Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 236 - John Roscoe Craig - Страница 5

2.

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„Halte etwas tiefer, Ferris“, sagte Hasard, während er durch das Spektiv zur Galeere hinüberstarrte. Er konnte deutlich im Menschengewoge den Mann mit dem roten Turban erkennen, der wie ein Berserker kämpfte und gegen Pfeile und Degenstiche immun zu sein schien.

Ferris Tucker schrie einen Befehl zum Vordeck hinüber, wo Batuti und Smoky das Geschütz, mit dem sie den Masttopp der Galeere getroffen hatten, schon wieder nachluden. Wenig später krachte die Culverine erneut, und der Seewolf sah durch das Spektiv, daß die Kugel den Rumpf der Galeere nur knapp verfehlte und einen Schwall Wasser über die kämpfenden Männer schüttete.

„Sie geben auf“, sagte Ben Brighton neben dem Seewolf. „Sie wissen, daß wir sie jederzeit auf den Meeresgrund bohren können, wenn wir wollen.“

Hasard nickte. Er fühlte sich nicht besonders wohl in seiner Haut. Keiner seiner Männer hatte etwas gesagt, als er befohlen hatte, Kurs auf die von drei kleinen Schiffen bedrängte Galeere zu nehmen, aber er hatte an Bens Blicken gesehen, daß dieser mit der Entscheidung nicht einverstanden gewesen war.

Wahrscheinlich hatte Ben sogar recht. Was ging sie die Galeere oder die anderen Schiffe an? Sollten sich die Männer darauf doch gegenseitig die Schädel einschlagen. Sie, die Männer von der „Isabella“, konnten es sich nicht leisten, in diesen spanischen Gewässern zuviel Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.

Aber es war wie immer gewesen. Hasard wußte, daß er dieses eigenartige Gefühl in sich nie würde unterdrücken können. Er war sich nicht einmal selbst bewußt, was dieses Gefühl war – Neugierde, Kampfeslust, der Wunsch, einem in Bedrängnis geratenen Menschen zu helfen. Wahrscheinlich spielten diese Dinge alle zusammen.

Als er erkannt hatte, daß die wie Mauren gekleideten Angreifer den Kampf um die Galeere verlieren würden, hatte er Ferris Tucker befohlen, einen Warnschuß abzufeuern. Dadurch, daß sich die Galeere in die Schebecke verkeilt hatte, war sie manövrierunfähig geworden und konnte so das Buggeschütz, das als einziges die „Isabella“ hätte gefährden können, nicht in Einsatz bringen, da es fest montiert war.

Erst nach dem zweiten Schuß waren die Kämpfe auf der Galeere eingestellt worden. Der Seewolf sah, wie die bunt gekleideten Angreifer, die den Kampf überlebt hatten, fluchtartig die Galeere verließen und auf die am Heck liegende Tartane sprangen. Der Mann mit dem Turban hechtete mit einem gewaltigen Satz ins Wasser.

„So – und jetzt?“ fragte Ben Brighton.

Der Seewolf hörte den vorwurfsvollen Unterton in der Stimme seines Ersten Offiziers, und er ärgerte sich, wahrscheinlich aber mehr über sich selbst als über Ben.

„Na, immerhin könnten auf der Galeere eine Menge Sklaven angekettet sein, die sich freuen würden, wenn sie mal wieder das tun könnten, was sie wollten“, sagte hinter ihnen die dunkle Stimme Carberrys.

Hasard wandte den Kopf und begann zu grinsen.

„Du sagst es, Ed“, erwiderte er. „Es ist unsere Christenpflicht, den armen Teufeln zu helfen.“

Ben Brighton spürte, daß die Worte gegen ihn gingen.

