Читать книгу Die Stadt unter dem Meere - Joseph Delmont - Страница 31
28
Оглавлениеm Spätnachmittag traf Göbel als erster mit seinem gefüllten Postsack beim Boot ein. Er hatte außerdem die Taschen von Rock und Hose vollgepfropft mit nützlichen, brauchbaren Dingen. Kurz nach ihm erschien Maxstadt. Er schien noch bleicher als sonst. Er brachte außer dem Rucksack einen Packen mit Zeitungen und ein drolliges Fünfzehn-Liter-Fass mit Wein.
Herdigerhoff kam kurz vor sieben Uhr. Er trieb einen kleinen Esel, der zwei Körbe mit frischem Gemüse, außer dem straffgefüllten Postsack, trug. Über den Rücken hatte auch er ein Weinfass hängen. Die Sachen wurden im Boot verstaut, und Herdigerhoff führte seinen Esel wieder im Eiltrab nach Bergeggi, wo er Einsatz für das Langohr geleistet hatte, zurück.
Um achteinhalb Uhr abends kam Rinseler. Er war mit der Bahn von Savona nach Bergeggi gefahren und hatte von da den schweren Postsack und zwei größere Pakete mitgebracht.
Die größte Vorsicht wurde beim Abstieg und Laden des Bootes beobachtet. Der Platz lag ziemlich einsam, aber trotzdem durfte niemand etwas bemerken.
Göbel stieß ab, und langsam glitt das Boot aus der Grotte.
Nach zweistündigem Rudern schaltete Herdigerhoff die Akkulumatorenbatterie und das Hecklicht ein.
Es war jetzt kurz vor zehn.
Plötzlich blitzte für einige Augenblicke die untere Positionslaterne auf Deck von U. 10 auf.
Langsam ruderten die Männer zum Unterseeboot hin.
Fast die ganze Mannschaft, die mitgekommen war, befand sich auf Deck.
Rasch wurden die vier Säcke, sowie die andern Dinge verstaut.
Maxstadt sandte noch einen langen Blick in der Richtung nach Noli zurück, bevor er durch die Deckluke in das Boot stieg. Von allen Seiten wurden die vier Urlauber mit unzähligen Fragen bestürmt. Nur Göbel erzählte, wie und was er auf dem Markte in Spotorno eingekauft. Er lächelte geheimnisvoll und flüsterte, so dass kein Mensch wusste, was er antwortete.
In der Höhle angekommen, wurden auf den großen Werkbänken in Dom 4 die Herrlichkeiten ausgepackt.
Ein Sturm auf die Zigarren, Zigaretten und Prieme begann.
Jeder hatte seine Rauchwaren erhalten, und nun entstand ein allgemeines Paffen.
Möller hatte sein Vogelfutter, seine Sämereien und sonstigen Dinge, die er bestellt hatte, schnell verstaut.
Das Grün der jungen Möhren, die Göbel gekauft hatte, wurde an die Vögel, Ziegen und Kaninchen verteilt.
Liesel bockte und sprang, und hätte Möller fast über den Haufen gerannt.
Alles half den Köchen beim Zubereiten des Sonntagsmahles.
Es war ein Götterschmaus, denn es gab Rindssuppe von frischem Fleisch. Forellen folgten, das heißt, der Koch nannte eine Art Zubereitung der Zweitaschenmuschel „Forellen“. Daran schloss sich ein „Kalbsfilet“ mit Pommes fruites. (Die Schalen bekamen zum Teil die Hühner und zum anderen Teil die Kaninchen.)
Möller hatte durch Herdigerhoff eine große Überraschung erlebt, indem ihm der Kamerad ein herrliches, weißgraues Turteltaubenpärchen überreichte.
Mokka und Kuchen!
Mokka und Kuchen!
Mader fühlte ein Rühren in seiner Brust, als er sah, welche innige Freude all’ diese Dinge den armen Männern bereiteten.
Vom Wein erhielt jeder Mann nur ein Viertel Liter beim Abendbrot.
Den ganzen Tag wurde in allen Ecken und Enden gelesen, geraucht und gelacht.
Oberingenieur Hacker vergaß, die Points beim Tennismatch aufzunotieren, da er immer zwischendurch einen Blick in die „Daily Mail“ warf.
