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III
Entführen wir Hermione!

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»Schweigt, dumme Brut,« sagte der Pfarrer, »lockt diese Närrin nicht hieher; wir haben mit ihren Gaukeleien Nichts zu schaffen.«

Allein die Kinder hörten nicht auf ihn und fuhren fort, zu rufen und Geberden zu machen. Als sich dann Sabina über den Rand des Felsens neigte, sah sie ein ganz außerordentliches Schauspiel. Eine junge Gebirgsbewohnerin kletterte den steilen Abhang, welcher auf den grünen Felsen führte, hinan und das Kind wandelte buchstäblich in einer Wolke von Vögeln, die um sie her schwärmten, die einen an ihrem Haare schnäbelnd, andere auf ihren Schultern sitzend, noch andere ganz junge im Sande um sie herumhüpfend und an ihren Füßen sich haltend. Alle schienen sich das Vergnügen oder den Gewinn streitig zu machen, die sie an ihrer Berührung und dem bittenden Zwitschern fanden, und sie erfüllten die Luft mit ihrem ungeduldigen Jubelgeschrei. Als das junge Mädchen näher kam und man sie zwischen ihrem flatternden Gefolge deutlich sehen konnte, erkannten Leonce und Sabina die Blonde mit den rothen Wangen und den blaßgoldenen Haaren in ihr, die sie eine Stunde zuvor in der Kirche gesehen hatten.

Nun neigte sich auch der Pfarrer gegen den Hohlweg vor und gebot ihr durch seine Geberden, sich zu entfernen.

Das dicke Gesicht und die schwarze Kleidung des Priesters wirkten auf sie wie ein Medusenhaupt. Sie blieb unbeweglich stehen und, scheu geworden, flogen die Vogel auf die am Fußweg liegenden Bäume.

Indeß stillten die Bitten der Lady G*** und der Anblick seines mit trefflichem griechischen Weine, der so eben aufgepfropt worden war, gefüllten Glases den Zorn des heiligen Mannes und er willigte ein, das Vogelmädchen herbeizurufen.

»Komm, mach Deine gottlosen Künste vor diesen hohen Herrschaften, Du Zigeunerin!«

Das junge Mädchen hielt eine Hand voll Körner, welche sie so weit als möglich und so geschickt hinter sich warf, daß sie den Vögelchen nur eine gebieterische Geberde zu machen schien, worauf diese sie sogleich wieder zu verfolgen begannen. Sie schlugen sich alle in das Gehölz, das sie ihnen zu bezeichnen sich stellte, und beschäftigt, wie sie waren, ihre kleinen Körner zu suchen, schienen sie sich ganz ihrem Befehle gemäß ruhig zu verhalten. Die andern Kinder ließen sich durch diesen kleinen Kniff nicht täuschen, allein Sabina hatte das volle Vergnügen, mystificirt zu werden.

»Nun, da ist sie ja, diese hartgesottene Sünderin,« sagte Leonce, dem Gebirgskinde die Hand reichend, um ihr behülflich zu sein, die Felsplatte zu erreichen, zu der von dieser Seite her ein höchst steiler Weg führte. Sie erklomm sie aber mit einem Sprung gleich einer jungen Gemse, und ihre beiden Hände an die Stirn legend, bat sie um Erlaubniß, arbeiten zu dürfen.

»Laß sehen, laß schnell sehen, Tagdiebin,« sagte der Pfarrer, »was Du Deine Arbeit zu nennen beliebst.«

