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10. Der unverzeihliche Fehler
ОглавлениеDiese Schmerzen!
diese verdammten, ungerechten Schmerzen, die ihn jeden frischen Tag aufs Neue quälten. Sie durchbohrten seinen Rücken und seine Brust wie glühende Dolche, die sich in seinem Fleisch verhakten!
Er hasste es!
Oh, wie sehr er es hasste!
Und er verfluchte seine Unfähigkeit, in Situationen, die Selbstbeherrschung erforderte, Ruhe zu bewahren.
Sein loses Mundwerk brachte ihm nur Schwierigkeiten ein. Doch konnte er die Klappe halten? Nein, natürlich nicht!
Und mehr noch als sich selbst hasste er Satan und seinen treuen Handlanger Chutriel, die strenge, grausame, rechte Hand des Höllenfürsten.
Chutriel, das sadistische Gehirn Satans, arbeitete an immer ausgefeilteren Methoden, seine Opfer zu quälen und zu demütigen.
Er hielt Mephisto in Gefangenschaft, der wie jeden beginnenden Tag gefesselt an seinen Ketten hing, kniend auf dem harten Steinboden des Schlosskerkers, sodass die Haut am Berührpunkt zu den kalten Fliesen rot gescheuert war und der Knochen darunter sich anfühlte, als würde er sich allmählich selbst zermalmen!
Ja, Teufel konnten Schmerzen spüren!
Und manchmal wünschte sich der junge Teufel nichts sehnlicher, als wenn dieser Makel – diese einzige Schwäche – nicht bestehen würde. Doch er machte sich nichts vor, dies würde nicht geschehen. Und es hatte einen Grund.
Dem Höllenfürsten und seinem Bestrafer musste die Möglichkeit offen stehen, Ungehorsame und Tölpelhafte in die Schranken zu weißen. Und wenn nicht durch höchst grausame Qualen, wie denn dann? Man konnte den Teufeln nichts wegnehmen und in deren Seele den Wahn und das Leid einzupflanzen war nicht Chutriels Aufgabe, sondern Mephistos. Und dieser würde sich wohl kaum selbst bestrafen – zumindest nicht in dieser Weise.
„Komm steh auf, es wartet eine Aufgabe auf dich!“
Mephisto sah erschrocken auf. Wieder einmal war Chutriel erschienen, genau in jenen Moment, da er in seinen Gedanken vertieft gewesen war. Und es folgte der so verhasste Tag, der für den zukünftige Höllenfürsten wie eh und je schlecht begann.
So wie meistens!
So wie immer!
Auch wenn er sich jedes Mal freute, wenn die Nacht vorbei war und er sich endlich wieder bewegen konnte, so erschöpfte ihn die Tatsache, dass er seit Jahrhunderten kein Auge zugetan hatte.
„Gefällt es dir, Chutriel?“, begann er mit Verbitterung in der Stimme und Hass im Gesicht.
Der angesprochene Dämon, der sich schon am Hinausgehen befunden hatte, blieb stehen und wandte sich mit einem erstaunten Gesicht um. „Was?“, fragte er argwöhnisch.
„Gefällt dir deine Aufgabe hier?“
Der achtsamen Miene folgte ein hämisches Lächeln. „Selbstverständlich, was denkst du denn? Auch wenn es von Anfang an nicht so gewesen wäre, würde ich es nach etwa tausend Jahren wohl gelernt haben zu lieben. Allerdings war das nicht nötig!“ Mit einer fiesen Grimasse fügte er hinzu: „Ich mochte es von Anfang an!“
So siehst du aus!
Mephisto schnaubte verächtlich und richtete sich langsam mit schmerzverzerrtem Gesicht auf. Jeder seiner Knochen schien zu brennen. Er klaubte seinen schwarzen Mantel auf und zog sich an. Chutriel beobachtete ihn dabei, fast sehnsüchtig.
„Was schaust du so?“, blaffte Mephisto ihn an.
„Ach, ich bewundere deinen Körper ein bisschen. Aber du willst ja nicht…“
Nein, will ich nicht, dachte sich der geknechtete Teufel. Dafür hasste er den Bestrafer zu sehr.
Chutriel, eine kurze Zeit etwas gedankenverloren, ging wieder zu seinem normalen Wesen über: „Jetzt beeil dich, du Faulpelz! Du hast Arbeit zu erledigen, die du wieder gebührend vermasseln kannst!“
„Mach´s doch besser, du Idiot!“
Ein bellendes Lachen und schon war der Bestrafer aus dem Kerker geschritten.
„Guten Morgen, mein Süßer!“
Hel war wieder einmal viel zu gut gelaunt. Doch nicht nur sie erfreute sich eines optimistischen Entgegentretens auf einen neuen Tag. Nein, alle verflixten Dämonen, ob nun Teufel oder nicht, machten ihre Späße zusammen. Hoch gesottene Wesen von Mysellis Mawor, die mit blauem Blut und einem goldenen Löffel im Gesäß auf die Welt kamen, lachten ausgelassen zusammen und tratschten blöde.
Nur nicht Mephisto.
In dem gemütlichen Gemeinschaftsraum, erleuchtet und erwärmt von dem prasselnden Feuer, fanden sich alle Schlossbewohner nach und nach ein, um noch vor den Lasten ihres arbeitsreichen Tages miteinander zu reden und wach zu werden. Denn der Tag an sich war schon beschwerlich genug.
Als der junge Teufel in den Raum trat und sich von Hel zur Begrüßung hatte umarmen und küssen lassen, blickte Sepherion auf und lachte auf seiner unwiderstehlichen Weise.
„Na, mein Freund, eine schöne Nacht gehabt?“, fragte er.
„Na, mein Freund, heute schon eine auf die Fresse bekommen?“, antwortete Mephisto verdrießlich.
Sepherion schmunzelte sachte: „Gut gelaunt, wie immer. Ach übrigens“, er setzte auf einmal eine ernste Miene auf: „Beelzebub ist immer noch nicht aufgetaucht. Ich denke, dass es heute deine Aufgabe ist, ihn wieder zurückzuholen!“
Mephistos Kopf ruckte nach oben: „Was? Wieso ich?“
„Irgendjemand muss es tun. Satan wird schon wütend auf den Kerl, noch mehr als normalerweise auf dich!“ Diese Tatsache schien ihn zu beeindrucken.
