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Langstreckenraumfähre Tannhäuser

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Wenn die Bezeichnung Fliegender Zirkus etwas zutreffend zu bezeichnen vermochte, dann die Zustände auf der Langstreckenraumfähre Tannhäuser der galaktischen Postunion. Das galt ganz besonders für die Zeit vor dem galaktischen Golfturnier. Die Fähre verkehrte regelmäßig zwischen den Planeten Pandora und Luzifers Lunte.

Majorin Zack hatte gewusst, worauf sie sich einließ.

Das Riesenraumschiff bot auf elf Decks Platz für achttausend Passagiere und weitere Ebenen dienten als Stauraum für Schwebecontainer, Lufttransporter und Raumleichter. Die Reise zur Lunte dauert zwischen zwölf und vierzehn Tagen Standardsternenzeit, das kam auf die Bedingungen im Da-Da-Raum an, welchen das Raumschiff immer wieder verlassen musste, um seine Realität zu stabilisieren. Dabei unterbrach es die Reise häufig für ein paar Stunden, um die auf seiner Route liegenden Planeten und Sternensysteme mit diesem und jenem zu versorgen, am wichtigsten natürlich mit der Post. Dafür landete die Raumfähre nicht, sondern bezog eine Position im Orbit der Himmelkörper, während ein reger planetarer Flugverkehr Waren und Passagiere hin und her beförderte.

In den Perioden während die Tannhäuser durch den Normalraum trieb, über Planeten hing, vor Sternentoren auf eine günstige Chaoswelle wartete oder ihre Wirklichkeit mit Realität auflud, entfaltete der Fliegende Zirkus seine ganze anarchistische Wucht. Kaum aus dem Tiefschlaf der Da-Da-Raum Reisephasen erwacht, tobten Besatzung und Passagiere sowohl als dankbares Publikum wie auch als Schausteller, Akrobaten, gebändigte Bestien und Clowns durch die Decks und stifteten Chaos. Besonders die Clowns waren deutlich überrepräsentiert und belustigten die wenigen sensiblen Beobachter, schon allein aufgrund der Tatsache, dass sie nicht merkten, wie sie sich zum Affen machten. Einem echten Clown würde so etwas natürlich nie passieren.

Shoppingmails, Wellnessbereiche, Spielsäle, Ruhezonen, Sporteinrichtungen, Saunas, Schlammbäder, Schießstände, Kinos und Restaurants für allen denkbaren galaktischen Geschmackserlebnisse, versuchten die Passagiere von eventuell aufkommender Langweile abzulenken. Ja es gab sogar eine Nachttankstelle mit den üblichen Schmarotzern, wo alles echt schien, bis auf die Zapfsäulen. Nichts war so gefährlich für das brisante Gemisch verschiedener Spezies, Rassen, Glaubensrichtungen und politischer Überzeugungen an Bord, wie Langweile. Da konnte sich schon mal spontan ein Mob zusammenrotten, um einen Scharlatan zu lynchen, der unvorsichtigerweise die Himmlische Verwaltung der Korruption bezichtigt hatte. Obwohl der Vorwurf an sich von niemand bei klarem Verstand angezweifelt werden würde, doch ein Scharlatan war Angehöriger der kosmischen Finanzelite, somit das letzte Individuum, das einen solchen Vorwurf erheben durfte, ohne sich des Verdachts des Zynismus oder der Heuchelei auszusetzen. Überhaupt litten mit zunehmender Reisedauer die Nerven der meisten Reisenden unter dem periodischen Einfluss der Da-Da-Raumaufenthalte. Das führte zu seltsamen Zusammenrottungen schräger Gedanken, kläglichen Visionen oder, was besonders gefährlich war, zu fehlerhaften aber zweifelsfreien Überzeugungen.

Übersprung- und Kurzschlusshandlungen häuften sich gegen Ende der Reise und jeder erfahrene Passagier fürchtete die Möglichkeit, eines rational begründeten Amoklaufes. Diese für Langstreckenraumflüge so typische Form des Massakers hatte eine lange Tradition bei der galaktischen Postraumfahrt und nicht wenige Ruhmsüchtige fühlten sich berufen, diese Folklore nicht aussterben zu lassen.

Ein rationaler Amoklauf, so sinnierte die Majorin, war eine durch die Umstände hervorgerufene, streng logische herbeigeführte Massenmordorgie. Das strenge Prozedere ergab sich aus These, Antithese und Synthese, wobei mit der Synthese widerstreitende, endlos nervende Positionen einfach ausgelöscht wurden.

Ich habe recht und die anderen sind tot.

So was konnte sich schon gleich hier und jetzt ereignen, sofern die Beteiligten nicht über eisenharte Nerven verfügten.

Interessiert verfolgte sie, die sich anbahnende Realitätsverwerfung. Ein häufig in Edelrestaurants anzutreffendes Phänomen. Oft lag das am Wein oder, präziser, an den selbst ernannten Weinkennern und Hobby-Gourmets.

Die Majorin, als erfahrene Raumreisende, hatte sich auf dem siebten Deck ein kleines, überschaubares Spezialitätenrestaurant für Meeresfrüchte ausgesucht und dort für die gesamte Reise einen Platz an einem Tisch gebucht, den sie mit einem älteren Paar, Elsbeth und Bertie und deren Freundin Luise, teilte. Gegessen wurde jeweils pünktlich zur Wachablösung.

