Читать книгу Faust. Der Tragödie erster Teil - Johann Wolfgang von Goethe - Страница 8

Nacht

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In einem bochgewölbten, engen gotischen Zimmer Faust unruhig auf seinem Sessel am Pulte

faust . Habe nun, ach! Philosophie,

Juristerei und Medizin

Und leider auch Theologie

Durchaus studiert, mit heissem Bemühn.

Da steh ich nun, ich armer Tor,

Und bin so klug als wie zuvor!

Heisse Magister, heisse Doktor gar,

Und ziehe schon an die zehen Jahr

Herauf, herab und quer und krumm

Meine Schüler an der Nase herum –

Und sehe, dass wir nichts wissen können!

Das will mir schier das Herz verbrennen.

Zwar bin ich gescheiter als alle die Laffen,

Doktoren, Magister, Schreiber und Pfaffen;

Mich plagen keine Skrupel noch Zweifel,

Fürchte mich weder vor Hölle noch Teufel –

Dafür ist mir auch alle Freud entrissen,

Bilde mir nicht ein, was Rechts zu wissen,

Die Menschen zu bessern und zu bekehren.

Auch hab ich weder Gut noch Geld,

Noch Ehr und Herrlichkeit der Welt:

Es möchte kein Hund so länger leben!

Drum hab ich mich der Magie ergeben,

Ob mir durch Geistes Kraft und Mund

Nicht manch Geheimnis würde kund,

Dass ich nicht mehr mit sauerm Schweiss,

Zu sagen brauche, was ich nicht weiss,

Dass ich erkenne, was die Welt

Im Innersten zusammenhält,

Schau alle Wirkenskraft und Samen

Und tu nicht mehr in Worten kramen.

O sähst du, voller Mondenschein,

Zum letztenmal auf meine Pein,

Den ich so manche Mitternacht

An diesem Pult herangewacht:

Dann über Büchern und Papier,

Trübselger Freund, erschienst du mir!

Ach! könnt ich doch auf Bergeshöhn

In deinem lieben Lichte gehn,

Um Bergeshöhle mit Geistern schweben,

Auf Wiesen in deinem Dämmer weben,

Von allem Wissensqualm entladen,

In deinem Tau gesund mich baden!

Weh! steck ich in dem Kerker noch?

Verfluchtes dumpfes Mauerloch,

Wo selbst das liebe Himmelslicht

Trüb durch gemalte Scheiben bricht’

Beschränkt von diesem Bücherhauf,

Den Würme nagen, Staub bedeckt,

Den bis ans hohe Gewölb hinauf

Ein angeraucht Papier umsteckt;

Mit Gläsern, Büchsen rings umstellt,

Mit Instrumenten vollgepfropft

Urväterhausrat drein gestopft –

Das ist Deine Welt! das heisst eine Welt!

Und fragst du noch, warum dein Herz

Sich bang in deinem Busen klemmt?

Warum ein unerklärter Schmerz

Dir alle Lebensregung hemmt?

Statt der lebendigen Natur,

Da Gott die Menschen schuf hinein,

Umgibt in Rauch und Moder nur

Dich Tiergeripp und Totenbein!

Flieh! auf! hinaus ins weite Land!

Und dies geheimnisvolle Buch,

Von Nostradamus’ eigner Hand,

Ist dir es nicht Geleit genug?

Erkennest dann der Sterne Lauf,

Und wenn Natur dich unterweist,

Dann geht die Seelenkraft dir auf,

Wie spricht ein Geist zum andern Geist.

Umsonst, dass trocknes Sinnen hier

Die heilgen Zeichen dir erklärt!

Ihr schwebt, ihr Geister, neben mir:

Antwortet mir, wenn ihr mich hört!

Er schlägt das Buch auf und erblickt das Zeichen des Makrokosmus

Ha! welche Wonne fliesst in diesem Blick

Auf einmal mir durch alle meine Sinnen!

