Читать книгу Ohne Hirn bist halt ein Depp - Johann Eckerl - Страница 4
Оглавление„Der natürliche Feind des Bahnwärters ist ja der Bus!“
Der Murauer Sepp, der hatte Busse ja nie gemocht. Die Leute sollten lieber mit der Bahn fahren, hatte er immer gemeint, weil die Bahn würde viel weniger Unfälle bauen, als die stinkenden Autobusse. Womit er ja recht hatte, weil von einem Zug war er nie überfahren worden, aber von einem Bus schon.
Er war der letzte Augseeer Bahnwärter, der Murauer Sepp. Viele Jahre lang hatte er dafür gesorgt, dass am Bahnsteig im niederbayerischen Augsee alles seine Ordnung hatte. Mehrmals am Tag drehte er die Schranke am Bahnübergang runter und vergaß nur manchmal, sie wieder hochzudrehen, nachdem der Zug durchgefahren war. Er verkaufte Fahrkarten, schimpfte mit Kindern, die am Bahnsteig zu heftig rumtobten und schickte den Zugführer mit einem selbstbewussten Trillerpfeifen wieder des Weges. Eine wichtige Autoritätsperson war der Sepp am Bahnsteig in Augsee gewesen.
Da es nach dem Sepp keinen Bahnwärter mehr brauchte in der kleinen Landgemeinde, durfte er die letzten Jahre seines Ruhestandes mit seiner Resi zur Miete im ehemaligen Bahnwärterhäuschen verleben. Bis er vom Bus erwischt worden war. Weil der Busfahrer damals, der war recht in Eile gewesen und der Sepp nicht so sehr. Und das trifft sich halt manchmal ein wenig saudumm, wenn der eine schneller fährt als der andere geht.
Die Resi überlebte den Sepp noch um fast zehn Jahre, bis auch sie schließlich auf den Augseeer Friedhof umzog. Mit ein wenig Verspätung, könnte man sagen. Denn als man sie damals fand, da war sie wohl schon ein paar Wochen tot in der kleinen Küche auf dem Stuhl gesessen und war darauf schon recht arg festgeklebt. Vornüber gebeugt lag ihr Kopf auf dem Küchentisch in einer rotbraunen, klebrig eingetrockneten Lache. Dem Feuerwehrmann, der sie damals gefunden hatte, dem war ja gleich recht schlecht geworden bei dem Anblick, hatte gar gemeint, sie hätte sich selber was angetan, wegen dem vielen getrockneten Blut auf dem Tisch. Aber das war nur der Saft vom Beerenkompott gewesen. Wie sie zusammengebrochen war, hatte sie wohl versehentlich das große Glas eingemachter Beeren umgestoßen, welches vor ihr auf dem Tisch gestanden war.
Ihr schrumpeliges Kinn lag auf dem Glasschälchen, aus dem sie ihr letztes Kompott gelöffelt hatte und welches bereits irgendwie ein wenig mit ihrer linken Wange verwachsen war. Ihre Fußknöchel waren von Ratten angenagt und überall um Tisch und Stuhl herum waren Beerenreste am Boden verstreut; manche etwas aufgedunsen von schleimiger Körperflüssigkeit, die über die Wochen an den Stuhlbeinen entlang zäh auf den Boden gekrochen war.
Nach dem Tod ihres Mannes, dem Sepp, wäre die Resi ja eine rechte „Kräuterhexe“ geworden, hieß es im Dorf. Immer im Wald auf der Suche nach Kräutern, Beeren und Schwammerln wäre sie gewesen – sogar in der Nacht – und sie hätte kaum mehr mit jemandem gesprochen, wurde erzählt. Und in die Kirche wäre sie auch nie mehr gegangen.
Seit Resis Tod vor etwa fünfzehn Jahren wohnte niemand mehr in dem alten Häuschen und keiner kümmerte sich mehr darum. Die Bahn – Besitzerin des Bahnwärter-Anwesens – erledigte nur die allernötigsten Reparaturen am Dach oder hie und da an einem kaputten Fenster. Ein paar Ratten-Großfamilien bevölkerten seither das unbehelligte Anwesen. Die wurden von den Augseeer Gemeindearbeitern zwischendurch mit Giftködern versorgt. Die Ratten wurden dadurch zwar nicht weniger, dafür gab‘s eine Zeit lang weniger Katzen in Augsee.
„Der hätt‘ ja gleich sagen können, was er meint. Und nicht, was er nicht meint!“
Der Jakob war bei der Eisenbahn angestellt gewesen und hatte sich für sein einsames Pensionistendasein ein beschauliches Plätzchen gewünscht. Ein Häuschen in einem kleinen Ort, in der Nähe einer Bahnlinie sollte es sein. Die zuständigen Damen und Herren der Bahn verkauften ihm das Bahnwärterhäuschen in Augsee gleich recht gerne und auch recht billig, damit da endlich mal ein Ende herginge mit den ständigen Anfeindungen des Bürgermeisters von Augsee.
Der Bürgermeister Haberecht ist ja von Natur aus ein zorniger Mann. Ein aufg‘stellter Mausdreck sei er, heißt es manchmal am Kirchenwirt-Stammtisch, weil der Helmut Haberecht ist ja eher klein für seine Größe. Und manchmal erinnert er ein wenig an selbst gebastelte Kastanienmännchen, mit den dünnen Beinen, dem dicken Bauch und der glänzenden Glatze – vor allem im Sommer, wenn er mit kurzen Hosen und hochrotem Kopf seinen Rasen mäht.
Das heruntergekommene Bahnwärteranwesen in seiner Gemeinde war ihm schon lange ein Dorn im Auge gewesen. Deshalb hatte er sich regelmäßig in Wort und Schrift und auch in eigener Person an die Bahn gewandt und nachdrücklich nach Renovierung oder Abriss des Schandfleckes am Augseeer Bahnsteig verlangt. Was den Herrschaften von der Bahn schon recht lästig geworden war.
Der Bürgermeister Haberecht nahm den Jakob sogleich in die Pflicht, als dieser neuer Besitzer des Bahnwärterhäuschens geworden war:
„Da müssens jetzt aber schon schauen, dass das Ganze da mal ein G‘sicht kriegt, gell! Weil so kann das natürlich nicht bleiben. Und um die Ratten müssen Sie sich auch gleich kümmern!“, hatte er dem Jakob mit auf den Weg gegeben.
Manchmal sagen die Leute ja ganz was anderes, als was sie meinen. Das kennt man ja. Wenn jetzt zum Beispiel gerade Ihre Frau oder Ihre Freundin zu Ihnen ins Auto steigen möchte und sagt: „Stell mir doch bitte den Sitz vor!“, dann wissen Sie ja auch erstmal nicht, was sie wieder meint. Und wenn Sie dann sagen: „Ja, also Renate, das ist Sitz, Sitz, das ist Renate!“, dann ist‘s vielleicht auch wieder verkehrt und Sie sind der Depp, obwohl Sie gar nichts dafür können.
