Читать книгу JOHN ETTER - Verschollen in den Höllgrotten - John Etter - Страница 4
ОглавлениеKapitel 3: Höllgrottengetränk
Am nächsten Morgen war John Etter blendender Laune. Der Abend war wunderbar gelaufen. Er hatte Alina, wie er sie nun nennen durfte, in ihrer Villa abgeholt. Sie hatte ihn ihrem Vater vorgestellt. Er war um die siebzig, aber gut aussehend und imposant. Seiner Ausstrahlung tat es keinen Abbruch, dass er im Rollstuhl saß.
Die Villa war im selben Stil gehalten, wie das Büro: modern, imposant und stilsicher. Nach der kurzen Vorstellungsrunde verließen die beiden den älteren Herrn in Richtung The Blinker, ein Restaurant im Industriegebiet einer Nachbargemeinde. John kannte das Restaurant gut, lud er häufig Kunden hierhin ein. Von außen war es unscheinbar oberhalb einiger Verkaufsräume einer Automarke in der Nähe einer Kreuzung. Daher kam der Name The Blinker. Der Blinker nannte sich selbst das flexible Lokal für Gäste, Business und Feste. John war der Standort genehm, denn es gab immer genügend Parkplätze und die Küchenchefin legte sich immer voll ins Zeug. Wenn er sich mit Kunden hier aufhielt, die das Restaurant nicht kannten, konnte er immer sicher sein, dass sie begeistert waren.
Hubert Erni, der den Laden mit gutem Gespür für die Gäste managte, kannte John nun auch schon einige Jahre und war überrascht, ihn in Begleitung einer Frau zu begrüßen. In Damenbegleitung war er schon des Öfteren hier, aber immer nur am Mittag und so wie es schien, immer zu Geschäftszwecken. Diese Dame kannte er auch, war sie eine der zukünftigen Erben der Schmid-Unternehmungen und ab und zu schon Gast in seinem Haus.
Zur Vorspeise bestellte sich Alina eine Spargelcremesuppe mit Crabmeat Wonton und Zitronenquark. John entschied sich für einen kleinen Caesars Salad. Zur Hauptspeise ließ sich John mit einem Black Angus Rindsfilet vom Grill mit Pommes Dauphine und Alina mit einem Gunzwiler Bierschweinkotelett mit Safranrisotto und Spargeln verwöhnen. Bei der Weinbestellung fiel die Wahl noch etwas schwerer. John liebte die österreichischen Cuvées und Alina liebte die Spanier.
Diesmal entscheide ich und das nächste Mal entscheidest du, hatte sie zu ihm gesagt und so fiel die Wahl auf den Aalto 2014, den John auch liebte.
Sie genossen das Essen und den Wein und sie hatten sich blendend unterhalten. Sie war charmant und witzig und er hatte ihr etwas über den Dieb Stephan Meier erzählt, aber auch von sich und seiner üblichen Arbeit. Sie hatte wenig über sich geredet und sie hatten ihre gemeinsame Vorliebe für Popmusik und Italien entdeckt. Dann erfuhr er noch einige Firmendetails und dass ihr Bruder der eigentlich wichtige Mann im Unternehmen war. Er kaufte interessante Firmen weltweit auf und das Imperium wuchs dank ihm und seinen vielen Ideen immer weiter. Das Firmenkonglomerat bestand im Moment aus rund siebzig Firmen, die allesamt über den ganzen Globus verteilt und erfolgreich waren.
Vor einer Woche sei ihr Bruder in Zug gewesen und habe mit ihrem Vater noch einen neuen Deal abgeschlossen. Sie hatten jetzt auch einen Getränkegroßhändler in Indien aufgekauft und mit diesem noch Großes vor. In den drei Tagen, an denen ihr Bruder da gewesen sei, habe sie ihn nur ein Nachtessen lang gesehen, aber das sei völlig normal gewesen. Am Schluss des Abends hatte Alina John eingeräumt, dass sie vielleicht nochmals mit ihm essen gehen würde. Nur schon der Weinwechselbestellung wegen, wie sie augenzwinkernd meinte.
