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(Wochen Später …) Maria trat vor das Pfarrhaus, um ein wenig frische Luft zu schnappen. Sie betrachtete ringsum die Berggipfel, von denen mittlerweile schon der erste Schnee herabblinzelte. Alle Jahre wieder. Manchmal ein wenig früher, manchmal ein wenig später. Sie genoss diesen Anblick. Auch genoss sie es, dass Pfarrer Johannes gemeinsam mit Edeltraud an diesem Nachmittag in den Nachbarort aufgebrochen war, um Besorgungen zu machen.

Es tat ihr einfach gut, einmal alleine zu sein, nur mit sich selbst und ihren Gedanken. Und derlei schwirrten viele in ihrem Kopf herum, war es doch der letzte Tag vor ihrer befohlenen Hochzeit.

Was wird wohl der Herr Graf dazu sagen? Oder Altmanner, sofern er jemals davon erfährt?

Sie zog sich wieder vor den Kamin der Pfarrstube zurück, schob ihren Stuhl näher an das knisternde Feuer und schloss die Augen. Sie versuchte, sich ihr zukünftiges Leben vorzustellen, als sie plötzlich auf ein leises Knarren aufmerksam wurde. In diesem Hause knarzte und knarrte es andauernd irgendwo. Das lag am vielen Lärchenholz im Gebälk. Doch dieses Knarren war anders. Unnatürlich.

Es knarrte schon wieder. Sie bekam ein mulmiges Gefühl. Schritte. Die Türklinke senkte sich. Ganz langsam wie von Geisterhand. Gänsehaut. Ohne weiter zu überlegen, huschte sie ängstlich hinter die Tür. Dort, so hoffte sie, würde sie nicht bemerkt werden und könnte in einem geeigneten Augenblick fliehen.

Zaghaft öffnete sich die Tür einen Spalt weit, verharrte und ging dann weiter auf. Ganz langsam. Eine Gestalt mit dunklem Umhang und schlapprigem Hut schlich herein. Sofort kroch Maria ein verräterischer Geruch in die Nase.

»Reininger!«, schrie sie auf. »Was willst du hier?«

Die Gestalt fuhr herum.

»Kannst es wohl nicht mehr erwarten, mich zu holen? Bis zur Hochzeit morgen musst du dich schon noch gedulden!«, schimpfte sie.

Reininger hatte Augen und Mund weit aufgerissen und brachte keinen Ton heraus. Sie konnte erkennen, dass er irgendetwas unter seinem Umhang verborgen hielt.

»Was hast du da?«

Er zögerte.

»Hast du nicht gehört? Heraus damit!«

Langsam holte er einen kunstvoll verzierten Stab aus Holz hervor und bot ihn ihr mit zitternden Händen an. Er schluckte ein paar Mal.

»Bitte, nimm diesen Hirtenstab als Geschenk«, stammelte er, »mehr kann ich meiner zukünftigen Frau nicht geben. Es ist alles, was ich hab.«

Er wischte sich Tränen aus den Augen.

Der Auftritt rührte sie.

»Rudolf, ich kann das nicht annehmen.«

Er senkte seine Augen traurig zu Boden und rang nach Worten.

»Ich … ich bin kein schlechter Mensch. Ich will dir ja nichts tun!«

Sie spürte, dass er es ernst meinte und hatte Mitleid mit diesem vereinsamten Menschen, von den anderen wenig geachtet und bei jeder Gelegenheit verhöhnt. Deshalb streckte sie nun doch ihre Hand nach dem Geschenk aus. Er begriff und lächelte überglücklich. Dann machte er sich sofort wieder auf den Weg hinaus.

»Rudolf!«, rief sie ihm nach, »warte!«

Sie trat nah an ihn heran und sah ihm tief in die Augen.

»Durch die Vermählung werde ich zu deiner Frau. Ich werde für dich da sein, aber ich werde dich nicht lieben.«

Er nahm es ohne eine Regung zur Kenntnis und verschwand.

