Читать книгу un.orte - Johanna Kaptein - Страница 4
EINS
ОглавлениеDie Uhr geht um
die Uhr geht krumm
ich kann
die Zeiger nicht mehr lesen
- die Zeit der Dunkelheit
- der Kopf bricht
- zerbricht
- in tausend Stücke
- in Irrtum
- und Irrtum
- und Irrtum
- die Dinge verkehren sich
- in ihr Gegenteil ins
- Gegenteil
- des Gegenteils
- nichts ist mehr
- wie es scheint
- auch die Sonne nicht
- Spiegel
- Scherben
- Fragmente
- Auflösung:
- der Schnee ist die einzige Konstante
- dicht und dick und weiß
- ein Taumel durch die Zeiten, ein Rennen durch die Stadt
- Ich höre alles
- ich höre nichts
- Höre ich mich?
- Wie ich mich anhöre!
- HÖRST DU MICH?
- ICH
- ICH
- ich
- weiß nicht weiter ich
- bin nicht mehr ich
- heule
- wenn die Waschmaschine schleudert
- damit es niemand hört
- wie ein Tier
- in der Notaufnahme
- ein Fernsehprogramm
- das läuft
- und läuft
- und läuft
- billiger zuckriger Kaffee
- aus dem Automaten
- Flecke auf dem Linoleum
- Spuren vom Becher entreißen
- bevor er voll ist
- was wollen Sie hier?
- Sind Sie schwanger?
- Kommt jetzt das Kind?
- (heute ist so ein Tag)
- Nein.
- Schwanger im Kopf mein Hirn
- gebiert Monster ich brauche
- achso. Achso.
- Na dann: Geben Sie mir mal die Einweisung
- Höllenschlünde
- zwischen
- gebrochenen Fingern
- dem einen oder anderen Obdachlosen
- der bleibt
- solange
- er geduldet wird
- ein Süßigkeitenautomat
- mit einem Schokoriegel
- der auf Halbmast hängt
- der nicht gefallen ist
- in die Lade da wird sich
- einer geärgert haben
- oder auch nicht
- egal
- (hab noch Kleingeld)
- (haben Sie mal ein bisschen Kleingeld? (Für mich?) Bitte? BITTEBITTEBITTE?)
- Automatiktüren
- die sich ständig öffnen und schließen
- Ärzte
- immer im schnellen Schritt nicht
- zur Seite blickend eilig
- durchs Unheil
- den Unfall
- den Notfall
- immer
- in Eile
- zwischen denen
- die warten
- und warten
- und warten
- hindurch
- Bis dann endlich:
- Was haben Sie?
- Ich weiß (es) nicht
- ich weiß ES nicht
- es war zuviel
- von allem
- zuviel
- und dann
- plötzlich
- zu wenig
- und nichts mehr
- ich habe
- keine Wörter dafür
- verloren
- wie Schlüssel
- Feuerzeuge
- Telefon
- ich lebe noch
- lebe ich noch?
- Ich kann mich nicht erinnern
- an mich
- bin mir
- abhanden
- gekommen
- haben Sie da was?
- Gegen mich?
- Oder dafür?
- (Dagegen?)
- Bitte!
- (BITTEBITTEBITTE!)
- Station fünf
- jemand holt Sie ab
- warten Sie hier.
- Warten Sie.
- (Warten Sie.)
- im Fahrstuhl
- den Rucksack umklammert dem Pfleger
- vorsichtig
- ins Gesicht geschaut der blickt
- geradeaus
- wieder
- Automatiktüren
- das Schwesternzimmer und ja
- davon berichten
- dass die Worte nicht mehr helfen
- Fragen beantworten
- so gut es geht
- Hoffnung
- da hilft einer
- da spricht jemand
- irgendetwas an in
- einem
- die Ursache
- (Oh Gott. Die Ursache. DIE URSACHE!)
- eine Untersuchung
- von Arm, Bein, Rumpf
- und dann:
- Nichts.
- Der Wochenplan kommt erst am nächsten Tag.
- Stunden
- die sich endlos dehnen
- Schlaf
- der nicht kommt
- der nie kommt
- der nie wieder kommt
- der dein Feind geworden ist
- die Nacht
- ein langer dunkler Tunnel das Morgenlicht
- ein scharfer Schnitt
- in die Augen
- die Putzfrau
- mit ihrem sanften Blick
- was wollen Sie?
- Was wollen Sie hier?
- Es ist nicht gut
- hier zu sein
- sagt sie
- und wischt
- über die Fensterbank.
- im Frühstücksraum
- Schweigen
- das Müsli kauen
- mit viel zu süßem Joghurt
- einer lässt den Löffel fallen
- es hallt wieder
- im ganzen Raum
- keiner blickt auf
- stumm
- das benutzte Geschirr auf den Essenswagen stellen
- zurück ins Zimmer schlurfen
- und dann warten
- warten.
