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Оглавление„Wirklich?!“
„Ja, wirklich!“
„Finde ich total faszinierend, dass welche durch dein Buch und auch noch mit leeren Seiten wieder zueinander gefunden haben! Hat was!“
Wir rauchten wieder, denn wir hatten wieder Sex gehabt. Beim Rauchen hatte ich Esther davon erzählt. Sie schien davon sichtlich beeindruckt zu sein. Aber ich hatte dieses Polizeikontrollerlebnis wieder vergessen.
Esther war 20 Jahre jünger als ich, und sie hatte sehr schnell bemerkt, dass ich nicht in einer Beziehung war.
Sie mochte es, wie ich lebte. Ich besaß Freiheit, konnte meinen Tag nach meinem Ermessen strukturieren. Mein Bankkonto bot reichlich, ich ernährte mich, abgesehen vom Bier und den Zigaretten, angemessen und gab mein Geld nicht für unnötige Dinge aus. Außer in teuren Restaurants und bei teuren Herrenschneidern und für meinen Porsche. Das leistete ich mir.
In der Öffentlichkeit ließ ich mich mit Esther sehen, sie genoss es. Ich schenkte ihr teure Kleider, in denen sie mit ihrer wohlproportionierten Figur hinreißend aussah. Aber trotz ihrer ungemeinen Attraktivität blieb zu mit treu. Das wunderte mich, denn junge Frauen waren in der Regel nicht treu. So meine Erfahrung. Möglicherweise war es etwas Besonderes zwischen Esther und mir.
Ich genoss die Zeit mit ihr, und sie hielt komischerweise an.
„Bist du glücklich?“, fragte ich sie.
„Ja, total!“, lächelte sie mich an, und sie küsste mich. Das war der Auslöser für den zweiten Akt an diesem Abend, und anschließend schliefen wir erschöpft ein. Ich träumte von dem Gedicht Urlicht. Ich kam zur Pforte zum Himmel, überall waren Wolken. Da stand ein Engel mit dem Rücken zu mir.
Ich sagte: 'Ich bitte um Einlass!'
Der Engel reagierte nicht.
Dann sagte ich: 'Ich lass' mich nicht abweisen!'
Dann drehte sich der Engel zu mir. Der Engel war Esther. Sie lächelte mich an, und sie küsste mich. Dann wachte ich auf. Es war schon hell. Esther lag neben mir, friedlich schlafend. Sie sah wirklich wie ein Engel aus. Aber dann kam ein Telefonanruf, durch den mich meine Vergangenheit wieder einholte.
„Der Schläfer erwacht in bitterer Nacht.“
„Am Morgen kehrt er rein und vertreibt die Sorgen!“
Es war John.
„15 Uhr!“
Dann legte John wieder auf. Das passte mir nicht, das passte mir wirklich nicht. Außerdem waren das wirklich dämliche verbale Erkennungscodes. Aber es war nun mal so. Ich war ein Geheimagent und hatte lange Zeit für den CIA gearbeitet. Dann wurde ich in den Schläfer-Modus versetzt. Nun wurde ich durch einen wirklich dämlichen Code wieder aktiviert.
Um 14.30 Uhr verließ ich das Haus. Ich sagte Esther, dass ich einkaufen gehe. Ich ging oft einkaufen, insofern war das nichts besonderes. Esther und ich teilten uns alles, ich wusch die Wäsche, sie wusch die Wäsche. Ich putzte, sie putzte. Ich spülte, sie spülte. Esther fragte mich einmal, ob ich nicht Lust hätte, mal eine Geschirrspülmaschine zu kaufen. Ich meinte, dass mir das Spülen Spaß mache, dass ich dabei entspanne. Sie hatte bislang nur mit Geschirrspülmaschinen gearbeitet und ließ sich darauf ein. Mit dem Ergebnis, dass sie meine Entdeckung bestätigte.
„Bis später, Schatz!“
„Bis später, Hasi!“, sagte Esther und blickte mich bedeutend an. Ich traf mich mit John am schon lange vereinbarten Treffpunkt. Das war ein Friedhof und zwar der, auf dem mein Vater lag. Mein Vater war ein Bundeswehr-Oberst gewesen, er hatte im Militär ganz gut Karriere gemacht. Dann starb er zu früh an einem Herzinfarkt. Aber das war schon alles lange her. Jedenfalls war das der Treffpunkt mit Agent John Wagner.