Das Ambiente war einer Fischerkneipe nachempfunden und zeichnete sich hautsächlich durch Wandgemälde von Schiffskatastrophen, einigen falschen Wrackteilen und einem Aquarium mit undefinierbaren Getier aus den Meeren verschiedener Planeten aus. Im Aquarium brodelte und schäumte es häufig und öfters trieben exotische Skelette mit Fleischfetzen behangen durch das trübe Wasser. Über der Bar hing ein Fischernetz voller Plastikmüll, eine Anklage gegen die Verschmutzung der Meere, darunter hing ein geschnitztes Schild Räucherkate, daneben ein großes Plakat RAUCHEN VERBOTEN.

Die beiden Freundinnen am Tisch der Majorin hatten sich schon bald als beinharte Expertinnen mit jahrelanger Erfahrung in Sachen Bordgastronomie zu erkennen gegeben. Keine Mahlzeit, die nicht einer eingehenden fachlichen Prüfung unterzogen wurde, während dessen Bertie mit routinierter Teilnahmslosigkeit die neusten Zeitungen las, welche mit den schnellen Kurierschiffen die Tannhäuser erreicht hatten. Bertie lehnte es konsequent ab, sich in irgendeiner Weise an einem Tischgespräch zu beteiligen, das ihm mehr als ein Grummeln abverlangte.

„Ist das Petersiliensträußchen auf deinem Butt nicht etwas unpassend, Honey?“

„Etwas gewagt, in der Tat.“

„Der Butt ist doch ein Fisch, da wäre Tang als Dekoration naheliegend. Was sagst du Bertie?“

„Grummm.“

„Bertie meint das auch, Honey.“

„Mein Fisch ist fade.“

„Und flach, ich finde ihn für einen Butt etwas flach.“

„Ein Flachbutt vielleicht?“

Die Majorin beobachtet mit wachsendem Interesse Pierre, den Oberkellner der Restaurants, der schon seit Reisebeginn in einem verzweifelten asymmetrischen Krieg mit den Damen verstrickt worden war.

„Garçon der Butt, woher kommt der?“ Elsbeth winkte den Ober herbei und deutete mit der Messerspitze auf den Teller von Luise.

„Aus den Frischfischtanks der Tannhäuser. Dieser Fische ist so frisch wie sie, gnädige Frau.“

Bertie starrte für einen Augenblick verwirrt über seine Zeitung.

„Süß- oder Salzwasser?“

„Salzwasser, das ist ein Butt.“

„Und wieso schmeckt er dann flach, wenn er aus Salzwasser kommt?“

„Fade, Schätzchen, er schmeckt fade.“

„Flach ist doch das Gleiche, Honey. Sie haben dir einen flachen Fisch angedreht, der deswegen fade schmeckt, lass dir das nicht gefallen.“

„Der But ist zu flacht, Garçon.“

„Das ist sicher ein Steinbutt, Honey, pass auf das Du dir nicht die Zähne ausbeißt.“

„Der Butt ist ein Plattfisch, meine Damen.“

„Siehst du Honey, sie haben dir einen platten Steinbutt angedreht.“

„Das ist kein Steinbutt.“

„Trotzdem ist er zu flach oder platt.“

„Das ist ein Hagelbutt.“

Bernie ließ kurz die Zeitung sinken und fragte völlig desinteressiert: „Was ist ein Hagelbutt?“

Die Majorin nippte entspannt an einem Drink und wartete.

„Der Hagelbutt gehört zu den fliegenden Plattfischen, die aber entgegen anderen verwandten Arten nur bei Hagel fliegen. Übrigens gibt es einen berühmten Cocktail, den Withe Hagelbutt, der basiert auf Eishagel durch den ein Schwarm dieser Fische geflogen ist, was den Würfeln ein einzigartiges Aroma beschert und Wodka. Viel Wodka wegen des Fischaromas. Ein außergewöhnliches Geschmackserlebnis, wie ich ihnen versichern darf.“

„Einen Withe Hagelbutt, mit doppelt Hagel“, orderte daraufhin Bertie. Die Majorin schloss sich an. Pierre machte auf dem Absatz kehrt und fragte mit stoischer Miene: „Sehr wohl, mit Minze oder Olive?“

„Pur“, erwiderte Bernie und verschwand wieder hinter der Zeitung. Die Bordzentrale meldete einen Da-Da-Raumeintritt in circa vier Stunden Standardzeit, was einiges erklärte. Da fiel der der Majorin die Überschrift von Bernies Zeitung in die Augen. „Putschgerüchte von der Erde. Spitzenputte unter Verdacht!“

„Entschuldigen sie Bernie, von wann ist ihre Zeitung?“

„Ganz frisch, wie der verfickte Butt, ist heute Morgen mit dem Kurierschiff von Luzifers Lunte gekommen, keine fünf Tage Standardzeit alt.“

Bernies längste Rede seit Reiseantritt stellte die Majorin für sich fest. Elsbeth musterte ihren Mann missbilligend, sie verabscheute vulgäre Entgleisungen grundsätzlich.

„Verfickter Butt …“, kicherte Luise „… ich hätte es nicht besser ausdrücken können, höchstens noch: platter, verfickter Fliegenfisch.“

„Das ist kein Fliegenfisch, das ist ein fliegender Fisch, Honey.“

„Dürfte ich mir den Politikteil einmal ausleihen?“, fragte die Majorin Bertie.