Dort wurde noch unentwegt von den „Hunnen“ und nicht von den „Deutschen“ gesprochen.
Am Abend war Lesezirkel.
Am schweigsamsten von allen verhielt sich Maxstadt. Er lag zurückgelehnt in einer Hängematte und träumte mit weit offenen Augen vor sich hin und gab auf die an ihn gerichteten Fragen nur einsilbige Antworten.
Mader hatte schon einige Male besorgt auf Maxstadt geblickt, aber er unterließ es, ihn zu fragen, denn er dachte, dass die Außenwelt diesen Eindruck auf den Mann hervorgerufen.
Überhaupt war es interessant, die Leute zu beobachten. Manche hatten wie Irre gelacht, wenn sie irgend ein Stück der mitgebrachten Sachen befühlten, den ersten Zug aus der Zigarette taten, vom Kuchen aßen oder Wein tranken.
Welch unfassbares Wesen ist doch der Mensch! Alle diese Dinge da, die solche Freude erregten, waren doch nur alltägliche Nahrungs- und Genussmittel, die in jeder anderen Zeit nicht beachtet worden wären und nun ein derartiges Entzücken auslösten.
Rinseler hatte auch die Nachricht gebracht, dass in Genua seit zweieinhalb Jahren verschiedentlich Pakete angekommen seien. Er habe per Post Geld an Fratelli Rossi gesandt, damit die Pakete bahnlagernd nach Bergeggi geschickt würden. Die Übersendung wurde zugesagt. Als Legitimation diene der Abschnitt der Geldanweisung. —
Mader saß abseits und las Zeitung um Zeitung. Italienische, französische und englische. „Corriere della sera“, „Idea Nationale“, „Le Matin“, „Le Figaro“, „Le Temps“, „L’Oeuvre“, „L’assiette au beurre”, “The Times”, “Daily Mail”, “The Saturday Evening Post”, “The New York Herald”, “Daily Telegraph”, “The Chicago Tribune” (Pariser Ausgabe). Eine Menge illustrierter Blätter und das drei Monate alte Hamburger Fremdenblatt.
Am Bahnhof von Savona, in welchem die Riviera-Expresszüge immer längeren Aufenthalt nehmen, da hier die Züge aus dem Norden, aus Turin, Asti, usw. die Passagiere bringen, die mit dem Riviera-Express weiterfahren, gibt es für die internationalen Reisenden eine große Auswahl von Zeitungen und Lektüre in allen Sprachen.
Zuerst wollte Mader die „feindlichen Blätter“ durchsehen, nachher die deutschen Zeitungen. Der kleine Ulitz las und fluchte wie ein Rohrspatz. All die Dinge, die da zu hören waren, erzählten von der unglaublichen Not in der Heimat.
Nein! Dann lieber noch hier unter der Erde vergraben bleiben, als in die Heimat zurück. Besser hier schaffen, arbeiten, damit Deutschland an dem Tage der Freiheit auch ein Schock großer Erfindungen und Hilfsmittel erhalte, die ihm, — wenn auch wenig — doch immerhin etwas helfen.
„Den Deubel noch mal! Nee! Dann lieber noch ein Jahr und länger hier verbleiben, als daheim zu sein, und unfähig, zu helfen.“
Ulitz hatte es laut geschrien.
Alle hatten sich nach ihm herumgedreht.
Mader drehte sich nach Ulitz um.
„Mein lieber Junge. Du hast mir aus der Seele gesprochen. Denn jetzt erkenne ich aus den deutschen Zeitungen, dass es mit dem Vaterlande stark im Argen liegt.“
„Wo bleibt die deutsche Einigkeit? Warum kann es bei uns nicht so sein, wie bei unseren Bedrückern?“ Ingenieur v. Kobeler, der sonst nie viel sprach, stieß die Worte hervor.
Man war von all dem Aufregenden heute weit müder als an andern Tagen, wenn man schwere Arbeit tat.
Nach und nach erloschen die Lichter in den einzelnen Kojen.
Die Wachen kontrollierten alles und begaben sich auf ihre Posten.
Maxstadt lag in seiner Koje. Sein Zimmerkamerad schlief bereits. Die Augen Maxstadts waren zur Decke gerichtet. Langsam löste sich die Starrheit, die ihn seit Sonnabend früh befallen hatte. Tränen traten in seine Augen. Es war die Reaktion.