John Etter sass in seinem Stuhl und träumte vor sich hin. Doch wurde er schnell wieder von der Aktualität ernüchtert. Bruno Bär hatte ihm in der Hoffnung, dass John Etter ihm ein paar weitere Tipps hätte, per Mail Details zum Fall Meier durchgegeben. Alle Untersuchungen der Polizei waren scheinbar fruchtlos geblieben. Dieser Stephan Meier war aus dem Nichts aufgetaucht und dieses Nichts war absolut nicht zu durchdringen. Dann wurde auch ein Anwalt eingeschaltet, der sich als Thomas Gerber vorstellte und verlangte Stephan Meier zu sehen, da er ihn vertrat. Bär sei fast vom Stuhl gefallen. Thomas Gerber war einer der angesehensten Anwälte der Stadt. Warum sollte er einen vermutlich mittellosen Dieb wie Stephan Meier vertreten? Und nach Bärs Wissen hatte Meier nicht telefoniert. Er hätte ihm heute einen Pflichtverteidiger finden müssen.
John Etter rief Bär an. Bär und Etter waren beide Wenigschläfer und es war normal, schon morgens um sechs zu telefonieren. Bär erzählte ihm das Neueste. Es mache keinen Sinn, dass ein solcher Brocken von Anwalt einen unbekannten Einbrecher verteidigen würde.
„Du wirst das schon machen, schließlich habe ich ihn auf frischer Tat ertappt und ihr werdet wohl auch noch herausbekommen, wer der Auftraggeber war. Wem das Zimmer gehört, wisst ihr ja in der Zwischenzeit auch. Da habe ich euren Job ja wieder einmal gut gemacht – gell?“ Das musste einfach sein. John Etters Ego tat das gut.
Und Bruno Bär unterstrich die Worte sogar: „Ja, einen wie dich vermisse ich im Team. Aber immerhin habe ich im Verlauf der Nacht ein schriftliches Geständnis für seinen einfachen Einbruch erhalten. Aber keinen Hinweis auf den Auftraggeber. Wie bist du überhaupt an diesen Fall gekommen?“, fragte Bär nach.
„Der englische Industrielle, der mir den Überwachungsauftrag gab, fühlte sich verfolgt. Nachdem er mit mir Kontakt aufgenommen hatte, konnten wir feststellen, dass er scheinbar überwacht wurde. Er erzählte mir, dass er geheime Dokumente mit dabei hätte über den Verkauf einer seiner Firmen und das Geschäft wäre bereits über die Bühne gegangen. Er hätte viel Bargeld zusätzlich zu der bezahlten Summe als Handgeld erhalten und hätte diese mit dabei. Der einzige Moment, in der das Geld und die Dokumente unbeaufsichtigt waren, wären während der Gala. Da wäre alles im Safe im Hotel. Ja und aus dieser Tatsache haben wir die Falle aufgestellt. Eigentlich nur so auf gut Glück – aber wir haben ihn alles sehr auffällig machen lassen. Die Frage nach dem Tresor, nach Versicherungsbedingungen bei einem allfälligen Diebstahl. Er hatte das alles im Beisein von vielen Gästen im Foyer des Hotels ziemlich laut mit der Rezeptionistin von sich gegeben. Ein allfälliger Dieb hätte es sicher mitbekommen.“
„Danke, wir checken mal die Überwachungsbilder dieser Situation im Foyer. Hast mal wieder einen weitern Stein im Brett bei mir“.
„Was weißt du über den Whiskyfall bei Etter?“, fragte John Etter unvermittelt nach.
„Noch nicht viel, aber warum weißt du schon wieder davon?“
„Ein möglicher Auftrag. Bin um sieben Uhr beim Geschäftsführer.“
„Scheint ziemlich vertrackt. Unsere Spurensicherung ist im Moment gerade in den Höllgrotten. Mehr kann ich leider noch nicht dazu sagen.“ Fast entschuldigend verabschiedete sich nun Bär von John.