Pierre war zurück am Tisch und stellte die Withe Hagelbutts erwartungsvoll vor seinen Gästen ab. Die Majorin probierte vorsichtig. Bertie schüttete den Drink mit einem genüsslichen langen Zug ab. „Schmeckt, wie er heißt …“, sagte Bertie zufrieden, „… noch einen, bitte.“

„Die Zeitung dürfte ich die …“

„Sie interessieren sich nicht zufällig für Golf?“

Das tat die Majorin in der Tat nicht, aber da der größte Teil der Passagiere wegen dem großen Golfturnier mit der Tannhäuser reiste, konnte man praktisch Gesprächen über Golf genau so wenig aus dem Weg gehen, wie Schnupfen. Also seufzte sie ergeben und beschied Bertie: „Ein wenig.“

„Ich verstehe nicht, warum die Zeitungen überhaupt noch über Politik berichten. Das kümmert doch kein Schwein. Sehen sie hier Elsbeth und Luise, die haben sich noch nie, niemals, für Politik interessiert. Stimmt’s Mädels?“

„Nein, haben wir nicht.“

„Für Golf auch nicht“, ergänzte Luise.

„Golf und Politik ist so was von horrible, nicht Honey? Was machst du für ein Gesicht. Stimmt etwas mit den Babykarotten nicht? Oder sind es die Kartoffeln? Es sind die Kartoffeln, ich sehe es dir an. Die Kartoffeln, Honey.“

„Nein, nein es ist nichts … alles prima.“

„Danach sieht es mir nicht aus.“

„Es sind die verfickten Kartoffeln, die sehen wie Golfbälle aus Elsbeth, ist dir das schon mal aufgefallen. Ich denke die ganze Zeit ich würge Golfbälle hinunter.“

„Wie sollen denn die Bälle auf den Teller gekommen sein? Mit einem Sechser Eisen aus der Küche abgeschlagen?“, mischte sich Bertie ein.

„Bertie, kann ich die Zeitung…?“

„Aber ja. Wissen sie, um so einen Abschlag aus der Küche heraus zu spielen, müssten sie einen verflucht guten Golfschwung haben, ein perfektes Muskelgedächtnis. Wissen sie, wie viele Informationen bei so einem Abschlag vom Gehirn an ihren Körper weiter geben werden müssen? Da muss jedes Rädchen ihres Körpers optimal ineinandergreifen. Da müssen sie mental total stabil drauf sein. Sie müssen im Moment leben, Schläger, Ball, Fairway, Green und ihr Kopf, alles muss zu einer Einheit verschmelzen. Wissen sie, manchmal glaube ich man müsste hier oben …“ dabei tippte Bernie sich an die Stirn „… so ein kleines Implantat einsetzen, was alles Überflüssige ausblendet und nur den Golfschlag steuert. Verstehen sie, eine Art Golfhirnprothese.“

„Für so eine Prothese würde Bernie sogar mich verkaufen, stimmt’s Honey?“

„Ist halt Golfer durch und durch dein Gatte.“

Der Majorin war vor Schreck die Kinnlade herunter gerutscht. Bertie konnte sprechen und selbst Golfspieler träumten jetzt schon von so etwas, wie den Gottesmodulen. Ihr lief es eiskalt den Rücken hinunter. Nicht das Modul war das gefährliche, sondern der Glaube an künstlich gesteuerte Perfektion oder die Delegation von Selbstbestimmtheit an ein Implantat.

Sie nahm die Zeitung entgegen, die Kosmische Allgemeine Allerlei, eine Publikation, der eine gewisse Nähe zur Macht nachgesagt wurde, was sich häufig in der Formulierung: aus meist gut unterrichteten Kreisen verlautet, niederschlug.

Bertie beobachtete über den Golfteil seiner Zeitung hinweg die Majorin. Er wurde aus der Frau nicht schlau und das beunruhigte ihn, denn normalerweise verfügte er über ein untrügerisches Gespür für andere Engel oder Humanoiden. Bertie hatte mit seinem Einfühlungsvermögen ein immenses Vermögen gemacht. Im Bergbau der Wüsten Zone war es ihm spielend gelungen soviel Reichtum zu schürfen, dass er jetzt über einen riesigen Minenkonzern, eine Transportraumflotte und etliche satte Medienbeteiligungen verfügte. Trotzdem zog er es vor unauffällig zu bleiben, denn er hing der Theorie nach, dass wahre Macht nur im Dunkeln gedieh, im hellen Licht der Öffentlichkeit löste sie sich auf, wie Frühnebel. Bescheiden und unauffällig reisen, die alltäglichen Geschäfte und die politische Schmutzarbeit seiner Stabsabteilung überlassen, Elsbeth möglichst ignorieren und Golfen, wann immer es ging, das waren seine Regeln. Doch die Majorin, die sich ihnen am Anfang der Reise mit Debora Zack vorgestellt hatte, entzog sich jeder Wertung. Besonders ihr einfacher, eleganter Habit mit grauer Kukulle und die grundlos dunkle Schneebrille, verunsicherten ihn und jetzt interessierte sich die Frau auch noch für Politik.

„Debora darf ich sie fragen, was sie an Politik finden?“

Die Majorin lächelte nachsichtig. „Gefallen, ich finde Gefallen daran zuzusehen, wie erwachsene Intelligenzen sich für Nichtigkeiten herumschubsen, ruinieren oder bis aufs Messer bekriegen.“

„Garçon …“ Elsbeth wedelte schon wieder den Oberkellner herbei „… die Götterspeise schwimmt.“

„Sehr wohl gnädige Frau, in Vanillesoße.“

„Die Speise schwimmt nicht nur, sie säuft quasi ab.“

„Flut, es ist Flut, bei Ebbe schaut mehr heraus.“

„Gut dann nehmen sie die Flut wieder mit und bringen mir eine Götterspeise bei Ebbe.“

„Sehr wohl gnädige Frau, aber da müssen wir noch etwas warten.“

„Luise, Honey, hast du das gehört, man lässt uns warten.“

„Ja, auf Ebbe.“

Bertie senkte seine Zeitung, ein untrügliches Zeichen für seine Missbilligung.

