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Kapitel 1

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Aus Albanien / Bulgarien, Serbien und Kroatien

Einleitung

Der Titel »Balkanmärchen« entspricht nicht ganz dem

geographischen Gebiet, aus dem die Märchen dieses

Bandes stammen. Es fehlen darin von den Völkern

der Balkanhalbinsel die Griechen, Aromunen (Zinzaren,

Mazedowlachen) und Türken, und mit der Aufnahme

von Märchen aus Kroatien wird die Balkanhalbinsel

überschritten. Enthalten sind in diesem

Bande also nur s e r b o k r o a t i s c h e , b u l g a r i -

s c h e und a l b a n i s c h e Märchen.

Eine Auswahl aus den Märchen der Serbokroaten,

Bulgaren und Albaner so zu treffen, daß für jedes

Volk etwas dem Stoffe oder der Form nach Eigentümliches

herauskommt, ist kaum Möglich. Die Völker

der Balkanhalbinsel grenzen eng aneinander, die

Sprachgrenzen durchkreuzen sich z.T. so, daß Wanderungen

der Märchen von einem Volk zum andern

notwendig stattfinden müssen. In Mazedonien z.B.

wohnen Bulgaren, Serben, Albaner, Aromunen, Griechen

und Türken neben- und durcheinander. Zweiund

mehrsprachige Menschen gibt es daher eine große

Menge; solche vernehmen Erzählungen in einer ihnen

geläufigen Sprache und erzählen sie weiter in einer

ihnen ebenso bekannten, in deren Gebiet die Märchen

dann weiter von Mund zu Mund verbreitet werden.

Dazu kommt, daß die Bekenner des Islam unter den

Serben, Bulgaren und Albanern in enger Verbindung

mit ihren orientalischen Religionsgenossen stehen,

und daß ein islamitisches Volk, die T ü r k e n , ein

halbes Jahrtausend auf der Balkanhalbinsel geherrscht

hat. Dadurch ist der orientalische Märchenschatz dorthin

gelangt. Das zeigt sich häufig noch in der Beibehaltung

türkischer Wörter und in der orientalischen

Färbung? was Sitten und Lebensanschauungen betrifft.

Neben diesem mächtigen Einfluß kommen aber

noch andre Beziehungen in Betracht. Aus dem südlichen,

g r i e c h i s c h e n Teil der Balkanhalbinsel

sind Märchen nach dem Norden gekommen, und die

Serbokroaten von der Adriaküste Dalmatiens und

Kroatiens standen jahrhundertelang in Berührung mit

I t a l i e n ; Zweisprachigkeit, italienisch und serbokroatisch,

ist daher in Dalmatien, namentlich auf den

Inseln, ganz gewöhnlich. Ferner macht sich bei den

kroatischen Märchen d e u t s c h e r Einfluß bemerkbar,

z.T. vermittelt durch die Slowenen der Steiermark,

Kärntens und Krams, die in unmittelbarer Berührung

mit Deutschen wohnen. Endlich machen sich

auch noch madjarische und rumänische Einflüsse geltend.

So ist ein außerordentlich buntes Gemisch von

Märchenstoffen entstanden, aus dem man kaum einen

besonderen Besitz der einzelnen Völker auszuschei-

den vermag. Auch kann man nicht sagen, daß die Erzählungsweise

des einen Volkes von der des andern

auffallend verschieden sei. Wer die Sprachen kennt,

empfindet freilich die Unterschiede, die in deren Phraseologie

und Satzbildung liegen und sozusagen eine

verschiedene Tonart darstellen, allein in der Übertragung

ins Deutsche kann das nicht wohl herauskommen.

Bei der Übersetzung habe ich mich bemüht, möglichst

getreu die Originale wiederzugeben; freilich

wird dabei manches Überflüssige mit übersetzt. Die

Erzählungsweise ist öfter außerordentlich weitschweifig.

Kürzt man, so geht die ursprüngliche Art und

Weise leicht ganz verloren; ich habe daher nur hier

und da gar zu lange buchstäbliche Wiederholungen

durch kürzere Wendungen ersetzt. Die Beibehaltung

einzelner Wörter aus den Sprachen der Vorlagen beruht

auch auf dem Bestreben, nichts Fremdartiges in

die Übersetzung hineinzubringen. Darum ist z.B. Zar

beibehalten; die südslawischen Volkssprachen haben

ursprünglich eigentlich kein Wort für König, sondern

Zar deckt unser Kaiser und König. Aber Kaiser würde

im Märchen nicht ganz passend sein, da Zar auch den

Sultan bedeutet und der Märchenzar oft Sultanszüge

trägt; König geht noch weniger, denn der Zar entspricht

nicht dem deutschen Märchenkönig. So habe

ich in der Regel das Wort König nur angewendet, wo

ausdrücklich der slawische Ausdruck dafür steht

(kralj).

Der wissenschaftliche Kommentar beschränkt sich

auch hier wie im früher erschienenen Bande russischer

Volksmärchen auf die notwendigsten Hinweise,

die es dem Leser ermöglichen, die Zugehörigkeit des

betreffenden Stückes zu einem bestimmten Überlieferungskreise

festzustellen. Diese vergleichenden Anmerkungen

rühren von Dr. A u g u s t v. L ö w i s o f

M e n a r her, die erklärenden vom Übersetzer.

Leipzig, im Mai 1915

A u g u s t L e s k i e n

1. Das kluge Mädchen wird Zarin

Einmal gab ein Zar den Befehl: wer den und den Stein

schlachtet, daß das Blut davon fließt, den will ich

zum Ersten meines Reiches machen.

Von allen Seiten kamen wackre Burschen herbei,

aber keiner konnte den Stein schlachten; sie fanden es

nur wunderlich, wie man überhaupt einen Stein

schlachten könne. In einem Dorfe gab es ein sehr

wackres Mädchen, sie hütete die Schafe. Als sie

davon hörte, verkleidete sie sich als Mann, ging zum

Zaren und sagte zu ihm: »O Zar, ich kann den Stein

schlachten.« Überallhin ging das Gerücht, es habe

sich ein Mensch gefunden, den Stein zu schlachten,

und zahllose Leute sammelten sich, um zu sehen, wie

der das machen wird.

Als der Tag kam, an dem das Mädchen den Stein

schlachten sollte, zogen der Zar und alle Vornehmen

aus der Stadt auf einen freien Platz, und dort vor aller

Augen sollte das Mädchen ihn schlachten. Das Mädchen

zog das Messer, um den Stein zu schlachten,

wandte sich zum Zaren und sagte: »Zar, du willst

doch, daß ich den Stein schlachten soll. So gib ihm

vorher eine Seele (Leben), und wenn ich ihn dann

nicht schlachte, nimm meinen Kopf.«

Der Zar wunderte sich über diese Antwort und

sagte: »Du bist der Klügste in meinem Reiche, und

ich will dich zum vornehmsten Manne machen; wenn

du mir aber noch das vollbringst, was ich dir sagen

werde, so sollst du mir wie ein Sohn sein.« Das Mädchen

sprach: »Sage, Zar, was du sagen willst, und

wenn es möglich ist, will ich mich bemühen, es zu

vollbringen.« Der Zar sagte ihr: »Von jetzt an in drei

Tagen sollst du wieder vom Dorfe hierher kommen.

Wenn du kommst, sollst du reiten und nicht reiten,

sollst mir ein Geschenk bringen und nicht bringen;

alle, groß und klein, wollen wir herauskommen und

dich empfangen, und du sollst die Leute dahin bringen,

daß sie dich empfangen und nicht empfangen.«

Die Hirtin ging nun in ihr Dorf und gab den Bauern

den Auftrag, drei vier Hasen und zwei Tauben lebendig

zu fangen. Die Bauern taten das.

Am dritten Tag, als sie zu dem Zaren gehen sollte,

steckte sie die Hasen je einen in einen Sack, gab sie

den Bauern zu tragen und sagte: »Wenn ich euch

sage, ihr sollt sie loslassen, dann laßt sie los.« Sie

selbst nahm die beiden Tauben, setzte sich rittlings

auf eine Ziege und machte sich auf zu dem Zaren; einige

Leute hatte sie vorausgeschickt, ihm anzuzeigen,

daß sie komme.

Als der Zar das hörte, zog er aus der Stadt, sie zu

empfangen mit allen Vornehmen und zahllosen Stadtleuten.

Als nun das Mädchen nicht mehr weit von

dem Zaren war, sah sie die Menge Menschen, die herausgekommen

waren, sie zu empfangen, und als sie

ihnen nahekam, befahl sie den Bauern, vor den Augen

der Leute die Hasen loszulassen. Sobald die das

sahen, rannten sie fort, die Hasen zu fangen.

Die Hirtin, die rittlings auf der Ziege saß, ging bald

zu Fuß, die Ziege zwischen den Beinen, bald hob sie

die Füße auf und ritt auf der Ziege.

Als sie zu dem Zaren hintrat, zog sie die beiden

Tauben aus dem Busen und reichte sie ihm hin. In

dem Augenblick, wo er die Hand ausstreckte, die

Tauben zu nehmen, ließ sie sie aus der Hand, und die

Tauben flogen weg.

Da sagte die Hirtin zu dem Zaren: »Du siehst, Zar,

die Leute haben mich empfangen und nicht empfangen;

ich bin geritten und nicht geritten; ich habe dir

ein Geschenk gebracht und nicht gebracht.« Da sagte

ihr der Zar: »Von heute an sollst du mir wie ein Sohn

sein.« Sie aber flüsterte ihm ins Ohr: »Ich bin kein

Bursche, ich bin ein Mädchen.« Der Zar, der nicht

verheiratet war, nahm sie zur Frau. Und so wurde die

Hirtin durch ihre Klugheit Zarin.

2. Der geizige Zar und sein mitleidiger Sohn

oder: Die gute Tat geht nie verloren

Es war einmal ein Zar, ein großer Geizhals, der hatte

einen Sohn, und als dieser erwachsen war, gab er ihm

eine Saumlast Gold und schickte ihn fort samt dem

Wesir, um noch mehr zu erwerben; nach drei Jahren

sollte er drei Lasten zurückbringen; wenn nicht,

würde er ihm den Kopf abschlagen.

Sie gingen nun in ein anderes Reich, und als sie in

eine Stadt kamen, sahen sie, wie man einen Menschen

mit zusammengebundenen Füßen die Straßen entlangschleifte,

und fragten: »Was hat dieser Mensch böses

getan, daß man ihn so mißhandelt?« Die antworteten

ihm, das sei bei ihnen Sitte; wenn einer gestorben sei,

binde man ihm die Füße zusammen und schleife ihn

vor die Stadt hinaus, jeder helfe ein wenig, als Seelenopfer

für den Toten. Der Zarensohn, der sehr mitleidig

war, kaufte ihn los, richtete eine Bahre her, führte ihn

hinaus vor die Stadt, bereitete ein Grab, begrub ihn

und veranstaltete einen Totenschmaus, ohne auf den

Wesir zu hören. Der aber, da er sah, daß der Zarensohn

das Geld verschwendete, verließ ihn und kehrte

zurück; und wirklich gab der Junge mit seinen Wohltaten

alles Geld aus.

Er kehrte nun in die Stadt zurück, und da er sich

fürchtete, wieder nach Hause zu gehen, verdang er

sich am Rande der Stadt bei einem alten Gastwirt, bei

dem niemand mehr einkehrte. Der Junge brachte es

aber mit seiner Bedienung dahin, daß alle wieder dort

einkehrten, und in kurzer Zeit wurde der Alte reich.

Einmal fragte ihn der Alte, was er für seine Arbeit

haben wollte. Der Junge antwortete: »Etwas Geld, so

viel, um in die Fremde zu gehen.« – »Schön«, sagte

der Alte, wollte ihn aber nicht allein gehen lassen und

suchte ihm einen Gefährten. Da begegnete ihm ein

Neger, der sagte, er möge ihn nehmen. »Nein,« erwiderte

der Alte, »du wirst ihm nicht gefallen.« –

»Nimm mich nur,« sagte der Neger, »und wenn er

mich nicht mag, werde ich schon wieder gehen.« So

nahm der Alte ihn mit, und als der Junge ihn sah, gefiel

er ihm.

Am nächsten Morgen machten sie sich auf die

Reise. Als sie zu einem Brunnen kamen, sagte der

Neger zu ihm: »Höre, Bruder, wir wollen jetzt in die

Fremde gehen; laß uns hier einander schwören, daß

keiner dem andern etwas verheimlichen wird, daß wir

immer zusammen bleiben, Tag und Nacht, und wenn

wir künftig mit Gottes Hilfe zurückkehren, daß wir

bei diesem Brunnen alles, was wir erworben haben,

aufs Haar gleichmäßig und brüderlich teilen.« Das

beschworen sie und zogen weiter.

Unterwegs kamen sie an eine Einöde, und die

Leute, die ihnen begegneten, sagten ihnen, sie möchten

nicht dahinein gehen, sie würden umkommen.

Aber der Neger hörte auf niemand. Am Abend kehrten

sie in einer verlassenen Herberge ein, der Junge

legte sich in eine Stube und schlief ein, der Neger

aber ging durch alle Stuben und fand eine Lamia mit

drei Köpfen, die die Menschen fraß, die sich dort aufhielten,

ihr Geld nahm und die ganze Stube damit anfüllte.

Der Neger erschlug sie, verschloß das Zimmer

mit dem Gelde und sagte dem Jungen nichts. Am

Morgen zogen sie weiter und kamen in die Hauptstadt

eines Zaren.

Dort war eine Tochter des Zaren, die war vielmal

verheiratet gewesen, aber die Männer waren nicht am

Leben geblieben, sie waren alle schon in der ersten

Nacht gestorben. Der Neger ging nun zum Zaren und

bewarb sich im Namen des Jungen um die Tochter.

Der Zar sah sich den Jungen an und richtete sogleich

die Hochzeit an. Viele Leute sagten ihm, er möge sie

nicht nehmen, denn er werde in seinen jungen und

blühenden Jahren sterben – der Junge war nämlich

sehr schön –, aber der Neger sagte ihm, er möge unbesorgt

sein, er sei ja bei ihm. In der ersten Nacht, als

sich das junge Ehepaar schlafen legte, verlangte der

Neger, in derselben Stube zu schlafen. Der junge

Mann bat ihn, für sich zu schlafen, aber der Neger erinnerte

ihn an den Schwur, und er schwieg.