Der Jakob hatte das mit den Ratten auch anders verstanden, als der Bürgermeister das wohl gemeint hatte. Und als er beim Entrümpeln des alten Häuschens im Keller große Regale voller Eingemachtem gefunden hatte, da dachte er sich, das wäre gerade recht für die Ratten. Die würden sich gewiss darüber freuen, wenn er sie mit diesen Leckereien versorgen würde. Bisher hatten sie sich hier selbst bedient, wie der Jakob aus den zerborstenen Gläsern schloss, die vor dem Regal auf dem klebrigen Fußboden verstreut waren.
So fütterte er also die nacktschwänzigen Nager regelmäßig mit Gulasch, Krautwickerln und diversen Eintöpfen, hatte doch der Bürgermeister selbst den Jakob aufgefordert, sich um die Ratten zu kümmern.
Ein wenig saudumm war jetzt aber, dass auch die Augseeer Katzen bald auf die neuen Futterquellen aufmerksam wurden, die der Jakob rund ums Bahnwärterhäuschen angerichtet hatte. Das war den Ratten jedoch gar nicht recht. Und man glaubt es ja nicht, wie arm so eine Katze dran sein kann, wenn sie mit zornigen Ratten um deren Futter rauft. Da kam es dann schon mal vor, dass sich die Leute fragten, wo denn ihr Stubentiger plötzlich das Ohr oder gar die Nasenspitze verloren hätte. Weil den Ratten war das ja völlig wurscht, wie so eine Katze ohne Ohr oder ohne Nasenspitze ausschaute. Kampferprobte Katzen wiederum hatten bald einen rechten Spaß daran gefunden, die pelzigen Gefährten im heiteren Spiel zu blutigen Klumpen zu hauen. Verspeist hatten sie die Kadaver aber nicht, bevorzugten Gulasch und Krautwickerl als Mahlzeit.
„Am Stammtisch, da sitzen ja die da, die da immer dasitzen!“
„Wer ist jetzt er?“, fragte der Armlehner Bertl laut, als er beim Kirchenwirt den Jakob am Stammtisch sitzen sah.
Der Bertl kam gerade vom Stockschießen und gesellte sich zu den Stammtischlern, unter denen heute auch der Jakob saß. Noch bevor er eine Antwort bekam, rief er dem Wirt zu:
„Hast was zum Essen da, Fritz? Mich tät‘s recht hungern!“
„Heiße Würstl kannst haben.“
Beim Kirchenwirt in Augsee wird ja nur auf Bestellung gekocht, wenn‘s gar sein muss. Bei Vereinsversammlungen oder für eine Hochzeit oder auch für einen Leichenschmaus, wenn mal wieder einer im Friedhof nebenan eingezogen ist. Da gibt‘s dann Schweinsbraten, Schnitzel oder Ochsenfleisch oder so was eben. Aber sonst gibt‘s beim Kirchenwirt nur eine kleine Brotzeit. Oder eben gar nichts, wenn gerade nichts da ist.
„Du immer mit deinen Würstln!“, meinte der Bertl mürrisch, bestellte aber mangels Alternative drei Paar davon zu seinem Bier.
„Und? Wer bist jetzt du?“, wandte er sich dann dem Jakob zu.
„Jakob! Der Jakob bin ich“, lächelte dieser ihm entgegen.
„Wer bist?“, fragte der Bertl mit lauter Stimme nach.
Der Armlehner Bertl, der spricht ja immer recht laut, auch wenn er sich gerade nicht aufregt, weil sonst würde er wegen seiner Schwerhörigkeit ja selber nicht hören, was er gerade sagt.
„Jakob heiß‘ ich! Ich wohn‘ drunten im alten Bahnwärterhäusl“, prostete der Jakob dem Bertl zu und nahm einen großen Schluck aus seinem Weißbierglas.
„Ja, der Jakob vom Bahnwärterhäusl ist er. Wie kommst jetzt du zu dem alten Bahnhäusl da drunten?“
„Ich bin letztes Jahr hergezogen. Wie ich noch g‘arbeitet hab‘, da hab ich in Passau zur Miete g‘wohnt. Aber jetzt bin ich in Rente und da hab‘ ich mir halt das kleine Häusl hergerichtet.“
Schaffner bei der Bahn wäre er gewesen, erklärte der Jakob etwas lauter, weil er gemerkt hatte, dass der Bertl sich immer weiter über den Tisch zu ihm herüberbeugte – mit dem linken Ohr voraus, weil das noch das bessere von den beiden war.
Am Nebentisch saß die Trautmannsdorfer Marianne mit der Gaisbauer Getrud bei einem Glas Wein. Die Marianne war ganz froh, dass jetzt lauter gesprochen wurde am Stammtisch, denn ihr ausgeprägtes Mitteilungsbedürfnis brauchte ja regelmäßigen Nachschub an Neuigkeiten. Und im Vergleich zu so einem Stammtisch ist ja jede Nachrichtensendung im Fernsehen nur so spannend wie eine Maiandacht. Angeregt von den ersten Erkenntnissen über den Zugezogenen brachte sich die Marianne nun in die weitere Befragung des Jakobs ein und wandte sich mit drängender Stimme an den Nachbartisch:
„Ja, da schau her! Im Bahnwärterhäusl wohnt er. Ja, jetzt kann man‘s wirklich wieder anschauen das alte Haus. Schaut gar recht nett aus jetzt.“
Nachdem der Jakob sich zu ihr umgewandt hatte, meinte sie gleich weiter:
„Aber ist ja schon ein bisserl klein, das Häusl, gell? Was sagt denn da die Frau dazu, zu dem kleinen Häuserl?“
„Ich bin nicht verheiratet. Mich hat nie Eine heiraten mögen, weil ich als Schaffner immer so viel unterwegs g‘wesen bin, weißt eh!“, erklärte der Jakob lachend.
„Ach, ganz alleine bist? Ja, wer kocht dir denn dann? Nicht, dass du uns da verhungerst in deinem Häusl! Bist eh ein bisserl mager“, scherzte die Marianne und stupste die alleinstehende Gaisbauer Gertrud an, die sich verlegen wegdrehte.
„Geh, das mach‘ ich schon selber. Sonst wär‘ ich ja längst verhungert“, lachte der Jakob.
„Marianne heiß‘ ich. Und du bist der Jakob, hab ich schon g‘hört, gell?“, reichte ihm die Marianne die Hand und schüttelte ihn heftig. Die Marianne ist ja ein recht ein g‘standenes Weibsbild, wie man so sagt, wenn es eine Dame von eher kräftiger Statur ist, die einen schüttelt.
„Ja, schön, Marianne, dann Prost!“, meinte der Jakob, nachdem er seine Hand wieder zurück hatte.
Die Marianne nippte an ihrem Wein und der Jakob leerte sein Bierglas. Dann sagte er:
„Nein, wirklich, Marianne, brauchst nicht meinen, dass ich das nicht könnt‘. Ich mach‘ das recht gern, das Kochen. Musst einmal mein Gulasch probieren, da wirst schauen! Oder mein Lüngerl.“
„Ach, da schau her!“, tat die Marianne überrascht und lachte, während die Gertrud mit gesenktem Kopf den Tisch ankicherte und ihre große Hornbrille etwas zurechtrückte.
