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2.

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Das Serail des Paschas lag unterhalb des Lykabettos-Hügels am Stadtrand von Athen. Durch das Fenster der weiträumigen Halle sah Hasard auf den anderen Berg, der diese antike Stadt beherrschte: die Akropolis mit den Tempelruinen einer Zeit, in der Griechenland Wurzel und Pol abendländischer Kultur war.

Daß diese Zeit vorüber war, bezeugte das Gesicht der Stadt, die zwischen Lykabettos und Akropolis lag. Es wurde beherrscht von den Kuppeln der Moscheen, den schlanken, spitzen Minaretts, die wie mahnende Finger zum blauen Himmel emporragten.

Irgendwo in diesem Häusermeer steckten Keymis und Burton mit seinen beiden Kindern, überlegte Hasard. Wenn er sie verstecken müßte, würde er auch zusehen, sie möglichst schnell ins Inland zu bringen. In einer Hafenstadt fanden sich Seeleute sehr rasch zurecht, und es gab auch immer Menschen, die scharf beobachten konnten und begriffen, was gespielt wurde. Das gehörte in Hafenstädten zum Überleben.

Ja, Athen, dachte er wieder. Nicht auf einer kaum bekannten Insel. Das hatten sie in Spanien versucht und würden ihren Fehler nicht wiederholen. In einer großen Stadt wie Athen mit ihrem Völkergemisch aus Türken, Griechen, Arabern, Negersklaven und einem Dutzend anderer Rassen würde ein Fremder kaum auffallen. Hier konnten die beiden Halunken in aller Ruhe abwarten, bis …

Bis was? Er hatte noch immer nicht begriffen, was sie eigentlich vorhatten. Gut, beide Männer hatten einen abgrundtiefen Haß gegen ihn. Sie hatten nicht eine Sekunde gezögert, Menschen zu ermorden, nur um ihn zu treffen. Aber er war sicher, daß sie nicht die Absicht hatten, die Zwillinge nur umzubringen. Das hätten sie schließlich längst tun können. Nein, die Entführung der beiden Kinder war nur Mittel zum Zweck, ein Druckmittel, um ihn zu erpressen. Aber zu was? Alles, was sie erreichen konnten, hatten sie doch schon erreicht. Seine Frau war auf der Flucht vor ihren Nachstellungen ertrunken, die Königin hatte einen bereits erteilten Kaperbrief widerrufen und gegen ihn Haftbefehl erlassen. Durch die Schuld von Keymis und Burton war seine Familie zerstört, sein Ruf ruiniert und er selbst zu einem Flüchtigen vor dem Gesetz geworden. Was also konnten sie noch wollen? Was wollten sie noch aus ihm herauspressen? Es konnte höchstens sein, daß sie bei ihm noch einen Schatz vermuteten.

„Seine Exzellenz, der allergnädigste Pascha lassen bitten“, unterbrach eine Stimme seine Überlegungen.

Er wandte sich um. Der dicke Hassan ben Iskander trat auf ihn zu.

Hasard zog mit einer mechanischen Bewegung seinen Lederkoller zurecht, den er über einem einfachen Baumwollhemd trug.

Zwei bärtige Türken, die zu beiden Seiten einer breiten Tür standen und den Zugang mit gekreuzten Speeren versperrten, rissen ihre Waffen zur Seite, als Hassan und Hasard auf sie zuschritten. Einer von ihnen stieß die Tür auf.

Sie traten in ein großes, rundes Zimmer, das völlig kahl war. Nur ein kleiner, runder Tisch stand auf den dicken Teppichen, die fast den ganzen Boden bedeckten. Die Luft war dumpf und roch nach irgendwelchen Kräutern, zwei trübe Ölfunzeln verbreiteten mattes Licht. Fenster gab es nicht, aber Hasard erkannte, daß dieser Raum früher welche gehabt hatte. Sie waren nur zugemauert worden. Der Pascha schien nicht sehr beliebt zu sein.