„Wer weiß denn, ob es arme Sklaven sind, verdammt“, sagte er wütend. „Vielleicht ist es eine Galeere mit Sträflingen. Mit Mördern, Frauenschändern, Totschlägern und Diebsgesindel. Na los, fahrt rüber und schließt ihnen die Ketten auf. Glaubt aber nicht, daß ich auch nur mit der Wimper zucke, wenn sie euch gleich darauf mit ihren Ketten erschlagen.“

„Das nenn ich Freundschaft!“ erwiderte Carberry mit dröhnender Stimme. „Hast du das gehört, Sir? Er hat nicht mal ein nettes Wort für uns übrig, wenn wir unsere große Reise antreten!“

„Nicht, wenn ihr euch wie Idioten benehmt und Selbstmord begeht!“ gab Ben grimmig zurück.

„Schluß!“ sagte Hasard. „Wir werden keinen Selbstmord begehen, Ben. Ich werde mit Carberry und Dan zur Galeere übersetzen und mit dem spanischen Kommandanten sprechen. Dann werden wir sehen, ob es sich um Sklaven oder Sträflinge handelt.“

Ben Brighton unterdrückte ein Stöhnen. Er wußte, daß es vergeblich sein würde, Hasard davon abzuhalten, zur Galeere überzusetzen, aber er verfluchte den Leichtsinn des Seewolfs, der immer wieder unnötig sein Leben aufs Spiel setzte.

„Sie könnten euch als Geiseln nehmen und gegen uns ausspielen“, sagte er resignierend.

Hasard winkte ab.

„Dann setzt du ihnen eine Kugel genau in den Rumpf. Das wird sie schon wieder zur Besinnung bringen.“

Ben Brighton wandte sich ab. Mit gepreßter Stimme gab er den Befehl, das Boot abzufieren, und teilte vier Männer ein, die Hasard, Carberry und Dan O’Flynn zur Galeere hinüberpullen sollten.

Arwenack spielte verrückt, als Dan über das Schanzkleid kletterte. Er sprang aus den Wanten auf Dans Rücken und kreischte, als ob er geschlachtet werden solle. Es gelang Dan nur mit Mühe, den Schimpansen zu beruhigen. Als Bill ihn entgegennehmen wollte, schnappte Arwenack zu. Die scharfen Zähne fetzten ein Stück Stoff aus Bills Hemdärmel, und fluchend schüttelte er die Faust hinter dem Schimpansen her, der wie der Blitz die Wanten hinaufflitzte und vom Großmars aus weiterschimpfte.

Der Seewolf gab seinen Männern noch Anweisungen, hart zurückzuschlagen, wenn die Spanier irgend etwas versuchen sollten. Dann ging er als letzter ins Boot.

Die See war trotz des frischen Windes, der von Süden blies, verhältnismäßig ruhig. Hasard, der das Ruder des Bootes übernommen hatte, sah, wie sich die spanischen Bogenschützen an Bord der Galeere und die Männer auf der Schebecke gegenseitig belauerten. Aber niemand wagte es, angesichts der Bedrohung durch die englische Galeone die Kampfhandlungen wieder zu eröffnen.

Der Seewolf steuerte das Boot so, daß es sich keinen Augenblick in der Schußlinie zwischen der „Isabella“ und der Galeere befand. Er hielt auf das Heck der Galeere zu. Unter dem roten Baldachin, der die Espale, die hintere Plattform, überspannte, stand der spanische Kommandant mit zusammengepreßten Lippen. Immer wieder glitt der Blick des Spaniers zu der Galeone hinüber. Er wußte wohl, daß ein einziger Fehler von ihm seinen Männern das Leben kosten würde.

Unbehelligt erreichte das Boot das mit Goldornamenten geschmückte Heck der Galeere. Hasards Blick glitt von dem Kommandanten zu dem Mann hinter der kleinen Heckkanone, der das Rohr auf das Boot ausgerichtet hatte.

Aus dieser Entfernung bleibt nicht viel von uns übrig, wenn der Mann schießt, dachte der Seewolf, aber der Kommandant, der die Arme vor der Brust verschränkt hatte, unternahm keine Anstalten, den Befehl zum Feuern zu geben.

