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[45]Aus Kunst und Alterthum.

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Fünften Bandes drittes Heft.

1826.

(Einzelnes.)

281. Eigentlich weiß man nur, wenn man wenig weiß; mit dem Wissen wächs’t der Zweifel.

282. Die Irrthümer des Menschen machen ihn eigentlich liebenswürdig.

283. Bonus vir semper tiro.

284. Es gibt Menschen, die ihr Gleiches lieben und aufsuchen, und wieder solche, die ihr Gegentheil lieben und diesem nachgehn.

285. Wer sich von jeher erlaubt hätte, die Welt so schlecht anzusehen, wie uns die Widersacher darstellen, der müßte ein miserables Subject geworden sein.

286. Mißgunst und Haß beschränken den Beobachter auf die Oberfläche, selbst wenn Scharfsinn sich zu ihnen gesellt; verschwistert sich dieser hingegen mit Wohlwollen und Liebe, so durchdringt er die Welt und den Menschen, ja er kann hoffen, zum Allerhöchsten zu gelangen.

287. Panoramic ability schreibt mir ein englischer Kritiker zu, wofür ich allerschönstens zu danken habe.

288. Einem jeden wohlgesinnten Deutschen ist eine gewisse Portion poetischer Gabe zu wünschen als das wahre Mittel, seinen Zustand, von welcher Art er auch sei, mit Werth und Anmuth einigermaßen zu umkleiden.

289. Den Stoff sieht jedermann vor sich, den Gehalt [46]findet nur der, der etwas dazu zu thun hat, und die Form ist ein Geheimniß den meisten.

290. Die Menschen halten sich mit ihren Neigungen an’s Lebendige. Die Jugend bildet sich wieder an der Jugend.

291. Wir mögen die Welt kennen lernen, wie wir wollen, sie wird immer eine Tag- und eine Nachtseite behalten.

292. Der Irrthum wiederholt sich immerfort in der That, deßwegen muß man das Wahre unermüdlich in Worten wiederholen.

293. Wie in Rom außer den Römern noch ein Volk von Statuen war, so ist außer dieser realen Welt noch eine Welt des Wahns, viel mächtiger beinahe, in der die meisten leben.

294. Die Menschen sind wie das rothe Meer: der Stab hat sie kaum aus einander gehalten, gleich hinterdrein fließen sie wieder zusammen.

295. Pflicht des Historikers, das Wahre vom Falschen, das Gewisse vom Ungewissen, das Zweifelhafte vom Verwerflichen zu unterscheiden.

296. Eine Chronik schreibt nur derjenige, dem die Gegenwart wichtig ist.

297. Die Gedanken kommen wieder, die Überzeugungen pflanzen sich fort; die Zustände gehen unwiederbringlich vorüber.

298. »Unter allen Völkerschaften haben die Griechen den Traum des Lebens am schönsten geträumt.«

299. Übersetzer sind als geschäftige Kuppler anzusehen, die uns eine halbverschleierte Schöne als höchst liebenswürdig anpreisen: sie erregen eine unwiderstehliche Neigung nach dem Original.

[47]300. Das Alterthum setzen wir gern über uns, aber die Nachwelt nicht. Nur ein Vater neidet seinem Sohn nicht das Talent.

301. Sich subordiniren ist überhaupt keine Kunst; aber in absteigender Linie, in der Descendenz etwas über sich erkennen, was unter einem steht!

302. Unser ganzes Kunststück besteht darin, daß wir unsere Existenz aufgeben, um zu existiren.

303. Alles, was wir treiben und thun, ist ein Abmüden; wohl dem, der nicht müde wird!

304. »Hoffnung ist die zweite Seele der Unglücklichen.«

305. »L’amour est un vrai recommenceur.«

306. Es gibt im Menschen auch ein Dienenwollendes; daher die chevalerie der Franzosen eine servage.

307. »Im Theater wird durch die Belustigung des Gesichts und Gehörs die Reflexion sehr eingeschränkt.«

308. Erfahrung kann sich in’s Unendliche erweitern, Theorie nicht in eben dem Sinne reinigen und vollkommener werden. Jener steht das Universum nach allen Richtungen offen, diese bleibt innerhalb der Gränze der menschlichen Fähigkeiten eingeschlossen. Deßhalb müssen alle Vorstellungsarten wiederkehren, und der wunderliche Fall tritt ein, daß bei erweiterter Erfahrung eine bornirte Theorie wieder Gunst erwerben kann.

