Читать книгу BRD-Fragmente - Johanna Kaptein - Страница 5
ERSTER TEIL
Оглавлениеüber ein Foto aus den 40er Jahren:
UNTERGRUND
- ein schlagwerk
- die mutter
- die mutter
- ein schlagwerk
- in den körper
- den körper der jüngsten
- des mittleren der kinder
- der jüngsten der töchter
- hinein
- immer
- und immer wieder
- ein schlagwerk
- in den tochterkörper
- den mittleren
- den jüngsten
- wozu sonst der teppichklopfer?
- wozu?
- die hausarbeit
- die grausamkeit
- musste nicht erst erfunden werden
- DIE GRAUSAMKEIT MUSSTE NICHT ERST ERFUNDEN WERDEN!
- HÖRT IHR?
- nein
- die gab es schon vorher
- zuvor
- und zuvor
- und zuvor
- und:
Pause
- ich betrachte ihr foto. ich betrachte ihr foto. ich betrachte
- ich betrachte: ihr foto
- ihr gesicht
- ihren körper
- so steht sie da
- auf diesem foto
- nur der hut leuchtet weiß
- hell
- leuchtend weiß
- ist er
- wie der gürtel
- zeichen des wohlstands
- aber nicht
- des bürgertums
- kann man fotos lesen?
- kann man das? kann man das wirklich?
Pause
- ich kann es nicht lesen. ich kann darin nicht lesen. nein. nichts von dem wahnsinn darin. kann ich lesen.
- der ist vielleicht auf dem weg zum fotografen verloren gegangen. oder?
- das stimmt, sie sieht
- sie sieht
- nicht wahnsinnig aus. nein.
- nein. das tut sie nicht.
- kein wahnsinn sichtbar an ihr
- im gegenteil
- sie wirkt
- hübsch
- gepflegt
- adrett
- nicht unbedingt bürgerlich
- nicht unbedingt wie eine bürgerliche
- nein
- aber auch nicht wie eine mittellose
- nein, auch nicht wie eine vollkommen mittellose
- nein, auch nicht wie eine mittellose frau.
- der hut ist neu.
- der weiße hut.
- der leuchtend weiße hut
- der passende gürtel dazu.
- und außerdem der mann an ihrer seite
- ja, der mann
- jaja, der mann
- durch den sieht sie versorgt aus
- vollkommen versorgt
- und durch das kind in der karre
- durch das kind in der karre
- außerdem noch familiär
- beide. beide wirken durch das kind familiär
- naja. sie sind! ja auch eine familie.
- und das kind? ist sie das? ist sie das kind?
Pause
- nein. ich glaube, das ist eine der schwestern.
- sicher?
- nein.
- nein. es ist eben ein kind.
- ein kleines kind.
- man kann es verwechseln
- man kann nicht wirklich sicher
- nicht wirklich sicher sein
- wer es ist.
- was es ist.
- vielleicht liegt es auch daran, dass sie das gesicht wechselt? damals schon.
- das kam erst später. zu diesem zeitpunkt
- zu diesem zeitpunkt
- da ist ihr gesicht noch
- unbeschriebenes blatt
- eine leere fläche
- nein, keine fläche. erhebungen, vertiefungen und öffnungen
- aber
- glatt
- offen
- einladend
- erwartungsvoll
- auf das, was kommen mag
- aber an und für sich
- für sich selbst
- bislang:
- ohne aussage.
- so.
Pause
- ich glaube, man konnte sie von anfang an erkennen. von anfang an konnte man sie auf fotografien erkennen. immer. auf jedem foto.
- ja?
- sie war einfach zu hell. zu hell für diese familie. so hell wie das kind von jemand anderem.
- vielleicht war! sie das kind von jemand anderem.
- tatsächlich?
- aber die haare dunkelten später doch nach
- und es war ja auch nicht so, dass die übrige familie direkt dunkel gewesen wäre
- nein, das war sie nicht
- natürlich nicht
- ihre schwestern waren auch noch blond
- zwar dunkelblond
- aber blond
- und sie später dann auch.
- nein. brünett.
- darüber kann man sich streiten
- dunkles blond oder helles braun.
- darüber kann man sich ewig streiten.
