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Die Heimkehr
Оглавлениеanno Domini 1102
im Donau Gau
der Babenberger
Auf der kleinen Burg Rattenberg im gleichnamigen Weiler, tief in der Urlandschaft des Waldviertels herrschte festliche Stimmung. Die Burg lag auf einer kleinen abgeholzten Anhöhe, um Besucher oder allfällige Feinde rechtzeitig zu bemerken. Eine etwa drei Meter hohe Burgmauer mit Wachtürmen an allen vier Ecken und ein davorliegender breiter Wassergraben mit einer Zugbrücke gewährleisteten dem Burgherren und seiner Familie, sowie dem in der Burg tätigen Gesinde entsprechenden Schutz.
Am Fuße des Hügels, auf dem die Burg derer von Rattenberg stand, lag zu der Zeit unserer Geschichte noch eine weit ausgedehnte Urlandschaft im nordwestlichen Waldviertel.
Der Wildreichtum des Waldes und ein fischreicher Fluss in der Nähe garantierten, dass auf Burg Rattenberg nie ein Mangel an frischem Fleisch und Fisch bestand. Andere benötigte Lebensmittel lieferten die etwa hundert leibeigenen Bauern im Austausch gegen die Reste des erlegten Wildes. Alles in allem war es kein schlechter Platz zum Leben. Weder für den Burgherren noch für die Bauern. Die Herrschaften waren, wie man so sagt, durchaus kommode Herrschaften.
Für heute hatte Ritter Gerfried von Rattenberg durch einen Boten seine langerwartete Rückkehr aus dem Kreuzzug gegen die Ungläubigen1 angekündigt. Er kam als ein Held zurück. Den christlichen Rittern war es gelungen, die Ungläubigen aus dem Heiligen Land zu vertreiben. Sie hatten Sieg um Sieg errungen, Jerusalem erobert, dafür aber auch fast unmenschliche Strapazen erdulden müssen.
Ritter Gerfried war nicht mit allzugrosser Begeisterung dem Appell des Heiligen Vaters Urban gefolgt. Eigentlich war ihm das sogenannte Heilige Land völlig egal. Sollte doch dort herrschen, wer immer es wollte. Es tat seiner Frömmigkeit und seinem Glauben an Christus keinerlei Abbruch, wenn irgendein Dämonenfürst über Jerusalem und das umliegende Land bestimmte.
Aber um die europäische Militärmacht und die Kirche zu mobilisieren, übertrieben und dramatisierten die Boten des oströmischen Kaisers in ihren Berichten die Entweihung der heiligen Stätten und die Lage der im Heiligen Land lebenden Christen. Tatsächlich aber konnten die Christen unter muslimischer Herrschaft ihre Religion weiterhin ohne Zwang ausüben, die Stadt betreten und ihre Gebete verrichten, wo immer sie wollten. Also wozu Krieg führen?
Ritter Gerfried konnte sich aber der allgemeinen Stimmung und der Parole >Gott will es< nicht entziehen, ohne als Feigling angesehen und vielleicht sogar geächtet zu werden.
Ritter Gerfried war groß gewachsen. Größer als der Durchschnitt der Männer in diesen Tagen. Sein blonder Bart, die langen blonden Haare und ein kräftiger, muskulöser Körperbau wiesen ihn fast als Idealbild eines Ritters aus. Auch als Kämpfer war er wohlbekannt. Auf manchen Tjosten2 hatten dies seine Gegner leidvoll erfahren müssen. Er zählte bei der Heimkehr so um die vierzig Jahre herum. Genau wusste er das aber nicht. Aber das war ihm egal. Solang er sich gut bewegen konnte und alle die Verrichtungen ausführen, die man von einem Ritter erwartet wurden, zählten die Jahre nicht wirklich.
Sein ältester Sohn Hubert war fast eine Kopie seines Vaters. Auch er war groß, blond und zeigte Ansätze von Muskeln. Mit seinen siebzehn Jahren war er einer der Jüngsten aus dem Ritterstand, die am Kreuzzug teilgenommen hatten.
Sie schlossen sich also - insgeheim seufzend - mit einer kleinen Gefolgschaft dem Heer der Kreuzritter an. Später erfuhr Gerfried, dass es im Land der Heiden eventuell zahlreiche Beute zu gewinnen gab, die auch seine immer schmale Schatztruhe etwas vergrößern könnte. Eine Aussicht, die ihn etwas erfreute.
