Читать книгу Die Schlacht um Viedana: Die Abenteuer der Koboldbande (Band 2) - Jork Steffen Negelen - Страница 6

Die Flamme des Krieges

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Im Hafen von Krell liefen in besseren Zeiten zu fast jeder Stunde die Schiffe reicher Kaufleute aus allen Teilen der Welt ein. Doch jetzt, da alles auf einen Krieg hinauslief, kamen immer weniger Schiffe. Umso genauer konnten die Hafenwachen ihre Kontrollen durchführen. Manche Schiffe waren von feindlichen Obinarern angegriffen und beschädigt worden. Auch das wurde dem König nun jedes Mal gemeldet. Schon vor Tagen ließ deshalb König Core von Avanura seinen Bruder Harold eine geheime Botschaft zukommen.

Darin teilte er ihm mit, dass er nicht länger warten konnte. Er wollte in den nächsten Tagen mit seiner Flotte einen Angriff gegen die Obinarer wagen. Gerade war Core im Hafen mit der Besichtigung einer neuen Galeere beschäftigt, da ereilte ihn die Nachricht, dass alle seine Boten von den Obinarern abgefangen worden waren. Ein Spähtrupp hatte die Toten gefunden und beerdigt. Die Botschaft selbst fehlte.

Der Unterführer des Spähtrupps hatte zum Beweis die leere Tasche des Boten mitgebracht. An ihr klebte noch das Blut des tapferen Mannes. Wütend stand der König auf dem Deck der Galeere und starrte auf die Tasche. Dann drehte er sich zu seinem Admiral um. Gohtas von Albog war genau das, was man getrost einen alten Seebären nennen konnte. Mit seiner nicht mehr ganz neuen Rüstung, dem grauen Bart und den langen Haaren sah er Respekt einflössend aus.

Der König machte einen Schritt auf den Admiral zu und drückte ihm die Tasche in die Hand. »Da haben wir extra zum Schutz des Boten zwanzig unserer besten Soldaten mitgeschickt und nun sind sie alle auf unserem eigenen Gebiet getötet worden. Die nächste Botschaft wird mein königlicher Bruder aber ganz bestimmt erhalten. Seine eigenen Späher werden ihm schon berichten, dass wir die Obinarer angreifen. Ich kann jetzt nicht länger warten.« Der Admiral sah sich die Tasche kurz an und gab sie dem Unterführer zurück. Mit einem Wink ließ er ihn gehen.

»Mein König, wann soll die Flotte auslaufen? Wir sind schon längst bereit für den Krieg. Sagt mir also, wie lauten Eure Befehle?«

Core sah in das von Wind und Wetter gegerbte Gesicht seines Admirals. Jede Furche im Gesicht dieses kräftigen Mannes verriet sein abenteuerliches Leben auf dem Meer. Gohtas war nicht nur der erste Admiral des Königs. Er war vielmehr ein väterlicher Freund und Ratgeber. Core zeigte hinüber zum Leuchtturm des Hafens.

»Lasst auf dem Turm die Flamme des Krieges entzünden. Wir laufen mit Anbruch der Nacht aus. Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Die Weiber sollen sich von ihren Männern verabschieden und jeder soll seinen Kindern einen Kuss von mir auf die Stirn drücken. Möge uns unser Schöpfer gnädig sein.«

Mit einem Ruck drehte sich der König um und verließ die Galeere. Für ihn war die Besichtigung beendet. Er stieg auf sein Pferd und rief dem Admiral zu: »Wir treffen uns in einer Stunde auf Eurem Flaggschiff.« Dann gab er seinem Pferd die Sporen und preschte mit seinem Gefolge zur Stadtburg. Der Admiral sah ihm nach. Als der König nicht mehr zu sehen war, ging er selbst von Bord der Galeere und gab einem Hauptmann der Hafenwache den Befehl zum Entzünden der Kriegsflamme. Dieses Signal verstand jeder Mann, jedes Weib, ja sogar jedes Kind in Krell sofort. Die Menschen strömten zu Tausenden in den Hafen und wollten ihre Seemänner und Soldaten auf den Galeeren verabschieden. Bevor der König eine Stunde später zum Flaggschiff seines Admirals eilte, stattete er noch dem Leuchtturm einem Besuch ab. In der Flamme des Krieges entzündete er eine Fackel. Diese trug er selbst zum Admiral und übergab sie ihm feierlich. Für alle war dies das Signal zum Aufbruch.

Als die Frauen und Kinder ihre Männer und Väter weinend verabschiedeten, jubelten die zurückbleibenden Soldaten ihren Kameraden auf den Galeeren zu. Jetzt hatte für sie das Warten ein Ende. Zum Schluss hielt der König vor dem Flaggschiff noch eine kurze Ansprache. »Bürger von Krell und ganz Avanura! Heute ist die Entscheidung gefallen. Ich habe den Befehl zum Entzünden der Flamme des Krieges gegeben. Wir ziehen gegen die Obinarer und all ihre Verbündeten. Mein Bruder wird in Viedana davon erfahren und selbst zu den Waffen greifen. Dann werden wir gemeinsam siegen. Wir müssen eine große Gefahr bannen. Wir haben lange genug verhandelt. Immer wieder haben die Obinarer unsere Handelsschiffe angegriffen und jedes Mal haben sie behauptet, nicht sie, sondern die Piraten wären es gewesen. Doch jetzt ist die Stunde der Vergeltung angebrochen. Wir werden sie für ihre verdammten Lügen bestrafen. Der gute Admiral Gohtas von Albog wird unsere Flotte zu neuen ruhmreichen Siegen führen!«

Ein ohrenbetäubender Jubel überflutete den Hafen. Mit Fahnen und bunten Tüchern wurde gewunken und das Volk ließ immer wieder den König und seinen Admiral hochleben. Dann legten die Galeeren eine nach der anderen von ihren Liegeplätzen ab. Die Segel der stolzen Schiffe blähten sich im Wind und langsam nahmen sie Fahrt auf. Gohtas ließ seine Ruderer an die Ruderbänke gehen, damit sich sein Flaggschiff an die Spitze setzen konnte. Es war erst vor kurzem erbaut worden und eine Nichte des Admirals hatte die Galeere Silberne Stute getauft. Gohtas war hoch zufrieden, sie nahm sehr schnell Fahrt auf und lag gut im Wind. Die Soldaten, die an den Ruderbänken waren, hatten nicht viel Mühe, ihr Flaggschiff an die Spitze der Flotte zu bringen. Die Silberne Stute hätte in Friedenszeiten wohl jedes Rennen gewonnen.

