Читать книгу Woher wir kommen. Wohin wir gehen. - Johannes Huber - Страница 6

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Vorwort

Jeder hat eine Biografie, seine Jugend, seine Determinanten, seine Prägemomente, aus der jene Brille entsteht, mit der er durchs Leben geht, und seinen roten Faden, der ihn dann über die Dekaden des Diesseits führt.

In solchen Prägemomenten durfte ich den früheren Erzbischof von Wien, Kardinal König, nach Washington begleiten. Er war von der Kennedy-Familie eingeladen, um im Institute for Bioethics und an der von Jesuiten geführten Georgetown University, wo auch Henry Kissinger lehrte, über das innere Zentrum des Christentums, über den Nucleus des Glaubens zu reden. Damals war ein Kardinal der katholischen Kirche noch etwas Besonderes, und Reflexionen über das Innerste einer Religion waren eine Attraktion. Unter den Zuhörern waren Sargent Shriver, der Schwiegersohn J. F. Kennedys und amerikanischer Botschafter in Paris, seine Frau Maria, Dr. Levi von der New York Times sowie Edward Kennedy, um nur einige zu nennen.

Kardinal König redete damals nicht wie ein Dogmatiker, sondern wie Paulus am Areopag – er versetzte sich ganz in die Zuhörer hinein und sprach von der inneren Ergriffenheit, die wohl jeden berührt, wenn er vor den Fragen steht: Woher komme ich? Wer bin ich? Und vor allem: Wohin gehe ich?

Diese drei Fragen haben auch mich damals geprägt.

Jahrzehnte später, bei seinem 50-jährigen Bischofsjubiläum, veranstaltete die Stadt Wien im Rathaus einen Festakt, der Bürgermeister hielt die Festrede. Kardinal König war damals körperlich schon ermüdet, eine lokale Chemotherapie wegen eines Blasenpapilloms zehrte an seinen Kräften. Am Ende des Festaktes musste er sich niedersetzen und bat mich, neben ihm Platz zu nehmen. Das Gespräch war kurz, aber emotional ins Herz gehend. Sollte ich später einmal Gelegenheit haben, so seine Bitte, dann möge ich doch, wenn möglich, darauf hinweisen und auch den Naturforschern zu erklären versuchen, dass zwischen Glaube und Wissenschaft kein Widerspruch bestehen müsste.

Das soll auch mit diesem Buch erfolgen, wobei ich mir bewusst bin, dass ich mich damit auf den Vorposten eines Umfeldes begebe, in dem das nicht unbedingt willkommen ist. Trotzdem ist es mir ein Anliegen, ein Versprechen einzulösen.

Große Fragen, kleine

Geister: ein Anfang

Das Universum ist eine Scheibe.

Flach wie ein Schachbrett, zweidimensional, eben. Das sagen die Weltraumforscher und liefern aktuelle Daten, die das belegen. Mit Megateleskopen spähen sie tief hinein in den Kosmos und bedienen sich einer recht simplen Mathematik, mit der auch Landvermesser auf der Erde arbeiten. Sie wählen einen weit entfernten Punkt, peilen ihn von zwei Seiten an, bestimmen ein Dreieck und messen die Summe seiner Innenwinkel. Ergeben sie 180 Grad, muss das Universum zweidimensional sein. Ergeben sie mehr als 180 Grad, wäre das All dreidimensional, eine Kugel. Abertausende Versuche haben die Wissenschaftler angestellt, und alle führten zum selben Ergebnis. 180 Grad. Unser Universum ist ein Brett. Schachmatt der Vernunft.

Analysen der TU Wien legen nahe, dass es sich nicht bloß um einen Rechentrick handelt, sondern um eine grundlegende Eigenschaft des Raums. Professor Daniel Grumiller vom Institut für Theoretische Physik sieht sogar Hinweise dafür, dass sich das Universum als Hologramm darstellt. Man kennt das von Hologrammen auf Geldscheinen oder Kreditkarten. Eigentlich sind sie zweidimensional, schauen aber dreidimensional aus. Seit Jahren forscht der Experte mit Kollegen von der Universität Edinburgh, von Harvard, dem Massachusetts Institute of Technology (MIT) und der Universität Kyoto an dem holografischen Prinzip. Das Universum, ein Science-Fiction-Film in 3D ohne Brille? Schachmatt der Gewissheit.

So schnell können sich Annahmen, Muster, Denkschulen oder physikalische Lehren ändern. Alles kann komplett anders sein, als man es bisher für möglich gehalten hat. Ganz anders richtig, hmm, und plötzlich wahr. Ein neuer Glaubenssatz. Kehrtwende. Eine neue Geisteshaltung. Gut so. Wissen ist Veränderung.

Früher dachte der Mensch: Die Erde ist eine Scheibe.

In der Antike hat man begonnen, an der Flachheit dieser Aussage zu zweifeln. Pythagoras hob im 6. Jahrhundert v. Chr. die Hand und sagte: Nein, Freunde, es ist in Wahrheit ganz anders. Die Erde ist eine Kugel. Auch Platon glaubte an das Globus-Modell. Sein Schüler Aristoteles schrieb Über den Himmel und erkannte drei Dinge, die kein Zufall sein konnten: dass im Süden südliche Sternbilder höher über dem Horizont erscheinen; dass schwere Körper zum Mittelpunkt des Alls streben; und dass der Erdschatten bei einer Mondfinsternis immer rund ist. Daraus folgt: Die Erde ist eine runde Sache. Ein anderer Querkopf namens Eratosthenes hat den Erdumfang im 3. Jahrhundert vor Christus gemessen. Für Christoph Kolumbus war dann im 16. Jahrhundert nach Christus schon lange klar, dass die Welt eine Kugel ist. Trotzdem gab es noch immer Kopfschüttler und Kleingeister, die den Zweifel über die Wahrheit stellten. Erst die Weltumsegelungen von Ferdinand Magellan und Francis Drake ließen die Skeptiker verstummen. Man schrieb das Jahr 1580.

Es mussten 22 Jahrhunderte vergehen, bis der Mensch vom ersten Signal bis zum letzten Beweis überzeugt war, dass wir nicht auf einem großen Feld leben. Sondern auf einem großen Wasserball. Aus zweidimensional wird dreidimensional.