Sie trat nun zu den Kindern und bat sie, ihre Hunde gut zu halten und sich nicht zu rühren; dann nahm sie ein kleines, wollenes Mäntelchen, das ihre Schultern bedeckte, ab und auf einen nahen noch höhern Felsen klimmend, ließ sie den rothen Stoff wie eine Fahne über ihrem Kopfe flattern. In demselben Augenblicke stürzten von allen Gebüschen ringsum eine Menge verschiedenartiger Vögel auf sie zu, Sperlinge, Zeisige, Hänflinge, Blutfinken, Amseln, Ringeltauben und selbst Schwalben mit dem gabelartig gespalteten Schwanz und den breiten schwarzen Flügeln. Sie spielte einige Augenblicke mit ihnen, indem sie sie zurückstieß, allerlei Geberden machte, ihr Mäntelchen, wie um sie zu erschrecken, hin- und herschwenkte, einige im Fluge erhaschte und sie dann wegwarf, ohne ihnen die verliebte Verfolgung zu entleiden. Als sie dann hinlänglich gezeigt hatte, wie sehr sie die unumschränkte und angebetete Herrscherin dieses freien Völkchens sei, bedeckte sie sich mit ihrem Mäntelchen den Kopf, legte sich auf den Boden und stellte sich schlafend. Nun sah man all das Geflügel auf sie hinsitzen, sich um die Wette in die Falten ihres Kleides einnisten und von ihrem Schlummer magnetisirt scheinen. Als sie endlich aufstand, wiederholte sie ihren Kunstgriff, sie mittelst eines neuen Futters in das Haidegesträuch zu entsenden, wo sie verschwanden und ihr Gezwitscher verstummte.

Es lag etwas so Anmuthsvolles und so Poetisches in ihrer ganzen Pantomime, und ihre Macht über die Bewohner der Lüfte erschien so wunderbar, daß diese kleine Scene den Reisenden ein ungemeines Vergnügen verursachte. Die Negerin nahm keinen Anstand, zu glauben, sie wohne einer Verzauberung bei, und selbst der Pfarrer konnte sich eines Lächelns bei der Artigkeit der Zöglinge nicht enthalten, um überhoben zu sein, ihre Erzieherin zu beklatschen.

»Das ist ja wahrlich eine kleine Fee,« sagte Sabina, sie zu ihr herziehend, »und ich erkläre Ihnen, Leonce, daß ich mit ihren ambrafarbnen Wimpern ausgesöhnt bin. Mignon hatte ihr in meiner Einbildungskraft Unrecht gethan. Ich hätte sie braun und Guitarre spielend gewünscht; aber jetzt nehme ich auch die bäurische und blonde Mignon an und ich sehe ihre Zauberscene mit den Vögeln so gern wie den Eiertanz. Sage mir vorerst, mein liebes Kind, wie heißest Du?«

»Ich heiße Magdalena Melèze,« sagte die Vogelfängerin, »oder das Vogelmädchen, Ihren Gnaden zu dienen.«

»Das sind hübsche Namen und passen für Dich. Setze Dich hier neben mich her und frühstücke mit uns, vorausgesetzt jedoch, daß Dein befiedertes Volk nicht wie eine egyptische Plage über uns herfalle und unser Mahl verzehre.«

»O! fürchten Sie Nichts, Madame, meine Kinderchen kommen nicht zu mir heran, wenn andere Personen zu nah sind.«

»In diesem Fall,« sagte der Pfarrer in scheltendem Tone, »wenn Du Dein dummes Handwerk, Deinen Brotkorb erhalten willst, so rathe ich Dir, Dich auf Deinen Spaziergängen nicht so oft von gewissen Landstreichern begleiten zu lassen, denn bald werden Dich die Vögel des Landes nicht mehr kennen, wenn sie von solchen Zugvögeln in ehrerbietiger Entfernung gehalten werden, Magdalena.«

»Aber, Herr Pfarrer, man hat Sie getäuscht, sicherlich,« antwortete das Vogelmädchen; »ich habe erst einen Begleiter auf meinen Spaziergängen gehabt, und das dauert noch nicht so lange; wir Beide sind immer allein; wer Ihnen das Gegentheil gesagt, hat gelogen.«

Der Ernst, mit welchem sie diese Antwort begleitete, machte Leonce Vergnügen und versetzte den Pfarrer in Zorn.

»Schaut mir nur die schöne Antwort!« sagte er, »und ob man etwas Unverschämteres finden kann, als dieses kleine Ding da!«

Das Vogelmädchen schlug ihre saphirblauen Augen zu dem ergrimmten Pfarrer auf und blieb stumm vor Erstaunen.