Ich fühle junges, heilges Lebensglück

Neuglühend mir durch Nerv und Adern rinnen.

War es ein Gott, der diese Zeichen schrieb,

Die mir das innre Toben stillen,

Das arme Herz mit Freude füllen.

Und mit geheimnisvollem Trieb

Die Kräfte der Natur rings um mich her enthüllen?

Bin ich ein Gott? mir wird so licht!

Ich schau in diesen reinen Zügen

Die wirkende Natur vor meiner Seele liegen.

Jetzt erst erkenn ich, was der Weise spricht:

„Die Geisterwelt ist nicht verschlossen;

Dein Sinn ist zu, dein Herz ist tot!

Auf! bade, Schüler, unverdrossen

Die irdsche Brust im Morgenrot!“

Er beschaut das Zeichen

Wie alles sich zum Ganzen webt,

Eins in dem andern wirkt und lebt!

Wie Himmelskräfte auf- und niedersteigen

Und sich die goldnen Eimer reichen!

Mit segenduftenden Schwingen

Vom Himmel durch die Erde dringen,

Harmonisch all das All durchklingen!

Welch Schauspiel! Aber ach! ein Schauspiel nur!

Wo fass ich dich, unendliche Natur?

Euch Brüste, wo? ihr Quellen alles Lebens,

An denen Himmel und Erde hängt,

Dahin die welke Brust sich drängt –

Ihr quellt, ihr tränkt, und schmacht ich so vergebens?

Er schlägt unwillig das Buch um und erblickt das Zeichen des Erdgeistes

Wie anders wirkt dies Zeichen auf mich ein!

Du, Geist der Erde, bist mir näher;

Schon fühl ich meine Kräfte höher,

Schon glüh ich wie von neuem Wein.

Ich fühle Mut, mich in die Welt zu wagen,

Der Erde Weh, der Erde Glück zu tragen,

Mit Stürmen mich herumzuschlagen

Und in des Schiffbruchs Knirschen nicht zu zagen!

Es wölkt sich über mit –

Der Mond verbirgt sein Licht –

Die Lampe schwindet –

Es dampft – Es zucken rote Strahlen

Mir um das Haupt – Es weht

Ein Schauer vom Gewölb herab

Und fasst mich an!

Ich fühls, du schwebst um mich, erflehter Geist:

Enthülle dich!

Ha! wies in meinem Herzen reisst!

Zu neuen Gefühlen

All meine Sinnen sich erwühlen!

Ich fühle ganz mein Herz dir hingegeben!

Du musst! du musst! und kostet’ es mein Leben!

Er fasst das Buch und spricht das Zeichen des Geistes geheimnisvoll aus.

Es zuckt eine rötliche Flamme, der Geist erscheint in der Flamme

geist . Wer ruft mir?

faust abgewendet. Schreckliches Gesicht!

geist . Du hast mich mächtig angezogen,

An meiner Sphäre lang gesogen,

Und nun –

faust . Weh! ich ertrag dich nicht!

geist . Du flehst eratmend, mich zu schauen,

Meine Stimme zu hören, mein Antlitz zu sehn;

Mich neigt dein mächtig Seelenflehn:

Da bin ich! – Welch erbärmlich Grauen

Fasst Übermenschen dich! Wo ist der Seele Ruf?

Wo ist die Brust, die eine Welt in sich erschuf

Und trug und hegte? die mit Freudebeben

Erschwoll, sich uns, den Geistern, gleichzuheben?

Wo bist du, Faust, des Stimme mir erklang,

Der sich an mich mit allen Kräften drang?

Bist du es, der, von meinem Hauch umwittert,

In allen Lebenstiefen zittert,

Ein furchtsam weggekrümmter Wurm?

faust . Soll ich dir, Flammenbildung, weichen?

Ich bins, bin Faust, bin deinesgleichen!

geist . In Lebensfluten, im Tatensturm

Wall ich auf und ab,

Webe hin und her!