Sie waren eben eingeschlafen, da machte die junge

Frau den Mund auf und fing an zu schnarchen. Der

Neger stand auf, zog seinen Säbel und stand über sie

gebeugt still. Nach kurzer Zeit, sieh da, kam eine

große Schlange aus dem Munde der Frau heraus und

schickte sich gerade an, den Mann zu beißen, als der

Neger ihr ein Stück abhieb, ungefähr eine Spanne

lang, soweit sie herausgekommen war, samt dem

Kopf. Das übrige Stück aber kroch wieder hinein. Als

sie am Morgen aufgestanden waren, freute sich das

ganze Schloß, daß der Schwiegersohn am Leben geblieben

war.

Nach einiger Zeit rüsteten sie sich zur Abreise und

nahmen von dem Zaren nichts als vierzig Maultiere

und vierzig leere Säcke. Als sie zu der verlassenen

Herberge kamen, belud der Neger die Maultiere mit

dem Gelde der Lamia, und sie zogen nun mit der jungen

Frau der Heimat zu. Eines Tages gelangten sie an

jenen Brunnen. »Jetzt«, sagte der Neger, »müssen wir

teilen.« Da teilten sie die Maultiere und alles andere

zur Hälfte. »Jetzt also«, sagte darauf der Neger, »wollen

wir auch die Frau teilen. Faß du das eine Bein, ich

nehme das andere, und wie du willst, teilen wir quer

durch oder der Länge nach.« »Bewahre Gott,« antwortete

der junge Mann, »laß ab, nimm du sie ganz,

wir wollen sie doch nicht umbringen.« – »Nein,«

sagte der Neger, »denk an den Schwur!« Es blieb

nichts übrig, der Mann ergriff das eine Bein, und

sowie der Neger das Messer zog, schrie die Frau auf,

erbrach sich vor Schrecken und spie das übrige Stück

der Schlange aus. »Da hast du sie jetzt,« sprach der

Neger, »das wollte ich gerade, daß auch dies Stück

der Schlange herauskäme.« Dann erzählte er ihm alles

und auch, daß er der Mensch sei, den er ehrenvoll begraben

hatte. Damit verschwand er.

Der junge Mann bekreuzigte sich und sprach:

»Fürwahr, eine gute Tat geht niemals verloren.« Dann

stieg er zu Pferde und brachte seinem Vater vierzig

Lasten Gold. Später wurde er Zar und in der ganzen

Welt berühmt.

3. Der neidische Arzt

Es war einmal ein Zar, bei dem war ein Arzt; der

konnte viel, war aber sehr neidisch und hielt nicht einmal

einen Diener, damit niemand von ihm lernen

könnte. Es gab aber einen klugen Burschen, der stellte

sich stumm, ging in die Welt, sein Glück zu suchen,

und kam auch zu dem Arzt. Als der sah, daß der Bursche

stumm war, sagte er zu sich selbst: »Ah! das ist

ein Diener für mich, und wenn er auch die Kunst

lernt, kann er mir doch nicht gleichkommen, da er

stumm ist.« Und so behielt er ihn bei sich.

Der Bursche blieb sieben Jahre bei ihm, und niemand

merkte, daß er sprechen konnte. Der Arzt hatte

kein Geheimnis vor ihm, so daß er gelehrt wurde wie

der Arzt und fast noch mehr.

Der Zar hatte eine Tochter, die schon eine Zeitlang

an Kopfschmerzen litt. Da befahl der Zar dem Arzt,

alles mögliche zu tun, um sie zu heilen. Der Arzt aber

sagte dem Zaren: »Erhabener Zar! ihre Krankheit ist

sehr schlimm; es bleibt nur die Hoffnung auf ein Mittel,

das man noch versuchen kann; aber das ist

schrecklich; sie kann auch daran sterben. Deswegen

gib mir eine Schrift, daß du mir nichts Böses tun

wirst, wenn – was Gott verhüte – deine Tochter stirbt;

dann soll es versucht werden.« Der Zar fragte nun

seine Tochter, die aber sagte: »Mag ich sterben oder

gesund werden, ich kann die Schmerzen nicht länger

aushalten.«

Der Zar gab dem Arzt die Erlaubnis; der schloß

sich mit dem Zaren und der Tochter in ein Zimmer ein

und nahm alles mit, was er brauchte, aber den Burschen

ließ er nicht zusehen, daß der nicht auch das

lerne; denn es war eine sehr seltene Krankheit. Der

Bursche aber, der das größte Verlangen hatte, auch

das zu lernen, konnte nicht davon abgehen zuzusehen.

Er stieg ganz leise auf den Boden und machte dort ein

Loch in die Decke, gerade so groß, daß er sehen

konnte, was der Arzt machen wird. Der legte die Zarentochter

auf einen Tisch, band sie ordentlich fest,

daß sie sich nicht rühren konnte, betäubte sie dann,

spaltete den Kopf mit einem Schnitt und öffnete ihn

an der Stirn. Und was sieht er? Einen Käfer, der sich

mit den Füßen im Gehirn festgeklammert hatte. Da

nahm er die Zange, um ihn wegzureißen, aber sowie

er ihn fassen wollte, ließ sich eine Stimme von der

Decke hören: »Um Gottes willen, höre! Zieh den

Käfer nicht mit der Zange heraus, sonst wird er das

Gehirn zerreißen, und das Mädchen wird sterben.

Sondern mach eine Nadel heiß und stich den Käfer

von hinten mit der Nadel, dann wird er von selbst die

Füße loslassen und abfallen, ohne das Gehirn zu verletzen.

« Der Arzt sah ein, daß es wirklich so besser

sei, und tat, wie ihm die Stimme von der Decke anbefahl.

Dann schloß er ganz sanft den Kopfspalt wieder

zu und verband den Kopf mit den passenden Mitteln.

Das Mädchen erwachte und fühlte, daß ihm besser

war als vorher. Als sie nun wieder hübsch gesund

war, rief der Zar den Arzt und sagte zu ihm: »Was

willst du von mir dafür haben, daß du meine Tochter

geheilt hast?« Der Arzt antwortete: »Ich verlange, daß

du meinen Lehrling tötest.«

Als der Zar das hörte, wunderte er sich und sagte

zu dem Arzt: »Verlange etwas anderes, nur das

nicht.« Aber der Arzt blieb dabei. Der Bursche aber

sprach zu dem Zaren: »Erhabener Zar, ich sehe, daß

du mir nichts Übles antun willst und Mitleid mit mir

hast; aber der Arzt läßt nicht nach, er will, daß ich

umkomme. Darum befiehl, daß er selbst mich vergifte,

und wenn ich nicht an dem bestimmten Tage sterbe,

den er angibt, daß ich dann für ihn ein Gift bereite,

und wir sehen, ob er sich davon retten kann wie

ich.« Der Zar willigte ein, einmal, weil er nicht wollte,

daß der Bursche umkomme, zum andern, weil er so

den besten von ihnen zum Arzt wählen konnte. Also

gab er den Befehl, und am nächsten Tage brachte der

Arzt das allerschärfste Gift für den Burschen und gab

es ihm vor den Augen des Zaren. Der Bursche aber

fragte den Arzt: »Wieviel Stunden werde ich noch

leben, nachdem ich das Gift getrunken habe?« Der

antwortete: »Sieben Stunden!« Der Bursche aber, der

vorher ein Mittel gegen Vergiftung eingenommen

hatte, trank das Gift und ging hinaus. Darauf nach

sieben Stunden trat er wieder vor den Zaren frisch und

gesund und sprach: »Jetzt ist die Reihe an mir, Gift

für meinen Meister zu bereiten, aber ich bitte dich, erhabener

Zar, befiehl, daß ein Ausrufer auf dem Markt

verkünde, es solle drei Tage und drei Nächte keiner

aus dem Hause gehen, solange ich das Gift koche,

denn schon von seinem Dampf fallen die Vögel zur

Erde.« Damit gingen er und der Arzt hinaus.

Am vierten Tag erschien er wieder vor dem Zaren,

nahm vor dessen Augen ein wenig Wasser, tat es in

eine Flasche und versiegelte sie. Dann sagte er zum

Zaren, er möge den Arzt rufen lassen. Als der da war,

gab er ihm die Flasche zu trinken, und als der Arzt

ihn fragte: »Wieviel Stunden werde ich noch leben,

wenn ich das ausgetrunken habe?«, antwortete er:

»Sowie du die Flasche in die Hand nimmst, wirst du

sterben.« Und wirklich, sobald der Arzt sie ergriff,

fiel er tot hin.

4. Die beiden Brüder

Es waren einmal zwei Brüder; solange ihr Vater lebte,

arbeiteten sie nach dessen Befehl, der eine ging aufs

Landgut, der andere hütete die Schafe. Aber als der

Vater gestorben war, wurde der älteste Hausherr, und

der jüngste arbeitete immer außer Hause, war dem

Bruder ganz gehorsam und kam selten heim. Der ältere

aber arbeitete gar nicht, sondern saß zu Hause und

bewirtete seine Freunde, hielt schöne Pferde, Jagdhunde

und Jagdfalken und lebte wie ein großer Herr.

Mit der Zeit wurden sie noch reicher; der ältere war

verheiratet, der jüngere nicht, und er kam nur alle großen

Festtage nach Hause.

Als er einmal an einem solchen Festtag ins Dorf

kam, begegneten ihm einige Bauern, die ihnen neidisch

waren und sie auseinanderbringen wollten; die

sagten zu ihm: »Bist du deines Vaters Sohn oder

nicht?« – »Wie denn nicht?« antwortete er. – »Nun,

wenn es so ist, warum bist denn du den ganzen Tag

an der Arbeit, bei den Schafen, auf dem Felde, in Gewitter,

Sturm und Sonnenbrand? Eine Plage machst

du dir, wie sonst keiner; und dein Bruder, der ältere,

lebt wie ein großer Herr, Kleider, Essen, Trinken in

Fülle, geehrt und gepriesen, und du wie sein Diener.

Geh mal und sag ihm, er soll deine Arbeit tun, und du

willst zu Hause bleiben, da wirst du sehen, ob er dein

wahrer Bruder ist oder nicht.«

Der jüngere antwortet ihnen nicht darauf, aber es

fraß ihm am Herzen. Er ging zur Nacht nach Hause,

übernachtete dort, und als er am andern Morgen aufgestanden

war, sagte sein Bruder ihm: »Wie hast du

die Nacht zugebracht, Bruder, hast du gut geschlafen?

« – Der aber antwortete ihm: »Ach, Bruder, kein

Auge habe ich zugetan.« – »Warum?« fragte der ältere.

– »Ja sieh! soviel Jahre, seit der Vater tot ist, lebe

ich Tag und Nacht außer Hause unter freiem Himmel;

nach Hause komme ich einmal im Jahre; mit keinem

Menschen bin ich bekannt, habe weder Freund noch

Feind. Wenn die Zeit kommt, daß ich mir einen Hausstand

gründen und mich verheiraten will wie du, wie

soll ich da das Haus besorgen, da ich niemand kenne

und von Hausarbeit nichts verstehe. Daran habe ich

gedacht und die ganze Nacht nicht geschlafen und

habe mich entschlossen, dich zu bitten, daß wir mit

den Arbeiten tauschen, daß ich einige Jahre zu Hause

bleibe und du auf meine Arbeit gehst.«

»Sehr wohl, Bruder,« erwiderte der ältere und stellte

sich, als wäre er nicht ärgerlich, »du sollst jetzt hier

bleiben, und ich will auf deine Arbeit gehen, nur

heute will ich noch auf die Jagd gehen, und wir wollen

noch zusammen essen, morgen wollen wir dann

tauschen.« Dabei wollte er platzen vor Ärger, ging

sein Pferd zu satteln, rief seine Frau in den Stall und

sagte zu ihr: »Hör zu! Ich will heute auf die Jagd

gehen und habe meinem Bruder gesagt, ich würde

zum Essen kommen; aber du mußt wissen, daß ich

nicht kommen werde; du aber brate ein Lamm und

stecke Gift hinein, und zur Mittagszeit deckst du den

Tisch und forderst den Bruder auf zu essen. Und paß

auf! wenn ich zum Abendessen zurückkomme und

höre dich nicht die Totenklage singen, dann ist es um

dein Leben geschehen.« Das befahl er der Frau, bestieg

sein Pferd, gab ihm die Sporen und fort war er

mit den Jagdhunden und Jagdfalken.

Die Frau war ganz entsetzt und blieb lange Zeit

wie versteinert an derselben Stelle stehen. Als sie wieder

zu sich kam, dachte sie hin und her, was sie anfangen

soll: soll sie sterben oder den Schwager vergiften?

Endlich beschloß sie, es Gott anheimzustellen:

kann sie sich retten, gut! wenn nicht, lieber sterben

als ihren Schwager vergiften. Sie briet nun das Lamm,

bereitete das Mittagessen, und als die Essenszeit kam,

deckte sie den Tisch und nötigte ihren Schwager zum

Essen; der aber antwortete: »Wie könnte das sein? Ich

sollte ohne meinen Bruder essen? Er hat mir doch versprochen,

daß wir zusammen essen wollen.« Die Frau

wurde nun sehr betrübt, da sie sah, wie der Schwager

ihren Mann, seinen Bruder, liebte, und wie dagegen

ihr Mann seinen Bruder haßte – so sehr, daß sie dem

Schwager um den Hals fiel, Ströme von Tränen vergoß,

schluchzte und nicht sprechen konnte. Ihr

Schwager war verwundert, hielt sie fest, daß sie nicht

fiele, und bat sie, ihm zu sagen, warum sie weine.

»Ach, Bruder,« antwortete sie, »heute ist es mit mir

aus!« – »Warum, meine Liebe,« fragte er weiter,

»sprichst du so?« – »Du sehnst dich nach meinem

Manne und willst nicht ohne ihn essen. Und er? Er

hat mir befohlen, dich zu vergiften, und geschworen,

mich zu töten, wenn er von der Jagd zurückkommt

und im Hause nicht Totenklage und Jammergeschrei

hört.«

Als das der Schwager hörte, sagte er zu ihr: »Sei

unbesorgt, liebe Schwägerin, ängstige dich nicht, du

wirst nicht sterben. Aber wir wollen einmal sehen,

was mein Bruder tun wird, wenn er mich tot sähe; so

wollen wir Leute an den Kreuzweg schicken, um aufzupassen

und uns Bescheid zu sagen, wenn er sich

zeigt. Wir wollen jetzt ordentlich essen, und wenn er

kommt, deckst du mich mit einem Leichentuch zu,

zündest am Kopfende ein Licht an und fängst an, mir

die Totenklage zu halten.« Was sie so besprochen

hatten, führten sie dann alles aus.