»Mich dünkt, Sie täuschen sich sehr in Betreff dieses Kindes,« sagte Sabina zu dem Pfarrer; »ihre Ueberraschung und ihre Keckheit rühren von einer Unschuld her, die Sie durch Ihre bösen Gedanken trüben würden; gestatten Sie mir, Ihnen zu sagen, Herr Pfarrer, daß Sie, ohne Zweifel in guter Absicht, Ihr Möglichstes thun, um sie auf den Gedanken des Bösen zu bringen, das nicht in ihr liegt.«

»Sie sprechen so, Madame?« antwortete halblaut der Pfarrer, »Sie, die aus Klugheit und Tugend mit diesem edeln Herrn, trotz seiner guten Gesinnungen und der Nähe Ihrer Dienerschaft, nicht allein bleiben wollten?«

Sabina betrachtete den Pfarrer mit Staunen und hernach Leonce mit vorwurfsvoller und spottender Miene; dann fügte sie mit einer edeln Hingebung des Herzens hinzu:

»Wenn Sie den Beweggrund, der uns Ihre Gesellschaft suchen ließ, so beurtheilen, Herr Pfarrer, so müssen Sie die Bestätigung dessen, was ich von diesem Kinde denke, darin finden, daß nämlich seine Gedanken reiner sind als die unsrigen.«

»Rein, so viel Sie wollen, Madame!« entgegnete der Pfarrer, welchem Sabina, beschäftigt in den Abenteuern ihrer Spazierfahrt die Personen des Wilhelm Meister wieder zu finden, bei sich schon den Namen des Polterers gegeben hatte; gestatten Sie mir aber den Einwurf, daß bei Mädchen von diesem Stande, welche auf’s Gerathewohl und gleichsam wild leben, das Uebermaß von Anschuld die schlimmste der Gefahren ist. Der Erste Beste mißbraucht sie und das wird dieser hier begegnen, wenn es nicht schon geschehen ist.«

«Sie wurde bei Ihrem Argwohn verwirrt, statt wie sie jetzt nur von Ihren Drohungen erschreckt ist. Ihr Priester, Ihr versteht Nichts von den Frauen und verletzt erbarmungslos die Schamhaftigkeit der Jugend.«

»Ich sage Ihnen, ich,« entgegnete der Polterer, »daß, was bei Personen Ihres Standes richtig, auf Leute der ärmeren Klasse nicht anzuwenden ist. Die Schamhaftigkeit solcher Mädchen da ist Dummheit, Unvorsichtigkeit; sie begehen das Böse ohne zu wissen, was sie thun.«

»In diesem Fall thun sie vielleicht nicht böse, und ich möchte fast glauben, Gott erkläre ihre Fehler für unschuldig.«

»Das ist eine Ketzerei, Madame.«

»Wie Sie wollen, Herr Pfarrer. Streiten wir, ich willige ein. Ich weiß wohl, daß Sie besser sind, als Sie den Anschein haben wollen, und daß Sie im Grunde Ihres Herzens meiner Moral nicht abgeneigt sind.«

»Nun ja, ja, nach dem Frühstück wollen wir darüber streiten,« erwiederte der Pfarrer.

»Unterdeß,« sagte Sabina, sein Glas anmuthig füllend und ihm einen süßen Blick zuwerfend, dessen Schlauheit er nicht verstand, »werden Sie mir die Gunst gewähren, um die ich Sie bitte, mein lieber Pfarrer Polterer.«

»Wie könnte ich Ihnen Etwas abschlagen?« antwortete er, sein Glas an die Lippen setzend, »besonders wenn es eine christliche und vernünftige Bitte ist!« fügte er hinzu, nachdem er das gestrichene Glas voll Cypernwein fast in Einem Zuge geleert hatte.