- Warten.
- Runden übers Linoleum drehen
- immer im Kreis
- durch die Station
- Furchen darin
- könnte man denken
- von den ewig gleichen
- Schritten
- dem Schlurfen dem
- Stillstehen dem
- sich umdrehen
- ans Arztzimmer klopfen
- das zu ist
- da ist keiner
- nur fünfzehn Minuten
- am Montag
- und am Mittwoch
- die Gelegenheit
- mit einem zu sprechen die dann
- ungenutzt verstreicht es versiegt
- das Gespräch
- das Hirn
- ist leer
- Haldol
- kein Freund sondern Beton
- unter der Schädeldecke
- nass in der Mitte des Flures
- ein Katheter ist gerissen, sorry, wo
- bleiben denn die Schwestern?
- Die sind schon wieder
- in irgendeiner Besprechung
- hin zum Fernsehraum
- da hat
- jemand den Schlagersender eingestellt Filme
- sagt der
- sind was für Normale
- am Tisch der T.
- er malt
- zeichnet
- war in New York
- hatte dort eine Ausstellung und dann bämmm
- die Sicherungen durch seine Mutter
- hat ihn zurückgeholt und jetzt ist er da, hier
- er singt abends
- für die anderen
- das ist schön
- manche halten es nicht aus
- sie gehen raus
- die übrigen klatschen
- zögerlich
- dann später
- draußen
- an der Raucherinsel
- vorsichtige Fragen
- warumwiesoweshalb
- ich sage nichts ich kann nicht
- sprechen
- wenig
- ich rauche nicht
- ich warte
- auf mich.
- Zeit
- ich habe sie verloren
- habe mich verloren
- an Orten
- an die zu denken
- sich jeder fürchten sollte in mir
- ein Weltenbruch ein
- Himmelssturz
- ein Höllen
- bild, Bildnis
- meiner selbst im Spiegel
- erkenne ich mich wieder aber
- das bin ich nicht mehr
- (irgendjemand klaut meine Zahnbürste.
- Sie liegt dann im Aufenthaltsraum.
- Ich kaufe mir beim nächsten Ausgang eine neue.)
- Frau D. will bleiben
- sie soll gehen
- sie schreit
- im Treppenhaus
- ich wünschte
- ich könnte es ihr gleichtun
- ich klammere mich
- ans Bett
- an die Rohre
- aus Stahl
- aus Aluminium?
- Quecksilber?
- (Wie die Kügelchen aus dem Thermometer
- die ich als Kind
- so lustig fand)
- Hohl inwändig
- die Rohre
- wie meine Knochen
- vielleicht
- die Sintflut der Angst
- schlägt über mir
- zusammen
- Heilige
- hab ich im Himmel gesehen leuchtendes
- Licht das die
- Wolken durchbricht
- hab ich gesehen
- mich festklammernd
- an der Lehne
- des Sitzplatzes auf dem Weg
- durchs Land
- nach irgendwohin weg
- von mir
- vielmehr den Resten dessen
- die das einmal
- bedeutet haben.
- Alles verkehrt sich
- ins Gegenteil
- die Zeit
- verknäult sich ein Kindermärchen
- durchfährt mich
- was wollen Sie zu Mittag essen?
- Vollkost
- Leicht
- oder Vegetarisch?
- Kreuzen Sie bitte
- den Wochenplan
- an
- irgendwann
- bin ich hier gelandet und die Nacht
- ist immer noch mein Feind
- draußen liest eine die Zeitung
- im grellen Licht
- des Flures
- zu jeder Stunde
- schlägt sie
- die Seiten
- um
- es raschelt als würden
- Erinnyen durch Haus toben sie selbst
- ist still
- jetzt
- nachts
- tagsüber
- schrie sie noch
- wie ich sie beneide
- um ihre Gefühle ich
- habe
- keine mehr
- was ist
- was ist
- mit ihrem Antrieb?
- Wollen Sie nicht einmal
- etwas töpfern?
- eine alte Frau schreit ihren Sohn an
- sie ist gerade eingeliefert worden
- Ich will hier nicht bleiben!
- Mutter, du hast dich mit Blaulicht ins Krankenhaus bringen lassen!
- Ich dachte, das wäre ein Herzinfarkt. Du kümmerst dich nicht um mich!
- Mutter, bitte
- Du machst mich krank. Ich bin nicht krank. Ich will hier raus.
- Herr L. schimpft wieder im Flur
- Tor! Tor! Und Sieg!
- Er will
- ein großer Fußballstar werden
- viele Clubs
- so sagt er
- hätten ihm Angebote gemacht
- es stört ihn nicht
- dass keiner ihm glaubt.
- Frau B. möchte ein Kind
- sie ist schon
- über fünfzig
- Frau R. färbt sich die Haare
- türkis und lila
- Der junge T.