„Ja, aber warum ausgerechnet ich?“, empörte sich Mephisto.
„Wir haben unsere Aufgaben schon abgeholt. Wir alle, außer dir! Und bei uns stand nicht auf dem Zettel, dass wir ein rotes, unfähiges Ungetüm einfangen sollten. Dreimal darfst du raten, wer dann noch übrig bleibt! Tut mir wirklich Leid für dich, mein Freund“, schloss er. Und man sah ihm an, dass dies ernst gemeint war.
Der junge Teufel verdrehte mürrisch seine Augen. Wie er diesen Morgen jetzt schon hasste!
Beelzebub, dieses unfähige, hässliche, dumme Etwas von einem Teufel war nach Satan das älteste, noch existierende Mitglied der Höllenwesen, auch wenn man das kaum glauben konnte. Denn er war ein Trampel, absolut zu nichts zu gebrauchen und selbst seine Hauptaufgabe, das Schlagen und Quälen von sündigen Menschen, musste von Chutriel ergänzt werden, da es dem Tölpel an Ideenreichtum mangelte. Das Schlimmste war, dass er an Mephistos Fersen hing, wie ein treudoofer Zerberus, weil der junge Teufel ihn als einzigen einigermaßen als das respektierte, was er eigentlich sein sollte: ein wertvolles Mitglied der Hölle! Obwohl er dies auch schon lange nicht mehr tat. Sein einziger Fehler war jedoch, dass er es einmal getan hatte! Und Beelzebub dankte einem sein Leben lang.
„Umpff“ Mephisto bekam schon Kopfschmerzen, wenn er nur daran dachte, wie er sich selbst immer wieder ein Bein nach dem anderen stellte.
„Und wo soll ich diesen Idioten finden?“, fragte er unwirsch an Chutriel gewandt, der gerade die Treppe hinab gestiegen war. Denn neben seiner Aufgabe der Bestrafung verteilte dieser die Aufgaben an die verschiedenen Teufel und betraute schließlich den Steingötzen mit der Übermittlung.
„Stell dich nicht so an, das wirst du wohl selbst herausfinden können!“, fuhr er auf, nachdem er die Überraschung überwunden hatte, aus heiterem Himmel angeraunzt zu werden und schließlich ärgerlich geworden war.
Mephisto erhob sich schweigend, wenn auch innerlich fluchend von seinem gemütlichen Sessel, seufzte ins Feuer und schlurfte lustlos den dunklen Gang entlang, der zu der riesigen Pforte von Mysellis Mawor führte. Dort würde er von dem hässlichen Gargoyle seine Aufgabe entgegen nehmen, die er nun schon kannte.
„Mephisto Dantoteles“, sagte er teilnahmslos, als er vor dem Steingötzen stand, der ihn auffordernd anstarrte. Dieser kramte schließlich in dem Schlüsselloch unter sich nach dem Zettel.
„Ah ja, soso, hier haben wir ihn haben wir! Der Teufel Mephisto Dantoteles, der Teufel der Verzweiflung, Mephisto, hat die Aufgabe sich heute, zu jenem Tag, die Pflicht, den Teufel, einen der Höllendiener namens Beelzebub Asmodis, den Teufel der Schmerzen, zu finden, aufzusuchen, zu erhaschen und hier, in dieses Schloss, hierher, wieder herzubringen und hier abzuliefern!“
„Oh, Freude“, entglitt es dem jungen Dämon.
„Viel Spaß wünsch ich, viel Vergnügen“, grinste der hässliche Steingötze und war wieder zu Stein erstarrt, um einer bissigen Erwiderung zu entgehen.
Der Teufel rieb sich die Stirn und dachte mit geschlossenen Augen angestrengt nach.
Wo finde ich diesen verdammten Versager? Wie fange ich an?
Das Reich der Unterwelt war ja nicht gerade klein. Und er vermutete, dass Beelzebub sich nicht in der Welt der Lebenden befand.
Eine plötzliche Eingebung sagte ihm, dass er zuerst nach Kytkeria gehen musste. Denn dort, in der zweitgrößten Dämonenstadt, hörte man viele Gerüchte, wenn man wusste, wo man Fragen stellen sollte. Und manch dieser Gerede waren am Ende nahe an der Wahrheit.
Mephisto öffnete seine Augen, durchschritt die schwere Pforte des Schlosses, die beim Öffnen jahrhunderte alt knarzte und verschwand abermals in einem Odem des Feuers.
Kytkeria war eine große Stadt. Und sie war im Gegensatz zu Alborqu nicht schäbig, sondern durchaus bewohnbar, mit großen Häusern und Wohnanlagen, auch für Dämonen, die nicht ganz so viel Geld hatten, aber doch genug, um nicht in einem verseuchten Rattennest zu leben, wie es die dritte Stadt der Unterwelt war. An dem gepflasterten Weg drängten sich Pubs und Geschäfte für tägliche Erledigungen. In der Ferne, an einem felsigen Hügel, sah man die voluminöse Festung des Stadtfürsten Heros, einem Byklopen, der hinten und vorne am Kopf jeweils ein Auge besaß und um die vier Meter maß. Mephisto wusste von ihm, dass er gerne in die Arena ging, um dort seine Muskeln zu stählen. Und man wusste auch, dass die Kämpfe dort tödlich enden konnten, was einige Trolle, Orks, Goblins, Minotauren und sonstige schwarzen Kreaturen nicht daran hinderte, trotzdem daran teilzunehmen – nicht zuletzt, weil man dort neben Ehre und Achtung eine Menge Gold verdienen konnte.
Es ist ein ewiger Fluch der Toren, dem Geld nachzujagen. Denn während man in Kytkeria unbeschwert seine Existenz auslebte und durch Schweiß und Fleiß seinen Unterhalt verdiente, war man in Mysellis Mawor von Ketten aus Gold und Edelsteinen gefesselt.
