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2.

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Es hatte sich schon bald herausgestellt, daß es auf den Wracks vor Calais etwa noch dreißig überlebende Spanier gab. Für Ribault war es unmöglich gewesen, diese Spanier mit dem Beiboot der „Le Vengeur“ zur „El Cid“ zu bringen. Außerdem hatte die Suche eine Menge Zeit in Anspruch genommen, immerhin hatten Ribault und seine Männer mit ihrem Boot elf Wracks abgesegelt und untersucht, und oft waren sie mit Mißtrauen und voller Abwehrbereitschaft empfangen worden.

Die Männer der „Isabella“ waren ebenfalls voll mit ihrer Hilfeleistung bei den Sänden beschäftigt. So mußte die „El Cid“ unter unsäglichen Mühen ins tiefere Wasser verholt werden, wenn man nicht riskieren wollte, daß sie bei ablaufendem Wasser auf die Sände geriet.

Es war kein Wunder, daß die Restbesatzungen sowohl der „Isabella“ als auch der „Le Vengeur“ mit ihren Gedanken und Blicken zumeist dort drüben waren, wo die Wracks der Spanier lagen und sich auch die „El Cid“ befand.

Wie es wirklich passiert war, wußte später keiner mehr so recht. Aber plötzlich war die Schaluppe der Franzosen da, unbemerkt von See herangesegelt, und sie hatte es auf die „Le Vengeur“ abgesehen, das zeigte sich sofort.

Sven Nyborg, der Decksmann, entdeckte die Schaluppe in dem Augenblick, als sie eine scharfe Wendung vollführte und dabei ihr Großsegel zu killen begann. Gleichzeitig flogen aber auch schon die Enterhaken, und die Schaluppe schor längsseits.

Der Decksmann stieß einen lauten Warnruf aus. So laut, daß Karl von Hutten, der zu dieser Zeit das Kommando über die „Le Vengeur“ führte, aus seiner Kammer flitzte. Auf der „Isabella“ schlug der Warnruf Sven Nyborgs wie eine Salve ein. Auch die Seewölfe wirbelten herum.

Ferris Tucker fluchte lauthals, als er die Bescherung sah. Ihm war sofort klar, daß sie von Bord der „Isabella“ aus überhaupt nichts unternehmen konnten, ohne die Freunde auf der „Le Vengeur“ zu gefährden.

Eine maßlose Wut bemächtigte sich des hünenhaften Schiffszimmermanns. Sein lauter Ruf mobilisierte die Seewölfe schlagartig. Aber leider drehte genau in diesem Moment der sonst so ruhige und besonnene Al Conroy, der Stückmeister der „Isabella“, durch. Er sprang an eine der Drehbassen und feuerte. So schnell, daß es niemand mehr verhindern konnte.

Der Schuß traf voll. Ferris Tucker und die anderen sahen noch, wie die Ladung von Blei und Eisen die Planken am Heck der Schaluppe auseinanderfetzte. Das wüste Geschrei der Marodeure scholl zu ihnen herüber, während die Schaluppe bereits über das Heck zu sinken begann.

Mit einem Satz war Ferris bei Al Conroy.

„Du verdammter Idiot!“ schrie er den Stückmeister an. „Jetzt haben die Saukerle da drüben kein Schiff mehr, was glaubst du, werden die jetzt tun? Das sind allesamt Schlagetots erster Güte, von Huttens Männer sind bis auf ihre Entermesser so gut wie unbewaffnet. Jetzt geht es rund da drüben, und wir müssen hinüber, ob wir wollen oder nicht!“

Al Conroy starrte den Schiffszimmermann an. So hatte er Ferris Tukker noch nie erlebt, aber er begriff sehr rasch, wie recht der rothaarige Hüne hatte.

Die Überraschung war für Marodeure hart. Statt auf ausgelaugte, völlig entnervte Spanier waren sie auf Männer gestoßen, die zu kämpfen verstanden und gar nicht daran dachten, ihr Schiff aufzugeben. Statt dessen schoß man ihnen ihre eigene Schaluppe buchstäblich unter dem Hintern weg.