Noch mehr freute ihn, dass er als geadelter Ritter, als Freiherr von Rattenberg, in die Heimat zurückkehrte. Er hatte nämlich dem neuen Fürsten von Antiochia, Bohemund von Tarent der einen der vier neuen Kreuzfahrerstaaten gründete, bei einem Attentatsversuch das Leben gerettet, weil er dem Attentäter, einen jungen Mauren, mit seinem Schwert den Kopf gespalten hatte, noch bevor dieser seinen Krummdolch im Leib Bohemunds versenken konnte. Der Fürst hatte ihm dafür den Titel eines Freiherrn verliehen.
Von seiner Gefolgschaft war die Hälfte entweder vor Hunger krepiert oder von den Heiden erschlagen worden. Das tangierte den neuen Freiherrn allerdings wenig. Hauptsache, er und sein Sohn waren wohlauf. Er würde den Familien der Toten eben eine kleine Unterstützung zukommen lassen und auch einige Messen für ihre Seelen stiften.
Zwei mitgeführte Packpferde trugen insgesamt vier gutgefüllte Kisten mit erbeutetem Gold- und Silberschmuck, feinen Stoffen und seltenen Gewürzen. Zusammengezählt würden das alles seiner Familie zumindest für die nächsten zehn Jahre ein sorgenfreies Leben garantieren. Was danach kam? Wer konnte das wissen? Gottes Wege waren immer schon unergründlich.
Der Freiherr wollte auch die gräulichen Erlebnisse während des Kreuzzuges möglichst schnell vergessen. Er wollte vergessen, dass im Namen des Christengottes eine Unzahl Juden, samt ihren Frauen und auch den Kindern bereits während des Marsches ins Heilige Land von den Rittern massakriert worden waren.
Er wollte vergessen, dass die Kreuzfahrer nach der Eroberung der Stadt Maarat an-Numan (1098) die getöteten Heiden in Kesseln kochten und fraßen. Auch die Kinder der Heiden wurden Opfer der frommen Kannibalen. Man zog sie auf Spieße wie junge Schweine und aß sie geröstet.
Auch der Freiherr und sein Sohn schlossen sich den christlichen Kannibalen an. Sie schworen sich aber gegenseitig, davon nie etwas preiszugeben. Beiden ekelte noch jetzt davon. Menschenfleisch! Aber der Hunger war eben stärker gewesen…! Gott würde ihnen das sicher verzeihen. Es waren doch nur Ungläubige. So hatte es zumindest einer der Priester bestätigt, der ebenfalls an dem kannibalischen Mahl teilgenommen hatte.
Bei der Eroberung von Jerusalem wateten sie alle fast knöcheltief in Blut. Die Kreuzfahrer nahmen die Stadt nach einem fünfwöchigen, verlustreichen Kampf am 15. Juli 1099 ein.
Sie richteten ein grausames Gemetzel unter den Muslimen und den Juden an und töteten auch noch die in der Stadt verbliebenen Christen.
All diese Scheußlichkeiten und noch viel mehr wollte Freiherr Gerfried möglichst schnell vergessen. Sein ältester Sohn hatte ihm beim Heimritt seinen Entschluss gestanden, ehebaldigst in ein Kloster eintreten zu wollen. Er wollte als Mönch für die Untaten der christlichen Ritter im Heiligen Land lebenslange Buße tun.
Freiherr Gerfried war zwar damit ganz und gar nicht einverstanden, sah aber keine Möglichkeit, Huberts Vorhaben zu verhindern. Aber immerhin brächte ein Mönch in der Familie vielleicht zusätzliches Seelenheil für die Angehörigen? So überlegte er.
Sein zweiter Sohn Hartmut war ein Schwächling und Träumer. Hartmut war zwar schon Sechszehn, zeigte aber keinerlei Interesse am ritterlichen Handwerk. Er trieb sich lieber im Wald herum und beobachtete bloß die Tiere, statt sie zu jagen. Er kommt leider zu sehr nach seiner Mutter, grämte sich Gerfried. Aber auch das konnte er zu seinem Leidwesen nicht ändern.
Zur feierlichen Begrüßung der Heimkehrenden hatten sich Alle im Burghof versammelt. Man merkte den Ankommenden die Strapazen ihrer Reise deutlich an. Sie waren, wie ihre Gäule, abgemagert und tiefe Furchen unter den Augen zeugten von schrecklichen Erlebnissen.
Ein fetter Domherr aus dem Bistum Kremsmünster war auch angereist, der ihnen die Glückwünsche und den Segen des Bischofs ausrichtete. Wie es die Sitte gebot, überreichte Heidelinde, seine Frau, dem Gatten nun wieder den Schlüssel zum Burgtor. Zum Zeichen, dass nun wieder Gerfried die alleinige Dominanz darüber hatte, was in und außerhalb der Burg zu geschehen hatte.