Mephisto, dem dieser Gedanke einerlei war, hatte in Kytkeria eine Stammkneipe, auch deswegen, weil Morgus dort des Öfteren einkehrte, um über den Blutdurst zu trinken. Und diese Kneipe mit den Namen Grapeviner war ein Garant für alle Gerüchte, die sich in letzter Zeit in der dunklen Welt verbreitet hatten. Der geeignete Ort also, um seine Suche zu beginnen.
Als er eintrat, war bereits eine rege Stimmung zugange: Hinten, neben der Bar, prügelte sich ein Kampfgoblin mit einem Blutsauger, dem eben jenes in Masse aus seinen Nasenlöchern spritzte. Als der junge Teufel näher hinsah, erkannte er, dass es sich hierbei nicht um Morgus handelte und kehrte der Schlägerei den Rücken zu, um sich auf einen freien Stuhl an einem Tisch mit nur einem weiteren Gast – einem Zombie – niederzulassen.
„Guten Morgen“, sagte er.
Der Untote starrte ihn nur aus seinen eingefallenen Augen heraus an und sagte nichts; wahrscheinlich konnte er es nicht einmal. Doch Mephisto probierte es noch mal: „Na, in letzter Zeit etwas Interessantes passiert?“
Diese Frage war in dem Pub so etwas wie eine Standartprozedur, mit der man zu verstehen gab, dass man etwas hören wollte. Der Untote stierte jedoch nur weiterhin völlig teilnahmslos zum Tresen, hob seine rechte verfaulte Hand und der Wirt, eine Miniaturausgabe eines Trolls, brachte ihm sein Getränk, das wie Wasser mit Hackfleisch aussah.
„So, gibt es Gehirn jetzt wohl auch schon in flüssig?“, grinste er der lebenden Leiche entgegen. Doch diese beachtete ihn weiterhin nicht. Der Wirt mischte sich ein: „Vergiss es, mein Freund! Bei dem hat sich bereits alles zersetzt, auch die Stimmbänder! Recht kurzlebige Geschöpfe, diese Zombies“, fügte er nachdenklich hinzu. Dann wandte er sich wieder an den Teufel: „Wenn du was wissen willst, solltest du zu Spikle gehen, das ist dieser Kampfgoblin, der gerade den Vampir da drüben zu Brei geschlagen hat. Er hat in letzter Zeit einiges gehört, wie es scheint. Darunter“, der Troll schmunzelte: „scheinbar auch, dass die Geliebte dieses Vampirs sich mit einem Gnom eingelassen hat. Ehrlich gesagt, da wäre ich auch ausgerastet!“ Mit einem freundlichen Zwinkern entfernte er sich und ging kopfschüttelnd lachend zu einem anderen Gast, um dessen Bestellung aufzunehmen.
Mephisto warf einen letzten Blick zu dem stummen Untoten, der nicht zu bemerken schien, dass der Eiswürfel, an dem er gerade genüsslich lutschte, nichts anderes als sein eigenes rechtes Auge war. Er ging rüber zu Spikle und klopfte ihn mit einem Finger auf die Schulter.
Mit einem erschrockenen Zucken wandte sich der Goblin um und fasste sein Gegenüber mit argwöhnischem Blick ins Visier. „Oh! Dachte, des is schon wieder dieser dämliche Vampirjunge! Der soll sich nich nochma mit mir anlegen!“ Bei diesen Worten plusterte er sich auf und offenbarte dürre, jedoch seltsam muskulöse Arme. Er sah den Höllenbewohner auffordernd an: „Was willstn du eigentlich von mir?“
Mephisto ignorierte die unverschämte Ausdrucksweise, weil er wusste, dass dies für einen Kampfgoblin völlig normal war. „Ich habe gehört, dass du ein paar Gerüchte aufgeschnappt hast! Und ich bräuchte ein paar Infos, die du mir vielleicht geben könntest!“
Spikle grinste und offenbarte dabei makellos weiße, aber sehr spitze Zähne: „Junge, da bisse bei mir anner richgen Adresse! Ich weiß ne Menge! Was willsn wissen?“
Der Teufel zögerte nicht lang, packte sein Gegenüber am Arm und zerrte ihn schließlich in einen Nebenraum. Spikle empörte sich darüber und versuchte sich erfolglos aus dem starken Griff zu befreien: „Was solln das, Junge? Lass mich los, Mann“, brüllte er zornig.
Mephisto zeigte sein gefährlichstes Grinsen: „Uns sollen nicht alle belauschen! Du wirst mir nun sagen, was du über einen Teufel namens Beelzebub weißt! Also, spuck´s aus!“
Der Kampfgoblin sah so aus, als würde er gleich auf den Teufel losgehen – offenbar hatte er noch nicht bemerkt, wen oder was er vor sich hatte. Er dachte wohl, mit diesem lästigen Fremden könnte er genauso umgehen, wie mit dem armseligen Vampir, dessen Freundin er als Schlampe bezeichnet hatte und jetzt auf dem Boden des Schankraumes vor sich hin jammerte.
„Ich will wissen, was du über den Verbleib von Beelzebub weißt!“, wiederholte Mephisto ruhig und weiterhin lächelnd.
Spikle sah ihn einige Zeit lang ausdruckslos an. Dann, als wäre ihm ein Licht aufgegangen, wurden seine Augen groß und sein Gebaren änderte sich schlagartig.
Er sagte: „Viel weiß ich nicht, Mann! Man munkelt, dass so´n großer, hässlicher Dämon, der total rot war, eine Frau mit sich geschleppt hat, die sich total gewehrt ha´m soll!“
Der Teufel runzelte die Stirn. Die Beschreibung eines „großen, hässlichen Dämons, der total rot war“ passte wie die Faust aufs Auge zu Beelzebub.
„Wo war das?“, fragte er.
„Weiß nich genau!“
„Was heißt <nicht genau>?“
„Man munkelt´s halt, Mann, deswegen heißt´s Gerüchte!“
„Was erzählt man sich so! Komm schon, lass dir nicht alles aus der Nase ziehen, ich hab nicht den ganzen Tag Zeit!“
Der Goblin überlegte. „Man sagt, die sei´n Alborqu. Aber ich weiß nich´ was ich davon halten soll. Ich mein, warum ausgerechnet in diesem verpissten Rattennest?“
„Um sich zu verstecken, du Blödmann“, dachte der Teufel, sprach es allerdings nicht aus.