„Hi John, lange nicht gesehen!“
„Hi Hans!“
„Was gibt ’s?“
„In Libyen sind sind 100 neue Leos aufgeschlagen. Du sollst das regeln!“
„Ach, 100 Leos? Wo kommen die bloß her?“
„Wissen wir nicht. Die Firma meint, du sollst das machen! Viel Spaß!“, grinste John Wagner und verschwand wieder. Das gefiel mir nicht, denn ich hatte die 100 Leos dahin geschickt. Aber das wusste Agent Wagner nicht, und ich hatte keine andere Wahl, als diesem Auftrag nachzugehen. Dann ging ich noch zum Lebensmittelladen und holte Gehacktes und Nudeln und Sahne, um Esther ihr Lieblingsmahl für den Abend zu bereiten. Ich wollte ihr meine Zeit in Libyen als Autorenlesereise in Ägypten verkaufen.
„Dann komme ich mit!“, sagte sie beim Abendessen, während sie das leckere Mahl, über das sich sehr freute, genoss. Innerlich knirschte ich mit den Zähnen, aber ich wusste, dass ich eine Lösung finden werde, deswegen war ich der Richtige für den Auftrag, denn ich hatte immer Lösungen gefunden. Auch eben solch' eine, die bewerkstelligte, dass ich als Autor und Agent viele Jahre leben konnte, ohne dass das irgendjemand bemerkt hatte. Also flogen wir nach Kairo. Wir buchten in einem noblen Hotel, dort traf ich auch meinen Kontaktmann, er gab mir Instruktionen für Tripolis. Irgendwie nervte es mich, dass ich meine selbst verschobenen Panzer wieder zurückrufen sollte. Der Mittelsmann war ein Serbe. Übung hatte er schon durch den Balkankrieg. Robert hatte ihm die Leos übergeben, und dann sollten sie per Frachter nach Tripolis. Mit Gaddafi war schon alles in trockenen Tüchern. Sobald die Frachter in Libyens Hauptstadt einliefen, wollte der libysche Staatschef das Geld überweisen. Getarnt waren die beiden Frachter als Nahrungsmitteltransporter unter deutscher Flagge. Das war der Deal.
„Ich muss nach Tripolis“, meinte ich am Frühstückstisch des noblen, ägyptischen Hotels zu Esther.
„Warum? Hast du dort deine erste Lesung?“
„Nein, ich stehe im Dienste des CIA und habe einen Auftrag!“
Esther fing an zu lachen.
„Ich liebe deine Phantasie, Hans!“
„Okay, ich stehe im Dienste des FBI und habe einen Auftrag!“
Esther lachte wieder.
„Okay, ich stehe im Dienste des BND und habe einen Auftrag!“
Esther lachte weiterhin.
„Okay, ich habe einen Auftrag, ich soll in Tripolis Mahlers 11. Sinfonie komponieren!“
Ich schloss diesen Verbalismen noch weitere dieser Art an, und das Ganze endete wieder im Bett. Das war immer so. Sobald ich Witze machte, gab es anschließend einen Nachtisch. Nach diesem meinte Esther: „Okay, du darfst nach Tripolis fliegen, aber sei artig und komm' nicht zu spät zum Abendessen!“
Ich gab ihr noch einen lieben und zarten Kuss. Sie lächelte, ich lächelte, und ich verschwand. Mein Flug war schon längst gebucht, und zwar von der Firma. Mit dem Taxi fuhr ich zum Flughafen von Kairo. Dort stand eine Privatmaschine für mich bereit mit netten Stewardessen. Sie brachten mir irischen Whiskey, ich dachte an Robert. Und an die 100 Panzer. Die Welt war durcheinander. Die Welt war durcheinander, weil wir Menschen durcheinander waren. Und möglicherweise auch ich. Wir lebten einfach nur so, suchten unseren Profit und unsere Befriedigung. Ich gebrauchte Frauen, und Esther vertraute mir. Ich dachte nach, der Whiskey tat mir gut, er half mir beim Nachdenken. Und ich ließ den Blick von den beiden hübschen Stewardessen. Ich schloss die Augen, dann war die Zeit um, und wir landeten in Tripolis. In der libyschen Hauptstadt war es heiß, in der ägyptischen war es ebenso heiß gewesen. Ich fühlte mich von allem enthoben, aber ich war nicht allem enthoben. Ich sollte das, was ich bewirkt hatte, rückgängig machen. Ein Helikopter brachte mich zu den Frachtern. Der war auch von der Firma organisiert. Wir landeten auf dem ersten, Platz war genug. Ein bewaffneter Agent begleitete mich. Wir eilten zur Brücke.