»Sie werden provisorisch mit dem Vogelmädchen Friede machen,« hob Lady G*** wieder an. »Ich nehme sie unter meinen Schutz; Sie sollen sie nicht in die Flucht jagen, kein hartes Wort an sie richten; Sie überlassen mir die Sorge, sie ganz sanft in die Beichte zu nehmen, und nach dem Bericht, den ich Ihnen über sie erstatten werde, sollen Sie, je nachdem sie es verdient, nachsichtig oder streng sein.«

»Wohlan denn, zugegeben,« antwortete der Pfarrer, der sich immer besser aufgelegt und gutgelaunter fühlte, je mehr er seinen derben Appetit befriedigte. Laß sehn,« sagte er, sich an Magdalena wendend, die mit Leonce sprach, »ich verzeihe Dir für heute und erlaube Dir, morgen zur Beichte zu kommen, unter der Bedingung, daß Du von diesem Augenblick an Dich allen Vorschriften dieser edeln und tugendhaften Dame unterziehst, welche sich gütigst für Dich interessiren und Dir helfen will, der Sünde zu entgehen.«

Das Wort Sünde verursachte bei Magdalena das gleiche Staunen und Zweifeln, wie die andern Male; allein befriedigt durch das Wohlwollen ihres Pfarrers und besonders durch die Theilnahme, welche die edle Dame ihr bewies, machte sie dem Einen eine Verbeugung und küßte der Andern die Hand. Von Leonce über die Verfahrungsart befragt, die sie anwende, um ihre Vögel mit Liebe und Gehorsam an sich zu fesseln, verweigerte sie eine Erklärung und behauptete, daß sie ein Geheimniß besitze.

»Marsch, Magdalena, das ist nicht gut,« sagte der Pfarrer, »und wenn Du willst, daß ich Dir Alles vergebe, so mußt Du anfangen, der Lüge zu entsagen. Es ist ein schwerer Fehler, den Aberglauben zu unterhalten zu suchen, besonders wenn es geschieht, um Nutzen daraus zu ziehen. Hier würde Dir das übrigens Nichts helfen. Auf den Märkten, die Du besuchst, um Dein Talent zu zeigen, (zwar ganz gegen meinen Willen, denn dieses Herumstreichen paßt nicht für ein frommes Mädchen), kannst Du einfältige Leute überzeugen, daß Du einen Zauber besitzest, um den ersten vorüberfliegenden Vogel an Dich zu locken und ihn, so lang es Dir gefällig ist, zurückzuhalten. Allein Deine kleinen Kameraden hier wissen wohl, daß in diesen Bergen, wo die Vögel selten sind, und Du Dein Leben mit Umherlaufen und Ausfstöbern zubringst, Du alle Nester, sobald sie gebaut werden, entdeckst, daß Du Dich der jungen Brut bemächtigst und die Eltern zwingst, ihre Kleinen auf Deinen Knieen zu füttern. Man weiß, wie geduldig Du ganze Stunden lang gleich einer Bildsäule oder einem Baume unbeweglich bleibst, damit diese Thierchen sich gewöhnen, Dich zu sehen, ohne Dich zu fürchten. Man weiß, daß sobald sie gezähmt sind, sie Dir überall hinfolgen, um ihr Futter von Dir zu empfangen, und daß, einem bewundrungswürdigen Instinkt des Gedächtnisses und der Anhänglichkeit folgend, womit mehrere Gattungen besonders begabt sind, sie Dir ihre Familien zuführen, so sehr sie sich auch vermehren. Alles das ist kein Hexenwerk. Jeder von uns könnte ein Gleiches thun, wenn man, wie Du, vernünftigen Beschäftigungen und einer nützlichen Arbeit fremd wäre . . .