Er hockte mit untergeschlagenen Beinen auf einem thronartigen Divan, der auf einem Podest stand. Der Pascha war ein alter, aufgeschwemmter Mann mit einem hennagefärbten Bart und einem Turban, der seinem Rang entsprechend bestickt und mit einem großen Rubin geschmückt war. Auch auf seinen dicken Wurstfingern trug er kostbare Edelsteine. Die rechte Hand spielte mit einer Kette aus dicken Bernsteinkugeln.

Hassan ben Iskander verneigte sich, so tief es seine Fülle zuließ.

„Sie müssen sich verbeugen“, flüsterte er Hasard zu.

Hasard hielt ein leichtes Kopfnikken für völlig ausreichend. Er verstand nicht, was der dicke Hassan zu dem kaum weniger fülligen Pascha sagte, und was dieser ihm antwortete. Er war auch nicht sonderlich neugierig darauf.

„Verbeugen“, zischte ihm Iskander kurz darauf wieder zu. Die Audienz schien beendet zu sein.

„Sie Glücklicher“, sagte Hassan strahlend, als sie das düstere Gelaß wieder verlassen hatten. „Seine Exzellenz hat Gefallen an Ihnen gefunden.“

„Welche Ehre.“

„Er bittet Sie, als sein persönlicher Gast im Serail zu bleiben.“

„Das ist sehr nett von ihm, aber ich muß mich um mein Schiff kümmern.“

„Das lassen Sie bitte unsere Sorge sein.“ Das angefrorene Lächeln verschwand für ein paar Sekunden. „Sie kennen die Sitten des Orients noch nicht, mon Capitain. Es ist eine Beleidigung, die Gastfreundschaft eines Herrschers auszuschlagen. Eine tödliche Beleidigung.“

„Trotzdem, sagen Sie bitte Seiner Exzellenz …“

„Ach, ehe ich es vergesse: Morgen findet ein sehr interessantes Schauspiel statt, zu dem ich Sie herzlich einladen möchte.“ Das Grinsen erschien wieder auf dem feisten Gesicht. „Interessant – und sehr lehrreich!“

„Seid doch vernünftig, Leute“, sagte Ben Brighton mahnend. „Hasard hat uns ausdrücklich befohlen, nichts zu unternehmen, bis er zurück ist.“

„Aber er ist nicht zurück! Darum geht es doch!“ Matt Davies schlug seine Unterarmprothese mit dem Stahlhaken auf die Back. „Er hat gesagt, er würde gegen Sonnenuntergang zurück sein.“

„Richtig! Und jetzt ist es zehn Uhr!“ rief Jeff Bowie.

Sie saßen im Mannschaftsraum im Vorschriff der „Isabella“. Das heißt, soweit sie auf den Kojenrändern Platz fanden. Die anderen drängten sich um die Back.

„Du weißt genauso gut wie wir, daß Hasard sein Wort hält“, sagte Dan O’Flynn hitzig. „Wenn er bis jetzt noch nicht hier ist, dann muß was faul sein.“

„Das bedeutet, daß irgend etwas dazwischengeraten ist und er später zurückkehrt“, sagte Ben Brighton.

„Oder er kann nicht kommen, weil er irgendwo eingesperrt worden ist“, sagte Blacky. „Ich traue diesen Ungläubigen nicht.“

„Wozu denn die ganze Quatscherei!“ rief Bob Grey. „Ich schlage vor, wir gehen an Land und sehen uns mal ein bißchen um. Und wenn sie den Seewolf wirklich eingesperrt haben sollten …“

„Was dann?“ fragte Ben Brighton ruhig.

„Dann hauen wir ihn heraus.“

„Gegen eine ganze türkische Garnison?“

„Wir sind schließlich fast zwanzig Männer!“

„Von denen wir höchstens zehn losschicken können“, sagte Ben Brighton.

„Und warum können wir nicht alle gehen?“

„Weil mindestens zehn Mann an Bord bleiben müssen“, erwiderte Ben Brighton ruhig.