Gemeinsam mit Heidelinde öffnete man nun die mitgebrachten Kisten und Gerfried freute sich sehr über die entzückten Ausrufe seiner Frau, die besonders über die mitgebrachten feinen Stoffe und die wohlriechenden aber unbekannten Gewürze ganz begeistert war.
„Da habe ich noch was ganz Besonderes!“ Gerfried zerrte einen Leinensack hervor, öffnete ihn und breitete den Inhalt am Boden aus. Es war eine massive Platte aus Elfenbein, mit 32 quadratischen Feldern. Davon die Hälfte mit Gold ausgelegt und die andere Hälfte mit Silber. Ein allgemeines >Ah< und >Oh< folgte.
„Dazu gehören auch noch bestimmte Figuren“, dozierte er weiter. „Ein König, eine Königin, Befestigungen, Renner, Pferde und Leibeigene. Es ist angeblich ein Schlachtspiel. Ich habe es von einem Juden bekommen. Er nannte es >Schatrandsch3<. Seinen wertvollsten Schatz. Wie man damit umgeht hat er mir aber nicht erklärt.“
Was Gerfried wohlweislich verschwieg, war, dass er den armen Teufel gefoltert hatte und ihm Nase und Ohren abschnitt, bevor ihm der Jude das Versteck seines Vermögens verriet.
Es war wirklich eine außergewöhnlich wertvolle Beute. Die Figuren waren ebenfalls aus hellem und dunklem Elfenbein feinst ziseliert. Der König und die Königin zeigten noble Gesichter, Die Höhe der Figuren betrug in etwa ein und einen halben Fuss4. An Stelle der Augen waren große strahlende Edelsteine eingefasst.
Natürlich, in den Tiefen des Waldes hatte man zu dieser Zeit keine Ahnung vom Schachspiel5 oder von Elfenbein. Sie waren eben richtige Hinterwäldler, die Rattenbergs.
Elfenbein wurde damals nur für sakrale Gegenstände in renommierten Klöstern benützt. Die Mönche fertigten daraus Behälter für Hostien, Reliquien, Kruzifixe, Triptychen und Bischofsstäbe. Dem einfachen Volk waren die Stoßzähne eines Elefanten völlig unbekannt.
Also trugen sie das wertvolle Stück samt den Figuren vorsichtig ebenfalls in die Kammer und Gerfried vergaß es alsbald.
Der Domherr mokierte sich: „Einem Juden abgenommen? Dann kann es nur Teufelswerk sein. Besser, man lässt die Finger davon!“ Deutlich war ihm dabei anzumerken, dass er das >Teufelswerk< gerne für sich mitgenommen hätte.
Gerfried gab dem fetten Domherrn bloß einen goldenen Teller, verbunden mit der Bitte, man möge doch einige Messen für die armen Seelen lesen, die aus dem Heiligen Land nicht mehr zurückgekehrt waren. Der Domherr versprach dies auch, fügte aber hinzu, dass es wohl besser wäre, noch ein zusätzliches Opfer zu geben. Dann würden die Gebete der frommen Mönche ganz sicher Gott erreichen. Also gab er ihm auch noch einen silbernen Trinkbecher dazu, denn der Domherr sichtlich erfreut annahm. Den Rest ließ Gerfried in die Kammer bringen, zu der nur Heidelinde und er den Schlüssel hatten.
Hubert und Gerfried wuschen sich den Staub von der Reise ab und freuten sich auf das Festmahl, das Heidelinde für sie vorbereiten hat lassen. Sie wurden auch nicht enttäuscht.
Die Burgherrin hatte Eiersuppe mit Safran, gebratenes Huhn mit Zwetschgen, in Schmalz gebackene kleine Vögel mit Rettich, Schweinekeule mit Gurke und gebratene Gans mit roten Rüben vorbereiten lassen. Danach bot man noch Aniskuchen, Striezel, Krapfen, Fladen, Brezel und Honigkuchen an. Dazu trank man selbstgebrautes gewürztes dunkles Bier und Humpen von Wein6.
So gut habe er schon lange nicht mehr gegessen, lobte Gerfried die küchentechnische Planung Heidelindes und die Kunst der Köchin. Dabei tropfte ihm das Fett von der Gans in den Bart und der Saft der roten Rüben hinterließ deutliche Spuren.
Seinem Gesinde, das im Burghof lagerte, ließ er großzügiger Weise die Reste der Sau und auch die abgenagten Knochen der Gänse bringen. Für eine kräftige Suppe würde das allemal reichen. Den Rest würden dann die Hunde kriegen. Ein lautes >Vivat< belohnte ihn dafür.
Erst jetzt fiel ihm auf, dass sein zweiter Sohn, Hartmut, gar nicht anwesend war. Er furzte erstmal kräftig und wollte sich gerade nach Hartmut erkundigen. Da ging plötzlich die Saaltür auf und Hartmut stolperte herein. Hinter ihm wackelte eine junge Weibsperson, die dümmlich grinste.