Gohtas schaute, zusammen mit dem Kapitän der Silbernen Stute, den anderen Galeeren zu. Immer wieder gab er einem der Matrosen Anweisungen für Flaggensignale. Als alle Galeeren in ihrer vorgesehenen Position waren, wandte sich Gohtas dem Kapitän zu. »Sagt, Kapitän Lionos, ist diese Galeere nicht Euer erstes eigenes Kommando?«

Der junge Kapitän grinste über das ganze Gesicht. »Das wisst Ihr bestimmt so gut wie ich, Admiral. Ich hatte bisher immer das Vergnügen, auf Eurem Flaggschiff zu dienen. Kein Schiffsknecht kennt Euch so gut wie ich. Ihr habt mehr als zweihundert Galeeren unter Eurem Kommando, doch ausgerechnet auf Eurem Flaggschiff bekomme ich mein erstes Kommando als Kapitän.«

Gohtas musste nun selbst lächeln. »Ich gebe zu, dass ich das so gewollt habe. Doch ich wollte den besten Mann der Flotte auf diesem Posten haben. Ich kenne keinen, der Euch in irgendeiner Weise gleicht. Ihr seid der Beste, und deshalb seid Ihr für mich so wichtig. Sollte ich ausfallen, so muss ich sicher gehen, dass es noch einen gibt, der mich im Notfall vertreten kann. Ich habe in meiner Kabine genaue schriftliche Order für einen solchen Fall hinterlassen.«

Kapitän Lionos war für den Admiral gleich in mehrfacher Hinsicht unentbehrlich. Er kannte alle Pläne und wusste genau, wie man eine so große Flotte zu führen hatte. Gohtas nannte ihn oft in Gedanken seinen Meisterschüler. Von Anfang an hatte er ihn härter arbeiten lassen als jeden anderen. Oft musste Lionos in den alten Büchern lesen und die Taktiken früherer großer Admiräle studieren. Doch es hatte sich gelohnt. Wenn dieser Krieg vorbei war, dann wollte sich Gohtas endgültig zurückziehen und den jungen Kapitän Lionos als seinen Nachfolger vorschlagen. Der König würde gewiss nicht nein sagen.

Gohtas übergab Lionos das Kommando und zog sich in seine Kabine zurück. Der Kapitän stand nun allein neben dem Steuermann und sah, wie die anderen Galeeren wegen der aufkommenden Nacht die Positionslichter entzündeten. Die Flotte segelte vorbei an den Felsenriffen einer längst versunkenen Insel, an deren Namen sich niemand mehr erinnern konnte. Lionos sah sie wie schwarze Gestalten im Meer sitzen. Schon so manches schöne Schiff war in stürmischer Nacht an diesen Riffen für immer verlorengegangen und viele arme Seemänner hatten das mit ihrem Leben bezahlt. Deshalb wurden die Felsenriffe auch Seemannstod genannt. An die Reling gelehnt, schaute Lionos in Gedanken versunken diesen gefährlichen Riffen nach.

Was dort wohl an Schätzen für immer versunken sein mag? Vor dem geistigen Auge des Kapitäns öffneten sich unwillkürlich die sagenhaftesten Schatztruhen. Er meinte, Gold und Edelsteine in unermesslicher Fülle und Pracht zum Greifen nah zusehen. Doch der Steuermann brachte ihn mit einer Frage in die Wirklichkeit zurück. »Kapitän, es ist bereits finstere Nacht. Wollt Ihr nicht schlafen gehen?« Lionos wachte aus seinen Gedanken auf. »Ja, ja, das ist bestimmt eine gute Idee. Ich weise noch die Wachen ein und lege mich dann aufs Ohr.«

Nach dem die Wachen genau eingewiesen waren verschwand auch der Kapitän in seine Kabine. Der Steuermann sah ihm kopfschüttelnd nach. Ein Glück das es eine sternenklare Nacht war, da war das Navigieren kein Problem.

Am nächsten Morgen wurden die Besatzungen schon recht früh geweckt. Die Alarmglocken läuteten. Hoch oben auf dem Mast hatten die Wachen im Ausguck ein Schiff entdeckt. Als es die Flotte bemerkte, hatte es ein halsbrecherisches Wendemanöver durchgeführt und versuchte nun mit aller Kraft zu entkommen. Gohtas erschien auf dem Deck. Lionos hatte gerade die Verfolgung befohlen. Auch einige andere Galeeren der Flotte beteiligten sich daran. Der Kapitän stellte sich neben seinem Admiral. »Wollt Ihr selbst die Verfolgung befehligen, mein Herr, oder wollt Ihr noch ein wenig diesen wunderbaren Morgen genießen und zuschauen? Ich habe schon das Bugkatapult in Stellung bringen lassen.«

Gohtas sah sich die Manöver der flüchtenden Galeere aufmerksam an. »Behaltet das Kommando. Achtet aber darauf, dass Ihr die Ruderer nicht zu lange an den Riemen lasst. Wir brauchen sie für unseren Angriff. Am besten ist es, wenn sie beim Rudern in Wein getauchtes Brot bekommen.«

Lionos nickte zustimmend und gab die entsprechenden Befehle weiter. Unten, auf den Ruderbänken, legten sich die Soldaten mit aller Kraft in die Riemen. Die Gehilfen des Rudermeisters tauchten große Stücke Brot in Weinkrüge und stopften es den Soldaten in den Mund. Der Rudermeister selbst gab mit einer großen Pauke den Takt vor. Bei jedem Schlag zogen die Soldaten ihre Ruder durch das Wasser des Meeres.

