Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 342 - John Curtis - Страница 6

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Knapp 100 Seemeilen südwestlich der Schlangeninsel, dort wo sich das Unwetter über der Karibik zusammengebraut hatte, befand sich die „Mocha II.“ mit Arkana und ihren Schlangenkriegerinnen.

Die Schlangenpriesterin hatte den Himmel schon eine ganze Weile vor Sonnenuntergang zu beobachten begonnen. Sie lebte jetzt schon so lange in der Karibik, daß sie Anzeichen wie diese durchaus richtig zu deuten wußte. So war weder ihr noch den Schlangenkriegerinnen, die die Ausgucks besetzt gehalten hatten, jene zunächst nur winzig kleine Verfärbung des Himmels entgangen. Schwefelgelb schob es sich über die Kimm empor, wuchs dann aber rasch weiter zu einer respektablen Wolke an, in deren Färbung sich noch vor Sonnenuntergang düstere violette Töne mischten. Aber noch blieb die See ruhig, und noch wehte ein beständiger Wind aus Süd.

Tatona, die Unterführerin Arkanas, zugleich Anführerin der Tempelwache auf der Schlangeninsel, stand neben Arkana auf dem Achterkastell der „Mocha II.“, und auch sie beobachtete den Himmel angespannt.

„Wir sollten eine der Caicos-Inseln anlaufen, Arkana“, sagte sie schließlich und ließ ihren Blick über die kleine Galeone wandern. Die „Mocha II.“, eigentlich nur ein provisorischer Ersatz für die im Kampf um die Schlangeninsel verlorengegangene „Mocha“, war ein bereits betagter Segler. Zwar hatte die Galeone bisher durchaus genügt, um damit die wenigen Fahrten zu unternehmen, zu denen es die Schlangenpriesterin von Zeit zu Zeit trieb, aber mittlerweile hätte sie längst gegen ein größeres, stärkeres Schiff ersetzt werden müssen. Denn auch auf Arkana und ihre Araukaner, männlich wie weiblich, konnte es eines Tages zukommen, sich gegen einen mächtigeren Feind behaupten zu müssen. Das aber vermochte die „Mocha II.“ nicht – denn auch ihre Bewaffnung, sechs 17-Pfünder und vier Drehbassen, reichte dazu nicht aus. Hinzu kam auch noch, daß die alte Galeone alles andere als ein schneller Segler war. Und da hatte auch die ganze Kunst des alten Ramsgate nicht viel zu ändern vermocht, auch wenn die neue Takelage ihr nur einige Meilen mehr in der Stunde verschaffte.

Die „Mocha II.“ war und blieb, gemessen an den anderen Schiffen der Schlangeninsel, das schwächste Glied in der Verteidigungskette.

Arkana wußte das. Und natürlich hatte sie Hesekiel Ramsgate recht gegeben, daß die „Mocha II.“ durch einen Neubau ersetzt werden mußte, und sie gedachte auch, dieses Problem nach ihrer Rückkehr sofort mit ihm zu besprechen. Aber da war noch jener rätselhafte Auftrag, den sie vom Schlangengott, tief im Innern des Tempels, erhalten hatte.

„Besteige dein Schiff, Arkana“, hatte der Schlangengott gesagt. „Segle in Richtung Südwest. Der Schlangeninsel droht Gefahr, schwerer und schlimmer als jemals zuvor. Du wirst diejenige sein, die sie erkennt …“

Alles Fragen hatte nichts geholfen, nur die grünen Augen des Schlangengottes leuchteten immer zorniger, je mehr Arkana zu erfragen versuchte. Und schließlich glommen sie abermals auf, schienen den ganzen Tempel mit ihrem drohenden grünen Licht zu erfüllen, und Arkana hatte das Gefühl, daß tausend brennende Augenpaare sie zugleich anstarrten.

Da sank sie vor der Statue des Schlangengottes inmitten der züngelnden Flammen des heiligen Feuers, das die Statue kreisförmig umgab und von ihr wie vor jeder Meditation mit dem Schlangengott entzündet worden war, in sich zusammen.

