Читать книгу Nostradamus - Prophet der Apokalypse - Jörg Dendl - Страница 3
ОглавлениеDas Leben eines Propheten
Als Michel Nostradamus lebte, befand sich Europa inmitten gewaltiger Umbrüche. 1492, elf Jahre vor der Geburt des Sehers von Salon, hatte Christoph Columbus die dem Festland des amerikanischen Kontinents vorgelagerten Inseln entdeckt. Das Mittelalter ging seinem Ende zu. Der geistige Umbruch bahnte sich an und erfolgte noch in der Jugendzeit des Nostradamus: Die Folgen von Martin Luthers Wirken sollten die europäische Staatenwelt in eine weitreichende Krise stürzen. Als Mann dieser Umbruchszeit war Nostradamus noch im Mittelalter verhaftet. Welchen Nutzen er aber aus seiner Bildung zog, weist in die Neuzeit. Als Pestarzt wandte er sich ab von der mit Aberglauben überfrachteten Medizin seiner Zeit und bemühte sich um die Herstellung eines wirksamen Medikaments. Das war die "moderne" Seite des Sehers. Sein mittelalterliches Wesen zeigte sich erst spät. Der gelehrte Mediziner wandte sich okkulten Praktiken zu, wurde zum Seher und Propheten. Dabei zeigt sich auch hier in seinem Wesen eine Zerrissenheit: seine mit magischen Künsten gewonnenen Erkenntnisse über die Zukunft versuchte er durch Berechnungen zu stützen. Er gibt in seinen Prophetien wiederholt Daten an, berechnet nach den Prinzipien der Astrologie, zu seiner Zeit eine Wissenschaft.
Zum Leben des Nostradamus gibt es nur wenige erzählende Quellen, und diese sind nicht unbedingt verlässlich. Die Spuren, die er selbst in urkundlichen Zeugnissen hinterlassen hat, sind gering und geben nicht über sein ganzes Leben Auskunft. So stehen die Historiker vor dem Problem, aus den bruchstückhaften Überresten eines umtriebigen Lebens eine schlüssige Biographie zu erarbeiten, und es steht von vornherein fest, dass Lücken bleiben.
Drei Berichte über sein Leben gibt es, auf die sich alle Biographen stützen. Dies ist zum einen die von seinem Bruder Jehan Nostredame verfasste Lebensbeschreibung, in seinem 1575 gedruckten Werk La Chronique de Provence. Les vies des Poètes Provencaux, dann die Biographie seines Freundes und SchülersJean-Aymé Chavigny, die unter dem Titel La Première Face du Ianus Francois im Jahr 1594 publiziert wurde, und die Darstellung, in der von César Nostredame, dem Sohn des Nostradamus, verfassten Histoire et chronique de Provence aus dem Jahr 1614.
Michel Nostradamus war der Sohn des Kaufmannes Jacques Notredame und dessen Ehefrau Renée. Der Vater von Jacques war in der Mitte des 15. Jhd. vom Judentum abgefallen und hatte den katholischen Glauben angenommen. Der Familienname ‘Notredame’ rührt wohl von der Taufkirche des Vaters her. Jacques selbst war als Christ aufgewachsen und heiratete im Jahr 1495 die Tochter des Stadtkämmerers von St. Remy. Sie wurde die Mutter der sechs Kinder dieser Verbindung. Acht Jahre nach der Heirat wurde am 14. Dezember 1503 als erstes Kind der Sohn Michel geboren. Seine Geburtsstadt ist St. Remy en Provence.
Die Jugendjahre des Sehers liegen im Dunkel. Es wird behauptet, er sei von seinen Großvätern in Mathematik und Astronomie unterrichtet worden, was aber nicht der Wahrheit entspricht. So war Jean de Nostredame, der Großvater väterlicherseits, schon 1484 gestorben. Die von Chavigny aufgestellte Behauptung, der Junge sei von seinem Urgroßvater mütterlicherseits in der 'Wissenschaft des Himmels' unterrichtet worden, ist ebenso kaum glaublich, da dieser kurz nach 1500 starb.
So wird Nostradamus, wie auch andere Gelehrte seiner Zeit, zunächst die Lateinschule besucht haben. Hier erwarb er die absoluten Grundvoraussetzungen für seine späteren Studien, zunächst natürlich Lesen, Schreiben und Rechnen, aber auch die notwendigen Kenntnisse der lateinischen Sprache. Lateinkenntnisse waren im Universitätsbetrieb des 16. Jahrhunderts die grundlegende Voraussetzung für ein Studium. Vor dem Beginn spezieller Studien, wie bei Nostradamus dem Medizinstudium, stand aber zunächst das Studium der Septem Artes Liberales, der 'Sieben freien Künste'. Im 13. oder 14. Lebensjahr nahmen die jungen Studenten das Studium der Artes auf. Wenn dies auch bei Nostradamus der Fall war, so begann er im Jahr 1516/17 diese Studien. Sein Biograph Chavingy hält fest, der Seher sei deshalb nach Avignon gesandt worden.