»Spiele daher nicht die Zauberin und die Inspirirte, wie gewisse berühmte Betrüger des Alterthums und unter Andern ein elender Apollonius von Thyana, welchen die Kirche als falschen Propheten verdammt und der die Sprache her Sperlinge zu verstehen behauptete. Was diese edeln Personen betrifft, so hoffe nicht, sie zum Besten halten zu können. Ihr Verstand und ihre Bildung gestatten ihnen nicht, zu glauben, daß ein Püppchen, wie Du, mit einer übernatürlichen Macht begabt sei.«

»Wohlan, Herr Pfarrer,« sagte Lady G***, »Sie hätten Nichts sagen können, das mir weniger angenehm gewesen, noch über den Aberglauben eine Predigt halten können, die übler angebracht gewesen wäre. Ihre Erklärungen befeinden die Poesie, und ich glaube hundertmal lieber, die arme Magdalena besitze eine geheimnißvolle, ja sogar wunderbare Gabe, wenn Sie wollen, als daß ich meine Einbildungskraft durch das Annehmen abgedroschener Wahrheiten erkalten lasse. Tröste Dich,« sagte sie zu dem Vogelmädchen, das vor Aerger weinte und den Pfarrer mit einer Art naiver und stolzer Entrüstung anschaute, »wir halten Dich für eine Fee und erklären uns von Deinem Zauber gefesselt.«

»Uebrigens erklären die Erklärungen des Herrn Pfarrers Nichts. Sie bestätigen Thatsachen und enthüllen die Ursachen davon nicht. Um in solchem Grade freie und in natürlicher Wildheit lebende Wesen zu zähmen, bedarf es eines besondern Geschicks, einer Art ganz ausnahmsweisen geheimen Magnetismus. Jeder von uns würde sich vergeblich dieser Erziehung widmen, welche das geheimnißvolle Verhängniß dem Instinkt dieses jungen Mädchens enthüllt.«

»Ja, ja!« rief Magdalena, deren Augen sich entstammten, als hätte sie Leoncen’s Beweisführung vollkommen wohl verstanden, »ich wette auch, der Herr Pfarrer kann nicht eine einzige Henne in seinem Hofe zähmen, und ich zähme die Adler des Gebirges.«

»Die Adler, Du?« sagte der Pfarrer, empfindlich, Sabina in Lachen ausbrechen zu sehen; »das wirst Du wohl bleiben lassen! Die Adler lassen sich nicht zähmen wie Lerchen. Da sieht man, was bei so albernem Treiben und wunderlichen Anmaßungen herauskommt. Man lernt lügen, und so geht’s Dir, kleine Unverschämte!«

»Ach! entschuldigen’s, Herr Pfarrer,« sagte ein junger Ziegenhirte, der sich aus der Gruppe der übrigen Kinder weggeschlichen hatte und die Unterhaltung der edeln Gäste mitanhörte. »Seit einiger Zeit zähmt Magdalena wirklich Adler. Ich habe es gesehn. Ihr Verstand wird immer größer, und bald wird sie die Bären zähmen, das ist gewiß.«

»Nein, nein, nie!« antwortete das Vogelmädchen mit einer Art Schrecken und Abscheu, die sich in allen ihren Zügen malten. »Mein Geist verträgt sich nur mit dem, was in den Lüften schwebt.«

»Nun, was sagt ich Ihnen?« rief Leonce, von diesem Worte betroffen. »Sie fühlt, obwohl sie weder Andern noch sich selbst Rechenschaft darüber ablegen kann, daß sie durch unerklärliche Verwandtschaftsbeziehungen gewisse Wesen an sich lockt. Diese vertraulichen Beziehungen sind in unsern Augen Wunder, weil wir das Naturgesetz davon nicht erfassen können, und die Welt der physischen Dinge ist voll solcher Wunder, die uns alle entgehen. Seien Sie überzeugt, Herr Pfarrer, der Teufel hat mit diesen Dingen Nichts zu schaffen; Gott allein besitzt das Geheimniß des ganzen Räthsels und leitet das ganze Mysterium.«

»Wohlan, das laß ich gelten,« sagte der Pfarrer, von dieser Erklärung ziemlich befriedigt. »Ihrer Meinung nach gäbe es also zwischen gewissen verschiedenen Organisationen unbekannte Beziehungen? Vielleicht dünstet diese Kleine einen nur dem feinem Geruchssinn dieses Vogelgeschlechte merklichen Geruch aus?«