„Tu jetzt, was ich dir sage. Arkana. Nimm einen Teil deiner Kriegerinnen mit. Ihr werdet Schweres erdulden, es wird eine harte Prüfung sein, die ich euch auferlege, aber nur so vermag ich euch und allen, die eure Freunde sind, zu helfen …“

Die Augen des Schlangengottes erloschen, zugleich mit ihnen auch die Flammen des heiligen Feuers – und so segelte Arkana mit dem nächsten Mahlstrom durch den Felsendom hinaus aufs weite Meer. Aber niemand wußte um den Auftrag, den ihr der Schlangengott gegeben hatte. Alle, die sich auf der Schlangeninsel befanden und ihr nachblickten, dachten, daß es sich um eine Erprobungsfahrt der überholten „Mocha II.“ handelte.

Das alles ging Arkana durch den Kopf, als Tatona sie ansprach. Und so dauerte es eine Weile, ehe sie antwortete.

„Der Schlangengott hat nicht befohlen, wohin wir zu segeln haben. Vielleicht schickt er uns dieses Unwetter, und deshalb wird es auch seinem Willen entsprechen, daß wir die nächstgelegene Insel anlaufen, um dort Schutz zu suchen. Veranlasse das alles, Tatona, du weißt, welche Insel wir vielleicht noch erreichen können. Wir laufen dort in jene Bucht ein, in der wir schon einmal vor einem Sturm Zuflucht gesucht haben …“

Tatona, schlank und bildschön wie alle Kriegerinnen der Tempelwache, nickte. Sie kannte Arkana schon lange, und sie war auch die älteste Kriegerin der Tempelwache. Tatona war noch auf der Insel Mocha geboren worden, sie hatte wie Arkana den Kampf um die Todesbucht an der Seite des Seewolfs miterlebt und auch die Befreiung Arauas aus den Händen des machtgierigen Alkalden, als der Seewolf die Mocha-Insel zum zweitenmal anlief und von der Existenz seiner kleinen Tochter Araua erfuhr …

Tatona war neben Araua die engste Vertraute Arkanas, sie teilte mit ihr alle Geheimnisse. Jetzt gab sie die nötigen Anweisungen, während Arkana wie geistesabwesend auf dem Achterdeck stand. Aber dieser Eindruck, das wußte Tatona nur zu gut, täuschte, denn Arkanas Sinne waren gerade jetzt hellwach. Sie befand sich in jenem Zustand, der das Vorstadium zur Meditation mit dem Schlangengott bildete.

Flüchtig erschien das Bild Arauas vor Tatonas geistigem Auge. Bei Araua war vieles anders als bei ihrer Mutter Arkana. Sie vermochte bisweilen ohne jede Meditation Verbindung zum Schlangengott aufzunehmen. Er konnte ihr von einer Sekunde zur anderen erscheinen. Ein Vorgang, der bei Arkana nur recht selten zu verzeichnen war.

Doch dann mußte Tatona sich auf die Führung der „Mocha II.“ konzentrieren. Der Himmel hatte sich nun bezogen, die ersten Blitze zuckten vom Firmament ins Meer hernieder, begleitet vom krachenden, betäubenden Donner, der ihnen folgte. Die ersten harten Böen griffen nach der „Mocha II.“ und ließen sie weit nach Backbord krängen.

Auf einen Befehl von Tatona enterten die Schlangenkriegerinnen auf und bargen einen Teil der Segel. Gerade noch rechtzeitig, denn kaum, daß sie sich wieder an Deck befanden, setzte der Sturm ein. Ein düsterer, violetter Schimmer lag über der See, ein gespenstisches Leuchten, wie aus den Grüften ungezählter Toter geboren.