Vice versa verhält es sich mit dem Universum. Früher dachte man, der Kosmos sei ein Raum. Auf einmal ist diese kugelrunde Unendlichkeit flach und der Mensch platt. Aus dreidimensional wird zweidimensional. Die Vermessungen der Welt ändern sich eben.

Die Ergriffenheit des Gemüts

Im Hintergrund regt sich etwas. Die großen Fragen der Menschheit. Fragen, die sich schon in der valentinianischen Taufformel von Clemens von Alexandrien im dritten Jahrhundert wiederfinden: Wer waren wir? Was sind wir geworden? Wohinein sind wir geworfen? Wohin eilen wir? Wovon sind wir befreit? Was ist Geburt? Was ist Wiedergeburt?

Der Harvard-Philosoph William James, Begründer der Psychologie in den USA und oberster Vertreter des philosophischen Pragmatismus, hielt vor 110 Jahren einen Vortrag vor den Philosophischen Clubs der Universitäten von Yale und Brown und fasste ihn später in einem schönen Satz zusammen: »Der Glaube bleibt eines der unentäußerlichen Geburtsrechte unseres Geistes.«

Es geht um das Grundrecht des Menschen, sich mit Zusammenhängen zu befassen, die über die fünf Sinne hinausgehen. Die Beschäftigung mit diesen Zusammenhängen muss allerdings vernünftig sein – und das ist kein Widerspruch.

Seit Menschengedenken verspürt unser Gemüt, aber auch unser Geist eine Ergriffenheit, wenn beide beginnen, sich mit einer übersinnlichen Welt auseinanderzusetzen.

Es ist der Herzschlag des Glaubens.

Der einzigartige Rhythmus und die leise Melodie, nur hörbar für die religiös Musikalischen. Diese Empfänglichkeit darzustellen, ist sinnvoll und vor allem eines: auch intellektuell redlich.

Andererseits muss sich dieses besondere Gefühl einer naturwissenschaftlichen Beweisführung entziehen, weil das ja auch gar nicht die Aufgabe der Naturwissenschaft ist.

Professor Anton Zeilinger, Österreichs Mr. Beam der Quantenphysik und Forscher von Weltrang, sprach ein Machtwort: »Gott darf nicht beweisbar sein. Wenn wir mit Sicherheit wüssten, dass es einen Gott gibt, dann gäbe es in der Folge das Gute nicht mehr: Dann bleibt doch nur noch ein rein opportunistisches Verhalten übrig.«

Trotzdem verlangt der menschliche Wissensdrang nach Antworten auf Unschärfen in Erklärung und Beweisführung. Woher wir kommen, wieso das Böse in die Welt kam, und ob wir ein Pendant in der Ewigkeit haben.

Ein Alter Ego, das wir Seele nennen. Drüben.

Forschen, fragen, überlegen, das macht den Homo sapiens aus. Naturgemäß bläst solchen Gedanken ein starker Gegenwind ins Gesicht. Ein Hurrikan der Rechthaberei. Der rationale Skeptizismus wird zum Dogma erklärt. Leugnen ist besser. Leugnen ist leichter. Leugnen ist die neue Religion. Die Ja-Sager dieser Nein-Bewegung wollen wissenschaftlich keinesfalls anecken. Sie leben in ihren Plattenbauten der Entgeisterung und warten, bis alles vorbei ist. Bis sich die Augen hinter den Scheuklappen schließen und die Welt einen vergisst.

Verständlicherweise können Menschen in Glaubensfragen nicht warten, bis die Evidenz ihrer inneren Uhr 12 schlägt.

Sie müssen sich vorher entscheiden, ante mortem sagt der Lateiner, also rechtzeitig bevor der Sensenmann kommt und »Buh!« macht. Es geht immer um die subjektive Entscheidung. Auch ohne eine Beweisführung. Daraus ergibt sich von selbst, dass die Wissenschaft dafür gar nicht bemüht werden darf. Weder für noch gegen das Transzendente. Zwei Richtungen, klar getrennt.

Ich glaube.

Ich glaube nicht.

Beide Entscheidungen müssen sich auf Augenhöhe begegnen.

Der Philosoph Peter Sloterdijk drückte es so aus: »Angesichts der Endlichkeit unseres Wissens ist es vernünftig, den Realismus der positiven Erkenntnisse durch eine transzendentale Seite zu ergänzen.«

Kurzum, es gibt mehr, als die Wissenschaft uns glauben machen will. Ich sage das als Arzt und Wissenschaftler, als Theologe und Mensch. Im Vertrauen auf die Freiheit des Geistes und auf die Freiheit der Rede: Es existiert – mehr.

Die Wucht der Erkenntnis erklärt den Zaubertrick. Plötzlich ist die Erde keine Scheibe mehr und das Universum kein unendlicher Raum. Tatsachen verschieben sich.

Der Neurobiologe Wolf Singer, lange Jahre Leiter des Max-Planck-Instituts für Hirnforschung in Frankfurt am Main und weit entfernt von einem bekennend frommen Menschen, äußerte sich dazu so: Zu den Möglichkeiten des Menschen in seinem Forscherdrang beziehungsweise seiner Fähigkeit, sich Zusammenhänge bewusst zu machen, greift er schlicht auf seine enormen Kenntnisse der menschlichen Physiologie zurück. Und die sagt ihm: Dem Geist erschließt sich nur ein sehr kleiner Teil der Wirklichkeit. Ans allermeiste, so Singer, kämen wir gar nicht heran.

Den Blick aufs Ganze finden wir nicht im Hirn, vielleicht aber ein bisschen weiter links unten, im Herzen. Tatsächlich deutet vieles darauf hin. Als könne die Erkenntnis nur denjenigen Menschen zuteilwerden, die sich einem besonderen Konzept hinter unserer Existenz nicht von vornherein verschließen. Die nach irdischem Verständnis den nicht-stofflichen Größen und Phänomenen ähnliche Chancen einräumen wie den sichtbaren, begreifbaren. Schließlich räumt das Universum mit seinen nicht-stofflichen, unbegreiflichen Phänomenen und Größen auch uns eine Chance ein. Eigentlich nett vom Universum.

