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Das Rätsel des Beginns
ОглавлениеWas im Jahr 1119 in Jerusalem tatsächlich geschah, wird nie abschließend zu klären sein. Zwanzig Jahre zuvor hatten am 15. Juli 1099 die Teilnehmer des Ersten Kreuzzuges Jerusalem nach fünfwöchiger Belagerung im Sturm erobert. In den folgenden Jahren konnten die ersten Herrscher des neugegründeten „Königreichs Jerusalem“, Herzog Gottfried von Bouillon (Kg. 1099-1100) und sein Bruder Balduin I. von Boulogne (Kg. 1100-1118) zwar ihren Staat konsolidieren, aber weiterhin blieben Überfälle durch Beduinen und muslimische Banden auf die Pilgerkarawanen ein Problem. Ein stehendes Heer gab es im Heiligen Land nicht, die Kreuzfahrer kamen für einige Zeit ins Land, nahmen an den Kämpfen gegen die Muslime teil und zogen dann wieder heimwärts.
Unter diesen Rittern war auch Graf Hugo von der Champagne. Er hatte zwar nicht am Ersten Kreuzzug teilgenommen, war aber wohl um das Jahr 1104 im Heiligen Land und unternahm eine weitere Reise dorthin im Jahr 1113. In diesen Jahren muss im Umfeld des Grafen die Idee zur Gründung einer „militia Christi“ entstanden sein, eines Ordens von kämpfenden Mönchen. Schon zu dieser Zeit muss sich Graf Hugo selbst mit dem Gedanken getragen haben, einer solchen Gemeinschaft beizutreten, denn Ivo von Chartres wies ihn in einem Brief darauf hin, dies sei unmöglich, da er verheiratet sei. [Migne, Patrologia Latina, Vol. 162, col. 251f., ep. 245]
Mit der eigentlichen Gründung des Templerordens hatte Graf Hugo dann auch nichts zu tun, wenn mit Hugo de Payens auch einer seiner direkten Untergebenen zum Gründer der Gemeinschaft werden sollte. Erst im Jahr 1125 verzichtete Graf Hugo de Champagne zugunsten seines Neffen Thibaut auf seine Grafschaft und trat – wohl noch in Frankreich – offiziell dem Templerorden bei, wie Alberich von Troisfontaines berichtet. Noch im gleichen Jahr machte er sich auf den Weg ins Heilige Land. Auf dieser Reise starb der Graf, wohl ohne Jerusalem erreicht zu haben. [Chronicon Willelmi Godelli (s. D. Bouquet, XIII, 673D) und Chroncion anonymi canonici Laudunensis (D. Bouquet, XIII, 678n); Jubainville, 1860, S. 98-141]
Der Name des Gründers und ersten Großmeisters der Templer, Hugo de Payens, erscheint auf Urkunden der Jahre 1100 und 1113, die zeigen, dass er zum engen Umfeld des Grafen von der Champagne gehörte. Wann Hugo de Payens ins Heilige Land kam, ist allerdings nicht bekannt. Für seine Beteiligung am Ersten Kreuzzug, die immer wieder behauptet wird, gibt es keine historischen Belege, ebenso wenig, dass er Graf Hugo ins Heilige Land begleitete. Alle diesbezüglichen Annahmen und die daraus gezogenen Schlussfolgerungen sind reine Spekulation.