309. Es ist immer dieselbe Welt, die der Betrachtung offen steht, die immerfort angeschaut oder geahnet wird, und es sind immer dieselben Menschen, die im Wahren oder Falschen leben, im letzten bequemer als im ersten.

310. Die Wahrheit widerspricht unserer Natur, der Irrthum nicht, und zwar aus einem sehr einfachen Grunde: [48]die Wahrheit fordert, daß wir uns für beschränkt erkennen sollen, der Irrthum schmeichelt uns, wir seien auf ein- oder die andere Weise unbegränzt.

311. Es ist nun schon bald zwanzig Jahre, daß die Deutschen sämmtlich transscendiren. Wenn sie es einmal gewahr werden, müssen sie sich wunderlich vorkommen.

312. Daß Menschen dasjenige noch zu können glauben, was sie gekonnt haben, ist natürlich genug; daß andere zu vermögen glauben, was sie nie vermochten, ist wohl seltsam, aber nicht selten.

313. Zu allen Zeiten sind es nur die Individuen, welche für die Wissenschaft gewirkt, nicht das Zeitalter. Das Zeitalter war’s, das den Sokrates durch Gift hinrichtete, das Zeitalter, das Hussen verbrannte: die Zeitalter sind sich immer gleich geblieben.

314. Das ist die wahre Symbolik, wo das Besondere das Allgemeinere repräsentirt, nicht als Traum und Schatten, sondern als lebendig-augenblickliche Offenbarung des Unerforschlichen.

315. Alles Ideelle, sobald es vom Realen gefordert wird, zehrt endlich dieses und sich selbst auf. So der Credit (Papiergeld) das Silber und sich selbst.

316. Die Meisterschaft gilt oft für Egoismus.

317. Sobald die guten Werke und das Verdienstliche derselben aufhören, sogleich tritt die Sentimentalität dafür ein, bei den Protestanten.

318. Es ist eben, als ob man es selbst vermöchte, wenn man sich guten Raths erholen kann.

319. Die Wahlsprüche deuten auf das, was man nicht hat, wornach man strebt. Man stellt sich solches wie billig immer vor Augen.

[49]320. »Wer einen Stein nicht allein erheben mag, der soll ihn auch selbander liegen lassen.«

321. Der Despotismus fördert die Autokratie eines jeden, indem er von oben bis unten die Verantwortlichkeit dem Individuum zumuthet und so den höchsten Grad von Thätigkeit hervorbringt.

322. Alles Spinozistische in der poetischen Production wird in der Reflexion Machiavellismus.

323. Man muß seine Irrthümer theuer bezahlen, wenn man sie los werden will, und dann hat man noch von Glück zu sagen.

324. Wenn ein deutscher Literator seine Nation vormals beherrschen wollte, so mußte er ihr nur glauben machen, es sei einer da, der sie beherrschen wolle. Da waren sie gleich so verschüchtert, daß sie sich, von wem es auch wäre, gern beherrschen ließen.

325. »Nihil rerum mortalium tam instabile ac fluxum est quam potentia non sua vi nixa.«

326. »Es gibt auch Afterkünstler: Dilettanten und Speculanten; jene treiben die Kunst um des Vergnügens, diese um des Nutzens willen.«

327. Geselligkeit lag in meiner Natur; deßwegen ich bei vielfachem Unternehmen mir Mitarbeiter gewann und mich ihnen zum Mitarbeiter bildete und so das Glück erreichte, mich in ihnen und sie in mir fortleben zu sehn.

328. Mein ganzes inneres Wirken erwies sich als eine lebendige Heuristik, welche, eine unbekannte geahnete Regel anerkennend, solche in der Außenwelt zu finden und in die Außenwelt einzuführen trachtet.

329. Es gibt eine enthusiastische Reflexion, die von dem [50]größten Werth ist, wenn man sich von ihr nur nicht hinreißen läßt.

330. Nur in der Schule selbst ist die eigentliche Vorschule.

331. Der Irrthum verhält sich gegen das Wahre wie der Schlaf gegen das Wachen. Ich habe bemerkt, daß man aus dem Irren sich wie erquickt wieder zu dem Wahren hinwende.