- zu jeder zeit kann man sich ewig darüber streiten
- aber zu manchen zeiten
- zu manchen zeiten
- da hat es mehr bedeutung
- da hatte es mehr bedeutung
- als zu anderen.
Pause
- aber sie hat nicht jüdisch ausgesehen
- nein. natürlich hat sie nicht jüdisch ausgesehen
- niemand hat jüdisch ausgesehen in dieser familie
- und sie hatten auch keine jüdischen namen
- sie waren! ja nicht jüdisch
- nein
- wichtig
- wichtig damals
- heute immer noch
- ja?
- manchmal. kann es gefährlich sein. einen namen zu haben, der jüdisch wirkt
- in bestimmten gegenden
- in manchen einkaufszentren
- mittlerweile kann das wieder gefährlich sein
- aber diese familie musste sich gestern keine sorgen machen und heute auch nicht
- nein, die namen, die die kinder dieser familie haben
- die sind alle hell
- ja, helle, nordische namen haben sie
- helle, nordische, gesunde namen
- sie haben namen wie: adelheid, brunhild, heidrun, hannelore, horst, gertrud, siegfried, sieglinde -
- solche namen haben sie
- solche namen
in den 70er oder 80er Jahren:
KRIEG oder WIE MAN AUS DEN RICHTIGEN GRÜNDEN DIE FALSCHEN SCHLÜSSEZIEHT UND SICH IN HAARSPALTEREIEN VERLIERT
- hell schlägt auf dunkel
- hell schlägt auf dunkel
- manchmal ist es gar nicht so leicht zu erkennen
- manchmal kann mich sich darin verirren
- manchmal ist das richtige das falsche das richtige das
- doch man kann sich nur auf sich selbst verlassen
- aber nein
- man muss den subjektivismus überwinden
- was ist die wirklichkeit?
- und wie
- rückt man sie zurecht?
- fragt die schwester des mädchens
- die schwester des mädchens
- fragt das mädchen
- das nicht auf der fotografie gewesen ist
- das daneben gestanden hat
- neben der fotografie
- das fragt später:
- was ist die wirklichkeit?
- und wie
- berichtigt man sie?
- darum geht es doch
- die wirklichkeit ist ungenügend
- sie reicht nicht aus
- und die geschichte ist sogar mangelhaft
- das kann man nicht zulassen
- das kann man nicht hinnehmen
- sagt das gefühl
- und der verstand
- und auf letzteres beruft man sich
- denn der verstand sagt
- sagen die anderen
- es mussten schon immer opfer gebracht werden
- für die gute
- für die gerechte
- sache
- und dass man jetzt auf der richtigen seite steht
- das ist ja wohl klar
- das ist ja wohl sowas von klar
- sagen verstand, gefühl, analyse der fakten, und.
- aber
- trotzdem
- man muss doch bedenken
- man sollte berücksichtigen
- es ist doch:
- nein.
- das sind die falschen fragen
- das sind die fragen der schwäche
- der halbheit
- des:
- du willst es nicht wirklich
- willst du es wirklich?
- willst du es wirklich?
- willst du es wirklich?
- JA! VERDAMMT! ICH WILL EINE BESSERE WELT! ICH WILL! EINE BESSERE WELT. ICH WILL SIE! UNBEDINGT!
- nun. dann weißt du. dass opfer dafür gebracht werden müssen. zuallererst an dir selbst. du musst dich ändern. du musst dein denken ändern. du musst es weiter, größer, stärker machen. du musst dich selber stärker machen. du musst dich auf den weg machen
- ja, natürlich, aber ich finde, sie hat recht, wenn sie sagt, dass er ein wenig cholerisch ist und nicht soviel rücksicht auf die anderen meinungen in der gruppe nimmt und/
- NEIN! HÖR AUF! HÖR AUF DAMIT! WER IST VERANTWORTLICH? WER IST VERANTWORTLICH?
- ich. ja. nun. ich bin es.
- gut. du weißt es also. dann schieb nicht ihm die schuld zu.
- ja, aber. manchmal ist es doch so. dass er zu laut, zu schnell, zu unwiderruflich und wir sind doch aber alle die gleichen und