Der ältere Bruder war nun aus dem Hause fort und

auf die Jagd gegangen, dahin, wo er immer zu jagen

pflegte. Er mühte sich den ganzen Tag ab, aber was

niemals vorgekommen war und ihn sehr verwunderte,

er konnte nichts erlegen. Auf dem Rückwege sah er

einen Adler hoch in den Wolken und ließ die beiden

Falken los, die er bei sich hatte. Die flogen wie der

Blitz in die Höhe, nahmen den Adler in die Mitte und

kämpften mit ihm. Nach kurzer Zeit brachten sie ihn

nach und nach zu Fall, und als er nahe genug war, daß

man ihn erreichen konnte, ergriff ihn der Jäger und

sagte zu ihm: »Siehst du, auch du, der du so hoch

fliegst bis in die Wolken, kannst meinen Händen

nicht entgehen.« – Der Adler vergoß Tränen und antwortete:

»Ah! wäre mein Bruder am Leben, deine beiden

Falken, ja auch zwanzig, hätten mir nichts tun

können; daß doch die Hand dem verdorre, der ihn getroffen

und erschlagen hat.« – »Wer hat ihn erschlagen?

« fragte der Jäger. – »Ach,« antwortete der Adler,

»bei Frost, Schneewetter und heftigem Sturm gerieten

wir aufs Schwarze Meer, und der Sturm verschlug uns

auf ein Schiff. Mein Bruder trat gerade auf ein Tau,

als ein Schiffer – möge seine Hand verdorren! – ihn

traf und er ins Meer fiel. Und ich, da ich ihn nicht

mehr habe, bin in böser Zeit ohne Hilfe, wie jetzt, wo

ich mich deiner beiden Falken nicht erwehren konnte.

«

Als das der Jäger hörte, fiel ihm sein Bruder ein,

und er wurde betrübt, ließ den Adler los und spornte

sein Pferd, soviel er konnte. Das Pferd rannte, was es

konnte, und fiel aus übermäßiger Anstrengung tot hin.

Da ließ er das Pferd liegen und lief zu Fuß weiter. Als

er sich dem Hause näherte, sahen ihn die Diener und

meldeten es. Der jüngere Bruder legte sich nun und

stellte sich tot, die Schwägerin deckte ihn mit einem

Leichentuch zu, zündete ein Licht an und begann die

Totenklage. Als der ältere Bruder das Jammergeschrei

hörte, beeilte er sich noch mehr, und sobald er ins

Haus trat, zog er seinen Säbel, stürzte sich auf die

Frau und wollte sie erstechen: »Ach, du elendes

Weib, du hast meinen Bruder vergiftet!« Als das der

Bruder hörte, sprang er auf und sprach: »Rühre meine

Schwägerin nicht an! Nicht sie hat mich vergiftet,

sondern du wolltest mich vergiften.« Da sagte der ältere

Bruder kein Wort, fiel dem andern um den Hals

und sprach: »Ach, Bruder, bist du noch am Leben,

bist du wirklich noch am Leben?« bedeckte ihn mit

Tränen, küßte ihn, bekannte seine Schuld und erzählte

ihm alles, was sich mit dem Adler zugetragen hatte.

Da brachen sie beide in Tränen aus, weinten miteinander

und herzten sich. Von da an lebten sie wieder

brüderlich und lagen niemals mehr in Streit.

5. Der Faulpelz, oder: Gutes wird mit Gutem

vergolten

Es war einmal eine Mutter, die hatte auch einen Sohn;

der Junge hatte aber keine Lust zu arbeiten, er war zu

faul. Die Mutter sagte ihm: »Aber Sohn, wenn du

schon nichts anderes arbeitest, geh wenigstens mit

dem Esel Holz holen.« Der aber antwortete: »Hol mir

ihn doch, wenn du willst, daß ich nach Holz gehen

soll.« Die Mutter holte ihm den Esel und sprach: »Da,

ich habe dir den Esel geholt, nun geh also!« – »Setz

mich auf den Esel, wenn du willst, daß ich nach Holz

gehen soll«, sagte der Junge weiter. Da setzte sie ihn

auf den Esel und sagte wieder: »Da, ich habe dich

daraufgesetzt, mach vorwärts und geh!« Sie legte ihm

auch noch das Beil auf den Esel und brachte ihn so

mit aller Mühe dahin, daß er ging.

Der Junge zog nun seines Weges, Holz zu holen;

nach einiger Zeit kam er ans Meer, da fiel ihm das

Beil herunter. Er war zu faul, abzusteigen und es aufzunehmen,

sondern blieb auf dem Esel sitzen und

wartete. Da war aber ein Fisch aufs Trockene geraten

und konnte nicht wieder ins Wasser kommen. Als der

den Jungen sah, bat er ihn: »Du Junge! trag mich ins

Meer, und was du willst, gebe ich dir.« – »Gib mir

das Beil da,« antwortete der Junge, »wenn du willst,

daß ich dich ins Wasser trage.« Der Fisch bewegte

den Schwanz, hob den Stiel des Beils in die Höhe, so

konnte der Junge es fassen, und dann sagte er zu dem

Fisch: »Was willst du mir nun geben, daß ich dich ins

Meer trage?« – »Was ich dir gebe?« antwortete der

Fisch, »ich habe nichts, was ich dir geben kann, nur

das kann ich machen: wenn du sagst: ›Lengo und

Sawe und das Meer‹, dann wird dir alles zuteil, was

du willst.« Da warf der Junge den Fisch ins Meer, der

schwamm gleich fort, und der Junge blieb am Ufer

stehen. Nun fing er an nachzudenken, was er machen

und was sich wünschen soll. Zuletzt fiel ihm ein, er

wolle sagen, daß ihm ein Tisch mit Essen hingestellt

werden soll, und so sagte er: »Lengo und Sawe und

das Meer! Es soll mir ein Tisch mit allerlei Speisen

dastehen.« Und sogleich stand der Tisch mit schönen

Speisen da. Der Junge aß sich satt und ging dann ins

Gebirge nach Holz. Wer sollte ihm aber nun das Holz

sammeln? Er war zu faul dazu. Da sagte er wieder:

»Lengo und Sawe und das Meer! Es soll mir Holz

aufgelesen und auf den Esel geladen werden.« Sofort

war das Holz aufgelesen und dem Esel aufgeladen.

Der Junge ging mit dem Holz nach Hause.

Unterwegs kam er am Zarenschloß vorbei. Die Zarentochter

stand am Fenster, der Bursche sah sie und

sagte: »Lengo und Sawe und das Meer; dies Mädchen

soll schwanger werden.« Da wurde sie gleich schwan-

ger ohne Mann. Das Kind in ihrem Leibe wuchs und

wuchs, und sie wunderte sich: »Wie ist denn das gekommen?

Und was soll ich meinem Vater sagen,

wenn er es merkt?« Die Zarentochter war nämlich

sehr schön, und ihr Vater hatte sie im Palast eingeschlossen,

daß sie mit keinem Mann verkehre. Endlich

merkte der Vater, daß seine Tochter schwanger

war, rief sie ganz allein zu sich und sprach: »Aber,

Tochter! was machst du mir da für Scham und Schande?

Von wem hast du's? Wohin bist du gegangen,

oder wer ist zu dir gekommen?« Das Mädchen war

sehr erschrocken und antwortete mit Zittern: »Ich bin

nirgends hingegangen, Vater, auch ist keiner zu mir

gekommen, ich habe gar keinen Mann gesehen.« Ihr

Vater glaubte ihr aber nicht, ließ sie in den Block

spannen und ihr die Bastonade geben, sie aber blieb

dabei: »Ich weiß nicht und weiß nicht!« Zuletzt sagte

sie ihm: »Ein Bursche mit einer Last Holz kam am

Schloß vorüber, sah mich am Fenster und murmelte

etwas vor sich hin, und von der Zeit an fühlte ich, daß

ich schwanger sei!« – »Wie kann es sein, daß eine

vom bloßen Ansehen schwanger wird?« erwiderte der

Vater; er wollte ihr das durchaus nicht glauben, sie

aber schwur, schlug sich an die Brust und sagte:

»Wenn du willst, Vater, glaube mir; wenn nicht,

nimm mein Leben – wirf mich ins Meer.« Da ließ der

Zar den Burschen holen und fragte ihn, ob er das

Mädchen zur Frau nehmen wolle. Der sagte ja, und

der Zar gab sie ihm, setzte die beiden in ein Schiff,

gab seiner Tochter einige Kränze Feigen und ließ das

Schiff treiben.

Sie trieben nun lange auf dem Meere, dann aber

sagte die Zarentochter zu ihrem Mann: »Mann, sage

doch, daß wir ans Land kommen.« – »Gib mir eine

Feige, wenn du willst, daß ich es sage«, antwortete

der.

Sie gab ihm einen Kranz Feigen, und er sagte:

»Lengo und Sawe und das Meer! Wir wollen ans

Land.« Und sogleich waren sie am Lande und setzten

sich am Ufer nieder. Wiederum sagte die Frau zu ihm:

»Sag wieder etwas, daß sich hier ein Schloß aufbaue,

in dem wir wohnen und leben können.«

Der antwortete wieder: »Gib mir eine Feige, wenn

du willst, daß ich es sage.« Da gab sie ihm noch einen

Kranz Feigen, und er sagte wieder: »Lengo und Sawe

und das Meer!« Sogleich stand ein Schloß da, schön,

mit allem Nötigen, mit allen möglichen schönen Teppichen

und mit allem Hausgerät. Da gingen sie hinein

und wohnten dort. Eines Tages gingen die Leute des

Zaren auf die Jagd, und als sie auf dem Heimwege

waren und das Schloß erblickten, gerieten sie sehr in

Erstaunen: bis gestern war nichts da, und wie war da

ein so schönes Schloß entstanden? Sie erzählten dann

dem Zaren von dem Schloß am Meeresufer, der wun-

derte sich auch und sagte gleich, er wolle gehen und

es ansehen.

Als der Zar dahin kam und es sah, ging er hinein,

und die beiden, die da wohnten, seine Tochter und

sein Schwiegersohn, empfingen ihn, wie es einem

Zaren gebührt. Dann sagte der Schwiegersohn:

»Lengo und Sawe und das Meer! Es sollen dem Zaren

goldne Tische, goldnes Geschirr und kaiserliche Gerichte

vorgesetzt werden.« Und sogleich erfüllte sich

sein Wunsch.

Die Zarentochter hatte sich bis dahin ihrem Vater

noch nicht zu erkennen gegeben. Sie hatte ihn gleich,

als er eintrat, erkannt, er sie aber nicht. Dann gab sie

sich ihm zuerst kund, und er erkannte sie dann auch

und fragte sie, wie sie zu einem solchen Palast gekommen

sei und zu so schönen Geräten und Speisen

und zu solchem Reichtum. Da erzählte sie ihm alles

von Anfang bis zu Ende, was und wie es gewesen

war. Da nahm der Zar seinen Schwiegersohn, den

ehemaligen Holzsammler, und seine Tochter mit sich

und setzte ihn auf den Thron.

6. Holzsammler, Katze, Schlange und Fisch,

oder: Tu den Tieren Gutes, es wird dich nicht

gereuen

Es war einmal eine alte Frau, die hatte einen Sohn;

den schickte sie jeden Tag aus, Holz zu sammeln und

zu verkaufen. Auch spann sie jeden Tag eine Spindel

voll und gab ihm das Garn zum Verkauf. Er verkaufte

auch jedes Gebinde für einen Para, aber das Geld gab

er nicht seiner Mutter, sondern tat Gutes damit.

Einmal, als der Bursche Holz holen ging, traf er einige

Kinder, die einen kleinen Hund schlugen. Das

Hündchen tat ihm leid, er kaufte es ihnen für einen

Para ab und rettete es so vor den Schlägen. Das

Hündchen zog nun mit ihm.

Ein andermal, als er wieder Holz holen ging, begegnete

er anderen Kindern, die ein Kätzchen schlugen

und es totschlagen wollten. Er hatte Mitleid mit

dem Kätzchen und, wohl oder übel, gab den Kindern

einen Para und rettete es so vor den Schlägen. Da zog

auch das Kätzchen mit ihm, und von da an gingen

Hund und Katze immer mit dem Holzverkäufer zusammen,

wohin er auch ging.

Einmal aber, als er im Gebirge war und Holz sammelte,

erblickte er eine brennende Buche, und auf der

Buche zischte eine Schlange und rief um Hilfe. Der

Bursche trat herzu, und die Schlange bat ihn, ihr zu

helfen, sie aus dem Feuer zu retten. »Ich habe Angst,

daß du mich beißt«, antwortete er.

»Nein«, sagte darauf die Schlange; »hab keine

Angst, ich tu dir nichts Böses, sondern ich will dir

geben, was du wünschest.« Da streckte er eine Stange

an die Buche, die Schlange wickelte sich um die Stange

und rettete sich so aus dem Feuer. Darauf sagte sie

zu ihm: »Jetzt bringe mich zu dem Drachen, dem

Zaren der Schlangen; der wird dir einen Beutel mit

Geld anbieten, du darfst ihn aber nicht nehmen, sondern

fordere von ihm den Ring, den er unter der

Zunge trägt, und sowie er ihn dir gibt, stecke du ihn

auch unter die Zunge und behalte ihn immer dort; mit

dem Ringe wird dir dann alles zuteil, was du wünschest.

«

Der Holzsammler ging nun mit der Schlange zu

dem Drachen, dem Schlangenzaren, und forderte den

Ring von ihm, wie sie ihn gelehrt hatte. Der Zar gab

ihm den Ring, er steckte ihn sich unter die Zunge und

ging nach Hause.

Dort sagte er zu seiner Mutter: »Mutter, geh zum

Zaren und verlange seine Tochter für mich.« Die Mutter

ging und tat so; aber der Zar jagte sie fort und

sprach: »Mach, daß du fortkommst, soll ich meine

Tochter einem Burschen geben, der Holz sammelt und

verkauft? Laß deinem Sohn ein Schloß errichten wie

meins, dann will ich sie ihm geben.« Die Mutter ging

nach Hause und erzählte ihrem Sohne, was der Zar

geantwortet hatte. Da sagte der zu dem Ringe: »Ich

wünsche mir ein Haus wie das Zarenschloß«, und sogleich

stand eins da wie das Zarenschloß. Da schickte

er seine Mutter zum zweiten Mal zum Zaren, um dessen

Tochter zu verlangen und ihm zu sagen, daß ihr

Sohn ein Schloß errichtet habe wie seines, ob er sie

ihm nun geben wolle oder nicht? Die Mutter tat, wie

ihr Sohn es anbefohlen hatte; der Zar aber antwortete

ihr: »Laß deinen Sohn die Straße, die meine Tochter

ziehen soll, mit Gold pflastern, dann will ich sie ihm

geben.« Die Mutter ging wieder nach Hause und berichtete

ihrem Sohne, was der Zar gesagt hatte: »Du

sollst die Straße vom Tor des Zarenschlosses bis zu

deinem, die seine Tochter ziehen soll, mit Gold pflastern,

dann will er sie dir geben; so befiehlt der Zar.«

Der Bursche pflasterte nun mit Hilfe des Ringes den

ganzen Weg vom Tore des Zaren bis zu seinem mit

Gold und schickte wieder seine Mutter zum Zaren,

ihm das zu berichten und die Tochter zu verlangen.