Sie pullten neben die Heckstelling, und Hasard schwang sich auf den hinuntergelassenen Niedergang, der zur Espale hinaufführte. Carberry und Dan folgten ihm. Das Boot legte sofort wieder ab. Hasard hatte Befehl gegeben, sich außer Reichweite der Bogenschützen zurückzuziehen und erst auf sein Zeichen zur Galeere zurückzukehren.

Im Gesicht des spanischen Kommandanten zuckte kein Muskel, als Hasard vor ihm Aufstellung nahm und mit einer Ehrenbezeigung grüßte.

Der Spanier schien keinen Wert auf Formalitäten zu legen, obwohl er wie ein Caballero gekleidet war.

„Was wollen Sie von uns?“ stieß er in einem erstaunlich akzentfreien Englisch hervor. An dem rollenden R erkannte Hasard, daß er seine englischen Sprachkenntnisse von einem schottischen Lehrer haben mußte.

Der Seewolf warf einen Blick auf die Ruderbänke. Er sah sofort, daß die Ruderer angekettet waren. Also handelte es sich tatsächlich um Sklaven oder Sträflinge. Ein Großteil der Rüderer sah schlimm aus. Auf der Steuerbordseite lagen einige von ihnen blutüberströmt und bewegungslos über den Bänken.

Der Seewolf wies zu den angeketteten Ruderern hinunter.

„Ich bin Engländer, Señor“, erwiderte er, „und als Engländer gefällt mir der Anblick angeketteter Männer nicht.“

Hasard las den Haß in den Augen des Spaniers und wußte, daß dieser Haß nicht nur daher rührte, daß er mit seiner Galeone die Galeere bedrohte.

„Es interessiert mich nicht, was Sie beim Anblick von Galeerensträflingen empfinden, Engländer“, erwiderte der Kommandant. „Was wollen Sie? Wir haben nichts an Bord, was sich lohnt, zu stehlen.“

Er hatte das Wort „Engländer“ regelrecht ausgespuckt. Hasard ahnte jetzt, woher der Haß dieses Mannes rührte.

Ein Offizier im Rang eines Hauptmanns trat neben den Kommandanten.

„Wir sollten sie an die Backbordwanten binden, Conde“, sagte er auf Spanisch, „dann werden sie sich hüten, auf uns zu schießen.“

„Sie haben Befehl, auf jeden Fall zu schießen, Capitan“, antwortete Hasard statt des Kommandanten. Er sprach ebenfalls Spanisch, damit die Männer wußten, daß er sie verstand. „Ich verlange, daß die Ketten der Sklaven aufgeschlossen werden. Wer von den Männern die Galeere verlassen will, kann es tun. Er kann an Bord der Schebecke gehen.“

Die Augen des Kommandanten sprühten vor Haß.

„Jetzt bist du der Stärkere, Engländer!“ stieß er zischend hervor. „Deine Kanonen beschützen dich. Aber bete zu Gott, daß du mir nie wieder begegnest, denn das wird dein letzter Tag unter der Sonne sein!“

Hasard konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Wo sollte er diesem Mann noch einmal begegnen? Er würde weitersegeln, wenn die Galeerensklaven befreit waren. Mit seiner unterbemannten Galeere brauchte der Mann einige Zeit, um einen Hafen anzulaufen.

Der Kommandant gab ein paar scharfe Befehle. Die Soldaten zogen sich von der Corsia zurück. Die meisten von ihnen drängten sich auf der Vorderplattform. Einige von ihnen hatten noch Pfeile auf den Sehnen ihrer Bögen, mit denen sie die Männer auf der Schebecke bedrohten.

Niemand von den Spaniern rührte sich.

Hasard begann langsam, wütend zu werden.

„Ihr sollt die Sklaven losschließen!“ sagte er scharf.

„Meinen Männern ist es bei Androhung der Todesstrafe untersagt, einen Sträfling loszuschließen“, erwiderte der Kommandant kalt. „Wenn Sie die Sträflinge befreien wollen, müssen Sie es schon selbst tun.“

Hasard wußte, daß ihm keine andere Wahl blieb. Er konnte die Spanier schlecht dazu zwingen. Er gab Carberry und Dan einen Wink, und die beiden Männer sprangen aufs Tabernakel hinunter und von dort aus auf die Corsia bis zu den ersten Bänken.