332. Ein jeder leidet, der nicht für sich selbst handelt. Man handelt für andere, um mit ihnen zu genießen.

333. Das Faßliche gehört der Sinnlichkeit und dem Verstande. Hieran schließt sich das Gehörige, welches verwandt ist mit dem Schicklichen. Das Gehörige jedoch ist ein Verhältniß zu einer besondern Zeit und entschiedenen Umständen.

334. Eigentlich lernen wir nur von Büchern, die wir nicht beurtheilen können. Der Autor eines Buchs, das wir beurtheilen könnten, müßte von uns lernen.

335. Deßhalb ist die Bibel ein ewig wirksames Buch, weil, so lange die Welt steht, niemand auftreten und sagen wird: ich begreife es im Ganzen und verstehe es im Einzelnen. Wir aber sagen bescheiden: im Ganzen ist es ehrwürdig und im Einzelnen anwendbar.

336. Alle Mystik ist ein Transscendiren und ein Ablösen von irgend einem Gegenstande, den man hinter sich zu lassen glaubt. Je größer und bedeutender dasjenige war, dem man absagt, desto reicher sind die Productionen des Mystikers.

337. Die orientalische mystische Poesie hat deßwegen den großen Vorzug, daß der Reichthum der Welt, den der Adepte wegweis’t, ihm noch jederzeit zu Gebote steht. Er [51]befindet sich also noch immer mitten in der Fülle, die er verläßt, und schwelgt in dem, was er gern los sein möchte.

338. Christliche Mystiker sollte es gar nicht geben, da die Religion selbst Mysterien darbietet. Auch gehen sie immer gleich in’s Abstruse, in den Abgrund des Subjects.

339. Ein geistreicher Mann sagte, die neuere Mystik sei die Dialektik des Herzens und deßwegen mitunter so erstaunenswerth und verführerisch, weil sie Dinge zur Sprache bringe, zu denen der Mensch auf dem gewöhnlichen Verstands-, Vernunfts- und Religionswege nicht gelangen würde. Wer sich Muth und Kraft glaube, sie zu studiren, ohne sich betäuben zu lassen, der möge sich in diese Höhle des Trophonios versenken, jedoch auf seine eigene Gefahr.

340. Die Deutschen sollten in einem Zeitraume von dreißig Jahren das Wort Gemüth nicht aussprechen, dann würde nach und nach Gemüth sich wieder erzeugen; jetzt heißt es nur Nachsicht mit Schwächen, eignen und fremden.

341. Die Vorurtheile der Menschen beruhen auf dem jedesmaligen Charakter der Menschen, daher sind sie, mit dem Zustand innig vereinigt, ganz unüberwindlich; weder Evidenz noch Verstand noch Vernunft haben den mindesten Einfluß darauf.

342. Charaktere machen oft die Schwäche zum Gesetz. Weltkenner haben gesagt: »Die Klugheit ist unüberwindlich, hinter welcher sich die Furcht versteckt.« Schwache Menschen haben oft revolutionäre Gesinnungen; sie meinen, es wäre ihnen wohl, wenn sie nicht regiert würden, und fühlen nicht, daß sie weder sich noch andere regieren können.

343. In eben dem Falle sind die neuern deutschen [52]Künstler: den Zweig der Kunst, den sie nicht besitzen, erklären sie für schädlich und daher wegzuhauen.

344. Der Menschenverstand wird mit dem gesunden Menschen rein geboren, entwickelt sich aus sich selbst und offenbart sich durch ein entschiedenes Gewahrwerden und Anerkennen des Nothwendigen und Nützlichen. Praktische Männer und Frauen bedienen sich dessen mit Sicherheit. Wo er mangelt, halten beide Geschlechter, was sie begehren, für nothwendig und für nützlich, was ihnen gefällt.

345. Alle Menschen, wie sie zur Freiheit gelangen, machen ihre Fehler gelten: die Starken das Übertreiben, die Schwachen das Vernachlässigen.

346. Der Kampf des Alten, Bestehenden, Beharrenden mit Entwicklung, Aus- und Umbildung ist immer derselbe. Aus aller Ordnung entsteht zuletzt Pedanterie; um diese los zu werden, zerstört man jene, und es geht eine Zeit hin, bis man gewahr wird, daß man wieder Ordnung machen müsse. Classicismus und Romanticismus, Innungszwang und Gewerbsfreiheit, Festhalten und Zersplittern des Grundbodens: es ist immer derselbe Conflict, der zuletzt wieder einen neuen erzeugt. Der größte Verstand des Regierenden wäre daher, diesen Kampf so zu mäßigen, daß er ohne Untergang der einen Seite sich in’s Gleiche stellte; dieß ist aber den Menschen nicht gegeben, und Gott scheint es auch nicht zu wollen.

