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Teil II – Legende oder Realität

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Vier.

Mailand, Juni 2011

Die vierteljährlich stattfindende Mailänder Modewoche war in vollem Gange. Große, schlanke Models flanierten bis vor einigen Minuten über den Laufsteg, hatten die neue Winterkollektion einer international gehypeten, auf Leder spezialisierten Designerin gezeigt. Jetzt musste sie sich zeigen. Sie ging hinaus ins Rampenlicht, strahlte, schritt den Laufsteg mit dem perfekten Gang ihrer Models ab. Sie konnte sich ebenso bewegen, war obendrein mindestens so schön wie die bestaussehenden ihrer Models, nur deutlich kleiner. Die Designerin genoss den Applaus und sah auch ihn inmitten der Zuschauer. Ihn, der mal ihr Lover war. Einer der begehrtesten männlichen Hollywoodstars saß in der ersten Reihe – der Reihe der Reichen, Schönen und Wichtigen – und applaudierte lebhaft. Und er wirkte wieder mal so cool und souverän. Sie winkte dem graumelierten Hollywoodstar. Eine aufregende Brünette saß an seiner Seite. Die Designerin zwinkerte den Star an und schmunzelte. Sie hatte seinerzeit ihn geschasst, nicht umgekehrt. Und die junge Brünette an seiner Seite war natürlich in erster Linie psychologischer Aufputz… für ihn. Er könnte jede haben, aber er wollte sie. Sie, die Designerin.

Die Designerin hatte andere Prioritäten. Sie drehte sich lachend auf dem Absatz, nur wenige Zuschauer bemerkten ihre außergewöhnliche Geschmeidigkeit, und verschwand nach lebhaftem Winken hinter dem Vorhang. Der Hollywoodstar hoffte vergebens, dass sie nach ihrer Fashionshow mit einem elitären Kreis der Zuschauer feiern würde, zu dem er selbstredend gehörte.

Die VIP-Gäste auf der Aftershowparty labten sich an kulinarischen Genüssen oder belagerten den Hollywoodstar, der seine schauspielerischen Qualitäten zum Verbergen seiner Enttäuschung nutzte. Der Grund der Enttäuschung war die Abwesenheit der Hauptperson, die sich währenddessen auf dem Aussteller-Parkplatz in einem weinroten Lamborghini Spyder mit geschlossenem Verdeck befand. Sie aktivierte eine App auf ihrem iPhone, die das Telefonat nicht rückverfolgbar und die Stimme unkenntlich machte. Selbst dann, falls das Telefonat aufgezeichnet und durch eine elektronische Stimmenerkennung gejagt würde. Die clevere Elektronik verfälsche sowohl die Tonlage als auch die wie ein Fingerabdruck einzigartigen Charakteristika einer Stimme. Dies geschah randomisiert, also ohne ein Muster, das von einer anderen cleveren Elektronik erkannt werden könnte. Sie hatte einfach die besseren Waffen, so oder so. Nun wählte sie eine lokale, also Mailänder Nummer, die nicht im Telefonbuch stand. Die Absicht des Halters dieser Nummer stand erst recht nicht im Telefonbuch. Das Freizeichen tutete ihr ein paar Mal ins Ohr, bis sich die verwunderte Stimme des Geheimnummernbesitzers meldete.

»Pronto?«

»Buona sera, Signor di Solto.«

»Wer ist da?« Der Angerufene war nun erst recht verwundert, da die Stimme am anderen Ende unzweifelhaft elektronisch verfremdet wurde. Es war nicht einmal erkennbar, ob es sich um Mann oder Frau, Alt oder Jung handelte.