†††

Niemand wusste, wo Reininger steckte. Auch nicht Pfarrer Johannes. Und das ausgerechnet an diesem Tag. Umso peinlicher als Pfarrer Johannes die Vermählung ganz bewusst gleich nach dem allgemeinen Gottesdienst eingefädelt hatte. Alle Turnauer sollten schließlich Zeugen dieses Ehebunds werden. Er kannte seine Schäfchen ganz genau und wusste, dass sie sich dieses einmalige Ereignis nicht entgehen lassen würden.

Nervös blickte er zwischen den Gebeten immer wieder in Richtung Sakristei zu seinem Messdiener, der ihm von dort ein Zeichen geben sollte, wenn Reininger endlich eintraf. Der Messdiener zuckte nur mit der Schulter. Pfarrer Johannes wurde wütend. Innerlich.

Wenn dieser Eigenbrötler nicht kommt, schicke ich ihn persönlich zur Hölle!

Aber irgendwann gegen Ende des Gottesdienstes kam dann doch das erlösende Zeichen, worauf Pfarrer Johannes erleichtert seine Augen nach oben zu Gott richtete und ihm dabei mitten im Vaterunser ein lautes ›Halleluja!‹ entfuhr. Ungewollt störte er damit den monotonen Gebetsfluss der Leute – der schließlich stockte. Alle Augen waren nun nicht mehr auf das große Kreuz am Altar gerichtet, sondern erwartungsvoll auf ihn, den Pfarrer.

»Fürchtet euch nicht!«, verkündete er. »Mir hat soeben Gott eine Frohbotschaft übermittelt!« Etwas Besseres war ihm nicht eingefallen, aber es wirkte, denn die Leute lächelten verzückt.

†††

Reininger hatte sich ordentlich gewaschen, die Haare geschnitten und den Bart sorgfältig gestutzt. Seinen ganzen Körper hatte er über und über mit frischem Rosenwasser eingerieben. Irgendwo in seiner Hütte war er ausgerechnet an diesem Tag auf dieses Fläschchen gestoßen. Weiß der Teufel, von wem er es einmal bekommen hatte. Überdies hatte er sich eine dunkle Festtracht mit einem weißen Hemd und ziemlich steifen Lederschuhen angezogen, die bei jedem Schritt klapperten und seine Füße blutig rieben. Doch er biss die Zähne zusammen. Es waren natürlich nicht seine eigenen Sachen. Woher auch? Er musste dafür einen Bauern beknien und ihm hoch und heilig versprechen, nicht hineinzufurzen und alles gleich am nächsten Tag sauber wieder zurückzubringen. Aber Reininger hätte es sich so oder so nicht unter den Nagel gerissen, denn die Sachen waren ihm viel zu groß. In die Jacke hätte er ohne Probleme ein weiteres Mal hineingepasst, und die Hose musste er am Bund wie einen Sack zusammenschnüren, damit sie ihm nicht hinunterrutschte.

»Hast dich fein rausgeputzt!«, sagte der Messdiener und nickte ihm anerkennend zu.

Reininger verzog keine Miene.

»Wenn die heilige Messe gleich vorbei ist, wird der Herr Pfarrer in die Sakristei kommen und dir den Ablauf deiner Hochzeit erklären!«

Reininger atmete aufgeregt durch.

»Na, na, so schlimm ist es nicht«, beruhigte ihn der Messdiener und grinste schelmisch. Dann trat er näher an Reininger und flüsterte ihm ins Ohr: »Denk einfach an die Hochzeitsnacht! Da kannst du deine Alte so richtig rannehmen und ihr dabei auf die Tutteln greifen! Naja, allzu große Tutteln hat die Maria ja nicht, was man so sieht. Aber macht nichts. Für dich wird’s schon reichen. Glaub mir, das tut gut! Naja, vielleicht nicht gleich beim ersten Mal, aber mit der Zeit wird’s dann. War bei mir und meiner Alten auch so. Jedenfalls viel besser als Selbermachen oder mit deinen Viechern auf der Alm! Hahaha!«

Reininger schob den Messdiener von sich weg, schaute verärgert und beschämt auf ein großes Gemälde an der Wand, das Jesus Christus mit riesigem Heiligenschein zeigte.