„Hallo Hans, was machst du denn hier?“, sagte Robert. Normalerweise begleitete er nie seine Waffentransporte.
„Das kann ich dich auch fragen, Robert!“
„Wer sind sie und um was geht es?“, fragte der Kapitän. Er war Deutscher.
„Ich arbeite für die US-Regierung!“
Robert schaute verblüfft.
„Was? Du bist ein US-Agent?“
„Da zeigen sich interessante Dinge auf, nicht wahr, Robert?“
„Du hattest mich ausgehorcht?“
Darauf antwortete ich nicht.
„Kapitän, wenn Sie nicht umkehren, haben zwei patroullierende US-Zerstörer den Befehl, diese beiden Frachter zu versenken!“
Das schien dem Kapitän nicht zu gefallen. Er gab sofort Anweisung, kehrt zu machen. Sowohl dem Rudergänger seines Schiffes als auch dem Kapitän des anderen über Funk. Die Frachter änderten den Kurs.
„Gehört das zu deiner wahnwitzigen Idee mit diesem Buch, Hans?“
„Vielleicht!“, entgegnete ich.
„Möglicherweise hat es mit einer Reise zu tun!“
„Und jetzt versaust du mein Geschäft!“
„Libyen war wohl doch keine so gute Idee, Robert!“
Da flogen zwei libysche Su-22M heran. Ich sah sie durch eines der Brückenfenster heran fliegen. Sie drehten über uns, dann flogen sie uns an. Gaddafi war anscheinend sauer. Der deutsche Kapitän schaute mich an.
„Haben die US-Zerstörer auch den Befehl, uns vor Gaddafi zu schützen?“
„Das weiß ich nicht!“, sagte ich. Wie es aussah nicht, denn es flogen Raketen heran, zwei vom ersten Jäger, zwei vom zweiten. Die Raketen trafen unseren Frachter mittschiffs in Höhe der Wasserlinie. Es gab ordentlich Radau, Explosionen und diese Dinge. Dann flogen die Su-22M den zweiten Frachter an, mit dem taten sie dasselbe. Ich bemerkte auch, dass eine der Explosionen unseren Helikopter in Stücke riss. Und ich spürte, dass ich meinem Buch näher als je zuvor war.
Die Schiffe waren nicht mehr zu halten, sie hatten große Lecks, in denen das Wasser eindrang. Die Rettungsboote wurden zu Wasser gelassen. Schließlich landeten der Kapitän, Robert, mein Agentenkollege, ein paar Matrosen und ich in einem der Boote. Aus sicherer Entfernung sahen wir, wie der Frachter unterging. Der andere hielt sich etwas länger, dann verschwand auch er im Mittelmeer. Das war wie Krieg, ich erinnerte mich an Fotos aus der Zeit des zweiten Weltkriegs. Aber es war wirklich Krieg. Krieg in Libyen. Die Kriege hörten auf, aber das Prinzip des Krieges ging weiter, manifestierte sich immer wieder.
Zum Abendessen mit Esther würde ich es, wie es aussah, nicht rechtzeitig schaffen. Dafür würde ich zu Abend mit Gaddafi speisen, aber nur, wenn er gut gelaunt war.
An der libyschen Küste wurden wir äußerst herzlich von einem bewaffneten Begrüßungskomitee empfangen. Wir wussten das sehr zu schätzen, besonders die ständig auf uns gerichteten Maschinengewehre, von denen niemand wusste, ob sie im nächsten Moment ihre tödlichen Projektile auf uns abfeuern werden.