»Genau die Richtigen, die Ihnen mit Ihrem Anliegen helfen können, signore.«

Nachdem sie das Telefonat beendet hatte, legte sie das iPhone in eine Ablage der Mittelkonsole. Per Bluetooth wurde die Steuerung des iPhones auf das Display des Bordcomputers des Gallardo Spyders übertragen. Sie griff zum Beifahrersitz nach ihrer teuren Lederhandtasche aus eigener Produktion, entnahm aus einem versteckten inneren Seitenfach ein altes silbernes Zigarettenetui, ließ es aufschnappen und griff mit spitzen Fingern nach einem der fertig gerollten Joints, deren Köpfe mit einer Papierspitze geschlossen waren. Sie fuhr die vordere Kante des weißen, kegelförmigen Rauchguts rundum mit der Zungenspitze ab, benässte sie, ritzte mit einem Fingernagel nach und hob schließlich mittels der Papierspitze den ‚Deckel‘ vom Joint.

Christine Vaarenkroog grinste, drückte mit grazilem Zeigefinger den Starterknopf des Lamborghinis, anschließend den Zigarettenanzünder, nahm den Joint in den Mund und brabbelte vor sich hin, sodass der Joint auf und nieder wackelte.

»Ich hasse es, im Auto zu rauchen.«

Sie fuhr los, der Anzünder schnappte hervor, sie nahm ihn und zündete das Rauchgut an. Nun rief der Zeigefinger eine Playlist mit Namen ‚icequeens‘ ab. Björk schmetterte ‚Big Time Sensuality‘, Christine Vaarenkroog drehte die dem Auto entsprechende Hifi-Anlage auf Konzertlautstärke, riss den Mund à la Billy Idol auf und machte die Rockergeste aus Zeigefinger und kleinem Finger. Kiffend raste sie durch die Nacht.

Das Tuten der Freisprechanlage unterdrückte die Musik. Auf dem Display war das Kürzel ‚JP‘ zu lesen. Sie hatte Worte in mehreren Sprachen als Sprachbefehl für ‚Gespräch annehmen‘ aufgezeichnet. Manche davon waren sehr kurz.

»Ja!«, bellte sie laut und deutlich auf Deutsch.

»Kannst du sprechen?«, fragte eine männlich sonore und doch jung klingende Stimme auf Französisch. Diese Stimme war einfach nur cool.

»Wär ich sonst drangegangen?« Sie verlangsamte ihre Fahrt.

»Du fährst«, bemerkte die coole Stimme, dessen Besitzer die auch per Telefon schwer überhörbaren Fahrgeräusche eines Lamborghinis mitbekommen hatte.

»Kleines Genie, du«, presste sie am Joint vorbei durch die Lippen.

»Und du rauchst.«

»Oh! Wirklich ein Genie«, attestierte eine beeindruckt gezogene, süße Schnute.

»Halt an.«

»Warum?«

»Weil es sicherer für dich ist. Ich muss dir was zeigen.«

»Yesss, Sir!« Sie salutierte und bremste den Lamborghini Gallardo Spyder auf dem Corso XXII Marzo ein, einer östlich vom Zentrum wegführenden Ausfallstraße, die in Richtung des kleineren Airports Linate führt. Da sie nirgends einen Seitenstreifen sah, fuhr sie kurzentschlossen an der Kreuzung Corso XXII Marzo-Via Cadore auf den getrennt von der Fahrbahn verlaufenden, asphaltierten Gehweg auf. Hier am Parco Marinai d‘Italia war der Gehweg breit wie eine Straße und mittels Grünstreifen, Masten und fest installierten Werbedisplays zur Fahrbahn hin abgeschottet. Die wenigen nächtlichen Passanten machten eindeutige Gesten und gingen an die Seite, als der Lambo ausrollte. Nachdem sich die Passanten verzogen hatten und die nächsten noch nicht in Sichtweite waren, schaltete sie die Warnblinkanlage ein und machte es sich im Wagen gemütlich.

»So. Was willst du mir zeigen?«

»Lass mich raten«, meldete sich die coolste Stimme der Welt, »du stehst wieder mal da, wo du nicht stehen darfst.«

Sie grinste breit.

»Kiffen ist auch verboten«, sprachs und inhalierte einen kräftigen Zug.

»So wie anderes, das mit ‚ki‘ anfängt. Ich hab dir grad ne E-Mail geschickt.«

»Seh ich.« Christine Vaarenkroog fixierte das rot aufleuchtende Symbol, das eine frisch eingetrudelte E-Mail signalisierte.