Über die eigentliche Gründung des Templerordens gibt es keinen zeitgenössischen Bericht. Erst Jahre und dann Jahrzehnte später wurde festgehalten, was im Jahr 1119 geschehen war. Dabei weichen die Nachrichten in den Details voneinander ab. Bernard le Trésorier, der Informationen verarbeitet, die aus der Zeit um 1129 stammen, führt den Templerorden auf eine Gruppe von Rittern zurück, die dem Prior des Hl. Grabes unterstellt gewesen seien, der aber keine entsprechenden Aufgaben für sie hatte. Mit Erlaubnis des Priors hätten diese Ritter schließlich einen Anführer gewählt und sich dem König von Jerusalem als Kämpfer gegen die Ungläubigen zur Verfügung gestellt. Aus dieser Gemeinschaft sei dann der Templerorden entstanden. Eine ähnliche Geschichte berichtet Michael der Syrer, ein armenischer Geschichtsschreiber. Seinen Worten nach hätte sich Hugo de Payens, der als Pilger nach Jerusalem gekommen war, zusammen mit 30 weiteren Rittern eidlich verpflichtet, dem König von Jerusalem drei Jahre lang zu dienen, dann aber in einen geistlichen Orden einzutreten. Doch als sich während ihres Waffendienstes ihre Fähigkeiten zeigten, habe der König Hugo den Befehl gegeben, mit seinen Leuten eine „militia“ zum Schutz vor Räubern zu bilden. Diesem Befehl kamen die Ritter nach und erhielten vom König die Moschee al-Aksa als Quartier. [Burman, 1986, S. 19-20]
Im Templerorden selbst wurde eine Geschichte der Gründung weitergegeben, die noch zur Zeit der Verhaftungen am Beginn des 14. Jahrhunderts erzählt wurde. So berichtete am 11. März 1311 der Notar Antonio Sicci de Vercelli, dass er ”... sagen hörte, dass zwei Ritter aus Burgund den besagten Orden der Ritterschaft vom Tempel auf die folgende Art begründeten: Diese beiden Ritter bewachten einst den Pass, der heute „Pilgerburg“ genannt wird, weil Reisende auf dem Pass, der damals „Reiseweg der Pilger“ genannt wurde, auf ihrem Weg zum Grab in Jerusalem beraubt und sogar getötet wurden. Diese Ritter blieben dort und bewachten den Pass für annähernd neun Jahre, während sich lediglich neun andere ihnen anschlossen. Wegen der militärischen Tapferkeit, mit der sie den Pass für den katholischen Glauben und die Sicherheit der Pilger bewachten, billigte der damalige Papst für sie den genannten Orden mit dem Habit, den sie angenommen hatten.“ [zit. n. Barber/Bate, 2002, S. 116; dt. J. Dendl]
Der ausführlichste Bericht über die Gründung des Templerordens und die Zeit bis zu seiner Bestätigung durch das Konzil von Troyes wurde allerdings erst in den siebziger Jahren des 12. Jahrhunderts verfasst. Erzbischof Wilhelm von Tyrus berichtet in seiner „Geschichte der in Übersee vollbrachten Taten“:
„In demselben Jahre beschlossen einige Edle aus dem Ritterstande, gottergebene und gottesfürchtige Männer, als regulierte Kanoniker dem Dienste Christi zu leben, und legten in die Hand des Herrn Patriarchen [Warmund; JD] das Gelübde der Keuschheit, des Gehorsams und der Armut ab. Die ersten und ausgezeichnetsten unter ihnen waren die ehrwürdigen Männer Hugo von Payens und Gottfried von St. Aldemar. Weil sie weder eine Kirche noch ein bestimmtes Haus hatten, wies ihnen der König [Balduin II.; JD] für die nächste Zeit in dem Teile seines Palastes, der gegen Süden an den Tempel des Herrn grenzt, eine Wohnung an. Die Kanoniker am Tempel des Herrn [des Felsendoms; JD] überließen ihnen unter gewissen Bedingungen, die ihnen gehörige Straße an dem genannten Palast für ihre Magazine, und der König mit seinen ersten Rittern, wie auch der Patriarch mit den Prälaten seiner Kirche, wiesen ihnen von ihrem Eigentum teils für eine bestimmte Zeit, teils für immer, die nötigen Einkünfte an. Ihre erste Aufgabe, die ihnen auch von dem Herrn Patriarchen und den übrigen Bischöfen, als ein Mittel, Vergebung der Sünden zu erhalten, besonders anempfohlen wurde, war, die Wege, hauptsächlich der Pilger wegen, nach ihren Kräften vor Überfällen der Räuber zu sichern. In den ersten neun Jahren trugen sie weltliche Kleider, wie sie ihnen das Volk, um ein gutes Werk zu verrichten, schenkte.“ [Wilhelm von Tyrus, XII, 7]
Die zitierten Berichte liefern ein zum Teil von Legendenbildung überlagertes Bild, haben aber Details, in denen sie übereinstimmen. Die Ordensüberlieferung zeigt die starke Betonung des Pilgerschutzes als erste Aufgabe des Ordens, wobei eine Beteiligung des Königs bei der Gründung des Ordens außen vor bleibt. Dagegen verweisen die Berichte des Armeniers und Bernards auf eine starke Beteiligung des Königs von Jerusalem. Auffällig ist auch, dass sich die Berichterstatter anscheinend nicht einig sind über die Zahl der ursprünglichen Templer. Und Wilhelm von Tyrus behauptete: „In diesen ersten neun Jahren bestand ihr Orden auch aus nicht mehr als neun Rittern, ...“ Die Legende von den neun Gründern hatte sich also schon im Verlauf des 12. Jahrhunderts verfestigt. Doch trifft diese Legende zu?