»So viel ist gewiß,« sagte Sabina lachend, »daß sie ein Vogelprofil hat. Betrachten Sie einmal ihre kleine, gekrümmte Nase, ihre lebhaften, hervorstechenden Augen, ihre beweglichen und blassen Augenlieder, dazu ihre Leichtigkeit, ihre wie Flügel behenden Arme, ihre gleich Vogelfüßen feinen und festen Beine, und Sie werden sehen, daß sie einem jungen Adler ohne Schnabel und Krallen gleicht.«

»Wie Sie wollen,« sagte Magdalena, die, mit einer raschen Fassungskraft begabt, Alles zu verstehen schien, was in Betreff ihrer gesagt wurde. »Aber außer der Gabe, mich beliebt zu machen, habe ich auch die, mich verständlich zu machen; ich besitze eine Wissenschaft und wette, daß kein Anderer entdeckt, was ich weiß. Wer von Ihnen wird mir sagen, zu welcher Stunde man sich Gehorsam erzwingen kann und zu welcher nicht? welches Schreien oder Rufen in weiter Ferne gehört werden kann? an was für Orte man sich stellen muß? welche Einflüsse man entfernen soll, welches Wetter günstig ist? Ach! Herr Pfarrer, wenn Sie die Leute zu überzeugen wüßten, wie ich die Thiere anzulocken weiß, Ihre Kirche wäre reicher und Ihre Heiligen würden besser gefeiert.«

»Sie hat Verstand,« sagte der Pfarrer Polterer, welcher im Grund ein gutmüthiger und heiterer Polterer war, besonders nach dem Trinken; »allein es steckt ein Teufelsgeist in ihr und ich muß sie einmal exorcisiren. Unterdeß, Madalon, laß Deine Adler kommen.«

»Und wo sollte ich sie zu dieser Stunde hernehmen?« antwortete sie schalkhaft. »Wissen Sie, wo sie sind, Herr Pfarrer? Wenn Sie es wissen, so sagen Sie es, und ich geh und hohl sie Ihnen.«

»Geh nur hin, weil Du behauptest, es zu wissen.«

»Sie sind, wo ich jetzt nicht hingehen kann. Ich sehe wohl, Herr Pfarrer, daß Sie es nicht wissen. Wenn Sie aber diesen Abend bei Sonnenuntergang mit mir kommen wollen und keine Furcht haben, so sollen Sie Etwas sehen, worüber Sie staunen werden.«

Der Pfarrer zuckte die Achseln, allein Sabinas glühende Einbildungskraft bemächtigte sich dieser Grille.

»Ich will mitgehen, ich,« rief sie, »ich will keine Furcht haben, ich will das Erstaunliche beobachten, ich will an den Teufel glauben und ihn sehen, wenn es sich thun läßt!«

»Ganz sachte!« sagte ihr Leonce ins Ohr, »Sie haben meine Erlaubniß noch nicht, theure Kranke.«

»Ich erbitte sie mir, ich entreiße sie Ihnen, liebenswürdiger Doktor.«

»Nun, das werden wir sehen, ich will die Zauberin befragen und darüber entscheiden, wie ich für gut finde.«

»Ich zähle also auf Ihren Wunsch, auf Ihr Versprechen, mich zu amüsiren. Wollen wir aber nicht inzwischen nach der Villa zurückkehren, um zu sehen, wie Mylord G*** geschlafen hat?«

»Wenn Sie Ihren Willen haben wollen, so gebe ich meine Demission.«

»Gott behüte! Bisher habe ich mich nicht einen Augenblick gelangweilt. Thun Sie daher, was Sie für zweckmäßig erachten; wo Sie mich aber hinführen mögen, da lassen Sie mich auch das Vogelmädchen mitnehmen.«

»Das war ganz meine Absicht. Glauben Sie denn, sie sei zufälligerweise hiehergekommen?«

»Sie kannten sie also? Sie haben also eine Zusammenkunft mit ihr verabredet?«

»Fragen Sie mich nicht.«

»Ich vergaß! Behalten Sie Ihre Geheimnisse; ich hoffe indeß, Sie werden deren noch mehr besitzen?«