„Grummm … „sagte er und wandte sich wieder der Majorin zu „.. wissen sie, ich glaube Golf hat viel mit Politik zu tun.“

„Man trifft sich im Freien wo einen so leicht keiner abhören kann und beschließt über Dinge, über die man öffentlich niemals reden würde. Meinen sie das, Bertie?“, erwiderte die Majorin.

„Ach kommen sie, nehmen sie nur mal das große galaktische Golfturnier. Alle kommen hin die Rang und Namen in der Milchstraße haben. Sogar Saa-Tan kommt - inkognito.“

„Weiß aber jeder, dass er kommt.“

„Das gehört zum Spiel. Oder nehmen sie mal die Sieben vom Ausschuss. Gehen sich sonst sorgfältig aus dem Weg, aber beim Turnier treffen sie sich reden über dies und das und halten sogar Sitzungen ab, wie man munkelt.“

„Im Geheimen.“

„Na ja, immer noch besser geheim, als wenn Beschlüsse gar nicht gefasst werden und Jahrelang alles auf der Stelle tritt.“

„Genau und um die Öffentlichkeit schon mal auf die zu fassenden Beschlüsse vorzubereiten, werden Artikel, Berichte, Nachrichten und Gerüchte laciert, damit es hinterher kein allzu großes Geschrei gibt.“

Der Oberkellner war zurück an den Tisch getreten und tauschte mit herablassender Professionalität den Nachtisch aus. Dann beugte er sich zu der Majorin herab: „Madam, wenn sie sich nach dem Dinner noch einmal kurz an die Bar bemühen könnten? Ich habe das fragliche Rezept für sie herausgesucht, aber sicher möchten sie den Drink erst einmal probieren.“

Das war der vereinbarte Code. Pierre hatte also Neuigkeiten für sie. Die Majorin war gespannt. Bertie gab das Gespräch noch nicht auf, er deutete auf die Zeitungsüberschrift. „Sie haben wahrscheinlich recht, würde mich nicht wundern, wenn die Putten mit ihrer Verwaltung der Erde unter Druck gerieten.“

„Und warum würde es sie nicht wundern Bertie?“

„Weil der Planet neben seinen Klugscheißern, jede Menge Potenzial hat.“

„Potenzial für was?“

„Geschäfte …“ mischte sich Elsbeth ein „wenn Bertie Potenzial sagt, meint er Geschäfte. Nicht Honey?“

„Möglichkeiten, Chancen, Aussichten, damit meint dein Gatte immer Geschäfte. Einmal hat er sogar Partizipation am geschaffenen Mehrwert als Geschäft bezeichnet. Ich weiß nicht, wie er immer auf solche Sachen kommt?“

„Grummm …“, warf Bertie ein und fuhr fort „… dieser Blaue Planet ist schon länger reif für eine ernsthafte Übernahme, aber die Traditionalisten im Ausschuss wehren sich schon länger dagegen etwas am Status quo zu ändern, dazu hat es in der Vergangenheit zu viel Ärger mit diesen Menschen gegeben.“

„Und was würde die Mehrheitsverhältnisse im Ausschuss, ihrer Meinung nach, kippen, Bertie?“

„Wenn diese gefährlichen Irren versuchen würden ins Imperium zu kommen und anfangen sich einzumischen.“

„Aber dafür sollen doch die Putten auf der Erde Sorge tragen, dass das nicht passiert.“

„Eben, die Putten“, schnaubte Bertie verächtlich. Die Majorin schwieg nachdenklich und warf einen Blick in den Artikel: Gestern ist sind gegen Oberschwester Lula Liwuna, die oberste Vertreterin der Putten auf der Erde und hohe Repräsentantin des Ministeriums für Demut und Vergebung, schwere Vorwürfe erhoben worden. Wie aus meist gut unterrichteten Kreisen verlautet, wird den Putten der Sonderverwaltungszone vorgeworfen unter Liwunas Führung Experimente am Menschen durchgeführt zu haben, mit der Absicht Mutanten ins Imperium einzuschleusen, um Chaos zu stiften. Dahinter vermuten unsere Informanten den Plan der Putten, zum gegeben Zeitpunkt als Retter des Imperiums die Macht an sich zu reißen.

Die so beschuldigte Oberschwester Lula Liwuna soll sich an Bord des galaktischen Postraumfrachters Hallig Öde, auf dem Weg zu Luzifers Lunte befinden, wo sie im zuständigen Ministerium für Demut und Vergebung Rechenschaft ablegen soll.

Unsere Informanten sprechen vom Verdacht auf ein groß angelegtes Komplott.

Scheinbar gibt es aufgrund der Vorwürfe auch schon erste Stimmen, die eine Neuorganisation der Verwaltung der Sonderverwaltungszone Terra Narra fordern..

Wir werden unsere Leser auf dem Laufenden halten.

„Scheiße“, murmelte die Majorin und legte die Zeitung beiseite. Bernie schien besser informiert, als es den Anschein hatte.