Arkana riß sich aus ihrer Meditation, denn der Schlangengott schwieg. Sie trat an die Schmuckbalustrade. Tatona und sie kannten diesen Teil der Karibik genau. Die Insel mußte schon bald vor ihnen auftauchen. Das düstere Leuchten und das grelle, gleißende Licht, das die immer wieder herniederzuckenden Blitze abgaben, ermöglichte es ihnen, trotz der bereits untergegangenen Sonne und der in diesen Breiten schnell einfallenden Dunkelheit die an der Kimm auftauchende Silhouette der von ihnen angesteuerten Caicos-Insel zu erkennen. Sie sollte später einmal den Namen Providenciales erhalten.

„Wir schaffen es noch, bevor das Unwetter richtig losbricht, Arkana!“ sagte Tatona und klammerte sich im gleichen Augenblick an einem der inzwischen gespannten Strecktaue fest, als eine gigantische Woge von achtern heranrollte und die „Mocha II.“ fast bis in den Himmel zu heben schien.

Brecher fluteten über die Decks, Rufe erschallten, aber dann lief das Wasser auch schon gurgelnd und zischend durch die Speigatten ab.

Der Sturm nahm jetzt rasch an Stärke zu. Er heulte in den Wanten, in den Pardunen und Stagen, und die „Mocha II.“ begann schwer in der groben See zu arbeiten.

Sie erreichten die Einfahrt der Bucht, noch bevor das Unwetter, das nun mit seinen wild quirlenden Wolken den ganzen Himmel überspannte, voll losbrach. Aber die Araukanerinnen wußten auch, daß zu langwierigen Manövern in der Bucht jetzt keine Zeit mehr blieb. Die Schlangenkriegerinnen enterten abermals auf, um auch die restlichen Segel zu bergen, während eine andere Gruppe den Anker ausrauschen ließ, als Arkana den Befehl dazu gab.

Die „Mocha II.“ wurde von der Ankertrosse gestoppt. Durch das Schiff ging ein Ruck, es knarrte und ächzte in allen Verbänden, und unablässig zuckten Blitze hernieder, heulten Sturmböen in die Bucht. Vom offenen Meer drückte der Sturm das Wasser in die Bucht, donnernd brachen sich gischtende Brecher an den Klippen.

Dann, als sich die Schlangenkriegerinnen und ihre Hohepriesterin bereits in Sicherheit wähnten, geschah es: Eine gigantische Woge wälzte sich aus der Karibik heran. In den düstern Lichtern des auf unheimliche, gespenstische Art glühenden Himmels leuchtete die Gischtkrone durch die Dunkelheit. Die Woge wurde vom hohlen Brausen des Sturms begleitet, und sie war so gewaltig, daß sie die der Bucht vorgelagerten Klippen glatt überrollte und gischtend und donnernd in die Bucht stürmte. Himmelhoch schoß der Gischt bei dem Anprall empor.

Arkana, Tatona und die anderen sahen sie. Aber es war viel zu spät, um irgend etwas gegen diese Urgewalt zu unternehmen, und sie wußten, es. Sie spürten, wie die gigantischen Wassermassen die „Mocha II.“ packten, wie sie das Schiff hochhoben, und sie hörten, wie die Ankertresse mit berstendem Knall brach.

Arkana und Tatona klammerten sich auf dem Achterdeck fest, die anderen Schlangenkriegerinnen suchten sich Halt zu verschaffen, wo sie ihn gerade noch erwischten.

Sie hatten noch einmal Glück, denn die Galeone schwamm auf der Woge dahin wie ein Korken. Aber sie wurde auch herumgewirbelt wie ein Kreisel, Titanenfäuste hatten sie ergriffen und trieben ihr wildes Spiel mit ihr.

Der Rumpf, die Planken, das stehende wie das laufende Gut ächzte und stöhnte, und Arkana wußte, daß dies die Todesstunde der „Mocha II.“ sein würde.

