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1. Der Inbegriff des Seehelden Horatio Nelson, 1st Viscount Nelson, 1st Duke of Bronté, KB (1758–1805)

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Das Szenarium entbehrte nicht des feierlich-pompösen Bizarren: Vom 6. bis 10. September des Jahres 1800 stattete ein kleiner, unscheinbarer Engländer dem Großmagnaten der ungarischen Krone, Fürst Nikolaus II. Esterházy (1765–1833), in Begleitung einer durchaus nicht unscheinbaren, aber seltsam beleumundeten Dame, welche nicht seine Ehefrau war, einen Besuch ab. Der Fürst hatte normalerweise nicht die Gewohnheit, durchreisende Bürgerliche und deren Mätressen mit einem sechstägigen Festzyklus aus Illuminationen, Opernaufführungen, Festbanketten und Prunkgottesdiensten zu ehren. Dass dies trotz des zumal nach außen streng-moralischen österreichisch-ungarischen Zeremonialkodexes zu Eisenstadt 1800 dennoch geschah, lag an der Außergewöhnlichkeit des Besucherpaares: Konteradmiral Horatio Viscount Nelson und seiner Muse, Lady Emma Hamilton (1765–1815).

Nelson war zu diesem Zeitpunkt in den Augen der gesamteuropäischen Öffentlichkeit bereits zu dem geworden, was er aufgrund seiner Anlage, seines Charakters und seiner Lebensgeschichte schon von jeher gewesen war und zeitlebens bleiben sollte: eine Ausnahmeerscheinung, ein Phänomen sui generis. Welcher andere Admiral und Seefahrer aller Zeiten und Länder konnte ein derartiges Echo seiner Taten aufweisen? Zwei Jahre zuvor hatte er in Ägypten eine französische Flotte ausgeschaltet, aber Ähnliches hatten andere schon vor ihm getan – woher also der Starkult? Was brachte Künstler im weit von Meer und Ägypten entfernten Österreich dazu, ihm ihre Werke zu widmen – darunter etwa Ferdinand Kauer (1751–1831) mit seinem Tongemälde «Nelsons große Schlacht» (Wien 1801), Johann Baptist Wanhal (1739–1813) mit seiner Sonate «Die Seeschlacht bei Abukir» (Wien, wohl 1799) und auch der große Joseph Haydn (1732–1809) mit seiner von Lady Hamilton in Eisenstadt interpretierten Kantate «Lines from the Battle of the Nile („Nelson-Arie“), Hob. XXVIb:4» sowie mit seiner ungleich bekannteren, eventuell auch mit dem Seehelden im Hinterkopf verfassten und seit dem frühen 19. Jahrhundert als «Nelson-Messe» geführten «Missa solemnis d-Moll („Missa in angustiis“), Hob. XXII:11 (1798)»?

Als Horatio Nelson am 29. September 1758 als Sohn eines Landpfarrers in Burnham Thorpe (Norfolk) als sechstes von elf Kindern geboren wurde, deutete wenig auf diesen späteren Ruhm hin. Zwar war die Familie nicht so ganz ohne Mittel und Beziehungen, wie dies spätere Apologeten gerne darstellten, aber diese reichten zunächst nur für eine mäßige Karrierebeförderung. Der Bruder seiner Mutter, einer Großnichte Sir Robert Walpoles, 1st Earl of Orford (1676–1745), Captain Maurice Suckling, RN (1726–1778), verschaffte 1771 dem zwölfjährigen Jungen als Midshipman den Eintritt in die Navy, zwei Jahre vor Erreichen des an sich erforderlichen Mindestalters; Talent und Umsicht bewirkten dann die ungewöhnlich frühen Beförderungen zum Leutnant mit 19 und zum «Post Captain» mit 21 Jahren.

Diese Zeit des Amerikanischen Krieges sah Nelson hauptsächlich in karibischen Gewässern, 1784 kehrte er dorthin zurück mit dem Auftrag, die harten Embargorichtlinien gegen die neuen USA durchzusetzen, wobei er eine große Entschlusskraft und mitunter auch unnötige Härte an den Tag legte, welche ihn aber immerhin bei der Marineleitung bekannt machten. 1787 ehelichte er Mrs. Frances Nisbet (1761–1831), eine Arztwitwe von der Karibikinsel Nevis, mit welcher er die kriegs- und ereignislosen Jahre bis 1793 an Land und nur mit halbem Sold – wie viele seiner Offizierskollegen – verbrachte.