Der Anführer der Marodeure, ein untersetzter Kerl mit rotem Kopftuch und verschlagen blickenden Augen, erfaßte die Situation sofort.

„Laßt die Kerle nicht aufs Achterkastell, die verschanzen sich dort und wir sind die Dummen! Außerdem haben sie dort eine Drehbasse, und Zugang zur Pulverkammer haben sie von dort aus auch!“ brüllte er.

Mit seinen Männern versuchte er von Hutten und den anderen den Weg abzuschneiden, aber die Crew der „Le Vengeur“ war schneller. Es gab Zusammenstöße, und die Entermesser blitzten. Gleichzeitig dröhnten die ersten Musketen auf. Unterdessen trieb die bereits sinkende Schaluppe ab, drei Marodeure sprangen über Bord und schwammen auf die „Le Vengeur“ zu.

Die Marodeure mußten jetzt kämpfen, und sie mußten schnell mit den paar Männern auf dem Achterkastell fertig werden. Denn dort, in Rufweite, lag der Dreimaster, der offenbar zu diesem Zweimaster gehörte.

„Le Vengeur!“ schoß es dem Anführer der Marodeure durch den Kopf. Ein französisches Schiff also, aber wieso? In diesem Moment verdammte er seine eigene Unachtsamkeit und spürte, daß diese Sache für ihn und seine Männer schiefgelaufen war, verdammt schief sogar.

Der Kampf nahm an Heftigkeit zu. Von Hutten hatte seine Männer auf dem Achterdeck tatsächlich hervorragend postiert. Von den Marodeuren hatte vorerst keiner auch nur die geringste Chance, lebend dort hinaufzugelangen. Dann geschahen plötzlich die zwei Dinge, die der Anführer der Marodeure im stillen ohnehin befürchtet hatte: Wie durch Zauberei hielten einige Männer der „Le Vengeur“-Crew Musketen und Pistolen in den Händen. Mit ihnen deckten sie einen weiteren, der die Drehbasse lud. Gleichzeitig hörte der Anführer der Marodeure von Hutten sagen: „Mit der Drehbasse nur in Notfällen schießen, oder wir ruinieren unser eigenes Schiff. Aber wenn die Kerle versuchen sollten, das Achterkastell zu stürmen, dann nichts wie drauf!“

Er stieß einen Fluch aus. Gleichzeitig warf er einen Blick nach Steuerbord, wo die „Isabella“ lag. Was er sah, machte ihm sofort klar, daß ihre Lage auf dem Zweimaster mit jeder Minute bedenklicher und unhaltbarer wurde.

Auf der „Isabella“ wurde in fieberhafter Eile ein Boot zu Wasser gelassen. Ein Hüne von Gestalt mit brandrotem Haar kommandierte die Männer. In seinen Fäusten hielt er eine schwere, überlange Axt, bei deren Anblick den Marodeuren und Plünderern auf der „Le Vengeur“ eiskalte Schauer über die Rücken rannen. Und die Kerle dort drüben verstanden ihr Handwerk, denn das Boot war so rasch zu Wasser, wie sie es noch nie gesehen hatten.

Das zweite jedoch, was die Marodeure sahen, war fast noch schlimmer: Zwei Boote schossen von den Sänden auf die beiden vor Anker liegenden Schiffe zu. Allen voran eins, in dessen Bug ein hünenhafter Mann mit schulterlangem, wehendem Haar stand. Neben ihm ein weiterer Hüne, der durch sein zernarbtes Gesicht fast noch entsetzlicher wirkte.

Der Anführer der Franzosen entschloß sich schnell. Fort konnten sie nicht mehr, ihr Schiff sank soeben in nur wenigen Yards Abstand von der „Le Vengeur“. Ins Wasser springen war ebenso ausgeschlossen, denn dort würde man sie abknallen, ohne daß sie sich wehren konnten. Also mußten sie kämpfen, auf Biegen und Brechen, siegen oder sterben.

Die Küstenwölfe sahen sich an, und sie alle dachten in diesem Moment das gleiche. Dann war es soweit – ihr Anführer sprang auf, riß seine Pistole hoch und schoß.