„Aber wir können doch nicht einfach hier herumsitzen und so tun, als sei alles in bester Ordnung!“

„Das werden wir auch nicht“, sagte Ben Brighton. „Aber wir dürfen deshalb nicht den Verstand ausschalten. Ich schlage euch einen Kompromiß vor: Drei von euch gehen an Land und versuchen festzustellen, wo Hasard ist und warum er nicht zurückkehrt.“ Er machte eine kurze Pause und blickte die Männer der Reihe nach an. „Dan, du wirst die Führung übernehmen. Und ich denke, du solltest Batuti und Smoky mitnehmen.“

Ein paar der Männer, die damit von dem Unternehmen ausgeschlossen wurden, begannen zu murren.

„Haltet die Schnauze und laßt Ben ausreden“, fuhr Dan O’Flynn sie an. „Er hat völlig recht. Zuerst müssen wir feststellen, wo Hasard überhaupt steckt, und das erreichen drei Männer besser und unauffälliger als eine ganze Horde.“

Ein paar der Männer maulten noch etwas, aber dann waren sie ruhig.

„Also los, Leute“, sagte Dan zu Batuti und Smoky.

Smoky griff nach seinem Wehrgehänge mit dem Säbel.

„Das bleibt hier“, sagte Dan. „Wir nehmen nur Messer mit. Mit dem schweren Ding könntest du ja auch nicht schwimmen.“

„Schwimmen?“ fragte Smoky entgeistert.

„Wie sonst sollten wir denn unbemerkt an Land kommen?“ sagte Dan grinsend.

„Macht’s gut.“ Ben Brighton schlug Dan auf die Schulter. „Und seht euch ein bißchen vor, wenn ihr an Land schwimmt. Ich habe kurz vor Sonnenuntergang zwei Haie gesehen.“

„Sie haben den Ehrenplatz zur Rechten Seiner Exzellenz“, sagte Hassan ben Iskander.

„Ich weiß es zu schätzen.“ Hasard saß mit gekreuzten Beinen auf einem großen Kissen auf einer Empore. Links von ihm stand eine Art Thronsessel, der noch leer war. Vor ihm lag ein großer Platz. Männer mit Speeren und Krummsäbeln, wahrscheinlich Soldaten, hielten eine ständig anwachsende Menge zurück.

„Was ist hier eigentlich los?“ wandte er sich an Iskander.

„Heute ist Donnerstag“, sagte der.

„Und?“

„Der Freitag ist uns heilig, und vor jedem Freitag müssen alle Sünden gesühnt werden, damit wir Allah morgen reinen Herzens preisen können.“

Also eine Art Gerichtstag, folgerte Hasard. Das konnte ja gut werden.

Die Menschenmauer wurde gespalten. Zwei Neger trugen eine Sänfte heran. Es war jedoch nicht der Pascha, wie Hasard vermutet hatte, sondern ein hellhäutiger Mann in abendländischer Kleidung. Vielleicht sogar ein Engländer, dachte Hasard und blickte den Mann an, der jetzt ebenfalls auf das Podium kletterte.

Jetzt hatte der Mann ihn ebenfalls entdeckt, blieb überrascht stehen und starrte ihn an. Dann ging er weiter und setzte sich auf eins der Kissen am linken Ende des Podiums.

Wer war der Mann? Alle europäischen Mächte waren miteinander und mit der Neuen Welt beschäftigt und hatten weder Zeit noch Interesse, sich mit den Türken zu befassen. Und Geschäfte waren mit denen auch nicht zu tätigen. Was also hatte er hier zu suchen? Vor allem in Athen, einem zweitklassigen Außenposten Konstantinopels?

Er blickte zu dem blonden Mann hinüber. Er mochte knapp vierzig Jahre alt sein, trug einen dünnen Schnurrbart und elegante, fast dandyhaft wirkende Kleidung. Und er schien gewisse Privilegien zu genießen, erkannte Hasard an der verbindlichen, fast devoten Art, mit der die Umsitzenden ihn behandelten.