347. Welche Erziehungsart ist für die beste zu halten? Antwort: die der Hydrioten. Als Insulaner und Seefahrer nehmen sie ihre Knaben gleich mit zu Schiffe und lassen sie im Dienste herankrabeln. Wie sie etwas leisten, haben sie Theil am Gewinn; und so kümmern sie sich schon um [53]Handel, Tausch und Beute, und es bilden sich die tüchtigsten Küsten- und Seefahrer, die klügsten Handelsleute und verwegensten Piraten. Aus einer solchen Masse können denn freilich Helden hervortreten, die den verderblichen Brander mit eigener Hand an das Admiralschiff der feindlichen Flotte festklammern.

348. Alles Vortreffliche beschränkt uns für einen Augenblick, indem wir uns demselben nicht gewachsen fühlen; nur in so fern wir es nachher in unsere Cultur aufnehmen, es unsern Geist- und Gemüthskräften aneignen, wird es uns lieb und werth.

349. Kein Wunder, daß wir uns alle mehr oder weniger im Mittelmäßigen gefallen, weil es uns in Ruhe läßt; es gibt das behagliche Gefühl, als wenn man mit seines Gleichen umginge.

350. Das Gemeine muß man nicht rügen; denn das bleibt sich ewig gleich.

351. Wir können einem Widerspruch in uns selbst nicht entgehen; wir müssen ihn auszugleichen suchen. Wenn uns andere widersprechen, das geht uns nichts an, das ist ihre Sache.

352. Es ist soviel gleichzeitig Tüchtiges und Treffliches auf der Welt, aber es berührt sich nicht.

353. Welche Regierung die beste sei? Diejenige, die uns lehrt, uns selbst zu regieren.

354. Dociren kannst du Tüchtiger freilich nicht; es ist, wie das Predigen, durch unsern Zustand geboten, wahrhaft nützlich, wenn Conversation und Katechisation sich anschließen, wie es auch ursprünglich gehalten wurde. Lehren aber kannst du und wirst du, das ist: wenn That dem Urtheil, Urtheil der That zum Leben hilft.

[54]355. Gegen die drei Einheiten ist nichts zu sagen, wenn das Sujet sehr einfach ist; gelegentlich aber werden dreimal drei Einheiten, glücklich verschlungen, eine sehr angenehme Wirkung thun.

356. Wenn die Männer sich mit den Weibern schleppen, so werden sie so gleichsam abgesponnen wie ein Wocken.

357. Es kann wohl sein, daß der Mensch durch öffentliches und häusliches Geschick zu Zeiten gräßlich gedroschen wird; allein das rücksichtslose Schicksal, wenn es die reichen Garben trifft, zerknittert nur das Stroh, die Körner aber spüren nichts davon und springen lustig auf der Tenne hin und wider, unbekümmert, ob sie zur Mühle, ob sie zum Saatfeld wandern.

358. Arden von Feversham, Shakespeare’s Jugendarbeit. Es ist der ganze rein-treue Ernst des Auffassens und Wiedergebens, ohne Spur von Rücksicht auf den Effect, vollkommen dramatisch, ganz untheatralisch.

359. Shakespeare’s trefflichsten Theaterstücken mangelt es hie und da an Facilität: sie sind etwas mehr, als sie sein sollten, und eben deßhalb deuten sie auf den großen Dichter.

360. Die größte Wahrscheinlichkeit der Erfüllung läßt noch einen Zweifel zu; daher ist das Gehoffte, wenn es in die Wirklichkeit eintritt, jederzeit überraschend.

361. Allen andern Künsten muß man etwas vorgeben, der griechischen allein bleibt man ewig Schuldner.

362. »Vis superba formae.« Ein schönes Wort von Johannes Secundus.

363. Die Sentimentalität der Engländer ist humoristisch und zart, der Franzosen populär und weinerlich, der Deutschen naiv und realistisch.

[55]364. Das Absurde, mit Geschmack dargestellt, erregt Widerwillen und Bewunderung.