Sie ging und sagte dem Zaren: »Erhabener Zar! du

siehst, mein Sohn hat den ganzen Weg von deinem

bis zu unserm Tor mit Gold gepflastert; wie nun,

willst du ihm jetzt deine Tochter geben?« Der Zar

antwortete ihr: »Laß deinen Sohn einen Garten herrichten

wie meinen, darin sollen die Nachtigallen sin-

gen und die Falken schreien wie im Mai; dann will

ich sie ihm geben.« Die Mutter ging nach Hause und

berichtete ihrem Sohne die Antwort des Zaren. Der

Bursche aber sprach zu dem Ringe: »Ich wünsche

morgen, wenn ich aufstehe, einen Garten vorzufinden

wie den des Zaren mit Nachtigallen und Falken«, und

am nächsten Morgen war es nach seinem Wunsche

geschehen. Die Mutter ging nun wieder zum Zaren

und verlangte seine Tochter. Da antwortete der Zar:

»Dein Sohn soll mit dem Hochzeitsgefolge kommen,

alle auf weißen Pferden und in weißen Kleidern.« Der

Sohn tat so, zog zum Zaren, bekam dessen Tochter

und ging mit seiner jungen Frau nach Hause.

Der Zar aber hatte einen Diener, einen Neger; der

sagte eines Tages zu der jungen Frau: »Kannst du

nicht herausbringen, mit was dein Mann alles ausführt,

was er sich nur denkt?« Sie antwortete ihm: »Er

hat einen Ring, den er unter der Zunge hält, mit dem

macht er die Sache.« Der Neger sagte weiter: »Kannst

du ihm den nicht auf irgendeine Weise wegnehmen

und mir ihn geben? Er hat ja schon alles und braucht

ihn nicht mehr.« – »Ich kann ihn nicht wegnehmen, er

hält ihn immer unter der Zunge fest.« – »Mach deinen

kleinen Finger im Wasser naß,« riet der Neger, »stekke

ihn dann in die Pfefferbüchse und fahre deinem

Mann damit in die Nase, wenn er schläft; er wird

dann niesen, der Ring wird ihm aus dem Munde und

ins Bett fallen; dann nimm ihn und gib ihn mir.« Die

Frau tat so und gab dem Neger den Ring; der nahm

ihn und legte ihn unter die Zunge.

Eines Tages sprach der Neger zu dem Ringe: »Ich

wünsche, daß du mich ins Gebirge versetzest mit dem

Schloß des Holzsammlers, daß das Schloß mein wird,

und daß er wieder in seiner alten Hütte wohnt.« Sofort

geschah das. Am anderen Morgen wunderte sich

der Bursche, des Zaren Schwiegersohn, wie es gekommen

wäre, daß er sich wieder in einer ärmlichen

Hütte befand, und sagte zu seiner Mutter: »Mutter,

ich will den Esel nehmen, den Hund und die Katze,

will gehen und überall herumwandern, mein Schloß

zu suchen.« Wie er gesagt hatte, so tat er.

So wanderten sie dahin und kamen an einen Fluß

mit starkem Strom. Am Ufer fand der Bursche einen

Fisch, der rücklings auf dem Trocknen lag, ergriff ihn

und warf ihn ins Wasser. Der Fisch dankte ihm für

seine Güte und sagte zu ihm: »Für das Gute, das du

mir getan hast, will ich dir auch alles Gute tun, was

du wünschest; schneide mir eine Flosse ab, und wenn

du irgend etwas von mir brauchst, brenne sie an, ich

komme dir dann gleich zu Hilfe.« Der Bursche schnitt

dem Fisch eine Flosse ab und steckte sie ein.

Nach kurzer Wanderung erblickte er das Schloß.

Da schickte er Hund und Katze aus, daß sie in das

Schloß gehen, dem Neger den Ring wegnehmen und

ihm bringen sollten. Sie gingen; die Katze stieg in die

Stuben hinauf, der Hund blieb unten am Tor. Die

Mäuse im Schlosse hielten gerade Hochzeit; als die

Katze hereingetreten war, fing sie den Bräutigam; da

sammelten sich alle Mäuse um die Katze und versprachen

ihr alles, was sie nur haben wolle; nur solle sie

ihnen den Bräutigam freilassen.

Die Katze willigte ein, den Bräutigam freizulassen,

wenn die Mäuse dem Neger den Ring wegnähmen

und ihn ihr brächten; sie gab ihnen auch an, wie sie

ihn bekommen könnten: »Macht euch die Schwänze

mit Wasser naß, dann pfeffert sie in der Pfefferbüchse

ein, und wenn er schläft, steckt sie ihm in die Nase;

dann wird er niesen, und der Ring wird ihm herausfallen.

Ihr nehmt ihn und bringt ihn mir, dann gebe ich

euch den Bräutigam.« Die Mäuse taten das, brachten

der Katze den Ring, die gab ihnen den Bräutigam frei

und ging mit dem Ring davon. Der Hund wartete

unten am Tore auf sie, und sie rief ihm zu: »Laß uns

schnell laufen, ich habe den Ring«, und so machten

sie sich fort. Als sie an den Donaufluß kamen, sagte

die Katze zu dem Hunde: »Jetzt will ich auf dir reiten,

damit wir über die Donau kommen.« Der Hund duckte

sich, sie stieg auf, und so wollten sie über den Fluß

schwimmen. Aber als sie in der Mitte waren, sagte

der Hund zu der Katze: »Gib mir den Ring, ich will

ihn tragen; wenn nicht, laß ich dich ins Wasser

plumpsen.« Die Katze nahm den Ring aus dem Maul,

um ihn dem Hunde zu geben, aber als sie ihn hinreichte,

fiel er in den Fluß. Was nun? Sie gingen weiter

zu ihrem Herrn, dem Holzsammler, und die Katze

erzählte ihm alles, wie es zugegangen war. Da fiel

dem Burschen der Fisch ein; er brannte die Flosse an,

die er eingesteckt hatte, und als der Fisch die Hitze

merkte, eilte er sogleich zu ihm hin und fragte:

»Wozu brauchst du mich? Ich bin da.«

Der Bursche antwortete: »Mir ist ein Ring mitten

im Flusse hineingefallen; kannst du mir ihn wieder

herausholen?« – »Das kann ich,« sagte der Fisch,

»ich bringe ihn dir jetzt gleich.« Sofort tauchte er auf

den Grund des Flusses, fand den Ring und brachte ihn

herbei. Der Bursche nahm ihn und ging seines Weges.

Als er nun den Ring hatte und nach Hause gekommen

war, sprach er zu dem Ringe: »Ich wünsche zu

sein, wie ich früher gewesen bin, das Schloß soll wieder

meins sein, und der Neger und meine Frau sollen

zusammen in einer Stube sein.« Das geschah sogleich.

Dann lud der Bursche seinen Schwiegervater,

den Zaren, zum ersten Besuch nach der Hochzeit ein;

der kam auch, aber solange er da saß, fragte er nicht

nach seiner Tochter. Endlich stand er auf und ging

durch das Schloß seines Schwiegersohnes. Der öffnete

ihm auch die Tür der Stube, wo der Neger mit seiner

Tochter schlief, und erzählte ihm alles, was die

gemacht hatten. Als der Zar das sah und alles vernommen

hatte, was sein Schwiegersohn ihm erzählte, zog

er seinen Säbel und hieb dem Neger und seiner Tochter

den Kopf ab, seinem Schwiegersohn aber sagte er:

»Ich werde dir meine zweite Tochter zur Frau geben.«

7. Drei Brüder

Es waren einmal drei Brüder; der jüngste von ihnen

war ein sehr schönes Kind und sehr dem bösen Blick

ausgesetzt. Damit ihm ein böser Blick nicht schade,

zog ihm seine Mutter einen Rindsmagen über den

Kopf, und so saß der Junge immer zu Hause am

Herde mit dem Rindsmagen auf dem Kopfe; davon

gaben sie ihm den Beinamen Grindskopf.

Sie hatten eine Scheune voll Heu, und ein wildes

Pferd kam des Nachts daher und fraß ihnen das Heu

auf. Die Brüder wunderten sich, was das für ein sonderbares

Wesen sein könne, das ihnen das Heu auffrißt.

Sie beschlossen daher, in der Scheune zu wachen

und aufzupassen. Den ersten Abend ging der älteste

Bruder wachen. Während der so in der Scheune

saß, kam wirklich das wilde Pferd, fraß sich tüchtig

satt und ging davon, ohne daß der Wächter ihm hatte

etwas tun können. Am nächsten Abend kam die Reihe

zu wachen an den zweiten Bruder, aber auch der blieb

nicht wach; das wilde Pferd kam wieder, fraß sich satt

am Heu und ging fort, ohne von dem Wächter etwas

erlitten zu haben.

Nachdem die beiden Brüder nicht hatten wach bleiben

können, bat sie am dritten Abend der jüngste, der

Grindskopf, daß er an dem Abend wachen dürfte. Die

aber lachten ihn nur aus und sagten: »Ach, du Grindskopf,

wir haben nicht wach bleiben können, wie solltest

du das können? Bleib du hier sitzen, du sitzest da

schön am Herd in der Asche.« Er bat sie aber immer

mehr, doch wollten sie ihn nicht gehen lassen. Zuletzt

ging er ohne ihre Erlaubnis zum Wachen, und die

Brüder ließen ihn: mag er tun, was er will.

Der Grindskopf ging nun in die Scheune, wartete

und wartete, und sieh da! kommt das wilde Pferd wieder,

um Heu zu fressen. Sogleich stürzte er sich auf

das Pferd, packte es und wollte es totschlagen. Aber

das Pferd rief aus: »Ich bitte dich, schlag mich nicht

tot; ich will dir etwas geben und werde auch niemals

wiederkommen.« – »Was willst du mir geben?« fragte

der Grindskopf. – »Ich will dir drei Haare geben,«

antwortete das Pferd, »ein weißes, ein rotes und ein

schwarzes, und wenn du irgend in Not kommst, wirf

eins von den Haaren in die Höhe, und was du wünschest,

wird dir geschehen.« Da ließ der Grindskopf

das Pferd los; das gab ihm die drei Haare, und sie gingen

ihres Weges. Als der Grindskopf nach Hause gekommen

war, sagte er zu seinen Brüdern: »Seht ihr

wohl, wie ich wach geblieben bin, und ihr wolltet

mich nicht gehen lassen.« – »Ach, du Grindskopf,«

antworteten sie, »wir konnten nicht wach bleiben, und

du solltest das gekonnt haben?« – »Geht nur und seht,

wie das ganze Heu noch da ist«, erwiderte er. Sie gin-

gen hin, und da sie sahen, daß von dem Heu nichts

genommen war, wunderten sie sich und standen ganz

starr. Der Grindskopf aber zog sich wieder den Rindsmagen

über den Kopf und setzte sich an den Herd.

Da ereignete es sich, daß der Zar einige sehr tiefe

und breite Gräben ziehen ließ und Herolde anstellte,

die ausrufen mußten: »Wer ein Held aller Helden ist,

der soll kommen und über die Gräben springen, dem

will ich meine älteste Tochter geben.« Da kamen alle

Helden herbei und bemühten sich hinüberzuspringen,

aber keiner konnte es. Auch die Brüder des Grindskopfes

waren hingezogen, und er war ihnen heimlich

nachgegangen, blieb verborgen an einer Stelle stehen,

versteckte den Rindsmagen und warf das weiße Pferdehaar

in die Luft. Sogleich kam vor ihm ein Schimmel

heraus und ein weißer Anzug. Er zog die Kleider

an, bestieg das Pferd und übersprang mit gewaltiger

Kraft die tiefen und breiten Gräben. Die älteste Zarentochter,

die das von einer Stelle mit angesehen hatte,

warf ihm als Zeichen ihrer Billigung einen Apfel zu,

und er fing ihn auf. Darauf ging er schnell an den früheren

Platz, ließ Pferd und Kleider da und zog wieder

den Rindsmagen über den Kopf. Pferd und Kleider

verschwanden sogleich, er aber ging mit dem Apfel,

den er zu sich gesteckt hatte, nach Hause und setzte

sich an den Herd, als ob er von allem, was geschehen

war, nichts wüßte.

Nach einiger Zeit riefen die Herolde wieder aus:

»Wer ein Held aller Helden ist, der soll kommen und

über die Gräben springen, der Zar will ihm seine

zweite Tochter geben.« Da kamen große Helden herbei,

einer stärker als der andere, um den Sprung zu

versuchen; auch die Brüder des Grindskopfes kamen,

gaben sich große Mühe, aber keiner konnte hinüberspringen.

Auch diesmal ging der Grindskopf heimlich

mit und blieb an dem früheren Orte stehen, verbarg

den Rindsmagen und warf das rote Haar in die Luft.