Lionos stand oben auf dem Kommandodeck neben dem Admiral. Angestrengt sahen beide zu der Galeere. Der Abstand blieb jetzt in etwa gleich. Lionos schüttelte den Kopf. »So wird das nichts werden. Seht mein Admiral, im Wasser treibt ihre Ladung. Sie haben ihre Ware über Bord geworfen. Wir müssen unbedingt bis auf Schussweite herankommen. Ich lasse stärker am Wind segeln.« Der Kapitän rief dem Steuermann einen Befehl zu. Einen Augenblick später lag die Silberne Stute stärker am Wind und holte tatsächlich langsam auf. Stück für Stück näherte sie sich der feindlichen Galeere auf Schussweite. Die Spannung wuchs mit jedem Atemzug. Gohtas befahl Lionos beim Steuermann zu bleiben, er selbst wollte das Katapult übernehmen. Als der Admiral am Bug ankam, ließ er es mit einer Steinkugel laden und für den ersten Schuss ausrichten. Dann schätzte er die Entfernung zu den Flüchtenden. Die Bedienungsmannschaft sah ihn erwartungsvoll an. Doch der Admiral schüttelte den Kopf. »Da müssen wir wohl noch einen Augenblick Geduld haben. Ich würde ihnen am liebsten den Mast wegschießen, doch wir müssen noch näher heran.«

Gohtas drehte sich um und sah zum Großsegel. Es blähte sich im Wind und trieb mit aller Macht die Galeere voran. Der gleichmäßige Takt der Pauke des Rudermeisters war zu hören. Der Admiral lief zur Luke, die nach unten zu den Ruderbänken führte. Damit der Rudermeister ihm überhaupt hören konnte, brüllte er mit aller Kraft seinen Befehl nach unten. »Rudermeister! Geh sofort auf Rammgeschwindigkeit und halte sie, so lange die Männer das schaffen!«

Der Rudermeister brüllte los. »Rammgeschwindigkeit!« Dann verdoppelte er den Takt seiner Pauke. Gohtas rannte zum Katapult zurück. Gleich musste die fliehende Galeere in Reichweite sein. Tatsächlich näherte sich die Silberne Stute nun beträchtlich schneller. Das sah der feindliche Kapitän wohl mit Schrecken.

Er versuchte verzweifelt mit einem Manöver den Kurs so zu ändern, dass er aus der Reichweite der silbernen Stute blieb. Doch das war ein schwerer Fehler. Er kam vom Wind ab und verlor sofort an Fahrt. Gohtas bemerkte es mit Freuden. Sein Befehl war auf dem ganzen Schiff zu hören. »Feuer frei! Schießt ihnen den Mast weg!« Der Wurfarm des Katapultes schnellte in die Höhe und die schwere Steinkugel sauste im hohen Bogen zu ihrem Ziel. Doch sie verfehlte den Mast und schlug stattdessen im Mastkorb ein. Ein Bogenschütze wurde getroffen und fiel schreiend auf das Deck. Gohtas konnte es kaum fassen. »Sofort laden und feuern! Nehmt die Kettenkugeln! Wir müssen den Mast knicken, bevor sie wieder am Wind sind!« Wieder schnellte der Wurfarm hoch und die Kettenkugeln fanden ihr Ziel. Kurz unter der Rah des Segels zerschmetterten sie den Mast. Krachend schlug das Segel mit der schweren Rah auf das Deck. Jetzt hatte die feindliche Galeere kaum noch Fahrt und die Silberne Stute näherte sich ihr als erstes. Dem Kapitän der schwer beschädigten Galeere blieb keine Wahl. Er ließ am Heck eine weiße Fahne hissen und seine Mannschaft legte ihre Waffen nieder.

Lionos befahl dem Rudermeister, das Rudern einzustellen und die völlig erschöpften Soldaten ablösen zu lassen. Auf beiden Schiffen wurden die Ruder eingezogen und die Galeeren näherten sich nun langsam einander. Mit Wurfankern zogen die Soldaten sich an die fremde Galeere heran und legten Enterbrücken aus. Mit einem Jubelschrei stürmten sie auf das Deck des Gegners und nahmen die Mannschaft endgültig gefangen. Es waren ausschließlich obinarische Kaufleute und Matrosen. Gohtas und Lionos kamen an Bord des erbeuteten Schiffes und schauten sich die Mannschaft an. Neben dem Mast lagen zwei tote Matrosen. Sie waren von der Rah erschlagen worden.

Der Kapitän der Obinarer stellte sich nun vor. »Ich bin Byros, Kapitän dieser Handelsgaleere.« Der Admiral grinste seinen Kapitän an und rieb sich die Hände. Dann wandte er sich Byros zu.

