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Von Niki Graça Einführung

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Stellen Sie sich vor, Sie liegen im Bett und können nicht alleine aufstehen. Stellen Sie sich vor, Sie sitzen in einem Rollstuhl am Tisch und können das Essen auf dem Teller vor Ihnen nicht selbst zum Mund führen, sondern jemand muss Sie füttern, Löffel für Löffel.

So geht es Johanna Maria Ott. Aber es gibt viele Dinge, die sie kann. Schon als Kind hatte sie jemanden zur Seite, der sie bei allem, was sie nicht konnte, unterstützte. So erhielt sie Zugang zu dem, was sie kann. Sie war auf normalen Schulen, ihre Talente wurden gefördert, sie besucht Kino, Theater oder Lesungen. Mit Assistenz ist es ihr möglich, autonom in einer Wohnung zu leben statt im Heim. Und sie war 2015 Mitbegründerin des Vereins »leben wie du und ich« in Zürich, der Menschen mit einer komplexen Behinderung dabei unterstützt, frei und selbstbestimmt in der Gesellschaft zu leben.

Im Atelier des Projekts Kulturpark arbeitet sie nun jeden Tag an ihren Texten. Schon mit elf Jahren hat Johanna Maria Ott ihr erstes Gedicht geschrieben, und seitdem ist Schreiben für sie ein Weg, sich der Welt mitzuteilen. Gezielte Bewegungen kann sie nur mit dem Kopf ausführen, deshalb verwendet sie einen Kopfhelm, an dem ein Stab angebracht ist, oder ein Kommunikationssystem, mit dem sie die Tastatur auf dem Computer per Augenbewegung steuern kann. Es ist mühsam und braucht viel Zeit und Energie, Buchstaben um Buchstaben, Wort um Wort, Satz um Satz in den Computer einzugeben, aber es stellt eine grosse Bereicherung für sie dar.

Der Gedanke, dass andere Menschen ihre Texte lesen, erfüllt sie mit Stolz. Sie möchte als Autorin wahrgenommen werden, nicht als behinderter Mensch, der Texte schreibt. Darüber hinaus ist es ihr ein Anliegen, klarzumachen, dass ihr Körper zwar beeinträchtigt ist, darin aber wie bei jedem »normalen« Menschen eine Seele, Verstand und Herz wohnen, die sich äussern wollen und sich nach Resonanz bei ihren Mitmenschen sehnen. Beim Schreiben findet sie eine Freiheit, die ihr sonst verwehrt bleibt.

Die Idee für dieses Buch wurde geboren, als die Journalistin Susanne Loacker 2015 an einem Artikel über das Projekt »leben wie du und ich« im Kulturpark schrieb. In diesem Zusammenhang machte sie ein Interview mit Johanna Maria Ott und las einige ihrer Texte. Daraufhin schlug sie ihr vor, mit dem Wörterseh-Verlag Kontakt aufzunehmen. Es folgte ein erstes Treffen zwischen der Autorin, der Journalistin und der Verlegerin Gabriella Baumann-von Arx. Auch bei einer Lesung des Schriftstellers Tim Krohn, der nicht nur aus seinem Werk, sondern auch Texte von Johanna Maria Ott las, war Gabriella Baumann-von Arx zu Gast. Danach nahm der Plan, ein Buch zu veröffentlichen, immer mehr Gestalt an.

Dieses Buch enthält eine Auswahl aus den Texten von Johanna Maria Ott. Es sind Gedichte, literarische Statements, Kurzgeschichten, Fabeln, Parabeln. Mal ernst und besinnlich, mal witzig und frech. Dazu kommen zwei Interviews, die Einblick in das Leben und die Welt der Autorin geben.

Niki Graça wurde in Berlin geboren, studierte Theaterwissenschaft, Germanistik und Schauspiel und lebte mehrere Jahre in Portugal. Als Literaturübersetzerin übersetzt sie aus dem Portugiesischen und Jiddischen, ausserdem arbeitet sie als freie Lektorin.

Schreiben ist wie Fliegen

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