John Etter betrat das Namensvetter-Gebäude wenig später und fühlte sich gut dabei, ein Haus zu betreten, das gleich hieß wie er, auch wenn er mit dieser Familie keine verwandtschaftlichen Bezüge hatte. Ihm gefiel der Name natürlich und die Tatsache, dass er dabei helfen konnte, die Erpressung aufzuklären. Wie meist war er alleine unterwegs. Er könne alleine besser denken, sagte er zu den allfälligen Fragestellern. Und solche Fälle löste er am liebsten allein. Leute aus seinem Team brauchte er nur, wenn die Situationen etwas gröber zu werden drohten. Das war schon zu seinen Polizeizeiten so. Dass er heute mit Susanne Gehrig zusammen ein Kleinstbetrieb war, musste er niemandem auf die Nase binden. Da waren ja noch sein Dutzend freie Mitarbeiter, die seine Homepage ebenfalls zierten. Aus Diskretionsgründen natürlich nur als reine Zahl mit Aliasnamen.
Schlussendlich zählte nur der Erfolg und die richtige PR dazu. Seine unorthodoxen Methoden und eine unglaublich hohe Aufklärungsrate unterstrichen dies. Dieselben Methoden hatten ihn damals auch bewogen, eher auf sanften Druck als freiwillig, den Polizeidienst zu quittieren. Und die Tatsache, dass er sich um die kranken Eltern kümmern wollte. Manchmal war das Schicksal eine gute Sache, wenn man in den sauren Apfel biss. Für ihn war es das Beste, was ihm geschehen konnte. Er konnte sich bis zum Schluss um seine kranken Eltern kümmern und gleichzeitig seine Firma aufbauen.
Um fünf vor sieben Uhr bog er auf den Vorplatz der Firma Etter ein. Er stieg die wenigen Stufen zum Haupteingang hoch, als ihm Gabriel Galliker bereits entgegenkam und sie begrüßten sich. Galliker ging nach links in den Besprechungsraum. An der Wand fielen John drei große Portraits auf, die wohl Bilder der Vorfahren der Etters waren.
„Was haben die Höllgrotten mit der Erpressung und dem Whisky genau zu tun?“, fragte er noch stehend Gabriel Galliker und legte ihm den Detekteivertrag vor.
„Weil der Whisky dort gelagert wird und gestern an einem Punkt, von wo aus man die Fässer sehen kann, ein Brief in einem Plastikmäppchen angebracht war.“
Galliker holte eine Kopie des Erpresserbriefes hervor. Das Original war bei der Polizei zur Spurensicherung. „Ein Kuvert mit dem Hinweis auf das Mäppchen am Whiskyfass war beim Hinweisschild angebracht. Der Grottenwärter hat diesen am Morgen entdeckt und uns sofort kontaktiert.“
„Wir werden am besten gemeinsam dorthin gehen und vorhandene Spuren ansehen. Die Höllgrotten werden zur Zeit von Beamten der Spurensicherung untersucht. Aber vielleicht dürfen wir trotzdem rein.“ Gabriel Galliker war ein selbstsicherer Mann, der wusste, von was er sprach. Ein Mann, wie er John Etter gefiel. Geradeaus auf den Punkt. Einer, der sowohl den Vertrag gleichzeitig überfliegen konnte und seine Fragen beantwortete. Gabriel Galliker unterschrieb den Vertrag, behielt seine Kopie und gab das Original zurück.
John Etter unterbrach Galliker. „Darf ich schnell meinem Büro ein paar Aufträge in diesem Fall durchgeben?“ Ohne die Antwort abzuwarten, zupfte er das Handy hervor. „Hallo Susanne. Recherchieren Sie über Erpressungen in letzter Zeit im Bereich Lebensmittel in der Schweiz. Dann noch über die Besitzverhältnisse der Höllgrotten. Allfällige Ungereimtheiten et cetera und pipapo. Verstanden?“
Er steckte das Handy wieder ein. Das per Sie sein war seine Art, seinen Kunden am Telefon zu zeigen, wie respektvoll er mit seinen Mitarbeitern umging. Susanne lachte immer, wenn er ihr Sie sagte. Ab und zu fragte sie ihn, wenn er wieder im Büro war, ob sie wieder Brüderschaft mit ihm trinken müsse, damit sie ihm wieder du sagen durfte.