Ob der Heiland das wohl auch gehört hat? Noch dazu aus dem Mund eines Messdieners und ausgerechnet hier an diesem geweihten Ort?

Seine Gedanken wurden jäh unterbrochen, als Pfarrer Johannes schnellen Schrittes hereinpolterte und sich mit einem Tuch den Schweiß von der Stirn wischte.

»Grüß Gott, mein lieber Reininger! Wo warst eigentlich so lange? Egal. Hauptsache, du bist da. Aufgeregt?«

Er nickte.

»Brauchst nicht zu sein! Mache einfach nur, was ich dir jetzt sage. Also: Zuerst gehst du von hier aus vor den Altar, machst eine Verbeugung und bekreuzigst dich. Dann trittst du ein paar Schritte zurück und wartest. In der Eile habe ich den Messdiener zum Brautvater auserkoren, und er wird Maria vom Haupteingang herein bis zu dir vor den Altar geleiten. Die Orgel wird spielen, und wenn sie verstummt, rede nur mehr ich. Du brauchst dann auf meine Aufforderung hin nur mit einem ›Ja‹ zu antworten. Ist doch nicht so schwer, oder?«

Pfarrer Johannes bedeutete dem Messdiener hektisch, endlich die Braut zu holen, die gleich nebenan im Pfarrhof von Edeltraud geschmückt wurde. Unbemerkt von Pfarrer Johannes zwinkerte der Messdiener noch rasch Reininger zu und erinnerte ihn mit einer eindeutigen Handbewegung an das genussvolle Kneten der Brüste.

Pfarrer Johannes ergriff einen Becher, füllte ihn mit Wein und trank ihn in einem Zug aus. Er rülpste herzhaft und schenkte sich noch ein paar Mal nach.

»Wenn alles vorbei ist, lieber Reininger, darfst auch einen Schluck von meinem Messwein trinken. Aber erst danach, denn sonst wirst du mir noch übermütig.«

Jetzt wurde ihm der Becher lästig. Er stellte ihn zur Seite und trank direkt aus der Flasche.

»Heute bin ich ganz trocken im Mund.«

Schon drang der wuchtige Klang der Orgel in die Sakristei.

»So, Reininger, es ist soweit! Du musst jetzt hineingehen«, befahl Pfarrer Johannes, »und denke daran, was ich dir gesagt habe.«

Dem Bräutigam wurde unerträglich heiß, und er begann zu schwitzen. Bald roch er trotz des vielen Rosenwassers seinen eigenen Schweiß und schämte sich erstmals in seinem Leben dafür. Unsicheren Schrittes schlurfte er vor den Altar. Schneidende, dicke Luft. Gelegentliches Husten und Räuspern. Er vermied es, sich zum Kirchenschiff umzudrehen. Er spürte jedoch die vielen bohrenden Blicke im Nacken. Er, der einsam auf einer abgelegenen Alm lebte und bislang von niemandem beachtet worden war, stand plötzlich im Mittelpunkt des Dorfs. Doch er hatte sich nichts vorzuwerfen. Schließlich war es ja kein Geringerer als der Herr Pfarrer höchstpersönlich, der ihn zu dieser Eheschließung angehalten hatte, und damit war ihm der Segen Gottes gewiss.

Pfarrer Johannes folgte betend aus der Sakristei, kniete feierlich vor dem Altar nieder und bekreuzigte sich. Dann wandte er sich um, baute sich mächtig vor Reininger auf und lächelte verzückt.

Ein schwacher Luftzug verriet, dass das Kirchentor geöffnet und die Braut vom Messdiener unter der dröhnenden Orgelmusik hereingeführt wurde. Neugierig wagte Reininger jetzt einen Blick nach hinten, doch Marias schönes Gesicht zeigte keine Regung. In einem bäuerlichen Festtagsgewand schritt sie würdevoll auf ihn zu, mied dabei jeglichen Augenkontakt, schaute nur starr geradeaus. Als sie vor dem Altar angekommen war, ließ der Messdiener ihre Hand los und trat zur Seite. Die Orgel verstummte. Kein Räuspern mehr. Kein Schnäuzen. Kein Husten. Es war absolut still.