Spikle sah ihn einige Zeit lang mit interessierter Miene an, dann sagte er: „Du bist einer von den´n, oder etwa nich´?“
Mephisto sah ihn fragend an: „Von wem?“
„Na, einer von den´n, die im Schloss le´em. Die Bestrafer der Menschen!“
„Du bist einer von der ganz schnellen Sorte“, spottete der Teufel.
„Boah ey, ich pack´s nich´! Endskrass, dass ich ma´ so ein´ seh“, sagte Spikle mit sichtlicher Ehrfurcht.
Doch Mephisto war es egal. Ohne Spikle auch nur eines weiteren Blickes zu würdigen, wandte er sich um. Der Gerüchtekönig rief ihm hinterher: „Ey, wart´ ma´! Wo gehst´na so schnell hin? Hab´ ich was falsch´s g´sagt?“
Doch der Höllendiener hatte keine Zeit für ungehobelte, selbstverliebte Angeber und verließ die Bar. Er ließ es sich aber zuvor nicht nehmen, dem Zombie noch ein Hirngebräu zu spendieren.
Statt einem <Dankeschön> erntete er für seine großzügige Tat nur einen dümmlichen, verständnislosen Blick.
Na, vielen Dank auch!
Noch mehr verhagelte ihm der Gedanke an seinem weiteren Weg den Tag.
Alborqu, dachte er grimmig, nicht gerade mein Lieblingsort. Aber ich hätte mir denken können, dass dieser Feigling sich dort versteckt.
Doch Mephisto hatte keine andere Wahl. Wenn nur der leiseste Verdacht darin bestand, dass Beelzebub in Alborqu war, dann musste er ebenfalls dorthin. So ging sein Mantel erneut in Flammen auf, umfasste seine Silhouette und er tauchte zeitgleich viele Meilen entfernt wieder auf und blickte sich um.
Modriger, schwelender Gestank biss in seine Nase. Dieser rührte von einem Leichnam, aus dessen Rücken strahlende Flammen tanzten. Der leblose Körper machte es unmöglich zu erkennen, ob das Brandopfer ein Mensch oder ein Dämon gewesen war! Schon näherten sich gierige Gesichter, vermummt in den versteckten Nischen der Ruinen! Für die ausgemergelten Ungeheuer von Alborqu musste das verbrannte Fleisch wie ein Festschmaus duften! Bald war der Kadaver gelöscht, auseinander gerissen und bestialisch verschlungen worden! Und die Menschen konnten das Schauspiel aus von Grauen erfüllten Augen heraus beobachten! Den jungen Teufel wiederum interessierte weder die erbarmungslose Armut, noch die brachiale Gewalt, mit der um den Schmaus gerungen wurde! Er hatte einzig und alleine sein Vorhaben im Sinn: Beelzebub, der in diesem Hort des Grauens versteckt sein sollte.
Die Elendsstadt alleine genannt war ein recht schwacher Anhaltspunkt, denn der Ort war, trotz dessen er fast die kleinste der Dämonensiedlungen war, ziemlich groß. Er überlegte, wo er mit der Suche beginnen könnte. Mit einiger Verachtung im Gesicht erblickte er dass Alborquer Herrenhaus, das Anwesen von Shazgiem.
Nein, den Stadtherrn würde er nicht bitten, ihm zu helfen! Aber an wen sollte er sich denn dann wenden?
Menschen wollte er nicht fragen, auch wenn es ihnen in hier möglich war, andere Dämonen zu sehen, da viele von ihnen bereits tot waren. Dies war der Ort, an dem Drigorius seine Opfer herbrachte, um sie dem Siechtum und Elend auszuliefern. Doch das Lästige war, dass die Dämonen hier ebenfalls nichts als Abschaum waren, ihr Stadtherr eingeschlossen.
Es schien, als würde es eine langwierige Suche werden und der Teufel fragte eine Gruppe von Trollen, Fimiren und Halbmenschen, die nicht ganz so verwahrlost aussahen wie der traurige Rest dieses Ortes, wo man hier etwas zu trinken bekäme. Denn abgesehen davon, dass Alborqu geradezu ein Synonym für armselig war, gab es hier die besten, für Dämonen ungefährlichen Getränke, da hier der Tua-Kail floss (in den aber unglücklicherweise des Öfteren die Besoffenen hineinpinkelten oder erbrachen, weswegen man eine Kläranlage gebaut hatte, die wenigstens die gröbsten Brocken von der Flüssigkeit trennten). Der Fimir, der weniger aussah wie ein Dämon, viel eher wie ein Schwein mit Saugrüssel, erklärte ihm den Weg zum Freany Haze dem „besten Laden in diesem verdammten Loch“, wie er es nannte und hielt seine Hand offen, um seinen Lohn zu empfangen. Dies war offenbar Sitte in Alborqu: für jeden noch so kleinen Gefallen verlangte man eine Vergütung. Der Teufel ging jedoch einfach an der Gruppe vorbei.
Wie er erwartet hatte, kam von hinten ein zornig gegrunztes: „Hey, wo ist mein Anteil, du Schweinehund?“
Mephisto konnte sich ein abfälliges Grinsen nicht verkneifen, besonders, wenn eine Schweinefresse wie dieser Fimir ihn so bezeichnete. Allerdings fiel ihm daraufhin schmerzlich ein, dass er Dämonen, egal wie strunzblöd, hässlich, ausfallend oder brutal sie auch waren, nicht verletzen durfte, wenn es sich vermeiden ließ. Und durch seine Provokation, die ihm schon auf der Zunge lag, wäre dies genauso ein von ihm verschuldeter Angriff.
Sie fragen, warum Teufel andere, niedere Dämonen nicht mit Vorsatz verletzen dürfen? Weil Dämonen die Diener der Teufel sind, damit Besitz von Satan und Mephisto würde mit der Verstümmelung eines niederen Dämons sein Eigentum beschädigen. Ganz einfach deshalb.