„Über den Besitzer der Höllgrotten kann ich noch einiges sagen, da wir ja eine geschäftliche Beziehung haben.“
John Etter setzte sich erst jetzt hin und hörte Galliker zu, was er zu berichten hatte.
Nachdem Galliker ihm über die Besitzverhältnisse und die Menschen, die dort arbeiten berichtet hatte, konnte er die Menschen von den Toppositionen der Verdächtigen streichen. Dies hieß jedoch bei John nie, dass sie nicht doch in Frage kommen würden. Er würde sich sein eigenes Bild machen.
„Gut, für mich reichen diese Angaben fürs Erste und wenn wir jetzt gemeinsam noch schnell die Höllgrotten aufsuchen können und vielleicht auch noch in Erfahrung bringen können, was die Polizei bereits herausgefunden hat, dann kann ich mit meiner Arbeit beginnen.“
„Die Polizei gibt Ihnen diese Angaben heraus?“, fragte Galliker erstaunt nach.
„Ja, wissen Sie, mal mach ich was für die und mal machen die was für mich. Das passt schon. Ich war selbst lange genug bei diesem Verein. Und das meine ich nicht abschätzig! Haben Sie etwas über ein verschwundenes Liebespaar gehört, die auch in der Umgebung der Höllgrotten verschwunden sind?“
„Nein, leider nicht. Erst kürzlich?“
„Ja, ist erst gerade aufgenommen worden.“
„Eine Frage noch, Herr Etter. Kommen solche Erpressungen häufig vor?“
John lehnte sich nochmals in seinem Stuhl zurück und holte etwas aus.
„Jein. Die meisten Erpressungsversuche kommen nicht an die Öffentlichkeit, weil sich Erpresser und Unternehmen einigen können und viele werden von der Polizei oder Detekteien wie meiner gelöst. Es ist schon seit den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts immer wieder zu aufsehenerregenden Fällen gekommen. Sobald Verbrecher, anders kann ich sie nicht nennen, ankündigen, Lebensmittel, Spirituosen oder Zigaretten zu vergiften, Sprengsätze in Elektrogeräten zu platzieren, Kosmetika mit Pflanzenschutzmitteln zu versetzen, Glassplitter unter Babynahrung zu rühren oder komplette Produktlinien zu sabotieren, herrscht in Unternehmen Alarmstufe. Vielleicht erinnern Sie sich an den Thomy-Erpresser, der 1998 vergiftete Nestlé-Produkte in Supermärkten verteilte, auf einem Kinderspielplatz deponierte und per Post verschickte. Das, kostete das Unternehmen durch die Beseitigung und den Austausch von 30.000 Produkten knapp 20 Millionen Euro. Die Lösegeldforderung lag bei 13 Millionen Euro. Vor allem der Schaden, der aus einem Imageverlust resultiert, ist nicht so einfach mess- und kalkulierbar. Die Rückgewinnung des Vertrauens der Verbraucher erfordert Geduld und zielgerichtete Maßnahmen, die viel Geld kosten. Problem ist auch das mögliche Auftreten von Trittbrettfahrern, die animiert durch die Meldungen in den Medien, ebenfalls Erpressungsversuche starten.
Viele solcher Erpressungen gelangen nicht in die Presse. Egal, ob bezahlt wurde oder nicht. Man will Trittbrettfahrer soweit wie möglich vermeiden. Bei Erpressungen in der Lebensmittelbranche ist in erster Linie Sensibilität gefragt, damit bei den Verbrauchern keine Panik ausbricht. Zudem muss die Krisensituation möglichst schnell und nachhaltig gemeistert werden. Selbst bei vielen Trittbrettfahrern sollte grundsätzlich jede Erpressung ernst genommen werden, um unnötige Risiken zu vermeiden. Ein gut funktionierendes Risikomanagement ist daher unabdingbar. Dazu gehören die Erstellung eines Krisenplans und die Etablierung eines speziell ausgebildeten und trainierten Krisenstabs.