365. Von der besten Gesellschaft sagte man: ihr Gespräch ist unterrichtend, ihr Schweigen bildend.

366. Von einem bedeutenden frauenzimmerlichen Gedichte sagte jemand, es habe mehr Energie als Enthusiasmus, mehr Charakter als Gehalt, mehr Rhetorik als Poesie und im Ganzen etwas Männliches.

367. Es ist nichts schrecklicher als eine thätige Unwissenheit.

368. Schönheit und Geist muss man entfernen, wenn man nicht ihr Knecht werden will.

369. Der Mysticismus ist die Scholastik des Herzens, die Dialektik des Gefühls.

370. Man schont die Alten, wie man die Kinder schont.

371. Der Alte verliert eins der größten Menschenrechte: er wird nicht mehr von seines Gleichen beurtheilt.

372. Es ist mir in den Wissenschaften gegangen wie einem, der früh aufsteht, in der Dämmrung die Morgenröthe, sodann aber die Sonne ungeduldig erwartet und doch, wie sie hervortritt, geblendet wird.

373. Man streitet viel und wird viel streiten über Nutzen und Schaden der Bibelverbreitung. Mir ist klar: schaden wird sie wie bisher, dogmatisch und phantastisch gebraucht; nutzen wie bisher, didaktisch und gefühlvoll aufgenommen.

374. Große, von Ewigkeit her oder in der Zeit entwickelte, ursprüngliche Kräfte wirken unaufhaltsam, ob nutzend oder schadend, das ist zufällig.

375. Die Idee ist ewig und einzig; daß wir auch den Plural brauchen, ist nicht wohlgethan. Alles, was wir gewahr [56]werden und wovon wir reden können, sind nur Manifestationen der Idee; Begriffe sprechen wir aus, und in so fern ist die Idee selbst ein Begriff.

376. Im Ästhetischen thut man nicht wohl zu sagen: die Idee des Schönen; dadurch vereinzelt man das Schöne, das doch einzeln nicht gedacht werden kann. Vom Schönen kann man einen Begriff haben, und dieser Begriff kann überliefert werden.

377. Die Manifestation der Idee als des Schönen ist ebenso flüchtig als die Manifestation des Erhabenen, des Geistreichen, des Lustigen, des Lächerlichen. Dieß ist die Ursache, warum so schwer darüber zu reden ist.

378. Echt ästhetisch-didaktisch könnte man sein, wenn man mit seinen Schülern an allem Empfindungswerthen vorüberginge oder es ihnen zubrächte im Moment, wo es culminirt und sie höchst empfänglich sind. Da aber diese Forderung nicht zu erfüllen ist, so müßte der höchste Stolz des Kathederlehrers sein, die Begriffe so vieler Manifestationen in seinen Schülern dergestalt zum Leben zu bringen, daß sie für alles Gute, Schöne, Große, Wahre empfänglich würden, um es mit Freuden aufzufassen, wo es ihnen zur rechten Stunde begegnete. Ohne daß sie es merkten und wüßten, wäre somit die Grundidee, woraus alles hervorgeht, in ihnen lebendig geworden.

379. Wie man gebildete Menschen sieht, so findet man, daß sie nur für Eine Manifestation des Urwesens oder doch nur für wenige empfänglich sind, und das ist schon genug. Das Talent entwickelt im Praktischen alles und braucht von den theoretischen Einzelnheiten nicht Notiz zu nehmen: der Musicus kann ohne seinen Schaden den Bildhauer ignoriren und umgekehrt.

[57]380. Man soll sich alles praktisch denken und deßhalb auch dahin trachten, daß verwandte Manifestationen der großen Idee, in so fern sie durch Menschen zur Erscheinung kommen sollen, auf eine gehörige Weise in einander wirken. Malerei, Plastik und Mimik stehen in einem unzertrennlichen Bezug; doch muß der Künstler, zu dem Einen berufen, sich hüten, von dem Andern beschädigt zu werden: der Bildhauer kann sich vom Maler, der Maler vom Mimiker verführen lassen, und alle drei können einander so verwirren, daß keiner derselben auf den Füßen stehen bleibt.

381. Die mimische Tanzkunst würde eigentlich alle bildenden Künste zu Grunde richten, und mit Recht. Glücklicherweise ist der Sinnenreiz, den sie bewirkt, so flüchtig, und sie muß, um zu reizen, in’s Übertriebene gehen. Dieses schreckt die übrigen Künstler glücklicherweise sogleich ab; doch können sie, wenn sie klug und vorsichtig sind, viel dabei lernen.

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