Mephisto kramte ein paar goldene Münzen aus seinen Taschen hervor und warf sie den gierigen Trollen, Fimiren und Halbmenschen zu: „Da habt ihr euren Lohn! Werdet glücklich damit – ich meine so glücklich man hier werden kann“, sagte er verächtlich und machte kehrt, um den Weg einzuschlagen, den ihm der Fimir erklärt hatte. Während die Gruppe der schmuddeligen Dämonen sich schlagend und prügelnd um das Geld zankten, kam ein Ork vorbeigehuscht, machte sich absolut unbemerkt das Gold zu eigen, dass traurig und verlassen neben der Staubwolke aus prügelnden Schweinefressen bestand und rannte gackernd davon!
Mephisto ging die Hauptstraße Alborqus entlang und dachte sich: „Zur Hölle, was ist das hier bloß für ein trauriger, heruntergekommener Ort“, während er an verfallenen Häusern, zerstörten Parkbänken, Pfützen von Erbrochenen und Kothaufen vorbeilief, was alles irgendwie gleich roch.
Es musste schlimm sein, hier auf Ewig weilen zu müssen. Noch während er darüber sinnierte, wie es wäre, bis in alle Zeit in diesem Ort gefangen zu sein, plätscherte auf einmal ein übel riechender Strahl auf ihn hinab.
„Uääärhhh“, rief er zornig, als er erkannte, was ihn da getroffen hatte und schüttelte sich vor entsetztem Ekel!
Er blickte hasserfüllt nach oben, um den Ursprung dieses unwillkommenen Geschenks auszumachen und sah das zerstörte, abgemagerte Gesicht einer jungen Frau, deren Miene absolute Hoffnungslosigkeit und Schmerzen verriet.
„Verdammtes Weib, kannst du nicht aufpassen?“, schrie er sie an und drohte mit seiner Faust.
Anschließend ging er in Flammen auf, um sich zu reinigen (dabei achtete er besonders darauf, dass er kein Haus oder ähnliches in Brand setzte, obwohl er hier nichts Erhaltenswertes würde zerstören können). Ein Gargoyle, der seine Schmach gesehen hatte, lachte boshaft und zeigte mit seiner Steinklaue auf ihn, denn der junge Teufel hatte sich im wahrsten Sinne des Wortes wieder einmal <schwarz geärgert>, als die todbringende Flüssigkeit auf seinem siedend heißen Körper hinabgeregnet und Löcher in seine Haut gefressen hatte!
„Halt den Mund, du Wicht“, drohte der Teufel halb taub vor Schmerz.
„Ha, warum sollte ich? Lässt dich von einer Frau von oben anreihern, sah urkomisch aus, sag ich dir“, antwortete dieser gehässig.
Wieso erkannte hier eigentlich niemand, was er war? Dann würden ihm solche Unverschämtheiten erspart bleiben.
„Jetzt hör mal zu! Weißt du überhaupt, wer ich bin?“, fuhr er den ahnungslosen Steinmenschen an, der immer noch hämisch lächelte.
„Nein, keine Ahnung! Siehst aus, wie ein schwächlicher Mensch mit Hörnern. Na los, willst dich mit mir anlegen, oder was?“
In Sekunden hatte Mephisto einen Feuerball in seiner Hand erzeugt, war blitzschnell genau vor dem Gargoyle zum Stehen gekommen und packte diesem am Hals, woraufhin er augenblicklich schreckensbleich wurde.
„Was bist du denn für einer?“, stammelte er.
Der Teufel deutete auf seine Hörner: „Kleine Hilfe für dich, Gargoyle!“
Sein Blick folgte dem zeigenden Finger, doch er schien immer noch ratlos: „Schwächlicher Mensch mit Hörnern aufm Kopf, hätte ich gesagt. Allerdings hab ich grad gesehen, dass du das nicht bist!“
Mephisto verlor langsam seine Geduld und rief: „Verdammt noch mal, ich bin ein Teufel! Dein Herr und Meister!“ Und endlich war auch bei diesem Dämon der Groschen gefallen.
Er stotterte: „M-m-meister, ver-verzeiht mir! I-i-ich hab Euch n-nicht erkannt. Ab-aber wenn Ihr erlaubt, i-i-ich war nicht d-der einzige, der gelacht hat. Schaut zu der Frau, die Eu-eu-euch entehrt hat. Sie lacht ebenfalls“ und er deutete mit seiner Klaue nach oben.
Mephisto drehte sich schnell um und starrte mit Verblüffung im Gesicht nach oben.
Sein Blick blieb an der verzweifelten Frau hängen, die immer noch kreidebleich im Gesicht war und fast hätte er die schwarzen Augen übersehen, denn nur wenige Sekunden später waren diese wieder normal.
Der Teufel ließ augenblicklich den Gargoyle los und hastete, flog nach oben auf den Balkon, wo die Frau stand. Diese erschrak und rannte in das schäbige Haus zurück. Kaum war Mephisto ihr in das schmutzige Zimmer gefolgt, da flog auch sie aus dem Fenster und landete auf dem nächsten Dach, nicht ohne ihrem Verfolger vorher einen letzten, angsterfüllten Blick zuzuwerfen.
Auf den Dächern von Alborqu entbrannte plötzlich eine halsbrecherische Verfolgungsjagd! Die Frau stürmte mit einem panischen Angstschrei davon, hinter ihr der fluchende Verfolger! Die Dämonen der Stadt betrachteten das Schauspiel neugierig. Adrenalin schoss durch Mephistos Körper und er flog schneller, doch sein Opfer war ebenfalls flink! Es sprang mit einer rasanten Geschwindigkeit von einem Dach zum anderen und schüttelte Mephisto fast ab, als sie auf den Straßen landete und zu Fuß davoneilte, wobei sie ebenfalls ein erstaunliches Tempo zurücklegte! Hie und da einen Dämon oder Mensch aus dem Weg schubsend bahnte sie sich den Weg durch die engen Gassen und rannte schließlich in einen zerstörten, felsigen Quader aus grob gebrannten Backsteinen! Der Teufel folgte ihr hinein! Kaum war er durch die Eingangstür gehechtet, musste er ausweichen, damit er nicht von einem schweren, eisernen Kerzenhalter erschlagen wurde, der auf ihn zugeflogen kam!