„He, Jakob. Kannst vielleicht gar schafkopfen?“, brachte sich der Bertl wieder mit unleiser Stimme ins Gespräch ein.
„Ja freilich kann ich schafkopfen, Bertl!“
„Ja, dann pack mas! Der Heini und der Franzl sind auch dabei, gell? ... Fritz, bring uns doch ein Packerl Karten!“
„Manchmal, da mag‘s schon recht saudumm hergeh‘n, glaubst es!“
„Was wird jetzt da der Bürgermeister dazu sagen?“, war es dem Jakob recht unangenehm, dass es wohl gar keine Ratten mehr gab, rund ums Bahnwärteranwesen. Die hätten sich bestimmt eine andere Unterkunft gesucht, vermutete er, weil ihnen die Kämpfe mit den vielen Katzen sicher schon recht lästig geworden wären. „So ein Ratz ist halt auch nur ein Mensch und will einfach seine Ruhe haben“, dachte er sich.
Etwas ratlos stand er in seinem Gärtchen, mit einem geöffneten Einmachglas Lüngerl aus seinem Keller in der Hand und sah sich um, ob er nicht doch noch irgendwelche Spuren der pelzigen Nager entdecken könnte. Da näherte sich die Trautmannsdorfer Marianne, die gerade mit dem Zug aus Mühldorf angekommen war und beim Aussteigen den Jakob in seinem Garten entdeckt hatte.
„Ja, schön, dass ich dich grad‘ treff‘, Jakob!“, begrüßte sie ihn am Gartenzaun und meinte sogleich zu ihm:
„Du Jakob, du kennst doch bestimmt die Hinterholzer Elfriede, gell?“
„Ja, ich weiß nicht so genau. ... Ich mein‘ eher nicht!“, war der Jakob ein wenig unsicher.
„Man glaubt‘s ja nicht, was die für einen saudummen Unfall g‘habt hat, die Elfriede. Stell dir vor, der Max, ihr Mann, ist ihr über den Arm drüberg‘fahren! Mit dem Bulldog ist er ihr über den Arm drüberg‘fahren. Jetzt ist er natürlich hin, der Arm!“
„Ja, um Gott‘s Willen, wie ist denn das passiert?“, fragte der Jakob entsetzt.
„Beim Heueinfahren hat sich so ein Heuballen, ... weißt schon so ein runder, der ist ins Rollen gekommen und hat die Elfriede überrollt. Und dann wollt‘ der Max den Ballen aufhalten und ist ihm mit dem Bulldog rücklings entgegeng‘fahren und hat ihn dann zurückg‘schoben. Grad‘ wieder über die Elfriede drüber. Weil die ist ja noch ganz damisch dagelegen und deshalb hat sie der Max ja nicht g‘sehen. Ja, und wie er den Ballen dann zurückg‘rollt g‘habt hat, über die Elfriede drüber, da ist jetzt ihr Arm so saudumm rumgelegen, dass der Max ihn überfahr‘n hat, den Arm!“
„Jessas, und wie geht‘s ihr denn jetzt, der Elfriede?“, fragte der Jakob mitfühlend.
„Ja, mei, gell. Er ist halt hin, der Arm, der rechte. Mehr zerquetscht, als wie gebrochen, weißt! Und ein paar Rippen sind auch hin. Aber das war nicht der Max, sondern der Heuballen! Weißt eh, der hat ja gleich mal vier-, fünfhundert Kilo, so ein Ballen“, antwortete sie und ergänzte seufzend:
„Ja, der arme Fritz!“
„Welcher Fritz? Was meinst jetzt mit dem Fritz. Ich hab g‘meint Max heißt ihr Mann?“
„Ja, ja, schon. Aber die Elfriede hat ja dem Fritz, ... weißt schon, dem Wirt, dem hat sie immer in der Küche g‘holfen, wenn er eine Veranstaltung g‘habt hat“, erklärte sie und meinte, dass ja am nächsten Sonntag beim Kirchenwirt die Jahreshauptversammlung vom Frauenbund wäre und der Pfarrgemeinderat und der Herr Pfarrer Wohlfahrt wären da auch dabei und der Fritz hätte doch jetzt gar keine Hilfe mehr.
Nachdem die Marianne ihr neues Wissen mit dem Jakob geteilt hatte, blickte sie auf das Glas, das er in der Hand hielt.
„Was hast denn da? Hast dir was gekocht? Was ist es denn?“, fragte sie, und kaum dass der Jakob das Glas anhob und etwas zögerlich meinte:
„Ja, ... ein Lüngerl ist das“, da fuhr die Marianne mit dem Finger ins offene Glas und lutschte sogleich die grau-braune, geleeartige Masse von ihrem Zeigefinger.
Erschrocken zog der Jakob das Glas zurück und meinte:
„Geh, Marianne! Das ist doch ... kalt! Ganz kalt ist das ja, das schmeckt ja nicht!“
Sie probiere auch das hausgemachte Lüngerl beim Metzger immer kalt, bevor sie sich eins kaufen würde, belehrte sie ihn und versicherte:
„Ganz fein ist das, Jakob, wirklich ganz fein! Richtig g‘schmackig!“
Und plötzlich meinte sie überschwänglich:
„Ja, Jakob! Du bist doch so ein leidenschaftlicher Koch, hast ja g‘sagt! Könnst nicht du dem Fritz helfen, wenn die Versammlung vom Frauenbund ist? Die Gertrud würd‘ sich bestimmt recht freuen, wenn du ihr was kochen würd‘st. Weißt, die Gaisbauer Gertrud ist ja die Vorsitzende vom Augseeer Frauenbund.“
„Ja, ich weiß jetzt auch nicht“, war der Jakob ein wenig überrumpelt und wusste auch gerade nicht, wer denn die Gaisbauer Gertrud wäre.
„Zeit hätt‘ ich vielleicht schon. Aber im Wirtshaus hab ich noch nie gekocht, weißt. Nur daheim, für mich halt.“
Das würde schon werden, meinte die Marianne, während sie sich winkend auf den Weg nach Hause machte, und sie würde dem Fritz gleich Bescheid sagen.
Der Jakob war etwas verunsichert, als er mit seinem Glas in der Hand zurück ins Haus ging. Er schnupperte vorsichtig am Inhalt und musterte dann das kleine vergilbte Etikett: LÜNGERL 1993.
„Wenn einmal was gar zu alt ist, dann ist‘s ja oft nicht mehr ganz frisch!“
Die Idee, sich mit den eingemachten Leckereien von der Murauer Resi zu behelfen, war dem Jakob gekommen, als er am Tag der Frauenbund-Versammlung gemerkt hatte, dass beim Kirchenwirt gar nichts da war, womit er überhaupt irgendetwas hätte kochen können. Außer alte, trockene Semmeln. Weil, der Fritz hatte ja gemeint, da würde sich der Jakob drum kümmern und der Jakob hatte dasselbe gemeint – nur mit dem Fritz am Ende halt. Und das war jetzt ein wenig deppert gewesen, weil man am Sonntag Nachmittag nur noch an der Tankstelle in Sonnberg einkaufen hatte können, aber da gab‘s dann nur noch Grillkohle.