»Siehst du‘s dir auch an?«, kam es gelangweilt, foppend.

»Hm.« Ihr Blick versteinerte: Die Mail bestand nur aus zwei Fotos, kein Text.

»Ich hab nix dazugeschrieben«, brummte die Stimme wie rechtfertigend.

»Hmhmm«, brummte die Designerin ebenfalls, aber bestätigend. Sie besah sich das erste Foto. Es zeigte das Gesicht eines breit grinsenden jüngeren Mannes, dunkelhaarig, vielleicht so um die dreißig. Er wirkte harmlos. Nicht grad hässlich, aber sowas von nicht ihr Typ, zu jung sowieso. Auf zum zweiten Foto. Moment! Sie wischte wieder zum ersten, ihr Finger tippte mehrfach in Richtung des Displays, zeigte auf das Antlitz des etwas kindisch wirkenden Grinsers.

»Da war doch mal was… «, flüsterte sie kaum hörbar.

Okay, jetzt wirklich zum zweiten Foto.

Ihr Gesicht wurde vom Display erleuchtet, ihre Gesichtszüge entspannten sich, ihre Pupillen weiteten sich, sie setzte zu einem schiefen, angenehm überraschten Schmunzler an… und drückte das ‚Mikrofon aus‘-Icon.

»Schon viiiel besser.« Sie sog am Joint und fixierte das Display, ihre großen braunen Augen leuchteten, verschluckten das Gesehene. »Beute«, flüsterte sie auf Deutsch, wobei ihre Lippen die zwei Silben übertrieben ausformten. Abschließend fuhr sie mit der Zungenspitze über die Lippen. »Bist du für mich?«, piepste sie kindlich aufreizend, ganz im Stil einer Lolita.

»Christine?«, bellte die Stimme, die nun nicht mehr cool war. »Hast du mich rausgeschmissen?«

Sie drückte erneut das Mikrofon-Icon, inhalierte kurz und paffte aus.

»Wer sind die zwei Figuren?«, kam ihre Rückmeldung nach Wieder-Einschalten des Mikrofons. Ihre sonst niedlich-freche Stimme war nun kalt und bestimmt.

»Namen hab ich schon. Erstmal aber ist wichtiger, wie sie sind.«

»Und wie sind sie?«

»Gefährlich.«

»Wie gefährlich?«

»Angeblich sehr gefährlich.«

»Warum kenn ich die dann nicht? Zumindest den zweiten kenne ich nicht«, dachte sie eher laut nach, als dass sie es an ihren Gesprächspartner adressierte. Sie fixierte ernst und nachdenklich das Display.

»Bingo. Den Israeli kennen wir«, bestätigte der. »Es wird ohnehin nur einer.«

»Was heißt das? Nur einer, um den wir uns kümmern müssen?« Sie nahm noch einen Zug vom Joint, lag quer im Wagen, die mit scharfen hochhackigen Stiefeletten bewehrten Füße auf das Armaturenbrett der Beifahrerseite gelegt. Draußen blinkte die Warnblinkanlage unentwegt, als hätte sie eine Panne. »Und überhaupt, Kleiner: Seit wann nimmt Kali gewöhnliche Hitter? Außer als Kollateralschaden, natürlich. Die Kleinen wirft sie nicht mal wieder rein, weil sie die gar nicht erst rausholt. Das weißt du doch.«

»Es verhält sich hier etwas anders, Große. Diese zwei sind zwar schon im Casting für einen Superjob, hatten aber noch kein Vorsprechen.«

»Heißt das… die wissen noch nichts von ihrem Glück?«

»Genau. Aber wir wissen es. Leider wissen wir den Auftraggeber noch nicht.«

»Hm, schräg. … Was soll das denn für‘n Superjob sein?«

»Rate doch mal.«

»Ähhhh…« Sie verdrehte albern die Augen, machte auf blöd, zog wieder eine lustige Schnute. Es war ein langer Tag, dann war sie schon etwas bekifft. Das Denken ging zwar etwas langsamer vonstatten, funktionierte aber noch.