Geburt und Grab,

Ein ewiges Meer,

Ein wechselnd Weben,

Ein glühend Leben:

So schaff ich am sausenden Webstuhl der Zeit

Und wirke der Gottheit lebendiges Kleid.

faust . Der du die weite Welt umschweifft,

Geschäftiger Geist, wie nah fühl ich mich dir!

geist . Du gleichst dem Geist, den du begreifst

Nicht mir!

Verschwindet

faust zusammenstürzend. Nicht dir?

Wem denn?

Ich Ebenbild der Gottheit!

Und nicht einmal dir!

Es klopft

O Tod! ich kenns – das ist mein Famulus!

Es wird mein schönstes Glück zunichte!

Dass diese Fülle der Gesichte

Der trockne Schleicher stören muss!

wagner im Schlafrocke und der Nachtmütze, eine Lampe in der Hand. Faust wendet sich unwillig

wagner . Verzeiht! ich hör Euch deklamieren;

Ihr last gewiss ein griechisch Trauerspiel?

In dieser Kunst möcht ich was profitieren;

Denn heutzutage wirkt das viel.

Ich hab es öfters rühmen hören,

Ein Komödiant könnt einen Pfarrer lehren.

faust . Ja, wenn der Pfarrer ein Komödiant ist;

Wie das denn wohl zuzeiten kommen mag.

wagner . Ach! wenn man so in sein Museum gebannt ist

Und sieht die Welt kaum einen Feiertag,

Kaum durch ein Fernglas, nur von weiten

Wie soll man sie durch Überredung leiten?

faust . Wenn ihrs nicht fühlt, ihr werdets nicht erjagen,

Wenn es nicht aus der Seele dringt

Und mit urkräftigem Behagen

Die Herzen aller Hörer zwingt.

Sitzt ihr nur immer! leimt zusammen,

Braut ein Ragout von andrer Schmaus

Und blast die kümmerlichen Flammen

Aus eurem Aschenhäufchen ’raus!

Bewundrung von Kindern und Affen,

Wenn euch darnach der Gaumen steht –

Doch werdet ihr nie Herz zu Herzen schaffen,

Wenn es euch nicht von Herzen geht.

wagner . Allein der Vortrag macht des Redners Glück;

Ich fühl es wohl, noch bin ich weit zurück.

faust . Such Er den redlichen Gewinn!

Sei Er kein schellenlauter Tor!

Es trägt Verstand und rechter Sinn

Mit wenig Kunst sich selber vor.

Und wenns euch Ernst ist, was zu sagen,

Ists nötig, Worten nachzujagen?

Ja, eure Reden, die so blinkend, sind,

In denen ihr der Menschheit Schnitzel kräuselt,

Sind unerquicklich wie der Nebelwind,

Der herbstlich durch die dürren Blätter säuselt!

wagner . Ach Gott! die Kunst ist lang,

Und kurz ist unser Leben.

Mir wird, bei meinem kritischen Bestreben,

Doch oft um Kopf und Busen bang.

Wie schwer sind nicht die Mittel zu erwerben,

Durch die man zu den Quellen steigt!

Und eh man nur den halben Weg erreicht,

Muss wohl ein armer Teufel sterben.

faust . Das Pergament, ist das der heilge Bronnen,

Woraus ein Trunk den Durst auf ewig stillt?

Erquickung hast du nicht gewonnen,

Wenn sie dir nicht aus eigner Seele quillt.

wagner . Verzeiht! es ist ein gross Ergetzen,

Sich in den Geist der Zeiten zu versetzen,

Zu schauen, wie vor uns ein weiser Mann gedacht

Und wie wirs dann zuletzt so herrlich weit gebracht.

faust . O ja, bis an die Sterne weit!

Mein Freund, die Zeiten der Vergangenheit

Sind uns ein Buch mit sieben Siegeln.

Was ihr den Geist der Zeiten heisst,

Das ist im Grund der Herren eigner Geist,

In dem die Zeiten sich bespiegeln.