Der Jakob war ganz froh gewesen, dass immer noch so viele Katzen auf der Suche nach ihren pelzigen Spielgefährten und nach gefüllten Futternäpfen um das Bahnwärterhäuschen strichen. Die ließ er nämlich vorkosten, bevor er die Töpfe mit dem Inhalt der Einmachgläser befüllte, um das Essen später in der Kirchenwirt-Küche aufzuwärmen. Weil, wenn etwas fünfzehn, zwanzig Jahre im Keller gestanden hatte, dann könnte es schon sein, dass was nicht mehr ganz frisch wäre, wusste er.
Keiner Katze war schlecht geworden. Und was für eine Katze gut wäre, könnte auch für den Frauenbund recht sein, war er sich sicher. Nur das Beerenkompott wollten die Katzen nicht probieren. Das lag jetzt aber weniger am Kompott, als vielmehr an den Katzen. Weil so eine Katze, die mag ja von Natur aus ein Kompott lieber nicht.
***
Die Knödel waren ihm nicht ganz rund geraten, dem Jakob. Eher unrund. Aber geschmeckt haben sie den Leuten, die Semmelknödel. Dazu gab‘s Rindergulasch, Jahrgang 1996. Und die Krautwickerl waren ihm auch ganz gut gelungen, weil er sie ganz langsam aufgewärmt hatte, nachdem er einige Gläser mit der Aufschrift „KRAUTWIGGERL 1998“ auf mehrere Töpfe aufgeteilt hatte.
Die Damen vom Frauenbund und die Herrschaften vom Pfarrgemeinderat waren dann auch recht zufrieden und es wurde ein recht lustiger, langer Abend, weil die Gesellschaft sich arg viel zu erzählen hatte. Nur hin und wieder begann eine der Damen, vor Rührung ein wenig zu weinen und der Pfarrer Wohlfahrt hatte einen rechten Durst und putzte dauernd seine Brille. Sein Blick wäre getrübt von so viel anwesender Schönheit, meinte er mit Tränen in den Augen.
Die Marold Margarete musste nicht weinen. Aber einen rechten Durst hatte sie bekommen. Spät in der Nacht hat sie ihr Mann noch ins Krankenhaus gebracht, weil sie einen rechten Bluthochdruck bekam, wie man dort feststellte. Sie hätte wohl den Marillenlikör nicht so gut vertragen, meinte der Max, ihr Mann.
„Ja, wenn‘s gepasst hat, Fritz, dann helf‘ ich dir gerne mal wieder. Brauchst bloß was sagen, gell!“, meinte der Jakob zum Fritz, nachdem der gesellige Abend zu Ende gegangen war.
„Ja freilich, Jakob, das machen wir. War wirklich gut, was du da gezaubert hast! Die Leut‘ waren recht zufrieden“, lobte der Fritz und freute sich immer noch, dass die Damen nach dem Essen noch recht viel getrunken hatten und auch einige Stamperl Marillenlikör gebraucht hatten. Deshalb fragte er den Jakob, ob er denn nicht Lust hätte, auch dem Stammtisch öfter mal was zu kochen.
Das würde schon gehen, sagte der Jakob, meinte aber, er würde da lieber was machen, was er zu Hause vorkochen könnte, weil das ginge ihm zeitlich besser aus. Dem Fritz war das wurscht, wo der Jakob kochte. Hauptsache war ihm, dass sie einen rechten Durst bekämen, die Herrschaften.
Nicht, dass die Stammtischler ohne einem Essen keinen Durst gehabt hätten, weil ein Stammtisch, wo keiner einen Durst hat, das wäre ja gar kein Stammtisch, sondern ein Trauerspiel. Aber ein paar Bier mehr und einen Bärwurz hinten drauf hat es halt dann öfter gebraucht als vorher. Und von daher kam dann auch das eine oder andere Unwohlsein bei den Stammtischlern. Weil, wer zu viel isst und auch noch zu viel trinkt, dem wird ja leicht einmal ein wenig schlecht am späten Abend. So erklärte sich der Fritz die häufiger gewordenen Spuren unkontrollierter Magenentleerung vor seinem Wirtshaus.
Eines Tages, als der Jakob noch spät mit dem Fritz auf eine letzte Halbe zusammensaß, zeigte er diesem stolz einen Zettel. Es wäre ja besser, wenn alles sein Ordnung hätte, meinte er zum Fritz, der amüsiert im amtlichen Gewerbeschein laß:
„JAKOB TEUFEL, AM BAHNHALT 1, AUGSEE, KOCH“.
So war also der Jakob mit seinen gut gefüllten zweihundersiebenundzwanzig großen und fast ebenso vielen kleineren Gläsern im Keller ein Unternehmer geworden – Dank der Murauer Resi, der Kräuterhexe von Augsee.
„Warum sollt‘ jetzt der Teufel nicht ins Pfarrheim dürfen? Der steckt doch sonst auch überall drin!“
Es war kurz vor Weihnachten, da fragte der Pfarrer Wohlfahrt beim Jakob an, ob er denn nicht die Weihnachtsfeier vom Seniorenkränzchen bekochen möchte. Was ihn recht verwunderte, den Jakob, weil, er war ja noch nie in der Kirche gewesen, seit er in Augsee wohnte. Und mit den Nicht-Kirchgängern mochte der Herr Pfarrer nicht gar so gerne reden, wusste der Jakob von der Trautmannsdorfer Marianne.
Im Pfarrheim würde die Veranstaltung stattfinden, meinte der Herr Pfarrer Wohlfahrt.
„Sie brauchen sich wirklich nur um das Hauptgericht zu kümmern, Herr ... Teufel!“
Fast schauderte es ihn ein wenig, den Herrn Pfarrer, bei dem Gedanken, die Weihnachtsfeier des Seniorenkränzchens in die Hände des „TEUFELS“ zu legen. Auch wenn dieser mit Vornamen Jakob hieß.
„Um Getränke und Nachspeise kümmert sich der Frauenbund. Und auch ums Geschirrwaschen. Da müssen Sie sich gar nicht bemühen, Herr ... Teufel, das wird alles gerne von den Damen gemacht.“
Dann fragte er den Jakob, was dieser denn zum Essen vorschlagen würde.
„Ja, mei, ich hätt‘ da noch ... also ich mein‘, ein Eintopf könnt‘ recht sein, gell? Mit viel Gemüse und Kartoffeln und so halt“, antwortete der Jakob ein wenig zögerlich.
„Wär‘ jetzt auch nicht so arg teuer“, ergänzte er, weil der Herr Pfarrer gerade ein wenig nachdenklich schaute.
„Ja, das ist ja wunderbar! Ganz reizend ist das! Ein schöner bayerischer Gemüseeintopf. Das wird die Herrschaften sicher freuen!“, war der Herr Pfarrer plötzlich recht überschwänglich.