Auf jeden Fall sollte ich versuchen, mit diesem Mann zu sprechen, überlegte Hasard. Ein Mann in seiner Position mußte überall seine Informanten haben, um hier bestehen zu können. Er würde also auch wissen, wenn hier Fremde auftauchten, noch dazu Fremde, die Kinder bei sich hatten. Er würde bei der nächsten Gelegenheit mit diesem Mann sprechen.

Lautes Rufen und erregtes Stimmengewirr rissen ihn aus seinen Gedanken. Auf der rechten Seite prügelten bewaffnete Türken eine breite Gasse in die Menschenmauer, und kurz darauf trugen vier riesige Neger eine Sänfte auf den Platz. Unter dem seidenen Baldachin erkannte Hasard den fetten Pascha. Die Träger stellten die Sänfte vor dem Podium ab. Ächzend schleppte sich der dicke Potentat zu seinem Thron.

Ein müdes Winken seiner plumpen Hand war das Zeichen, daß die Vorstellung beginnen könne.

Ein Mann mit einem dichten, struppigen Vollbart trat vor den Thron und warf sich in den Staub. Zwei Soldaten schleppten einen gefesselten Mann heran und stießen ihn neben den anderen zu Boden.

Auf einen Wink des Paschas erhoben sich beide, und der Bärtige begann eine erregte Suada. Augenscheinlich der Kläger, folgerte Hasard, und der Gefesselte, auf den der andere immer wieder mit dem Finger deutete, war der Beklagte. Als der Pascha genug gehört hatte, winkte er dem Kläger, zu schweigen, stellte eine kurze Frage an den anderen Mann und fällte dann sein Urteil.

Der Bärtige grinste zufrieden und verneigte sich bis zum Boden. Der andere wurde von den Soldaten zu Boden gestoßen und mit Armen und Beinen an vier Pflöcken festgebunden. Ein stämmiger Neger entrollte eine lange Nilpferdpeitsche, und dann knallte das geflochtene Leder auf den Rücken des Delinquenten.

„So, nun ist die Gerechtigkeit wiederhergestellt“, erklärte Hassan ben Iskander mit seinem breiten Grinsen. „Der Gerechte kriegt sein Geld, und der Sünder kriegt die Peitsche.“

„Und niemand verteidigt den Angeklagten?“ fragte Hasard sarkastisch.

„Wozu? Wer angeklagt wird, ist auch schuldig.“

Hasard hielt es für müßig, noch ein Wort über eine Rechtsprechung zu verlieren, die seit der Magna Charta in England unmöglich war. „Und das soll lehrreich sein?“ fragte er nur.

„Warten Sie ab, Monsieur. Warten Sie ab.“

Es war der vierte Fall. Hasard konnte der „Verhandlung“ genausowenig folgen wie den vorangegangenen. Aber daß das Urteil härter ausgefallen war, erkannte er daran, daß der Angeklagte, ein Mann, dessen Kleidung und Aussehen Wohlhabenheit verrieten, abwechselnd schrie und um Gnade flehte.

Der Neger steckte die zusammengerollte Peitsche in die Schärpe und griff nach einem breiten Krummschwert.

„Was hat der Mann getan?“ fragte Hasard.

„Er hat es gewagt, den Unwillen Seiner Exzellenz hervorzurufen.“

„Und nur deswegen wird er hingerichtet?“

„Nur?“ sagte Hassan ben Iskander gedehnt. „Das ist schlimmer als Mord, Monsieur.“

Hasard starrte auf den Verurteilten, der jetzt von mehreren Sklaven in die Knie gezwungen wurde. Der riesige Neger hob das Richtschwert.

„Sein Vermögen fällt sicher an den Staat, nicht wahr?“ fragte Hasard.

