Читать книгу Köter-Roulette - Jonas Scotland - Страница 5

2. Angst und Erniedrigung

Оглавление

Stefan hat Angst, Angst vor vielen Dingen, aber vor allem vor Hunden.

Als er im Kleinkindalter von seinem Vater gefragt wurde, ob ihm nicht bange in Gegenwart von großen Hunden wäre, da so ein Tier doch so groß sei und er dagegen viel kleiner, und ob er nicht fürchten würde, von ihnen gebissen zu werden, da wurde ihm zum ersten Mal jene Gefahr bewusst.

Später dann hatte er "Lassie" im Fernsehen gesehen. Auch erzählte ihm seine Mutter, dass die meisten Hunde friedlich seien und nichts tun würden. Sein Großvater gab ihm den gut gemeinten Rat, einfach »Pfui!« zu sagen, wenn ein Kläffer ihm zu nahe kommt. Doch natürlich hatte er bald merken müssen, dass es nicht viel half.

Stefan hatte ein besonders beeindruckendes Erlebnis:

Im Alter von neun Jahren hielt er sich in den Ferien zu Besuch bei seiner Großmutter auf. Dort kam auch öfters eine Nachbarin mit ihrem bunten Mischling. Dieser war nicht groß. Stefan, der sich trotzdem am Anfang ängstlich zurückzog, verlor bald seine Scheu und freundete sich mit dem zierlichen Vierbeiner an. Einige Tage währte die Freundschaft. Er führte das Tier spazieren, ebenso zuversichtlich wie stolz, seine Angst besiegt zu haben. Doch das Vertrauen, welches er gesetzt hatte, wurde je enttäuscht:

Als er wieder einmal gemeinsam mit Hund nebst Besitzerin vom Spazierengehen zurückkehrte, sprang das Tier vor der Haustür der Großmutter plötzlich in die Höhe, um sogleich in die linke Hand des entsetzten Jungen zu beißen!

Glücklicherweise ließ das braun-schwarze Wesen danach sofort wieder von ihm ab.

Doch der Schock saß tief. Viel tiefer, als die eher kleine Bisswunde; schließlich war der Täter schon alt und hatte keine scharfen Zähne mehr. Sogleich schossen Stefan dicke Tränen in die jäh - von einer Sekunde auf die andere - desillusionierten Kinderaugen. Da nutzten auch die Beteuerungen der Nachbarin, »Ach, das tut mir aber Leid!«, nicht viel.

So schlimm die Erfahrung auch schmerzte, ein Gutes hatte sie doch gebracht, eine Lehre für das Leben: Traue keinem Hund, sieht er auch noch so niedlich und sympathisch aus! Denn völlig unerwartet, von einem Augenblick auf den anderen, kann er losbeißen!

Neunzehn Jahre ist der Held unserer Geschichte heute. Er ist von eher kleiner Statur und macht einen wesentlich jüngeren Eindruck. Die Schulzeit hat er ziemlich unrühmlich beendet. Zu seinem Vater hat er jeglichen Kontakt abgebrochen.

Da der sensible Junge hauptsächlich schlechte Erfahrungen mit seinen Mitmenschen gesammelt hat, lebt er sehr zurückgezogen alleine in seiner Ein-Zimmer-Wohnung. Auch darum hat ihn seine Mutter in die Spielbank begleitet, damit er mal etwas Besonderes und Schönes erlebt.

Manchmal besucht Stefan seine Tante, deren dreizehnjährige Tochter Carolin sowie den zehnjährigen Markus. Stefan versucht, seinem unausstehlichen Onkel Gerhard, den er genauso wenig leiden kann wie der ihn, auszuweichen. So besucht er fast ausschließlich seine Verwandten, wenn dieser nicht zu Hause ist.

In der Nachbarschaft seiner Tante wohnt die elfjährige Freundin seiner Cousine, namens Petra. Dieses Mädchen nennt einen riesigen Hund ihr eigen. So manches Mal, wenn Stefan seine Tante besucht, bangt er und hofft, dass dieser Köter nicht wieder frei herumläuft in der ruhig gelegenen Straße. Einmal rannte das Tier an. Stefan konnte sich gerade noch hinter die Gartenpforte retten und diese schließen.