Nun streckte Pfarrer Johannes beide Hände nach oben und verkündete mit lauter Stimme und ernstem Gesichtsausdruck: »Der Herr sei mit euch!«

»Und mit deinem Geiste!«, kam es wie aus einem Munde zurück.

†††

Der Graf zu Mürze saß mit seiner Familie beim Mittagessen, als ein Diener eintrat und ihm diskret etwas ins Ohr flüsterte. Es fiel nicht weiter auf, weil die Kinder für hinreichend Lärm und Aufmerksamkeit sorgten und des Grafen Gemahlin Agnes ihr Augenmerk den Kindern schenkte. Außerdem war es nicht ungewöhnlich, dass ihr Gatte beim Essen gestört wurde und in der Folge irgendwelche Pflichten zu erfüllen hatte. Agnes hatte es längst aufgegeben, dagegen zu protestieren. Er hatte ihr bei einem früheren Anlass klarmachen können, dass es eben zu den Aufgaben ihres Standes gehörte, dem Volk Halt und Ordnung zu geben. Und das erforderte manchmal eben Opfer.

Der Diener war kaum gegangen, als sich der Graf mit gespielter Gelassenheit vom Tisch erhob und sich den Mund abtupfte. »Wenn ihr mich bitte entschuldigt. Ich habe mit Lafer etwas zu besprechen.«

Darauf eilte er von dannen. Er lief durch die hohen Flure seines Schlosses ins Freie und überquerte im Laufschritt den weitläufigen Hof. Gleich dahinter gelangte er zum Gutshof, wo ihn Lafer bereits ungeduldig erwartete.

»Ich bitte um Verzeihung, Herr Graf, aber mir ist eine Nachricht von höchstem Interesse zugetragen worden.«

»Worum geht es?«, fragte der Graf.

»Maria hat gestern einen gewissen Rudolf Reininger geheiratet«, antwortete Lafer.

Den Grafen durchfuhr ein kalter Schauer.

»Geheiratet? Rudolf Reininger? Wer soll das sein?«

»Er ist Hirte auf der Turnauer Alm. Unbedeutend. Soll ein ziemlicher Eigenbrötler sein. Niemand im Dorf kann sich so recht vorstellen, wie und wann die beiden ein Paar geworden sind. Nur Pfarrer Johannes tut so, als wäre alles den üblichen Weg gegangen.«

Der Graf seufzte. Er liebte Maria wirklich – noch immer. Manchmal quälte ihn die Sehnsucht nach ihr. Seit der Trennung hatte es Tage gegeben, da wäre er am liebsten unter irgendeinem Vorwand nach Turnau geritten, um sie zu sehen. Und nun konnte und wollte er nicht glauben, dass sie ihn schon vergessen hatte. Die Trennung war zwar auf sein Betreiben hin erfolgt, dennoch fühlte er sich nun in seinem Stolz verletzt.

»Ein eigenbrötlerischer Hirte«, murmelte er vor sich hin und versuchte, sich das bildlich vorzustellen.

»Was hat das alles zu bedeuten? Wir müssen nach Turnau. Ich muss zu ihr! Ich muss wissen, ob sie diesen Hirten wirklich liebt. Ich will wissen, was da dahintersteckt.«

Lafer schüttelte verneinend den Kopf.

»Herr Graf, ich weiß, was Sie empfinden, doch was erwarten Sie sich von einem Treffen? Sie hat geheiratet. Dieser Bund der Ehe wurde vor Gott geschlossen. Sie ist nun die Frau eines anderen Mannes, bis dass der Tod sie scheidet! Ob sie den Hirten liebt oder nicht, ist ohne Bedeutung. Sie haben mit ihr keinen gemeinsamen Weg. Sie haben diesen gemeinsamen Weg nie gehabt. Vergessen Sie diese Frau!«

»Wenn das nur so einfach wäre, mein Lieber«, erwiderte er und kehrte grübelnd zu seiner Familie zurück.