„Garçon“, rief Elsbeth, woraufhin sich die Majorin eiligst entschuldigte und sich zu Pierre an die Bar flüchtete. Der schickte einen Rupert zum Tisch der Nervensägen und begab sich mit der Majorin nach hinten in eine verschwiegene Nische am Ende der Bar. Neben ihnen, im Aquarium, sprangen von Zeit zu Zeit ein paar Hagelbutts durch künstlichen Eisregen und schleimige Brühe spritze herum. Die wenigen, noch verbliebenen, Gäste mieden diesen Bereich.

„Die Crew der Tannhäuser macht sie darauf aufmerksam, dass der Da-Da-Raumeintritt in circa zwei Stunden erfolgt, bitte begeben sie sich allmählich in ihre Ruhequartiere.“

Pierre schaute sich verstohlen um und beugte sich flüsternd zur Majorin über den Tisch. „Ich glaube jetzt habe ich genau diese Art Information für sie, auf die sie gewartet haben.“

„Gut Pierre, aber ich muss selber mit dem Rupert sprechen.“

„Das habe ich mir schon gedacht, sie haben nur noch knapp zwei Stunden Zeit, danach wird der Rupert sein Gedächtnis rebooten müssen.“

„Hier“, sie schob dem Ober ein Bündel zusammengerollte Geldscheine hinüber, die der hastig verstaute. „Wo finde ich den Engel?“

„Weniger ein Engel, ein Rupert eben. Sie finden ihn in der Nachttankstelle auf Deck Zero, dort spielt er an der Krake, dem mehrarmigen Banditen.“

Die Ruperts gehörten zu den exotischsten Erscheinungen, intelligenten Lebens in der Galaxie. Niemand wusste zu sagen ob sie ihre Existenz einem Betriebsunfall der Evolution verdankten oder den Experimenten einiger haltlos zugedröhnter, zynischer Götter. Einige Skeptiker behaupteten, sie seien gar nicht wirklich existent, sondern nur eine geklonte Variante des Personals aus einer Liebesschnulze aus der Ära des Absolutismus im Imperium. Kurzum, die Ruperts waren die zur Perfektion optimierten Dienstboten, die überall zugegen waren, ohne bemerkt zu werden. Ein Rupert konnte spielend in einem Haushalt aufwarten, putzen, bügeln, waschen, Türen aufhalten, den Gleiter fliegen und die Kinder verdreschen, ohne dass ihn jemand zur Kenntnis genommen hätte. Allerdings hatten die Ruperts eine gewöhnungsbedürftige Deformation, ihr Kurzzeitgedächtnis war fotografisch und hielt bis zu fünf Tagen alles fest, darüber hinaus fiel es ihnen schwer sich auch nur ihren eigenen Namen zu merken, ihr Langzeitgedächtnis glich einem schwarzen Loch. Dies galt als einer der Gründe dafür, dass man die Ruperts großzügig übersehen konnte, sie waren als Informationsquelle völlig untauglich – zumindest nach fünf Tagen. Auch jeder Aufenthalt im Da-Da-Raum, selbst im tiefsten Kälteschlaf, löschte jede Erinnerung.

Pierre war der Majorin von einem ihrer Agenten empfohlen worden. Er gebot über ein Netz von Ruperts an Bord der Tannhäuser, die ihn mochten, weil er sie zur Kenntnis nahm und Pierre besserte ihr und sein Gehalt durch den Verkauf von Informationen auf. Das war ein sicheres Geschäft, weil die Ruperts übersehen werden mussten, das gebot die gesellschaftliche Konvention, zumindest für jene, die dazugehören wollten. Dies bewies mal wieder, überlegte die Majorin, wie bescheuerte und gefährlich es sein konnte, dazugehören zu müssen. Da übersah man oft das Naheliegende.

Ihr Rupert hingegen war nicht zu übersehen, wie er schief auf einem Hocker vor dem mehrarmigen Banditen hing, der munter vor sich hin klingelte, während die Zylinder mit Golfsymbolen vorbei rasten. Sieben Golfbälle in Reihe machten so viel Lärm, wie eine Blechbläserattacke.

Die Nachttankstelle war das Revier der Ruperts, hier durften sie sein wie sie waren, wenn sie unter sich blieben. Laut, schrill und zügellos, ein Vorteil schnellen Vergessens lag in mangelndem Scham und der Überflüssigkeit von Reue. Eine Nachttankstelle war Ruperts-Land, definitiv, wo sonst konnten so viele Hirntote ohne Zuhause mit exzellenten Kurzzeitgedächtnis, enormen Durst und wenig Geld abhängen?

Wie die meisten Freizeiteinrichtungen der Tannhäuser, so hatten findige Innenausstatter auch die falsche Tankstelle mit viel Liebe zum Detail, der Wirklichkeit nachgestellt. In einem Hologramm rasten schwere Lastgleiter vorbei und die Energiesäulen glitzerten Purpurn. Darüber stand in leuchtender Schrift ONTORUN. Ein bescheuerter Name fand die Majorin.

„Hallo Rupert“, sprach ihn die Majorin an.

„Rudolf Rupert der Siebenundzwanzigste …“, stellte der sich vor „… die Siebenundzwanzig steht für die Anzahl meiner Reboots dieses Jahr. Nennen sie mich einfach Rudolf.“

„Toll Rudolf, möchtest du etwas trinken?“, fragte sie.

„Am liebsten einen Withe Hagelbutt, der ist diese Saison total in bei den Herrschaften, aber hier in der Tanke gibt’s nur Loch Lucky oder Licht aus und das ist dasselbe. Aber davon nehm’ ich einen Doppelten.“

Um sie herum tobte das pralle Leben. Ruperts knutschten in den Ecken, Spielautomaten bimmelten um die Wette, ein Zeitungsständer wurde gerade von einer spontan Stripperin mit ihren Klamotten dekoriert, am Tresen schütteten sie sich gegenseitig literweise Licht aus in die Rachen.