Sogleich stand ein Rotfuchs vor ihm und dabei ein

roter Anzug. Der Grindskopf zog die roten Kleider

an, bestieg den Fuchs und sprang mit gewaltiger Kraft

über die Gräben. Die zweite Tochter des Zaren aber,

die den Sprung mit angesehen hatte, warf ihm zum

Zeichen einen Apfel zu, und er fing ihn auf und steckte

ihn ein. Dann eilte er schnell wieder an den alten

Platz, stieg vom Pferd, legte die roten Kleider ab und

zog den Rindsmagen wieder über den Kopf; Pferd

und Kleider verschwanden. Er ging nun schnell nach

Hause und setzte sich an den Herd, als ob er von

nichts wüßte. Bald darauf kamen auch seine Brüder

und erzählten Vater und Mutter, was geschehen war

und was sie gesehen hatten: »Sieh mal, Vater; es kam

da ein Held auf einem Rotfuchs und ganz in Rot gekleidet;

der sprang über die Gräben, und die Zarentochter,

die zweite, warf ihm einen Apfel zu.« Da fuhr

auch der Grindskopf mit der Frage drein: »Was, Bruder,

was?« Die aber sagten zu ihm: »Ach, du Grindskopf,

du bist nur gut, zu Hause zu sitzen am Herd in

der Asche; was hast du zu fragen? Schweig du hier

still!«

Nach einiger Zeit riefen die Herolde wieder aus:

»Wer ein Held aller Helden ist, der soll kommen und

über des Zaren Gräben springen, der Zar will ihm

seine jüngste Tochter geben.« Da versammelte sich

eine Menge Helden, um den Sprung zu versuchen,

aber keiner konnte über die Gräben kommen. Auch

die Brüder des Grindskopfs waren gekommen, aber

nur um von ferne zuzusehen, denn den Sprung konnten

sie durchaus nicht machen, wollten aber wenigstens

sehen, wer hinüberkommen wird. Ihnen war

auch ihr Bruder, der Grindskopf, heimlich gefolgt,

blieb wieder an dem früheren Ort stehen und warf das

schwarze Haar in die Luft. Sogleich erschien vor ihm

ein Rappe und ein schwarzer Anzug. Er verbarg den

Rindsmagen, zog die schwarzen Kleider an, bestieg

den Rappen, sprengte mit gewaltiger Schnelligkeit

fort und sprang über die Gräben, und die jüngste Zarentochter

warf ihm einen Apfel zu. Den fing er auf,

steckte ihn zu sich und kehrte schnell an den früheren

Ort zurück. Dort stieg er ab, zog die schwarzen Kleider

aus und zog den Rindsmagen wieder über den

Kopf; Pferd und Kleidung verschwanden, er ging

nach Hause und setzte sich an den Herd, als wüßte er

von nichts. Als nun die Brüder zurückkamen, erzählten

sie dem Vater: »Sieh mal, Vater, heute kam ein

Held ganz in Schwarz und auf einem Rappen, der

sprang über die Gräben, und die Zarentochter, die

jüngste, warf ihm einen Apfel zu.« Da kam auch der

Grindskopf mit der Frage: »Was, Bruder, was?« Die

aber antworteten ihm nur: »Ach, du Grindskopf, bleib

du nur am Herd in der Asche, zu anderem bist du

nicht da.«

Kurze Zeit verging, da riefen die Herolde wieder

aus: »Was der erste Held war, der soll zum Zaren

kommen und sich die älteste Zarentochter nehmen.«

Da sagte der Grindskopf zu seinem ältesten Bruder:

»Bruder, ich habe was gefunden, möchtest du, daß ich

dir es gebe?« – »Was, du Grindskopf,« antwortete

der, »du willst was gefunden haben? Wohin bist du

aus dem Hause gegangen, daß du etwas finden konntest?

« – »Was geht dich das an?« fuhr der Grindskopf

fort, »kann ich dir nicht etwas geben, was ich gefunden

habe?« – »Na, da gib her, laß sehen, was du gefunden

hast.« – Darauf zog der Grindskopf den Apfel

heraus, den ihm die älteste Zarentochter zugeworfen

hatte, und gab ihn seinem Bruder. Der ging zum

Zaren und bekam die älteste Zarentochter zur Frau.

Der Zar aber gab ihm zugleich mit der Tochter auch

einen besonderen Palast.

Nach einiger Zeit riefen wieder die Herolde aus:

»Was der zweite Held war, der über die Gräben

sprang, der soll kommen und sich die zweite Zarentochter

nehmen.« Da sagte wieder der Grindskopf zu

seinem zweiten Bruder: »Bruder, möchtest du, daß

ich dir etwas gebe, was ich gefunden habe?« – »Na,

du Grindskopf, kannst du etwas hier gefunden haben,

in der Asche?« – »Was geht das dich an?« fuhr der

Grindskopf fort, »kann ich dir nicht etwas geben?« –

»Na, so gib, laß sehen, was du gefunden hast.« – Da

zog der Grindskopf den Apfel der zweiten Zarentochter

heraus und gab ihn seinem Bruder. Der nahm ihn,

ging zum Zaren und heiratete dessen zweite Tochter.

Der Zar aber gab ihm mit der Tochter auch einen besonderen

Palast.

Zuletzt, wieder nach einiger Zeit, riefen die Herolde

aus: »Was der letzte Held war, der über die Gräben

sprang, der soll kommen und sich die jüngste Zarentochter

nehmen.« Da ging der Grindskopf mit dem

Rindsmagen auf dem Kopf und dem Apfel der jüngsten

Zarentochter zum Zaren, um sich die versprochene

Braut, die Zarentochter, zu holen. Als aber der

Zar ihn in dem Zustande sah, mit dem Rindsmagen

auf dem Kopfe, wollte er sie ihm nicht geben: »Soll

ich meine Tochter einem Grindigen geben?« Die

Tochter aber sagte zu ihrem Vater: »I, Vater! der war

mir zugedacht, den will ich nehmen.« – »Nein,« fuhr

der Zar fort, »das darf nicht geschehen.« – »Der war

mir vom Schicksal bestimmt,« sagte sie weiter, »den

wünsche ich mir, den will ich nehmen und will keinen

andern.« Da gab sich der Zar, ihr Vater, zufrieden und

sagte: »Nun, wenn du ihn willst, nimm ihn dir.«

So nahm sie ihn zum Manne, und der Zar gab

ihnen auch eine kleine Stube zur Wohnung, am Pferdestall

nahe bei den Pferden.

Bald darauf kam der Zar in Sorge, ein anderer Zar

hatte ihm Krieg erklärt, daher ließ er die Herolde ausrufen:

»Wer dem Zaren im Kriege zu Hilfe kommt,

dem wird er ein Geschenk geben, was er sich nur

wünscht.« Da zogen viele Helden zu Hilfe; auch hatte

er die beiden älteren Schwiegersöhne aufgefordert,

und sie gingen. An den jüngsten dachte er nicht einmal

so weit, daß er überhaupt da war, und ließ ihn

nicht einmal wissen, daß er mit jemand Krieg führte

und in Not war.

»Na!« sagte der Grindskopf zu seiner Frau, »dein

Vater hat seine beiden andern Schwiegersöhne zum

Krieg aufgerufen, mir hat er nicht einmal angezeigt,

daß er Krieg führt und Not hat. Meinetwegen, aber

wenn ich auch zu nichts anderm tauge, hätte er mich

wenigstens zum Zusehen einladen können.«

Da ging die Frau zu ihrem Vater, weinte ihm etwas

vor und sagte: »Vater, warum tust du das? Deine beiden

andern Schwiegersöhne hast du zum Krieg aufge-

rufen, warum nicht auch den jüngsten? Und wenn du

ihn schon dazu nicht aufrufst – er taugt ja auch nicht

für den Krieg –, warum hast du es nicht so gemacht,

daß du ihm irgendeinen elenden Gaul gibst, damit er

wenigstens mitgehen und aus der Ferne zusehen

kann.« Da befahl der Zar seinen Dienern, ihm den

alten Gaul zu geben. »Mag er denn auch gehen und

zusehen, wenn er will.«

Der Grindskopf nahm den alten Gaul, stieg auf und

zog mit dem Rindsmagen auf dem Kopfe fort. Als er

so dahinzog, blieb der Gaul in einem Graben stecken,

und er konnte nicht mit ihm herauskommen. Alle, die

das sahen, lachten ihn aus; endlich aber kam er mit

großer Mühe wieder aus dem Graben heraus. Darauf

versteckte er irgendwo den Rindsmagen und warf das

weiße Pferdehaar in die Luft. Sogleich, hast du nicht

gesehen, erschien vor ihm ein Schimmel und ein weißer

Anzug; er zog die weißen Kleider an, bestieg den

Schimmel und machte sich auf, das Heer, das weitergezogen

war, einzuholen. Er holte es auch ein und

sprengte vor dem ganzen Heere so mächtig einher,

daß keiner ihn aufhalten konnte. Sie schlugen sich

nun mit dem Feinde herum, besiegten ihn und kehrten

am Abend zurück; auch der Zar kam zurück. Am

nächsten Morgen kamen zum Zaren alle seine Großen,

ihn zu dem Siege zu beglückwünschen, darunter

auch der Held mit dem Schimmel, der Sieger. Sie stie-

gen hinauf, und alle standen stramm vor ihm; dann

setzten sie ihn an den obersten Platz, ganz oben. Als

sie nun tüchtig getrunken hatten, wie es damals Sitte

war, sagte der Zar zu ihm:

»Nun, was wünschest du dir von mir? Wünsche,

was du magst, ohne Scheu.« Er aber antwortete:

»Nichts wünsche ich, erhabener Zar.« – »Wieso

nichts? Ich habe doch gelobt, dem Sieger alles zu

geben, was er nur wünscht.« Der Held wiederholte:

»Ich wünsche nichts, erhabener Zar, als nur das Bekken,

das du zum Waschen brauchst, nur das gib

mir.« – »Das Waschbecken«, antwortete der Zar,

»kannst du leicht haben, aber wünsche dir noch

etwas.« – »Nichts anderes wünsche ich«, sagte der

Held noch einmal, »als das Becken.« Da gab man ihm

das Waschbecken, und er ging damit nach Hause; das

Pferd aber und die weißen Kleider verschwanden, und

er zog wieder den Rindsmagen über den Kopf, das

Waschbecken aber hängte er in der Stube an die

Wand.

Zum Glückwünschen kamen ja auch des Zaren

Töchter, so auch die jüngste, die Frau des Grindskopfs.

Die fragte ihren Vater: »Vater, was für ein Geschenk

hast du dem Helden gegeben, der in dem Kriege

gesiegt hat?« – Der Vater antwortete: »Er wollte

nichts, meine Tochter, als nur mein Waschbecken,

und das habe ich ihm gegeben.« – »Was,« sagte sie,

»wie kannst du ihm das Waschbecken gegeben

haben? Das ist ja da bei uns im Hause, hängt an der

Wand in unsrer Stube.« – »Nein,« erwiderte der Zar,

»wie kann das sein? Mein Waschbecken ist Gott weiß

wo; der Held war nicht von hier; er nahm das Waschbecken

und ging damit fort.« – »Nein, Vater, das

Waschbecken ist bei uns zu Hause.« – »So geh und

hole es, daß ich es sehe.« – Die Tochter eilte nun nach

Hause, um das Waschbecken zu holen und es ihrem

Vater zu bringen, daß er es sehe und ihr glaube; aber

ihr Mann ließ es nicht zu, sondern sagte: »Laß das

Waschbecken hier; mir ist es recht da, wo es ist.«

Bald darauf wurde dem Zaren wieder Krieg erklärt;

die Herolde riefen überall aus: »Wer ein tüchtiger

Held ist, der soll dem Zaren zu Hilfe kommen, er will

ihm zum Geschenk geben alles, was er nur wünschen

mag.« Da kamen viele Helden; der Zar hatte auch

seine beiden älteren Schwiegersöhne aufgerufen, und

die waren gekommen. Dem jüngsten aber, dem

Grindskopf, gab man wieder den alten Gaul, er solle

auch gehen, aber nur, um aus der Ferne zuzusehen.

Da sagte er zu seiner Frau: »Was soll ich mit dem

Gaul? Besser, ich gehe zu Fuß und sehe so von ferne

zu.« Darauf ging er zu Fuß an den früheren Ort, versteckte

dort den Rindsmagen und warf das rote Haar

in die Luft; sogleich kam vor ihm ein Rotfuchs heraus

und ein roter Anzug. Den zog er an, bestieg das Pferd,

sprengte fort, dem Heer voran und schlug sich heldenhaft.

Sie kämpften lange mit dem Feinde, aber durch

den Heldenmut des Grindskopfes gewann das Heer

des Zaren den Sieg. Als sie heimgekehrt waren,

kamen alle Großen zum Zaren, ihm zu dem Siege

Glück zu wünschen, darunter auch der sieghafte Held.

Der Zar aber fragte ihn: »Was wünschest du dir von

mir? Wünsche, was du willst, ich gebe es dir, denn

ich habe es gelobt, und du hast meine Ehre gerettet.«

Aber der Held antwortete: »Nichts anderes wünsche

ich von dir, erhabener Zar, als nur das Tuch, mit dem

du dir das Gesicht nach dem Waschen abtrocknest.«

Der Zar gab es ihm, und er ging damit nach Hause;

auch die anderen gingen fort, er ging aber zuerst an

den Ort, wo er den Rindsmagen gelassen hatte; dort

tat er wie früher, setzte den Rindsmagen auf und

machte sich wieder zum Grindskopf; Pferd und Kleider

verschwanden. Zu Hause angekommen, hängte er

auch das Tuch an die Wand wie früher das Waschbecken.

Als nun die Schwestern gingen, ihrem Vater Glück

zu wünschen, zu dem Siege, ging auch die Frau des

Grindskopfes, und als sie ihren Glückwunsch angebracht

hatte, fragte sie den Vater: was er dem Sieger

für ein Geschenk gemacht habe. »Er wollte nichts«,

antwortete der Vater, »als nur das Tuch, womit ich

mir das Gesicht abtrockne, und das habe ich ihm ge-

geben.« – »Wie, das Tuch?« fragte sie weiter, »dein

Tuch ist ja da bei uns zu Hause, hängt in der Stube an

der Wand.« Der Zar wollte das nicht glauben: »Wie

kann es bei euch im Hause sein?« – »Ja wohl, es ist

bei mir im Hause«, wiederholte sie. – »So geh und

hole es, daß ich es sehe.« – Da ging sie, das Tuch des

Zaren zu holen, aber ihr Mann ließ es nicht zu, sondern

sagte: »Laß es da, mir ist es recht, wo es ist.«

Bald darauf wurde dem Zaren zum drittenmal

Krieg erklärt; die Herolde riefen überall aus und forderten

die Helden auf, dem Zaren im Kriege zu Hilfe

zu kommen; der Zar würde dem Sieger alles geben,

was er nur wünschen möge. Da kamen alle großen

auserwählten Helden, auch die beiden älteren Schwiegersöhne

des Zaren kamen, und zuletzt der jüngste,

der Grindskopf. Wie früher, versteckte er den Rindsmagen

und warf das schwarze Haar in die Luft. Sogleich

erschien ein Rappe und schwarze Kleider. Die

zog er an, bestieg das Pferd, sprengte fort und kam

dem ganzen Heere des Zaren voran, schlug sich heldenhaft

und siegte zum drittenmal.

Als so der Krieg zu Ende war, kamen wieder die

Großen zum Zaren, ihm Glück zu wünschen, dabei

auch der Held, der Sieger, und wieder fragte ihn der

Zar, was er ihm für ein Geschenk geben solle für den

Heldenmut, mit dem er das feindliche Heer vernichtet

hatte. Der Held aber antwortete: »Ich wünsche nichts,

erhabener Zar, als daß du mir sagst, wer ich bin«;

dann sagte er aber selbst: »Ich bin dein jüngster

Schwiegersohn, dem du deine jüngste Tochter nicht

geben wolltest und den du in einer Stube dicht bei den

Pferden wohnen ließest.«

Von da an ehrte ihn der Zar mehr als die beiden andern

Schwiegersöhne und machte ihn zum ersten von

allen seinen Leuten.

So wurde der verachtete Grindskopf der erste von

allen und kam mehr zu Würden und Ehren als alle.

