und Hast nicht ein Wort zu sagen vermochte und immer drei hellgrüne Kugeln mir vor Augen hielt.
»Erdäpfel, Vater, Erdäpfel!« rief er endlich, als er wieder die Stimme fand.
»Wie, was, wo?« sagte ich freudig. »Solltest du wirklich so glücklich sein? Herbei, ihr Jungen, herbei! – So laß doch sehen, mein Sohn! Ich wage es noch gar nicht zu glauben, daß du hier die Fruchtknollen von der herrlichen Pflanze habest; und doch sehen sie ganz, ganz danach aus.«
»Ja, gewiß, Vater, sind es Erdäpfel«, beteuerte Fritz; »das ist ein rechter Segen für uns. Ernst ist doch glücklich gewesen.«
»O was?« rief Jack schnippisch dazwischen; »ich hätte sie auch gefunden, wenn ich den nämlichen Weg gegangen wäre wie er! Das ist keine Kunst!«
»Ei«, schalt die Mutter, »setze doch den Wert dieser herrlichen Entdeckung nicht herab! Wärest du auch mitten durch die Kartoffelstauden durchgewatet, so ist noch sehr die Frage, ob du sie erkannt hättest; denn du bist gar zu flüchtig. Ernst gibt in seiner Stille meistens acht auf alles, und was er entdeckt, ist selten nur Zufall oder Glück. Aber ich fürchte noch immer, wir täuschen uns; denn die lebhaften Wünsche machen leichtgläubig. Es könnten vielleicht auch andere Gewächse eine solche glatte, kugelförmige Frucht erzeugen.«
Wir eilten nun alle hin, wo sich Ernst die Knollen abgebrochen hatte, und mit freudigem Entzücken sahen wir von dem Ende unsres Wäldchens bis hinauf an die Flühe den Boden ganz mit Kartoffelstauden überdeckt, und in ihrer Demut gefielen sie uns besser als alle Rosen von Persien. Ein Teil stand in Samen, ein Teil schon abgedorrt, ein Teil in erfreulicher Blüte, und hin und wieder sproßten noch junge Pflänzchen hervor.
Jack rief aus: »O prächtig! Gewiß sind das Erdäpfel! Die wollen wir schon kriegen!« – und hiermit stürzte er flugs auf die Knie und fing mit allen zehn Fingern an zu kratzen und zu graben. Von seinem feurigen Beispiel hingerissen, war auch der Affe sogleich von seinem Gaul herunter und über die Stauden her, riß einige weg und scharrte so behende, daß er noch lange vor Jack die herrlichste reife Kartoffel aus dem Boden zog, und nachdem er sie berochen und zur Seite geschmissen, immer andre hervorholte und in kurzem ein ganzes Häufchen beisammen hatte; denn Fränzchen nahm sich die Mühe, den fortgeworfenen nachzulaufen und sie aufzufischen. Wir übrigen blieben dabei nichts weniger als müßig. Teils mit den Händen, teils mit den Hirschfängern und Messern grub jeder nach Kartoffeln, so fleißig er konnte, und fast unersättlich füllten wir unsre Säcke und Weidtaschen so voll von der köstlichen Speise, als es nur möglich war.
Erst nach einer Weile setzten wir uns wieder in Bewegung, um vollends nach Zeltheim zu wandern. Bill verzog keine Miene, als Fritz den Affen wieder auf seinen Rücken setzte. Zwar hatten ein paar lüsterne Mäuler geraten, sogleich nach Falkenhorst zurückzukehren und ein herrliches Kartoffelgericht zu schmausen; aber da dringende Gründe nach Zeltheim mahnten, so ward unser angefangener Spaziergang, wiewohl von der unerwarteten Belastung etwas erschwert, doch lustig und freudig fortgesetzt.