Der Fortschritt der Menschheit sollte die Macht der geistigen Beweglichkeit anschaulich machen. Aber die Sturheit, mit der Positionen bezogen und Meinungen verteidigt werden, und die Härte, mit der subjektiven Wahrheiten zum Sieg verholfen werden soll, reichen in ihrer Unerbittlichkeit an die dunklen Zeiten von Glaubenskriegen und Inquisition heran. Nur mit den heutigen Mitteln. Fast könnte man sagen, es hat eine Art Wissens-Fundamentalismus eingesetzt. Mit einem Heer von Magiern, die alle behaupten, den großen Trick zu kennen, der uns alle fasziniert. Oder die destruktive Version davon, die Antithese: das Wissen, was es auf gar keinen Fall sein kann.

Einer ihrer prominentesten Vertreter war Stephen Hawking, er starb im März 2018. Genial in der Sache, etwa bei der Erforschung Schwarzer Löcher. Zugleich begründete er die Existenz des Universums ausnahmslos mit Newtons Gesetz der Gravitation. Da brauche es keinen Weltenbaumeister. Das Weltall habe sich aus dem Gesetz heraus selbst erschaffen. Ex nihilo, aus dem Nichts. Die Frage nach der Idee hinter dem Gesetz, nach dessen Urheber, stellte Hawking sich nicht. Zumindest nicht öffentlich. Man hörte ihn auch nicht darüber reden, wie sehr Newtons Gesetz inzwischen ins Wanken geraten ist.

Ein anderer Hardliner des 21. Jahrhunderts ist der Biologe Richard Dawkins. In einem Interview mit dem Spiegel anlässlich des Erscheinens seines Buches Gotteswahn sprach er von Religion als »Nebenprodukt der Neigung von Kindern, ihren Eltern zu gehorchen«.

Der Überlebensvorteil wäre aus Dawkins Sicht leicht zu erkennen: »In der Wildnis lebte ein aufmüpfiges Kind gefährlich, weil es die Warnungen der Eltern ignorierte. Deshalb begünstigte die Selektion wahrscheinlich die Unterordnung unter Autoritäten. Ein Gehirn aber, das glaubt, was Autoritäten sagen, kann nicht mehr unterscheiden zwischen dem guten Rat, nachts nicht in den Wald zu gehen, weil da ein Tiger lauern könnte, und dem törichten Befehl, eine Ziege zu opfern, um den Regen herbeizurufen.«

Mit anderen Worten: Das Festhalten an einer zentralen Idee oder Intelligenz hinter allem sei nichts weiter als das Ausleben eines spirituellen Rituals. Alles Transzendente gehöre ins Reich dumpfen Volksglaubens. Es handle sich um Ideen, die sich wie Viren ausbreiten, und Religion, so Dawkins, sei das eine Virus, das den Menschen verkündet: »Du wirst deinen eigenen Tod überleben.«

Guter Glaube sei nichts anderes als Gutgläubigkeit.

Tatsächlich hat es aber heutzutage den Anschein, als würden die Kanonenschüsse gegen die Spiritualität nach hinten losgehen. Als würden sich die Menschen in ihrem tiefen Misstrauen den Wissens-Monopolisten gegenüber wieder vermehrt nach anderen Antworten umsehen. Schon vor mehr als dreißig Jahren, 1986, hat der US-Nobelpreisträger Sheldon Glashow diese Entwicklung kommen sehen, als er in einem Artikel für Physics Today schrieb: »Zum ersten Mal seit dem Mittelalter sehen wir, wie unsere noble Forschung enden könnte, nämlich damit, dass der Glaube die Wissenschaft erneut ersetzt.«

Ja, es findet eine Sensibilisierung der Gefühlswelt statt.

Immer mehr Menschen erkennen den Holismus, die Ganzheitslehre. Die Vorstellung, dass natürliche Systeme und ihre Eigenschaften als Ganzes zu betrachten sind, nicht als Summe ihrer Teile. Der Mensch ist mehr als eine sprechende Organbank.

Da gibt es noch ein Bewusstsein und – ganz im holistischen Sinn – die Seele als anderes Ich im Jenseits.

Wir alle leben im Exil

Der Katholizismus duckt sich noch dezent ab vor der Wissenschaft. Die Kirche könnte ruhig klarere Positionen vertreten. Sie verkündet nicht die Kernbotschaft, weil sie fürchtet, ausgelacht zu werden. Stattdessen schmückt sie sich mit Charity-Gedanken und medial begleiteter Nächstenliebe. Das ist alles gut so, keine Frage. Aber die Kernbotschaft ist eine andere.

Im Zentrum des Christentums steht der Exilgedanke. Wir kommen von wo und gehen wieder irgendwo hin.

Das hier ist unser Exil.

Das Leben ist die Zwangsumsiedlung unseres wahren Ichs.

Willkommen in der Verbannung.

Immerhin trifft es uns alle, nicht? Die Vertreibung aus dem Paradies. So deutlich sagt es die Kirche nie, weil man Lob will, Zulauf und nicht Abkehr, Zuspruch und nicht nach oben verdrehte Augen, die signalisieren: Ah, Frömmler. Heutzutage tun sich die Menschen immer schwerer, Meinungen zu vertreten. Weil sie zu Recht befürchten müssen, in der Sekunde mit elektronischer Jauche beworfen zu werden. Es ist besser, als Atheist zu gelten und die Gottlosigkeit zum Credo zu machen, als einen Glauben zu vertreten, der als frömmlerische Spinnerei abgetan werden könnte. Bloß um der Frage nach einem Schöpfer zu entgehen.

Es ist cool, im Wald einen Baum zu umarmen und sich dabei mit dem Universum vereinigen zu wollen. Eine Kirche zu besuchen und sich dabei die Relativität unserer Existenz bewusst zu machen, wird allerdings als anachronistisch abgetan.

Manchmal hat der hellhörige Mensch den Eindruck, es gäbe sogar Konzeptionisten für eine neue Gesellschaft, die diese Welt in eine Gottlosigkeit hineinführen möchten. Der Trend geht weg von der Familie, weg vom Individuum, weg von Mann und Frau, hin zu einer Welt mit vermischten Geschlechterrollen und ohne Transzendenz. Ein Pseudorealismus ohne Individualismus, dafür mit Kontrolle.

Und diese Akteure warnen auch die religiös Empfänglichen: Sie mögen ja nicht auf ihr Recht pochen, keinen Botschaften begegnen zu müssen, die ihre Illusionen auflösen. Genau jene Träumereien, aus denen ihr Wolkenschloss namens Glauben aufgebaut ist. Ha! Der Spott, der dieser Sentenz mitschwingt, zeugt von einer kleingeistigen Haltung. Oder wie es so schön heißt: Wenn die Sonne der Kultur tief steht, dann werfen auch Zwerge lange Schatten.