Im empfand diese Szenerie nicht als Strafe Gottes, weil Robert und ich so einen Unfug gemacht hatten, sondern ich sollte etwas lernen. Nicht, so was nicht mehr zu machen, sondern das Abenteuer, ich sollte das Abenteuer lernen. So dachte ich es in mir.
Natürlich waren wir Gefangene Gaddafis, und wir speisten auch nicht mit ihm zu Abend, er war anscheinend schlecht gelaunt. Das akzeptierte ich, obwohl ich Gast in seinem Land war. Ich wusste auch nicht, ob es in Libyen die Todesstrafe gab, deswegen schmiedete ich mit Robert, der als bekannter deutscher Politiker nicht erkannt wurde, mit dem Kapitän und dem CIA-Freund einen Ausbruchsplan. Der glückte, leider mussten wir zwei tote libysche Bewacher zurücklassen. Mein Bierbauch hatte mich nicht davon abgehalten, ein wenig rasant vorzugehen. Denn als Agent war ich vor langer Zeit ausgebildet worden. Das alles hatte ich noch drauf.
Dann waren wir im sicheren Kairo und betrat mit meinen Gefährten das Hotel, in dem Esther und ich eingecheckt hatten.
„Du kommst spät!“, empfing sie mich.
„Und außerdem, wie siehst du nur aus? Und wer sind die anderen?“
„Das ist eine lange Geschichte, mein Schatz!“
„Ward ihr auf einer Sauftour?“
Da fing Robert an zu lachen und ließ verlauten: „Ja, Verehrteste, wir waren auf einer Sauftour, aber die war vom feinsten!“
Pikiert nahm Esther diese Aussage auf.
„Und? Gab es auch Frauen?“
„Ja, jede Menge!“, sagte der Kapitän. Er lachte.
„Was?!“, Esther war schockiert.
„Ungefähr 100!“, ergänzte der Kapitän.
„Was? 100?!“
„Und sie sind alle versenkt worden!“, sagte der deutsche Kapitän.
„Geh' weg, Hans!“
Esther wollte die Tür zumachen.
„Es ist nicht so, wie du denkst, Esther!“
„Und wie...“
Sie konnte ihren angefangenen Satz nicht zu Ende bringen, denn mein CIA-Kollege ergriff das Wort.
„Dürften wir bitte herein, wir haben eine Menge hinter uns, und das hat mit Sicherheit nichts mit Frauen zu tun!“
„Womit dann?“
„Ich bin vom CIA, Ma'me!“
„Oh, CIA!“
„Ihr Freund arbeitet auch für uns!“
„Was? Du arbeitest für den CIA?“
Ich guckte nur.
„Oh, dann herein mit euch!“
Im Wohnraum der Suite nahm mich Esther beiseite.
„Wieso hast du mir nie erzählt, dass du für den CIA arbeitest?“, flüsterte sie.
„Weil das geheim ist, und weil ich dachte, dass dir das nicht gefallen würde.“
„Spinnst du? Das ist so was von abgefahren!“
„Dir gefällt das?“
„Ja, total!“
„Wenn du wüsstest, was ich schon alles für Dinger gedreht habe!“
„Dann erzähle sie mir doch! Aber nur alleine!“
Den Wink hatte ich verstanden. Ich organisierte meinen Kumpels Zimmer, in denen sie sich erst mal erholen und frisch machen konnten. Dann wollten sich Esther und ich es uns gemütlich machen, da rief John Wagner an.
„Sehr gut gemacht, Hans! Die Firma ist zufrieden mit dir!“
„Danke! Habt ihr was neues?“
„Im Moment nicht, aber wir werden uns melden! Hast wieder rein gerochen?“
„Ja.“
„Mach' deinen Bierbauch weg, trainiere wieder, Hans!“
„Okay!“
Wir legten auf.
„Wer war das?“
„Mein Verbindungsmann.“
Esther lächelte mich an.