Als er nun eines Tages abermals bei seinen Verwandten ist, kommt Petra dazu. Man unterhält sich. Es wird Abend. Tante Gisela animiert: »Carolin und Petra, wollt ihr nicht den Stefan ein Stück begleiten?«

Beide Mädchen bejahen. Petra meint etwas keck: »Wir beschützen dich schon. Da brauchst du keine Angst zu haben.«

Der schüchterne Stefan hält es für das Beste, gar nichts dazu zu sagen, sondern nur mit einem Lächeln zu reagieren.

Dafür entgegnet die Tante: »Der Stefan hat keine Angst. Es ist doch nur, damit er nicht so alleine geht.«

Jetzt fügt Petra hinzu: »Ich hol’ nur schnell Cora ab, zum Gassigehen.«

Ohne dass er es sich anmerken ließe, denkt Stefan: Ausgerechnet! Auch das noch! Wenn die wüsste! Mit der Begleitung habe ich doch viel mehr Angst als ohne!

Nachdem sie ein kurzes Stück gegangen sind, sagt Petra plötzlich: »Fass! Fass!« zu ihrem domestizierten Wesen und zeigt mit dem Finger auf den überraschten Cousin ihrer Freundin.

So erstaunt und hilflos jener in diesem Moment auch ist, er weiß genau, dass es keinen Sinn hätte - ja, ihm eher schaden würde -, wenn er seine Gefühle offen zeigt. Deshalb versucht er, trotz innerer Verzweiflung, nach außen hin gelassen zu wirken. Von seiner Cousine wusste er ja bereits, dass Petra mit dem großen Hund immer angibt. Aber dass sie so unverschämt ist, hätte er sich nicht gedacht. Das Mädchen, welches er bis heute nett fand, grinst blöd.

Das Tier reagiert überhaupt nicht. Nun weiß Stefan, dass die elfjährige Besitzerin wohl nicht damit gerechnet hat, ihr Befehl könne befolgt werden. In Gedanken flucht er: Trotzdem eine Schweinerei!

»Wenn man einen Hund hat, kann man jeden anmachen«, verkündet Petra mit strahlendem Gesicht.

Als Stefan später seiner Mutter, welche ihn oft besucht, von der Angelegenheit erzählt, findet diese ebenfalls: »Das ist ja ein starkes Stück!« Weiter klagt sie: »Ich kann das ja auch nicht leiden, wenn ich oft in der U-Bahn oder im Bus fahre, und dann lecken die Hunde mir an den Beinen. Wahrscheinlich mögen die das gerne, wenn ich mich eingecremt habe. Da muss man sich die Beine abschlecken lassen, und man kann nichts dagegen machen! Die Besitzer sagen nur blöd: "Der beißt nicht." Sie selber mögen das wohl, wenn der Hund sie leckt, und dann denken sie, andere mögen das auch. Aber mich ekelt das. Bah!«

So manches Mal, wenn Stefan ruhig eine Straße entlanggeht, kommt plötzlich ein großes Viech angerannt. Im letzten Moment schreit dann eine Männer- oder Frauenstimme aus dem Hintergrund: »Arko!« oder »Anja, hier!«

Hinterher denkt er sich jedes Mal: Gott sei Dank, wieder Glück gehabt! Aber was ist, wenn ich mal nicht Glück habe?

Was, wenn ein Köter mal nicht auf sein "Herrchen" hört?! Oder, wenn kein Besitzer in der Nähe ist und der Köter allein draußen herumläuft!