Da ists denn wahrlich oft ein Jammer!

Man läuft euch bei dem ersten Blick davon:

Ein Kehrichtfass und eine Rumpelkammer,

Und höchstens eine Haupt- und Staatsaktion

Mit trefflichen pragmatischen Maximen,

Wie sie den Puppen wohl im Munde ziemen!

wagner . Allein die Welt! des Menschen Herz und Geist!

Möcht jeglicher doch was davon erkennen.

faust . Ja, was man so erkennen heisst!

Wer darf das Kind beim rechten Namen nennen?

Die wenigen, die was davon erkannt,

Die töricht gnug ihr volles Herz nicht wahrten,

Dem Pöbel ihr Gefühl, ihr Schauen offenbarten,

Hat man von je gekreuzigt und verbrannt.

Ich bitt Euch, Freund, es ist tief in der Nacht,

Wir müssens diesmal unterbrechen.

wagner . Ich hätte gern nur immer fortgewacht,

Um so gelehrt mit Euch mich zu besprechen.

Doch morgen, als am ersten Ostertage,

Erlaubt mir ein- und andre Frage!

Mit Eifer hab ich mich der Studien beflissen;

Zwar weiss ich viel, doch möcht ich alles wissen. Ab.

faust allein. Wie nur dem Kopf nicht alle Hoffnung schwindet,

Der immerfort an schalem Zeuge klebt,

Mit gierger Hand nach Schätzen gräbt

Und froh ist, wenn er Regenwürmer findet!

Darf eine solche Menschenstimme hier,

Wo Geisterfülle mich umgab, ertönen?

Doch ach! für diesmal dank ich dir,

Dem ärmlichsten von allen Erdensöhnen.

Du rissest mich von der Verzweiflung los,

Die mir die Sinne schon zerstören wollte.

Ach! die Erscheinung war so riesengross,

Dass ich mich recht als Zwerg empfinden sollte.

Ich, Ebenbild der Gottheit, das sich schon

Ganz nah gedünkt dem Spiegel ewger Wahrheit,

Sein selbst genoss in Himmelsglanz und Klarheit,

Und abgestreift den Erdensohn,

Ich, mehr als Cherub, dessen freie Kraft

Schon durch die Adern der Natur zu fliessen

Und, schaffend, Götterleben zu geniessen

Sich ahnungsvoll vermass, wie muss ichs büssen!

Ein Donnerwort hat mich hinweggerafft.

Nicht darf ich dir zu gleichen mich vermessen!

Hab ich die Kraft, dich anzuziehn, besessen,

So hatt ich dich zu halten keine Kraft.

In jenem selgen Augenblicke

Ich fühlte mich so klein, so gross;

Du stiessest grausam mich zurücke

Ins ungewisse Menschenlos.

Wer lehret mich? was soll ich meiden?

Soll ich gehorchen jenem Drang?

Ach! unsre Taten selbst, so gut als unsre Leiden,

Sie hemmen unsres Lebens Gang.

Dem Herrlichsten, was auch der Geist empfangen,

Drängt immer fremd und fremder Stoff sich an;

Wenn wir zum Guten dieser Welt gelangen,

Dann heisst das Bessre Trug und Wahn.

Die uns das Leben gaben, herrliche Gefühle

Erstarren in dem irdischen Gewühle.

Wenn Phantasie sich sonst mit kühnem Flug

Und hoffnungsvoll zum Ewigen erweitert,

So ist ein kleiner Raum ihr nun genug,

Wenn Glück auf Glück im Zeitenstrudel scheitert.

Die Sorge nistet gleich im tiefen Herzen,

Dort wirket sie geheime Schmerzen,

Unruhig wiegt sie sich und störet Lust und Ruh;

Sie deckt sich stets mit neuen Masken zu,

Sie mag als Haus und Hof, als Weib und Kind erscheinen,

Als Feuer, Wasser, Dolch und Gift:

Du bebst vor allem, was nicht trifft,

Und was du nie verlierst, das musst du stets beweinen.