8. Kaiser Konstantins Schatz, oder: Das Auge

des Menschen ist unersättlich

Es waren einmal ein Vater und ein Sohn; die hatten

einen Acker mit Weizen besät; da kamen Sperlinge

geflogen und pickten den Samen weg. Der Vater

schickte den Sohn auf den Acker, um ihn vor den

Sperlingen zu hüten. Der Sohn ging auch einige Tage

nach der Reife dahin und paßte auf, aber zuletzt wollte

er nicht mehr gehen. Der Vater versuchte mit aller

Gewalt, ihn anzutreiben, daß er ginge, aber er ging

nicht. Endlich gerieten Vater und Sohn in Streit und

Schlägerei, der Sohn nahm einen Stein und verwundete

seinen Vater am Kopf. Der ging und klagte vor Gericht.

Der Richter ließ den Sohn rufen und fragte ihn,

warum er seinen Vater verwundet habe. Der antwortete:

»Weil er mich auf den Acker schickte, um ihn

gegen die Sperlinge zu hüten. Ich bin auch ein-, zweimal

gegangen und habe aufgepaßt; aber da ich einmal

den großen Sperling seinen Sperlingsjungen sagen

hörte: pickt nur die Körner, die nicht aufgehen, bin

ich den nächsten Tag, als mich der Vater wieder

schicken wollte, nicht gegangen; deswegen prügelte

mich der Vater, und ich habe ihn am Kopf verwundet.

«

Da sagten der Richter und der Zar zu ihm: »Na!

wenn du verstehst, was die Sperlinge reden, dann

mußt du auch wissen, wo der Schatz des Kaisers

Konstantin ist«. Er antwortete, er wisse nichts anderes,

als was er ihnen gesagt habe, und schwur darauf;

sie glaubten ihm aber nicht, setzten ihm weiter zu,

und endlich gab er nach und sagte ja.

Darauf bat er sie um drei Tage Bedenkzeit; die gewährten

sie ihm; nach den drei Tagen ließen sie ihn

wieder rufen, und er sagte dann zu dem Zaren:

»Bringt mir fünfhundert Pferde, tausend Kühe und

dreihundert Schafe, häutet sie ab und bringt sie an den

und den Ort im Gebirge.« Der Zar befahl sogleich,

daß ihm dieser Wunsch erfüllt werde, und das geschah

ohne Zögern. Dann forderte er noch, daß man

an denselben Ort auch andere Nahrungsmittel bringen

sollte und ein Schutzdach zur Wohnung für ihn auf

sechs Wochen, denn er wollte so lange dort leben und

aufpassen. Er saß nun dort einige Zeit Tag und Nacht,

und allerlei Tiere kamen und fraßen von dem Pferde-,

Kuh- und Schaffleisch; er aber saß verborgen und

hörte zu, was die Tiere miteinander sprachen. Sie fraßen

so lange, bis alles Fleisch aufgefressen war und

nur noch Knochen übrig waren. Bis zum letzten

Abend vor Ende der sechs Wochen hatte er nichts erfahren.

Aber am nächsten Morgen früh kamen die Königsadler,

pickten an den Knochen herum und sprachen

untereinander; dabei fragten sie, wer von den

dreien der älteste wäre und sich an eine alte Begebenheit

erinnern könnte. Der älteste Adler sagte: »Ich

kann mich erinnern, als ich ein kleines Kind war, fiel

einmal Schnee bis an den Gürtel.« – »Und ich«, sagte

der zweite, »kann mich erinnern, wie zu meiner Zeit

eine große Hungersnot war und viele Menschen Hungers

starben.« – »Und ich«, sagte der dritte, »kann

mich erinnern, zu meiner Zeit, als ich ein Kind war,

wurde der Schatz des Kaisers Konstantin vergraben.

« – »Also bist du der älteste von allen«, antworteten

ihm die beiden andern Adler. – »Da, unter der

Steinplatte dort,« fuhr der dritte fort, »sind dreihundert

Lasten Gold vergraben.« Der verborgene Mann

hörte das Gespräch der Adler und verhielt sich ganz

still.

Am nächsten Morgen kamen die Leute des Zaren,

ihn zu rufen: »Komm, der Zar läßt dich rufen.« Darauf

antwortete er: »Sagt dem Zaren, er soll dreihundert

Maultiere und sechshundert Säcke schicken.« Die

Boten kehrten zum Zaren zurück und richteten ihm

aus, was ihnen der Mann befohlen hatte. Der Zar befahl

sogleich, ihm die gewünschten Maultiere und

Säcke zu schicken, und es sollten viele von seinen

Leuten mitgehen, ihm zu helfen. Als die Leute bei

dem Manne angekommen waren, sagte er zu ihnen:

»Hebt die Platte da auf.« Das taten sie und was sahen

sie? Einen Brunnen voll Gold. Sie schöpften und

schöpften und füllten genau sechshundert Säcke voll,

luden sie auf die Maultiere und brachten sie dem

Zaren, aber so heimlich, daß es niemand anders erfuhr

außer den vom Zaren gesandten Leuten; dem aber, der

das Gold gefunden hatte, gaben sie nicht einen roten

Heller, ja kümmerten sich weiter nicht um ihn. Der

Arme wartete und wartete, daß der Zar ihn rufen und

ihm etwas geben sollte, aber sein Warten war ganz

vergebens, der Zar hatte ihn schon ganz vergessen.

Zuletzt, als ihm das Warten zu lange wurde, schickte

er seinen Vater zum Zaren, um wenigstens eine Mütze

voll Gold von ihm zu verlangen. Der Vater ging also

zu dem Zaren und sagte: »Erhabener Zar, mein Sohn

schickt mich, du möchtest ihm eine Mütze voll Gold

geben.« – »Was für ein Sohn?« fragte der Zar. – »Na

der, der dir den Schatz gefunden hat«, antwortete der

Vater. Der Zar aber rief: »Mach, daß du von hier fortkommst!

Was für ein Schatz? Wer hat einen Schatz

gefunden?« Der Zar hatte nämlich Angst, es könnte

einer erfahren; ein anderer Zar, der damals lebte, größer

und stärker als er, könnte davon hören. Am anderen

Tage schickte der Sohn wieder seinen Vater zum

Zaren, eine Mütze voll Gold zu fordern; da aber hielten

ihn die Leute des Zaren auf seinen Befehl an und

schlugen ihm den Kopf ab.

Als der Sohn hörte, daß man seinen Vater getötet

hatte, ging er selbst zum Zaren und sagte zu ihm: »Er-

habener Zar, der und der Zar« (nämlich der, vor dem

er Angst hatte), »läßt dich vielmals grüßen, du solltest

mir meinen Vater wiedergeben, aber er will ihn

lebend und gesund; oder aber, wenn du willst, töte

auch mich; nur glaube nicht, daß es so geht wie bei

meinem Vater; ich bin von einem größern Zaren gesandt.

Also merke dir, daß ich meinen Vater lebendig

wieder haben will.« Da standen der Zar und seine

Leute in Bedenken, was sie nun machen sollten: der

Mann, der Vater, ist tot, und sein Sohn will ihn lebendig

haben; endlich sagten sie zu ihm: »Warte, wir

wollen sehen, was das Gesetz sagt; der Mann ist tot

und kann nicht wieder lebendig werden.« Im Gesetz

fanden sie geschrieben: soviel der Kopf des getöteten

Mannes wiegt, so viel Gold soll dem Sohne, der

klagt, gegeben werden. Damit gab der sich zufrieden.

Gut, sie legten nun den Kopf in eine Wagschale

und in die andre, sagen wir, ein Kilo Gold. Aber die

Schale mit dem Kopf kam nicht in die Höhe; sie verdoppelten

und verdreifachten das Gold, aber die Schale

wollte nicht hoch kommen, der Kopf war schwerer.

Da legten sie fünfzigmal, hundertmal, tausendmal soviel

Gold darauf, aber die Schale mit dem Kopf stieg

nicht in die Höhe. Alle wunderten sich, was das zu

bedeuten habe. Sie legten nun das ganze gefundene

Gold, die dreihundert Lasten dazu, aber die Schale

mit dem Kopf blieb stehen. Wieder wunderten sich

alle, was aus dieser so sonderbaren Sache werden

sollte. Es kamen nun gelehrte und belesene, weise und

kluge Leute zusammen, um herauszufinden, warum

die Wagschale mit dem Kopfe nicht aufsteige; aber

sie konnten es nicht herausbringen.

Da sagte der selbst, der den Schatz gefunden hatte

und seinen Vater lebendig wieder haben wollte, zu

ihnen: »Ich will euch zeigen, weshalb der Kopf nicht

hoch kommt.« Einstimmig riefen alle: »Wenn du auch

das noch triffst, dann wollen wir dich von jetzt an

zum Zaren haben«; und auch der Zar selbst sagte:

»Ich steige von jetzt an vom Throne, und du sollst

dich darauf setzen, wenn du es triffst.« Der Mann

aber sagte: »Bringt mir ein Tuch!« Als sie es ihm gebracht

hatten, verband er dem Totenkopf die Augen

damit und sagte zu ihnen: »Wägt jetzt!« Sie legten

ihn nun auf die Wagschale, und zwei Kilo reichten

aus. – »Wie kommt es,« fragten sie, »daß der Kopf

sich gegen zwei Kilo hebt?« – »Das kommt daher,«

antwortete der Mann, »daß er mit offenen Augen sich

niemals heben kann, denn solange das Auge sieht,

könnt ihr alle Lasten Gold darauf legen, es wird sich

nicht heben. So ist es auch mit dir, erhabener Zar, so

viele Lasten Gold habe ich dir gegeben, von mir hast

du sie bekommen, aber du hast immer noch nicht

genug davon, und mir hast du nicht einen roten Heller

abgegeben; du willst aber immer noch mehr. So konn-

te auch die Wagschale mit meines Vaters Kopf, solange

er die Augen offen hatte, sich nicht heben; erst

zuletzt, als wir sie verbunden hatten, hob die Schale

sich gegen nur zwei Kilo. So ist das Auge des Menschen

gierig und unersättlich«.

9. Die Taten des Zarensohnes und seiner beiden

Gefährten

Es waren einmal ein Zar und eine Zarin; die hatten

zehn Jahre lang keine Kinder, und die Zarin fing jedesmal

an zu weinen, wenn sie Kinder sah. Einmal

sah sie einen Mann, der hatte sieben Kinder und ging

betteln, um die Kinder zu ernähren. Einmal kam er

auch an die Tür der Zarin; die war wieder betrübt, daß

sie kein Kind hatte, und gab ihm Geld und Brot. Da

ging einmal gerade ein alter Mann mit weißem Bart

vorüber und sah, wie die Zarin weinte, als sie die

Kinder des Bettlers sah. Der Alte fragte sie: »Warum

weinst du?« Sie antwortete ihm: »Dem da, der sie

nicht ernähren kann, hat Gott Kinder gegeben, und

mir, die sie nähren und kleiden kann, gibt er keine.«

Darauf sagte der Alte: »Wenn du mich zum Gevatter

nimmst, will ich dir ein Kind geben.« – »Warum

nicht? Ich will dich zum Gevatter nehmen.« Der Alte

gab ihr darauf einen Apfel und sagte: »Eine Hälfte iß

du, und die andere gib dem Zaren.« Die Zarin nahm

den Apfel, gab die eine Hälfte dem Zaren, die andere

aß sie selbst. Nach neun Monaten bekam sie ein

Kind, einen Jungen; bei seiner Geburt schoß man mit

Kanonen. Bis zum zehnten Jahr hatten sie ihm noch

keinen Namen gegeben und schickten ihn so ohne

Namen in die Schule. Der Junge aber, traf er auf dem

Schulwege einen Menschen, schlug er ihn nieder, und

die Rinder, die auf die Weide getrieben wurden, packte

er am Schwanze und schleuderte sie zur Seite. Da

klagten die Hirten beim Zaren: »Willst du uns schützen,

oder willst du unser Vieh schlagen lassen?« Als

der Junge aus der Schule kam, sagte der Zar zu ihm:

»Was schlägst du das Vieh? Die Leute sind hierher

gekommen dich zu verklagen.« Darauf antwortete der

Junge: »Ich mag hier nicht bleiben, ich will fort.

Wenns dir recht ist, gib mir ein Pferd und Geld, ich

mag nicht hier bleiben, ich will fort und mich mit irgendeinem

Ringkämpfer messen.« Der Zar aber sagte:

»Sprich nicht davon, daß du fort willst, und schlag

kein Vieh mehr tot«; damit ließ er ihn wieder in die

Schule gehen. Die Schulkinder aber riefen ihm nach:

»Namenlos, Namenlos«, weil er keinen Namen hatte.

Als sie dann aus der Schule kamen, ging der Junge zu

seiner Mutter und sagte: »Ich habe keinen Namen; ich

will fort von hier.« Die Mutter antwortete: »Wenn du

gerne einen Namen willst, so wollen wir dir einen

geben«, und sagte zum Zaren: »Das Kind will einen

Namen haben. Den Apfel, den du gegessen hast, hat

mir ein Alter gegeben und mir gesagt: wenn du mich

zum Gevatter nimmst, schenke ich dir ein Kind.« Darauf

sagte der Zar: »Mag sein, aber wo sollen wir ihn

finden?« – »Er geht jeden Tag an unserm Hause vor-

bei?« – Darauf sagte der Zar: »Halt ihn an, wenn er

vorbeikommt.« Am Abend schoß man mit Kanonen,

da der Zarensohn einen Namen bekommen sollte, und

der Zar hatte Gäste dazu eingeladen. Die Zarin aber

hielt den Alten an, und am nächsten Morgen waren

alle Zimmer voll Leute, auch der Alte war dort und

sagte zum Zaren: »Mach ein Zimmer ganz leer!« Das

geschah, der Alte ging in das Zimmer und sagte:

»Bringt mir das Kind, wie es die Mutter geboren hat.«

Da brachten sie ihm das Kind ganz nackt, er aber

kleidete es in goldne Gewänder, stach ihm ein spitzes

Messer ins rechte Bein und gab ihm den Namen

»Messerprinz«. Als die Leute ihn so in Gold gekleidet

sahen, gerieten sie ganz außer sich, und der Alte

selbst auch; der aber ging davon.

