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Am Filmset
ОглавлениеDeppscher: Frau Sauerkopf, nicht in die Kamera gucken! Wie oft habe ich ihnen das schon gesagt?
Also, das ganze nochmal von vorne.
Uuuund bitte!
Frau Sauerkopf, meine Geduld ist gleich am Ende. Sie sollen Herrn Semmelburg angucken, wenn sie ihn küssen. Und Herr Semmelburg, da geht doch die ganze erotische Stimmung flöten, wenn sie die ganze Zeit versuchen, die Beschreibung zu dem Bett zu lesen, anstatt Frau Sauerkopf um sich zu schlingen.
Buckelich:
Wir befinden uns hier im Möbelhaus Brackmann im Industriegebiet Sackbruch, wo gerade unter der professionellen Anleitung von Kultregisseur und Hausmeister Karl-Heinz Deppscher eine Liebesszene für den ausschließlich in Sackbruch produzierten Kino-Actionkracher „Der Sackbruch Report“ gedreht wird.
Nachdem man im Gemeinderat festgestellt hat, dass mit Kinofilmen teilweise große Einnahmen erwirtschaftet werden können, hat Bürgermeister Herbert Ranzefett, der auch in einer kleinen Gastrolle als Bürgermeister der Gemeinde Sackbruch quasi sich selbst spielen darf, den Entschluss gefasst, mit einem selbst produzierten Spielfilm die seit langem leeren Gemeindekassen wieder zu füllen.
Das Drehbuch zum „Sackbruch Report“ stammt von Kultautor Norbert Hasswiesel, dessen Romane „Fahr nicht in den dritten Stock, Agathe“ und „Das Kellerregal der Verliebten“ bereits erfolgreich als Hörspiele für den Sackbrucher Regionalfunk adaptiert wurden. Im Pressetext zu „Der Sackbruch Report“ heißt es, ich zitiere:
Der arbeitslose Kleinkriminelle Alfonso (gespielt von Nachwuchstalent Simon Semmelburg) verliebt sich in die Geheimagentin Emma (dargestellt von der Fleischereifachverkäuferin Renate Sauerkopf) und gerät so in ein undurchsichtiges Netz aus Spionage und Verrat. Er flieht mit Emma in ihre Eigentumswohnung in der Prinz-Willi-Allee, nachdem sie erfolgreich die geheime Formel zur Gewinnung von Füllertinte aus Esskastanien, den so genannten „Sackbruch Report“ aus dem Labor des wahnsinnigen Wissenschaftlers Bunsenbach (gespielt von Schreinermeister Ottmar Ochsbach) gestohlen hat.
In Zelle 3 der Damentoilette des Hauptbahnhofes kommt es dann zum großen Showdown, bei dem sich Alfonso entscheiden muss, auf wessen Seite er steht.
Das alles klingt sehr spannend und auf unsere Anfrage bei der Produktionsfirma „Depp Pictures Filmproduktion & Dienstleistungen aller Art“ erhielten wir heute die Möglichkeit, ein kurzes Interview mit Regisseur Deppscher zu führen. Ah, ich sehe gerade, die Liebesszene scheint im Kasten zu sein.
Herr Deppscher, können wir jetzt vielleicht kurz...?
Deppscher:
Was? Ach ja, der Buckelich! Ich hab’ aber nicht viel Zeit. Die bauen jetzt gerade in der Küchenabteilung auf und dann drehen wir Szene 28!
Buckelich:
Geht ganz schnell, Herr Deppscher. Sagen sie uns doch vielleicht zunächst mal, wieso sie hier im Möbelmarkt drehen und nicht im Studio?
Deppscher:
Ja, glauben sie denn, wir schmeißen hier das Geld aus der Gemeindekasse zum Fenster raus, was? Für so ‘n Studio zahlen sie ja teilweise Unsummen für. Ich hab’ mich da mal umgehört. Da sind ganz schnell mal 500 Euro am Tag weg. Und dabei ist das gar nicht nötig, denn hier im Möbelhaus Brackmann haben wir doch alles, was wir brauchen – und das für umsonst! Sie sehen es ja selber: Für die Liebesszene zwischen den beiden Hauptdarstellern haben wir uns für das Schlafzimmer „Medusa“ entschieden.
Buckelich:
Das Möbelhaus Brackmann sperrt hier für sie also unentgeltlich seine Ausstellungsräume für die Dreharbeiten ab?
Deppscher:
Nun ja, ein paar Abstriche müssen wir schon machen. Wir dürfen zum Beispiel nicht die Preisschilder und Etiketten von den Möbeln entfernen. Aber mit einer geschickten Kameraführung und entsprechender Berücksichtigung im Drehbuch kriegen wir das schon in den Griff. Und diese großen Werbeaufkleber mit „Möbel Brackmann – da geh ich ab, Mann!“ überall auf den Schränken, naja, das nützt ja nun nix!
Buckelich:
Stichwort Kamera. Wen konnten sie denn als Kameramann für diese Produktion verpflichten?
Deppscher:
Ja, das ist unser Herr Schenkeling. Der erschien mir am qualifiziertesten. Zum einen ist er städtischer Angestellter, was ihn quasi zwangsverpflichtet. Und außerdem hat er ja damals sehr schön die Betriebsfeier von unserem Karnevalsverein mit der Polaroid-Kamera aufgenommen. Das ist ein Künstler!
Buckelich:
Ein Künstler, ja. Und sie meinen, dass der Umgang mit einer Sofortbildkamera ihn zur Arbeit an einer Filmkamera qualifiziert?
Deppscher:
Er hat ja außerdem noch damals mit seiner Acht-Millimeter-Kamera vom Typ „Reichsbruder 44“ den Bombenangriff auf den Sackbrucher Güterbahnhof für die Ewigkeit festgehalten.
Buckelich:
Aha. Also ein Mann mit jahrelanger Erfahrung.
Deppscher:
Genau. So, ich sehe grade, die sind so weit, dass wir weiterdrehen können!
Buckelich:
Eine Frage noch, Herr Deppscher: Auffällig bei den Kostümen der beiden Protagonisten sind die überdeutlich zu erkennenden Preisetiketten sowie die Rückenbeschriftung „Textil-Discount Läppich“. Was hat es damit auf sich?
Deppscher:
Tja, auch hier heißt es bei unserer Produktion: Sparen, sparen, sparen. Wir konnten mit Herrn Läppich Senior einen Mitarbeiter für unser Team gewinnen, der ja praktisch mit seinem Fachgeschäft über einen riesigen Fundus an Bekleidung aller Art verfügt. Da konnten wir natürlich nicht „nein“ sagen. Und die zusätzlichen Schildchen und Preisinformationen erhöhen ja auch den Wert des Films. Denken sie doch nur mal an die ganzen Hausfrauen, die jetzt nur wegen den attraktiven Angeboten ins Kino gehen und da praktisch umsonst noch eine Modenschau geboten bekommen. Das hat sonst keiner! Oder haben sie bei „Schindlers Liste“ eine Popelinejacke in lindgrün mit aufgesetzten Paillettenfransen für nur 89 Euro gesehen? Was?
Buckelich:
Ja, das ist in der Tat ein Novum.
So viel vom Drehort zum Blockbuster „Sackbruch Report“ hier aus dem Möbelhaus Brackmann und damit zurück in die Anstalt.