„Gemüseeintopf meinens? Praktisch so ganz ohne Fleisch meinens?“, fragte der Jakob ein wenig entsetzt nach.
„Ja, wissen Sie, Herr Teufel, die Herrschaften sind ja schon älteren Semesters, so siebzig Jahre aufwärts, und da wird ihnen das Fleisch leicht einmal etwas zu zäh. Und es wäre ja schade, wenn das teure Fleisch dann liegen bleiben würde, gell?“, erklärte der Herr Pfarrer Wohlfahrt und meinte weiter:
„Aber wissen Sie was? Machen wir es doch so: eine Hälfte mit und die andere Hälfte ohne Fleisch! Dann können die Damen und Herren sich das selber aussuchen. Würde das gehen?“
„Ja, freilich, Herr Pfarrer, so machen wir‘s.“
***
„Zwanzig, fünfundzwanzig Portionen sollen‘s sein. Nicht zu groß, hat der Pfarrer g‘meint! Dann nehm‘ ich halt mal zehn Gläser, die müssten dann schon reichen“, dachte der Jakob, als er in seinem Keller vor dem großen Regal stand.
Er zählte zehn Gläser PICHELSTEINER, Jahrgang 1991 und 92 ab, öffnete sie, schnüffelte daran und schüttete den Inhalt von fünf Gläsern in einen Plastikeimer. In einen zweiten Eimer entleerte er die anderen fünf Gläser. Dann machte er sich daran, aus dem einen Eimer die grauen Fleischbrocken herauszufischen und sie in den sumpfigen Stampf im zweiten Eimer fallen zu lassen.
„Gut, dass die alte Murauerin recht sparsam war mit dem Fleisch“, dachte er, während er mit den Händen durch die kalte, schlüpfrige Masse strich, um die fasrigen Klumpen zu ertasten.
Schließlich verteilte er eine handvoll Fleischstücke auf zwei Schälchen und ging damit vor die Haustür.
„Miez, Miez! ... Miez, Miez!“, rief er nicht allzu laut in die winterkalte Dunkelheit und es dauerte nicht lange, da schlängelte sich ein grau getigerter Kater erwartungsvoll um sein Bein.
Nachdem der Kater von der Pichelsteiner Fleischeinlage gestärkt war und sich nicht erbrochen hatte, schüttete er noch zwei Flaschen Bier zum Inhalt der Eimer, weil der Murauer‘sche Eintopf über die Jahre doch arg dick geworden war. Und ein wenig Alkohol würde das Mahl sicher leichter verdaulich machen. Er wischte die kleine, rostige Kohlenschaufel an seiner Hose ab und rührte dann langsam damit in der schaumigen Masse, die dabei glucksend blubberte. Schließlich gab er in jeden Eimer eine große Handvoll getrockneter Pilze, die er ganz hinten im Regal in einem Jutesack gefunden hatte.
„Sinnlose Besinnlichkeit macht eh bloß besinnungslos!“
Die Weihnachtsfeier des Seniorenkränzchens begann am nächsten Tag schon am Nachmittag. Weil die Herrschaften vertrugen es nicht gar so sehr, wenn sie recht spät noch was essen würden. So waren bereits um halb sechs Uhr abends die Eintopf-Töpfe leer und die heitere Gesellschaft widmete sich den besinnlichen Weihnachtsliedern, die von einem Herrn und einer Dame des Kirchenchores zum Vortrag gebracht wurden. Der Herr Pfarrer Wohlfahrt hatte ja gemeint, ein Duett würde schon reichen, weil mehrere Sänger, die wären dann doch zu teuer. Nicht, dass sie vom Herrn Pfarrer für ihren Auftritt bezahlt worden wären, aber freies Essen und Trinken, das hätte schon sein müssen.
Der Jakob stand gerade in der Tür zur kleinen Teeküche des Pfarrheims und lauschte dem munteren Plaudern der Gesellschaft. Da trat die Trautmannsdorfer Marianne zu ihm, während sie sich mit einem Tuch die nassen Spülhände trocknete.
„Ganz fein war dein Essen, Jakob!“, lobte sie.
„Ja, dann ist‘s ja recht!“, gab der Jakob lächelnd zurück und wunderte sich gerade ein wenig über die beiden Herren am Tisch gegenüber, die teilnahmslos ins Leere starrten und den Kopf hin und her wiegten. Da kam eine ältere Dame auf ihn zu, deren Gebiss beim Sprechen etwas klapperte, und meinte:
„So schön weich war‘s, das gute Essen! Und so bunt, so schön bunt, gell? Alles ist so schön bunt hier“, blickte sie verzückt um sich und ließ dabei auch die weiße Zimmerdecke nicht aus. Dann erklärte sie weiter:
„Wissens, seit mein Heinz nicht mehr ist, da ess‘ ich ja nicht mehr b‘sonders. Weil für mich allein ..., wissens eh, da lohnt sich das Kochen ja gar nicht mehr.“
Während der Jakob kurz darüber sinnierte, welche Farben neben sumpfigem Sandgrau die gute Frau in ihrem Essen wohl noch gesehen haben mochte, merkte er, wie ihr Tränen in die Augen stiegen. Weinerlich erzählte sie:
„Ach, der Heinz, der war ja ... wissens, ... ich seh‘ ihn grad wieder ganz deutlich vor mir, wie er so tot dag‘legen hat.“
„Ist schon recht, Christl, jetzt lass mich mal ein paar Worte mit dem Herrn Teufel reden, gell?“, schob der Pfarrer Wohlfahrt die alte Dame beiseite, die mit gesenktem Blick kopfschüttelnd zur Tür hinaus schlich: „Alles so schön bunt und so traurig“, murmelte sie vor sich hin.
Der Pfarrer Wohlfahrt bedankte sich beim Jakob für dessen Dienste, bevor er sich anschickte, die Feier zu verlassen. Unaufschiebbare Dinge würden seiner harren, entschuldigte er sich bei der Gesellschaft und der Jakob meinte, kurz ein geistliches Magenknurren vernommen zu haben.
„Hat wohl keinen Eintopf gemocht, der Herr Pfarrer!“, flüsterte der Jakob der Marianne verstohlen zu, wusste nicht, dass im Pfarrhaus gerade jetzt ein saftiger Hirschbraten auf den Herrn Pfarrer wartete.
Zwei Tage später war die alte Christl verstorben. Das Herz wäre ihr stehen geblieben, hieß es im Dorf, weil sie sich plötzlich gar so gegrämt hätte über den Tod von ihrem Heinz, der vor fast zwanzig Jahren gestorben war. Einer seiner Mastbullen hatte ihn versehentlich an der Stallwand zerquetscht.
„Bei der Feuerwehr, da geht‘s ja öfter mal heiß her!“
Jakob stand nachdenklich vor seinem Kellerregal. Der Fritz hatte ihn gebeten, für die Augseeer Feuerwehr zu kochen. Also nicht für den ganzen Feuerwehrverein, sondern nur für die aktiven Feuerwehrler und ein paar altgediente Ehrenmitglieder – wie den Schwanniger Herbert. Der Herbert war ja mit seinen über fünfundachtzig Jahren schon zu alt, um noch bei den Einsätzen mitzufahren. Aber essen mochte er immer noch ganz gerne und der Bärwurz schmeckte ihm auch noch recht.