Nur Sekundenbruchteile sah er ein Bein hinter einem Vorhang verschwinden und setzte die Jagd fort! Als er den Behang zur Seite zerrte und hastig durch den Bogen sprintete, stolperte er und fiel fast die dahinter liegende Treppe hinunter, konnte sich aber an dem seitlichen Geländer festhalten! Ein irres, unmenschliches Gelächter schallte von unten herauf, verstummte jedoch schnell wieder, als ob sein Verursacher sich schnell mit der Hand den Mund zugehalten hatte, aus Angst, seine Position verraten zu haben! Am Ende der Treppe ging es wieder durch eine Gittertür! Hinter ihr zweigten drei unterirdische Gänge ab! Mephisto besah sich die Abzweigungen, überlegte kurz, welchem Gang er folgen sollte, erinnerte sich jedoch wieder, dass er Magie beherrschte und schickte durch jeden Stollen einen flammenden Feuerstrahl! Beim mittleren ertönte ein entfernter Schmerzschrei, woraufhin er hinterher hechtete. Während er rannte, schoss er weitere, alles zerstörende Feuerbälle in die Dunkelheit, die bei jeder Kugel diesem lohenden Infernos kurzzeitig entfloh, um dann doch wieder zurück zu schleichen! Immer wieder ertönte der gequälte Schmerzschrei ihrer schrillen Frauenstimme! Es dauerte nicht lange und sie erschien wieder in seinem Blickfeld! Da ihm das Rennen langsam zuwider war und er sich eingestehen musste, dass sein Opfer ebenso schnell war wie er selbst, beschwor er mit einer schnellen Bewegung eine Mauer am Ende des Ganges herauf und die Frau, die sich kurz umgedreht hatte, um zu sehen, wie viel Abstand noch zwischen ihr und ihrem Verfolger bestand, drehte sich zu spät wieder nach vorne, kreischte ein letztes mal und knallte hart gegen den unnachgiebigen Stein!
Nicht mehr lange und der Teufel hatte sie endlich erreicht. Sie lag bewusstlos auf dem Boden. Aus der Nähe sah sie noch erbärmlicher aus, als Mephisto zuvor erkannt hatte. Sie sah aus, als wäre sie innerhalb kürzester Zeit um Jahrzehnte gealtert: Sie hatte schmutziges, blondes Haar, ihre Gesicht hatte eine ungesunde Färbung, bleich bis gelblich und ihre Augen waren tief eingesunken. Durch Mephistos Einwirken war sie an manchen Körperstellen schwer verbrannt, sodass sich ihre Haut vom Fleisch abblätterte und eine Platzwunde zeigte sich auf ihrem Kopf, dort wo sie gegen die Wand gerannt war. Sie konnte nicht älter als dreißig Jahre sein. Und Mephisto wusste, wie es sein konnte, dass ein Mensch derart ausgemergelt aussah.
Er hob die Frau unter den Achseln, stemmte sie mit dem Oberkörper senkrecht gegen die Wand und gab ihr eine schallende Ohrfeige.
Sie erwachte und begann zu heulen, teilweise ob des Schmerzes durch den Schlag, größtenteils wegen der panischen Angst vor jemanden, den sie auf einmal selbst gar nicht mehr sehen konnte. Und der junge Teufel wusste auch diesmal, warum er in ihren Augen plötzlich nicht mehr sichtbar war, obwohl sie nur wenige Augenblicke zuvor noch vor ihm geflohen war!
Da war etwas in ihr!
Nicht nur etwas – jemand!
„Komm raus, du Feigling“, sagte der Teufel ruhig.
Doch sie wimmerte nur, blickte verstört nach rechts, nach links, rundherum. Doch sie sah nichts, außer dem nackten Stück Mauerwerk, das von einer kargen Kerze beleuchtet wurde. Sie durchlitt schreckliche Qualen, die ihr vom gefräßigen Feuer des Höllenbewohners und ihrer blutenden Wunde am Kopf zugefügt worden waren!
Der Teufel packte sie an den Schultern und blickte ihr tief in die Augen: „Ich weiß, dass du da drin bist! Komm raus, sofort!“
Sie konnte es nicht verstehen. Sie konnte nicht wissen, warum sie auf einmal einen starken Druck auf ihren Schultern fühlte, warum sie nach oben gerissen wurde! Und sie kreischte ihr Grauen panisch heraus!
„Beelzebub, ich weiß, dass du in ihren Körper eingedrungen bist! Letzte Warnung, oder ich hol dich da eigenhändig raus! Deine Wahl!“
Plötzlich hörte die Frau abrupt auf mit ihrem Flehen. Ihre Augen wurden zur Gänze schwarz und sie öffnete den Mund, doch ihre Stimme ward plötzlich verändert – unmenschlich tief und knarzend: „Lass mich in Ruhe, Mephisto!“
„Jetzt sofort! Ich zähle bis drei“, warnte er und hob seine Hand zur Faust.
Die nun schwarzen Augen der Frau hatten ebenfalls einen flehenden Blick aufgesetzt, doch dem Teufel war dies gleichgültig. „Eins!“, zählte er ab und er streckte seinen Daumen in die Höhe.
„Mephisto, bitte…“, sagte die tiefe unmenschliche Stimme.
„Zwei“, betonte er.