Sie können darauf zählen, dass sowohl die Kantonspolizei mit ihren Leuten wie auch ich solche Fälle kennen. Wesentlicher Bestandteil eines präventiven Risikomanagements ist die Situations- und Risikoanalyse. Fragen wie „Welche Produkte sind aufgrund ihrer Umsatzstärke und Bekanntheit besonders gefährdet?“, „Sind wir von einem/wenigen Produkten abhängig oder stark diversifiziert?“, „Wie angreifbar sind wir von innen und außen?“, „Wie einfach ist eine Manipulation der Produkte oder wird diese durch eine Versiegelung wirksam verhindert?“, brauchen klare Antworten. Gerade bei Letztgenanntem ist die Optimierung der Produktsicherheit wichtig. Maßnahmen wie Siegel, Folierung oder Vakuumverschlüsse haben die Sicherheit für die Verbraucher und für die Unternehmen nachhaltig erhöht.
In Ihrem Fall, Herr Galliker, scheint es einfach zu sein, eine verschmutzte Flasche zu erkennen, muss das Mittel, welches verwendet würde, irgendwie in eine originalverschlossene Flasche gebracht werden.“
„Nun, das beruhigt mich nur zu einem Teil. Meinen Sie, dass es sich hier um Profis handelt?“, fragte Gabriel Galliker nach.
„Das ist im Moment noch schwer zu sagen. Die Spezialisten der Polizei haben bisher ja nur den Brief. Die Wortwahl scheint nicht viel herzugeben und es scheint sich auch um einen Nullachtfünfzehn-Drucker zu handeln, mit dem er gedruckt wurde. Vielleicht haben wir Glück und sie finden DNA auf dem Papier oder dem Kuvert. Und mit noch etwas mehr Glück ist dieses Profil schon einmal auffällig geworden. Aber bei diesen Aussagen ist viel vielleicht mit dabei.“
„Haben Sie selbst schon einmal an einem Fall mitgearbeitet?“, fragte Galliker nach.
„Ja, das kam schon vor. Aber wir konnten sowohl den Fall frühzeitig lösen wie auch die Öffentlichkeit außen vor lassen.“
„Gibt es Beispiele dafür, dass es für die Unternehmen im Ernstfall sehr schmerzhaft werden kann?“ Galliker schien besorgt um den tadellosen Ruf der Firma, was John sehr gut nachvollziehen konnte.“
„Nun ja, es gab zu meinen Polizeizeiten einen deutschen Erdnussbutter-Hersteller. Der wurde damit erpresst, dass gezielt Lieferungen mit Salmonellen kontaminiert werden. Im Falle einer Lösegeldzahlung in Höhe von fünf Millionen Euro würde die Drohung nicht wahr gemacht werden. Das Unternehmen ignorierte die Ankündigung und führte die Produktion unverändert fort. Wochen später erkrankten in mehreren Ländern nach dem Verzehr der Erdnussbutter rund 600 Menschen. Auch in der Schweiz. Wir konnten den Täter stellen. Die spezielle Versicherung übernahm die angefallenen Kosten und kam für den entstandenen finanziellen Schaden auf. In einem anderen Fall wurde der Geschäftsführer eines Fleischverarbeiters aufgrund seiner Tierhaltungsbedingungen per E-Mail bedroht. Er sollte nachbessern oder die Produktion umgehend einstellen, sonst würden seine Fleischprodukte manipuliert. Der Täter hat seine Drohungen nicht wahr gemacht, sodass es zu keinen weiteren Vorkommnissen kommen konnte. Sie sehen, Herr Galliker, wir kennen solche Fälle und ich kann Ihnen versichern, die Zusammenarbeit mit der Polizei war auf alle Fälle eine richtige Entscheidung.“
Gabriel Galliker schien etwas beruhigt und hoffte, dass sich der Fall in Luft auflösen würde wie beim Fleischverarbeiter.