»Kinder«, sagte ich im Gehen, »die Entdeckung der Erdäpfel ist fast unschätzbar für uns.«
»Ja, wahrhaftig«, sagte Fritz, »wir haben Ursache, Gott auf das innigste zu danken.«
In allerlei Gesprächen waren wir bis an die Felsenreihe gekommen, von welcher unser Bächlein mit sanftem Geräusch als ein lieblicher, kleiner Wasserfall herniederrieselte und längs welcher wir nun gegen den Schakalbach gingen. Wir mußten uns durch hochstehendes Gras arbeiten und bekamen, die Felswand links, das Meerufer in einiger Ferne rechts, eine zweifache, schöne, aber durchaus verschiedene Aussicht, über die wir uns nicht wenig freuten.
Besonders die Felsen gewährten ein so malerisches Schauspiel, als man nur wünschen konnte. Sie stellten sich dar wie ein offenes Treibhaus, wo statt der Blumentöpfe die kleinen Absätze, Risse und Vorsprünge der Fluh mit den seltensten und mannigfaltigsten Gewächsen ganz überdeckt waren. Am zahlreichsten erschienen die stachligen Saftpflanzen, die man eben in den Treibhäusern auch gewöhnlich zu ziehen pflegt. Da sah man die sogenannten indianischen Feigen, die Aloe, die prächtige, mehr als mannshohe indische Stachelkerze, die dornige Schlangenwinde und zwischendurch, was uns am meisten entzückte, selbst die gekrönte Ananas, diese Königin der Früchte.
Alle fuhren wir begierig nach einer solchen Kostbarkeit, weil sie uns allen bekannt war, und vorzüglich, weil sie roh genossen werden konnte. Der Affe ging dem jungen Völklein vor, und nach seinem löblichen Muster wurde genascht, daß es eine Freude war. Ich fand also nötig, die Knaben zu warnen, daß sie von der Leckerei nicht übermäßig genießen möchten, weil sie Gefahr liefen, an der kältenden Frucht, die dabei nicht ohne Schärfe wäre, sich die Ruhr zu essen und ihre Freude mit Schmerz und Krankheit zu bezahlen.
Endlich entdeckte ich unter den verschiedenen Stachelpflanzen auch ein paar Karatten – eine Art von Aloe oder Agave, die teils in voller Blüte, teils schon verblüht wie junge Bäumchen emporgeschossen waren, eine mir ganz überaus willkommene Erscheinung.
»Da seht her, Kinder«, rief ich; »da machen wir einen bessern Fund als mit den Ananas, so vortrefflich euch diese behagen mochten! Das untere Laubwerk dieser Pflanzen ist der Ananas fast gleich; aber dann betrachtet den schlanken geraden Stengel, der mitten emporsteigt und sich oben wie ein hübsches Bäumchen gestaltet! Betrachtet die angenehme Blüte!« Mit vollem Munde antworteten alle: »Das ist nichts, wenn man die Frucht nicht essen kann! Die Ananas geht über alles; wir lassen euch diese trostlosen Bäumchen gern, wenn wir Ananas haben.«
»O ihr Leckermäuler!« lachte ich; »ihr macht es eben wie so viele tausend Menschen! Ihr überseht einen wahren und dauerhaften Vorteil über einem flüchtigen Sinnenkitzel. Das will ich euch handgreiflich und auf der Stelle beweisen. – Ernst, nimm hier meinen Stahl und Feuerstein und schlage mir doch Feuer!«
»Ja, bitte um Vergebung!« erwiderte dieser, »ich muß auch Zunder haben!«
»Richtig, mein Freund!« fuhr ich fort. »Aber gesetzt nun, wir hätten keinen, oder der unsrige wäre schon aufgebraucht, womit wollten wir Feuer machen? Und ohne Feuer wäre es mit unserm hiesigen Wohlsein bald zu Ende.«
»Oh, wir könnten es machen wie die Wilden«, sagte Ernst, »und zwei verschiedene Hölzer aneinander reiben, bis sie sich entzündeten.«