»Ist nicht wahr?«, stieß sie auf einmal mit dem Rauch aus.

»Doch. Ich sagte ja, dass es sich hier anders verhält.«

»Sind die lebensmüde? Oder einfach nur blöd?«

»Noch wissen sie ja nichts von ihrem Glück. Sollte es zu dem kommen, was unsere Spatzen von den Dächern pfeifen, frag den Betreffenden doch selbst.«

»Sowieso. … Der Betreffende… vielleicht wird‘s ja unser moderner Steve McQueen-Verschnitt«, entließ sie lasziv und fixierte erneut das Display, dieses Mal so lüstern wie gefährlich. Sie bekam Lust, jetzt und hier. Ihr Vertrauter am anderen Ende merkte das. Insofern war die nicht sonderlich charmante Bezeichnung eine schlecht getarnte Untertreibung hinsichtlich des Begehrens, das der ‚Steve McQueen-Verschnitt‘ in ihr auslöste. Aber derjenige auf dem Display, das nur ihre Augen sahen, war leider nicht da – jetzt und hier. »King Of Cool«, hauchte sie eisig und kaum hörbar den Spitznamen des legendären Filmhelden und führte ihren Zeigefinger zum Display, berührte es.

Sie war schon ziemlich lange nicht mehr geil auf jemanden.

»Das Blauauge?«, hakte die coole Stimme nach, was ohnehin klar war.

»Yep!«

»Bei dir hat er das Casting offensichtlich schon gewonnen«, holte die sonor brummende Stimme des Gesprächspartners sie wieder zurück, ernüchterte sie. Das war quasi ein Zeichen, genau das richtige Signal zum Weiterfahren.

»No comment. Versuch den Auftraggeber rauszukriegen«, schnappte sie und drückte ‚auflegen‘. Sie ließ das Fenster hinunter, vergewisserte sich, dass gerade niemand vorbeiging und schnippste den kläglichen Rest Joint hinaus in Richtung Fahrbahn. Dann ließ sie das Zehnzylinder-Triebwerk an und raste los.

Rom, Juni 2011

Die junge Touristin wirkte verloren. Sie war klein und zierlich, hatte einen Stadtplan in der Hand, Sonnenhut und Sonnenbrille auf, trug eine kakifarbene Leinenhose und flache Schuhe. Die offenen Doppeldeckerbusse, die – wie in anderen Metropolen – Touristen an den Sehenswürdigkeiten vorbeischaukeln, dürfen nicht in die Vatikanstadt einfahren. Sie halten in der Via della Conciliazione kurz vor der Piazza San Pietro und spucken ihre Fahrgäste in Scharen aus – hop on, hop off. Einem dieser Busse musste die Touristin entstiegen sein. Die junge Frau drehte sich einmal um die eigene Achse und sah sich suchend um. Sie wirkte lustig mit ihrem großen Sonnenhut, aber auch grazil wie eine Ballerina.

Die hilfesuchende Touristin war Emiliana Casali auf Anhieb sympathisch. Ein ähnlicher Typ wie sie: hübsch, zierlich, quirlig. Emiliana war zwar auf dem Weg zur Arbeit, weil sie aber wegen des außergewöhnlichen Programms früher als sonst dran war, sollte diese eine Minute noch drin sein. Den Petersplatz würde die Touristin wohl kaum suchen, der war gleich da vorn. Die Unbekannte strahlte sie an. Ganz so jung, wie sie anfangs aussah, schien die Touristin doch nicht zu sein. Aus mehreren Metern Entfernung sah sie wie Anfang 20 aus, war aber sicher schon Mitte, Ende 20, wenn nicht gar schon Anfang 30. Schwer zu sagen bei einem kleinen Gesicht, das zu einem Gutteil von einer großen Sonnenbrille bedeckt wurde. Trotzdem erkannte Emiliana, dass die Touristin eine quicklebendige Niedlichkeit und Jugend ausstrahlte, andererseits aber so vieles erlebt zu haben schien, was mit Anfang 20 nicht korrelierte. Emiliana sah solche Dinge, wenn sie direkt vor jemandem stand.