Nostradamus wird nun die einzelnen Stufen seiner Universitätsausbildung durchlaufen haben. Zunächst beschäftigte sich der Student mit dem Trivium, das aus den Fächern Grammatik und Dialektik bestand. Das dritte Fach, die Rhetorik, fiel im 16. Jahrhundert weg. Nach dem Erwerb des Titels eines Baccalaureus artium begann das Quadrivium. Hier wurden ursprünglich die höheren vier Artes gelehrt: Mathematik, Geometrie, Astronomie und Musica, was damals Harmonielehre und Akustik beinhaltete. Zum Anfang des 16. Jahrhunderts bestand diese aus dem Mittelalter herrührende Aufteilung der Fächer nur noch dem Namen nach. Gelehrt wurde vor allem die Naturphilosophie des Aristoteles und seine Metaphysik. Die Astronomie hatte ihren Stellenwert allerdings behalten, benötigte man sie doch für die Berechnung der beweglichen christlichen Feste, aber auch als Grundlage der für die Mediziner wichtigen Astrologie. Damit hatte jeder Student dieser Zeit eine solide astronomisch-astrologische Grundbildung.
Es ist damit zu rechnen, dass Nostradamus sein Artes-Studium einige Zeit unterbrechen musste, denn im Jahr 1520 wurde die Universität von Avignon wegen der Pest für einige Zeit geschlossen. Zu diesem Zeitpunkt konnte Nostradamus erst das Trivium abgeschlossen haben. Mit dem Ende seines Studiums kann frühestens 1523 oder 1525 gerechnet werden. Anzunehmen ist eher ein späterer Termin, verursacht durch die zeitweilige Schließung der Universität.
Die Pest war in diesen Jahren nicht die einzige Plage in Südfrankreich. 1523 hatte es in Frankreich eine Missernte gegeben, die im ganzen Land zu Hungersnöten führte. Im folgenden Jahr besetzten kaiserliche Söldner die Provence. Schließlich brach 1525 wieder die Pest aus und erneut 1528. Nostradamus war also wiederholt mit dieser Geißel der Menschheit konfrontiert. Und so ist die Behauptung Chavignys, er habe schon zwischen seinem 22. und 26. Lebensjahr praktische Erfahrungen im Umgang mit der Pest gesammelt, nicht völlig ins Reich der Fabel zu verweisen. Von einem Studium der Medizin kann aber in dieser Zeit noch keine Rede sein. Nostradamus wird Mühe gehabt haben, in diesen wirren Jahren überhaupt sein Artes-Studium abzuschließen.
Bis 1529 gibt es keine verlässlichen Nachrichten über den Aufenthalt des Nostradamus, er soll in Narbonne, Toulouse und Bourdeaux gewesen sein. Erst dann ist wieder eine verlässliche Spur zu finden. Am 23. Oktober 1529 schrieb er sich als Student in die Matrikel der Medizinischen Fakultät der Universität von Montpellier ein. Damit hatte er die modernste medizinische Fakultät als Studienort gewählt. Hier war es den Medizinern erlaubt, jedes Jahr eine Leiche zu sezieren. So konnte Nostradamus eine Ausbildung erwarten, die schon der neuzeitlichen Auffassung von der Medizin nahestand. Noch heute ist in den Archiven der medizinischen Fakultät die Matrikel erhalten, in die sich Nostradamus eintrug. Der Text seines Eintrags lautet: „Ich, Michael de Nostredame, von Nationalität provencalisch, aus der Stadt St. Remy der Diözese Avignon, bin in diese Universität gekommen, wo ich durch Gottes Gnade in Wort und Tat die Rechte, Statuten und Privilegien jetzt und künftig beobachten werde; ich erkenne hiermit diese Rechte an und wähle Herrn Antoine Romier als Vater und Paten, ...“. Ohne Beweis bleibt die Behauptung des Historikers Jean Astruc, der 1767 schrieb, Nostradamus sei auch zum Professor gewählt worden. Der Nostradamus-Forscher Ernst vermutet hier eine verherrlichende Legende. Die Geschichte der Universität Montpellier erwähnt ihren bekanntesten Studenten nicht mehr, selbst wann er sein Medizinstudium abschloss, ist nicht bekannt.
Allem Anschein nach studierte Nostradamus bis spätestens 1533 in Montpellier. Den Doktor-Titel erwarb er nicht. Er selbst bezeichnete sich in seinen Schriften immer nur als „Maitre“, also Magister. Seine nächste Station war die Stadt Agen, wo er als Arzt tätig war. Hier lernte er den aus Italien stammenden Gelehrten Julius Caesar Scaliger (1484-1558) kennen, den zu seiner Zeit einflussreichen und bekannten Philologen. Wieder ist wenig über diese Zeit bekannt. Gerüchten zufolge studierten die beiden Gelehrten okkulte Schriften. Die Freundschaft zu Scaliger hielt nach Chavigny nicht lange, zu sehr prallten die starken Persönlichkeiten aufeinander. Später sollte sich Scaliger sehr abfällig über die Schriften des Nostradamus äußern. [Scaliger, Poetices, Lib. VI, cap. 3]
In die Zeit seines Aufenthaltes in Agen fällt auch die erste Ehe des Nostradamus. Einen Sohn und eine Tochter brachte diese Frau zur Welt. Der Name der Frau und die der Kinder sind nicht bekannt. Schon bald müssen Frau und Kinder an einer Krankheit, vielleicht an der Pest, gestorben sein. Ein Prozess zwischen Nostradamus und seinen Schwiegereltern hatte wohl die Rückgabe der Mitgift zum Anlass. Der Aufenthalt in Agen soll zwischen drei und fünf Jahren gedauert haben.