»Gehorsamer Diener!« antwortete ich. »Für uns, die wir es nicht gewohnt sind, würde das ein saures Stück Arbeit sein. Ich will wetten, daß zum wenigsten keiner von euch, und wenn er den ganzen Tag hindurch riebe, nur ein Fünkchen erhielte. So schnell, sicher und bequem wie mit Zunder bekämen wir auf keinen Fall unser Feuer.«
»Dann müßten wir also Geduld haben«, meinte er, »bis wir einen tauglichen Baumschwamm fänden, um uns andern zu bereiten.«
»Dies eben nicht!« bemerkte ich. »Wir könnten uns welchen aus Leinwand verfertigen, wenn wir sie in einem verschlossenen Gefäß verbrennten. Aber Leinwand haben wir sonst nötig, und es ist doch allemal das beste, wenn wir unsern Zunder gleich bereit und gewachsen finden.«
Mit diesen Worten nahm ich einen dürren Stengel von einer Karatte zur Hand, schälte die äußere Rinde davon ab, brach ein Stücklein des trockenen, schwammigen Markes heraus, legte es auf den Feuerstein, schlug mit dem Stahl an, und im Hui war mein neumodischer Zunder entbrannt. Die Knaben sahen mich erstaunt an, machten einen Freudensprung und riefen: »Vortrefflich, vortrefflich! Es lebe die Zunderstaude!«
»Nun«, sagte ich, »das war eins! Jetzt soll uns die Mutter berichten, womit sie die Löcher unsrer Kleider flicken oder neue zu nähen denkt, wenn ihr einst unser Faden ausgeht.«
»Ja«, fiel die Mutter ein, »das hat mir schon lange Kummer gemacht, und deshalb sehe ich mich überall auf das sorgfältigste nach wildem Flachs oder Hanfstengeln um.«
»Du kannst deinen Kummer jetzt mildern«, versetzte ich; »denn in den Blättern der Karatte hier hast du den schönsten Faden, den du dir für unsre Lage wünschen kannst. Freilich ist er nicht länger als die Blätter selbst, aber doch allemal so lang, als ein Nähtling in der Regel wohl sein mag.«
Hiermit spaltete ich ein Blatt vor aller Augen und zog eine Menge von starken zierlichen Fäden heraus, die ich der Mutter sogleich übergab, und auf welche ich meine Jugend aufmerksam machte. »Nicht wahr«, sagte ich, »die Karatte, die ihr mir so verächtlich preisgegeben habt, kann im Grund uns andre und bessere Dienste leisten als die hochgeschätzte Ananas, die nur den Gaumen kitzelt!«
»Es kommt uns doch nun trefflich zu statten«, bemerkte die Mutter, »daß du zu Hause so viel Nützliches nachgelesen hast; denn wir übrigen haben nach unsrer einfältigen Ansicht die Ananas doch wohl vorziehen müssen. Aber langsam genug geht es freilich noch zu, wenn man die Fäden so Stück um Stück aus einem Blatte herausziehen muß.«
»Oh, da kann allenfalls Rat geschafft werden«, sagte ich; »denn läßt man nur etwa die Blätter an der Sonne oder am Feuer recht ausdorren, zieht man sie dann leicht durch einen zulaufenden Strick, bis das Mark davon abgestreift ist, so bekommt man bald einen Haufen Fäden, die sich dann mit geringer Mühe vollends reinigen lassen. Übrigens könnte man auch versuchen, die Blätter zu brechen, so wie den Hanf, daß das Unnütze abfiele und das Fädige zurückbliebe.«
»Ja, ja«, rief Fritz, »ich sehe schon, die Karatte wird die Ananas ausstechen; sie verspricht uns zehnmal mehr Nutzen.«
Bald darauf kamen wir an den Schakalbach und setzten mit Behutsamkeit hinüber, worauf wir auch bald bei dem Zelte waren. Alles fand sich da in gehöriger Ordnung, wie wir es verlassen hatten, und jedermann ging an das Geschäft, um deswillen er hergekommen war.
