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Mein kleines Brüderchen
ОглавлениеStörche gab es genug bei uns und Frösche auch. Störche essen ja gern Frösche . Dass die aber Zuckerstücke mögen, das hab ich nicht gewusst.
Da hat Maria dann eines Tages zu mir gesagt.
" Lege ein Zuckerle auf den Fenstersims . Das wird dann der Storch abholen und Dir zum Dank dafür ein Geschwisterchen bringen“
Ich war mächtig neugierig und hab getan, was die Maria gesagt hat. Aber ein Geschwisterchen wollte ich nicht unbedingt haben. Tatsächlich war das Zuckerle am Abend schon nicht mehr da. Ich hab ganz fest daran geglaubt, dass ein Storch es abgeholt hat. Aber das mit dem Geschwisterchen hab ich wieder vergessen : Weil ich den Störchen eine Freude machen wollte, hab ich noch ein Zuckerle hingelegt.
Einige Zeit später wurde Mutter krank und musste sich ins Bett legen. Die Maria hat mich nach unten geholt und gesagt.
„Mutter braucht Ruhe. Hole Du unten das Essen bei der Großmutter:"
Das hab ich ja nur zu gern getan. Schließlich hat Großmutter immer viel besser gekocht als Mutter. Ich hab mir gewünscht, dass Mutter recht lang krank ist, damit ich jeden Tag bei der Großmutter essen kann. Und ich hab nicht mal ein schlechtes Gewissen dabei gehabt.
Eine Weile später kam eine Verwandte von der Maria. Das war eine Hebamme. Was das so richtig war, hab ich damals noch nicht gewusst. Ich wusste nur, dass sie mit Babys zu tun hat. Aber ich hab gedacht, sie wollte Maria und die Großmutter besuchen. Aber das wollte sie nicht. Sie ging rauf zur Mutter. Maria und Großmutter flüsterten mit ihr und taten so furchtbar geheimnisvoll. Ich fand alles recht komisch. Irgendwas stimmte da nicht. Ich hab mir dann das Essen schmecken lassen, weil es draußen so kalt war, bleib ich bei Großmutter gemütlich in der warmen Stube mit dem schönen Kachelofen.
Die Maria ging zur Mutter. Die musste ja doll krank sein, habe ich gedacht.
Abends, als es dann ganz dunkel war, kam die Maria nach unten, nahm mich bei der Hand und sagte.
„Der Storch hat Dir ein Brüderchen gebracht.“
Ganz fassungslos sah ich sie an und sie wollte wissen.
„ Freust Du Dich denn?“
Ich hab mich aber auch schon gar nicht gefreut, nicht ein kleines bisschen. Ein Brüderchen? Was sollte ich denn damit? Ein Schwesterchen wäre mir lieber gewesen, Da hatte mir der Storch was schönes eingebrockt. Maria ging mit mir nach oben. Ich sollte mir das Brüderchen ansehen.
Mutter lag in ihrem weißen Bett . Ganz blass sah sie aus und müde. Aber sie lächelte und das kam mir selten vor bei ihr. Dann führte die Maria mich an ein kleines Kinderbettchen. Da drin lag das Brüderchen, so winzig klein, dass ich es kaum sehen konnte. Und er hatte ein ganz verschrumpeltes Gesichtchen. So wie ein rosiges Ferkelchen. Und das sollte nun mein Brüderchen sein? Und lieb haben sollte ich es auch noch. Das war einfach zu viel verlangt. Ich ging aus Mutters Zimmer ; setzte mich in eine Ecke und heulte. Die Maria kam zu mir und die Hebamme kam mit und sie mir.
„ Dein Bruder ist ein niedliches Kind. Es wird Dir bestimmt bald gefallen. Du kannst es dann auch liebhaben.“
Leider durfte ich nun nicht mehr bei der Großmutter essen. Die Hebamme kam schon morgens , um die Mutter fertig zu machen. Dann kümmerte sie sich um das Brüderchen und machte mir ein Frühstück. Das Mittagessen hat sie auch gekocht. Mutter sagte immer was sie kochen sollte. Es war dann halt mal wieder ein Samstag. Es gab wie immer Bratkartoffeln, rote Rüben und Siedfleisch. Vorweg gab es eine Suppe. Das gehört zur schwäbischen Mahlzeit. Das ist sogar heute noch so und ich mochte am liebsten Nudelsuppe und Grünkernsuppe. An diesem Samstag hab ich gehofft, ich müsse die roten Rüben nicht essen, weil Mutter im Bett lag und mir ja nicht zusehen konnte. Da hörte ich, wie die Hebamme erzählte.
„ Doris mag keine roten Rüben. Sie muss sie auf jeden Fall essen.“
Da fing ich wieder an zu heulen. Diese blöden roten Rüben. Wie ich die gehasst habe. Bei der Großmutter gab es nie so ein Zeugs und da hätte ich es auch nicht essen müssen. Großmutter verstand eben was von kleinen Mädchen. Aber schließlich konnten die Rüben ja nichts dafür, dass sie rot waren. Und dass ich sie nicht mochte, dafür konnten sie auch nichts. Am liebsten hätte ich nur Suppe gegessen.