„Ich wusste von Anfang an, dass du es bist!“
„Dass ich was bin?“
„Der Mann meiner Träume!“
„Okay!“, sagte ich, dann verschwanden wir im Schlafzimmer.
In der Nacht wurde ich wach und dachte an das Buch, das es nicht gab, und hinter dem alle her sind. Ich stand auf und setzte mich an mein Laptop und schrieb weiter. Ich dachte an das Urlicht und an Gott. Die Christen predigten von Gott, aber ich hatte das Gefühl, dass sie keine Ahnung von Gott hatten. Vielleicht war ich dazu ausersehen, den Menschen zu zeigen, wer Gott ist. Gott ist ein rigoroses Abenteuer – das war meine These. Ich jagte nach dem Lichtdrachen, ich jagte nach dem Zipfel von Gottes Gewand und konnte es nicht erwischen. Denn er war schneller, er war mir eine Ewigkeit voraus. Wer hatte schon Ahnung von dieser übermächtigen Erhabenheit? - Zum ersten Mal stellte ich eine Frage in einem meiner Romane. In meiner ersten Kurzgeschichte hatte ich das mal gemacht, aber dann empfand ich das als unliterarisch und ließ es in den folgenden.
„Was machst du?“
Ich erschrak ein wenig. Esthers Arme umschlangen mich ganz sanft.
„Ich schreibe, mein Schatz.“
Esther sagte nichts, sie küsste nur unaufhörlich meinen Nacken. Das war Inspiration genug, und ich verschwand mit ihr wieder im Bett des Hotels der ägyptischen Hauptstadt.
Am nächsten Morgen wachte ich auf und tastete nach Esther. Ich fand sie nicht und vermutete, dass sie auf die Toilette gegangen war. Ich hing noch ein wenig meinen Morgengedanken nach, dachte an den Sex der vergangenen Nacht. Irgendwann richtete ich meine Aufmerksamkeit wieder nach außen. Aber nichts rührte sich. Ich stand auf, ging ins Bad, da war niemand. Dann suchte ich im Wohnraum, da war auch niemand. Ich stutzte. Wir frühstückten immer auf dem Zimmer, deswegen empfand ich die Abwesenheit meiner Freundin als ungewöhnlich. Ich zog mich an und erledigte meine Morgentoilette. Dann verließ ich die Suite und begab auf die Suche nach Esther. Mit dem Fahrstuhl fuhr ich zum Erdgeschoss. Das Eingangshalle des Hotels war menschenleer. Ich erblickte lediglich einen acht Meter großen Affen. Ich dachte sofort an den Film King Kong. Nun war mir klar, warum ich niemanden im Hotel antraf. Der ziemlich große Affe saß in der Eingangshalle, rührte sich nicht. Ich beobachtete ihn. Er machte einen traurigen Eindruck. Dann ging ich auf ihn zu.
„Hi!“, begrüßte ich ihn.
„Hi“, reagierte der Affe traurig.
Ich starrte ihn an.
„Was ist?“, fragte er.
„Du kannst sprechen?“
„Warum soll ich nicht sprechen können?“
„Aha, okay. Dann ist ja jede weitere Vorgehensweise erheblich vereinfacht!“, merkte ich an.
„Welche Vorgehensweise?“
„Zum Beispiel unsere Kommunikation!“
„Ich habe kein Problem zu kommunizieren!“
„Wer dann?“
„Siehst du hier irgendwelche Menschen?“
„Nein!“
„Siehst du?“
„Was sehe ich?“
Der acht Meter große Affe rollte mit den Augen.
„Na, was wohl?“
„Hm“, dann begriff ich, „ach so, die Menschen haben Angst vor dir!“
„Du bist kein Schnellmerker, was?“
„Aber jetzt habe ich es geschnallt“, ich räusperte mich.
„Wieso hast du keine Angst vor mir?“
„Ich bin Bestsellerautor und CIA-Agent, ich habe keine Angst.“
„Cool, endlich mal jemand, der keine Angst hat!“
King Kong freute sich.
„Ich heiße Hans“, stellte ich mich vor.
„Markus“, er reichte mir seine große Hand.
„Ich denke, du heißt King Kong?“
Er fing an zu lachen. Dann beruhigte er sich wieder.