Die Argumente der Vertreter dieser neuen Weltordnung gehen so: Das Universum ist ewig. Alles bleibt immer gleich. Der Kosmos wird als ein sich selbst verfassendes Ganzes gesehen. Als Hyper-Ungeheuer, das sich Zeit und Raum gönnt, um seine Kreationen vorzuführen, wie es Sloterdijk formuliert. Mehr ist nicht drin. Vom Tyrannosaurus Rex über das Ebola-Virus bis zum Homo sapiens. Alles nur Show. Der Kinosaal der Ewigkeit, heute im Programm: Mensch ohne Zukunft. Der Zweck dahinter: Das mathematisch Berechenbare wird verewigt und zum Übersinnlichen erklärt, um das bisher Transzendente verneinen zu können. An sich ja nicht unklug, wenn man die Gottlosigkeit programmatisch erklären will.

Eines wird dabei aber übersehen. Nämlich dass dieses Hyper-Ungeheuer unglaublich intelligenten Gesetzen folgt, die eine noch unglaublichere Feinabstimmung aufweisen.

Das ist kein Zufall.

Das muss man infrage stellen. Dass das Universum so ein perfekt ausgeklügeltes System ist, kann gar kein Zufall sein. Das wäre so, als würde man einen Hochleistungscomputer loben, weil er so schnelle Rechenoperationen durchführen kann und so eine tolle Grafik hat. Aber niemand fragt, wer ihn eigentlich gebaut hat. Und genau das sollte die erste Frage sein. Wer hat uns geschaffen? Wer hat den Urknall verursacht? Was war vorher?

Was scheint auf den ersten Blick wahrscheinlicher? Jemand designt etwas sehr Kluges, das sich dann nach einem Masterplan weiterentwickelt. Oder etwas erschafft sich von selbst aus dem Nichts und entwickelt sich irgendwie weiter, zufällig auch den Menschen.

Jeder, wie er glaubt.

Theorien, Chancen, Möglichkeiten. Die moderne theoretische Physik kommt dagegen auch nicht gerade mit superlogischen Vorschlägen daher, die uns das Leben erklären.

Denn die anerkannten Theorien des Mikro- und Makrokosmos passen nicht wirklich zusammen. Konkret die Quantenfeldtheorie und die allgemeine Relativitätstheorie. Für das Verständnis der Schwarzen Löcher, des Urknalls, wo die Krümmung der Raumzeit unendlich wird, wäre eine Theorie der Quantengravitation unerlässlich. Dass physikalische Größen damit unendliche Werte annehmen können, wird mit dem Begriff der Singularität umschrieben – ein Anzeichen dafür, dass Einsteins Berechnungen jenseits des Gültigkeitsbereichs angewandt werden. Die Stringtheorie ist ein Versuch, die Relativitätstheorie durch die Quantengravitation zu ersetzen. Sie probiert, alle vier physikalischen Grundkräfte zu vereinheitlichen, indem sie die Elementarteilchen auf Schwingungen eindimensionaler Strings zurückführt.

Die ganze Welt besteht also aus schwingenden Saiten. Wie die Saiten einer Gitarre. Diese Strings sind unfassbar winzig. Viel kleiner noch als die kleinsten bekannten Elementarteilchen. Die Physik bietet sie uns in Form von wurmartigen Fäden mit einem Anfang und einem Ende an. Oder geschlossen als Ringe. Das alles natürlich nur als Idee.

Jedenfalls seien diese theoretischen Strings praktisch in der Lage, auf vielfältige Weise zu schwingen. Vergleichbar mit den vielen möglichen Akkorden auf der Gitarre. Und diese Vielfalt erzeuge gleichzeitig die Vielfalt all jener Kräfte und Teilchen, die wir kennen und die unseren Kosmos ausmachen. Erscheint so weit recht einfach, ist in Wirklichkeit aber so kompliziert, dass es selbst Physiker-Kollegen der String-Fraktion die Schuhe auszieht. Ja, manchen von ihnen wurde es nach Jahrzehnten des munteren Drauflosforschens auf der einen und des argwöhnischen Zusehens auf der anderen Seite sogar zu bunt. Eine globale Anti-String-Bewegung entstand. Ausgerufen in den eigenen Reihen. Protestbücher wurden geschrieben, öffentliche Debatten wie Schlachten ausgetragen.

Der Vorwurf: Die Stringtheorie sei nichts als mathematische Spiegelfechterei. Eine erstarrte Ideologie. Ein niemals zu überprüfendes Ungetüm von unfassbarer Komplexität. Die systematische Vernichtung von Forschungsgeldern im ganz großen Stil. Eine Weltentfremdung der übelsten Art. Das sind noch die höflichen Argumente. Das führte dazu, dass sogar einem der geistigen Väter sein Schützling entglitt. »Die Schönheit wurde zum Biest«, sagte 2006 Leonard Susskind, Mitbegründer der Stringtheorie. Wir kennen Ähnliches aus der Weltliteratur, wenn Goethes Zauberlehrling in seiner Verzweiflung über den verruchten, ungehorsamen Besen ruft:

»Ach, da kommt der Meister!

Herr, die Not ist groß!

Die ich rief, die Geister

Werd ich nun nicht los.«

Auch die Frankfurter Physikerin Sabine Hossenfelder meint in ihrem neuen Buch Das hässliche Universum, dass solche Überlegungen in die Irre geführt haben.

Die Vorbehalte kommen nicht von ungefähr. Normalsterbliche können gerade noch mit den vier Dimensionen unserer Realität umgehen. Drei für den Raum, die vierte für die fortschreitende Zeit. Bei den Strings sprechen wir von neun Dimensionen und mehr. Vermutlich elf. Diese zusätzlichen Dimensionen, heißt es, müsse man bloß aufklappen.

Wir Menschen bekämen nichts davon mit, weil die zusätzlichen Dimensionen, wie es heißt, kompaktifiziert sind. Sie sind in mikroskopische Kugeln aufgewickelt. Die neun oder mehr Dimensionen, in denen diese Strings munter vor sich hin schwingen, können geometrisch verzerrt oder gekrümmt sein. Schlimmstenfalls kann so eine Dimension sogar nicht-geometrisch sein. Ist das alles noch vor-stellbar?