Diese bohrende Langeweile sollte 1793 enden: Das revolutionäre Frankreich hatte Großbritannien den Krieg erklärt und Nelson wurde zum Mittelmeergeschwader unter Samuel Hood, 1st Viscount Hood (1724–1816) abkommandiert. Als Kapitän der HMS Agamemnon nahm er zunächst an der Belagerung von Toulon teil und wurde sodann nach Neapel gesandt mit der Order, dort personellen und materiellen Nachschub zu rekrutieren. Hier traf er im September 1793 auch erstmalig auf die junge Ehefrau des englischen Botschafters, Sir William Hamilton (1731–1803), Lady Emma. Der Besuch war in jeder Hinsicht ein Erfolg: Die Navy erhielt 2.000 Mann und mehrere Schiffe, Nelson die Frau seines Lebens. Dem vereinten Glück standen aber im Augenblick nicht nur die Offensichtlichkeit der beiderseitig bereits vorhandenen Ehegelübde, sondern auch der weitere Kriegsverlauf entgegen. Ein Landungsversuch auf Korsika resultierte in einem hart errungenen Sieg, Nelson verlor dabei sein rechtes Augenlicht. Der im Anschluss ausgefochtene Kampf mit zwei überlegenen französischen Einheiten endete nicht nur in deren Kapitulation und damit der Verhinderung der Rückeroberung Korsikas, sondern machte Nelson zum ersten Mal als Seehelden in weiteren Kreisen berühmt.

Den ersten Erweis seines später so famosen «Nelson touch» erbrachte er am 14. Februar 1797 vor Kap St. Vincent, als er in einem Gefecht gegen einen Verband des damals mit Frankreich noch verbündeten Spanien gegen alles Herkommen und gegen alle Befehle aus der quasi sakrosankten Gefechtskiellinie mit zwei Einheiten ausbrach und den Feind frontal angriff, dessen Linie durchbrach und in Verwirrung stürzte, was zu einem völligen Sieg der Briten führte. Diese tollkühne Tat, deren Scheitern unweigerlich ein Kriegsgericht und eventuell auch die Todesstrafe nach sich gezogen hätte – das Schicksal des glücklosen Admirals John Byng (1704–1757), der nach seinem Scheitern vor Mallorca füsiliert worden war, war noch in aller Gedächtnis –, bescherte Nelson die Auszeichnung mit dem Bath-Orden und die Ernennung zum Konteradmiral. Der noch im gleichen Jahr (24. Juli) von ihm geleitete Angriff auf Teneriffa aber, der sich als Fiasko erweisen und nur zu deutlich Nelsons mehr denn beschränkte taktische Befähigung zu Landoperationen belegen sollte, kostete den Admiral seinen rechten Arm.

Dies hinderte die Admiralität jedoch nicht, Nelson im folgenden Jahr ein Kommando im Mittelmeer zu übertragen, wo die Navy eine von den Geheimdiensten eruierte Expedition Bonapartes in Ägypten verhindern sollte.