»Euer Schiff gehört jetzt mit der gesamten Ladung meinem Herren, dem König von Avanura. Übergebt mir Eure Frachtbriefe und haltet Euch für eine Befragung bereit.« Gohtas hielt für einen Augenblick in seiner Rede inne und tat so, als ob er kurz angestrengt nachdächte. Er tippte sich an die Stirn. »Äh, wie soll ich es sagen? Wie kommt ihr Obinarer nur auf die unheimlich kluge Idee, einer ganzen Flotte davonsegeln zu wollen? Ihr könnt Euch doch an den fünf Fingern eurer rechten Hand abzählen, dass mindestens eine unserer Galeeren schneller ist als eure eigene.«

Er ließ den Kapitän der Obinarer mit seiner Antwort stehen und schaute sich die Galeere an. Die Rudersklaven wurden auf Deck geführt und mit Wasser versorgt. Sie waren alle in einem erbärmlichen Zustand. Um ihre Hüften baumelten die Reste einstiger Hosen. Sonst hatten sie nichts weiter am Leib. Die Haare und die Bärte waren lang und verfilzt. Auf ihren Rücken sah man deutlich die frischen Striemen, die von den Peitschen ihrer Aufseher stammten. Meist waren sie aufgeplatzt und bluteten. An den nackten Füßen hatten sie Fesseln mit Eisenringen. Kurz vor einem Kampf zogen die Aufseher gewöhnlich Ketten durch diese Ringe. So waren sie an ihre Ruderbank gefesselt und konnten bei einem Untergang ihrem Schicksal nicht entkommen. Einige husteten und rangen noch immer nach Luft. Sie alle waren vom harten Rudern völlig erschöpft.

Lionos sah durch die Luke, die unter Deck zu den Ruderbänken führte. Dann sah er Gohtas an. »Die Hälfte der Rudermannschaft ist noch hier unten. Sie sind zu schwach, um auf Deck zu kommen.« Gohtas schaute selbst hinein. Der Leibarzt des Admirals war mit seinen Gehilfen gerade nach unten gegangen. Ein unbeschreiblicher Gestank schlug Gohtas entgegen. Doch noch viel unbeschreiblicher war das, was er sah. Einige Männer waren so blutig geschlagen, dass selbst dem härtesten Mann bei ihrem Anblick die Tränen in die Augen schossen. Vor Wut schnaubend drehte sich Gohtas um und zog sein Schwert. Er stürzte auf dem Kapitän der Obinarer zu und wollte ihn auf der Stelle niedermetzeln. Lionos und einige beherzte Soldaten hatten alle Mühe, ihren Admiral von seinem Vorhaben abzuhalten.

Dabei brüllte Lionos den Admiral an: »Nein mein Herr, das dürft Ihr nicht! Wir werden ihn lebend nach Krell bringen lassen! Dort soll man ihn mit seiner Mannschaft für ihre Verbrechen bestrafen!« Gohtas steckte sein Schwert weg und drehte sich um. Er sah sich die Rudersklaven mit ihren ausgemergelten Körpern an. Hilflos versuchten sie, sich die Sachen anzuziehen, die sie von der Mannschaft der Silbernen Stute bekamen.

Während die einen ihre Freiheit wieder bekamen, wurden die anderen in Ketten gelegt und auf einem Gefangenenschiff untergebracht. Um nicht den Kontakt untereinander zu verlieren, mussten jetzt alle Galeeren der Flotte ankern. Die erbeutete Galeere wurde in Windeseile wieder in Stand gesetzt, mit einer Mannschaft versehen, und schon zum Mittag war die Flotte wieder unterwegs.

Gohtas starrte beim Essen geistesabwesend ins Leere. Lionos ahnte, was ihn beschäftigte.

»Herr, Ihr seid mit Euren Gedanken abwesend. Ich befürchte, dass Euch die längst vergangenen Tage Eurer Gefangenschaft bei den Piraten wieder in den Sinn gekommen sind. Das war in Eurer Jugend und ist schon seit einer Ewigkeit vorbei. Immer wieder daran zu denken, ist falsch. Ihr müsst nach vorn sehen, mein Admiral.«

Gohtas sah Lionos lächelnd an. »Ihr braucht keine Angst zu haben, Kapitän. Ich habe tatsächlich noch an etwas anderes gedacht. Ihr erinnert Euch bestimmt, dass ich Euch einmal von der alten Piratenfestung Zandum erzählt habe. Von dort konnte ich nur mit Hilfe eines Geheimganges entkommen. Wenige Monate nach meiner Flucht haben dann die Obinarer die Festung belagert. Sie kannten den Gang nicht. Deshalb brauchten sie drei Monate, um die Festung zu erobern. Die Piraten hatten die Obinarer mehrfach an den Rand einer Niederlage getrieben. Mit wenigen hundert Mann konnten sie den Gegner damals immer wieder abwehren. Wenn den Piraten nicht die Lebensmittel ausgegangen wären, dann würden sie die Festung wohl noch heute halten. Schaut Ihr vom Meer aus zur Festung, so seht Ihr gleich den Wald, der die Festung von der Landseite her umgibt. Ein Stück westlich ist deutlich eine Felsengruppe zu sehen. Zwischen diesen Felsen findet man bestimmt noch heute den Eingang. Selbst wenn er an einigen Stellen verschüttet ist, so kann man ihn mit Sicherheit schnell wieder freilegen und sich in die Festung schleichen. Jetzt hört also meinen Plan.« Gohtas war nun wieder voll in seinem Element. Er zog Lionos ein wenig beiseite und erklärte weiter.