Seine Mutter versucht immer wieder, ihn von diesen Gedanken abzubringen: »Es wird dich schon keiner beißen. Du musst die Hunde einfach nicht beachten. Gar nicht hingucken! Dann lassen sie einen in Ruhe.«

Man hört darauf. Allerdings zeigen die weiteren Erfahrungen keine durchgreifende Besserung der Verhältnisse. Jedes Mal danach hofft Stefan, dass es das letzte Mal war, dass ein Vierbeiner Interesse an ihm zeigte. So geht es weiter. Er teilt fast alle Erlebnisse seiner Mutter mit: »Weißt du, man kann im Großen und Ganzen bei den Hunden sagen: je länger die Haare, desto friedfertiger sind sie.«

»Meinst du? Wieso?«

»Ist dir das denn noch nicht aufgefallen? Die aggressiven Köter haben meistens kurze Haare, manchmal so ein richtig glatt glänzendes Fell. Aber die mit den langen Haaren sind meistens ruhig und friedlich. Es kommt schon auf die Sorte drauf an. Bernhardiner schaden zum Beispiel nie jemanden, obwohl sie so groß sind.«

»Na, Bernhardiner sind ja sowieso sehr selten. Die sieht man ja kaum hier.«

»Doch, ich sehe manchmal welche. Hier beim Bahnhof war zum Beispiel einer. Die sind immer so gemütlich. Aber ich meine ja allgemein: auf jeden Fall kommt es auf die Rasse drauf an. Sollen die Leute doch nur solche Hunde anschaffen, wenn sie schon welche haben müssen.«

Frau Schmidt berichtet ihm von einer Bekannten: »Ich verstehe die Hundebesitzer ja auch nicht. So was Arrogantes! Die Frau Geerke hat mir von ihrem Hund erzählt. Der hat die Freundin von ihrer Tochter in den Bauch gebissen. Und dann behauptet sie noch, das sei "doch nicht so schlimm!". Sie hat gesagt: "Der Vater von dem Mädchen ist gleich gekommen und hat sich aufgeregt. Der hat vielleicht ein Tamtam gemacht!" — So was Doofes! Was die sich eigentlich denken! Man soll sich wohl noch bedanken dafür.«

Stefan urteilt: »Unmöglich! Was sind das nur für Menschen! Und was passiert jetzt? Wird die Bestie nicht abgeknallt oder eingeschläfert?«

»Anscheinend nicht. Die Geerke hat jedenfalls nichts davon gesagt. Müsste man ja eigentlich gleich machen. Die Besitzer müssten ja auch bestraft werden.«

Im Fernsehen wird gelegentlich ebenfalls über beißwütige Kläffer berichtet. Auch immer dann, wenn Spielfilme und andere Sendungen für Hundefutter-Reklame unterbrochen werden, ärgert sich Stefan und muss sofort umschalten. Denn er kann es einfach nicht mehr hören: »Ein ganzer Kerl, dank "..."!« und »"..." für gesunde, feste Zähne!«

Man befindet sich in der Großstadt. Hier gibt es Zehntausende von Hunden. In der Nähe von Stefans Wohnung liegt ein Spazierweg mit Grünanlage. Um etwas für seine Gesundheit zu tun, joggt er manchmal dort. Aber leider zieht dieser Fußgängerweg auch viele "Herrchen" und "Frauchen" mit ihren Zuchtexemplaren an. Letztere sind meist nicht angeleint.

Wie wohl jeder weiß, darf man in Gegenwart von Hunden nicht laufen, sonst wird man von ihnen angefallen. Schließlich geht das Tier vor. Also, die (köterlosen) Menschen haben weniger Rechte in der heutigen Gesellschaft und haben sich gefälligst von "Hunde- und Herrenrasse" unterdrücken zu lassen.

So guckt Stefan beim Joggen ständig vorsichtig um sich. Besonders aufpassen muss er zum Beispiel bei Wegkreuzungen, welche von weitem nicht übersehbar sind, da sie durch Hecken verdeckt werden. An sonnigen Wochenenden ist es sowieso unmöglich, weil dort dann durchschnittlich alle zehn Meter ein Hund ist. Jedoch hat er sich darauf schon eingerichtet, indem er an diesen Tagen solche Örtlichkeiten meidet.