„Das war nur eine Rolle! Seit dem Film damals identifizieren mich alle mit diesem Riesenaffen King Kong. Das ist echt ein Übel.“
„Oh, das tut mir leid!“
„Dabei bin ich einfach nur Schauspieler und heiße Markus!“
„Okay!“
„Seit diesem Film hatte ich keine weitere Rolle mehr angeboten bekommen!“
„Oh! Tut mir leid!“
„Was?“
„Ich sagte: tut mir leid!“
Der Riesenaffe Markus schaute mich an.
„Das ist nett von dir, dass du das sagst, Hans!“
„Was hast du dann gemacht?“
„Sogar für den Film Elefant Man hatte ich mich vorgestellt, aber der Caster sagte, ich sei für diesen Film im körperlichen Ausdruck zu enorm!“
„Ach!“
„Ja, das traf mich wirklich, ich wäre der perfekte Elefantenmensch gewesen!“
„Das glaube ich!“
Dann saß Markus eine Weile nur so da, das Sofa unter ihm war ziemlich platt.
„Körperlicher Ausdruck zu enorm, was das nun wieder heißen soll?!“, begann Markus wieder.
„Ist schlimm, wenn man abgelehnt wird!“
„Da sagst du was, Hans!“
Ich setzte mich vor dem Riesenaffen auf den Kachelfußboden.
„Ist dir das auch mal ergangen?“, fragte er.
„Ja, meine ersten drei Romane sind alle abgelehnt worden!“
„Oh, das war bestimmt schlimm für dich!“
„Ja, war es, aber mit dem vierten hatte ich es geschafft. Dann lief es!“
„Okay! Das heißt, du hast es geschafft?“
„Ja, habe ich!“
„Supi, Hans! Ach ja, hattest du ja am Anfang gesagt, dass du Bestsellerautor bist. Hach, ich bin so vergesslich!“, lächelte der Schauspieler Markus.
„Ich habe auch schon mal Sachen vergessen, Markus!“
„Du bist echt nett, Hans! Freut mich sehr, dass ich dich kennengelernt hab'!“
„Freut mich auch, Markus!“
Wir lachten. Wir lachten ziemlich laut, denn wir freuten uns, denn er hatte einen neuen Freund und ich auch. Dann meinte ich zum Scherz: „Jetzt fehlt nur noch einer?“
„Wer?“
„Superman!“
Im nächsten Moment bereute ich diese Antwort.
„Superman?“, schaute mich der Riesenaffe an.
Ich dachte, jetzt frisst mich Markus.
„Kein Problem, ich habe seine Telefonnummer!“
„Du hast seine Telefonnummer? Von Christopher Reeves?“
„Nein, der ist doch schon tot! Nein, ich habe die Telefonnummer von Superman!“
Ich musste ziemlich blöd aus der Wäsche geschaut haben. Markus holte von irgendwoher sein Handy und wählte.
„Ja, ich bin 's. Hast du kurz Zeit? Ich sitze hier mit einem Kumpel zusammen in Kairo. Würde mich freuen, wenn du dazu stoßen könntest!“
Ich schaute King Kong beim Handy-Telefonieren zu, und mir stand der Mund offen.
„In zwei Minuten ist er da“, meinte Markus.
„Fein!“, riss ich mich zusammen, „Um nicht zu sagen: super!“
„Ja, Superman ist ein feiner Kerl. Leider kriegt der im Filmgeschäft auch keinen Job mehr. Manchmal treffen wir uns und reden über alte Zeiten!“
„Er ist auch Schauspieler?“
„Wo kommst du denn her, Hans? Klar ist der Schauspieler! Haste die Superman-Filme nicht gesehen?“
Ich hatte alle Superman-Filme gesehen.
„Und wie heißt er in echt?“
„Was meinst du mit in echt?“
„Ich wollte nur seinen Namen wissen, du heißt doch auch...“
„Superman heißt Superman! Was denn sonst?“
„Aber!“
„Was aber?“
„Und Batman?“
„Der heißt Bruce Wayne!“
„Das verstehe ich nicht!“
„Du musst noch viel über 's Filmgeschäft lernen, Hans!“
Dann vernahm ich einen Wind, ein Rauschen und da flog etwas Rotblaues mit ungeheurer Geschwindigkeit in die Eingangshalle des Hotels und stoppte abrupt vor Markus.