Die Woge erreichte das Ufer. Sie warf die „Mocha II.“ wie ein Spielzeugschiff zwischen die Klippen. Viele der Araukanerinnen wurden über Bord geschleudert. Sie trug das wirbelnde, gischtende Wasser zwischen den zerklüfteten Felsen noch weiter zum Strand hinauf. Dann prallte die „Mocha II.“ auf die Klippen. Es war wie ein gewaltiger Donnerschlag. Der Fock- und der Großmast zersplitterten unter der Wucht dieses Aufpralls, der Rumpf zerplatzte wie eine Nußschale unter dem Hieb eines Schiffshauers. Drei der 17-Pfünder rissen sich aus ihren Laschungen, und auch die Brooktaue hielten dieser plötzlichen Belastung nicht stand. Mit ungeheurer Wucht wurden sie in die Aufbauten des Achterkastells katapultiert und schlugen die schweren Bohlen des Achterkastells kurz und klein. Eine der Kanonen durchschlug anschließend die Bordwand an Steuerbord und verschwand zwischen den Felsen im gurgelnden Wasser. Die anderen beiden Kanonen blieben in den Trümmern des Achterkastells stecken.

Arkana und Tatona klammerten sich immer noch an einem der Strecktaue fest. Es war die Hölle, die sie erlebten. Wassermassen überfluteten ihre Körper, zerrten an ihnen, und sie wußten, daß sie nicht loslassen durften, wenn sie überleben wollten.

Dann traf der nächste Schlag die „Mocha II.“. Er war so gewaltig, daß sowohl Arkana als auch Tatona den Halt verloren und vom Achterdeck aufs Hauptdeck hinabgeschleudert wurden. Zwischen den Trümmern von Masten, Rahen, Stengen, Segeltuch, zwischen dem Gewirr der einstigen Wanten, Pardunen und Stagen blieben sie wie betäubt liegen. Und daß sie auch diesen Sturz noch überlebten, das war wie ein Wunder.

Dann setzte der trommelnde Regen ein, während die Wassermassen der gigantischen und für die „Mocha II.“ tödlichen Woge gurgelnd und gischtend in die Bucht zurückquirlten.

Tatona und Arkana rappelten sich auf. Sie mußten von diesem Schiff zum Land hinüber, und zwar so schnell wie möglich. Eine weitere Woge, die die Klippen am Eingang der Bucht übersprang, würde die „Mocha II.“ vollständig zertrümmern, das aber würde niemand, der sich noch an Bord befand, überleben.

„Du an Backbord, ich an Steuerbord!“ sagte Arkana zu Tatona, die sich eben aus den Trümmern wieder hochquälte. Tatona wußte sofort, was Arkana meinte – sie mußten das Hauptdeck nach Überlebenden absuchen, bevor sie das Schiff verließen. Verletzte oder Bewußtlose galt es zu bergen …

Die beiden Araukanerinnen nutzten das gleißende Licht der pausenlos herniederzuckenden Blitze, um nach weiteren Überlebenden zu suchen. Im Getöse der hallenden Donnerschläge und unter den aus den jagenden Wolken herniederprasselnden sintflutartigen Regenfluten, die fast das Atmen zur Unmöglichkeit werden ließen, gelang es ihnen, etliche der Schlangenkriegerinnen aus den Trümmern zu bergen. Lebend – und wie durch ein Wunder nahezu unverletzt. Einmal war es Arkana und Tatona, als ob sie die grünen, glühenden Augen des Schlangengottes anstarrten, während sie mehr und mehr ihrer Kriegerinnen um sich scharten und dann schließlich das Wrack der „Mocha II.“ verließen.

Und wieder war der Schlangengott mit ihnen. Der wütende Sturm legte eine Pause ein, als sie sich zwischen den Klippen entlang auf das sandige Ufer zuarbeiteten, wo ihnen bereits weitere Schlangenkriegerinnen entgegen liefen.

Sie verkrochen sich zwischen den weiter oben am Strand gelegenen Felsen – und dann, nachdem Arkana und Tatona zu ihrem Erstaunen wußten, daß sie keine ihrer Kriegerinnen verloren hatten, brach der Sturm von neuem los. Diesmal aber mit einer Wucht, gegen die alles, was sie vorher erfahren hatten, noch wie ein harmloses Maienlüftchen wirkte.