„Also gut, also gut“, rief die Stimme in der Frau hitzig: „Ich werde sie verlassen!“
„Du widerlicher Feigling“, grummelte Mephisto verärgert und trat einen Schritt zurück. „Ich weiß, dass ich geg´n dein´ Exorzismus nu´ ma´ nich´ ankämpf´n kann“, grummelte die unmenschliche Stimme aus den tiefen des unschuldigen Opfers verdrossen. Es vergingen wenige Augenblicke, dann veränderten sich die Augen der Frau! Das undurchdringliche Schwarz verließ sie, doch wenige Augenblicke später kullerten sie in ihren Höhlen und der Blick verdrehte sich und ihr Körper krampfte und zuckte! Die Frau öffnete den Mund und schrie – sie schrie, als müsste sie Höllenqualen durchleiden! Ihr Gesicht verzog sich zu einer bizarr verzerrten Grimasse, ihre Haut straffte sich, dass sie zu zerreißen drohte! Der Kopf sank krachend in den Nacken und der schreiende Mund öffnete sich unnatürlich weit! Und dann kam ein haarsträubendes Würgen daraus hervor und ein dunkler Schatten bahnte sich aus ihr! Wie, als würde man einen Stier durch einen Gartenschlauch ziehen wollen, erschien das gedrungene Gesicht eines rothäutigen Monsters! Zuerst ein unförmiger Kopf mit zwei entstellten, schwarzen Hörnern, dann der riesige, haarige Körper, der der Frau den letzten Atem nahm und sie nahe dem Erstickungstod brachte! Schließlich, als auch die haarigen, unförmigen Beine mit ihren Hufen aus dem Körper des Wirts heraus brachen, stand endlich der riesenhafte Hüne vor Mephisto und dieser Riese sah einem Teufel weitaus ähnlicher als sonst ein Geschöpf!
Beelzebub war der wahre Anblick eines Teufels, so wie er in alten Überlieferungen gezeichnet wird: hässlich, gedrungen und absolut missgestaltet! Um seinen rechten Pferde- und linken Geiß-Huf ringelte sich ein knochiger Drachenschwanz, die Augen dieses Teufels zeigten eine schwarze Seele! Im Ganzen war er ungefähr viereinhalb Meter hoch, überragte Mephisto daher enorm! Doch als das Ungeheuer vor dem jungen Teufel stand, da konnte man nur eines in seinem Gesicht lesen: blanke Angst!
Der rote Dämon fürchtete sich vor seinem Gegenüber, der so nonchalant vor ihm stand, als hätte er nicht gerade einen Riesen aus dem Körper einer normalgroßen Frau brechen sehen.
So schrecklich sein Anblick auch war, war er doch nicht annähernd so schockierend, wie der, den einem die Frau bot, deren Körper dem Ungeheuer seit Monaten Schutz geboten hatte. Sie lag auf dem Boden und rührte sich nicht mehr. Sie war nicht tot, auch wenn sie sich dies wahrscheinlich wünschen würde, sobald sie ihre Augen öffnete. Das Haar wurde schlohweiß, ihre junge Haut verwandelte sich und hing bald in Fetzen und Falten von ihr herab. Das Gesicht glich einer Totenmaske und hinter den halbgeöffneten Lidern sah man grau, trübe Augen, ohne jegliche Ausstrahlung. Sie war vielleicht erst dreißig gewesen, doch vor sich sah Mephisto den Körper einer hundertjährigen. Ihre ganze Energie war von der Anwesenheit Beelzebubs entzogen worden.
Und nun war sie dazu verdammt zu sterben!
„Bravo, Beelze, bravo“, sagte Mephisto mit eisiger Stimme und betrachtete den roten Teufel vor sich verbittert.
„Du kannst mit Fug und Recht wieder einmal behaupten, dass du das Leben eines Mensches aus dem eigennützigsten Grund, den es geben kann – Feigheit, aus Angst vor einer Strafe – zerstört hast. Bravo, Junge!“
Beelzebub schien sich tatsächlich zu schämen, doch Mephisto kannte ihn gut genug, als das er auf das Schauspiel hereingefallen wäre. Denn obwohl dieser Riese unbeschreiblich dumm und fantasielos war, hatte er in der Hölle doch über tausend Jahre das Handwerk der Täuschung erlernt und angewandt.
„Eine Grundregel der Hölle, Mephisto: Nutze die Möglichkeiten, die du hast, um dich zu schützen!“
Mephisto schnaubte auf: „Na, dann hast du ja rein gar nichts falsch gemacht! Also können wir ohne Probleme zu Satan gehen und sehen, ob du mit deiner Theorie Recht hast!“
Der Rote Dämon lächelte bloß traurig: „Er ist ja die Gefahr, vor der ich mich versteckt hielt!“
Sie blickten erneut hinab zu der armen Frau, die eben erwacht war. Keuchend, halb verbrannt und um Jahrzehnte gealtert – so mussten sie sie einfach ihrem Schicksal überlassen. Sie blickte immer noch verwirrt in dem kalten Keller umher und konnten die beiden Dämonen nicht sehen, die sich still wie in einer anderen Welt neben ihr befanden. In ihren vor Entsetzen geweiterten Augen, die ansonsten einen Ausdruck von Leere und Hoffnungslosigkeit angenommen hatten, mischte sich nun auch Überraschen.
Wie war sie an diesen Ort gelangt?
Sie blickte an sich hinab und stieß einen erstickten Laut aus. Ihre Haut, die teilweise schwarz verbrannt war begann sich wie von Geisterhand zu regenieren. Auch das leise Tröpfeln und die schweren Schmerzen auf ihrer Stirn verschwanden in wenigen Augenblicken.
„Gut, das reicht!“, befahl Mephisto.
Beelzebub der über der Frau gebeugt stand und seine klobige Riesenpranken auf ihrer letzten schnell heilenden Wunde hielt, die sich gleich daraufhin verschloss, hielt inne. Er schien zu bereuen, was er getan hatte. Seine Augen zeigten einen tiefen Ausdruck der Trauer, als er dieses unschuldige Wesen vor sich sah, gezeichnet durch sein grausames Werk. Doch Mephisto wusste, dass diese Trauer nicht tief in ihm wurzelte. Er bedauerte – ja – aber er würde ihren Anblick bald wieder vergessen haben!
„Komm, gehen wir“, sagte der junge Teufel leise und das rote Ungeheuer folgte ihm ohne weitere Widerworte.
„Was wird Satan mit mir machen?“, fragte er niedergeschlagen.