†††

»Ich hoffe, ich habe Sie nicht zu sehr erschreckt«, sagte der schmächtige Mann in schwarzen Reitstiefeln, weißer Reithose und grauem Rock. Seine braunen Haare hatte er hinter dem Kopf zu einem modischen Schwanz zusammengebunden. Altmanner musste kräftig durchatmen.

»Oh doch! Ich hab dich gar nicht kommen gehört. Ich war so sehr in meine Arbeit vertieft.«

Der Besucher verbeugte sich höflich: »Dann bitte ich vielmals um Verzeihung!«

»Schon gut. Kann ich dir irgendwie helfen?«

Der junge Mann überlegte. »Helfen? Nein! Aber vielen Dank für das Angebot. Ich wollte nur ein wenig allein sein.«

»Die kaiserlichen Hofställe sind aber dafür kein guter Ort, noch dazu jetzt am Abend. Es ist nämlich strengstens untersagt, hier ohne Begleitung herumzuschleichen.«

Der junge Mann schmunzelte und sagte: »Dann begleiten Sie mich doch beim Herumschleichen.«

Altmanner gefiel diese Schlagfertigkeit.

»Zuerst musst du mir aber sagen, wer du bist und woher du kommst.«

»Mein Name ist Joseph und ich komme von dort drüben«, sagte er und zeigte dabei auf Schloss Schönbrunn.

Altmanner wurde verlegen.

»Joseph? Der Joseph?«

»Ja genau, der Joseph!«, entgegnete der junge Mann und lachte spitzbübisch.

Altmanner war darauf überhaupt nicht vorbereitet und merkte, wie er feuchte Hände bekam. Er wusste nicht recht, wie er sich nun verhalten sollte und entschied sich schließlich für einen ziemlich uneleganten Hofknicks, bei dem er fast gestolpert wäre.

»Wie muss ich jetzt zu dir … äh … zu Ihnen sagen? Von dort, wo ich herkomme, haben wir keine Erfahrung im Umgang mit kaiserlichen Hoheiten. Die lassen sich dort nämlich nicht blicken.«

Joseph schien amüsiert und fragte: »Woher kommen Sie denn?«

»Aus der Steiermark.«

»Die Steiermark ist groß.«

»Turnau heißt das Dorf am Fuß des Hochschwab-Gebirges.«

Joseph kratzte sich an der Stirn.

»Ich glaube, ich habe davon schon mal gehört. Schließlich und endlich werde ich von meinem strengen Hauslehrer jeden Tag in Heimatkunde unterrichtet – oder vielmehr gequält. Er pflegt immer zu sagen: ›Wer einmal ein Land regieren will, soll es zumindest auf der Landkarte kennen!‹«

Nun mussten beide herzlich lachen.

»Wie sagen die Leute bei euch zu jemandem, der Joseph heißt?«

»Sepp! Einfach Sepp!«, antwortete Altmanner.

»Sepp? Warum das?«

»Ich weiß auch nicht, woher das kommt.«

Joseph streckte ihm die Hand entgegen: »Gut! Dann bin ich für dich der Sepp. Und wie heißt du?«

»Johann! Johann Altmanner. Bei uns sagt man dazu einfach …«

»… Hans. Ich weiß. Das sagt man hier auch«, warf Joseph ein, »die Sache bleibt aber unter uns. Meine Mutter sieht es nämlich gar nicht gern, wenn ich mich allzu nah beim Volk herumtreibe. Ich glaube, sie hat einfach nur Angst, dass mir etwas zustoßen könnte, weil ich ein gutes Faustpfand abgeben würde. Aber was soll’s, jetzt bin ich nun mal da.«

Altmanner war angetan von dem jungen Mann und seiner Art zu reden.

»Hans, wie bist du zu uns nach Wien gekommen?«

»Interessiert dich das wirklich?«

»Ja, sehr sogar!«

Altmanner fühlte sich nicht ganz wohl in seiner Haut. Sollte er wirklich von seiner Vertreibung erzählen? Wie würde es der junge Thronfolger wohl aufnehmen? Er musste an die Worte von Ludowitz denken, wonach er niemanden bräuchte, der mit dem Mundwerk arbeitet und unbedachte Äußerungen macht.