„Hi Markus!“
„Hi Superman!“
„Wer ist er?“, fragte Superman mit einem Blick auf mich.
„Das ist Hans“, meinte Markus.
„Ist er einer von uns?“
„Weiß nicht. Zumindest ist er nett, Bestsellerautor und CIA-Agent.“
„Aha.“
„Und er hat angeblich keine Angst.“
Da fing Superman an zu lachen. Er schmiss sich auf den Boden und lachte unaufhörlich. Dann drehte er fliegend und rasant einige Runden in der Halle. Schließlich stand er wieder vor mir. Und schaute mir bedrohlich in die Augen. Ich wich zurück.
„Wieso hast du keine Angst, Hans?“
„Weiß nicht?“
Ich schaute zu Markus.
„Wieso schaust du mich an, du hast Superman eingeladen!“
Ich schaute wieder in die Augen von Superman.
„Weiß nicht?“
„Hast du einen Job?“, fragte der Superheld.
„Ja, habe ich!“
„Welchen?“
„Bei allem Respekt, Herr Superman, das hatte ihr Kollege gerade schon gesagt.“
„Hat er das?“
„Ja, hat er.“
Superman ging nervös hin und her. Ich war etwas erleichtert, der Blick des Superhelden hatte doch ein wenig einschüchternd auf mich gewirkt.
„Hast du Geld?“
Schon war er wieder vor meinem Gesicht.
„Ja, ich habe Geld!“
Allmählich wurde ich ärgerlich.
„Was soll der Unfug?“
„Hast du einen Job für mich?“
„Was?“
„Der Typ hat nicht nur Schiss, der ist auch noch dumm!“, meinte Superman zu Markus.
„Nein, der ist nicht dumm und der hat auch keine Angst! Du verhälst dich inadäquat!“, sagte Markus.
„Inadäquat? Inadäquat?“
„Was soll das heißen, inadäquat?!“
„Deswegen hast du auch lange keinen Job mehr bekommen, Superman! Du verhälst dich inadäquat!“
„Aber du, Markus!“
„Bei mir ist es lediglich die körperliche Fülle, die die Caster davon abhält, mich zu engagieren! Bei dir ist es dein Verhalten! Habe ich dir schon oft genug gesagt!“
„Mein Verhalten, mein Verhalten! Immer nur mein Verhalten! Immer hackst du auf mir 'rum, Markus!“
Superman war sauer und verzweifelt, fasste sich an den Kopf, schwenkte mit diesem hin und her.
„Siehst du, Hans? Das wird aus uns, wenn wir keinen Job mehr haben!“, sagte Markus mit einem Blick auf Superman zu mir.
Eigentlich suchte ich meine Freundin Esther. Stattdessen begegnete ich King Kong, der eigentlich Markus hieß und Schauspieler war, und Superman. Der war ebenso Schauspieler und hieß weder Clark Kent noch Christopher Reeves noch Kal-El, sondern einfach nur Superman. Mir taten die beiden leid, und in Anbetracht meiner Suche nach Esther schlug ich den beiden einen Job vor.
„Was haltet ihr davon, wenn ich euch als meine Leibwächter einstelle?“
Markus schaute mich an. Superman rang noch mit sich selbst.
„Ist das ein Job?“, fragte Markus.
„Das ist ein Job!“
„Und du kannst uns bezahlen?“
„Ich bin wie gesagt Bestsellerautor!“
Markus guckte nur.
„Und wie viel?“
„5000!“
„5000?!“
Ich dachte, der Affe frisst mich nun endgültig.
„So viel?!“
„Äh, ja!“
„Hey, Superman, wir kriegen 5000 im Monat!!“
Superman schien das trotz seiner ziemlich sehr guten Hörfähigkeit nicht mitzukriegen. Markus ließ ihn und wandte sich wieder zu mir.