„Angriff! Stürmt das Achterkastell!“ schrie er und sprang mit einer Schnelligkeit, die den Männern von Huttens jede Möglichkeit nahm, auf ihn zu zielen, die wenigen Stufen des Niedergangs hoch. Aber er war noch nicht ganz auf dem Achterkastell des Zweimasters, da stand er von Hutten gegenüber.

Die langen, blonden Haare des Mannes, in dessen Adern Indianerblut floß, flatterten im Wind. Seine schlanke, biegsame und hochgewachsene Gestalt wich der wilden Attacke des Küstenwolfs geschickt aus. Dann zuckte sein Degen vor, den er, genau wie Jean Ribault, meisterhaft beherrschte.

Um die beiden herum entbrannte im selben Augenblick ein wilder Kampf. Die Männer von Huttens taten alles, um zu verhindern, daß den Marodeuren der Sturm auf das Achterschiff gelang.

Dann dröhnte die Drehbasse auf. Ihr Bleihagel fuhr ins Deck des Zweimasters, drei der Küstenwölfe sackten getroffen zusammen.

Das war der Moment, in dem das Beiboot der Seewölfe die „Le Vengeur“ erreichte. Ferris Tucker und seine Mannen stürmten an Bord. Der Schiffszimmermann schwang seine überlange Axt.

„Aufgepaßt, von Hutten, wir sind da!“ brüllte er durch den Kampfeslärm. „Wir nehmen die Kerle jetzt in die Zange!“

Der Anführer der Küstenwölfe unternahm einen wütenden Ausfall. Es gelang ihm, von Hutten zurückzudrängen. Sein Piratensäbel war für den Degen von Huttens einfach eine zu starke und zu schwere Waffe. Gehetzt warf er einen Blick zur Seite, das zweite Beiboot näherte sich schnell, und jetzt erkannte er auch schon die harten, eisblauen Augen des Mannes, der im Bug des Bootes neben dem Narbengesichtigen stand.

Wie ein Blitz durchzuckte ihn die Erkenntnis, wer diese Männer waren und mit wem er und seine Leute sich eingelassen hatten. Von diesem Kerl mit den eisblauen Augen hatte er schon gehört. Er entschloß sich schnell, denn er wußte, daß das ihre einzige Chance war, zumal auch das dritte Boot nicht mehr weit weg sein konnte.

„Über Bord, springt über Bord! Es ist der Seewolf!“ schrie er in seiner Angst und Verzweiflung, so laut er konnte. Abermals unternahm er einen gewagten und wilden Ausfall gegen von Hutten und erreichte das Schanzkleid. Dann sprang er.

Seine Männer sahen das. Außerdem hatten sie verstanden, was er ihnen zugerufen hatte. Wer konnte, sprang ebenfalls und schwamm, als sei der Teufel hinter ihm her, immer darauf gefaßt, eine Kugel in den Rücken zu kriegen. Es fiel jedoch kein einziger Schuß.

Als der Seewolf wenig später zusammen mit Carberry an Bord der „Le Vengeur“ enterte, hörte er stumm zu, was ihm die Männer zu berichten hatten. Der Profos verzog sein Narbengesicht zu einem infamen Grinsen.

„Also manchmal ist ein guter Ruf doch auch was wert, was, wie? Aber diese verdammten Rübenschweine haben gut daran getan, über Bord zu springen und sich auf chinesisch oder sonst irgendwie zu empfehlen. Ich habe von diesen Dreckskerlen jetzt die Nase nämlich restlos voll! Aber ihr, ihr lausigen Kakerlaken, laßt euch nicht noch einmal dabei erwischen, am hellichten Tag auf Wache zu pennen. Das gilt für alle anderen triefäugigen Bilgenratten der ‚Isabella‘ gleich mit, verstanden?“

Der Profos drehte sich um und ging Jean Ribault entgegen, der sich eben an Bord seines Schiffes schwang.