Hingegen lässt es sich kaum vermeiden, irgendwann mal zur Post zu gehen, etwa wenn man ein Päckchen oder einen Einschreibebrief abholen muss. So begibt sich auch Stefan eines Tages wieder dorthin:

Er stellt sich am Schalter an und wartet. Da kommt eine Frau mit großem Hund herein und stellt sich hinter ihn. Er tut, als wenn er das Tier nicht beachten würde. Auch noch, als er etwas am rechten Bein spürt — ein starker Druck!

Der Domestike will Stefan einfach wegschieben, damit "Frauchen" eher an den Schalter kommt! Nun, wenn man fast umgestoßen wird, kann man nicht mehr vortäuschen, das Viech zu ignorieren. Wie verhält man sich also?

Irgendwie muss man jetzt reagieren. Aber wie, wenn man ein ängstlicher schüchterner junger Mann ist, welcher keine Angst zeigen soll?

Endlich spricht die Herrin: »Jessica, komm hier.«

Die Töle gehorcht. Vorbei!

Doch nicht der leiseste Hauch einer Entschuldigung! Zornig wirft Stefan der Frau noch einen Blick zu. Mehr kann er wohl nicht unternehmen.

Wenigstens hatte der Köter keine Flöhe! — So etwas kann jedem auf dem Postamt einer Millionenstadt passieren. Man fühlt sich gedemütigt. Aber es nimmt einfach kein Ende.

Stefan möchte wieder ins Spielkasino. Seine Mutter dagegen hat keine Lust mehr: »Mir ist das alles zu viel: Da stundenlang rumstehen. Und das Gedränge von den Leuten. Die schlechte Luft vom Rauchen.«

»Aber wir haben doch gewonnen. Es hat doch Spaß gemacht.«

»Ja? Erst spät abends nach Hause. Mir ist das zu anstrengend. Geh mal lieber alleine.«

»Ich alleine? Ich trau mich doch nicht alleine«, gibt Stefan zu bedenken.

Frau Schmidt ärgert sich über die Unselbstständigkeit des Sohnes: »Warum denn nicht?! Wovor hast du denn Angst?«

»Ich weiß nicht. Die Leute gucken alle so. So, als wenn sie meinen, ich würde da nicht hingehören.«

»Ach, das bildest du dir nur ein. Die Leute gucken auf jeden, auf mich auch.«

Der junge Mann, welcher voller Komplexe steckt, ist nach wie vor anderer Meinung. Immer wieder versucht er, seine Mutter zu überreden, ihn auch zukünftig zu begleiten.

Endlich gibt sie noch einmal nach. Dieses Mal gewinnen sie nicht so viel, aber immerhin etwas. »Wir sollten mit Tausendern spielen«, findet Stefan bei der Rückkehr.

»Du bist ja verrückt! Und wenn du verlierst?!«

»Stell dir mal vor, Mensch: Wenn wir von Anfang an mit Tausendern gespielt hätten, dann hätten wir beim ersten Mal nicht zweihundertvierzig Mark gewonnen, sondern vierundzwanzigtausend!«

»Ist das wahr? Tatsächlich!«, staunt Frau Schmidt. »Aber du hättest auch viel mehr verlieren können.«

»Wenn es mit Zehnern geklappt hat, warum sollte man es nicht mal mit Tausendern versuchen?«

»Wir sind doch keine reichen Leute.«

Der Sohn kann mit dem Argument nichts anfangen: »Gerade deshalb. Weil wir reich werden wollen.«

»Jetzt leg erst mal eine Pause ein. Du kannst doch nicht schon wieder ins Casino gehen.«

Heute ist ein heißer, trockener Sommertag. Das bedeutet, es stinkt auf den Wegen. Überall liegen die Würste und Haufen. Stefan schaut abermals vorsichtig um die Ecke eines Weges. In einiger Entfernung sieht er eine Frau mit einem Fahrrad auf sich zukommen. Neben ihr läuft ein riesiger schwarzer, gefährlich aussehender Hund. Natürlich nicht angeleint, trotzdem ein Schild am Wegbeginn dies vorschreibt!

Stefan stockt der Atem.

Er gerät in Panik auf dem sonst menschenleeren Pfad.