Das „MANNSCHAFTSESSEN“ gab‘s zweimal im Jahr bei der Freiwilligen Feuerwehr und in diesem Frühjahr sollte der Jakob das Essen machen, wenn sich der Trupp beim Kirchenwirt treffen würde.
„Dreißig, vierzig Mann und Anhang dazu“, murmelte der Jakob vor sich hin. „Dann werden das ja gleich mal sechzig, siebzig Leut‘“, staunte er.
***
Der Jakob hatte sich ein paar größere Eimer zugelegt. Diese Investition musste schon sein, wo doch die Portionen immer mehr wurden, die er anzurichten hatte.
Glucksend und schmatzend erbrach sich der Inhalt der Gläser in die neuen Plastikeimer, als er die Krautwickerl aus den großen Einmachgläsern in einen davon plumpsen ließ, in einem anderen Rinder- und Schweinegulasch mischte und in wieder einen anderen die breiige, braune Tomatensoße schüttete.
In den Nachtisch-Eimer kippte er den Inhalt von sechzehn Kompottgläsern. Himbeeren, Heidelbeeren, auch Kirschen konnte er erkennen und Zwetschgen waren auch dabei. Und ein paar andere Beerenfrüchte, die er gerade nicht so genau kannte, passten farblich auch recht gut dazu. Während er die Masse im Eimer vorsichtig vermischte, musste er an Blutwurst denken und meinte, es dürfte ruhig etwas mehr sein. So schüttete er noch ein paar Gläser von den dunklen großen Beeren dazu. Dann schmeckte er sein buntes Fruchtkompott mit einer Flasche Marillenlikör ab, süßte noch ein wenig nach und war zufrieden mit seiner Nachspeise.
„Seltsam ist, was selten ist!“
Bei seiner Begrüßungsrede zum Mannschaftsessen der aktiven Feuerwehrler war der Bürgermeister Haberecht voll des Lobes über die Arbeit der Freiwilligen Feuerwehr Augsee.
Ganz toll wäre das alles, meinte er, und wenn‘s wirklich mal wieder brennen würde, hier in Augsee, dann wäre man mit so einer pfundigen Feuerwehr auch auf der sicheren Seite, erfreute er die Leute, die das recht gerne hörten.
Zum Löschen hatten die Augseeer Feuerwehrler ja nicht so viel. Der letzte Brand im Gemeindegebiet, der lag ja schon einige Jahre zurück. Da hatte der alte Dorfner Max in seinem Heuschober wieder einmal eine Zigarre geraucht. Heimlich. Weil, seine Bruni hatte ihm nach seinem Schlaganfall das Rauchen verboten und deshalb hatte er immer heimlich im Heuschober geraucht. Ja, und irgendwie war‘s an jenem Tag etwas saudumm hergegangen, weil er wahrscheinlich zu viel geraucht und auch zu viel getrunken hatte. Jedenfalls hatte man ihn mit einer Bärwurzflasche in der verkohlten Hand gefunden, nachdem der Heuschober abgebrannt war. Es war kein schöner Anblick gewesen. Weil das gibt ja eine rechte Sauerei, wenn so eine verkohlte und von herabstürzenden Balken zerschmetterte Leiche in einer riesigen Pfütze Löschwasser vor sich hin dampft.
Der Rest des Samstagabends wurde dann recht lustig und auch recht lang. Nachdem viel gegessen und noch mehr getrunken worden war, da wurde die Stimmung immer heiterer und bald auch ein wenig seltsam.
„Du, Jakob, dein Essen war ja wirklich gut. Und dein Kompott, ja so ein Kompott hab ich ja noch gar nie g‘habt, weil ich eigentlich gar kein Kompott nicht mag, weißt? Das war ja fast wie ein Rumtopf“, lachte der Behringer Franzl, als er den Jakob für sein Essen lallend lobte. „Aber ein bisserl viel Körner hat‘s g‘habt, dein Kompott!“
Dann nahm der Franzl, Kommandant der Freiwilligen Feuerwehr Augsee, den erstaunten Jakob in den Arm und begann vor Rührung zu weinen.
Auch der Bürgermeister Haberecht war noch recht lange geblieben mit seiner Frau, der Rosmarie, die wohl auch schon etwas zu viel Marillenlikör gehabt hätte, vermutete der Jakob. Mit hochrotem Gesicht ging sie wackelig auf den Jakob zu und verfehlte ihn um einen halben Meter, als sie ihm ihre ausgestreckten Arme um den Hals legen wollte. Beim zweiten Anlauf erwischte sie ihn jedoch und er spürte, wie sich ihre Fingernägel in seinen Nacken bohrten, während sie ihm etwas zu sagen versuchte. Was aber nicht recht funktionieren hat wollen, weil ihr irgendwie gerade die Worte fehlten. Daher begann sie, dem Jakob sein Gesicht über und über abzubusseln. Und der Bürgermeister Haberecht stand daneben und kicherte glucksend.
„Sag einmal Jakob, war dein Essen denn so scharf, oder was? Die saufen ja wie die Löcher!“, war der Fritz erstaunt, dass immer mehr immer schneller getrunken wurde. Es war bereits weit nach Mitternacht und der Fritz wollte langsam schließen, aber die Gesellschaft dachte gar nicht daran, nach Hause zu gehen.
Kaum jemand saß an seinem Platz, vielmehr torkelten die Leute im Saal umher, plapperten kreuz und quer aufeinander ein, ohne sich zuzuhören, umarmten sich immer wieder und weinten zwischendurch auch ein wenig.
„Merkwürdig! Ganz merkwürdig, wie die sich alle aufführen. Da schau, der Rosenhuber Rudi hat gar seine Hose ausgezogen!“, meinte der Jakob überrascht zum Fritz, während die beiden in der Tür standen und das Treiben im Raum beobachteten.
Der Rosenhuber Rudi schlug mit seiner ausgezogenen Hose peitschend auf Tische, Stühle und auch den Boden ein, ganz so, als wolle er ein grausliges Ungeziefer erschlagen. Zwischendurch schnappte er sich das nächststehende Glas vom Tisch und leerte es in einem Zug.
Die Haberecht Rosmarie und ihr Mann, der Herr Bürgermeister, saßen am Tisch und begannen plötzlich mit ihren Getränken zu gurgeln. Die Rosmarie mit ihrem Mineralwasser und der Helmut mit seinem Weißbier, das ihm aus dem offenen Mund schäumte, als hätte er die Tollwut.
„Ich weiß jetzt auch nicht so recht, aber meinst nicht, wir sollten jetzt mal schauen, dass sie nach Hause gehen? Die sind ja alle wie toll, die Leut‘!“, meinte der Fritz etwas unbehaglich zum Jakob.