Hasard hatte die Blicke der Spanier gesehen, mit denen sie Carberry und Dan betrachteten. Carberry schien sie stark zu beeindrucken. Der große, hart-gesichtige Mann mit dem Kreuz eines Kleiderschrankes und Pranken, die die Größe von Blöcken hatten, verströmte die Kraft eines unbesiegbaren Goliaths. Selbst die Männer, die mit Ketten an die Ruderbänke gefesselt waren, blickten mit einer seltsamen Scheu auf ihn, obwohl er sie doch von ihrem elenden Los befreien wollte.

Carberry brauchte nur mit dem Finger zu schnippen, und der fette Mann, der neben dem Tabernakel stand, warf ihm wortlos die Schlüssel zu, mit denen er das Schloß öffnen konnte, das die Laufkette mit einem mächtigen eisernen Ring in den Wassergang-Anschlußplanken verband.

Carberry wartete. Er drehte sich nach dem Seewolf um, der immer noch neben dem Kommandanten auf der Espale stand, und Hasard wußte, was sein Profos wollte.

Mit ein paar Worten rief er den angeketteten Männern zu, daß er ihnen die Freiheit schenken wolle. Sie hätten die Wahl, mit den Angreifern auf der beschädigten Schebecke das Weite zu suchen oder aber auf der Galeere zu bleiben.

Einen kurzen Augenblick blieb es still, aber dann stieg ein wilder Schrei des Triumphes auf, und als Carberry die ersten Ruderer losgeschlossen hatte, begannen auch die anderen, daran zu glauben, daß sie keinen Traum erlebten.

Die meisten der Sklaven waren dunkelhäutige Gestalten, die denen ähnlich sahen, die die Galeere angegriffen hatten. In Hasard verstärkte sich die Gewißheit, daß es sich um Sarazenen handelte, um Nachkommen der in Südeuropa ansässigen Mauren, die das Mittelmeer einst beherrscht hatten.

Die ersten von ihnen bewegten sich unbeholfen über die Corsia zum Bug der Galeere. Ketten klirrten an ihren Füßen. Diese hatten Carberry und Dan ihnen nicht abnehmen können, denn sie waren festgeschmiedet. Die Soldaten bildeten eine Gasse, durch die die Männer gehen mußten. Die Angst war vielen von ihnen in die Gesichter geschrieben. Offensichtlich trauten sie dem Frieden nicht und erwarteten, jeden Augenblick einen Pfeil in den Rücken zu kriegen.

Erst als einige von ihnen die Schebecke heil erreicht hatten, schöpften die anderen Hoffnung. Sie konnten nicht schnell genug die Laufketten durch die eisernen Ringe an den Manschetten ihrer Fußfesseln ziehen.

Hasard schätzte die Anzahl der Ruderer auf etwa hundertzwanzig Mann. Er verstand die Angst der Soldaten, die jetzt alle ihre Waffen auf die Sklaven gerichtet hatten. Wenn nicht die Bedrohung durch die englische Galeone gewesen wäre, hätten die Sarazenen der Schebecke sicher zum zweitenmal einen Angriff auf die Galeere gewagt.

Rasselnd lief die Laufkette zwischen den Galeerensklaven entlang. Fast die gesamte Steuerbordseite war nun befreit, und Dan O’Flynn marschierte auf dem Kampfsteg zurück, um die ersten Bänke der Backbordseite von der Laufkette zu befreien.

Fast gierig zerrten die Männer an den Ketten, so schien es Dan. Es sah aus, als befürchteten sie, nicht mehr rechtzeitig auf die Schebecke zu gelangen, die sich von der Steuerbordseite der Galeere befreit hatte und nur noch an dem spitzen Sporn hing, der sich tief in ihr Achterschiff gebohrt hatte.