Sie standen auf und gingen hinaus. Gabriel Galliker meldete sich ab und sie machten sich gemeinsam in seinem Wagen auf zu den Höllgrotten in Baar.
Unterwegs holte John Etter wieder sein Handy hervor.
„Hallo Erika. Kannst du mir die Unterlagen des verschwundenen Paars mailen? Ich sehe da einen möglichen Zusammenhang mit einem meiner Fälle.“ Er pokerte hoch, wusste er gar nicht, ob es überhaupt einen Fall gab und ob die beiden nicht schon zum Vorschein gekommen waren.
„Ich frage dich nicht, woher du das schon wieder weißt …“, antwortete die Dame auf der anderen Seite. Kommissarin Erika Rogenmoser, die diesen Fall mit ihrem Team bearbeitete, war aber nicht wirklich erstaunt darüber.
„Wo bist du, es tönt, als wärst du draußen im Gelände irgendwo …“, mutmaßte John Etter weiter.
„Ja, fahre jetzt zu den Höllgrotten und befrage die Angestellten des Restaurants und die beim Eingang. Wo bist du?“
„Gleich auch dort. Wir sehen uns..“, dann wurde die Leitung unterbrochen.
John sah ungläubig aufs Handy, was Gabriel Galliker bemerkte. „Kein Empfang hier hinten.“
„OK, das passt“, antwortete John, verstaute das Handy und schon bald fuhren sie bei den Höllgrotten auf den Parkplatz.
Gemeinsam gingen sie zum kleinen Kiosk beim Eingang und schon kurze Zeit später gesellte sich Erika Rogenmoser dazu. Sie begrüßten sich wie sehr gute Freunde, was sie früher auch einmal waren. Sehr gute Freunde. Wenigstens für eine Nacht.
„Das ist doch wohl kaum ein Zufall, dass gleichzeitig ein Paar bei den Höllgrotten verschwindet und in den Höllgrotten ein Erpresserschreiben hinterlegt wird?“, begann Etter.
„Könnte einen Zusammenhang haben“, pflichtete ihm die ebenfalls in Zivil gekleidete Kommissarin bei. „Ich habe dir hier die Akten ausgedruckt. Die beiden wurden gestern als vermisst gemeldet, aber wir hatten bisher noch keinen Anhaltspunkt auf ein Verbrechen. Es handelt sich um ein junges Liebespaar und wir gehen davon aus, dass sie, wie oft, innert ein paar wenigen Tagen auftauchen – aus dem Liebesurlaub sozusagen.“
„Hoffen wir’s“, antwortete John Etter knapp und blätterte durch die Akten. Das junge Liebespaar war erst seit zwei Wochen zusammen und ihm erschien die Aussage seiner Ex-Kollegin durchaus akzeptabel, wenn auch das Zusammentreffen von zwei Ereignissen am selben Ort ihn stutzig machten.
„Wer hat die beiden als vermisst gemeldet?“, fragte John nach.
„Der Nachbar des Mannes, der die beiden zum Essen erwartet hatte und dem aufgefallen war, dass sie sich nicht meldeten. Er hat sie auf dem Handy auch nicht erreicht. Wir haben den Fall aber noch nicht priorisiert. Kann auch einfach ein Liebesfall sein. Du weißt.“ Sie schaute ihn vielsagend an und John nickte.