„Er? Gar nichts! So etwas überlässt er Chutriel!“
Diese Neuigkeit trug nicht gerade zu Beelzebubs Erleichterung bei. Er begann zu zittern: wenn es noch jemanden gab, den er mehr als Satan fürchtete, dann war das Chutriel, der ohnehin keine Gelegenheit ausließ, ihn zu drangsalieren.
Mephisto lenkte seine Schritte nun gen Ausgang aus dieser Gruft, wandte seinen Kopf dem roten Ungetüm zu und wies ihn mit einem Kopfnicken an, dass er gefälligst folgen sollte.
Dieser wusste, dass es nun keinen Sinn mehr machte, sich zu widersetzen, oder Zeit schinden zu wollen. Die Stunde seiner Bestrafung nahte wie eine Bestie, die alsbald aus ihrem Schatten kroch um ihn an seinem Schopf zu packen und mit sich in sein düsteres Loch zu zerren.
Noch als sie den Ausgang erreicht hatten, hörten sie das gelegentliche Schluchzen und Jammern des Opfers, das bald das Zeitliche segnen würde!
Schweigend gingen die beiden Dämonen die verwahrloste Hauptstraße Alborqus entlang und beachteten diese traurige Kulisse kaum mehr. Nur wenige Augenblicke, bevor sie sich aus der Dämonenstadt herausgezaubert hätten, entdeckte Mephisto plötzlich jemanden, dessen Anwesenheit er vorher nicht gespürt hatte.
Dieser stolzierte auf dem einzigen gepflasterten Weg, wie ein Herrscher, der sein Reich beobachtete. Er war in etwa so groß wie Mephisto, hatte einen Mantel aus schwarzen Satin um seinen muskulösen Körper gehüllt, braune Lederhandschuhe, einen leuchtenden Stab in seiner rechten Hand und ein goldenes Stirnband um den Kopf gestreift, das auf seinen glänzend weißen Haaren, die ihm elegant um die Schultern und in seine eisblauen Augen fielen, verweilte. Doch das auffälligste war nicht seine Stirnband selbst, sondern der scharlachrote Rubin, der in ihm eingelassen war und so hell funkelte, dass es seine Umgebung von einem geheimnisvollen roten Licht umhüllte. Und da war noch diese unheimliche Aura von einer ungewöhnlichen Macht, die von dem Wesen ausging.
„Mephisto und Beelzebub, was führt euch so triviale Geschöpfe in dieses Vorwerk der Unterwelt?“, fragte er mit solch einer kalten Stimme, die selbst in Mephisto ein unerklärliches Gefühl des Elends hervorrief. Beelzebub neben ihm war zur Salzsäule erstarrt.
Vor ihnen stand der Meister des Elends, der Großmeister und Wächter über Alborqu - Drigorius Legion, der Shazgiem als Schulze in seiner Stadt eingesetzt hatte. Drigorius lebte in seinem eigenen Schloss in Alborqu aufgrund der Tatsache, dass er sich Satan nicht weiterhin unterwerfen wollte und der Höllenfürst es nicht duldete, dass Verräter unter seines Schlosses Dach lebten. Daher fand der Meister des Elends sich nur zu wichtigen Versammlungen dort ein.
„Meine Aufgabe war es heute Beelzebub in das Schloss zurückzubringen, der sich vor Satan versteckt hielt“, beantwortete Mephisto die Frage.
Drigorius fasste das Rote Ungeheuer scharf in seine unheimlichen Augen. Dann befahl er einen Menschen, der gerade nutz- und hilflos in einer Ecke gestanden und nur geradeaus gestarrt hatte herbei, der dieser Aufforderung wie mechanisch Folge leistete: „Nun, Monsieur Cheválle, wenn ich Sie hier verweilen lasse, ist dies immer noch humaner, als wenn Sie diese Missgestalt eines Teufel jeden Tag ertragen müssten, oder nicht? Ich meine“, er lächelte böse und deutete auf Beelzebub: „das ist nun wirklich ein Bild des Elends, oder was meinen Sie dazu!“
Cheválle blickte ängstlich zu dem Roten Giganten, der seines Glückes wegen vor Scham nicht noch röter werden konnte, aber sichtlich gedemütigt worden war. Er sagte nur auf Französisch, was alle anwesenden problemlos verstanden: „Bitte, oh ´err, lasst misch endlisch ´ier ´eraus! Isch will nischt mehr leben!“
Drigorius verzog sein Gesicht zu einer übertriebenen mitfühlenden Geste: „Aber, aber… Sie werden sich noch mit Freuden an diesen himmlische Garten Eden erinnern, wenn Sie die Strafe erst bei diesem stattlichen Höllenfürst antreten müssen! Ja, diesen mit diesem missglückten Übel, dass er selbst als Haartracht bezeichnet!“ Er lachte gehässig.
„Drigorius!“, warnte Mephisto.
Der Angesprochene, immer noch leise lächelnd, schickte den gepeinigten Mann wieder an seinen Platz, an dem er stehen blieb und weiterhin hoffnungslos stur geradeaus starrte und seltsam vor sich hin murmelte.
„Du weißt genau, dass du andere Teufel nicht…“, begann der junge Teufel.
„… dass ich nicht befugt bin, andere, einfachere Teufel vor anderen Dämonen oder Untergebenen bloßzustellen? Das weiß ich. Und sag selbst, junger Freund, ist dieser Mann ein Dämon oder Untergebener?“ Sein widerliches Lächeln haftete weiterhin auf ihn. „Nun entschuldige mich, Ich habe noch etwas Wichtigeres zu erledigen, als dieses anregende Gespräch mit euch zu führen oder in Unehre gefallene Höllenwesen aus ihrem Unterschlupf zu zerren. Gehabt euch wohl, Mephisto, Beelzebub!“
Und mit diesem letzten Wort ließ er die beiden Teufel stehen. Mephisto kochte vor unterdrückter Wut.
„Ach, da wäre doch noch etwas“, begann Drigorius.
Die beiden Angesprochenen wandten sich ihm erneut widerwillig zu.
„Nur, falls ihr es nicht wisst… Diese Frau, der du die Lebensenergie entzogen hast, war eine weiße Hexe! Wusstet du das?“, fragte er an Beelzebub gewandt, der augenblicklich kreidebleich wurde.