Den Göttern gleich ich nicht! zu tief ist es gefühlt!

Dem Wurme gleich ich, der den Staub durchwühlt,

Den, wie er sich im Staube nährend lebt,

Des Wandrers Tritt vernichtet und begräbt!

Ist es nicht Staub, was diese hohe Wand

Aus hundert Fächern mir verenget?

Der Trödel, der mit tausendfachem Tand

In dieser Mottenwelt mich dränget?

Hier soll ich finden, was mir fehlt?

Soll ich vielleicht in tausend Büchern lesen,

Dass überall die Menschen sich gequält,

Dass hie und da ein Glücklicher gewesen? –

Was grinsest du mir, hohler Schädel, her?

Als dass dein Hirn, wie meines, einst verwirret

Den lichten Tag gesucht und in der Dämmrung schwer,

Mit Lust nach Wahrheit, jämmerlich geirret!

Ihr Instrumente freilich spottet mein

Mit Rad und Kämmen, Walz und Bügels:

Ich stand am Tor, ihr solltet Schlüssel sein;

Zwar euer Bart ist kraus, doch hebt ihr nicht die Riegel.

Geheimnisvoll am lichten Tag,

Lässt sich Natur des Schleiers nicht berauben,

Und was sie deinem Geist nicht offenbaren mag,

Das zwingst du ihr nicht ab mit Hebeln und mit Schrauben.

Du alt Geräte, das ich nicht gebraucht,

Du stehst nur hier, weil dich mein Vater brauchte;

Du alte Rolle, du wirst angeraucht,

Solang an diesem Pult die trübe Lampe schmauchte.

Weit besser hätt ich doch mein Weniges verprasst,

Als mit dem Wenigen belastet hier zu schwitzen!

Was du ererbt von deinen Vätern hast,

Erwirb es, um es zu besitzen!

Was man nicht nützt, ist eine schwere Last;

Nur was der Augenblick erschafft, das kann er nützen.

Doch warum heftet sich mein Blick auf jene Stelle?

Ist jenes Fläschchen dort den Augen ein Magnet?

Warum wird mir auf einmal lieblich helle,

Als wenn im nächtgen Wald uns Mondenglanz umweht?

Ich grüsse dich, du einzige Phiole,

Die ich mit Andacht nun herunterhole!

In dir verehr ich Menschenwitz und Kunst.

Du Inbegriff der holden Schlummersäfte,

Du Auszug aller tödlich-feinen Kräfte,

Erweise deinem Meister deine Gunst!

Ich sehe dich: es wird der Schmerz gelindert,

Ich fasse dich: das Streben wird gemindert,

Des Geistes Flutstrom ebbet nach und nach.

Ins hohe Meer werd ich hinausgewiesen,

Die Spiegelflut erglänzt zu meinen Füssen,

Zu neuen Ufern lockt ein neuer Tag.

Ein Feuerwagen schwebt auf leichten Schwingen

An mich heran! Ich fühle mich bereit,

Auf neuer Bahn den Äther zu durchdringen

Zu neuen Sphären reiner Tätigkeit.

Dies hohe Leben, diese Götterwonne!

Du, erst noch Wurm, und die verdienest du?

Ja, kehre nur der holden Erdensonne

Entschlossen deinen Rücken zu!

Vermesse dich, die Pforten aufzureissen,

Vor denen jeder gern vorüberschleicht!

Hier ist es Zeit, durch Taten zu beweisen,

Dass Manneswürde nicht der Götterhöhe weicht:

Vor jener dunklen Höhle nicht zu beben,

In der sich Phantasie zu eigner Qual verdammt,

Nach jenem Durchgang hinzustreben,

Um dessen engen Mund die ganze Hölle flammt,

Zu diesem Schritt sich heiter zu entschliessen,

Und wär es mit Gefahr, ins Nichts dahinzufliessen!