Sie hatten sich mit ihren Getränken an einen Stehtisch im Hintergrund zurückgezogen. Die Majorin fragte: „Also Rudolf was hast du für mich?“

Ruperts werteten ihre Informationen und Beobachtungen nicht, da sie diese in keinen längerfristigen Konsens zu setzen vermochten. Was geschah, geschah und danach geschah etwas anderes. So einfach konnte Leben sein, dachte die Majorin: „Also?“

„Ich bin in meiner aktuellen Erinnerungsphase dem VIP-Deck zugeteilt. Heute Morgen hatte ich Dienst in der Suite der Bub & Beelze Kooperation, die ist momentan von einem stattlichen, sehr distinguierten etwas düstern Adligen belegt.“

Saa-Tan, schoss es der Majorin durch den Kopf. Der Rupert war wirklich ein Glücksfall.

„Weiter“, drängte sie. Rudolf nahm einen gewaltigen Zug vom Licht aus.

„Heute Morgen kamen zwei Herren zu Besuch. Sehr geheimnisvoll, sie waren tief in Kapuzenmäntel gehüllt und konnten gar nicht schnell genug zur Tür herein schlüpfen.“

„Wann war das?“

„Sie kamen mit den Morgenzeitungen, die hatten sie mitgebracht.“

Also waren sie mit dem Kurierschiff von Luzifers Lunte gekommen, überlegte die Majorin.

„Hast du sie erkannt Rudolf?“

„Nein habe ich nie gesehen.“

Das war natürlich eine blöde Frage gewesen, fiel ihr ein, wie sollte ein Rupert sich bei seinen Erinnerungszyklen ein Gesicht merken können.

„Aber die Herrschaft hat sie mit Michael und Daniel angeredet und dabei irgendwie schmutzig gekichert.“

Saa-Tan hat schmutzig gekichert?, staunte die Majorin.

„Wer?“, fragte Rudolf.

„Die Herrschaft, ist nicht wichtig, erzähl einfach weiter.“

„Die Drei haben sich zusammengesetzt, Drinks und Feuerbohnen bei mir bestellt und getuschelt.“

Plötzlich kam der Majorin ein ungeheuerlicher Gedanke und vor Erregung umklammerte sie ihr Glas so fest, dass ihre Knöchel weiß hervortraten, wie die Höcker eines Schneekamels.

Konnte das sein? Sie fragte den Rupert: „Wie sah dieser Michael aus, ohne Kapuze und so, meine ich?“

„Ein außergewöhnlich schöner Mann, der ungeheuer arrogant war. Dass wir Ruperts übersehen werden, daran habe ich mich gewöhnt, aber das man mich so demonstrativ übersehen kann, dass es wehtut, war selbst mir neu.“

Erzengel Michael, diagnostizierte die Majorin jetzt völlig kalt und gelassen, soviel verletzende Arroganz konnte nur ein Erzengel aufbringen und Michael war ein Meister dieser Disziplin. Dann war der andere Besucher mit hoher Wahrscheinlichkeit seine Exzellenz der Erzengel Daniel, seines Zeichens Erster Raumlord und Kommandierender der imperialen Flotte. Beide inkognito zu Besuch bei Satan. Was ging hier vor? Sie würde das Überprüfen müssen, aber das ging erst nach der nächsten Da-Da-Raumphase.

„Konntest du bei dem Gespräch der Drei mithören, Rudolf?“

„Nein, ich musste Drinks mixen und Feuerbohnen rösten. Nur einmal, als ich die Sachen aufgetragen habe, durfte ich einen Augenblick am Tisch warten, weil die Herrschaft probieren wollte, ob die Bohnen auch feurig genug sind.“

„Kannst du mir erzählen was du da aufgeschnappt hast Rudolf?“

„Jedes Wort, ich bin ein Rupert, aber vorher brache ich noch einen Doppelten“, erwiderte ihr Informant.

Da meldete sich die Schiffsführung: „Noch eine Stunde bis zum Da-Da-Raumeintritt. Suchen sie unverzüglich ihre Tiefschlafquartieren auf. Ich wiederhole, suchen sie unverzüglich ihre Schlafquartiere auf. In dreißig Minuten werden alle Decks geräumt. Begeben sie sich in ihre Quartiere. Da-Da-Raumeintritt in einer Stunde Standardzeit.“

Ihnen lief die Zeit davon. Wenn der Rupert jetzt nicht rechtzeitig redete, war die Information verloren. Am Tresen war einiges los. Alles drängelte und schob, um noch ein paar Drinks vor der Sperrstunde zu ergattern. Einige Schaumschläger, eine in der Galaxie recht unbeliebte Rasse, standen kurz davor sich mit einigen Ruperts um ein paar Fegefeuer, eine Saalschlacht zu liefern.

Die Majorin boxte sich energisch durch das Chaos und ergatterte noch zwei der Fegefeuer, ein finales Mixgetränk, das nur kurz vor Feierabend ausgegeben wurde, um die hartnäckigsten Säufer zu erledigen. Genüsslich zog sich Rudolf den Stoff hinein und fragte: „Die Herrschaft heißt noch mal wie?“

Soviel zu einem fotografischen Kurzzeitgedächtnis, dachte die Majorin und erwiderte: „Saa-Tan und der Arrogante heißt Michael.“

„Na gut ich geb’s mal so wieder wie ich’s gespeichert habe.“

„Fein Rudolf, dann mal los.“

„Also dieser Michael sagt: Nun hör schon auf uns hier Vorhaltungen wegen dieser bescheuerten Majorin von der Innenrevision zu machen, du warst mit dem Plan genauso einverstanden wie wir.