Einer der Sklaven war ein ziemlich junger Mann. Dan schätzte ihn auf höchstens achtzehn Jahre. Sein kräftiger, aber abgezehrter Oberkörper war von Wind und Wetter tief gebräunt. Als einziger der Männer war ihm keine Nervosität anzumerken. Sein Blick war starr geradeaus gerichtet.

Dan bemerkte, daß er zur Espale hinüberschaute, wo Hasard und der Kommandant der Galeere nebeneinander standen und die Befreiungsaktion verfolgten.

Dan kümmerte sich nicht mehr um den Jungen. Er sah, wie die letzten Sklaven von der Steuerbordseite über den Galionslieger der Galeere zur Schebekke hinüberturnten. Carberry stampfte über die Corsia heran und hatte Mühe, den bereits von Dan befreiten Ruderern auszuweichen. Wie es aussah, hatte keiner der Ruderer die Absicht, bei den Spaniern zu bleiben. Dan konnte es ihnen nicht verdenken. Wenn er daran dachte, mit Eisen und Ketten an eine Ruderbank gefesselt zu sein, dann stieg das kalte Grauen in ihm hoch. Das hieß für ihn, jeden Tag zu sterben.

Er sah eine kurze, huschende Bewegung an seiner Seite. Etwas berührte seine Hüfte, und ehe er begriff, daß ihm jemand sein Messer aus der Scheide am Gürtel gezogen hatte, hörte er den wütenden Schrei des Fettkloßes, der die Hand mit der Peitsche hob, um auf den Jungen einzuschlagen.

Dan wirbelte herum. Der Junge war schon zwei Schritte von ihm entfernt. Er lief auf das Tabernakel zu, die rechte Hand, in der er Dans Messer hielt, zuckte in einer kurzen Ausholbewegung zurück.

Dan erkannte, was der Junge vorhatte. Die Peitsche des fetten Aufsehers zischte durch die Luft, aber die neun mit kleinen Eisenkugeln bewehrten Lederriemen waren nicht lang genug, den Jungen zu erwischen.

Mit einem gewaltigen Sprung hechtete Dan vor. Er sah noch, wie Hasard auf der Espale einen Schritt auf den Kommandanten zutrat, dann verdeckte der Rücken des Jungen ihm die Sicht. Seine Hände kriegten die zerrissene Hose des Burschen zu fassen, und mit aller Macht zerrte er daran.

Ein Aufschrei ging durch die Reihe der Soldaten.

Dan spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach. Er wußte, daß der kleinste Funke das Pulverfaß, das die Galeere in diesem Augenblick war, zur Explosion bringen konnte.

Er spürte, wie der Junge ins Straucheln geriet, dennoch schaffte er es, das Messer zu schleudern. Gleich darauf krachte er aufs Tabernakel, und Dan war über ihm. Er drückte dem Burschen das rechte Knie ins Kreuz und riß seine Arme auf den Rücken. Dann erst hob er den Blick.

Der Kommandant war in die Knie gegangen. Der Seewolf hatte ihn unter den Armen gepackt und zerrte ihn wieder auf die Beine.

Der Spanier schüttelte die helfenden Arme widerwillig ab und zog seinen Degen. Mit einem geschmeidigen Satz flankte er von der Espale hinunter und blieb neben Dan stehen, der den jungen Burschen fest im Griff hatte.

Die Spitze des Degens bewegte sich auf den Hals des Jungen zu.

Der Junge hatte keuchend den Kopf gedreht. Haß sprühte aus seinen Augen, als er den Spanier sah. Er spuckte aus und stieß ein paar Verwünschungen hervor. Dan verstand nicht, was der Bursche sagte, aber seine Worte schienen den Kommandanten ziemlich zu beeindrucken. Er nahm den Degen zurück. Seine dunkle Gesichtsfarbe war einem schmutzigen Grau gewichen. Seine Züge verzerrten sich zu einer Grimasse, als er den Degen anhob, um zum tödlichen Stoß anzusetzen.