»Immer vorausgesetzt, die Obinarer haben tatsächlich noch ihre Flotte im Hafen vor der Festung, so müssen wir sie angreifen. Ich hoffe, wir können sie überraschen. Das würde uns einen Vorteil bringen und sie in die Festung treiben. Dort sitzen sie dann in der Falle. Wir tun so, als würden wir sie belagern. In Wahrheit aber kommen wir durch den Gang und vernichten sie.« Gohtas machte eine verschwörerische Miene. »Ich verwette eine neue Galeere gegen einen alten Hut, diese Obinarer kennen den Gang nicht. Deshalb vermute ich, dass diese Narren auch keine Ahnung haben, dass sich in einem der Gewölbe noch ein alter Schatz befindet. Ich habe ihn selbst gesehen. Haben wir die Obinarer erst einmal besiegt, so wird der uns auch in die Hände fallen. Der König wird mit uns zufrieden sein.«

Vom Gesicht des Kapitäns konnte Gohtas eine gewisse Ungläubigkeit ablesen. Darum fügte er schnell hinzu: »Ich weiß, was Ihr jetzt denkt. Wenn ich mich so reden höre, würde ich mir beinah selbst nicht glauben. Doch ich versichere Euch, ich habe diesen Schatz gesehen. Es ist eine Kiste mit kostbaren Waffen, altem Schmuck und Goldmünzen.«

Lionos nickte kurz, dann kam ihm eine Idee. »Na gut, wenn die Obinarer die Kiste noch nicht gefunden haben, dann finden wir sie eben. Aber das wichtigste ist die Festung und der Hafen davor. Wir haben hier auch eine gute Karte.« Lionos kramte in einem Haufen Karten auf dem Tisch herum und zog die Gesuchte hervor.

Stundenlang betrachteten die beiden die Karte und grübelten über ihren Angriffsplänen. Als Gohtas endlich gähnte und zum Fenster sah, bemerkten die beiden, dass der Abend angebrochen war. Lionos legte die Schiffsmodelle beiseite, mit denen er eben noch eine Taktik geübt hatte, und sah zu Gohtas. Der hatte sich ans Fenster gestellt und blickte hinaus. Als er die Wellen des Meeres betrachtete, sagte er mit leiser Stimme, so als ob er niemanden wecken wollte: »Wir können noch so viel über unsere Taktik und den Feind streiten, die Zukunft hat trotzdem ihre eigenen Pläne. Wir sind gut vorbereitet und müssen nun das Beste daraus machen.«

Lionos klopfte seinem Admiral auf die Schulter. »Lasst es für heute gut sein. Wir sollten noch etwas zum Abend essen und dann die Wachen kontrollieren. Wenn die Obinarer mit ihren Galeeren noch im Hafen von Zandum liegen, haben sie verloren. Die dicht gedrängten Schiffe werden wir verbrennen und uns dann der Festung annehmen.«

Es klopfte an der Tür und ein Wachsoldat kam herein. Er meldete, dass alles in Ordnung sei und eine ruhige Nacht anbrechen würde. Gohtas ließ den Soldaten gehen. Dann kontrollierte er mit Lionos zusammen die einzelnen Wachen auf der Galeere.

Am nächsten Morgen zeigte sich der Himmel von seiner schönsten Seite. Wie eine strahlende Majestät zog die Sonne vom Osten her auf und hüllte alles in ein wärmendes Licht. So manch ein Schiffsknecht sah sie an und musste sich erst mal gähnend ihrer hellen Pracht mit beiden Armen entgegenstrecken.

Als Gohtas auf dem Deck der Silbernen Stute erschien, hatte Lionos schon alle Kurskorrekturen vorgenommen und mit Signalflaggen weitergeben lassen. Er stellte sich neben den Kapitän. »Das ist ja ein wunderschöner Morgen, wie von einem Maler gemalt. Ich hoffe nur, dass uns nicht jeder Obinarer schon jetzt wittern kann.«

Lionos schüttelte den Kopf. »Nur keine Sorge, mein Admiral, bis zum Mittag sind wir zum Angriff auf die Obinarer bereit. Schaut Euch um. Eure Flotte hat schon begonnen, sich zum Angriff zu formieren. In wenigen Stunden sind wir vor der Festung Zandum.« Lionos sah mit Gohtas zu den anderen Galeeren. »Mein Herr, eines könntet Ihr mir verraten, wer dieser Festung nur diesen komischen Namen gegeben hat? Zandum, das klingt so, als ob einer zu faul war, sich einen besseren auszudenken.«

Gohtas war wegen dieser Frage etwas verwundert. Mit ernster Mine sah er Lionos an. »Mein lieber Kapitän, Ihr solltet nicht so viel spotten. Dieser Name ist schon verdammt alt. Dort, wo jetzt die Festung steht, war in grauer Vorzeit ein Tempel. Niemand weiß mehr, wer ihn einst erbaute. Als die Piraten dort ankamen, fanden sie nur noch eine Ruine vor und bauten auf ihr die Festung. Der Tempel geriet in Vergessenheit, doch sein Name ist geblieben. Wer den Tempel erbaute, und welche Gottheit dort angebetet wurde, das kann heute niemand mehr sagen.«

Lionos nickte, aber er erwiderte lieber nichts mehr. Ohnehin wurde nun die Aufmerksamkeit der beiden Männer auf die Manöver der anderen Galeeren gelenkt. Es galt jetzt, mehr als zweihundert Schiffe so zu dirigieren, dass sie wie eine Einheit handelten. Immer wieder mussten mit den Flaggen die einzelnen Galeeren in die Schlachtordnung eingewiesen werden. Da Lionos das so gut beherrschte, konnte Gohtas sich einen bequemen Stuhl auf das hintere Deck neben das Steuer des Steuermanns stellen lassen und den Aufmarsch in aller Ruhe verfolgen. Die Flotte stellte sich in einen dreifachen Halbkreis auf. Davor segelte die Silberne Stute.

