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Zweites Kapitel

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Fortunat und Walter reiten nach Hohenstein, dem Sitz des Grafen Victor. In Gesprächen verloren, verirren sie sich und müssen die Nacht im Walde verbringen.

Wie schön, hier zu verträumen

Die Nacht im stillen Wald,

Wenn in den dunklen Bäumen

Das alte Märchen hallt.

Die Berg in Mondesschimmer

Wie in Gedanken stehn,

Und durch verworrne Trümmer

Die Quellen klagend gehn.

Denn müd ging auf den Matten

Die Schönheit nun zur Ruh,

Es deckt mit kühlen Schatten

Die Nacht das Liebchen zu.

Das ist das irre Klagen

In stiller Waldespracht,

Die Nachtigallen schlagen

Von ihr die ganze Nacht.

Die Stern gehn auf und nieder –

Wann kommst du, Morgenwind,

Und hebst die Schatten wieder

Von dem verträumten Kind?

Schon rührt sich’s in den Bäumen,

Die Lerche weckt sie bald –

So will ich treu verträumen

Die Nacht im stillen Wald.

Im Morgenscheine finden sie ihr Ziel:

Immer tiefer und freudiger stiegen sie von den Bergen in das Blütenmeer, schon hörten sie von fern eine Turmuhr schlagen, zahllose Nachtigallen schlugen überall in den Gärten. Am Ausgang des Gebirges schien ein großes Dorf zu liegen, zerstreute Hügel, dunkle Baumgruppen und ein hohes prächtiges Schloß hoben sich nach und nach aus der verworrenen Dämmerung, alles noch unkenntlich und rätselhaft, wie in Träumen. So waren sie in eine hohe Kastanienallee gekommen, als Walter plötzlich an einem zierlichen Gittertor still hielt. „Sie schlafen noch alle“, sagte er, „wir wollen indes hier in den gräflichen Garten gehen und die Erwachenden überraschen.“

Sie banden nun ihre Pferde an den Zaun und schwangen sich von den steinernen Sphinxen, die den Eingang bewachten, über das Gitter in den Garten hinein. Da war noch alles still und duftig, einzelne Marmorbilder tauchten eben erst aus den lauen Wellen der Nacht empor. Das alte, finstere Schloß im Hintergrunde mit seinen dichtgeschlossenen Jalousien stand wie eine Gewitterwolke über einem freundlichen Nebengebäude, von dem man vor lauter Weinlaub fast nur das rote Ziegeldach sah. Unter den hohen Bäumen vor dem letzteren fanden sie einen Tisch und mehrere Stühle, als wären sie eben erst von einer Gesellschaft verlassen worden. „Da hat sie schon wieder ihre Gitarre draußen vergessen“, sagte Walter kopfschüttelnd. „Wer denn?“ fragte Fortunat – „die schöne Amtmannstochter, von der du mir erzählt hast?“ „Ja, Florentine“, erwiderte Walter; „das ist des Amtmanns Wohnung, und dort oben nach dem Garten hinaus ihre Schlafstube.“ „Du weißt hier gut Bescheid“, entgegnete Fortunat. Walter wurde rot und schwieg verlegen. Fortunat aber ergriff ohne weiteres die auf dem Tische liegende Gitarre, stellte sich vor das bezeichnete Fenster und sang:

Zwei Musikanten ziehn daher

Vom Wald aus weiter Ferne,

Der eine ist verliebt gar sehr,

Der andre wär es gerne.

„Ich bitte dich“, unterbrach ihn Walter, „was singst du da für dummes Zeug!“ „Wart nur, ’s kommt gleich klüger“, erwiderte Fortunat und sang weiter:

Die stehn allhier im kalten Wind

Und singen schön und geigen:

Ob nicht ein süßverträumtes Kind

Am Fenster sich wollt zeigen?

Sein Wunsch ging wirklich in Erfüllung. Ein schönes Mädchen, noch ganz verschlafen, wie es schien, fuhr oben ans Fenster, schüttelte die Locken aus dem Gesichtchen und sah neugierig mit großen, frischen Augen durch die Scheiben. Als sie aber unten einen unbekannten, wohlgekleideten Mann erblickte, war sie ebenso schnell wieder verschwunden. Walter wurde nun in der Tat unwillig, Fortunat aber griff immer lustiger in die Saiten und sang wieder:

Mein Herz ist recht von Diamant,

Ein Blum von Edelsteinen,

Die funkelt fröhlich übers Land

In tausend bunten Scheinen!

Und durch das Fenster steigen ein

Waldrauschen und Gesänge,

Da bricht der Sänger mit herein

Im seligen Gedränge.