Für die spekulative Templer-Literatur wurde die Behauptung Wilhelms zum Dreh- und Angelpunkt der „geheimen Geschichte“ des Templerordens. Zahlreiche Spekulationen wurden darüber angestellt, was die Gruppe in dieser langen Zeit tat. Viele Autoren folgten der Idee des französischen Autors Louis Charpentier, der davon sprach, sie hätten im Heiligen Land nach geheimen Schriften gesucht, die sie dann nach Europa brachten.
Aber waren es über die gesamte Zeit bis zum Konzil von Troyes tatsächlich nur neun Ordensritter? Zunächst ist festzuhalten, dass es nicht wirklich möglich ist, die Ritter eindeutig zu identifizieren, die zur Gruppe der Gründer gehörten. Nur Hugo de Payens und Gottfried von St.–Omer werden in den Quellen unter den Gründern namentlich genannt, wenn überhaupt. Von neun Rittern sprechen nur Wilhelm von Tyrus und der ihm folgende Jakob von Vitry. Michael der Syrer nennt 30 Rittern, bei Bernard le Trésorier bleibt die Zahl unbestimmt, während es nach der Aussage des Notars insgesamt 11 Ritter waren.
Eine genaue Betrachtung der vorliegenden Quellen erbringt einige Namen. In der Einleitung zur Templerregel wird die Neunzahl nicht genannt, doch heißt es dort im siebten Abschnitt der Vorrede: „Und Bruder Hugo von Payens, der Meister der Ritterschaft, war selbst in eigener Person anwesend mit einigen seiner Brüder, nämlich Bruder Rotland, Bruder Godefroy, Bruder Goffroy Bisot, Bruder Payens von Montdidier, Bruder Archambaud von Saint-Amand.“ Es waren in Troyes also sechs Templer anwesend. Bei dem hier genannten Godefroy handelte es sich wahrscheinlich um Gottfried von St. Omer. In einem Brief des Königs Balduin II. werden noch die Templer Gundemar und Andreas genannt und eine Urkunde von 1125 wurde von einem „Robert, von der Miliz des Tempels“ mit unterzeichnet, während ein Templer namens Heinrich in einer weiteren Urkunde dieses Jahres genannt wird. Graf Hugo de Champagne kann auch noch zu den frühen Mitgliedern gerechnet werden, wenn er auch wenige Monate nach seinem Ordensbeitritt im Jahr 1125, wahrscheinlich auf der Reise nach Jerusalem, starb, ohne Wirkung im Orden entfaltet zu haben. Hinzu kommt auch noch Robert von Craon, der spätere Großmeister, der nach der „Historia pontificum et comitum Engolismensium“ um das Jahr 1125 nach Palästina ging und dem Orden beitrat. [Bulst-Thiele, 1974, S. 31] Es sind also aus der Zeit vor 1128 zwölf Mitglieder des Templerordens namentlich gesichert, was den Schluss zulässt, es habe wohl noch mehr gegeben. Die Zahl von 30 Mitgliedern, die Michael der Syrer nennt, erscheint so durchaus realistisch.
Und wenn es um die Behauptung geht, die ersten Templer seien auf dem Tempelberg einer geheimen Tätigkeit nachgegangen, dann wird das durch die Anwesenheit des Grafen Fulko von Anjou in Frage gestellt. Wie Odericus Vitalis berichtet, schloss sich der spätere König von Jerusalem im Jahr 1120 als „Ritter auf Zeit“ den Templern an und wohnte in ihrem Hauptquartier in der Moschee al-Aksa. Er lohnte ihnen die Gastfreundschaft, indem er Anweisung gab, dem Ritterorden jährlich 30 angevinische Pfund aus zu zahlen. [Odericus Vitalis, Historia Ecclesiastica, Pars III, Lib. XII, cap. XV (PL, Vol 188, Sp. 893-894)] Vor diesem einflussreichen Mann hätten die Templer ein Geheimnis nicht lange verbergen können. Auch ist davon auszugehen, dass er auch in dieser Zeit nicht der einzige Affiliierte des Ordens gewesen sein dürfte.