Trotzdem hält man an der Stringtheorie fest. Sie aufzugeben und einzugestehen, dass man sich möglicherweise verrannt hat, ist undenkbar. Das Motto lautet vielmehr: »Too beautiful to fail.« So eine Begründung hätte dem Christentum einfallen sollen.

Zu schön, um zu versagen, ist die Theorie übrigens auch deshalb, weil die sonst kühle String-Physik den Sinn für die wärmende Ästhetik der Natur entdeckt hat.

Das geht in Ansätzen auf Albert Einstein zurück, der nach seinen beiden Relativitätstheorien die restlichen drei Lebensjahrzehnte vergeblich damit zubrachte, die sogenannte vereinheitlichte Feldtheorie zu entwickeln. Was einen seiner vielen Biografen, Albrecht Fölsing, zum Kommentar veranlasste, Einstein hätte in den dreißig Jahren genauso gut segeln gehen können.

Was ist diese Feldtheorie? In einfachen Worten: eine einzige Formel, die alle Materie- und Kraftfelder im Universum auf einmal erklärt. Die mathematische Antwort auf Einsteins berühmte Frage: »Hatte Gott eine Wahl, als er die Welt erschuf?« Er war überzeugt, dass ein Weltenerbauer nur diese eine Möglichkeit gehabt hätte oder hat, die Welt zu schaffen. Nämlich so, wie sie ist. In genau diesem Zusammenwirken aller Faktoren. Diesen Beweis wollte er erbringen. Die Weltformel.

Ein paar Kreidestriche sollten alles erklären.

Heute fühlen die String-Theoretiker sich berufen, Einsteins Scheitern auszubügeln. Sie jagen dabei den rätselhaften supersymmetrischen Teilchen hinterher. Das sind die bloß in der Theorie existierenden Gegenstücke zu unserer echten, handfesten Materie. Was gar nicht so unpraktisch wäre. Das Argument der String-Experten für die Existenz dieser Teilchen ist ein anderes: Es müsse sie schon aus rein ästhetisch-symmetrischen Gründen geben. Weil die Natur sich doch so eine Chance nicht entgehen lasse.

Der Zusammenhalt einzelner Galaxien beispielsweise oder die rasante Ausdehnung des Universums werden durch die Existenz von dunkler Materie und dunkler Energie erklärt.

Bloß was das ist, dunkle Materie, dunkle Energie, weiß niemand. Nicht einmal ungefähr.

Ebenso verhält es sich mit der sogenannten Antimaterie. Sie soll beim Urknall überhaupt erst ermöglicht haben, dass die uns bekannte Materie entstanden ist. Die Sache ist vertrackt: Nach der mechanischen Physik, die das Universum als Zusammenspiel der Zahnräder eines gigantischen Uhrwerks ansah, und der spekulativen Physik des 20. Jahrhunderts, wo die revolutionären Erkenntnisse nur so dahingaloppierten, verkommt die moderne Physik mehr und mehr zur Weltanschauung. Sie verabschiedet sich vom Messbaren und verzieht sich ins Hochspekulative. Sie entwickelt universelle Bilder, die fast ausschließlich auf Unsichtbarem und Unbewiesenem, ja mitunter Unbeweisbarem aufbauen.

Der hochbegabte mathematische Physiker Walter Thirring, der solche Berechnungen selbst vornahm, vertraute mir an, dass die Wahrscheinlichkeit eines Schöpfers, hinter dessen Saum wir zu blicken versuchen, größer ist als das Auffinden einer Weltformel mit nicht nachprüfbarer Rechenakrobatik.

Trotzdem rümpft man beim Glauben die Nase. Er habe im Haus der Wissenschaft keinen Zutritt.

Mittlerweile hat die theoretische Physik aber selbst ein Glaubensproblem. Ein oft gehörter Vorwurf: Ihr habt den Kontakt zur Empirie verloren. Ihr steht nur mehr an der Tafel und liebt eure eigenen Formeln.

2013 veröffentlichte der englische Wissenschaftsautor Jim Baggott in seinem Buch Farewell to Reality die Entwicklungen der Stringtheorie und der Quantenkosmologie und nahm sie kritisch unter die Lupe. Die Physik sei zu weit gegangen.

Märchen-Physik, nannte er sie, die »Verrat an der Wahrheit« verübe und »an der Grenze zur Vertrauenserschwindelei« liege.

Der berühmte Kosmologe Robert Brandenberger begann kürzlich seinen Vortrag bei einem Treffen in der kanadischen University of Western Ontario mit den Worten: »Ich denke, um das Universum wirklich zu verstehen, benötigen wir die Hilfe der Philosophie.« Eigentlich könnte man hier nachfragen: Warum nicht auch die Hilfe der Theologie?

Physik wird selbst zur Metaphysik. Und jeder ist sich selbst der Beste.

Wissenschaft und

Glaube im Gleichklang

So verhärtet waren die Fronten zwischen Forschung und Spiritualität übrigens nicht immer. Im Gegenteil, die Geschichte hat viele erfolgreiche Wechselbeziehungen gezeigt.

Nikolaus von Kues, auch Nikolaus Cusanus genannt, zum Beispiel. Vermutlich das größte Wissenschaftsgenie des ausgehenden Mittelalters und Vertreter einer Richtung, deren Namensgebung heute an manchen Ecken eine Schnappatmung auslöst: Mathematische Theologie.

Kues war Forscher und Denker, darüber hinaus päpstlicher Legat in Deutschland und später Kurienkardinal in Rom. Er schob die Mathematik hautnah an die Theologie heran und wandte mathematische Symbole auf sie an. Abzulesen an seiner Abhandlung De quadratura circuli. Die Quadratur des Kreises. Die Konstruktion eines Quadrats mit dem identen Flächeninhalt wie ein vorgegebener Kreis. Eine, wie wir seit dem Beweis durch den Mathematiker Ferdinand von Lindemann wissen, unlösbare Aufgabe, wenn wir sie allein mit Lineal und Zirkel ausführen wollen. Und darüber hinaus eine Metapher für das Unmögliche.