Unterdes war es im Hause nach und nach lebendig geworden, Türen gingen auf und zu, im Innern hörte man dazwischen das kräftige Lachen eines Mannes, das immer näher zu kommen schien. Endlich wurde die Haustür von innen geöffnet, und, mit einer langen Pfeife im Munde, stand ein schon völlig angekleideter, großer, starker Mann vor ihnen, dessen gebräuntes, lebenslustiges Gesicht von der Morgensonne hell beschienen wurde. Es war der Amtmann selbst. Er war voller Freude, Walter so unerwartet wiederzusehen, und konnte gar nicht aufhören, über das lustige Ständchen zu lachen, durch das sich Fortunat sogleich in seine entschiedene Gunst gesetzt zu haben schien. Mit schallender Stimme rief er nun alles im Hause wach, es mußten eilig Kaffee und Pfeifen ins Freie herausgebracht werden, sie lagerten sich um den Tisch auf dem grünen Platze vor der Tür, den die beiden Gäste noch vor kurzem so einsam gesehen hatten, und Walter mußte ausführlich ihre nächtlichen Irrfahrten vortragen.

Unterdes war auch die Frau Amtmann dazugekommen. Sie hatte sich vor dem unbekannten Gaste sorgfältig und beinahe festlich angetan und empfing Fortunat mit umständlicher, wortreicher Feierlichkeit. Fortunat, dem bei solcher Gelegenheit unwillkürlich alle Bewillkommnungskomplimente einfielen, die er in seinem ganzen Leben gehört oder auch nicht gehört hatte, konnte nicht widerstehen, mit einem unerschöpflichen Schwalle der auserlesensten Redensarten zu entgegnen, und erweckte dadurch bei der Dame eine nicht geringe Meinung von sich und seiner feinen Lebensart.

„Das ist heute ein rechter Freudentag!“ sagte der Amtmann, „da soll es auch einmal hoch hergehen.“ Er erzählte nun, wie sie heut gegen Abend auch noch ihren jungen Neffen Otto hier erwarteten, der von der fernen Universität zurückkehrte, um sich zu seiner Anstellung vorzubereiten. Die Amtmann ließ mit zufriedener Miene noch einfließen, daß Otto, der Sohn ihrer verstorbenen Schwester, aus Herrn Walters Städtchen sei, daß er schon auf der Schule immer für den Stillsten und Geschicktesten galt und nun ein wahrer Gelehrter geworden sei.

Fortunat bemerkte während dieses Gesprächs, daß sich Walter unterdes verloren hatte. Der Garten, der nun in voller Morgenpracht herüberfunkelte, lockte auch ihn schon lange, und er sagte endlich dem Amtmanne, wie er Walter vorzüglich in der Absicht hierherbegleitet habe, um die Heimat des berühmten Grafen Victor einmal in der Nähe zu sehen. Der Amtmann lächelte. „Ich weiß nicht“, sagte er, „ob Sie auch solcher Meinung sind, aber wenn die andern von dem berühmten, gelehrten Grafen sprechen, denken sie sich ihn immer mit der Zipfelperücke, wie den Hilmar Curas vor seiner Grammatik. Das kann mich immer ärgern. Was da Gelehrter! Zu Pferde muß man den großen Victor sehen, im Walde auf der Jagd, auf dem Felsen, wo allen andern schwindelt – mit einem Worte: Das ist ein rechter Mann! Das Berühmtsein und Versemachen ist nur so Lumpenzeug daneben, wie eine Schabracke auf einem schönen Roß, und er gibt selber nichts darauf. Doch wir sprechen ein andermal mehr davon.“ Er stand nun auf und beschrieb Fortunat die Gänge, die er im Garten einschlagen sollte, um zu den schönsten Punkten zu gelangen, da ihn selbst die Wirtschaftsanordnungen für den anbrechenden Tag in das Haus hineinriefen.

Fortunat wandte sich nun allein in den Garten, wo er zu seinem Erstaunen ringsumher nur architektonische Formen altmodischer Gänge, hohe, feierliche Buchenalleen, Springbrunnen und künstliche Blumenbeete erblickte, von denen dunkelglühende Päonien und prächtige Kaiserkronen glänzten. Es war, als hätte ein wunderbarer Zauberer über Nacht seine bunten Signaturen über das Grün gezogen und säße nun selber eingeschlummert in dem Labyrinth beim Rauschen der Wasserkünste und träumte von der alten Zeit, die er in seine stillen Kreise gebannt.

