Читать книгу Achtundvierzig Briefe von Johann Gottlieb Fichte und seinen Verwandten - Johann Gottlieb Fichte - Страница 2
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ОглавлениеHerzliebster Vater
Euren Brief habe ich erst heute, als den 1 Aprill erhalten. Ich habe bisher mit Schmerzen gewartet, und fast vor Freuden wurde ich außer mir als ich hörte es sey ein Brief an mich da, denn ich glaubte gewiß daß etwas darinn seyn würde. In etlichen Tagen ist der Examen aus welcher 14 Tage währet, und wo wir verschiedene Sachen ausarbeiten müßen, die nach Dreßden geschickt werden. Wir bekommen auch übermorgen die Censuren, da wir entweder wegen unseres Fleißes gelobt oder wegen unserer Faulheit gescholten werden. Dieses wird nun alles nach Dreßden in die Regierung berichtet. Da ich nun gewiß weiß daß ich ein sehr gutes ja fast das beste Lob bekommen werde, so kostet mich doch auch dieses entsetzlich Geld. Denn es ist hier die fatale Gewohnheit daß wer eine gute Censur bekommt den 6. Obersten in seiner Claße und 5. Obersten am Tische jeden ein ganz Stück Kuchen kauffen muß welches 1 Gr. 3 Pf. kostet also zusammen 13 Gr. 9 Pf. Ob ich nun gleich dieses Examen 5 Gr. 6 Pf. verdient habe, so bleibt doch noch 8 Gr. 3 Pf. welche mir auch schon mein Ober-Geselle ein sehr hübscher Mensch, geborgt hat. Doch was ich übrigens verdiene langt kaum zu den vielen Waßer Krügen welche man hier kaufen muß, denn die Untersten müssen Wasser holen, und mausen sich einander die Krüge dazu ganz entsetzlich welches ich aber nicht thun kann, denn es ist und bleibt gestohlen. Doch bey allen diesen kümmerlichen Dingen danke ich doch noch Gott daß ich keine Schulden als die vorhinerzählten 8 Gr. 3 Pf. habe. Daß es Euch mein lieber Vater sehr schwer fallen werde, glaube ich wohl, doch sollte ich denn nicht noch so ein gutes Andenken bei meinen Freunden haben. Mein unschickliches Verhalten wegen des Briefes an Herrn Boden, glaube ich durch beygelegten Brief gut zu machen. An zwey Personen aber kann man auf einmal einen Brief nicht schreiben. Doch noch eins, was schreibt ihr mir denn von 6. Geschwistern, ich habe gerechnet und gerechnet, bringe ihrer aber nur 5. heraus. Ihr schreibt mir von Strumpfbändern, ich weiß aber wohl nicht, ob es gut gethan seyn würde, denn leider fragt man hier nicht so viel nach dergleichen Sachen als nach Geld, ich würde auch noch dazu entsetzlich ausgehöhnt werden, wollt ihr mir aber so gut seyn und mir ein paar schicken, so wird es mir sehr angenehm seyn, nicht allein weil ich sie sehr nothwendig brauche, sondern weil es mir auch ein sehr angenehmes Andenken an Euch verschaffen würde. Ich habe weil ich hier bin eine beständige Gesundheit gehabt. Grüßt meine liebe Mutter mein Geschwister und besonders Gottloben und sagt ihn er solle mir doch schreiben. Ich würde ihm auch schreiben, wenn es jetzo im Examen die Zeit litte. Lebet wohl.
P. S. Warum denn aber zur Oster Meße ihr könnt mir eure Brieffe immer auf der Post unfrancirt schicken, denn das bezahl der Hr. Rector
Pforte d. 1 Aprill 1775
Johann Gottlieb Fichte
Wer der im Briefe erwähnte Herr Boden sei, dafür finde ich keinen Anhalt. Der erwähnte Obergesell war der spätere Generalsuperintendent in Riga Karl Gottlob Sonntag, dessen Aufsicht er übergeben wurde, weil er die Behandlung seines ersten Obergesellen nicht länger ertragen mochte (I, 12. 14. f.). Die Zahl der Geschwister, über deren Vermehrung Fichte sich wundert, betrug überhaupt sieben, wie mir mündlich mitgetheilt worden; es waren sechs Brüder und eine Schwester.