Erstaunlich auch Kues’ Reflexionen, die ihn aus der Geometrie unmittelbar in die Theologie führen. Gott hat, da war er sich sicher, zweierlei geschaffen: das Nichts und den Punkt. Der Punkt als extremes Gegenteil des unendlich Großen. Als geometrische Figur. Aus ihm fließe die Linie. Analog dazu das Viele, also die Zahlen. Sie lägen so nahe beieinander, dass kaum eine Grenze bestehe. Der Punkt als das geschaffene Eine, in dem die Entfaltung des Universums stattgefunden habe. Einmal das Nichts. Einmal die absolute Unendlichkeit. Ein Paradoxon, das Kues in seiner Radskizze im Pilgertraktat veranschaulicht hat.

Kommt einem bekannt und hochaktuell vor: der Punkt als die Quelle der Kraft. Für nichts anderes stehen heute Singularitäten wie Urknall und Schwarzes Loch.

Auch zum Thema blinde Wissensgläubigkeit gab Kues den Menschen etwas mit auf die Reise. So erzählt er in Idiota de sapientia, zu Deutsch: Der Laie über die Weisheit, von einem schlichten Mann, der auf dem Marktplatz einem gut situierten, geübten Redner entgegenhält:

»Du lässt dich von den Ansichten der Tradition führen wie ein Pferd, das zwar frei geboren, aber mit einem Halfter an eine Krippe gebunden ist, wo es nichts anderes frisst, als was ihm dargeboten wird.«

Es ist eben nicht immer alles so, wie es gemeinhin dargestellt scheint. Siehe Nikolaus Kopernikus. Er war Astronom, Arzt und Domherr in Preußen. Bekanntlich hat er, als Folge eines Aktes aus Schauen und mystischer Erkenntnis, das heliozentrische Weltbild beschrieben, demzufolge die Erde als Planet die Sonne umkreist. Die Kirche stand deswegen nicht mit ihm auf Kriegsfuß.

Oder Galileo Galilei. Sein Leben und Wirken schloss unmittelbar an jenes Kopernikus’ an. Bis heute wird mit unbeirrbarer Sturheit behauptet, Galilei wäre einzig und allein durch die Inquisition verfolgt worden, weil er ketzerische Ansichten verbreitete. Eine Legendenbildung, die ihn zum Säulenheiligen für das gestörte Verhältnis zwischen Wissenschaft und Religion gemacht hat. Einer historischen Prüfung hält das Bild nicht stand.

Galileo war in Wirklichkeit tiefreligiös. In erster Linie wurde er Opfer des eigenen Hochmuts. Er provozierte den Neid der Kollegen, teilte mit ihnen weder Forschungsergebnisse noch moderne Gerätschaft, zu der er Zugang hatte. Beispielsweise die Fernrohre, die er haufenweise aus Holland importierte und mit sattem Gewinn verkaufte.

So verweigerte er Johannes Kepler eines der begehrten Teleskope, verschickte sie aber zugleich an politische Größen in halb Europa, die damit kaum mehr anzufangen wussten als ein bisschen Sterneschauen. Kepler kam erst voran, als der Herzog von Bayern ihm seines lieh. Ein andermal teilte Galilei seine Kenntnisse Kepler als Buchstabenrätsel mit – im Wissen, er würde es nicht lösen können. So macht man sich Feinde. Galilei reklamierte den Ruhm vieler Entdeckungen für sich und posaunte sie hinaus, auch wenn sie überaltert waren.

Seine Egozentrik reichte so weit, dass er in sich überhaupt den Einzigen sah, der irgendetwas Neues entdeckte. Seinem Anhänger Orazio Grassi, Astronom, Mathematiker, Architekt und Jesuit, der unter dem Pseudonym Sarsi publizierte, schrieb er: »Sie können daran nichts ändern, Herr Sarsi, dass es mir alleine gegeben wurde, alle die neuen Phänomene am Himmel zu entdecken und niemandem sonst. Das ist die Wahrheit, die weder Böswilligkeit noch Neid unterdrücken kann.«

Die andere Wahrheit ist: Galileo hat sehr viel entdeckt, noch viel mehr aber nicht. Weder Trägheitsgesetz noch die Parallelogramme zu Kraft und Bewegung noch die Entdeckung der Sonnenflecken gehen auf seine Kappe. Den Beweis für Kopernikus’ Weltbild erbrachte nicht er. Ebenso wenig erfand er Mikroskop, Teleskop, Pendeluhr und Thermometer. Auch die Fallbeschleunigung, die manchen als g = 9,81 m/s2 bekannt ist, ermittelte er nicht auf empirischem Weg. Die Gewichte, die er dafür vom Schiefen Turm von Pisa warf, fielen nur in der Fantasie seines Schülers und Biografen Vincenco Viviani. Die Genauigkeit damaliger Uhren hätte dafür nicht ansatzweise ausgereicht. Das Gedankenexperiment allerdings, Geschwindigkeit wachse beim Fall mit dem Quadrat der Zeit, machte er sehr wohl.

Sogar sein berühmtester Ausspruch, den man ihm bis heute zuschreibt, stammt nicht von ihm. Den er im Trotz gemurmelt haben soll, als das Gericht der römischen Inquisition ihn in der Kirche Santa Maria sopra Minerva in Rom zum Abschwören der Lehre zwang, die Erde drehe sich um die eigene Achse. Diese Worte: »Und sie bewegt sich doch!« Nicht ein schriftlicher Beleg existiert dafür. Der Satz wurde ihm vielmehr in den Mund gelegt, postum in der Zeit der Aufklärung.

Nichtsdestotrotz waren Galileis Leistungen enorm. Weil er die moderne Wissenschaft der Dynamik begründete, die Jupitermonde entdeckte, den Nachweis des Gewichts der Luft führte und vieles mehr. Alles war der handwerklich hochbegabte Universalgelehrte aus Arcetri bei Florenz in einem: Bahnbrecher. Märtyrer. Zerrissener Held. Opfer des Dogmas, Glaube und Forschung würden einander ausschließen, war er nicht.

Die Wahrheit liegt wie so oft in der Mitte, wie auch in einer kontroversen Abhandlung über Galilei zu lesen ist: »… in theologischen Werken erscheint er als ein Störenfried, während die rationalistische Mythographie ihn als Jungfrau von Orleans der Naturwissenschaften oder als St. Georg hinstellt, der den Drachen der Inquisition erschlug.« Dazu wurde er von jenen Akteuren gemacht, deren Anliegen es ist, Wissenschaft und Glauben als unvereinbar darzustellen. Dafür verwendeten sie Testimonials wie eben Galilei.