Sagt dieser Saa-Tan: Ja, weil ihr mir versichert habt, dass die in der richtigen Richtung ermittelt, gegen die Putten und die Menschen, stattdessen taucht sie bei mir auf und stellt Fragen.

Sagt der andere, der Dritte …“, „Daniel“, wirft die Majorin ein. „….Genau der, der sagt also: Ist jetzt auch egal, wir forcieren den Plan und starten die Abstimmung einfach früher als ursprünglich vorgesehen.

Fragt dieser Saa-Tan: Und wie habt ihr euch das vorgestellt?

Sagt Michael: Wir haben schon angefangen die Bedrohung aufzubauschen wie besprochen. Wir werden die Putte verhaften und schieben ihr diesen ganzen Gottesmodulmist in die Schuhe und die Menschheit stilisieren wir noch weiter zur Superbedrohung hoch.

Sagt dieser Daniel: Genau und beim galaktischen Golfturnier in den kommenden Tage, rufen wir den Wohlfahrtsausschuss zu einer geheimen Sitzung zusammen, als Begründung berufen wir uns auf die drohende Gefahr fürs Imperium.

Und weiter?, fragt da dieser Saa-Tan.

Sagt Michael: Wir bestehen auf einer geheimen Anhörung, die können sie uns nicht verweigern.

Ergänzt Daniel: Da präsentieren wir ein paar Verhaftete und überzeugen den Ausschuss uns aus Sicherheitsgründen die Verwaltung der Erde wieder zu überlassen, wie früher, der Flotte und dem Ministerium.

Fragt Saa-Tan: wenn die Verhafteten nicht mitspielen?

Sagt Michael: Keine Sorge, mit denen werden wir schon fertig, im Kreuzverhör haben wir noch jede Aussage umdeuten können.

Sagt Daniel: Jahrelange politische Erfahrung, die Gefangenen können sagen was sie wollen, wir drehen ihnen das Wort im Mund um, bis jemand merkt, was gespielt wird, haben wir von den anderen Erzengeln im Ausschuss grünes Licht für die Annexion des Blauen Planeten.

Sagt Saa-Tan: Das überzeugt mich nicht, aber bitte. Wenn’s schief geht, habt ihr die Scharlatane im Nacken.

Sagt Michael: Wenns schief geht sind wir alle drei am Arsch, du auch Saa-Tan, dann können wir gleich auf diesen famosen Planeten namens Hölle ins Exil gehen.

Soll ganz passabel dort sein, mildes Klima, hab ich gehört, sagt da Daniel.

Ach haltet die Klappe, antwortet Saa-Tan.

Das war’s, dann musste ich gehen und hab nichts weiter mitbekommen“, erklärte der Rupert und widmete sich seinem finalen Drink.

Was lief da nur für ein Film, fragte sich die Majorin. Im Großen und Ganzen hatte Rudolf mit seiner Gesprächswiedergabe ihre Vermutungen bestätigt. Bloß die Bemerkung von Satan über die Scharlatane vermochte sie nicht zu deuten. Wie diese ins Bild passten, blieb unklar. Natürlich hatten die Angehörigen dieser Kaste, denn das waren die Scharlatane, Angehörige einer Kaste, überall in der Milchstraße ihre Finger im Spiel. Das lag in der Natur der Sache. Die Scharlatane hatten gewöhnlich alle, ausnahmslos, an einer ihrer Eliteakademien das Universalstudium der speziellen oder allgemeinen Scharlatanerie studiert. Eine Ausbildung die Grundlagen von allem und jedem beinhaltete, vor allen Dingen aber Finanzmathematik, Verkaufspsychologie und Schischi. Darunter verstand man die Lehre vom Sein zum Schein, eine Wissenschaft, welche die Besten unter ihnen zur Kunst erhoben hatten.

Ich bin, was ich scheine. Ein Idiot zum Beispiel, merkt aber keiner.

Viele in der Galaxie beneideten die Scharlatane und jene, die das Spiel durchschauten, verachteten und bekämpften sie. Die Majorin konnte Schischi so wenig leiden, wie Cocktailpartys oder Kreuzzüge. Dummerweise betrieben die Scharlatane auch die größte Bank im Imperium, die BB, die Big Bank.

„Bitte suchen sie unverzügliche ihre Schlafquartiere auf. In fünfzehn Minuten werden alle Decks geräumt. Ich wiederhole …“

Fünfzehn Minuten, das musste reichen, um noch schnell den Hanger aufzusuchen. Die Majorin wollte unbedingt noch wissen, ob die Erzengel mit dem Kurierschiff wieder abgereist waren oder sich noch an Bord befanden. Sie bedankte sich bei ihrem Rupert und hastete zu den Fahrgleitern. Wenige Minuten später stand sie im Kontrollzentrum des Besucherschiffsverkehrs der Tannhäuser und ein dickes Geldbündel wechselte unauffällig seinen Besitzer. Der Leitende Wachoffizier schaute im Logbuch des Hangers nach und bestätigte der Majorin, dass das schnelle Kurierpostschiff mit zwei Passagieren angekommen, eine Stunde Standardzeit im Hanger geblieben und dann mit den zwei Passagieren wieder abgeflogen war.

