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Kalter Krieg und Space Age

Amerika Mitte 1962: Präsident John F. Kennedy lenkt die Vereinigten Staaten durch unruhige Zeiten. Gerade eineinhalb Jahre ist er im Amt. Nur noch 18 Monate sollen folgen, bis er in Dallas einem Attentat zum Opfer fällt. Politisch hochexplosive Ereignisse wie die Kubakrise, der sich zuspitzende Vietnamkrieg und das Aufbegehren der Bürgerrechtsbewegung um Martin Luther King verlangen dem jungen Staatsoberhaupt nicht nur diplomatisches Geschick ab, sondern prägen auch sein Charisma wie bei keinem anderen US-Präsidenten vor ihm. Grenzenloser Enthusiasmus und bittere Enttäuschungen liegen nah beieinander in diesen Tagen.

Mitten im Kalten Krieg mit seiner aufgeladenen politischen Weltlage versprüht Kennedy ein Maximum an packendem Optimismus. So verkündet er zwei Monate vor dem Mauerbau in Berlin in einer flammenden Rede, dass die USA einen Menschen zum Mond schicken werden. Schon im Februar 1962 umkreist John Glenn als erster Amerikaner dreimal die Erde in seinem Friendship-7-Raumschiff. Der Wettlauf um die Vorherrschaft im Space Age gewinnt immer rasanter an Fahrt. Endlich schließen die USA zum Erzrivalen UdSSR auf. Fun vor Frust. Ein unerschütterlicher Optimismus gehört zu den prägenden Merkmalen der amerikanischen Gesellschaft.

Während der Astronaut John Glenn in seiner Kapsel mit 28.000 Kilometern pro Stunde um den Erdball rast, bewegt sich 256 Kilometer darunter ein ganz anderes Phänomen auf einen neuen Höhepunkt zu. Besonders in Südkalifornien hat sich eine sehr spezielle Fahrradszene entwickelt. Sie verwandelt eher spießige Großserienvelos in spaßige Funbikes. Angelehnt an den Tuning-Trend der Auto- und Motorradszene, eifern dabei Teenager den motorisierten Vorbildern nach und rüsten ihre Fahrräder mit allerlei Anbauteilen auf. Vor allem rund um die Stadt San Diego gibt es bereits in den späten 50er-Jahren eine lebendige Umbauszene, die billige 26-Zoll-Ballonreifen-Fahrräder individualisiert.

Vom Paperboy-Bike zum High-Riser

Zweifellos das wichtigste Nachrüstteil der Kustomizing-Bewegung (der Begriff Customizing greift weiter und bezieht sich auf Produkte aller Art; Kustom-Bikes dagegen sind experimenteller, kreativer, individueller, wilder …) ist der modifizierte Lenker. Speziell das Weiter-nach-oben-Legen der Lenkstange setzt sich ab 1958 zunehmend durch. Motto: Je höher, desto besser. Bei Lenkergriffen, die über den Kopf des Fahrers reichen, drohen Taubheitsgefühle in den Händen. Auch wird in den Zeitungen über eine erhöhte Unfallgefahr durch die High-Riser berichtet. Sogar der von Autoherstellern gefürchtete US-Verbraucherschutzanwalt Ralph Nader, Verfasser des berühmten Buches Unsafe at Any Speed, soll sich in die Diskussion eingeschaltet haben. Auch er lehnt die neue High-Riser-Mode aus Gründen mangelnder Sicherheit ab. Der Trend sorgt schließlich Anfang der 60er-Jahre dafür, dass die Polizei Fahrräder kontrolliert und gegen die jugendlichen Bike-Tuner Verwarnungen ausspricht. 1963 schließlich kommt es zu einem Verbot für Lenker, deren Handgriffe die Schultern der Fahrer überragen. 20-Zoll-Fahrräder indes trifft der Bann nicht direkt. Bei ihnen liegen Vorbau und Lenkerbefestigung in der Regel tief genug, um nicht unter die neuen Höhenbegrenzung zu fallen.



Anfang der 60er-Jahre setzt an der US-Westküste ein Tuning-Hype ein. Die gepimpten 26-Zoll-Räder tragen sehr hohe Lenkstangen und Motorradsitzbänke und bereiten so den Boden für die ersten Serien-High-Riser.


Das Huffy Penguin ist eine Erfindung von Pete Mole (oben rechts). Die ersten Prototypen erscheinen 1962. Danach wird es in Großserie von der Huffmann Company in Ohio gefertigt.


Albert »Al« Fritz (links) ist der Vater des Schwinn Stingray. Dieses Modell läuft ab 1963 in Chicago vom Band.

Auslöser der Hochbaumode sind die Paperboys, also die Zeitungsausträger, die ihre Fracht gewöhnlich auf dem Oberrohr transportieren und durch einen höheren Lenker Platz für mehr Zeitungen gewinnen. Folglich werden in den Fahrradläden zunehmend verlängerte Vorbauten, sogenannte Gänsehälse (goosenecks), sowie Hochlenker (riserbars) nachgefragt. Ein Trend, den die Zubehörindustrie dankbar bedient und die entsprechenden Teile in die Geschäfte liefert. Etwa zu dieser Zeit kommt erstmalig der Begriff High-Riser in Mode. Übersetzt bedeutet er etwa Fahrrad mit Hochlenker. Ganz besonders die von der Firma Persons Majestic in der Nähe von Boston erfundenen und hergestellten Polo seats (Bananensättel) werden schnell knapp. Die verstärkten Anfragen und Bestellungen der Bikeshops führen natürlich zu Lieferengpässen und bleiben darum auch den Großhändlern und Marketingexperten in den Fahrradfirmen nicht verborgen. Zwei von ihnen beginnen sich intensiver mit dem Nachfrageboom zu beschäftigen: Pete Mole vom kalifornischen Teile- und Fahrradvertreiber John T. Bill & Company sowie Albert Fritz, Entwicklungsleiter beim Zweiradgiganten Schwinn aus Chicago.