Der Zar schickte nun seinen Sohn wieder in die

Schule; der aber prügelte sich mit den Kindern; sie

klagten es dem Zaren, und er verbot es ihm. Aber es

war einmal von Gott so in den Jungen gelegt, er konnte

es nicht aushalten und sagte zu seinem Vater: »Ich

kann hier nicht stillsitzen, gebt mir ein Pferd und

einen Quersack voll Geld, ich will fort.« Da gab ihm

der Zar, was er wünschte. Der Junge zog fort und kam

an ein Gebirge. Da begegnete ihm einer, der vom Gebirge

herabkam und, während er so ging, mit dem Fuß

ausholte und die Buchen umstürzte. Messerprinz

sagte zu ihm: »Wer bist du?« – »Ich bin ein Mensch,

und du?« – »Ich bin auch ein Mensch; und du, wohin

gehst du?« – Der antwortete: »Ich gehe zu einem Zarensohn,

der Messerprinz heißt, und will mit ihm ringen.

« Messerprinz sagte darauf: »Komm, versuch es

erst einmal mit mir!« Der andre sagte ja, und sie rangen

drei Tage und drei Nächte, aber keiner kam zu

Fall. Da sagte Messerprinz: »Komm, laß uns Brüderschaft

machen!« Der andere war einverstanden, und

Messerprinz fragte ihn: »Was für eine Heldenkraft

hast du?« Der antwortete: »Ich weiß alles, was es auf

der Welt gibt; und was hast du für eine?« – »Ich habe

im rechten Bein ein Messer; wenn mir das ein andrer

herauszieht, muß ich sterben; wenn ich es aber selbst

herausziehe, sterbe ich nicht; wenn ich das Messer

schleudere, kann mir nichts widerstehen.« Da schlossen

die beiden Brüderschaft.

Sie gingen nun weiter und kamen wieder an einen

Berg; da sahen sie einen herabkommen und fragten

ihn: »Was bist du?« – »Ich bin ein Mensch,« antwortete

der, »und was seid ihr?« – »Wir sind auch Menschen.

Und du, wohin gehst du?« – Der sagte: »Ich

gehe und will mit Messerprinz ringen.« – »Komm,

versuch es erst einmal mit mir!« Da rangen sie drei

Tage und drei Nächte, und keiner kam zu Fall. Darauf

sagte Messerprinz zu ihm: »Komm, laß uns drei Brüderschaft

schließen!« Der war einverstanden, und

Messerprinz fragte ihn: »Was für eine Heldenkraft

hast du?« Er antwortete: »Ich kann mitten durchs

Meer einen Weg bahnen; und was für eine hast

du?« – »Ich habe im rechten Bein ein Messer; zieht

mir das ein andrer heraus, so muß ich sterben; wenn

ich es aber selbst herausziehe, sterbe ich nicht, und

wenn ich es schleudere, kann nichts mir widerstehen.«

Da schlossen die drei Brüderschaft.

Der eine, der alles auf der Welt wußte, sagte zu

dem Prinzen: »An dem und dem Ort ist ein Feuer;

darüber versuchen Helden zu springen, aber keiner

kommt hinüber; wer hinüberspringt, der bekommt des

Zaren Tochter.« Messerprinz antwortete: »Kommt,

laß uns dahin gehen!« Dort fragte er die Springer: »Ist

es auch uns erlaubt, zu springen?« Sie antworteten:

»Ja wohl, warum nicht? Wer kann, darf springen.« Da

sprang Messerprinz über das Feuer, und sie gaben

ihm die Zarentochter. Er aber sagte: »Sie soll mir eine

Schwester sein in dieser und in jener Welt; wenn ihr

mir sie für meinen älteren Bruder da geben wollt, will

ich sie nehmen; sonst mag sie hier bleiben.« Man gab

sie ihm, Messerprinz aber richtete diesem seinem

Bruder ein Haus zur Wohnung ein, gab ihm eins von

seinen Haaren und sagte: »Wenn Blut aus diesem

Haar fließt, wisse, daß ich tot bin.«

Darauf gingen er und der jüngere Bruder weiter

und sahen an einer Stelle, wie Leute versuchten, über

einen Fluß zu springen; und wer hinüberkäme, der

solle die Tochter des Zaren bekommen. Da nahm

Messerprinz einen Esel, lud ihn auf die Schulter und

sprang über den Fluß. Sie wollten ihm nun die Zarentochter

geben; er aber sagte: »Sie soll mir eine Schwester

sein in dieser und jener Welt; wenn ihr sie mir für

meinen Bruder geben wollt, will ich sie nehmen.« Das

taten sie; er richtete diesem Bruder ein Wohnhaus ein

wie dem andern, gab ihm auch ein Haar und zog weiter.

An einer Stelle teilte sich der Weg; dort war ein

Stein mit einer Inschrift. Messerprinz las sie: »Wer

diesen Weg geht, kehrt zurück, wer den da, kehrt

nicht zurück.« Da sagte er: »Ah! Daran wird man erkennen,

daß ich ein tapfrer Held bin; ich will den

Weg gehen, wo man nicht zurückkommt.« Das tat er,

und unterwegs traf er auf drei Lamien, schleuderte

seine Keule und erschlug sie alle drei. Beim Weitergehen

traf er noch weitere sechs; da dachte er: »Wenn

ich mit der Keule werfe, treffe ich sie vielleicht nicht;

ich will lieber mit dem Messer werfen.« Aber dann

meinte er doch: »Nein, ich will nicht mit dem Messer

werfen, sondern lieber mit der Keule.« Das tat er und

erschlug alle sechs. Als er weiter ging, traf er wieder

eine Lamia. Die war so hoch wie drei Minarete zusammen;

da sprach er bei sich: »Werfe ich so, daß ich

ihre Füße treffe, so fällt sie auf mich und erschlägt

mich«; darum warf er so, daß er sie am Kopfe traf; sie

fiel, und er ging hin und machte ihr mit dem Messer

den Garaus. An demselben Ort war ein Palast mit

fünfzig Zimmern; darin befand sich ein Mädchen; er

stieg zu den Zimmern hinauf, fand neunundvierzig

offen und eins verschlossen; an dieses stieß er mit

dem Fuße und öffnete es; darin fand er das Mädchen.

Sie war zugedeckt; er deckte sie auf und sagte: »Steh

auf!« Sie aber rief: »Lauf fort, die Lamia wird dich

auffressen.« Er erwiderte: »Ich habe die Lamia erschlagen.

« – »Nein, wie sollst du die Lamia erschlagen

können?« – »Steh auf, dann kannst du's sehen!«

Und als sie dahin gingen, sah sie, daß die Lamia

wirklich erschlagen war.

Da kamen drei Schiffe, das Mädchen zu holen. Als

Messerprinz die sah, sprach er zu dem Mädchen:

»Gib acht, ich will machen, daß die Schiffe kentern.«

Das Mädchen aber sagte: »Lauf weg! die Schiffsleute

werden dich erschlagen.« Er hörte aber nicht darauf

und machte zwei Schiffe kentern; das eine entkam. Da

gingen die Schiffsleute zum Zaren und sprachen: »Die

Lamien waren nicht mehr dort, aber ein junger Mann

ließ uns nicht heran.« Als das ein altes Weib hörte,

die da war, sagte sie: »Wenn es sich nur um einen

jungen Mann handelt, will ich ihn schon überlisten.

Legt mich in eine Kiste und bringt mich zu dem Palast.

Wenn ich da bin und ihn überlistet habe, stecke

ich ein Handtuch als Fahne auf; lauft ihr dann dahin.«

Das taten sie; der junge Mann aber und das Mädchen,

die gerade am Strande spazierten, sahen die Kiste,

und er sagte: »Gib acht, sieh, wie ich die Kiste da

fortschleudere.« Sie antwortete: »Laß sein, tu es

nicht; es sind vielleicht Schüsseln darin, wir wollen

uns doch Essen herrichten.« Da nahmen sie die Kiste

und öffneten sie, und was sahen sie? Darin steckt eine

Alte, und das Mädchen meinte: »Wir wollen sie mit

nach Hause nehmen, sie soll unsere Dienerin sein.« Er

sagte aber: »Nein, ich will sie fortschleudern.« Doch

das Mädchen blieb bei ihrer Meinung, der Mann gab

ihr nach, und sie nahmen die Alte mit sich. Da sagte

die Alte zu dem Mädchen: »Was für eine Heldenkraft

hat dein Mann?« Die antwortete: »Ich weiß nicht.« –

Darauf sagte die Alte weiter: »O! wenn du das noch

nicht weißt, so liebt dich dein Mann nicht.« Darauf

ging das Mädchen und fragte ihn: »Was für eine Heldenkraft

hast du?« Er antwortete: »Ich habe ein Messer

im rechten Bein stecken; wenn mir das ein anderer

herauszieht, muß ich sterben; aber wenn ich es selbst

herausziehe, sterbe ich nicht.« Das erzählte sie der

Alten; eines Abends aber tat diese so, als schüttle sie

das Fieber, und sie klagte es dem Mädchen. Die sagte

darauf zu ihrem Manne: »Wir wollen sie doch zu uns

in die Stube nehmen, damit sie nicht einsam stirbt.«

Er antwortete: »Nein, sie liegt nicht im Sterben,

meine Liebe.« Das Mädchen aber blieb dabei: »Wir

wollen es doch tun; es wäre sonst Sünde.« Da nahmen

sie die Alte zu sich; die aber zog dem Manne, als er

eingeschlafen war, das Messer aus dem rechten Bein,

und er starb. Darauf ging die Alte und steckte ein

Tuch als Fahne auf, und die Schiffsleute kamen und

nahmen das Mädchen mit. Die bat sie: »Wartet noch,

laßt mich ihn zudecken und die Stube abschließen!«

Das erlaubten sie ihr, und dann nahmen sie sie mit.

Nun floß Blut aus den Haaren, die er den beiden

Brüdern zurückgelassen hatte, und sie machten sich

auf, ihn zu suchen, sahen den Stein und lasen darauf

die Inschrift: »Geht einer diesen Weg, kommt er nicht

zurück; geht er den da, kommt er zurück.« Da sagten

sie: »Den Weg, wo man nicht zurückkommt, ist er gegangen.

« Auf dem weiteren Wege fanden sie erst die

drei erschlagenen Lamien, dann die sechs und zuletzt

die riesenhafte, und sahen also, daß Messerprinz nicht

von ihnen aufgefressen war. Als sie dann in den Palast

kamen, fanden sie neunundvierzig Zimmer offen,

eins geschlossen. Das öffneten sie und fanden ihn

dort. Da sagte der eine, der alles auf der Welt wußte,

zu dem andern, der einen Weg durchs Meer bahnen

konnte, er solle das tun; er wußte nämlich, daß die

Alte das Messer ins Meer geworfen hatte. Der andre

tat das, sie fanden das Messer, kehrten zurück und

steckten Messerprinz es wieder ins Bein. Da wachte

der auf und sprach: »Ach, was habe ich geschlafen!

Aber wo kommt ihr her? Was habt ihr mit dem Mädchen

gemacht?« Sie antworteten: »Wir sollen etwas

mit dem Mädchen gemacht haben? Wo ist die?« Der

aber, der alles wußte, wußte auch, daß der Zar das

Mädchen fortgeholt hatte, und Messerprinz befahl

dem andern, einen Weg durchs Meer zu bahnen. Von

dem Palast bis zu dem Zaren waren es neun Tagereisen.

Sechs Tagereisen hatten sie schon auf dem Meereswege

zurückgelegt, es blieben bis zu dem Zarenschlosse

noch drei. Das Mädchen hatte aber zu dem

Zaren gesagt: »Ich heirate dich nicht, ehe neun Tage

um sind; so lange laß mich ihn betrauern.« Messerprinz

fragte nun seinen Genossen: »Wieviel Tagereisen

sind es noch bis zu dem Schlosse«, und als er erfuhr,

noch drei, sagte er: »Mach jetzt schnell!« Das

tat der, und sie kamen bis an das Schloß. Da sah Messerprinz

das Mädchen am Fenster des Zaren sitzen,

sprang ans Land und ging zu dem Fenster. Als die

Alte, die am Tisch des Zaren gesessen hatte, ihn sah,

fiel sie unter den Tisch, der Zar aber ging gerade im

Hause herum. Da ergriff Messerprinz die Alte und

hieb sie in Stücke; dann machte er sich auf, auch den

Zaren in Stücke zu hauen; der aber bat ihn: »Ich will

dir neun Lasten Geld geben, töte mich nicht.« So geschah

es, Messerprinz nahm das Geld und das Mädchen,

drei Lasten gab er dem ältesten Bruder, drei

dem jüngern, drei behielt er für sich, und dann ging

jeder hin, wo er zu Hause war.

10. Der Zarensohn und die dankbaren Tiere

Es war einmal ein Zar, der entließ, ich weiß nicht

warum, seine Frau und nahm eine andre. Die erste

aber war schwanger, als er sie entließ, und er gab ihr

eine große Stadt, über die sie herrschen sollte, und befahl

ihr: wenn sie ein Mädchen zur Welt brächte, solle

das bei ihr bleiben, wenn aber einen Sohn, so solle sie

den, sobald er erwachsen wäre, zu ihm schicken. Die

Frau ging nun in die Stadt, und als die Zeit gekommen

war, gebar sie einen Sohn. Das Kind wuchs und

wuchs heran, und sie schickte es in die Schule, daß es

alle Wissenschaft lerne. Als er nun schon erwachsen

war, sagte die Mutter zu ihm: »Mein Sohn, such dir

einen Mann, der dich zu deinem Vater bringen soll.«

Er fand auch einen, der dazu bereit war. Als er am

nächsten Morgen wieder in die Schule ging, buk ihm

die Mutter einen Kuchen und schickte ihn mit dem

Manne ihrem Sohne in die Schule.

Unterwegs brach der Mann ein bißchen von dem

Kuchen ab, um zu versuchen, wie er schmecke, und

brachte ihn dann dem Jungen in die Schule. Als der

am Abend nach Hause kam, fragte ihn seine Mutter

nach dem Kuchen, ob er ihn bekommen habe, ob er

noch ganz gewesen oder etwas davon abgebrochen

wäre. Er antwortete, daß ein ganz kleines Stück abge-

brochen war.

Da dachte die Mutter: der Mann wird ihn nicht in

die Stadt bringen, sondern ihn irgendwo totschlagen,

und sagte zu ihrem Sohn, er solle den Mann wegjagen

und einen anderen annehmen. Darauf nahm er einen

Zigeuner an. Am anderen Tage buk die Mutter wieder

einen Kuchen und schickte den Zigeuner, ihn zu ihrem

Sohne in die Schule zu tragen. Der Zigeuner rührte

den Kuchen nicht an, sondern brachte ihn hin und

übergab ihn. Als nun am Abend die Mutter erfuhr,

daß der Kuchen unberührt geblieben war, befahl sie

ihrem Sohne, sich reisefertig zu machen. Während er

damit beschäftigt war, schrieb sie ein Zeugnis für ihn,

daß er wirklich des Zaren Sohn sei, gab es ihm und

schickte ihn auf die Reise. Unterwegs kamen sie an

einen Ort, wo es kein Wasser gab; sie waren aber

beide durstig und suchten eifrig nach Wasser; endlich

fanden sie einen Brunnen, aber ohne Schöpfeimer,

und hatten nichts, womit sie das Wasser heraufziehen

konnten. Da trieb der Prinz den Zigeuner sehr an, er

solle in den Brunnen steigen und Wasser heraufholen.