„Zugunsten Seiner Exzellenz“, korrigierte Hassan amüsiert. „Und außerdem belustigt eine Hinrichtung unser naives Volk.“

Wie zur Bestätigung ertönten in diesem Augenblick Applaus und frenetischer Jubel. Hasard wandte sich um und sah den Kopf des Verurteilten in den Sand rollen. Der schwarze Henker hob das blutige Richtschwert und verbeugte sich wie ein Gladiator.

„Nun, mon Capitain“, sagte Hassan maliziös, „habe ich Ihnen zu viel versprochen? Ich habe gesagt, daß Sie etwas Interessantes und Lehrreiches …“

Er sprach nicht weiter, weil auf der linken Seite des Platzes, gleich neben dem Podium, Tumult ausbrach. Männer fluchten, Weiber kreischten, und dann hörte Hasard das Klirren von Waffen.

Hasard sprang auf. Er hatte eine düstere Vorahnung, was die Ursache dieses Krawalls sein könnte. Und er hatte sich nicht geirrt. Die riesige Gestalt Batutis ragte aus dem Knäuel von Zuschauern und Soldaten, und kurz darauf sah er auch Dan O’Flynn und Smoky. Sie hatten keine Chance gehabt. Eingezwängt zwischen Zuschauern hatte eine Übermacht von Soldaten sie sofort entwaffnen und überwältigen können.

Auf Anweisung des Blonden, wie Hasard jetzt erkannte. Der Mann hatte sie anscheinend vorher entdeckt und die Ablenkung der Menge während der Enthauptung dazu benutzt, die Männer der „Isabella“ überrumpeln zu lassen.

Jetzt stießen sie die drei Männer auf den freien Platz. Dan O’Flynn versuchte, einem der Soldaten den Krummsäbel zu entreißen. Er wurde niedergeschlagen und halb bewußtlos weitergeschleift. Batuti stieß ein wütendes Knurren aus und schüttelte die vier Männer, die ihn festhielten, zu Boden wie ein Bär, der kläffende Köter abschüttelte. Einem der Männer entriß er den Krummsäbel und schwang ihn über dem Kopf.

„Batuti!“ schrie Hasard scharf. „Laß das!“

Der schwarze Riese wandte den Kopf, und in der nächsten Sekunde hingen wieder vier, fünf Türken an ihm und rissen ihn nieder.

„Laßt meine Leute in Ruhe!“ rief Hasard. Dann fiel ihm ein, daß die Türken ihn ja nicht verstehen konnten, und er wandte sich an Hassan ben Iskander. „Sagen Sie ihnen, sie sollen meine Männer loslassen.“

Der dicke Hassan schien auszulaufen. Dicke Schweißbäche rannen über sein feistes Gesicht, und er blickte mit einem entschuldigenden Grinsen immer wieder seinen Pascha an.

Der Potentat starrte unwillig von dem Spektakel vor seinem Thron zu Hassan. Der dicke Hassan war von diesem Zeichen der Ungnade so entsetzt, daß er zum Thron watschelte, sich dort zu Boden warf und den rechten Schnabelschuh seines Herrn zu küssen versuchte. Der Pascha gab ihm einen Tritt, daß er auf den Rükken flog und wie ein Käfer mit Armen und Beinen strampelte.

Die Fairneß gebot es Hasard, die Verantwortung für den Zwischenfall zu übernehmen. Er trat neben den dicken Hassan und sagte: „Ich muß Sie um Verzeihung bitten, Exzellenz, auch für meine Männer. Aber Hassan ben Iskander trifft keine Schuld daran.“

Der dicke Hassan rappelte sich auf, blieb aber auf den Knien hocken und sprach rasch und mit vielen Verneigungen auf den Pascha ein, der ihm mit ein paar Worten antwortete und dann gelangweilt abwinkte.