Schon waren Schloß und Amtmannswohnung hinter Fortunat versunken, als er plötzlich einen wohlgekleideten jungen Mann bemerkte, der an den Marmorstufen eines einsamen Gartenhauses eingeschlafen war. Er wollte umkehren, aber der Schläfer, von dem Geräusch erweckt, fuhr soeben rasch auf, blickte verworren ringsumher und fragte Fortunat, wer er sei. Dieser erzählte nun sein nächtliches Abenteuer und seinen langgehegten Wunsch, diese Gegend einmal zum Angedenken des Dichter-Grafen Victor zu durchstreifen. „Vortrefflich“, erwiderte der andere, „so will ich Sie sogleich herumführen!“ „Kennen Sie den Grafen Victor?“ fragte Fortunat. „Nicht sonderlich“, erwiderte jener, „doch weiß ich eben genug von ihm, um Ihnen hier überall genügende Auskunft zu geben.“

Fortunat nahm das unerwartete Anerbieten dankbar an und betrachtete, als sie nun miteinander weitergingen, mit freudiger Überraschung das schöne, aber etwas bleiche und wüste Gesicht des Unbekannten, über das die Morgenlichter durch das Laub wunderlich wechselnde Scheine warfen. Er äußerte endlich seine Verwunderung über die, wie es schien, absichtlich und sehr sorgfältig festgehaltene Altmodigkeit dieses Gartens. „Der Graf“, entgegnete sein Begleiter, „will es so haben. Buchsbaumene Kindlichkeit! Wie es in seiner Kindheit gewesen, so soll es hier ferner verbleiben, selbst dieselben Blumen müssen jährlich an denselben Plätzen wieder gepflanzt werden wie damals.“ „Er hat recht“, sagte Fortunat, „was soll ein Garten, wenn er nicht ein Gedicht von ganz bestimmtem Klange ist! In diesem einförmigen Plätschern der Wasserkünste, in dieser geisterhaften Symmetrie der Laubwände und stummen Marmorbilder ist eine Wehmut, die einen wahnsinnig machen könnte.“

„Sehen Sie da“, rief Fortunats Begleiter aus, „das Großartige und Kühne dieser Komposition. Ich betrete diesen Ort nie ohne Ehrfurcht vor dem seltenen Genius dieses Dichter-Grafen – oder sagen wir es nur lieber grad heraus: Dichterkönigs! Besonders muß ich Sie hier auf jene leicht geschwungenen Brücken aufmerksam machen. Sie führen, wie Sie sehen, über die Wipfel der Bäume hinweg nach einzeln stehenden, hohen, abgerissenen Felsen hinüber, die mit ihren bunten Gärtchen auf den Gipfeln wie funkelnde Blumenzinnen über Waldeseinsamkeit emporragen. Diesen Einfall hat der liebenswürdige Graf vor dem lieben Gott voraus, er legte diese hängenden Gärten an; das waren die Blocksberge seiner Phantasie. Hier pflegte er als Knabe, wenn ein Gewitter heraufzog, und im Schlosse alles ängstlich durcheinanderlief, vor der unermeßlichen Aussicht zu sitzen, mit den Beinen über dem Abgrunde baumelnd, bis ihm die ersten dicken Regentropfen an die seidenen Strümpfe klatschten.“ „Es freut mich“, erwiderte Fortunat, der, ganz in den Anblick des wunderbaren Grundes versunken, die letzten Worte fast überhört hatte, „es freut mich recht, daß Sie Victors poetische Erscheinung so hoch halten.“

Der Begleiter sah ihn aus den schönen Augen scharf und zweifelhaft an. „Ich bedaure ihn aufrichtig“, sagte er dann, „denn ich halte die Anstellung als Genie für eine der epinösesten in der Welt. Ein anderer stopft sich seine Pfeife, zieht seinen Schlafrock an, setzt sich auf dem Schreibesel zurecht und macht seine Arbeiten ab und geht dann zufrieden in die Ressource, wo er wieder ganz Mensch sein kann. Aber so ein Genie, zumal ein Dichter, kann das Genie gar nicht loswerden; wie ein Spaziergänger, der im Herbst über Feld gegangen, schleppt er die Sonnenfäden seiner Träume an Hut und Ärmeln bis auf die Ressource nach. Ist dort gar das Fenster offen, so sind die Nachtigallen und Lerchen draußen recht wie versessen auf ihn und rufen ihn ordentlich bei Namen, ja zuweilen spielt ihm seine kaum halbfertig gedichtete Geliebte den fatalen Streich und blickt ihn plötzlich aus den Augen irgendeiner albernen Dame an.“ Sie waren in das Felsental hinabgestiegen und an einen einsamen Weiher gelangt, in dessen Mitte sich eine, wie es schien, unzugängliche Insel im frischen Schmuck des Morgentaues spiegelte. „Das war sonst Victors Lieblingsplatz“, sagte der Fremde, „hier hat er den Namen seines ersten Liebchens in die Bäume geschnitten. Das Mädchen ist tot, der Nachen zu der Insel lange zertrümmert und versenkt.“ Fortunat bat den Unbekannten, der ihm wohlbehagte, zu wechselseitiger näherer Bekanntschaft sogleich mit zum Amtmanne hinaufzukommen. Der Fremde entschuldigte sich, er habe zu lange am Brunnen geschlafen und müsse nun schnell wieder weiter. „Sind Sie denn nicht hier aus dem Hause?“ fragte Fortunat erstaunt. Aber jener eilte schon fort, winkte noch einmal mit dem Hute und war bald zwischen den Bäumen verschwunden.

Dichter und ihre Gesellen

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