„Auf jeden Fall kriegens jetzt nichts mehr zum Trinken, dann werdens schon gehen!“, beschloss er und sah auf die Uhr. Drei Uhr morgens war es bereits.
„Heini! Du liebe Zeit! Da schau! Da steht ja ein Ochs‘ hinter‘m Tisch!“, schrie plötzlich die Waltraud ihrem Mann, dem Heudobler Heini, deutend zu. Der schaute sich um, sah aber nur den Bürgermeister Haberecht mit seiner Rosmarie am anderen Ende des Tisches sitzen und meinte lallend:
„Wwoo mmeinnns‘ jez‘?“
„Oder ist das gar ein Rhinozeros?“, plärrte die Waltraud entsetzt weiter und verschanzte sich duckend hinter dem Jakob, der neben dem Fritz stand und wortlos nach einem Rhinozeros Ausschau hielt.
„Manchmal ist man eben nicht ganz da, wenn man grad‘ nicht kann!“
Am frühen Sonntagmorgen hatte sich die wüste Feuerwehr-Gesellschaft endlich zum Schlafe gebettet. Nur der alte Schwanninger Herbert nicht. Den fand der Fritz erst später beim Aufräumen unter einem der Tische. Der Schwanninger Herbert selber wusste aber nicht, dass er dort lag, weil er war wohl verstorben, sonst hätte er noch gelebt.
Der Fritz, der war dann ein wenig verärgert über den traurigen Vorfall, denn jetzt würde er wieder das G‘schiss haben, meinte er. Aber es ging dann eh alles ganz schnell, weil der Doktor Maurer, den der Fritz zu Hilfe gerufen hatte, der wusste ja gleich, dass man in so einem Alter schnell mal daran sterben könnte, am Alter.
Es war gegen Mittag, als der Sirenenalarm Augsee aus der sonntäglichen Ruhe riss und die angeschlagenen Feuerwehrler aus dem Schlaf. Was aber gerade jetzt ein wenig deppert war.
Der Rosenhuber Rudi war der Erste, der am Feuerwehrhaus ankam und eine rechte Mühe hatte, das Tor zur Fahrzeughalle aufzusperren, weil er das Schloss nicht traf mit seinem Schlüssel. Währenddessen preschte der Behringer Franzl auf seinem Fahrrad heran und verfing sich damit im Gestell des Schaukastens, der links neben der Feuerwehrausfahrt stand.
Als etwas später der Heudobler Heini beim Gerätehaus ankam, war der Rudi schon dabei, das Löschfahrzeug aufzuschließen, was ihm ebensolche Mühe machte, wie zuvor das Aufsperren des Tores. Der Heini blieb vor dem offenen Tor stehen und blickte ungläubig in die Fahrzeughalle: Der Boden war verschwunden! Stattdessen sah er den Rudi inmitten von tosend gischtendem Wasser stehen, welches jenen mit immer höher werdenden Wellen zu verschlingen drohte. Der Heini trat erschrocken eine paar Schritte zurück, als eine Welle durch das Tor hinaus auf ihn zubrandete. Dann begann er heftig zu weinen und der Franzl versuchte derweil, seinen Spind aufzusperren, konnte jedoch die Zahlen am Zahlenschloss nicht entziffern.
Der Rosenhuber Rudi hatte von dem ganzen Wasser und den Wellen nichts bemerkt und seine Hosenbeine waren auch nicht nass. Und dem Behringer Franzl wäre es im Moment eh wurscht gewesen, wenn er nass geworden wäre, weil er sich gerade recht über das Schloss an seinem Spind ärgerte. Aber er war ohnehin ebenso trocken geblieben, weil der Heini sich wohl getäuscht hatte, mit all dem Wasser und so.
Nachdem der Franzl sich endlich hatte umziehen können und der Rudi die Fahrertür des Löschfahrzuges geöffnet hatte, war der Heini auch mit dem Weinen fertig geworden.
„Ich glaub‘, da kommt keiner mehr!“, sagte der Behringer Franzl eine Weile später zum rastlos umher wandernden Rudi und zum am Boden kauernden Heini. „Zu dritt brauch‘n wir gar nicht ausrücken!“, meinte er.
„Und überhaupts regnets ja eh schon wieder“, stellte der Franzl fest und der Rudi und der Heini schauten mit schmerzend geblendeten Augen in den sonnigen Frühlingshimmel hinauf und wunderten sich ein wenig.
Der Brand war in der Nachbargemeinde, in Kirchhof, ausgebrochen. Im obersten Geschoss eines vierstöckigen Wohnhauses verstarb ein alter Herr an Rauchvergiftung. Seine Frau hatte sich noch auf den Balkon gerettet, den sie aber dann hinuntergestürzt war. Was sie aber nicht mehr gemerkt hätte, weil wenn sie nicht bewusstlos geworden wäre, dann wäre sie eh nicht hinuntergestürzt, wusste der Feuerwehrkommandant der Kirchhofer Feuerwehr zu berichten, während er auf den zerschmetterten Körper zu seinen Füßen hinunterblickte, der ihn ein wenig an geplatzte Blutwurst erinnerte.
Es war dann auch gar keinem aufgefallen, dass die Augseeer Feuerwehr nicht zugegen war. Und es hätte sich eh nicht gelohnt, wenn noch ein weiterer Spritzenwagen im Einsatz gewesen wäre, weil die vierte Etage ohnehin ausreichend überschwemmt war.
„So ein Rausch hat ja meistens keinen Sinn. Aber einen Grund hat er meistens schon!“
Der Herr Doktor Maurer war ein wenig verwundert, als am Montagmorgen die halbe Augseeer Feuerwehr – teils mit Ehefrauen – in seinem Wartezimmer versammelt war. Hochrote Köpfe leuchtetem dem Augseeer Allgemeinarzt entgegen, als er sich nachdenklich umsah im überfüllten Raum. Er wusste noch nicht, dass der Herr Bürgermeister samt Gattin bereits vom Notarzt ins Krankenhaus gebracht worden waren.
Der Heudobler Heini saß auf einem Stuhl in der Ecke und blickte gebannt auf ein Bild an der Wand gegenüber. Der darauf abgebildete Hirsch mit seinem mächtigen Geweih machte ihm gerade etwas Angst.
Der Rosenhuber Rudi lief nervös auf und ab, stieß sich dabei mehrfach das Schienbein am Kinder-Lesetisch, der inmitten des kleinen Warteraumes stand.
Der Behringer Franzl hatte Tränen in den Augen, weswegen der Schuhmacher Markus unaufhörlich kicherte, während die Heudobler Waltraud apathisch ins Leere blickte.
Auch das Verhalten der restlichen Patienten schien ihm seltsam, dem Herrn Doktor Maurer, da sprang der Heudobler Heini von seinen Stuhl auf und schrie:
„Hörts auf! Halts an, halts doch endlich an! ... Ich möcht‘ aussteigen! Auf der Stell‘ möcht‘ ich aussteigen!“
Der Doktor Maurer nahm den Heini in den Arm und fragte in die Runde:
„Ja, sagts einmal! Was ist denn mit euch los?“
Im wüsten Chor schallte es ihm entgegen: „Uns geht‘s gar nicht gut!“
Nur der Schuhmacher Markus rief laut dazwischen: „Mich hat meine Frau g‘schickt, weil‘s mir sooo gut geht!“ und begann sogleich hysterisch zu lachen und durch den Raum zu tanzen.