Der wollte aber nicht, sondern schrie ihn an: »Wenn

du durstig bist, steig selber hinein und trink.« Da der

Prinz nun sehr durstig war, zwängte er sich in den

Brunnen hinein, trank sich satt und wollte wieder heraussteigen.

Aber der Zigeuner versperrte ihm die Öffnung,

wollte ihn nicht herauslassen, sondern hatte die

Absicht ihn hineinzustoßen, damit er umkomme. Der

Prinz bat ihn, er möge ihn herauslassen, der aber

wollte nicht, sondern sagte: »Gib mir das Zeugnis,

dann lasse ich dich heraus.« Der Prinz, dem sein

Leben lieb war, gab es ihm, aber der Zigeuner ließ ihn

doch nicht heraus, sondern wollte ihn umbringen. »Jawohl,

« rief er, »ich soll dich herauslassen, daß du

mich dann anzeigst.« Da der Prinz kein anderes Mittel

hatte, ihn zu überzeugen, daß er es niemand verraten

werde, schwur er ihm bei seinem Leben, daß er

ihn nicht anzeigen werde, und so ließ der Zigeuner ihn

heraus, und er wurde dessen Diener; der Zigeuner

aber trat als Prinz auf. So reisten sie weiter und

kamen bei dem Zaren an.

Der Zigeuner gab das Zeugnis ab, und der Zar

nahm ihn als Sohn auf, der Prinz aber blieb dessen

Diener. Aber der Zigeuner hatte doch Angst, der Prinz

könnte sich ausweisen, und dachte nach, wie er ihn

beiseite schaffen könnte. Er erfuhr, daß in einem anderen

Lande ein Zar sei, der eine Tochter habe, und

daß man jeden töte, der da komme, um sie zu werben.

Da faßte er den Plan, den Prinzen zu diesem Zaren als

Brautwerber zu schicken, um ihn so zu verderben.

Als der Prinz mit einigen Leuten aufgebrochen war

und seines Weges zog, trafen sie auf einen Zug Ameisen.

Als der Prinz sie sah, befahl er seinen Leuten,

stehen zu bleiben, bis die Ameisen vorüber wären.

Die blieben also zur Seite stehen, die Ameisen zogen

vorüber, und zuletzt kam eine große Ameise; die

sagte zu ihm: »Du hast mir Gutes getan; was wünschest

du dir Gutes von mir?« Darauf antwortete er:

»Du bist eine Ameise, was kannst du mir Gutes tun?«

Da riß die Ameise sich ein Flügelchen ab, gab das

dem Prinzen und sagte: »Ich weiß, wohin du gehst,

und ich werde dir einmal nötig sein. Du brauchst nur

diesen Flügel am Feuer anzuwärmen, und ich

komme.« Er nahm den Flügel und steckte ihn zu sich.

Dann zogen sie weiter und kamen an einen Ort, wo

Kinder junge Adler aufgriffen; die kaufte er ihnen für

Geld ab und ließ sie am Leben. Da kam die Adlermutter

zu dem Prinzen und sagte: »Du hast mir Gutes

getan, was wünschest du von mir?« Er antwortete:

»Du bist ein Vogel, was kannst du mir Gutes tun?«

Darauf riß der Adler sich eine Feder aus, gab ihm die

und sagte: »Ich weiß, wohin du gehst, ich werde dir

einmal nötig sein. Wärme die Feder am Feuer an, und

ich komme.« Da nahm der Prinz die Feder, sie zogen

weiter und kamen an einen Ort, wo Kinder junge

Störche aufgriffen; auch diese kaufte er los und ließ

sie fliegen, daß sie am Leben blieben. Der Storch kam

dazu, und auch der fragte ihn: »Was kann ich dir

Gutes tun?«, riß sich eine Feder aus, gab sie ihm und

sagte: »Ich werde dir nötig sein«; und wies ihn an, die

Feder am Feuer zu wärmen, dann werde er zu ihm

kommen. Da nahm der Prinz die Feder und steckte sie

ein. Auf der Weiterreise kamen sie an ein Wasser, wo

Fischer einen Fisch gefangen hatten. Auch den kaufte

er los und ließ ihn ins Wasser, so daß er am Leben

blieb. Der Fisch aber sagte zu ihm: »Was wünschest

du dir Gutes von mir?« Der Prinz antwortete: »Du

bist ein Fisch, was kannst du mir Gutes tun?« Da riß

der Fisch sich eine Schuppe ab, gab sie ihm und sagte

dazu: »Ich weiß, wohin du gehst, und werde dir einmal

nötig sein; wärme dann die Schuppe am Feuer,

und ich komme.«

Endlich kamen sie bei dem Zaren an, und der Prinz

verneigte sich vor ihm und begrüßte ihn mit »Gott

segne dich, Zar!« Der Zar erwiderte den Gruß, und

dann fuhr der Prinz fort: »Ich bin von dem und dem

Zaren gesandt, bei dir um deine Tochter für seinen

Sohn zu werben. Willst du sie uns geben?« – »Wir

haben sie ja zum Verheiraten,« antwortete der Zar,

»und warum sollten wir sie euch nicht geben?« Am

Abend aber, als es dunkel wurde, nahm der Zar je ein

großes Maß Weizen, Roggen, Gerste, Mais, Hirse,

Hafer, rührte alles durcheinander und sagte zu dem

Prinzen: »Du bist wegen meiner Tochter gekommen,

und wir wollen sie dir auch geben, aber wir haben die

Sitte, daß wir dem Bewerber aufgeben, dies alles in

derselben Nacht auseinander zu lesen, jede Art für

sich; wenn du das machst, gebe ich dir meine Tochter,

wenn nicht, töte ich dich.« Der Prinz dachte erst, daß

das niemals ein Mensch machen könne, dann aber

kam ihm der Gedanke an den Ameisenflügel, er erwärmte

ihn, sogleich kam die Ameise zu ihm, und er

erzählte ihr, was der Zar befohlen hatte.

Da rief die Ameise alle Ameisen herbei, und sogleich

lasen sie Korn für Korn, jede Art für sich, auseinander,

alles, was durcheinandergerührt war. Als es

Tag wurde, und der Zar sah, daß alles fertig war,

dachte er sich etwas anderes aus. »Du sollst ein Kind

suchen, das seit drei Jahren tot ist, und es wieder lebendig

machen. Wenn du es fertig bringst, gebe ich

dir das Mädchen; wenn nicht, töte ich dich.« Der

Prinz dachte erst, daß das kein Mensch machen

könne; aber ihm fiel die Storchfeder ein; er erwärmte

sie, und sogleich kam der Storch zu ihm. Dann erzählte

er, was ihm alles der Zar befohlen hatte. Da flog

der Storch fort, brachte ihm eine Flasche lebenwekkendes

Wasser und sagte: »Begieß es mit diesem

Wasser, und es wird wieder lebendig.« Darauf fragte

der Prinz eine alte Frau: »Wo liegt hier ein Kind, das

seit drei Jahren tot ist?« Die Alte zeigte ihm den Ort,

er grub die Gebeine aus, legte sie in die richtige Ordnung

und begoß sie mit dem lebenweckendem Wasser,

und das Kind wurde lebendig. Da konnte nun der

Zar nichts weiter machen, sondern schickte ihn hin,

das Mädchen zu holen; die lebte aber in einem Turm

mitten im Meere, und der Zar gab ihm kein Schiff, um

dahin zu kommen. Der Prinz dachte erst, kein Mensch

könne ohne Schiff dahin kommen, dann aber fiel ihm

die Adlerfeder ein; er wärmte sie am Feuer, und sogleich

eilte der Adler herbei; dem erzählte er alles. Da

nahm ihn der Adler auf den Rücken, flog auf und

brachte ihn zu dem Mädchen in den Turm. Der sagte

er, daß er ihretwegen gekommen sei; und sie willigte

mit Freuden ein. Dann stiegen sie zu Schiff und fuhren

ans Land, aber während der Fahrt hatte das Mädchen

ihren Ring ins Wasser fallen lassen. Da sagte

der Zar zu ihm: »Ehe der Ring nicht wiedergefunden

ist, gebe ich das Mädchen nicht her.« Der Prinz erinnerte

sich nun an die Fischschuppe und wärmte sie

an; sogleich erschien der Fisch, ging den Ring suchen

und brachte ihn herbei. Als das geschehen war, konnte

der Zar nichts mehr machen, und man bereitete

alles für das Mädchen zur Abreise vor. Dann stiegen

sie beide in eine Kutsche, der Prinz als ihr Begleiter.

Als sie nahe bei der Stadt waren, wohin er sie geleiten

sollte, schickte er einen Mann voraus, um anzuzeigen,

daß man ihnen entgegenkommen solle. Da zog auch

der Zigeuner, der sich für den Prinzen ausgab, mit seinen

Freunden ihnen entgegen. Da er nun dem Prinzen

nichts anderes antun konnte, ihn zu verderben, machte

er es ihm zum Verbrechen, daß er bei dem Mädchen

in der Kutsche saß, zog seinen Säbel, hieb ihn nieder,

und der Prinz starb.

Während aber der Prinz und das Mädchen allein

gewesen waren, hatte sie alles von ihm erfahren und

erinnerte sich nun an das lebenweckende Wasser, zog

das Fläschchen heraus und begoß ihn damit; und er

wurde wieder lebendig. Da wurde es bekannt, daß der

Zigeuner nicht des Zaren Sohn sei, sondern der andre

der wirkliche Prinz. Als der Zar das vernahm, ließ er

den Zigeuner hinrichten, seinen Sohn aber nahm er zu

sich und verheiratete ihn mit dem Mädchen, das er

hergebracht hatte.

11. Die drei Brüder und der Schuglan

Drei Schafhirten, drei Brüder, weideten ihre Schafe

auf einem Berge und verloren eines Abends im Nebel

ihren Weg; da mußten sie haltmachen und konnten

nicht weiter gehen. Auf diesem Berge wohnte ein

Teufelswesen, der Schuglan, sehr groß und schrecklich,

mit einem Auge auf der Stirn. An dem Abend

kam er zu den Hirten und fragte sie: »Warum seid ihr

hier stehen geblieben?« Die Hirten konnten ihn in der

Dunkelheit nicht erkennen, dachten, es sei ein

Mensch, und antworteten: »Wir haben im Nebel den

Weg verloren, so konnten wir nicht weiter gehen, und

hier hat uns die Dunkelheit überfallen.« Darauf sagte

der Schuglan: »Kommt, ich will euch zu meiner Hütte

führen; die ist hier ganz nahe; dort könnt ihr die

Nacht zubringen, daß ihr nicht in freiem Felde zu sitzen

braucht.« Die Hirten waren froh, daß sie einen

freundlichen Menschen gefunden hatten und ein Unterkommen

und folgten ihm mit ihren Schafen. Nach

einiger Zeit kamen sie an einen Felsen. Der Schuglan

winkte mit der Hand, da tat sich ein großes steinernes

Tor auf, und er sagte zu den Hirten: »Hier ist meine

Hütte, treibt erst die Schafe hinein und dann geht

selbst.« Den Hirten kam es etwas verdächtig vor, aber

richtig merken konnten sie nichts, so trieben sie die

Schafe hinein und gingen selbst auch. Als sie drinnen

waren, winkte der Schuglan wieder mit der Hand, und

das Tor tat sich zu. Die Höhle war sehr groß, und an

einem Ende war ein Feuer angezündet. Als sie ans

Feuer traten, sahen die Hirten den Schuglan ganz

nackt, mit nur einem Auge, ein furchtbares Schreckbild,

und wußten nun, wohin sie geraten waren, und

erschraken sehr. Der Schuglan aber sagte zu ihnen:

»Habt keine Angst; macht es euch bequem, zieht die

Schuhe aus und schlaft diese Nacht in aller Ruhe.«

Dann aßen sie zu Abend und gingen schlafen. Die

Hirten zitterten vor Angst, aber sie konnten nichts

machen und sprachen: »Wie es Gott jetzt gefügt hat,

so wird es werden«, legten sich und schliefen ein.

Einer von ihnen aber – entweder hatte er zu große

Angst, oder es trieb ihn sein Mut – ließ sich nicht in

Schlaf fallen, sondern machte mit seinem Kopftuch

eine kleine Höhlung und guckte unten durch, ob er

vielleicht bemerken könnte, was der Schuglan macht.

Und siehe da, um Mitternacht stand der leise auf,

machte ein großes Feuer, nahm dann einen großen

Bratspieß und legte ihn ins Feuer. Als der Bratspieß

von der Hitze glühend geworden war, ging der Schuglan

zu einem der schlafenden Hirten, erwürgte ihn im

Schlaf, steckte ihn an den Spieß und legte ihn aufs

Feuer, um ihn zu braten. Als er damit fertig war,

nahm er ihn heraus und legte ihn beiseite; darauf

machte er wieder den Bratspieß glühend. Der von den

Hirten, der nicht schlief, sah, was der Schuglan mit

ihnen machte, erschrak darüber sehr und dachte nach,

wie er wenigstens sich retten könnte, wenn die Reihe

an ihn käme. Der Schuglan briet auch den anderen

Hirten, machte wieder den Bratspieß heiß und stand

auf, um den wachen Hirten zu erwürgen. Als der Hirt

sah, wie die Sache stand, sprang er plötzlich auf, riß

den Bratspieß an sich und stieß ihn dem Schuglan ins

Auge; das brannte aus, und er erblindete. Vor

Schmerzen sprang er hin und her, schrie auf und fing

an, den Hirten zu suchen. Der aber versteckte sich

unter den Schafen. Die ganze Nacht suchte der Schuglan

nach ihm, aber da er blind war, konnte er ihn nicht

finden und sagte: »Ich will dir's morgen, wenn es Tag

wird, schon zeigen, dann werde ich dich finden.« Am

anderen Morgen stand der Schuglan auf, öffnete das

Tor und trieb die Schafe, eins nach dem anderen, aus,

so daß der Hirt nicht entrinnen konnte. Er versteckte

sich aber dann unter dem Bauch eines großen Widders,

legte die Arme um dessen Hals, und der Widder

schleppte ihn mit hinaus. Als der Hirt sich so befreit

hatte, rief er dem Schuglan von ferne zu: »Faß mich

am Schopf, wenn du kannst.« Da platzte der Schuglan

vor Ärger und starb.


Balkanmärchen auf 251 Seiten

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