Am 19. Mai 1798 lief dessen gewaltige Landungsflotte von Toulon aus. Sie bestand aus 13 Linienschiffen und sechs Fregatten, sowie mehr als 400 Handelsschiffen, welche von Marseille, Genua, Bastia und Civitavecchia gekommen waren. Am 29. April war eine englische Flotte in See gegangen, eine Abteilung davon stand unter dem Kommando Nelsons. Doch verhinderten widrige Wetter eine frühe Rekognoszierung: Nelson geriet am 20. Mai mit seinen Schiffen in einen Sturm vor Toulon und konnte so die bereits erfolgte Abfahrt der Franzosen nicht feststellen. Während die Engländer ihre Sturmschäden im mittlerweile feindlichen Neapel behoben, eroberte Napoleon en passant Malta (12. Juni), was Nelson am 20. Juni erfuhr. Von einem Genueser Schiff aber erhielt der britische Admiral die – absichtlich? – falsche Nachricht, der französische Konvoi würde sich nun auf Sizilien zubewegen, während Napoleon bereits am 19. Juni nach Ägypten aufgebrochen war. Doch erwies sich der Instinkt Nelsons wieder einmal als richtig: Er verwarf auf eigene Faust die sizilianische Lösung und gab seiner Flotte den Befehl, Richtung Ägypten auszulaufen. In der Nacht vom 22. zum 23. Juni überholte das schnellere englische Geschwader die Franzosen in Kanonenschussweite, konnte diese aber aufgrund der mangelnden Sicht und der fehlenden Erkundungsfregatten („the eyes of the fleet“) nicht ausmachen. Folglich fand Nelson, als er am 28. Juni in Alexandria eintraf, die Reede (noch) leer an und machte kehrt, um nun doch der sizilischen Option zu folgen. Beim Zurücklaufen kreuzte man das französische Expeditionscorps ein zweites Mal, wohl nur etwa zwei Grad unter Äquatorialkrümmung. Napoleon landete so am 1. Juli 1798 unbeschadet in Alexandria und setzte sein Heer an Land; der Flotte unter Vizeadmiral François Paul Brueys d’Aigalliers, Comte de Brueys (1753–1798) gab er Befehl, auf der Reede von Abukir vor Anker zu gehen. Diese befindet sich 13 Meilen westlich von Alexandria, fünf Meilen im Radius, an der Mündung des Nils. Während Napoleon Ägypten eroberte, kreuzte Nelson so noch immer vor Sizilien (am 19. Juli war er vor Syrakus). Am 28. Juli erhielt er die Nachricht, dass die Franzosen definitiv in Ägypten gelandet seien, also machte er sich wieder auf den Weg zurück. Am 1. August 1798 um 14.45 Uhr sah ein englischer Ausguck zum ersten Mal die lange Linie der vor Anker liegenden französischen Flotte. Nelsons geschultes einzig verbliebenes Auge erkannte die Situation: Aus der Tatsache, dass die französischen Schiffe nur an einer (Bug-)Ankerkette lagen, ergab sich die Folgerung, dass dies Bewegungsfreiraum je nach Windrichtung in beide Richtungen parallel zur Küste zuließ. Also musste eine zweite praktikable Fahrrinne auf der seeabgewandten Seite bestehen. Darauf zielte Nelsons Strategie ab.

Innerhalb der französischen Admiralität herrschte Uneinigkeit über das strategische Vorgehen, vor allem der die Nachhut befehligende Armand-Simon-Marie Blanquet du Chayla (1759–1826) war für sofortiges Auslaufen und einen Kampf auf hoher See. Der in den zahlreichen Debatten mit Napoleon aber ermüdete Brueys hielt am Status quo fest und befahl die Verteidigung zur See hin, zumal wegen der hereinbrechenden Nacht ohnehin nicht mehr mit einem Gefecht an diesem Tage gerechnet wurde. Als die britischen Einheiten aber um 18.30 Uhr auf Schussweite herangekommen waren, stieg, entgegen jedem maritimen Herkommen, das Nachtgefechte nicht vorsah, am Großmast von Nelsons Flaggschiff HMS Vanguard der Wimpel mit dem Signal zur sofortigen Feuereröffnung empor. Ehe die Franzosen sich versahen, schlugen die ersten britischen Breitseiten auf ihren Decks ein, ein Teil der englischen Flotte durchbrach die französischen Linien zur Landseite hin. Es folgte eine Zangenschlacht auf nächste Entfernung, in welcher die englischen Karronaden und die Präzision der britischen Feuersequenzen ihre tödliche Wirkung nicht verfehlten.

Brueys’ Flaggschiff, die Orient, hatte just an diesem Morgen einen neuen Anstrich erhalten. Die frische Farbe begann nun gegen 21.00 Uhr zu brennen. Gegen 21.15 Uhr erschütterte eine ungeheure Explosion die Nacht und erhellte schlagartig die Bucht: Das französische Flaggschiff war in die Luft geflogen, von über tausend Mann Besatzung sollten nur 76 sich retten können. Dem Schicksal des Kommandanten folgte die Flotte: Als der Morgen des 2. Augusts 1798 heraufdämmerte, hatte Frankreich neun Linienschiffe verloren, zwei waren zerstört, dazu zwei Fregatten. 1.700 Mann waren gefallen, 1.500 verwundet und 3.000 in Gefangenschaft geraten. Dem standen auf britischer Seite eine auf Grund gelaufene Einheit, 288 Tote und 677 Verwundete gegenüber.

Damit waren der napoleonische Traum vom orientalischen Reich ausgeträumt, das Mittelmeer wieder in britischer Hand, die französischen Besitzungen des Augenblicks langfristig zur Kapitulation verurteilt. Die entscheidende Seeschlacht der napoleonischen Epoche war geschlagen, das gesamteuropäische Echo auf diesen Sieg, bis hin nach Wien und bis hinein in die Weiten der burgenländischen Ebene, wird erst von daher verständlich.