Er weiß, dass er jetzt nicht laufen darf. Vorsichtig geht er langsam zurück um die Kurve bis — er aus der Sichtweite der beiden ist.

Dann rennt er los. So schnell er kann!

Zwischendurch dreht er sich um: Ist die Töle noch nicht bis zur Ecke? Oder ist sie mir etwa schon dicht auf den Fersen?

Da — eine Art von dumpfen Geräuschen in kurzen Intervallen! Ist es das Gehetze eines Hundes oder nur das Rauschen des Blutes in meinem Körper?

— Endlose Sekunden! —

Dann Erleichterung: in einen Nebenweg entkommen! Vorbei! Allmählich ebbt sein Pulsschlag wieder ab.

Im Fernsehen läuft erneut eine der so leidigen Hunde-Diskussionen. Wie fast jede, mit jenem korpulenten, kahlköpfigen Schauspieler, welcher sich besonders durch seine blöden, menschenfeindlichen Argumente hervortut und dabei gleichzeitig Reklame für seine Hunde-Bücher ausübt.

Wie so oft, bringen die exorbitanten Hundeliebhaber das dumme Gerede: »Es kommen viel mehr Menschen im Straßenverkehr um, als von einem Hund verletzt werden!«

Nachdem Stefan diesen Satz gehört hat, meint er: Das darf doch wohl nicht wahr sein! Erstens mal könnte man mit einer ähnlichen Begründung jeden Gewaltverbrecher oder Mörder aus dem Gefängnis lassen. Zum Beispiel: »Es kommen viel mehr Menschen im Straßenverkehr um, als ermordet werden.« Oder »Es kommen viel mehr Menschen im Krieg um, als im Frieden ermordet werden.«

Und zweitens mal kann man sich vor Verkehrsunfällen ja schützen: indem man aufpasst im Straßenverkehr, nicht einfach auf die Straße rennt und möglichst wenig Auto fährt, besonders in der Großstadt, wo es öffentliche Verkehrsmittel gibt. Autos sind doch gewöhnlicherweise nur auf der Straße. Die Köter dagegen sind fast überall, so dass man ihnen nicht ausweichen kann. Und Schusswaffen sind verboten.

Als die Moderatorin den jüngsten Fall erwähnt, in dem eine Bestie einem Baby den Kopf abgebissen hat, da lacht die Gruppe der Hunde-Fanatiker lauthals los. Wieder kann Stefan es gar nicht fassen: Was sind das nur für grausame Leute? So was Menschenverachtendes! Die sind ja noch schlimmer als ich dachte!

Im Fernsehen wird berichtet: »In Tokio ist das Halten von Hunden verboten.«

Stefan denkt: Es muss ja nicht ganz sein. Ich wäre ja schon froh, wenn nur kleine erlaubt wären, oder wenn für die großen, gefährlichen wenigstens Maulkorbpflicht bestände.

Eines Tages kehrt er abermals von einem Besuch bei seiner Tante zurück. Letztere hat ihm in einer bunten Plastiktüte ein paar Äpfel mitgegeben. Er geht auf dem Bürgersteig neben einer vielbefahrenen Straße entlang. Dieser Weg ist allerdings durch einige Bäume und Sträucher von der Straße getrennt.

Stefan sieht einen frei umherlaufenden Schäferhund langsam auf sich zukommen. Ein Stück weiter weg lungert eine Gruppe Jugendlicher herum.

O Schreck! Was nun? Ein Ausweichen zur Seite ist nicht möglich. Zurück würde nichts nützen, dazu bin ich schon zu nah. Das Viech würde mir höchstwahrscheinlich hinterherlaufen.

Jetzt gibt es nur eins: Nichts anmerken lassen und selbstsicher durchgehen!

Doch das Tier scheint den schlanken Jungen genau anzupeilen. Schreitet er etwas nach links, tut der Vierbeiner genau dasselbe, nach rechts — ebenso. Verständlicherweise will der Bedrängte nicht direkt mit seinem Bein gegen die Schnauze drücken. Aber wenn es so weitergeht, wird dies passieren!