Gleich darauf begann ein wildes Plappern. Der Doktor Maurer machte ein paar Schritte durch das Wartezimmer blickte jedem tief in die Augen, ließ sich die eine oder andere klumpige Zunge zeigen, fühlte hier und da den Puls und meinte dann laut:
„Wissts ihr was? ... Ihr seids ja alle high! Im Drogenrausch seids ihr!“
Das Plappern hörte auf.
„Ein bisserl krank ist ja nicht gleich ungesund!“
Manchmal haben die Dinge ja recht verwirrende Namen. Die Weißwurst zum Beispiel, die heißt zwar Weißwurst, dabei weiß sie auch nicht mehr als eine Knackwurst. Sie ist halt nur weißer. Ja, und die Tollkirsche ist eben auch nicht eine besonders tolle Kirsche. Sie macht einen halt nur toll. Jetzt weniger vom Ausschauen her, sondern mehr vom Durcheinander im Hirn her gesehen.
Der Doktor Maurer hat sie ja gleich erkannt, die Tollkirschen im Beerenkompott, als ihm der Jakob tags darauf ein paar Gläser davon auf den Tisch gestellt hatte. Und zum Inhalt der unbeschrifteten Gläser meinte er entsetzt:
„Ja, Herr Teufel, das sind ja durch und durch nur Tollkirschen! Schauens her da: schwarze, kirschgroße Beeren mit ganz vielen Körnern. Ein wenig verkocht zwar, aber gut zu erkennen. Ja, du liebe Zeit, was da hätt‘ passieren können!“
Wo er die denn her hätte, fragte er den Jakob, der antwortete:
„Ja, mei, gell! Von der ... Dings, ... von der Oma halt hab ich das Kompott. Und die Schwammerl auch.“
Ein wenig aufgeregt fuhr er fort:
„Wissens Herr Doktor, ich hab mir da nichts dabei gedacht. Hab halt g‘meint, das wären feine Beeren, wo‘s doch so schön ausg‘schaut haben, im Glaserl, gell? Das ist mir jetzt alles recht zuwider. Ich wollt‘ doch niemandem was Böses, wissens, wie ich mein‘?“
„Ist schon recht, Herr Teufel, aber die Beeren müssens schleunigst entsorgen! Nicht, dass noch wer zu Schaden kommt!“
***
Ein paar Tage später, nachdem die Herrschaften wieder bei Sinnen waren, lud der Bürgermeister Haberecht zur vertraulichen Aussprache ins Rathaus ein. Man müsse gemeinsam entscheiden, was man denn nun unternehmen sollte, wegen dem Jakob.
Drei Tage könne so ein Tollkirschen-Rausch anhalten, wenn man nicht gerade vorher stirbt, erklärte der Doktor Maurer.
Bei fünf, sechs Beeren mag‘s ja noch gehen. Erweiterte Pupillen, einen recht trockenen Mund, hohen Puls und Sehstörungen, vielleicht auch schon ein wenig Herzrhythmusstörungen könnt‘s da geben. Und Weinkrämpfe, Rededrang und mehr oder weniger lustige Halluzinationen wären da auch ganz normal, meinte der Herr Doktor. Aber ab zehn, zwölf Beeren hätte es leicht der letzte Rausch gewesen sein können.
Es blieb eine Weile still im Sitzungssaal des Augseeer Rathauses, weil gerade alle ein wenig nachdachten.
So schlimm wäre es jetzt auch nicht gewesen und so ein kleiner Drogenrausch wäre ja auch mal ganz interessant, war das Resümee der Denkpause. Schließlich könnte einem so was schon mal passieren, wenn man sich nicht so genau mit den Beeren auskenne, war die Meinung.
„Da kann einer gar nicht recht was dafür, wenn‘s anderen schlecht wird!“, stellte der Rosenhuber Rudi fest.
„Aber sind wir jetzt gar alle süchtig?“, warf die Haberecht Rosmarie sorgenvoll ein.
„Aber gehns, Frau Bürgermeister, natürlich nicht!“, versicherte ihr der Doktor Maurer und meinte lachend, da müsste man schon noch öfter solche Räusche haben.
„So, wie ich das seh‘, ist ja niemandem was Schlimmes passiert!“, fasste der Bürgermeister schließlich zusammen, weil, beim Schwanninger Herbert, da hätte man ja ohnehin nicht genau gewusst, ob der überhaupt ein Kompott gegessen hatte oder einfach schon zu alt zum Weiterleben gewesen wäre.
„Ja, und bei der Frauenbundversammlung könnt‘s leicht der Marillenlikör g‘wesen sein, dass die ganze Bagage so aufgekratzt g‘wesen ist und der einen oder anderen ein wenig schlecht g‘worden ist, gell, Herr Doktor?“, richtete sich der Heudobler Heini fragend an den Doktor Maurer.
„Da waren ja auch viel weniger Tollkirschen drin, weil der Herr Teufel da keine von den Extragläsern reingemischt hat“, wusste der Doktor.
„Und der Marold Margarete geht‘s ja auch längst wieder gut, nach ihrem Bluthochdruck“, meinte der Heini.
„Was war aber jetzt beim Seniorenkränzchen vom Pfarrer?“, fragte der Bürgermeister Haberecht den Doktor Maurer.
„Da waren‘s wohl die Schwammerl!“, wusste der, „Weil da hat‘s ja gar kein Kompott gegeben. Aber der Herr Teufel hat mir erzählt, dass er getrocknete Schwammerl reingetan hat ins Essen.“
„Was war‘n denn das für Schwammerl?“, fragte der Bürgermeister weiter.
„Bei den Schwammerln kenn‘ ich mich jetzt nicht so aus. Aber g‘sund ist so ein giftiger Schwammerl auf gar keinen Fall!“, erklärte der Doktor, woraufhin der Behringer Franzl meinte, ob denn das Dahinscheiden von der alten Christl von den Schwammerln hätte kommen können?
„Ja mei, was G‘wiss‘s weiß man nicht, gell?“, zuckte der Doktor Maurer mit den Schultern.
***
Der Jakob war schließlich ganz froh, dass er künftig kein Koch mehr sein musste. Das alles war ihm ohnehin schon zu viel Arbeit geworden. Und als Pensionär hätte man ja auch was anderes zu tun, als immer nur zu kochen, meinte der Jakob zum Bürgermeister Haberecht und zum Doktor Maurer, als diese ihm erklärten, dass jetzt eine Ruh‘ sein müsste mit der Kocherei für Augsee. Was der Jakob auch hoch und heilig versprach.
Nur hin und wieder, wenn es an seiner Tür klopfte und man ihn leise und verstohlen fragte:
„Hast vielleicht noch ein bisserl ein Kompott, Jakob?“, dann machte der Jakob auch mal eine Ausnahme.