Nun komm herab, kristallne, reine Schale!

Hervor aus deinem alten Futterale,

An die ich viele Jahre nicht gedacht!

Du glänztest bei der Väter Freudenfeste,

Erheitertest die ernsten Gäste,

Wenn einer dich dem andern zugebracht.

Der vielen Bilder künstlich-reiche Pracht,

Des Trinkers Pflicht, sie reimweis zu erklären,

Auf Einen Zug die Höhlung auszuleeren,

Erinnert mich an manche Jugendnacht.

Ich werde jetzt dich keinem Nachbar reichen,

Ich werde meinen Witz an deiner Kunst nicht zeigen:

Hier ist ein Saft, der eilig trunken macht;

Mit brauner Flut erfüllt er deine Höhle.

Den ich bereitet, den ich wähle,

Der letzte Trunk sei nun mit ganzer Seele

Als festlich-hoher Gruss dem Morgen zugebracht!

Er setzt die Schale an den Mund.

Glockenklang und Chorgesang

chor der engel . Christ ist erstanden!

Freude dem Sterblichen,

Den die verderblichen,

Schleichenden, erblichen

Mängel umwanden!

faust . Welch tiefes Summen, welch ein heller Ton

Zieht mit Gewalt das Glas von meinem Munde?

Verkündiget ihr dumpfen Glocken schon

Des Osterfestes erste Feierstunde?

Ihr Chöre, singt ihr schon den tröstlichen Gesang,

Der einst um Grabesnacht von Engelslippen klang,

Gewissheit einem neuen Bunde?

chor der weiber. Mit Spezereien

Hatten wir ihn gepflegt,

Wir, seine Treuen,

Hatten ihn hingelegt;

Tücher und Binden

Reinlich umwanden wir –

Ach, und wir finden

Christ nicht mehr hier!

chor der engel. Christ ist erstanden!

Selig der Liebende,

Der die betrübende,

Heilsam- und übende

Prüfung bestanden!

faust . Was sucht ihr, mächtig und gelind,

Ihr Himmelstöne, mich am Staube?

Klingt dort umher, wo weiche Menschen sind!

Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube;

Das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind.

Zu jenen Sphären wag ich nicht zu streben,

Woher die holde Nachricht tönt;

Und doch, an diesen Klang von Jugend auf gewöhnt,

Ruft er auch jetzt zurück mich in das Leben.

Sonst stürzte sich der Himmelsliebe Kuss

Auf mich herab in ernster Sabbatstille;

Da klang so ahnungsvoll des Glockentones Fülle,

Und ein Gebet war brünstiger Genuss;

Ein unbegreiflich-holdes Sehnen

Trieb mich, durch Wald und Wiesen hinzugehn,

Und unter tausend heissen Tränen

Fühlt ich mir eine Welt entstehn.

Dies Lied verkündete der Jugend muntre Spiele,

Der Frühlingsfeier freies Glück;

Erinnrung hält mich nun mit kindlichem Gefühle

Vom letzten, ernsten Schritt zurück.

O tönet fort, ihr süssen Himmelslieder!

Die Träne quillt, die Erde hat mich wieder!

chor der jünger. Hat der Begrabene

Schon sich nach oben,

Lebend-Erhabene,

Herrlich erhoben,

Ist er in Werdelust

Schaffender Freude nah:

Ach, an der Erde Brust

Sind wir zum Leide da!

Liess er die Seinen.

Schmachtend uns hier zurück,

Ach, wir beweinen,

Meister, dein Glück!

chor. der engel. Christ ist erstanden

Aus der Verwesung Schoss!

Reisset von Banden

Freudig euch los!

Tätig ihn Preisenden,

Liebe Beweisenden,

Brüderlich Speisenden,

Predigend Reisenden,

Wonne Verheissenden,

Euch ist der Meister nah,

Euch ist er da!

Faust. Der Tragödie erster Teil

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