In dieser Formation traf die Streitmacht zur Mittagstunde vor dem Hafen der Festung Zandum ein. Gohtas saß längst nicht mehr auf seinem Stuhl. Er stand am Bug Flaggschiff und schwenkte eigenhändig die Fackel seines Königs. Das war das Zeichen für den Angriff. Die Schiffstrommeln waren zu hören und die ersten Katapulte schleuderten ihre tödliche Ladung in den Hafen. Dort waren tatsächlich die ahnungslosen Obinarer noch dabei, die Beute der letzten Nacht zu teilen. Die meisten Galeeren ihrer Flotte lagen im Hafen vor Anker und ihre Mannschaften waren völlig überrascht. Schnell war ihnen klar, dass sie mit ihren eigenen Galeeren nicht mehr den Hafen verlassen konnten. Einige Bogenschützen versuchten, mit Feuerpfeilen die angreifenden Galeeren in Brand zu schießen, doch die waren noch nicht in Reichweite. Auf den Hafen prasselte eine Wolke von kleineren Steinen nieder. Mit Absicht ließ Gohtas keine großen Brocken verschießen. Er wollte so viele Rudersklaven wie nur irgend möglich retten. Die waren in den Galeeren unter Deck. Mit großen Geschossen hätte man die Galeeren versenkt und die Rudersklaven wären ertrunken. Auch mit kleineren Steinen ließen sich die Obinarer am Auslaufen hindern. Die versuchten im letzten Augenblick, ihre eigenen Schiffe in Brand zu stecken. Sie warfen Fackeln auf ihre Galeeren und flüchteten vor den ankommenden Avanurern in die Festung. Doch die Planken ihrer Schiffe waren feucht und nahmen das Feuer nur schlecht an. Mit den Rudern stoppten die Avanurer ihre Galeeren und gingen vor Anker. Mit schnellen Ruderbooten erreichten die ersten Stoßtrupps den Hafen und gingen an Land. Dort sicherten sie die verlassenen Schiffe der Obinarer und löschten die Brände. Unterdessen kamen immer mehr Soldaten in den Hafen und fingen sofort mit dessen Besetzung an. Sie durchsuchten alle Vorratslager und stellten Waffen und Proviant sicher. Andere Soldaten holten die Rudersklaven aus ihren Löchern unter den Decks der erbeuteten Galeeren und versorgten sie. Viele von ihnen hatten seit Tagen nichts zu essen und zu trinken bekommen, denn sie hatten erst vor kurzem in ihrer Verzweiflung einen Aufstand versucht. Die Sklaven berichteten ihren Befreiern davon. Der Aufstand wurde blutig niedergeschlagen und die Anführer hingerichtet. Die Obinarer hatten sie im Hafen vor den Augen ihrer Leidensgefährten auf einen Scheiterhaufen gestellt und bei lebendigem Leibe verbrannt. Als Gohtas diese Berichte hörte, hatte er erneut Mühe, sich zu beherrschen.

Unterdessen hatte Lionos die Festung umstellen lassen und einige eiligst losgeschickte Boten der Obinarer abgefangen. Diese ließ er dem Admiral bringen. Da Gohtas in übelster Laune war, hatten die Gefangenen nichts Gutes von ihm zu erwarten. Als sie sich weigerten, vor ihm zu knien und ihn zu grüßen, schlug er den ersten Obinarer nieder. Die anderen beiden erschraken und knieten sich sofort hin. Demütig grüßten sie jetzt den Admiral mit vollem Namen und Titel. Dann verrieten sie sogleich vorsichtshalber noch, dass sie vom Kommandanten der Festung zu ihrem König nach Isagrahl geschickt worden waren. Mit grimmigem Blick winkte Gohtas einen Hauptmann herbei. »Lass diese Barbaren in Ketten legen und an einem sicheren Ort verwahren.«

Mehrere Soldaten packten sogleich die Boten und hoben sie in die Höhe. Gohtas trat ganz dicht an einen der Obinarer heran und sprach unerwartet leise zu ihm. »Bevor du dein neues Quartier beziehst, sagst du mir noch den Namen deines Festungskommandanten.«

Der Bote schaute ihn fast flehend an, dann sagte er nur zwei Worte: »Fürst Demican.«

Mit hängenden Köpfen ließen sich die drei Gefangenen abführen. Gohtas schaute ihnen beinah fassungslos hinterher. Lionos kam zusammen mit zwei Soldaten auf den Pferden der Boten angeritten und sprang direkt vor seinem Admiral ab. Dann wollte er sogleich berichten. Doch Gohtas hob seine rechte Hand. »Wartet noch. Bevor Ihr sprecht, solltet Ihr noch etwas wissen. Der Herr über diese Festung ist kein anderer als der Fürst Demican. Er ist Alsacans Sohn und sein bester Heerführer. Ihr seid ihm noch nicht begegnet. Also seid vor ihm auf der Hut. Und jetzt berichtet mir.«

Lionos zeigte sich wenig beeindruckt und berichtete fast übermütig: »Wir haben die Festung eingeschlossen und beginnen jetzt mit dem Aufstellen der Katapulte. Sobald das beendet ist, können wir mit dem Beschuss beginnen. Ich denke, das wird hier eine kurze Angelegenheit. Bis jetzt hat doch alles wunderbar geklappt. Und was diesen Fürsten Demican angeht, da denke ich, der kann Euch nicht das Wasser reichen. So wie dieser tote Obinarer, der hinten nicht weit vom Tor liegt und bald anfängt zu stinken.« Lionos zeigte mit einer Reitpeitsche zum Tor.

Gohtas schüttelte nur den Kopf. Er befahl zwei Soldaten, den Toten zu entfernen und zog Lionos mit sich. »Kommt, Ihr solltet auch einen Blick auf die ehemaligen Rudersklaven werfen. Diese armen Teufel haben vor wenigen Tagen einen Aufstand gewagt und wurden dafür schlimm bestraft. Lasst es Euch am besten von ihnen selbst erzählen.«

Einige der anderen Kapitäne, Obersten und Hauptmänner des Admirals folgten den beiden, und sahen sich die einstigen Sklaven ebenfalls an. Etwas mehr als die Hälfte der Männer war noch in ganz guter Verfassung. Nicht alle obinarischen Kapitäne waren so bestialisch mit ihren Rudersklaven umgegangen. Einige hatten Vernunft walten lassen. Doch die anderen Männer sahen, zum Erschrecken aller, fürchterlich aus. Die Peitschen der Obinarer hatten bei ihnen unübersehbare Spuren hinterlassen.