Ganz mulmig ist unserem Helden zumute:

Jeden Moment kann er zubeißen! Gott, bitte nicht! Warum bin ich so hilflos?! Ich kann doch nichts machen!

Trotzdem bewahrt er nach außen hin die Fassung, verzieht keine Miene und versucht sich ganz gelassen zu bewegen.

Dann bemerkt das Wesen mit der heraushängenden Zunge die Tasche und wendet sich ihr zu.

Stefan geht ruhig weiter. Er vermutet: Jetzt leckt das verdammte Biest an der Tüte! Bah, ist das eklig! Nur nicht hingucken! Im Fernsehen haben sie gesagt: Man soll einem Hund nie in die Augen blicken, sonst würde man ihn reizen! Aber was kann man tun?

— Ewiger Augenblick —

Dann ruft einer der Jugendlichen, denen er sich immer mehr nähert: »Arko!«

Schließlich ein anderer: »Arko, du hast heut schon gefrühstückt!« Darauf folgt Gelächter.

Die Wut steigt in Stefan hoch: Muss man sich denn alles gefallen lassen von diesen hochnäsigen Hundebesitzern? Sich erniedrigen sowie von ihren verdammten Mistviechern belecken lassen? Hat man wirklich noch froh und dankbar zu sein, wenn man nicht gebissen wurde?!

Wieder zu Hause, setzt er sich hin und weint, über die Bösartigkeit jener Mitmenschen sowie über seine eigene Hilflosigkeit. Erinnerungen werden in ihm wach, an seine ehemaligen Mitschüler, die ähnlich mit ihm umgesprungen sind wie diese Jugendlichen, ebenso wie sein Vater.

Soll die Demütigung ewig so weitergehen?

Stefan spricht mit seiner Mutter immer wieder darüber: »Das ist doch kein Leben! Ich müsste eine Waffe haben, damit ich mich wehren kann. Am besten wäre ein Revolver, aber die sind ja verboten in diesem Scheiß-Verbrecherstaat! Man kommt ja an keinen ran.«

Frau Schmidt entgegnet: »Höchstens eine Schreckschusspistole. Die knallt gleich laut.«

»Na und? Das nützt doch nichts! So eine Bestie lässt sich doch nicht von einem Knall abhalten. Ich will nicht ins Krankenhaus wegen so einem Scheiß-Viech! Außerdem, wenn mich ein Köter beißt, dann soll er auch dafür bestraft werden. Also, wenn ich schon keine Schusswaffe kriegen kann, dann wenigstens ein Messer. Am besten so ein Springmesser, damit ich mir es in die Hosentasche stecken kann und die Klinge schnell rauskommt. Ich habe schon einen Katalog, da ist sogar so eins drin. Das bestelle ich mir jetzt endlich.«

»Mensch, Junge!«, regt die Mutter der Gedanke auf. »Was willst du denn damit machen? Du kannst doch nicht jeden Hund, der in deine Nähe kommt, gleich abstechen!«

»Das will ich ja auch gar nicht. Aber ich will aufrecht gehen können, mit mehr Sicherheit, ohne ständig das Gefühl zu haben, wehrlos ausgeliefert zu sein! Warum verstehst du das denn nicht?! Also, wenn ich ein großes Tier sehe, hole ich schon mal vorsorglich mein Messer aus der Tasche und halte es in der Hand bereit. Na, und wenn es mich beißt, dann wehre ich mich! Dann stech’ ich es ab«, erklärt Stefan seine Absichten.

»Ja, wenn es sein muss. Ich meine, du brauchst so was nicht. Das ist doch alles Quatsch. Du wirst sowieso nicht gebissen.«

»Na, dann ist es ja gut. Dann schadet es doch nichts, wenn ich trotzdem das Messer bei mir habe.«

»Tja, wenn du sonst solche Angst hast, dass du gar nicht mehr rausgehen willst, dann bestell dir das eben.«

Gesagt — getan. Bald hat Stefan das Messer. Er lässt es schärfer schleifen und nimmt es nun jedes Mal mit sich, wenn er an die frische Luft geht.