»Gewiß besitze ich deren noch mehr, und ich künde Ihnen an, Madame, daß dieser Tag nicht ohne Aufregungen, die in der kommenden Nacht Ihren Schlaf stören werden, herumgehen wird.«

»Aufregungen! Ach! welch ein Glück!« rief Sabina; »werde ich die Erinnerung daran lange bewahren?«

»Ihr Leben lang,« sagte Leonce mit einem Ernst, welcher über den Scherz hinaus zu gehen schien.«

»Sie sind eine höchst seltsame Person,« entgegnete sie. »Sollte man nicht meinen, Sie glaubten an Ihre Macht über mich, wie Magdalena an die ihre über die Adler.«

»Sie besitzen den Stolz und die Grausamkeit dieser Könige der Lüste, und ich habe vielleicht Magdalenens feine Beobachtungsgabe, ihre Geduld und List.«

»List? Sie machen mir Furcht.«

»Eben das will ich. Bisher haben Sie mich verhöhnt, Sabina, und zwar gerade weil Sie mich nicht kannten.«

»Ich?« sagte sie etwas bewegt und von der seltsamen Wendung, welche Leonces Geist nahm, gequält. »Ich sollte meinen Jugendfreund, meinen treuherzigen Cavaliere servente nicht kennen? Das ist eben so vernünftig, als mir zu sagen, ich lasse mir einfallen, Sie zu verhöhnen.«

»Sie haben doch gesagt, Madame, Geschwister bleiben einander ewig unbekannt, weil die interessantesten und lebendigsten Punkte ihres Wesens nie mit einander in Berührung kommen. Ein Mysterium, tief wie diese Klüfte, trennt,uns.›Sie werden mich nie kennen!‹ haben Sie gesagt; wohlan, Madame, heute behaupte ich, Sie zu kennen und von Ihnen nicht gekannt zu werden. Das heißt so viel als,« fügte er hinzu, da er sah, wie Mißtrauen und Schreck «sich auf Sabina’s Zügen malten, »daß ich mich ergebe, Sie mehr zu lieben, als ich von Ihnen geliebt zu werden fordern will und kann.«

»Vorausgesetzt, daß wir Freunde bleiben, Leonce,« sagte Lady G***, plötzlich von einer Angst beherrscht, die sie sich selbst nicht erklären konnte, »willige ich ein, Sie diesen Scherz forttreiben zu lassen; wo nicht, so will ich auf der Stelle nach der Villa zurückkehren und mich wieder unter die bleierne Glocke des ehelichen Joches stellen.«

»Wenn Sie es fordern, so gehorche ich, ich werde wieder Weltmann und unterlasse die Wunderkur, die Sie mir zu unternehmen gestattet haben.«

»Und für die Sie doch einstehen! Das wäre Schade.«

»Ich kann noch jetzt dafür einstehen, wenn Sie nicht Widerstand leisten. Eine völlige, unerhörte Umgestaltung kann sich heute in Ihrem moralischen und intellectuellen Leben bewerkstelligen, wenn Sie bis heute Abend Ihre Willensherrschaft abschwören.«

»Aber welch ein Vertrauen auf Ihre Ehre muß man nicht haben, um sich Ihnen solchergestalt zu unterwerfen?«

»Halten Sie mich eines Mißbrauchs fähig? Sie können sich durch den Pfarrer nach der Villa zurückbegleiten lassen. Ich, ich gehe in das Gebirge, um weniger kluge und weniger argwöhnische Adler zu suchen.«

»Mit Magdalena, ohne Zweifel?«

»Warum nicht?«

»Wohlan, die Freundschaft hat ihre Eifersucht, wie die Liebe: Sie werden nicht ohne mich gehen.«

»So brechen wir denn auf!«

»Aufgebrochen!«

Lady G*** stand mit einer Art Ungestüm auf und schlang den Arm des Vogelmädchens in den ihrigen, als hätte sie sich einer Beute bemächtigen wollen. Im Nu trugen die Kinder das Frühstückgeräth in den Wagen zurück. Alles ward wie durch Zauber gewaschen, geordnet und eingepackt. Einer geschäftigen Sybille ähnlich, leitete die Negerin die Bewerkstelligung des Ganzen; Leonce’s Freigebigkeit lieh auch den Trägsten Flügel und den Ungeschicktesten Gewandtheit.