Weder schmachtete Galilei jahrelang im Verlies, noch wurde er gefoltert. Nicht Bibelkritik oder Gotteslästerung trugen ihm neun Jahre Hausarrest (auf seinem Landsitz in Arcetri) ein, sondern die Stimmungsmache aus Kollegenkreisen und sein Ungehorsam gegenüber einem Erlass von Papst Urban VII.

Eine andere Größe der Forschung, Gregor Mendel, kannte und lebte den Widerspruch von Wissenschaft und Religion ebenso wenig. Mendel war mährisch-österreichischer Augustiner-Chorherr und Abt in Brünn. Er hat die Vererbungslehre begründet, den Vorläufer der Genetik.

Selbst der Brite Charles Darwin mag bei genauem Hinsehen nicht so recht ins Schema passen. Darwin, ein Pastorensohn, der neben Medizin Theologie studierte, war sein Leben lang ein Suchender. Auch nach Verfassen seines monumentalen Werkes Über die Entstehung der Arten. Mit der Absolutheit seiner Theorie hat er mehr gehadert als seine Jünger, die Neo-Darwinisten. Heute, 160 Jahre danach, wissen wir, dass Darwins intuitive, innerste Unruhe gute Gründe hatte. Die Evolution ist nicht Abbild eines einzigen, grenzenlosen Zufalls. Sie verfolgt ein konkretes Ziel. Weil sie mitnichten bloß dient, dem Recht des Stärkeren zum Durchbruch zu verhelfen. Auch wenn es für uns oft danach aussehen mag. Besonders im Alltag. Tatsache ist: Das Bild des Survival of the Fittest bröckelt.

Vor allem die Mutation per Random. Denn man kann das Leben nicht allein durchs Nadelöhr der Zufälligkeiten erklären. In der Fachwelt ist eine hitzige Diskussion darüber entbrannt. Dabei dachte man, dieses Thema wäre lückenlos beforscht.

Wären da bloß nicht diese neuen Erkenntnisse der Epigenetik. Die Lehre, die sich mit dem Einfluss der Umwelt auf die Gene beschäftigt. Dieses Wissen ist bahnbrechend und doch erst ein Anfang.

Schriftverkehr mit

Sir Karl Popper

Vor mehr als 25 Jahren wurde mir die Ehre zuteil, mich darüber in einem Briefwechsel mit einem der bedeutendsten Denker des 20. Jahrhunderts auszutauschen: Sir Karl Popper, österreichisch-britischer Philosoph und Begründer des kritischen Rationalismus. Einer Denkschule, die für die Lebenseinstellung steht, die – um es in Poppers Worten zu sagen – »zugibt, dass ich mich irren kann, dass du recht haben kannst und dass wir zusammen der Wahrheit vielleicht auf die Spur kommen werden.«

Den Begriff Epigenetik gab es damals, 1992, schon. In Wahrheit war er ein Schreckgespenst der Fachwelt. Ich schilderte Sir Karl Popper meine Thesen. Was Evolution und Zufall betrifft. Und was die mehrheitlichen Gen-Abschnitte unserer DNA anbelangt, die nach vorherrschender Meinung nutzlose Teile des Erbgutes darstellten. Junk-DNA also. Ein totes Anhängsel, das keiner braucht und sich trotzdem im Körper herumtreibt.

Könnte es womöglich eine Art Reserve sein? Aus der sich das Genom, vergleichbar der offenen Gesellschaft, weiterentwickeln und stets anpassen kann? Ein Back-up, das die Natur sich in der Hinterhand hält, um gerüstet zu sein? Für den Fall der Fälle. Eine Reserve für jene Situation, wenn das Abtasten der Umwelt durch das Genom ergibt, dass genau jetzt der richtige Zeitpunkt wäre, etwas zu ändern. Eine neue Richtung einzuschlagen. Weil die Umstände es verlangen, die es dem Genom über das Epigenom melden. Damit und mit weiteren Thesen konfrontierte ich Sir Karl Popper. Er teilte meine Ansichten nicht nur, er bestärkte mich darin, diesem Pfad unbeirrt zu folgen.

Was die Epigenetik betrifft, hat dieser bloße Anfangsverdacht heute, mehr als ein Vierteljahrhundert später, längst seinen Siegeszug angetreten. Schritt für Schritt bestätigt er sich. Und Schritt für Schritt kommt er auch in den Köpfen der Wissenschaft an. Mittlerweile besteht kein Zweifel mehr am enormen Einfluss, den anderes Leben und Wirken auf unser Erbgut ausübt. Die Umwelt. Der eigene Lebenswandel. Der Lebenswandel unserer Vorfahren. Alles hängt zusammen, fantastisch holistisch.

Das Verhältnis zwischen Forschung und Glaube kann sich auch wieder bessern. Das haben zwei große Namen vorgezeigt. Albert Einstein und Max Planck.

Planck, einer der Väter der Quantenphysik. Auf ihn geht nicht nur eine Reihe von Begriffen zurück, denen wir im ersten Teil bei unserer Reise zum Urknall begegnen werden, weil sie alle – räumlich, zeitlich, die Größe betreffend – sich rund um die Stunde null tummeln. Planck war ein Mann, der über sich einmal im Rahmen einer seiner beliebten Vortragsreihen sagte: »Meine Herren, als Physiker, der sein ganzes Leben der nüchternen Wissenschaft, der Erforschung der Materie widmete, bin ich sicher vom Verdacht frei, für einen Schwarmgeist gehalten zu werden.«

Und doch fuhr er in seiner Ansprache 1944, ein Vierteljahrhundert nach Erhalt des Nobelpreises, mit diesen Worten fort:

»Und so sage ich nach meinen Erforschungen des Atoms dieses: Es gibt keine Materie an sich. Alle Materie entsteht und besteht nur durch eine Kraft, welche die Atomteilchen in Schwingung bringt und sie zum winzigsten Sonnensystem des Alls zusammenhält. Da es im ganzen Weltall aber weder eine intelligente Kraft noch eine ewige Kraft gibt – es ist der Menschheit nicht gelungen, das heißersehnte Perpetuum mobile zu erfinden –, so müssen wir hinter dieser Kraft einen bewussten intelligenten Geist annehmen. Dieser Geist ist der Urgrund aller Materie. Nicht die sichtbare, aber vergängliche Materie ist das Reale, Wahre, Wirkliche – denn die Materie bestünde ohne den Geist überhaupt nicht –, sondern der unsichtbare, unsterbliche Geist ist das Wahre. Da es aber Geist an sich ebenfalls nicht geben kann, sondern jeder Geist einem Wesen zugehört, müssen wir zwingend Geistwesen annehmen. Da aber auch Geistwesen nicht aus sich selber sein können, sondern geschaffen werden müssen, so scheue ich mich nicht, diesen geheimnisvollen Schöpfer ebenso zu benennen, wie ihn alle Kulturvölker der Erde früherer Jahrtausende genannt haben: Gott! Damit kommt der Physiker, der sich mit der Materie zu befassen hat, vom Reich des Stoffes in das Reich des Geistes. Und damit ist unsere Aufgabe zu Ende, und wir müssen unser Forschen weitergeben in die Hände der Philosophie.«

In puncto Denkmauern durchbrechen war auch Albert Einstein jemand, der mit der Abrissbirne durch die Gesellschaft donnerte. Er brachte so manches Wissensgebäude zum Einsturz. Allein dadurch, dass er seine zwei Relativitätstheorien auf die Menschheit losließ und das Denken bis heute prägte. Als Einstein 1955 in Princeton, USA, starb, überschlugen sich die Nachrufe auf ihn in Superlativen – Kopernikus des 20. Jahrhunderts. Bedeutendster schöpferischer Denker der Moderne. Magier der modernen Physik. Immerhin hatte er das Weltkonzept von Raum, Zeit und Masse torpediert.

Durch sein E = mc2 erkannte er, dass Energie und Masse in einem Zusammenhang stehen. Einstein erklärte das Phänomen, warum elektromagnetische Wellen mitunter als Teilchen der Materie auftreten. Warum radioaktive Substanzen über Jahrmillionen energiegeladene Strahlung aussenden. Warum Sterne wie die Sonne Licht und Wärme über Jahrmilliarden spenden können. Auch beschrieb er exakt das Verhalten Schwarzer Löcher.

Einstein selbst schrieb seine Leistung zwei Dingen zu: Vorstellungskraft und Fantasie. Sie seien wichtiger als jedes Wissen. Nur durch sie könnten menschliche Wesen »Göttern ähneln und zu den Sternen sprechen«.

Solche Aussagen zeigten sein Kokettieren mit dem Transzendenten. Ausgerechnet ihm, diesem fleischlichen Sinnbild rationaler Wissenschaft, wollte man das nicht nachsehen. Einer wie er durfte den Blick nicht hinüberwerfen. Und doch: »Gott würfelt nicht.«

In einem Brief schrieb er: »Was ich in der Natur erblicke, ist eine großartige Struktur, die wir nur bruchstückhaft verstehen können. Diese Struktur muss jedem denkenden Menschen ein Gefühl von Bescheidenheit vermitteln, ein authentisches religiöses Gefühl, das mit Mystizismus nichts zu tun hat.«

Einsteins Weltenbaumeister war ein universeller kosmischer Geist. Nicht mehr und auch nicht weniger. »Gott kümmert sich nicht um unsere mathematischen Schwierigkeiten. Er integriert empirisch.«

Ludwig Feuerbach, deutscher Philosoph und Anthropologe, hat die Religion im 19. Jahrhundert vehement kritisiert. Sein Argument: Die Menschen machen sich ihren Gott selber. Als Stütze gegen den unvermeidlichen Tod. Ist das so? Ist Religion nichts anderes als Angst im Sonntagskleid der Hoffnung?

Die Antwort der religiös Gestimmten besteht darin, dass nicht wir Ihn, sondern Er uns geschaffen hat. Nach Seinem Abbild. Dadurch tragen wir den Gedanken an diesen Abbildgeber in uns. Wir erfinden Gott nicht, wir sind von Ihm geprägt. Der Gedanke an Transzendentes ist keine Lebensversicherung für Illusionen. Denn wir wurden von dem Transzendenten geprägt.

Das ist die Epigenetik des Glaubens.

Die Prägung für oder gegen Gott.

Außerdem gibt es den theologischen Ansatz, dass das Subjektive in die Offenbarung miteinbezogen werden muss. Denn die Wissenszuwächse der Jetztzeit zwingen zu einer neuen Formulierung religiöser Inhalte. Dabei beginnt das Christentum, sein sogenanntes inkarnatorisches Prinzip zu aktivieren. Die Anpassung an Fleisch und Zeit. Glaube 4.0. Modernisiert als Wahrnehmung einer Spiritualität.

So wird ein Gedanke des Philosophen Peter Sloterdijks weiterentwickelt, der schon meinte: »Durch die Wendung zum Subjekt entpassifiziert sich die Offenbarung – die Ära der bloß empfangenen Offenbarung ist zu Ende. Offenbarung kommt nicht als Verlautbarung eines transzendentalen Absenders, sondern auch als Offenheit gegenüber der Welt.«

Es geht nicht um eine gleißende Erscheinung oder einen alten Mann mit langem weißen Bart, der aus den Wolken heraus auftaucht und »Seid gegrüßt, Erdlinge« sagt. Sondern um das Gefühl eines jeden Einzelnen von uns.

Ebendiese Ergriffenheit, die das Gemüt in Schwingung versetzt.

Eine leise Zufriedenheit, die einem sagt: Alles wird gut, glaub mir, es wird gut. Ein inneres Lächeln. Skepsis ist erlaubt, freilich. Immerhin ist da noch die Neugier, die in uns brennt. Und am Ende stehen da die drei größten Fragen der Menschheit.

Woher kommen wir?

Was sind wir?

Wohin gehen wir?

Zeit für drei Antworten, vorab in aller Kürze.

Erstens: Die Hardware unserer Existenz war ab dem Urknall da.

Zweitens: Wir sind Abbild des Weltenbaumeisters.

Drittens: Uns erwartet die Verschränkung. Der Schöpfer und das Geschöpf – beide kommen zusammen, wenn wir es wollen.

Und das schauen wir uns jetzt einmal im Detail an. Wir reisen zurück in die Ewigkeit. Bis ganz zum Anfang. Dem Anbeginn des Universums. Dort macht es –

BUUUUUMMMMM!

Woher wir kommen. Wohin wir gehen.

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