In immer kürzeren Intervallen forderten die Signalglocken der Tannhäuser ihre Passagiere auf, sich in die Schlafkojen zu begeben. Sicherheitskommandos hatten, damit begonnen die Decks zu durchstreifen und die Amüsierviertel und Freizeiteinrichtungen zu räumen. Immer wieder kam es vor, das uneinsichtige Passagiere versuchten den Da-Da-Raum im Wachzustand zu durchqueren. Das führte regelmäßig zum Tohuwabohu-Paradigma, und zahlreiche Anekdoten, die in der galaktischen Postraumfahrt kursierten, erzählten von solchen Zwischenfällen. So soll einmal einer dieser wach gebliebenen Teilzeitwahnsinnigen auf der Tannhäuser die Nachttankstelle für eine okkulte Opferstätte für ONTORUN gehalten haben und sich vergeblich bemüht haben, die purpurnen Zapfsäulen anzuzünden.

Die Majorin hatte gerade zusammen mit den letzten, ultimativen Aufforderungen die Kojen aufzusuchen, welche von dem enervierenden Signalton einer Dampfpfeife in immer kürzeren Intervallen untermalt wurde, ihre Kabinentür erreicht. Da tauchte plötzlich Bernie, komplett in Golfmontur, aus dem Fahrstuhl auf und steuerte seine Suite im hintern Bereich des Korridors an. Neben ihr blieb er stehen. „Hey Debora, schön sie mal alleine zu treffen.“

„Hallo Bertie, waren sie auf der Driving-Range?“

„Nein, hab an meinem Handicap gearbeitet, kleiner Golfkurs mit acht Löchern, nur für VIPs, oben auf dem elften Deck.“

„So, so Bertie, sie sind also ein VIP.“

Daraufhin lachte der wohlwollend, irgendwie mochte er diesen seltsamen Engel. Dann, aus einer Laune heraus, die er sich auch später nicht zu erklären vermochte, zog Bertie einer seiner Visitenkarten, mit denen er üblicherweise mehr als knausrig umging, und reichte sie der Majorin. Die nahm die Karte mit spitzen Fingern entgegen. Wieder einer dieser kleinen, geilen Männer, die sich für unwiderstehlich halten und alles anbaggern, was ihnen ohne Begleitung der Ehefrau über den Weg läuft, dachte sie. Mitleidig warf sie dennoch einen höflichen Blick auf das schmucklose Papier und stieß einen überraschten Piff aus. Bertie Tintino , Vorsitzender stand dort, mehr nicht und eine interkosmische Telefonnummer. Solche Nummern waren teuer und so selten im Imperium, wie echte Weisheit. Das passierte ihr fast nie, dass sie sich so überrumpelt fühlte. Bertie war eine ganz, ganz große Nummer in der kosmischen Wirtschaft, wer hätte das gedacht. Tintino kannte jedes Kind in der Galaxie. Bergbau, Medien und Bankbeteiligungen, ein Mischkonzern, so mächtig wie ein ganzer Planetenverbund.

“Überrascht?“

„In der Tat Bertie, offen gestanden habe ich sie nur für einen dieser Golfidioten gehalten.“

„Ta ja …“, lachte der „… das bin ich ja auch, aber eben noch mehr, wie sie auch.“

„Wie kommen sie denn darauf?“

„Ihre Haltung, ihre Interesse an Politik, ihre Schneebrille und die souveräne Art wie sie Elsbeth bei den Dinnergesprächen immer wieder ins Leere haben laufen lassen, das schaffe selbst ich nur mit äußerster Selbstbeherrschung.“

„Na da haben sie von mir ja vielleicht sogar etwas gelernt?“

„Vielleicht Debora, jedenfalls hat es mich sehr gefreut sie kennengelernt zu haben und sollten sie auf Luzifers Lunte irgendwelche Hilfe brauchen, rufen sie einfach an.“ Dabei deutete Bertie auf die Visitenkarte.

„Wie kommen sie darauf, dass ich Hilfe brauchen könnte?“

„Wissen sie, wenn mich das Leben eins gelehrt hat, dann das: Wenn der erste Schuss gefallen ist, gehen alle Pläne den Bach runter.“

„Bertie, ich ziehe nicht in den Krieg.“

„Wer weiß, sie bezahlen Pierre für Informationen. Ich übrigens auch. Ich hab so ein Gefühl, das sie sich melden werden. Schönen Tiefschlaf Debora und behalten sie mein Kärtchen.“

„Danke Bertie, ich werde es mir überlegen und auf bald, wenn sie recht behalten.“

Die Dampfpfeife bekam allmählich Asthma, so wie sie jetzt nahezu ununterbrochen tutete. Sie suchte ihr Schlafquartier auf.

Der fliegende Zirkus kam allmählich zur Ruhe und die Tannhäuser dümpelte in einigen Raumfalten vor zwei Riesensonnen herum und wartete auf eine Chaoswelle, mit der sie in den Da-Da-Raum surfen konnte.

Hinter den Zeitungsständern in der Nachttankstelle hielt sich ein Schaumschläger versteckt. Einer der alles besser wusste. Zum Beispiel das der Da-Da-Raum völlig ungefährlich war, zumindest für einen Schlaumeier wie ihn - ein Ammenmärchen fürs gemeine Volk.

Typisch Schaumschläger.

Der Fliegende Zirkus war noch lange nicht vom Spielplan abgesetzt.

Die Tannhäuser nahm Fahrt auf und flog in die Unwirklichkeit.

Götzendämmerung III

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