Aber der Schlangengott wachte über sie – es geschah ihnen nichts. Zwei Tage und zwei Nächte wütete das Unwetter über der Karibik. Und als es endlich abzuflauen begann, lagen Arkana und ihre Schlangenkriegerinnen im tiefen Schlaf der Erschöpfung zusammengerollt zwischen den Felsen, die ihnen Zuflucht gewährt hatten. Aber ihre Prüfung war noch nicht zu Ende – der Schlangengott hatte andere Pläne mit ihnen und ihrer Hohepriesterin.

Zwar hatte sich die Schlangeninsel selbst nicht im Zentrum des Unwetters befunden – aber die Wucht, mit der es auf die Schlangenbucht herniedergefahren war, hatte auch so gereicht. Brüllend war der Sturm durch den Felsendom gefahren und hatte das Wasser wie einen gischtenden, tosenden Berg vor sich hergetrieben. Dieser Wasserberg war dann in die Bucht hineingewalzt, hatte die Ufer der Schlangenbucht überrannt und alle Boote, die dort lagen oder auf Strand gezogen worden waren, zertrümmert. In den unterseeischen Stollen- und Höhlensystemen der Insel hatte es geheult, geächzt und gebraust, als ob dort ganze Heere von Geistern herumgetobt wären. Erst kurz vor dem Gewölbe, in dem sich die Statue des Schlangengottes befand, machte das Wasser halt.

Um die „Wappen von Kolberg“, die dicke Trossen am Ausrüstungskai der Werft festhielten, kämpften der alte Ramsgate und seine Männer wie auch Arne von Manteuffel und seine Crew verbissen. Die sonst so friedliche Schlangenbucht hatte sich in einen wahren Hexenkessel verwandelt. Überall entstanden Strudel, die alles in die Tiefe zogen, was ihnen zu nahe geriet. Wilde Strömungen und Verwirbelungen zerrten am großen Rumpf der Galeone. Sturmböen von nie gekannter Stärke packten das Schiff und versuchten es entweder zum Kentern zu bringen oder aber die dicken Trossen, die es am Kai festhielten, zu sprengen. Es war wirklich, als sei die Hölle losgebrochen, um die Schlangeninsel samt ihren Bewohnern zu verschlingen.

Im Araukanerdorf wirbelten die Hütten der Araukaner davon. Daß es auch dort keine Toten, sondern lediglich einige Verletzte gab, grenzte an ein Wunder. Sogar die finsteren und gefährlichen Bewohner des Höllenriffs, die gewaltigen Kalmare, hatte das durch den Felsendom hereinbrechende Wasser bis in den hinteren Teil der Bucht gespült. Und dort hockten sie jetzt auf den Klippen, immer wieder von schweren Brechern überspült und klammerten sich mit ihren riesigen Fangarmen dort fest. Ängstlich und vollständig verwirrt, glotzten sie mit ihren großen Augen in die Finsternis und das unvorstellbare Wüten der Elemente. Denn auch sie hatten dergleichen noch nie erlebt.

Unterdessen kniete Araua im Gewölbe des Schlangengottes. Sie war nackt bis auf den Lendenschurz. In ihrem Haar funkelte der Reif mit den zwei Schlangenköpfen, und die beiden Schlangenleiber schien Leben zu erfüllen, sie schienen sich im Haar der jungen Schlangenpriesterin zu ringeln.

Arauas junger, biegsamer Körper schien sich vor dem Schlangengott in einem geheimnisvollen Tanz zu bewegen. Unablässig huschten die zuckenden Lichter der heiligen Flammen, die Araua und die Statue des Schlangengottes wie ein magischer Kreis umgaben, über die braune Haut ihrer Glieder.

Aber das täuschte, Araua bewegte sich nicht. Sie hatte die Augen geschlossen und beide Arme dem Schlangengott entgegengestreckt. Sie spürte, daß der Schlangengott zu ihr sprechen würde, und nun wartete sie geduldig darauf, seine Stimme zu vernehmen. Denn Angst war in Araua. Sie hatte das Unwetter auf der Schlangeninsel miterlebt, und sie wußte, daß ihre Mutter und ihre Schlangenkriegerinnen sich in seinem Zentrum befunden haben mußten.