„Seine Exzellenz zeigt Ihnen unverdienten Großmut“, sagte Hassan und wischte sich den Schweiß mit dem weiten Ärmel seiner Jelaba vom Gesicht. „Er verzeiht Ihnen die Störung der Gerichtssitzung und …“

„Sagen Sie Seiner Exzellenz, daß ich diesen Mann beanspruche“, unterbrach ihn eine kalte, schneidende Stimme in fließendem Französisch. Hasard wandte den Kopf und starrte den Blonden an, der mit vier bewaffneten Männern hinter ihm stand.

„Monsieur“, stotterte Hassan erschrocken. „Warum wollen Sie den so mühsam erhaltenen Frieden wieder stören? Seine Exzellenz hat in seinem erhabenen Großmut verziehen, und ich verstehe nicht, warum Sie sich um diesen Mann kümmern.“

„Weil ich hier die britische Krone vertrete“, sagte der Blonde scharf. „Und gegen diesen Mann liegt ein Haftbefehl meiner Königin vor. Bitte, sagen Sie Seiner Exzellenz, ich hoffe, daß er die Befehle meiner Königin respektiert und es nicht auf politische – Unstimmigkeiten ankommen lassen will.“

Während Hassan die Worte des Blonden auf türkisch wiederholte und der Pascha ihm antwortete, blickte Hasard diesen Vertreter der britischen Krone aufmerksam an.

Er war mittelgroß, hatte plumpe Hände mit abgekauten Nägeln, und die blasse Gesichtsfarbe zusammen mit dem weißblonden Haar gaben ihm etwas von dem Aussehen eines rosigen Schweinchens. Nein, einer rosigen Ratte, korrigierte sich Hasard sofort. Das hohlwangige, kadaverig wirkende Gesicht mit den wässerig-hellen Augen, die ständig hin und her huschten und immer auf Ausschau zu sein schienen nach Beute oder nach einem Loch zum Verkriechen, erinnerten sehr an eine Ratte.

„Tut mir leid, mon Capitain“, hörte Hasard den dicken Hassan sagen. „Aber Sie müssen verstehen, daß wir Ihretwegen nicht einen Bruch mit England riskieren wollen.“

„Schon gut.“ Hasard wandte sich an den Mann. „Gratuliere. Ich vermute, daß Keymis und Burton Sie über meine Anwesenheit informiert haben.“

„Das geht Sie nichts an.“ Die wasserblauen Augen funkelten triumphierend. „Sie sind verhaftet.“ Er gab seinen Männern einen Wink. „Ihre Waffe, Killigrew.“

„Moment!“ Hasard trat einen Schritt zurück. „Ich bin bereit, mich widerstandslos zu ergeben, unter der Bedingung, daß meine Männer freigelassen werden.“

„Sie sind nicht in der Lage, irgendwelche Bedingungen zu stellen, Killigrew“, sagte der Blonde sarkastisch. „Aber ich bin nur an Ihnen interessiert, nicht an dem Piratengesindel, das Sie an Bord haben. Ich werde die Burschen aus der Stadt jagen lassen.“

Einer der Männer griff nach Hasards Arm. Hasard rammte ihm die Faust in die Achselhöhle. Der Arm sank kraftlos herab.

„Ich gehe freiwillig mit, sowie meine Männer frei sind.“

Der Blonde blickte ihn mit seinen wässerigen, unsteten Augen an. „Na schön, was soll ich mit dem Pack“, sagte er schließlich und gab den Männern auf dem Platz ein Zeichen.

Widerwillig ließen sie von den drei Männern ab.

„Zurück zum Schiff!“ rief Hasard ihnen zu. „Dan, du bist mir dafür verantwortlich, daß solche Dummheiten nicht noch einmal geschehen. Ganz egal, was passiert. Verstanden?“

„Verstanden!“ rief Dan O’Flynn wütend.

„Also verschwindet!“

Hasard wartete, bis die drei Männer in der Menschenmenge untergetaucht waren, ohne daß sie verfolgt wurden. Dann wandte er sich an den blonden Vertreter der Krone: „Gut, Mister. Wohin gehen wir?“

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 67

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