Als die Bekanntschaft des Nostradamus mit einem anscheinend übel beleumundeten Zeitgenossen bekannt wurde, sollte er sich deshalb in Toulouse vor der Inquisition verantworten. Er zog die Flucht vor. Nostradamus begab sich auf Reisen, seinen Lebensunterhalt bestritt er wohl durch seine ärztliche Kunst. Erst 1539 taucht er nachweislich in Bordeaux wieder auf. Der dort ansässige Apotheker Léonard Baudon berichtet von einer Begegnung mit Nostradamus, es ist aber nichts genaues über seinen Aufenthalt bekannt. Auch aus den Städten Argenton und Bar-le-Duc sind Berichte von seinem Auftreten bekannt, die in beiden Fällen von sehr ominösen Betätigungen des Arztes sprechen. Anscheinend praktizierte Nostradamus damals zwar als Arzt, aber nicht ohne gewisse okkulte Praktiken. In dieser Zeit übersetzte er auch die Hieroglyphica des Horapollon – angeblich ein Werk aus dem 5. Jhd., doch tatsächlich eine Fälschung des 14. Jhd. - ins Französische. Das Originalmanuskript dieser Übersetzung ist in der Bibliothèque Nationale in Paris erhalten.
Das Wanderleben des Nostradamus war nun zu Ende und die Nachrichten über seine Aufenthaltsorte nehmen zu. 1544 studiert er unter dem Arzt Louis Serres in Marseille die Pest. Diese Studien müssen ihm zu einem guten Ruf verholfen haben, denn 1546 wird er von den Behörden der Stadt Aix als Pestarzt berufen. Von seinem Kampf gegen die Seuche berichtet Nostradamus in einem 1557 publizierten Buch mit dem Titel „Traité sur le remède contre la peste et toutes les fièvres“. Die Zustände in Aix müssen fürchterlich gewesen sein. Wer angesteckt war, blieb allein, konnte nicht einmal auf ein Glas Wasser hoffen. Die Standesgrenzen waren aufgebrochen, die Krankheit machte keinen Unterschied zwischen arm und reich. Selbstmorde der Angesteckten waren an der Tagesordnung. Doch bei allem Grauen blieb der Arzt standhaft und nahm den Kampf gegen die Krankheit auf. Das Ergebnis seiner Bemühungen war ein Medikament auf der Basis von Rosenblüten, Calamus-Wurzel und anderen pflanzlichen Bestandteilen. Die Masse sollte zu Pillen verarbeitet werden – doch hinterließ Nostradamus keine Anweisung, wie das Mittel angewandt werden sollte, dass es oral verabreicht wurde, ist lediglich eine Vermutung. Und seine Wirkung? Eine Wirkung auf den Pestbazillus (Y. Pestis) konnte nicht nachgewiesen werden, als der Versuch im Auftrag eines deutschen Fernsehteams durchgeführt werden sollte. Prof. Elisabeth Carmiel, die Direktorin des 'National Reference Center' der WHO am Institute Pasteur in Paris , teilte auf Anfrage mit, dass die ihr für den Test übergebene Mischung nach dem Rezept des Nostradamus zu sehr mit Bakterien verunreinigt war, um überhaupt für einen Versuch tauglich zu sein. Und so bleibt es bei Spekulationen, ob das Mittel vielleicht dadurch wirkte, dass es den Körpergeruch der Menschen überdeckte und so die Flöhe als Überträger der Pest fernhielt, oder ein echtes Medikament war. Es steht jedenfalls fest, dass Nostradamus als erfolgreicher Pestarzt galt. (Klein, 1999, S. 163-167)
Bis 1547 blieb Nostradamus in Aix, dann war seine Arbeit zunächst getan. Als in diesem Jahr Pestfälle in Salon de Craux auftraten, rief man nach Nostradamus. Er kam in die Stadt und machte sie zu seiner Heimat. Am 11. November 1547 heiratete er erneut. Anna Ponce Gemella sollte die Mutter seiner sechs Kinder werden. Doch bis 1550 begab er sich wieder auf Reisen. Er besuchte Venedig, Genua und Savona, auch war er wohl in Mailand. Im Jahr 1551 wurde eine Tochter geboren, Madeleine. Auf sie folgte 1553 sein erster Sohn, Caesar. In Salon entwickelte Nostradamus neben seinem Beruf als Arzt eine rege öffentliche Tätigkeit, so verfasst er gereimte Inschriften, unter anderem für einen Brunnen der Stadt.