„Sag mir, ob sie noch leben, Schlangengott, der du über ungezählte Generationen unseres Volkes gewacht hast. Sag mir, was ich tun kann, um sie zu retten …“

Araua hatte das nicht gesprochen, nicht einmal geflüstert, sie hatte es lediglich gedacht. Und sie spürte, wie schwer es war, dies alles nun ganz allein tun zu müssen, allein, ohne den Rat und ohne die Hilfe Arkanas, der Hohepriesterin des Schlangengottes.

„Öffne deine Augen, Araua, Tochter Arkanas und des Seewolfs, geboren auf Mocha, wie es meinem Willen entsprach“, vernahm sie die Stimme des Schlangengottes in ihrem Innern, und sie klang freundlich.

Araua öffnete die Augen, und sie blickte geradewegs in die grünen, von eigentümlichem Leuchten erfüllten Augen des Schlangengottes. „Du wirst auf Siri-Tong warten, auf die Rote Korsarin. Sobald sie eintrifft, führst du sie zu mir. Ich, der Schlangengott, will mit ihr reden. Du, Araua, wirst hören, was ich ihr zu sagen habe, denn die Rote Korsarin ist die einzige von den Fremden auf dieser Insel, die an mich glaubt. Ich werde euch dann sagen, wo ihr Arkana findet. Aber es wird eine Zeit der schweren Prüfungen für euch alle werden. Wenn ihr die aber so besteht, daß ich zufrieden mit euch bin, dann werdet ihr eine lange Reise zusammen unternehmen, und auch Arkana wird euch begleiten auf dieser Reise.“

Der Schlangengott schwieg einen Moment lang, und das Glühen seiner Augen schwächte sich ab. Aber dann wurde es wieder stärker.

„Siri-Tong, die diese Insel schon lange vor euch allen kannte, und du, ihr werdet mit der Roten Korsarin von hier aus genau nach Südwesten segeln. Wenn es an der Zeit ist, werde ich euch ein Zeichen senden, und ihr werdet wissen, was anschließend zu tun ist. Ich werde dich schützen, kleine Araua, denn ich habe mit dir noch viel vor. Aber du wirst dennoch vorsichtig sein müssen, sehr vorsichtig. Laß mich jetzt allein, denn ich muß alles noch genau überdenken. Und tu, wie ich dir gesagt habe. Laß das heilige Feuer brennen, bis es von selbst verlöscht.“

Araua verließ das Gewölbe. Sie war verwirrt. Was der Schlangengott ihr soeben gesagt hatte, begriff sie noch nicht so recht. Was bedeutete es – daß sie mit Siri-Tong eine lange Reise machen würde, an der dann auch Arkana teilnehmen würde? Und was meinte der Schlangengott damit, daß ihnen allen schwere Prüfungen bevorstehen würden, die sie aber zu seiner Zufriedenheit bestehen müßten? Und warum wollte er mit Siri-Tong sprechen? Das geschah zum erstenmal, seit sie denken konnte.

Wahrlich, es geschahen merkwürdige Dinge auf der Schlangeninsel, und alles war in Fluß geraten …

Als Araua aus dem Schlangentempel trat, traf sie auf Karl von Hutten.

Er blieb vor ihr stehen.

„Wir hatten Sorge um dich, Araua. Sieh dir die Insel an, das Unwetter hat viele Verwüstungen angerichtet. Auch oben im Dorf der Araukaner. Wir werden eine Weile zu tun haben, bis alles wieder seine alte Ordnung haben wird. Was ist geschehen, Araua, du siehst so verändert aus? Sag es mir …“

Araua lächelte ihn an. Dann schüttelte sie den Kopf.