Gohtas befahl, eine Krankenstation einzurichten. Die Schiffsärzte nahmen sich dieser armen Männer an. Als das gerade in die Wege geleitet war, kam von der Festung her ein lauter Tumult auf. Eine weiße Fahne war in einer aufgebrachten Menge zu erkennen. Lionos rannte mit einigen Soldaten los und versuchte die Aufregung zu schlichten. Unter dem Schutz der weißen Fahne versuchte eine Gruppe von Obinarern sich den Weg zum Admiral zu bahnen. Dabei wurden sie auf das übelste von wütenden Soldaten beschimpft. Erst als die Soldaten Lionos erkannten, ließen sie von den Obinarern ab. Der Kapitän führte sie direkt zum Admiral. Dieser hatte sich von seinem Flaggschiff den bequemen Stuhl bringen lassen und ließ einen zerlumpten Sklaven darauf Platz nehmen. Dann stellte er sich neben diesen und empfing so die obinarischen Parlamentäre. Die empfanden den sitzenden Sklaven als eine üble Zumutung. Der Admiral reichte dem armen Kerl auch noch ein mit Gold und Edelsteinen verziertes obinarisches Trinkhorn und ein Stück kalten Braten. Der schlang das Fleisch in sich hinein und trank den Wein in einem Zug. Dieser stieg ihm sofort zu Kopf und er schaute dümmlich grinsend und kichernd um sich herum. Dann zeigte er auf die Obinarer und fing laut an zu lachen. Viele der umstehenden Avanurer lachten mit. Die Obinarer dagegen kochten vor Wut. Für sie war dieser sitzende Sklave eine absolute Beleidigung. Doch sie konnten nichts machen und mussten sich beherrschen. Ihr Anführer trat schließlich einen Schritt vor und wandte sich an den Admiral.

»Ich nehme an, dass du diese Flotte hier hergeführt hast und nun unsere Festung einnehmen willst. Also höre selbst, was mein Herr dir zu sagen hat.«

Der Sklave auf den Stuhl fing wieder an zu kichern. Davon ließ sich der Anführer der Parlamentäre jetzt nicht mehr irritieren. Er rollte ein Pergament aus und begann den Inhalt vorzulesen.

»An den Anführer der avanurischen Flotte. Ich, Demican, Fürst und erster Prinz, Sohn des größten Königs aller Obinarer, klage Euch des Friedensbruches an. Ich verlange im Namen meines Vaters von Euch Euren sofortigen Rückzug. Alles obinarische Eigentum habt ihr hier zurück zu lassen. Außerdem legt Ihr alle eure Waffen ab und entledigt Euch Eures gesamten Geldes, Schmucks und Proviants. Nachdem Ihr dann tausend Männer uns als Sklaven übergeben habt, lassen wir Euch gnädig ziehen. Solltet Ihr Euch jedoch weigern …«

Weiter kam der Obinarer nicht. Der Sklave auf dem Stuhl war keineswegs so betrunken wie er tat. Blitzschnell hatte er den Dolch des Admirals aus dessen Gürtel gezogen und damit dem Anführer der Obinarer die Pergamentrolle seines Herrn auf die Brust genagelt. Tödlich getroffen sank dieser zu Boden. Die anderen beiden Obinarer wollten ihre Schwerter ziehen, doch Lionos war schneller. Mit einem Streich seines Schwertes schnitt er beiden die Kehlen durch. Verdutzt schauten alle auf die toten Parlamentäre. Gohtas fasste sich als erster und brüllte los: »Was steht ihr hier so herum. Ladet die Leichen dieser hochmütigen Narren auf die Katapulte und schickt sie ihrem barbarischen Herren zurück!«

Er zog seinen Dolch aus dem Toten und tauchte ihn in sein Blut. Dann schrieb er mit dem Dolch auf die Rückseite des Pergaments. »Abgelehnt.« Zufrieden betrachtete er sein Werk. Jetzt sah er den Sklaven an. »Wie ist dein Name, mein Freund?«

Der Sklave kratzte sich umständlich am Kopf und antwortete dann.

»Ihr könnt Jano von der Westpfalz auf meinen Grabstein schreiben. Ich war Seemann, Kaufmann und zuletzt Rudersklave.«

Hinter dem Admiral meldete sich sogleich einer der älteren Obersten. »Das ist nur die halbe Wahrheit. Du warst auch ein sehr guter Hauptmann und Kämpfer.« Der Oberst reichte den wieder auf dem Stuhl sitzenden Jano eine Flasche vom besten avanurischen Wein. »Oder habe ich etwa nicht recht, mein alter Freund?«

Gohtas trat dicht an den Oberst heran und gab ihn einen aufmunternden Stoß in die Seite. »Nehmt Euren Freund mit zu Eurer Truppe, Oberst Hargar. Kümmert Euch um ihn. So einen schnellen Mann können wir wohl noch gebrauchen.«

Dann schaute Gohtas sich den Flug der drei toten Obinarer an. Einer nach dem anderen wurde vor das Festungstor geschleudert. Als der letzte gelandet war, ging das Tor ein Stück auf und die Obinarer zogen ihre drei toten Parlamentäre in die Festung. Es dauerte nur einen Augenblick, und ein lautes Gebrüll war auf den Mauern und in den Wehrgängen der Festung zu hören. Dann feuerten die Obinarer ihre Katapulte ab.