Die Hebamme hat auch das Geschirr abgewaschen , und dann ist sie gegangen und abends wieder gekommen. Eine ganz Woche lang ging das so. Und das Essen war genau so wie bei Mutter. Es gab jeden Tag in der Woche dasselbe. Montags Kartoffeln und Quark. Dienstag was anderes, aber jeden Dienstag dasselbe. Und sonntags gab es immer Rotkohl und Kartoffelbrei. Wenn wir Glück hatten, ein Stückchen Fleisch dazu. Ich musste alles essen, ob ich es mochte oder nicht. Aber das hat mir nicht geschadet. Später hab ich nie Schwierigkeiten gehabt und sogar rote Rüben gegessen. Aber die Erwachsenen verstanden die Kinder nie.
Aber was wollt ich ja gar nicht schreiben. Es ging ja um das Brüderchen. Allmählich gingen die Runzeln weg und es bekam ein niedliches Gesichtchen. Auf dem Köpfchen hatte es weißen Flaum , ganz dünn und zwar, so wie die Halme auf der Wiese, die so sanft im Winde wehten. Und die winzigen Fingerchen und die kleinen Händchen, die das Brüderchen immer zu Fäusten geballt hatte, waren auch niedlich. Und so schöne Äuglein hatte es. Aber die waren fast immer zu. Die kleinen Kinder, die so ganz neu und fix und fertig zur Welt kommen, müssen ja wohl sehr müde sein, weil sie immer schlafen und nur schreien, wenn sie Hunger haben. Allmählich bekam ich das Brüderchen ja doch ganz lieb. Aber gesagt hab ich das keinem.Oft stand ich am Bettchen, wenn Mutter schlief und bestaunte das winzige Kleine, das alles, aber auch wirklich alles hatte, was ein großer Mensch auch hatte. Nur die Zähne fehlten noch.
Und dann wurde eines Tages ein Kinderwagen gebracht. Immer hatte ich mir einen Puppenwagen gewünscht, mit dem ich auf der Straße fahren konnte.Nun hatte ich einen. Es war ein großer Puppenwagen und es lag keine Puppe drin, sondern mein Brüderchen. Ich war ganz stolz, wenn ich damit spazieren fahren durfte, und wenn die Leute mein Brüderchen sehen wollten. Und dann wollten sie auch noch wissen wie es heißt. Den Namen hab ich keinem verraten, weil ich mich geschämt hab. Mein Brüderchen war noch nicht getauft, aber seinen hatte es schon. Es hieß für mich
„Kraft“. Das war doch zu blöd.Kraft ist doch was anderes, aber kein Name für ein Brüderchen.
Nun war das bei uns im Dorf so, dass jeder Kind, das geboren wurde, immer am darauffolgenden Sonntag getauft wurde. Mein Brüderchen wurde an einem Dienstag geboren und sollte am Sonntag getauft werden. Das war aber nicht in Ordnung. Irgendetwas stimmte mit dem Namen nicht und plötzlich sagte meine Mutter zu mir.
„ Dein Brüderchen wird am Sonntag getauft werden und einen Namen erhalten. Wolfgang soll es heißen.“
Mit wurde fast übel. Wieder so ein blöder Name. Einen Wolf und einen Gang. Ein Wolf war ein gefährliches Tier und ein Gang was da, was anderswo Flur oder Diele genannt wird. Also hatte ich einen Wolf und einen Gang als Brüderchen. Aber ich konnte da nichts bei machen.
Nun wurde meine Tante zur Taufe eingeladen. Das war Mutters Schwester und die wohnte weit weg. Dort, wo die Stadt mit der Brücke ist. Ich hab mich doll gefreut, als Mutter sagte, dass die Tante kommt. Die hab ich nämlich doll lieb gehabt. Und mein Onkel kam auch und brachte meinen Vetter mit.
Und dann kam der Sonntag. Unser Besuch war schon samstags gekommen und die Tante hatte tüchtig gebacken , gekocht und alles für den Tauftag vorbereitet. Mutter lag ja noch immer im Bett und konnte nicht mir zur Kirche kommen. Bei uns im Dorf konnte die Mütter nie dabei sein, wenn ihre Kinder getauft wurden. Mutter hat sehr geweint, weil sie nicht mit zur Kirche konnte. Sie war ja evangelisch.Ja, das war damals so. Leider!
Es war ein schöner Gottesdienst , und es wurden wieder all die schönen Lieder gesungen, die ich so liebte und wenn die Orgel spielte, dann wurde mir ganz warm ums Herz, so schön war das. Bei der Taufe hat auch die Orgel gespielt, und der Pfarrer hat so schön gesprochen und dann das Kind getauft auf den Namen Wolfgang. Nun war es passiert. Es hieß endgültig Wolfgang und ich konnte mich gar nicht trösten bei dem Gedanken, lieber einen Wolfgang zu haben, als einen „Kraft“.
Als wir dann nach Hause kamen, wurde das Brüderchen der Mutter in die Arme gelegt und es sah so lieb aus in seinem schönen Taufkleid.
Alle haben sich gefreut und es wurde ein schöner Tauftag und wir haben schön gefeiert. Aber am schönsten für mich war, dass die Tante da war und mich so doll drückte und in die Arme nahm, dass ich richtig gespürt hab, wie lieb sie mich hat und mit dem Brüderchennamen hab ich mich dann halt auch abgefunden.
Ende
Johannes Schütte:
Frau Rave hat um 1990 die Geschichten verfasst. Sie war in der Lage wie ein Kind zu schreiben. Das macht diese Geschichten so, als wenn sie es mit den Augen eines Kindes sieht Ein Mädchen, dass einen Bruder bekommt, muss sich noch daran gewöhnen.