„Siri-Tong wird mit ‚Roter Drache‘ bald nach dem Sturm in die Schlangenbucht einlaufen. Ich werde sie erwarten, denn der Schlangengott hat mir aufgetragen, Siri-Tong sofort zu ihm zu führen, sobald sie wieder hier ist.“

Karl von Hutten blickte das Mädchen, das da fast nackt und in voll erblühter Schönheit vor ihm stand, an, zweifelnd und ungläubig.

„Der Schlangengott will Siri-Tong sprechen, Araua?“

Araua nickte.

„Ja, ich soll mit ihr zusammen genau nach Südwesten segeln. Er wird uns dann, sobald es an der Zeit ist, ein Zeichen schicken, das uns helfen wird, Arkana und die Schlangenkriegerinnen zu finden. Aber der Schlangengott sagte auch, daß uns schwere Prüfungen bevorstehen, die wir zu seiner Zufriedenheit lösen müßten, bevor …“

„Bevor … bevor was, Araua?“ fragte Karl von Hutten und warf gleichzeitig einen scheuen Blick zum Eingang des Schlangentempels hinüber.

Doch Araua schüttelte den Kopf. Sie berührte ihn leicht mit den Fingerspitzen ihrer rechten Hand und begann dann den beschwerlichen Aufstieg zur Beobachtungsplattform auf dem Felsendom. Trotz der heftigen Böen, die immer noch durch die Schlangenbucht pfiffen.

Stunden später tauchte der „Rote Drache“ von Siri-Tong an der Kimm auf und nahm sofort Kurs auf die Schlangeninsel. Dann warf die Rote Korsarin Anker, denn sie mußte auf das Einsetzen des Mahlstroms warten, bevor sie durch den Felsendom in die Schlangenbucht einsegeln konnte.

Araua aber wartete nicht solange Sie ließ sich von ihren Schlangenkriegerinnen mit einem der noch intakten Boote zum Viermaster Siri-Tongs hinauspaddeln.

Auch „Roter Drache“ wies einige Schäden auf, auch der große Viermaster war noch in die Ausläufer des Unwetters geraten.

Nur wenig später befand sich auch die Rote Korsarin auf der Schlangeninsel, denn Araua hatte nicht lockergelassen. Der Schlangengott hatte ihr aufgetragen, Siri-Tong sofort nach ihrer Ankunft zu ihm zu bringen, und die Rote Korsarin widersetzte sich dem nicht. Ihren Viermaster würde der Boston-Mann durch den Felsendom segeln. Der Wikinger hatte ihn Siri-Tong mitgegeben, weil er mit dem alten Ramsgate die Überholung des Schwarzen Seglers vorbereiten sollte, nachdem alle notwendigen Materialien nunmehr vorhanden waren.

Karl von Hutten empfing die beiden in der Schlangenbucht. Er trat auf die Rote Korsarin zu.

„Wieso bist du allein zurückgesegelt, Siri-Tong“, fragte er. „War es nicht ausgemacht, daß ihr alle im Konvoi zurückkehren würdet?“

Die Rote Korsarin nickte.

„Das schon, aber Diego hatte einige Schwierigkeiten, alles das, was wir benötigen, rasch genug zu besorgen. Deshalb sind der Wikinger, Jean Ribault und Jerry Reves mit ihren Schiffen noch im Hafen von Tortuga geblieben. Sie werden zurückkehren, sobald Diego alles das aufgetrieben hat, was wir hier brauchen. Tauwerk, Segeltuch und andere Dinge habe ich an Bord von ‚Roter Drache‘. Der Boston-Mann hat Anweisung, das Schiff bis zur Werft von Ramsgate zu verholen und dort zu löschen.“

Die Rote Korsarin schwieg, während Araua bereits ungeduldig die Hand Siri-Tongs nahm, um sie zum Eingang des Schlangentempels hinüberzuziehen. Araua wußte nur zu gut, wie schnell man sich den Zorn des Schlangengottes zuziehen konnte, wenn man seine Anweisungen nicht so befolgte, wie er das wollte.

Siri-Tong griff jedoch nach Arauas Hand und hielt sie fest.