„Und was muss ich da machen?“
„Du kennst doch den Leibwächter-Job?“
„Nö!“
Da erinnerte ich mich an den Satz von Markus, dass ich noch viel über das Filmgeschäft lernen muss.
„Bodyguard!“, sagte ich.
„Ach, ich bin dein Bodyguard?“
Das verstand er, und allmählich verstand ich. Superman machte immer noch Selbstmitleidsfaxen. Markus donnerte ihm eine mit der Faust. Superman flog in eine Ecke der Hotelhalle. Dann war er wieder da.
„Lass das, Markus!“, rief er aus der zertrümmerten Ecke.
„Du warst so abwesend, Kleiner!“
„5000, ich habe alles mitgekriegt. Das Selbstmitleid war nur so schön!“
Der Kleine flog nicht, sondern ging zu Markus und mir.
„Macht ihr das schon mal so?“, fragte ich.
„Was?“, fragte Markus.
„Euch gegenseitig verhauen!“
„Es gab eine Zeit, da hatten wir das andauernd gemacht, einfach so. Dann wollten wir wissen, wer der Stärkere ist.“
„Und wer ist der Stärkere?“
„Kommt drauf an!“
„Aha!“, kommentierte ich.
„Ich bin also jetzt dein Bodyguard?“, fragte der Kleine.
„So ist es, Superman!“
Ich wollte nicht den Begriff Kleiner verwenden, denn das würde nicht so ganz zutreffen, denn der Kleine war doch ein bisschen größer als ich.
„Und wie kriegen wir das Geld und wann?“
„Wie ihr wollt!“
„Am ersten und bitte auf mein Konto“, meinte Superman. Markus wollte das auch so. Ich war Schriftsteller, also hatte ich immer einen kleinen Schreibblock und einen Bleistift bei mir. Ich zog meine Schreibutensilien aus meinem Jackett, und Superman schrieb seine Bankverbindung auf. Dann gab er mir wieder den Block und den Stift zurück.
„Und wie ist deine Bankverbindung, Markus?“
„Schreib ich dir auf, Hans!“
Ich zögerte, denn ich konnte mir nicht vorstellen, dass der Riesenaffe, der Schauspieler war und Markus hieß, mit seiner riesigen Affenhand den Bleistift händeln konnte.
„Was ist?“, fragte Markus.
„Nichts!“
Ich gab ihm einfach den Block und den Stift. Und Markus schrieb fein säuberlich und leserlich und dazu noch in schönen Druckbuchstaben seine Bankverbindung auf den Block. Ich war wirklich erstaunt. Dann steckte ich meine Schreibutensilien wieder in mein Jackett und besah in meinem Inneren den Gedanken, dass ich nun zwei der stärksten Wesen auf der Erde als Bodyguards meiner selbst engagiert habe. Das war wirklich ein gutes Gefühl. Dann fiel mir ein anderes starkes Wesen ein.
„Kennt ihr eigentlich den Hulk?“
Da prusteten beide los, als hatte ich den besten Witz der Galaxie von mir gegeben. Sie lachten erbarmungslos, klopften sich auf die Schenkel – die ganze Hoteleingangshalle bebte. Welcherlei natürlich normal war, wenn zwei Giganten herzlich lachten. Aber das Lachen dauerte gut zehn Minuten, ich schaute dabei mal auf meine Armbanduhr. Nach den zehn Minuten meinte Markus: „Du bist echt ein Knüller, Hans!“
„Ja, das ist er! Wir sind die Bodyguards des lustigsten Mannes der Welt!“, ergänzte Superman. Ich wusste noch nicht so ganz, wie ich das Lachen verstehen sollte. Also hakte ich nach.
„Was ist? Kennt ihr ihn?“
Das folgende Lachen dauerte schlappe zwei Minuten. Die Halle wackelte auch nur ein bisschen.
„Na klar, kennen wir ihn!!“, sagte Markus.
„Aus dem Comic!!“, sagte Superman.
„Aus dem Comic“, betete ich nach.
„Ja, aus dem Comic, er ist 'ne Comicfigur!!“, sagte Superman. Dann lachten wieder beide. Dabei wurde mir erheblich klar, dass ich sehr viel über das Filmgeschäft lernen musste.