Immer wieder tanzten die Bilder vor seinen Augen. Das heißglühende Weib, das ihn nicht losließ. Wie war ihm geschehen? Wie Blei lag es noch jetzt in seinen Gliedern.
Er hatte doch früher auch schon Mädchen gehabt. War immer vernünftig gewesen.
Prüfen wollte er sich, ob sein Geist in den fünf Jahren unter der Erde gelitten.
Wie war es doch?
Er war in den Armen der Frau eingeschlafen.
Plötzlich schlug sie mit beiden Fäusten auf ihn ein.
“Avanti! Presto! Presto! Cinque ore di mattina! Avanti!”
Er verstand.
Die Frau versteckte sich hinter einem Vorhang und reichte ihm nicht mal die Hand.
Torkelnd war er durch die schlafende Stadt zum Hafen gekommen. Er warf sich neben einem umgestürzten Boot in den Sand und schlief bis weit in den Tag hinein.
Er hatte sie nicht wiedergesehen.
War das Wirklichkeit, oder hatte er nur geträumt?
Mader las noch immer. Sein Bernhardiner lag zu seinen Füßen und schlief. Von Zeit zu Zeit öffnete er die Augen und blinzelte seinen Herrn an:
„Geh’ doch schlafen! Was hast du noch immer auf das Papier zu sehen? Darin ist doch nichts zum Fressen eingewickelt. Papier ist nur interessant, wenn es um Fleischstücke oder einen schönen großen Knochen gewickelt ist. Geh‘ schlafen, damit ich auch ruhen kann und nicht immer auf dich aufpassen muss.“
Mader ließ die Zeitung sinken.
Schwer hob sich die Brust. Was ist aus dem schönen Vaterland geworden?
Nach außen machtlos und innerlich zerrissen.
Arme Heimat.
Arme, irregeleitete Deutsche.
Wie oft hatte er gedacht, alles hier liegen zu lassen und nach Hause zurückzukehren. Seinen Schwur, in der „Stadt unter dein Meere“ zu bleiben, zu brechen.
Nein, er durfte, er wollte nicht zurück. Hier konnte er mehr für die Heimat schaffen, als dort selbst.
Wie lange noch?
Geht die Sonne noch immer nicht über Deutschland auf? Wie lange werden noch die hässlichen Schatten bleiben?
Noch einer war wach in seinem Zimmer: Möller. Er lag in seinem Bette und hatte in seinen Händen ein Stück Vierkantstahl.
„Das gibt eine feine Sichel“, murmelte er. „Das nächstemal mache ich die Tour mit. Dann wird das Boot mit Grünfutter angefüllt. Alle Kameradenfreuen sich an den Tieren. Sie haben immer mit großem Genuß die Kaninchen, Hühner, Gänse, Enten und Zicklein verspeist, aber für die armen Geschöpfe zu sorgen, daran denken sie nicht.“
Hier lag ein Mensch mit einem reichen Herzen. Schon als Knabe in seinem Heimatstädtchen von allen anderen Jungens wegen seiner Tierliebhaberei gehänselt. So mancher Mitschüler bekam eine tüchtige Tracht Prügel von Hein Möller, wenn er bei irgend einer Tierquälerei ertappt wurde.
Möller war die Zeit in der Höhle am wenigsten lang geworden. Jede dienstfreie Stunde hatte die Pflege seiner Lieblinge in Anspruch genommen. Die Tiere wurden äußerst zahm im Umgang mit ihm. Er unterhielt sich mit ihnen, wie mit Menschen. Und sie verstanden ihn. Sie liebten ihn und hingen in großer Treue an ihrem Pfleger. Es waren immer große Trauertage für Möller, wenn eines der Tiere geschlachtet wurde.
Die Ziege „Liesel“ hing besonders an ihm. Dieses Tier wurde gleich zu Anfang mit ihrem Bockgemahl in die Höhle gebracht und hatte jedes Jahr ein bis zwei Kitzen geworfen. Als seinerzeit die Rede davon war, Liesel sollte geschlachtet werden, da drohte Möller, jeden niederzuschlagen, der sich dem Stalle Liesels nähere.
Nun war Liesel wieder trächtig, und diesmal sollte der Bock abgeschafft werden. Möller kämpfte mit aller Heftigkeit seines Temperaments dagegen.