„Araua hat mir berichtet, was inzwischen geschehen ist und was ihr der Schlangengott für einen Auftrag erteilt hat, Araua und mir. Ich werde mit ‚Roter Drache‘ segeln, sobald das Schiff entladen ist. Aber da ist noch etwas, was du und was alle hier auf der, Schlangeninsel wissen sollten: Auf Tortuga hat sich eine Piratin eingenistet. Sie scheint schon seit einiger Zeit ihr Unwesen in der Karibik zu treiben, und man nennt sie die ‚Black Queen‘. Sie ist eine Schwarze, und sie scheint verdammt gefährlich zu sein, wenn das stimmt, was wir bei Diego gehört haben. Zu Gesicht bekommen haben wir sie nicht, aber sie beansprucht die Herrschaft über Tortuga.“

Ein hartes Lächeln kerbte die Züge der Roten Korsarin.

„Du kannst dir vielleicht vorstellen, wie Thorfin darauf reagiert hat. Ich denke, wir werden mit dieser ‚Black Queen‘ noch einen harten Strauß auszufechten haben, sobald sie sich auf Tortuga wieder blicken läßt.“

Wieder schwieg Siri-Tong, während Araua an ihrer Seite immer ungeduldiger wurde. Aber das störte die Rote Korsarin im Moment überhaupt nicht.

„Was mich beunruhigt, ist, Karl, daß diese ‚Black Queen‘ irgendwo noch einen geheimen Stützpunkt haben soll und daß sie versucht, alle anderen Schnapphähne der Karibik, sofern sie Farbige sind, unter ihr Kommando zu bringen. Weiße scheint sie nicht bei sich zu dulden. Das ist auch der Grund, warum ich schon früher zurückgesegelt bin. Ich wollte die Schlangeninsel nicht so lange alleine und ohne Schutz auch zur See wissen. Aber jetzt ist wieder alles anders geworden. Es wird gut sein, Karl, wenn sich sofort eine Schaluppe auf den Weg nach Tortuga begibt, um Thorfin und Jean zu informieren. Ich habe so eine dunkle Ahnung, als ob ihre Anwesenheit hier schon sehr bald dringend notwendig sein wird.“

Siri-Tong ahnte in diesem Moment gar nicht, wie recht sie mit dieser Voraussage behalten sollte.

Karl von Huttens Gesicht hatte sich verdüstert.

„Ich wollte mit dir segeln, mit dir und Araua, Siri-Tong. Aber daraus wird jetzt nichts. Ich selbst werde mit einer Schaluppe nach Tortuga hinübersegeln, denn ich glaube, daß du recht hast. Außerdem hat mich das, was ich von Araua erfahren habe, auch nicht ruhiger werden lassen. Über unserer Schlangeninsel braut sich etwas zusammen, das spüre ich. Ich werde sofort die notwendigen Vorbereitungen treffen. Aber wer kümmert sich um die Schlangeninsel, solange auch ich noch fort bin?“

Siri-Tong sah Araua an.

„Ich werde den Boston-Mann auf unserer Insel zurücklassen. Araua wird mit Tomota, dem Häuptling der Schlangenkrieger sprechen. Außerdem ist auch noch Arne von Manteuffel da mit seinem Kapitän O’Brien und der alte Ramsgate mit seinen Männern. Das reicht, um die Insel gegen jeden Angreifer eine Weile zu verteidigen. Der Boston-Mann kennt alle Befestigungen dieser Insel so gut wie ich, außerdem kommt er mit allen Araukanern sehr gut aus.“

Sie wandte sich ab.

„Araua hat recht – wir sollten den Schlangengott jetzt nicht mehr länger warten lassen. Wir sehen uns nachher noch.“

Araua und die Rote Korsarin gingen über das Plateau des Ratsfelsens in Richtung Schlangentempel davon. Dann verschwanden sie in dem dunkel gähnenden Eingang, der von Araua nicht wieder verschlossen worden war. Die Rote Korsarin war gespannt darauf, was der Schlangengott ihr zu sagen haben würde. Denn es war das erstemal, daß er sich mit ihr direkt in Verbindung setzte.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 342

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