Der erste Serien-High-Riser

Nachdem Pete Mole sich näher mit dem boomenden Bestelleingang - besonders für Hochlenker - beschäftigt hat, hält ihn nichts mehr am Schreibtisch. Was ist da los an der Grenze zu Mexiko? Warum kaufen die da unten wie verrückt Hochlenker und Bananensättel? Ab nach San Diego! Mole reist Mitte 1962 über den Freeway vom Firmensitz Glendale bei Los Angeles in die Millionenmetropole am Pazifik. Ein guter Zeitpunkt. Denn es sind gerade Sommerferien. Überall entdeckt der Vertriebsexperte umgebaute Räder mit Hochlenkern, Bananensätteln und groben Stollenreifen. »Der Trip hat mir die Augen geöffnet«, sagt Mole später in einem Interview. Schnell steht für ihn fest: So ein High-Riser-Rad mit Geweihlenker, Bananensattel und 20-Zoll-Reifen sollte in Serie gebaut und im großen Stil angeboten werden. Das verspricht ein gutes Geschäft zu werden.

Die Sache hat nur einen Haken: John T. Bill & Company ist eine reine Vertriebsfirma, kein Fahrradhersteller. Darum bemüht Mole seine Kontakte zu Geschäftspartnern bei der Huffmann Company in Ohio, einem wichtigen Fahrradbauer in den USA. Die haben die Mittel, so Moles Kalkül, das Projekt professionell und zügig umzusetzen.

Das Huffy Penguin und der Ideenklau

Doch die Verhandlungen sind wider Erwarten zäh wie Kaugummi und münden schließlich in einem faulen Kompromiss. Bei Misserfolg will Huffmann kein finanzielles Risiko. Heißt: Für den Fall, dass sich die Räder nicht verkaufen, sollte Mole alle speziell für den High-Riser angefertigten Teile abnehmen. Ganz offenbar hat Huffmann nur wenig Vertrauen in das Projekt und speist den alten Freund Mole mit einer Gefälligkeit ab. Kein Wunder also, dass es viele Monate dauert, bis der Freundschaftsdienst endlich zustande kommt. Wertvolle Zeit geht verloren, denn durch die Verzögerungen kommt die Neuentwicklung nicht zur Weihnachtssaison 1962 auf den Markt. Erst im Januar 1963 ist das Rad fertig. Preis: 53 Dollar. Name: Penguin. Farbe: schwarzer Rahmen, weißer Sattel. Nur in dieser einzigen Kombination gibt Mole das Rad bei Huffmann in Auftrag. Zuvor hatten viele Bezeichnungen die Runde gemacht, doch angesichts der markanten Farbkombination drängt sich der Name nach dem Seevogel förmlich auf.


Nicht nur die High-Riser selbst verkaufen sich rasend schnell, sondern auch Zubehör aller Art. Das Aufrüsten mit Spiegeln, Spritzlappen und Tachos gehört bei jugendlichen Fahrern einfach dazu.

Ein »Einfach-mal-machen-Fahrrad«

Auf den Auslieferungszeitpunkt bezogen, ist somit eindeutig belegbar, dass mit dem Huffy Penguin der erste Serien-High-Riser geboren war. »Wir arbeiteten nach dem Kiss-Prinzip«, erinnert sich Mole viele Jahre später. Das steht für »Keep it simple, stupid«, was etwa bedeutet: »Halt es einfach, Dummkopf«, die typische coole Art, mit der in den USA gern Abläufe und Prozesse beschrieben werden. So gesehen ist das Penguin ein lässiges »Einfach-mal-machen-Fahrrad« und kein ausgefeiltes Produkt strategischer Überlegungen.

Doch trotz aller Lockerheit ist das Verhältnis zwischen Auftraggeber Mole und Hersteller Huffmann nicht einfach und kühlt noch weiter ab. Besonders als Ende 1963 Huffmann eigene High-Riser-Varianten als Monark Avanti und Huffy Brodie für etwas mehr als 40 Dollar über Discountstores auf den Markt bringt. Die ursprüngliche Skepsis an Moles Plan weicht offenbar schnell der Angst, hier einen wichtigen Trend zu verpassen. Ist das legitime Konkurrenz oder dreister Ideenklau? Fakt ist: Mole hat im guten Glauben auf einen Exklusivvertrag mit Huffmann und damit auf einen Kopierschutz verzichtet. Als das Penguin den Fahrradhändlern aus den Händen gerissen wird und insbesondere Discounter nach dem Bike betteln, nutzt Huffmann die Vertragslücke und produziert kurzerhand seine eigenen High-Riser in nahezu identischer Ausführung. Mole ändert daraufhin frustriert den Namen des Huffy Penguin in Dayton Deluxe Penguin.

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