Gohtas war hochzufrieden. Jetzt kannte er die Reichweite seiner Feinde und wusste nun genau, wo er seine eigenen Katapulte in die beste Position bringen konnte. Eine Stunde später traf er sich mit Lionos und einem besonderen Trupp. Es waren alles ehemalige Bergleute. Gohtas erklärte noch einmal, wo der geheime Gang einst endete. Die Bergleute hörten genau zu. Dann zog Lionos mit ihnen zu der Felsengruppe, die der Admiral beschrieben hatte. Nicht weit davon entfernt hatten einige avanurische Truppen ihre Stellungen bezogen. Sie gaben zusätzlich Deckung.

Die Suche nach dem Geheimgang dauerte bis in den Abend hinein. Die Sonne war schon fast untergegangen, da meldete einer der Bergleute aufgeregt, dass der Eingang gefunden wurde. Lionos war sichtlich erleichtert. Er sah sich das genauer an. Tatsächlich, unter einer dicken Schicht aus Geröll, Holz und Sand gruben die Bergleute den gesuchten Eingang frei. Bereits eine Stunde später konnte ein Soldat dem Admiral verkünden, dass der Eingang des Geheimgangs freigelegt war und nach einer kurzen Besichtigung keine gefährlichen Schäden aufwies. Gohtas rieb sich bei dieser Nachricht die Hände. Jetzt hielt es ihn nicht mehr in seinem Zelt. Er eilte zur Felsengruppe und sah sich im Schein einer Laterne den Geheimgang selbst an. Lionos begleitete ihn mit seinen Bergleuten.

Als sie wieder heraus waren, da war die Freude bei dem Admiral groß. Voller Tatendrang klopfte er Lionos auf die Schultern und lobte ihn überschwänglich.

»Ihr seid doch mein bester Mann, mein bester Kapitän und mein allerbester Freund. Ich sage Euch jetzt eins. Wenn diesen Obinarern im Morgengrauen langsam die Augen zufallen und wir genügend Licht haben, um Freund und Feind voneinander zu unterscheiden, dann werden wir uns die Bastarde holen. Ich will diesen aufgeblasenen Fürst Demican selbst in die Finger kriegen und ihn zu seinem Schöpfer schicken. Wir haben für unseren Angriff ein paar Stunden Zeit. Nutzen wir sie, und bereiten wir uns vor.«

Die Nacht war erfüllt von der Anspannung, die dem Angriff vorausging. Im Schutze der Dunkelheit wurden die Katapulte ausgerichtet und die Sturmleitern zusammengebaut. Kaum einer dachte jetzt an Schlaf. Die meisten aßen zu später Stunde noch etwas und tranken Wein an den lodernden Lagerfeuern.

Lionos suchte sich unterdessen die besten Soldaten für den Marsch durch den Tunnel aus. Er wollte sie unbedingt selbst anführen. Etwas abseits von den anderen Truppen warteten sie an ihren Feuern. Bei ihnen war die Anspannung besonders groß. Gohtas kam mit den anderen Kapitänen und Obersten weit nach Mitternacht zu Lionos Truppe und schaute sich die Männer an. Dann wandte er sich Lionos zu. »Ihr habt nur erfahrene Kämpfer ausgesucht. Das ist sehr lobenswert. Junge Hitzköpfe könnten alles verderben. Wenn Ihr im Gang seid, dann passt auf das Wasser auf. Es steht an einigen Stellen bis zu den Knien. Vermeidet Lärm jeder Art und macht nicht so viel Licht da drinnen.« Der Admiral schaute noch mal zu den Soldaten. »Glaubt Ihr, mit fünfzig Männern könnt Ihr den Überraschungsangriff schaffen?«

Lionos antwortete: »Macht Euch jetzt nur keine Sorgen, Herr, die Männer sind erfahren genug. Ich vertraue jedem einzelnen mein Leben an.«

Der Admiral nickte mit ernster Miene. »Ich baue auf Euch für den Erfolg unserer kleinen Überraschung. Sobald Ihr es mit Euren Männern geschafft habt, das Tor der Festung zu öffnen, stürmen wir los. Dann kann uns niemand mehr aufhalten. Ich hoffe nur, dass Euch nichts Schlimmes widerfährt. Am liebsten hätte ich Euch an meiner Seite.«

Lionos schüttelte den Kopf. »Nein, Herr, ich will die Truppe durch den Gang führen. Wir werden nicht versagen, dass verspreche ich.«

Die umstehenden Anführer klopften Lionos auf die Schultern und wünschten ihm und seinen Männern den Segen ihres Schöpfers. Dann begann für alle das Warten auf den Morgen. Während langsam die Feuer niederbrannten, zog vom nahen Meer ein feiner Nebel auf. Er begann alles in einen beinah undurchdringlichen Dunst zu hüllen. Die Wachen auf beiden Seiten sahen es mit wachsender Sorge. Wenn er dichter würde, so konnte man den Feind nicht mehr so genau im Auge behalten.

Unruhe machte sich im Lager breit. Gohtas schickte die Kapitäne und Obersten zu ihren Truppen. Die letzten Vorbereitungen wurden getroffen. Dabei mussten die Avanurer ein verschlafenes, friedliches Lager vortäuschen. Doch sie waren alles andere als friedlich.

Zur festgelegten Stunde gab Lionos den Befehl zum Aufbruch. An der Spitze seiner Männer betrat er den Geheimgang. Dabei fiel ihm der Schatz ein. Vor seinem geistigen Auge sah er für einen kurzen Augenblick eine offene Kiste. Aus dieser ragten kostbare Waffen heraus. Lionos schüttelte den Kopf und besann sich auf seine Aufgabe. Doch irgendwie blieb der Gedanke an den Schatz hängen. Eine merkwürdige Furcht beschlich Lionos. Was hatte das zu bedeuten?

Die Schlacht um Viedana: Die Abenteuer der Koboldbande (Band 2)

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