Doch weitere Krisenherde blieben nicht aus. 1801 sorgte die «Liga der bewaffneten Neutralität», bestehend aus Russland, Schweden, Dänemark, zeitweise auch Preußen und den Vereinigten Staaten, für Beunruhigung in London. War den britischen Inspektoren die Kontrolle neutraler Schiffe verweigert, konnte kein erfolgreicher Handelskrieg gegen Frankreich geführt werden, Schmuggel war an der Tagesordnung. Im Interesse seines alleinigen Kampfes gegen die Revolution musste Großbritannien dies unterbinden, ein militärischer Konflikt mit der Liga zeichnete sich daher unvermeidlich ab. Dänemark begann seine Territorien in Deutschland zu erweitern (Eroberung von Hamburg und Bremen), das Russland Pauls I. (, reg. 1796–1801), unzufrieden mit dem britischen Verhalten auf dem zurückeroberten Malta, wo der Kaiser einigen Ordensrittern als Großmeister galt, begann Garantien für die baltische See auszugeben, britische Waren zu konfiszieren und britische Seeleute zu internieren. Sobald im Frühjahr 1801 das Eis gebrochen wäre, sollte ein russisches Geschwader ins Baltikum auslaufen.

England musste handeln und es handelte schnell. Eine Flotte unter Sir Hyde Parker (1739–1807) wurde nach Osten gesandt, ihm zur Seite der Nationalheld vom Nil als Zweitkommandierender. Als die Kanonen der dänischen Festung Kronburg die Passage der englischen Flotte mit Salven erwiderten, befand sich Großbritannien definitiv im Kriegszustand. Ein vor Kopenhagen mit Flottenpräsenz untermauertes Ultimatum zur Aufgabe der Situation im Handelskrieg wurde vom Kronprinzen verworfen: Was folgte, war die Bombardierung der Hauptstadt unter Führung des energischen Nelson. Berühmt wurde der am 2. April 1801 dabei getane Ausspruch des Admirals, als ihm sein nomineller Vorgesetzter den Abbruch des Gefechtes befahl: „Verdammt will ich sein, wenn ich mich jetzt zurückziehe. Sie wissen (…), dass ich nur (noch) ein Auge habe, folglich habe ich auch das Recht, manchmal nichts zu sehen“. Die erneute Insubordination brachte England den Erfolg: Am 9. April lenkte Dänemark ein.

Im März 1802 wurde zu Amiens ein Friede zwischen Frankreich und Großbritannien geschlossen, welcher aber aufgrund der unvereinbaren Interessengegensätze und der immer deutlicher sich abzeichnenden napoleonischen Vorbereitungen zu einer Invasion Englands schon bald obsolet wurde. Diese Perspektive, welche auf der Insel eine Hysterie auslöste, war mit der Umorientierung der Strategie Napoleons wieder hin zum Kontinent, wo er am 2. Dezember 1805 bei Austerlitz seinen größten Landsieg erringen sollte, eigentlich hinfällig geworden. Wiewohl also nahezu überflüssig, sollte sich hieraus eine der berühmtesten Seeschlachten aller Zeiten ergeben.

Am 30. März 1805 bereits war es dem französischen Mittelmeergeschwader unter Admiral Pierre Charles Silvestre de Villeneuve (1763–1806) gelungen, mit 11 Linienschiffen von Toulon auszubrechen und sich im April vor Cadiz mit sechs spanischen Einheiten unter Admiral Federico Carlos Duque de Gravina y Nápoli (1756–1806) zu vereinen. Sie hatten Order, den Atlantik zu überqueren und sich im Juni mit dem Geschwader Admiral Honoré Joseph Antoine Ganteaumes (1755–1818) aus Brest auf Martinique zu verbinden, dort die britischen Gebiete in ihren Besitz zu bringen und schließlich, nach erfolgter Diversion, die Seeherrschaft im Kanal herzustellen. Allerdings gelang es Ganteaume nicht, die Blockade der Reede von Brest zu durchbrechen, so dass Napoleon sich zu neuen Befehlen genötigt sah. Nun sollten die vereinten spanisch-französischen Geschwader die besagten Blockaden vor Brest, Ferrol und Rochefort von außen aufbrechen, sich dann mit den befreiten Einheiten vereinen und so in den Kanal einbrechen. Villeneuve hatte sich schon auf eigene Faust zurück nach Europa begeben, als ihn diese neuen Befehle trafen.