Fritz griff nach Pulver und Schrot, wovon er recht die Fülle nahm. Ich machte mich mit der Mutter und Fränzchen gleich über die Buttertonne, um unsre blecherne Flasche zu füllen. Ernst endlich und Jack zogen aus, um Enten und Gänse zu fangen. Da uns diese jedoch schon etwas fremd geworden waren und auf eigene Zehrung zu leben vermochten, so ließen sie sich durchaus nicht haschen und konnten nur durch List von den Jungen gegriffen werden. Ernst hatte nämlich ein Stück Käse in der Tasche, von welchem er jetzt Bröckchen an Packfaden band und dem schwimmenden Geflügel als Atzung in das Wasser warf. Sowie nun der Käse von einem der gierigen Tiere verschlungen ward, so zogen die Knaben es sachte, unter verhaltenem Gelächter, an das Ufer und hatten in kurzem das Federvieh, soviel ich nämlich verlangte, gar ordentlich beisammen.
»Hier, Vater«, rief Jack mit einer Gans unter dem Arm und krümmte sich vor Vergnügen, »das mußt du doch sagen, solchen Fisch hast du noch nie gesehen.« – »Ja, ja«, sagte ich lachend, »komisch genug nimmt sich die Geschichte aus, aber jetzt seid mir nur behutsam, wenn ihr den übertölpelten Fressern die Fäden wieder aus dem Halse zieht, damit ihr mir die Tiere nicht verletzt.« Sie waren in der Tat auch so sorgfältig, daß keines nur im mindesten Schaden nahm.
Jeder der Gefangenen ward jetzt mit einem Schnupftuch umwunden, daß nur Hals und Kopf hervorragten, und so wurden sie, vier an der Zahl, zwei Enten und zwei Gänse, hinten auf unsere Weidtaschen oder Habersäcke gebunden, wo sie denn zum Fortschaffen gar nicht unbequem waren.
Zuletzt nahmen wir auch Salz, aber weniger, als wir im Sinne gehabt hatten; denn da ein Säcklein, welches wir hatten füllen wollen, unterwegs mit Kartoffeln vollgestopft worden war, so konnten wir bloß die Zwischenräume derselben mit Salz anfüllen. Weil aber auf diese Weise das Säcklein beträchtliches Gewicht erhielt, so wurde dem stämmigen Türk die Last auf seinen kräftigen Rücken gelegt.
So waren wir denn alle reichlich beladen, und ich pfiff und rief zum Aufbruch. Wir sahen jetzt in der Tat ganz drollig aus, da zumal die Enten und Gänse mit ihrem beständigen Geschnatter und Halsverdrehen ein wunderliches Schauspiel gaben. Indes war das Lachen über unsern Aufzug ein Trost gegen den Druck unsrer Bürden, und wir beklagten uns erst zu Hause über sie, als die Ursache schon vorüber war.
Doch ging nun auch bald die Freude doppelt los; denn die Mutter nahm ohne Verzug unsern Kochtopf und stellte das ersehnte Gericht von Kartoffeln sogleich an das Feuer. Ja, sie melkte sofort auch Ziegen und Kuh, damit die Milch unsere Mahlzeit verherrlichen helfe, und die jubelnden Knaben sprangen zärtlich um sie her und leisteten Dienste, soviel sie nur konnten.
Ich setzte indessen das hergebrachte Geflügel in Freiheit und gebrauchte bloß die Vorsicht, daß ich allen die größten und kräftigsten Schwungfedern aus den Flügeln zog, damit sie nicht so leicht entfliehen könnten und sich allmählich an diese neue Gegend gewöhnten.
Endlich fand unter redseligen Lobsprüchen das köstliche Kartoffelmahl statt, nicht ohne herzliche Danksagung gegen den allgütigen Geber; dann schlichen wir müde und schläfrig in unser Baumkastell und genossen der erquickendsten Ruhe bis an den Morgen.