„Spät erscheinst Du, mein Sohn! Komm her und begrüße deinen Vater!“
Hartmut tat wie ihm Gerfried gebot. Er küsste Gerfried ehrfurchtsvoll die Hand.
„Was bringst Du uns da für eine Weibsperson mit“, erkundigte sich Gerfried. „Tritt näher, mein Kind. Wer bist Du?“
„Ich bin die Gertrud, hoher Herr. Die jüngste Tochter des Schultheißen7 Gottfried“, stammelte das Mädchen und errötete.
„Eine Bauerndirne? Was hast Du dann hier zu suchen? Habe ich Dich gerufen? Marsch in den Burghof zu dem Gesindel, wo Du hingehörst“, alterierte sich Gerfried.
Hartmut mischte sich ein. „Gertrud ist meine Verlobte, hoch geehrter Vater. Wir wollen mit Gottes und deinem Segen heiraten. Wir lieben uns!“
Der Freiherr wurde nun richtig böse. „Waaas? Heiraten? Einen Bauerntrampel? Ein Stück Hundescheiße? Bist Du verrückt geworden?“
Hartmut ließ sich von der Brüllerei seines Vaters aber nicht einschüchtern. „Gertrud trägt ein Kind, mein Kind und deinen Enkel, unter ihrem Herzen. Ich werde sie nicht in Schande stürzen. Gib uns deinen Segen, Vater!“
„Meinen Segen? Für Dich und diese Bauernmetze? Nie und nimmer! Sie hat ihre Beine für Dich breit gemacht und will damit bloß dem Stand entkommen wo sie von Gott hingestellt wurde! Schick sie zum Teufel. In die Hölle! Dort soll sie für ihre Lasterhaftigkeit ewig büßen. Sie und der Bastard. Nie und nimmer kann so etwas mein Enkel sein!“
Gertrud begann bei den harten Worten des Freiherrn laut zu schluchzen. Dicke Tränen flossen ihr die Wangen herab. Hartmut legte tröstend seinen Arm um sie. „Vater! Ich bitte Dich! Wir lieben uns! Ich werde nicht von ihr lassen!“
Gerfried wurde noch wütender. „Bitten? Mich? Auf keinen Fall! Wo kämen wir denn hin, wenn sich jeder nach Scheiße stinkende Bauerntrampel in den Adel pudern würde. Entweder Du schaffst die Metze jetzt sofort weg oder Du bist mein Sohn gewesen!“
Der Domherr mischte sich nun ebenfalls ein: „Es ist eine Todsünde der Fleischeslust ohne Verheiratung zu frönen. Der Herr wird Euch bestrafen. Die ewige Verdammnis ist Euch sicher. Das Beste wäre, der Bastard würde tot geboren werden. Tut Buße!“
Dazu nickten die Gäste im Saal eifrig. Wie würden Hartmut und Gertrud nun reagieren?
Hartmut stand eine Zeitlang schweigend da. Dann platzte es aus ihm heraus: „Ihr solltet Euch schämen. Alle! Gertrud ist und bleibt mein. Ich werde sie und unser Kind nicht im Stich lassen. Wenn es nun so sein soll, dann werde ich Rattenberg mit ihr zusammen verlassen. Gott ist gnädig. Er hat ein Herz für Liebende - im Gegensatz zu Euch!“ Mit diesen Worten drehte er sich um und stapfte mit Gertrud zusammen davon.
Gerfried blickte ihm entgeistert nach. Seine Frau zerdrückte ein paar Tränen. Die Stimmung war auf den Nullpunkt gesunken. „Bringt Wein! Viel Wein. Vergessen wir den Narren“, schrie Gerfried. „Das Fest geht weiter!“
Dann wandte er sich dem fetten Domherrn zu. „Ich werde den Bankert nie als rechtmäßigen Enkel anerkennen. Auch wenn ihn der Bauerntrampel ausgeschüttet hat. Ihr müsst Euch was einfallen lassen, geistlicher Herr!“ Mit diesen Worten gab er dem Pfaffen noch eine Goldmünze. Der Domherr grinste verschlagen.
Zeitig am Morgen des nächsten Tages verließ der fette Pfaffe Rattenberg. Hubert, Gerfrieds ältester Sohn, reiste mit ihm. Er würde ins Benediktinerkloster Kremsmünster eintreten um dort Gott zu dienen. Der Domherr würde ihn vorweg unter seine Fittiche nehmen.
Heidelinde und Gerfried blickten ihnen vom Söller aus nach. Sie fürchteten, dass sie ihren Sohn nie mehr wiedersehen würden.