Eine Pranke legte sich wie ein Schraubstock um seinen Unterarm.

Der Kommandant zuckte herum wie eine zustoßende Schlange. Mit einer heftigen Bewegung versuchte er, sich von Carberrys Hand loszureißen, aber sein Bemühen war vergebens. Carberrys Griff lockerte sich nicht um einen Deut.

„Bleibt ruhig, Männer!“ rief Hasard von der Espale über das Ruderdeck. Er hatte gesehen, daß die Soldaten drauf und dran waren, die Gasse auf der vorderen Plattform, durch die die Sklaven auf die Schebecke gelangten, zu schließen und die befreiten Männer anzugreifen.

Hasard wußte, daß damit die Katastrophe über die Galeere hereinbrechen würde. Er zog seine Pistole und jagte einen Schuß in den Himmel.

Eine plötzliche, unheimliche Ruhe folgte dem dünnen, peitschenden Knall.

„Laßt die restlichen Männer durch!“ rief Hasard. „Eurem Kommandanten ist nichts geschehen!“

Da sie von niemandem Befehle erhielten, wagten sie nicht, einen Pfeil von der Sehne zu lassen. Einige von ihnen hatten auch zur Schebecke hinübergeblickt und gesehen, daß die Sarazenen bereit waren, beim ersten Toten die Galeere ein zweites Mal zu entern.

Unbehelligt verließen auch die Ruderer von der Backbordseite die Galeere. Einer der Sklaven, ein fast sieben Fuß großer Mann, der Carberry noch um einen halben Kopf überragte und nicht minder breit in den Schultern war als dieser, blieb einen Augenblick auf der Corsia stehen und starrte zur Epsale hinüber. Dann bahnte er sich einen Weg durch seine Leidensgefährten und ging mit erhobenem Haupt auf das Tabernakel zu, auf dem immer noch Carberry den Arm des Kommandanten und Dan O’Flynn den hitzigen jungen Burschen festhielt.

Leise klirrten die Ketten zwischen den Füßen des Riesen. Der fette Aufseher begann, heftig zu schnaufen und verdrehte die Augen vor Angst. Er wagte nicht, die Peitsche gegen den Mann zu erheben, der eine ungeheure Ruhe und Selbstsicherheit ausstrahlte.

Zwei Schritte vor Carberry blieb er stehen. Sie maßen sich mit einem langen Blick, und sie erkannten beide, daß sie Männer vom gleichen Kaliber waren. Dann hob der Riese, der ein Sarazene war wie die meisten der Rudersklaven, den Kopf und blickte zu Hasard hinauf.

„Ihr hättet den Jungen nicht zurückhalten sollen“, sagte er mit einer dunklen, volltönenden Stimme auf Spanisch. „Wenn ein Mann den Tod verdient hat, dann der Conde de Bosay Stuardo. Er ist die Pest, die Sardinien dahinsiechen läßt, schlimmer noch als das Wechselfieber, das viele von uns im Sommer dahinrafft. Tötet ihn, und ihr rettet Tausenden von Menschen das Leben.“

Er wartete die Antwort des Seewolfes nicht ab. Die Kette zwischen seinen Füßen klirrte im Rhythmus seiner Schritte. Er war der letzte der Rudersklaven, der über den Galionslieger die Schebecke betrat.

Gleich darauf löste sich das kleine Schiff knirschend von der eisenbewerten Rammspitze der Galeere. Die Sarazenen hatten das Großsegel gesetzt. Die Fock flatterte immer noch zerfetzt und nutzlos an der langen Lateinerrahe, bis die volltönende Stimme einige Befehle rief und ein paar Männer die Fockrah mit dem von den Splittern der zerborstenen Riemen durchlöcherten Segel abfierten.

Dan O’Flynn war überrascht aufgestanden und hatte den jungen Burschen losgelassen.

„He!“ rief er zum Seewolf hinauf. „Wollen die ihn nicht …“

Seine Hand packte wieder zu. Der Bursche hatte nichts Eiligeres zu tun, als sich wieder auf den Kommandanten zu werfen. Dan erwischte ihn am Hosenbund und riß ihn zurück.