Nelson, nach einer ergebnislosen Verfolgung wieder in heimatlichen Wassern, schiffte sich am 14. September 1805 auf der HMS Victory ein, um das Kommando über die Blockadeflotte vor Cadiz, wo Villeneuves beeindruckende Seemacht immer noch lag, zu übernehmen. Er traf am 28. September dort ein. Am Tag zuvor hatte Villeneuve neue Order erhalten, den atlantischen Kriegsschauplatz nunmehr aufzugeben, aus Cadiz auszubrechen und sich in Cartagena mit einem weiteren spanischen Geschwader zu vereinen, um so erneut im Mittelmeerraum die französischen Pläne vor allem gegen Neapel zu unterstützen. Aufgrund einer Meldung, dass sechs britische Einheiten die Blockadeflotte zwecks Verproviantierung in Richtung Gibraltar verlassen hätten, glaubte der Oberkommandierende der französischen Seestreitkräfte am 19. Oktober den Augenblick gekommen, mit seinen vereinten 33 Linienschiffen, fünf Fregatten und zwei Korvetten in See zu gehen, um die britische Blockade zu durchbrechen. Ihm standen 27 britische Einheiten gegenüber, darunter aber nur sieben Dreidecker und 20 Zweidecker, während allein schon die Spanier über einen Vierdecker, drei Drei- und 11 Zweidecker verfügten, dazu 18 überdimensionierte französische Zweidecker.

Erst am Morgen des 21. Oktober sichteten die beiden Verbände einander auf Höhe des Kap Trafalgar, 25 Meilen westlich der Straße von Gibraltar. Die Schlacht war nunmehr unausweichlich. Der von Nelson entworfene Schlachtplan kann als Krönung seiner unkonventionellen Nichtbeachtung altklassischer und in den theoretisch immer noch geltenden Fighting Rules von 1653 fixierten Kampftaktiken gelten. Entgegen diesen votierte Nelson nämlich diesmal für eine Durchtrennung der feindlichen Formation in zwei parallel anlaufenden Kampflinien. Dies aber bedeutete, bis zur Eröffnung der eigenen Feuermöglichkeiten auf Höhe des Feindes, eine absichtliche Akzeptanz der Vertikallinie des „T“ während der gesamten Anlaufzeit. Dies wiederum setzte ein hohes Maß an Zusammenhalt, Konzentration und Disziplin voraus. Als um 11.45 Uhr das ungeheure Risiko des Unterfangens allen Beteiligten bewusst wurde, stieg auf der Victory jenes Signalband empor, das zum Vermächtnis von Trafalgar geworden ist: „England expects, that every man will do his duty“. Der Appell verfehlte nicht seine Wirkung. Alle britischen Schiffe erreichten die feindlichen Reihen, wo nun ihre Breitseiten gegen die ungeschützten Bug- und Achterpartien des Feindes gänzlich zum Tragen kamen. Der Ausgang der Schlacht ist bekannt: 22 verbündete Einheiten gingen verloren, keine einzige britische.

Für Nelson aber endete der Tag fatal: Um 13.30 Uhr von einem Scharfschützen tödlich verwundet, verstarb das zweifellos größte taktische und innovatorische Genie der Seekriegsgeschichte um 16.30 Uhr auf seinem Flaggschiff. Seine eitle Weigerung, die gesamten Orden und Dekorationen, die ihn zu einer idealen Zielscheibe werden ließen, während der Schlacht abzulegen, wurde ebenso zum Bestandteil des unmittelbar nach dem Tode einsetzenden Nelson-Kultes wie seine letzten Worte: „Thank God, I have done my duty“.

Die Heimholung des Leichnams, die Trauerfeierlichkeiten mit der abschließenden Bestattung in St. Paul’s sowie alle Ehrungen in Wort, Bild, Ton und Stein bilden davon bis heute Monument und Ausfluss. Der Geist der Navy war aus dem «Nelson touch» geboren und sollte ihr bis weit ins 20. Jahrhundert hinein die Suprematie auf den Meeren, aber auch einige Katastrophen (so bei Coronel 1914) bescheren. Nelson selbst war auf dem Höhepunkt seines Ruhmes und damit zum richtigen Zeitpunkt gestorben, um gleichsam unsterblich zu werden. Die Quasi-Divinisierung warf einen Schleier der Heldenerinnerung über einige nur allzu deutliche Schwächen seines Charakters, vor allem auch über sein langfristig untragbares Verhältnis zu Lady Hamilton, welches nach 1805 so wohl nicht länger hätte gelebt werden können.

Genie und Heroismus sind aber immer individuell und niemals kopierbar. Hierin liegt die eigentliche Tragik des Nelson-Mythos, der von zahlreichen Autoren ab dem 19. Jahrhundert posthum auch anachronistisch auf die Zeit davor zurückprojiziert wurde.

Seefahrer!

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