- ist hier
- wegen der geopolitischen Lage
- ist geflüchtet
- in die Schweiz
- eine Woche lang
- in neutrales Land
- so dachte er
- aber die Schweiz
- die ist teuer also
- ist er doch wieder
- zurückgekommen
- und hier gelandet
- bleiben sie
- sagt der Arzt die geopolitische Lage
- die ist immer noch
- schlecht
- P. hat einen Stuhl zerdeppert
- in einem Antiquitätenladen
- hat zwei Polizisten
- zusammengeschlagen
- die nächsten sechs
- hat er nicht mehr geschafft
- jetzt
- muss er 800 Euro zahlen
- für den Stuhl
- Geschichten
- ich habe
- keine zu erzählen
- vielleicht
- ist mir das Menschliche
- abhanden gekommen vielleicht
- war ich nie einer bin es
- allzu sehr
- wer weiß
- die Gedanken fliegen
- bis in den Himmel orange
- farbenes Licht da sind sie
- die
- von denen ich komme die
- die mich hier
- auf die Erde geworfen haben dass ich
- ein Menschenleben führe zum Beweis
- dass es sich lohnt
- diese Spezies
- zu retten
- aber
- es gelingt mir nicht
- ES GELINGT MIR NICHT!
- Und ich
- ich möchte wieder zurück
- Was für ein Un
- sinn
- der da
- durch den Kopf spukt
- was für ein
- Abfall
- der ich bin
- menschlicher Abfall nichts
- darüber
- hinaus
- was denken die?
- Was denken wir?
- Ich denke nicht.
- Ich bin.
- Nicht mehr.
- Vielleicht
- sollten sie
- einen Aschenbecher töpfern?
- Aber ich rauche doch gar nicht!
- Hier rauchen alle
- das einzige
- was den Tag strukturiert außer dem
- Mittagessen
- und das kommt
- aus einer 200 Kilometer
- entfernten Stadt und so schmeckt es auch
- Frau R.
- probiert von den Tellern
- sowas tut man nicht
- Hören Sie, Frau R.?
- Das tut man nicht.
- Aber ich bin doch manisch.
- Und ich
- schizophren
- und ich
- ich bin eigentlich
- ein Normopath
- was ist denn das?
- Normale Persönlichkeitsstörung
- und wieso
- bist du dann hier?
- Na, da draußen
- draußen
- sind die doch alle verrückt.
- Oh Licht
- und Dunkel
- wie sie aufeinanderschlagen
- in mir
- gefangen
- im Spiegelkabinett und immer
- dieselben Bilder
- dieselben
- dieselben und
- immer
- die gleichen Geschichten wer behauptete da noch
- Wahnsinn sei kreativ?
- Wir beweisen hier
- das Gegenteil
- aber ist das nicht schön
- was Frau Z.
- da getöpfert/genäht/gemalt hat?
- Sorry
- nee
- ist es nicht
- nicht wirklich
- einer töpfert Runen
- Odins Alphabet
- aber ich bin kein Nazi
- sagt er
- und was ist mit dem Regal
- das der junge A.
- da baut?
- Ja, wissen Sie
- Wochen später
- da wird der sich umbringen
- was hat ihm dann
- dieses Regal
- genützt?
- Hmmm?
- Sie sind so:
- Nein. Ich bin nicht zynisch
- ich bin
- VERZWEIFELT!
- Hmm. Ja. Achso.
- Haben Sie
- Haben Sie
- lebensmüde
- Gedanken? Denn dann:
- Nein.
- Ich will nicht auf die Geschlossene.
- Die soll hier furchtbar sein.
- Akut
- Akutstation genannt
- sind wir nicht alle akut?
- Mir geht es gut
- Gut gehts mir
- Fantastisch!
- MIR GEHT ES WIRKLICH PHÄNOMENAL WAHNSINNIG GUT!!!
- Na.
- Wir wollen mal nicht
- übertreiben
- aber so läuft es
- in der Abendrunde
- nach den Nachrichten
- kurz vor dem Wetterbericht
- vor dem ausgeschaltet wird
- jedes Mal
- wie solls denn
- am nächsten Tag werden?
- Wir wissen es nicht
- wir sagen
- es geht uns gut
- gut gehts uns
- nur die Neulinge
- die sind noch nicht
- vertraut
- mit den Gepflogenheiten
- die sagen
- nee
- nicht so
- oder
- echt beschissen aber
- auch die
- halten sich bald
- an die Regeln
- einer sagt:
- ich kann mein Liebesleben
- mit drei Worten
- beschreiben:
- „ja
- nein
- allein.“
- Na, schön.
- Medikamentenausgabe.
- Am nächsten Tag
- sagt die Schwester
- wir töpfern jetzt
- einen Blumentopf und dann
- wollen wir mal sehen
- ob es ihnen nicht