»Mir ist,« sagte Sabina, als sie ihn so thätig sah, »ich wohne der phantastischen Hochzeit in dem Mährchen Gracieuse und Percinet bei, wo die irrende Prinzessin im Walde die Zauberschachtel öffnet und man eine Armee Küchenjungen in Miniatur und Diener aller Arten herauskommen sieht, welche den Bratspieß wenden, kochen und die fröhliche Bande der Liliputer mit einem trefflichen Mahle bedienen, Alles singend und tanzend, wie diese kleinen ländlichen Pagen.«

»Die Anwendung ist hier wahrer, als Sie wohl denken mögen,« antwortete Leonce. »Erinnern Sie sich nur des Mährchens, dieses reizenden Phantasiestücks recht, welches selbst Hoffmann nicht übertroffen hat. Es gibt einen Augenblick, wo die Prinzessin Gracieuse, für ihre unruhige Neugierde durch die Zauberkraft selbst, die sie nicht beschwören kann, bestraft, ihre ganze kleine Zauberwelt die Flucht ergreifen und sich im Gestrüppe zerstreuen sieht. Die Köche tragen den ganz rauchenden Bratspieß, die Musiker ihre Violinen weg, der Neuvermählte schleppt seine junge Gemahlin mit fort, die Eltern schelten, die Gäste lachen, die Diener fluchen, Alle laufen fort und spotten der Gracieuse, welche mit ihren schönen Händen sie vergeblich zu fassen, zurückzuhalten und wieder zu versammeln sucht. Wie behende Ameisen entwischen sie, schlüpfen ihr durch die Finger, verbreiten sich und verschwinden unter dem Moose und den Veilchen, welche für sie gleichsam ein schützender Hochwald, ein undurchdringliches Gehölz sind. Die Schachtel bleibt leer, und erschrocken sieht sich Gracieuse wieder der Macht der bösen Genien anheimfallen, als . . .«

»Als der liebenswürdige Leonce, ich will sagen, der allmächtige Prinz Percinet,« ergänzte Sabina, »der Schützling der guten Feen, ihr zu Hülfe kommt und mit einem Ruthenschlag Eltern und Brautleute, Küchenjungen und Bratspieße, Spielmänner und Geigen in die Schachtel zurückführt.«

»Dann sagte er zu ihr,« fuhr Leonce wieder fort:›Wissen Sie, Prinzessin Gracieuse, daß Sie nicht erfahren genug sind, um die Welt mit ihren Launen zu beherrschen; Sie säen sie mit vollen Händen auf den dürren Boden der Wirklichkeit, und behender und feiner als Sie, entschlüpfen sie Ihnen, und Sie stehen verrathen. Ohne mich hätten sich diese verloren, wie die Insekten, welchen das Auge vergeblich in ihre geheimnißvollen Schlupfwinkel im Rasen und an Blättern folgt; und dann hätten Sie sich mit der Furcht und der Neue in diesem einsamen und entzauberten Orte allein befunden. Keine frischen Schattenplätze, keine murmelnden Wasserfälle, keine balsamischen Blumen, keine Gesänge, nicht Tanz und Lachen auf dem grünen Teppich mehr! Nichts mehr, als der unter den laublosen Platanen pfeifende Wind, und die ferne Stimme wilder Thiere, welche mit dem blutigen Stern der Nacht in die Lüfte steigt. Mir haben Sie es indeß zu verdanken, daß Sie nie vergeblich bitten, alle Ihre Schätze sind wieder in dem Zauberkästchen verwahrt und wir können unsern Weg fortsetzen, überzeugt, diese, wann wir wollen, bei einem neuen Halt im Reiche der Träume wiederzufinden.‹ «

Teverino

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