„Falls wir heute noch nichts hören, werden wir morgen die Ermittlungen aufnehmen. Die Frau wohnt im Kanton Zürich. Dann wird es ein echter Fall. Der orange Wagen steht vorne auf dem großen Parkplatz.“ John nickte nochmals. Dann deutete er auf Gabriel Galliker und fragte Erika: „Dürfen wir schon rein? Herr Galliker möchte mir zeigen, was es mit den Whiskyfässern in den Höllgrotten auf sich hat?“
„Nein, erst am späteren Nachmittag. Wir sind noch mit der Spurensuche dran. Es gab noch einen zweiten Brief auf einem der Fässer, die ganz hinten gelagert waren. Die wollten sichergehen und das machen wir auch. Der Inhalt war lediglich die Kopie des ersten Briefes. Nachdem uns Herr Galliker informiert hatte, wurden die Höllgrotten sofort durch eine Streife geschlossen und niemand hatte mehr Zutritt.“
„Dann sucht mal weiter, ich melde mich, wenn mir in meinen Ermittlungen etwas auffällt.“ Ohne sich zu verabschieden, drehte er ab und lief in Richtung Parkplatz um den verlassenen orangen Wagen des Paares in Augenschein zu nehmen.
„Unhöflicher Holzkopf, wie konnte ich nur …“, hörte er Erika Rogenmoser noch sagen und ging verschmitzt lächelnd weiter. Sein Ruf war in seinen Augen mal wieder gerettet. Für beide war es ein Ausrutscher der besonderen Art gewesen. Abwechslungsweise verdrängten sie jene Nacht und zeigten gegen Außen keine Gefühle. Weder Gute noch Schlechte.
Ein unauffälliger gelber Fiat Panda älteren Modells stand auf dem größeren Parkplatz. Verschlossen. Keine Anhaltspunkte, was geschehen sein könnte. John machte ein paar Handyfotos, damit er keine Notizen machen musste. Im Innenraum war auch nichts, was John weiter bringen würde.
Die zwei Verliebten konnten sich überall aufhalten. Irgendwo im Wald, wild zeltend. Oder sie waren wandern gegangen und hatten sich irgendwo verschanzt. Der Tag war noch jung und die Chancen, dass sie wieder unversehrt auftauchten, groß. Die Liebe brachte viele Menschen dazu, Dinge zu tun, die sie sonst nie taten. Die meisten Vermisstenmeldungen, die Jungverliebte betrafen, lösten sich üblicherweise innert weniger Tage von selbst.
Wenig später fuhren Galliker und Etter die idyllisch schmale Straße zurück nach Baar, als ihnen ein Krankenwagen entgegen fuhr. „Was hat das jetzt wieder zu bedeuten? Schienen alle mehr oder weniger gesund, die dort herumstanden. Naja, wir werden es erfahren. Ich erreiche Andrea jetzt ja eh nicht im Funkloch.“
Als sie bei der Distillerie Etter angekommen waren, verabschiedet sich John Etter von seinem neuen Auftraggeber. „Treffen wir uns heute um siebzehn Uhr bei den Höllgrotten? Bis dahin sollte die Polizei wohl ihre Arbeit erledigt haben.“
„Ich werde dort sein“, antwortete Galliker und sie verabschiedeten sich.
Im Büro setzte sich John Etter an den Computer und wandte sich kurz dem Fall Meier zu. Lange würden sie ihn nicht mehr eingesperrt lassen, dafür würde sein Anwalt schon sorgen und der Einbruch würde wohl nur als Einbruchsversuch gelten und die Strafe äußerst gering ausfallen. John Etter lehnte sich in seinem Sessel zurück. „Irgendetwas ist faul an der Sache“. Er würde ein Auge auf den Meier haben – auch in Zukunft.
Er machte sich über den Monatsabschluss her, den ihm seine Perle auf den Tisch gelegt hatte. Wie immer in den letzten Monaten, entwickelte sich sein Geschäft prächtig. Verbrechen lohnt sich – wenigstens für ihn und seine kleine Firma.
Dann wand er sich wieder dem Fall Etter zu. Er holte sich alles aus dem Internet, was hilfreich sein konnte. Er notierte sich Namen und weitere Anhaltspunkte. Nach einem von Susanne zubereiteten, guten Kaffee, ging er nach Hause, um sich frisch zu machen.
Da es noch viel zu früh war, um zu den Höllgrotten zurückzukehren, konnte er sich noch einen Abstecher zu seiner neuen Bekannten erlauben.