„Du bist verdammt spät dran, Mister“, sagte er. „Und wenn du dir einen Gefallen tun willst, dann lasse deine ganze verdammte Bande kielholen, damit sie nicht wieder pennen, während wir da draußen schuften und den Dons zum Nachhauseweg verhelfen!“

Jean Ribault schlug Carberry auf die Schulter. Er kannte den Profos der „Isabella“ gut genug, um zu wissen, wie dieser Rat gemeint war. Aber in einem hatte Ed Carberry bestimmt recht: Dieser Vorfall würde für sie alle eine Lehre sein.

Eine gute halbe Stunde später kehrten die Seewölfe auf die „Isabella“ zurück. Sie brauchten noch Material für die „El Cid“, auch Ferris Tukker mußte an Bord des Zweideckers gebracht werden, nachdem alle Vorarbeiten inzwischen abgeschlossen waren.

Ribault ging mit der „Le Vengeur“ ankerauf, um die Spanier, die noch lebten, von den Wracks zu bergen und zur „El Cid“ hinüberzuschaffen. Sein Schiff hatte den geringsten Tiefgang, er konnte nahe genug an die Sände heran, um die Spanier dann mittels der Beiboote an Bord zu nehmen und anschließend zur „El Cid“ zu segeln.

Auch die „Isabella“ lichtete die Anker und verholte in die Nähe der „El Cid“.

Dann wurde geschuftet, pausenlos. So, wie es die Spanier in ihrem Leben noch nie gesehen hatten.

Am frühen Nachmittag unterbrachen die Seewölfe ihre Arbeit. Von weither rollte Kanonendonner über die See.

Auch der spanische Capitan, der inzwischen über eine Besatzung von insgesamt siebenundvierzig Mann verfügte, richtete sich ruckartig auf. Dann sah er den Seewolf an, der sich gerade an Bord der „El Cid“ befand, um sich vom Fortgang der Arbeiten zu überzeugen.

„Es ist noch nicht vorbei, Mister Killigrew“, sagte er, nachdem Hasard ihn gebeten hatte, ihn einfach beim Namen zu nennen, „da vorne wird gekämpft. Meine Leute gegen die Ihrigen. Ist es noch immer Ihre Absicht, mich und meine Männer segeln zu lassen? Können Sie das überhaupt verantworten?“

Der Seewolf schwieg eine Weile.

„Ich kann es verantworten, Senor Capitan. Es ist ein Gebot der Fairneß, und ich bin ein freier Mann, ich stehe nicht in den Diensten der englischen Flotte, sowenig wie meine Freunde auf dem Zweimaster dort. Nur eins ändert sich jetzt. Ich werde mit meiner ‚Isabella‘ segeln, Jean Ribault und Karl von Hutten werden mit ihrem Schiff bei Ihnen und Ihren Männern bleiben, solange Sie ihrer Hilfe bedürfen. Ich werde das sofort regeln.“

Der Seewolf streckte Capitan Manuel de Diaz die Rechte hin, und der ergriff sie. Dann verließ er die „El Cid“ und ließ sich von seinen Männern zur „Le Vengeur“ hinüberpullen, die ganz in der Nähe Anker geworfen hatte.

Mit Ribault und von Hutten wurde er rasch einig. Sie taten ihm gern den Gefallen. Um so mehr, als sie den Verdacht, den der Seewolf soeben ihnen gegenüber geäußert hatte, für mehr als begründet hielten.

„Keine Sorge, Hasard“, sagte der Franzose zum Abschied, und dabei blitzten seine Zähne, „unserem Schützling wird kein Haar gekrümmt, dafür stehen wir gerade. Wir sehen uns wieder, sobald er in Sicherheit ist.“

Die beiden Freunde und Waffenbrüder trennten sich. Kurz darauf ging die „Isabella“ ankerauf. Unter vollen Segeln rauschte sie nach Osten, dem Kanonendonner entgegen.

Capitan Manuel de Diaz blickte ihr nach. Er würde dem Seewolf seine Fairneß und seine Freundschaft nie vergessen, das stand fest.

„Ein Mann, wie ich noch nie einen kennengelernt habe“, murmelte er. „Mich wundert es gar nicht, wenn man diesen El Lobo del Mar in Spanien fürchtet und haßt zugleich!“

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 159

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