Monate vergehen — nichts passiert.

Unser junger Phantast sehnt sich wieder nach der Spielbank. »Komm doch mit«, bittet er die Mutter.

»Nein, ich will nicht. Ich weiß gar nicht, wovor du da Angst hast. Im Casino gibt es doch keine Hunde. Du steigst direkt vor deiner Haustür ins Taxi, und schon bist du da. Du bist doch dann immer abgeschirmt.«

»Es ist ja nicht wegen der Hunde, sondern wegen den Leuten. Dass ich nicht so alleine da bin«, verdeutlicht Stefan.

Frau Schmidt versichert ihm: »Du brauchst dich doch nicht zu genieren. Du hast genauso viel Recht da zu sein wie jeder andere. Oder meinst du, die anderen sind was Besseres! Du musst einfach selbstbewusst sein.« So redet sie ihm ein, dass er ein Mensch sei, der etwas wert ist und sich nicht alles gefallen lassen müsse.

Es dauert lange. Schließlich überwindet sich der Schüchterne und geht alleine:

Heute fängt er gleich mit Hundertern an. Leider geht es bergab. Bald schon muss er die zweiten tausend Mark einwechseln. Dann wendet sich das Blatt. Als Stefan bereits mehrere Tausend gewonnen hat, setzt er gleich fünfhundert auf Rot. Während er wartet bis das Rad gedreht wird, sieht er am gegenüberliegenden Tisch, dass dort nun - seiner Meinung nach - Schwarz kommen müsste. Also geht er kurz hinüber, um das Spiel nicht zu verpassen. Er tätigt hier ebenfalls den Einsatz und eilt zum ersten Tisch zurück.

Endlich wird die Kugel in diesen Kessel geschleudert. Fast im selben Moment kreist auch die andere los.

Stefan steht zwischen den beiden Tischen. Er ist erregt. Seine Stirn sowie die Nase werden schweißnass.

Anschließend erblickt er freudig auf den Anzeigetafeln, dass er beide Spiele gewonnen hat. Jetzt guckt er, wo am schnellsten ausgezahlt wird.

Bei dem ersten Tisch haben so viele Leute gesetzt, dass es länger zu dauern scheint. Deshalb stellt er sich kurz an den zweiten, um sich sogleich seinen Gewinn zu greifen. Sofort kehrt er erneut zum ersten zurück und kann nicht fassen, was er sieht: nichts liegt auf Rot!

Ratlos mustert er die Umgebung: keiner sieht verdächtig aus.

Eintausend Mark gestohlen!

Traurig nimmt er sich vor, dass ihm das nie wieder passiert. Ab jetzt behält er seine Einsätze ständig im Auge. Doch das Glück hat ihn an diesem Abend verlassen. Schnell hat er alles verloren, was er dabei hat.

Am nächsten Vormittag berichtet er deprimiert seiner Mutter, was geschehen ist. Die tadelt ihn: »Du weißt doch, dass im Casino viel gestohlen wird. Wie konntest du nur so leichtsinnig sein?«

»Aber es waren doch nur ein paar Sekunden. Es hat an dem Tisch so lange gedauert. Man steht da und wartet und wartet. Ich wollte doch das andere Spiel nicht verpassen. Dass ausgerechnet in dem Augenblick jemand klaut!«

»Da hat dich sicher einer beobachtet. Der hat gesehen, wie du gesetzt hast und weggegangen bist. In dem Moment hat er zugeschnappt. Na, jetzt bist du um eine Erfahrung reicher.«

Stefan kann es immer noch nicht begreifen: »Scheiße! Tausend Mark!«

»Ob du das Geld verlierst oder es dir gestohlen wird, ist doch auch egal. Stell dir einfach vor, du hättest das Spiel verloren.«

»Aber trotzdem. Wenn einem zweihundert Mark gestohlen würden, dann ärgert es einen mehr, als wenn man tausend im Spiel verliert.«

»Ja, ich verstehe schon, wie du das meinst.«

Köter-Roulette

Подняться наверх