»Erzähle! Ich hör dir zu«, sagte Joseph ermunternd, doch Altmanner hegte weiterhin Zweifel, was Joseph zu bemerken schien.

»Mache dir keine Sorgen, Hans, es bleibt unter uns.«

»Unter uns dreien«, korrigierte Altmanner.

»Wer noch?«

»Ludowitz!«

Joseph lachte auf.

»Bestens! Ludowitz und ich sind Freunde. Und alle Freunde von Ludowitz sind auch meine Freunde.«

Altmanner war erleichtert, doch blieb er vorsichtig. Konnte er Joseph wirklich trauen? Nur weil er Thronfolger war, bedeutete das lange nicht, dass sein Wort auch galt.

»Lieber Hans, jetzt hast du mich neugierig gemacht, und du wirst mich nicht eher los, bevor du mir deine Geschichte erzählt hast.«

Altmanner musste einsehen, dass ihm keine Wahl blieb. Sie setzten sich in eine schummrige Ecke, und er begann zu erzählen. Joseph hörte aufmerksam zu und schüttelte zwischendurch immer wieder den Kopf.

»Vielen Dank für deine offenen Worte. Wirklich unglaublich«, sagte Joseph am Ende, »ich werde alles für mich behalten. Behalte aber auch für dich, was ich dir zu sagen habe.«

Altmanner hob eine Hand zum feierlichen Schwur und war gespannt, was ihm ein junger Thronfolger wohl so Geheimes zu berichten hatte.

»Der kaiserliche Hof ist eine Schlangengrube. Viele Menschen hier sagen nicht das, was sie denken. Ich bin aber daran interessiert, Leute wie dich und Ludowitz als Freunde zu haben. Leute, die mit mir offen reden, die mir sagen, was das Volk denkt, was das Volk wirklich will!«

Altmanner musterte aufmerksam das Gesicht des Thronfolgers, und ihm wurde klar, dass er einen ungewöhnlichen Menschen vor sich hatte, der sich nach selbstbestimmter, wahrer Freundschaft sehnte.

Ein Knarren der Stalltür ließ die beiden aufhorchen. Jemand trat ein und lief umher.

Es blieb ihnen keine Zeit, sich zu verkriechen, weshalb sie regungslos in ihrer Ecke verharrten. Die Schritte kamen immer näher. Dann ein Schatten.

»Oh, ich hoffe doch, ich störe die beiden Herren nicht?«

Ludowitz wirkte erstaunt, dass er ausgerechnet auf Altmanner mit dem Thronfolger traf.

»Naja, ein wenig schon. Wir waren gerade mitten in einer spannenden Geschichte«, antwortete Joseph mit einem Augenzwinkern.

»Spannende Geschichte?«, wiederholte Ludowitz und warf Altmanner verstohlen einen Blick zu.

»Ja, spannende Geschichte«, betonte Joseph abermals. »Warum hast du mir Hans und sein unglaubliches Schicksal vorenthalten? Ich hätte schon erwartet, dass wir unter Freunden offen miteinander reden!«

Ludowitz rieb sich verlegen die Nase.

»Naja, ich dachte …«

»Ist schon recht!«, sagte Joseph, »aber so gut müsstest du mich schon kennen, dass du mir vertrauen kannst.«

Ludowitz schien es peinlich zu sein.

»Verstehe mich bitte nicht falsch, aber ich war mir nicht sicher, wie der Hof auf einen Vertriebenen reagiert. So etwas könnte Unruhe stiften oder gar einen Skandal auslösen.«

Joseph nickte.

»Das stimmt allerdings. Aber von mir wird niemand etwas erfahren.«

Doch Ludowitz’ Sorgenfalten verschwanden nicht von seiner Stirn, und Altmanner verstand warum. Die Geschichte könnte auf unglaublichen Wegen, vielleicht auch nur durch einen dummen Zufall, an die falsche Adresse gelangen. Endlich hätte es dann einen Grund gegeben, Ludowitz in Frage zu stellen und seine begehrte Position durch irgendeinen Günstling neu zu besetzen. Joseph war noch zu jung, um das verhindern zu können.

Der Herzenfresser

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