„Nicht so wild, Kerl!“ sagte er scharf. „Sonst schneiden dir die Dons doch noch den Hals durch.“

Hastige Worte sprudelten über die Lippen des Burschen. Soweit Hasard auf der Espale verstand, sprach er ein eigenartiges Italienisch, wahrscheinlich eine sardische Mundart.

„Paß auf ihn auf, Dan“, sagte er. „Wir nehmen ihn mit an Bord der ‚Isabella‘, bevor sie ihm hier den Hals durchschneiden.“

Der Kopf des Kommandanten ruckte zum Seewolf herum. Sein rechter Unterarm saß immer noch im Schraubstock von Carberrys Hand, doch den Degen hatte er nicht fallen lassen.

„Ich habe eine Schatulle mit kostbaren Juwelen in meiner Kammer, Engländer!“ stieß er hervor. „Ich werde sie dir geben, wenn du ihn“, er nickte kurz zu dem Burschen hin, „hier zurückläßt.“

Hasard begann zu lächeln.

„Du bist in einer schlechten Position, Schotte, um zu verhandeln“, erwiderte er. „Der Junge scheint dir eine Menge zu bedeuten. Denn sonst würde ein Stuart nicht mit einem Engländer schachern.“

Das Gesicht des Kommandanten verzerrte sich vor Wut.

„Denk dran, was ich dir prophezeit habe, Engländer“, sagte er zischend. „Vorhin hätte ich noch gewartet, daß uns der Zufall eines Tages ein Wiedersehen beschert hätte, aber jetzt werde ich dich suchen. Du unterschätzt meine Macht. Du weißt es vielleicht noch nicht, aber du bist schon so gut wie tot!“

Hasards Lächeln vertiefte sich.

„Mit Worten bist du gut, Schotte“, erwiderte er. „Ich hoffe, du bist es auch mit deinem Degen, wenn wir uns wieder gegenüberstehen.“

„Du kannst dich darauf verlassen, Engländer!“

Hasard nickte Dan zu, und dieser stieß den jungen Burschen, der sich verzweifelt gegen Dans harten Griff wehrte, vorwärts auf die Espale zu. Inzwischen hatte Hasard das verabredete Zeichen gegeben, und das Boot näherte sich mit raschen Ruderschlägen der Galeere.

Der Seewolf lud in aller Ruhe seine Pistole nach und richtete sie dann auf den Kommandanten. Bevor Carberry den Spanier losließ, nahm er ihm mit der anderen Hand den Degen weg und schleuderte ihn über Bord, was ihm ein paar Flüche des Conde einbrachte.

Als er einen Schritt auf den fetten Aufseher mit der neunschwänzigen Peitsche zutrat, ließ dieser vor Schreck seine Menschenschinderwaffe fallen, und Carberry überlegte einen Moment, ob er das fürchterliche Folterinstrument mit an Bord der „Isabella“ nehmen solle, um seinen Affenärschen mal zu zeigen; wie human er eigentlich mit ihnen umging, wenn er ihnen nur einen Belegnagel über den Scheitel zog.

Er sagte: „Buh!“ Und der Fettarsch plumpste erschrocken auf die Planken.

Mit einem Satz war Carberry auf der Espale und baute sich neben Hasard und Dan auf, der immer noch den jungen Burschen festhielt. Doch dieser hatte aufgehört, sich gegen seine Retter zu wehren. Der haßerfüllte Blick aber war geblieben. Seine dunklen Augen fraßen sich in dem grauen Gesicht des Spaniers mit schottischer Vergangenheit fest.

Der Seewolf war froh, als das Boot endlich anlegte und sie die Galeere verlassen konnten. Mit kräftigen Ruderschlägen entfernten sie sich von der Galeere. In die dunklen Augen des Jungen kehrte erst Ruhe ein, als er das Deck der „Isabella“ betreten hatte.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 236

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