»Ciao, scusi…«, wandte sich die Unbekannte an sie und sah so lieb und hilflos aus.

»Si, signorina?«, fragte Emiliana. Die Touristin sprach offensichtlich italienisch. Und falls sie kein Italienisch sprach und wie so viele erstmal mit den unvermeidlichen paar Brocken Möchtegern-Italienisch eröffnete, dann könnte Emiliana ihr mit ihrem guten Englisch weiterhelfen, das sie schon von Berufs wegen können musste. Die Unbekannte sprach wirklich italienisch, gut sogar, wenn auch mit einem deutlichen französischen Akzent.

Die Spätvormittagssonne brannte auf die Ewige Stadt herunter und Emiliana merkte nicht, wie die Unbekannte sie dazu verleitete, einige Schritte mit ihr zu gehen. Als beide vor einem Kastenwagen in der engen Via Scossacavalli standen und die Unbekannte dessen Tür öffnete, hatte sie auf einmal ein komisches Gefühl. Dass sie dieses Gefühl ignorierte, da die Unbekannte so lieb und umgänglich war, würde sie Stunden später beim Polizeiverhör zu Protokoll geben. Dieselbe Polizei, die die Tür des Kastenwagens aufzubrechen hatte, weil Emiliana später verzweifelt dagegenschlagen und um Hilfe schreien würde.

Erst einmal aber lag Emiliana besinnungslos in dem Kastenwagen. Die Unbekannte machte sich neben der Betäubten für ihren Auftritt zurecht. Sie applizierte Silikonteile, um ihr Gesicht emilianagerecht zu modellieren, schminkte sich, setzte mit Brustwarzen modellierte Silikonpolster über ihre nackten Brüste, um ihre zierlichen Brüste alla Emiliana herzurichten, zog eine rotblonde Perücke über, die genau der Haarfarbe, Haarlänge und sogar der Frisur Emilianas entsprach, legte den passenden Lippenstift auf und setzte schließlich das gleiche modische Brillenmodell auf die Nase, das Emiliana trug. Die Gläser der Brille waren zu den Rändern hin raffiniert geschliffen, um wie eine Brille gegen Kurzsichtigkeit auszusehen. Das sorgte für den typischen Verkleinerungseffekt und vermied einen von aufmerksamen Beobachtern erkennbaren Fensterglas-Look ohne Verzerrungen. Im Zentrum waren die Gläser allerdings plan, insofern konnte die Brille von Normalsichtigen ohne Sehbeeinträchtigungen benutzt werden – sofern man frontal heraus sah. Für das seitliche Sehen musste man den Kopf in die entsprechende Richtung drehen. Beim seitlichen Sehen per Augendrehen würde der Tarnschliff zuschlagen und die Brille wie eine optische Brille funktionieren – mit den entsprechenden Beeinträchtigungen für Normalsichtige.

Die vorgebliche Touristin filzte Emiliana routiniert und entnahm aus ihrer Handtasche Schlüssel, Geldbörse, Handy und eine Zugangsmagnetkarte mit Emilianas Foto drauf, die ausschließlich für diesen Tag ihre Funktion haben sollte. Sie packte sie in ihre eigene – Emilianas Handtasche zum Verwechseln ähnliche – um. Die Unbekannte sah jetzt wie Emiliana aus, blickte noch zu der Betäubten, hob deren Unterleib an und steckte der ein ansehnliches Bündel aus Hundert-Euroscheinen in die Gesäßtasche ihrer Jeans.

»Damit sich‘s auch für dich gelohnt hat, Mädchen… und du später nicht sagst, ich hätte dich beklaut«, flüsterte die falsche Emiliana und öffnete eine Hecktür des Kastenwagens. Sie stieg aus und versperrte den Wagen.

‚Emiliana‘ ging auf den Hintereingang des Hotel Columbus zu, um ihre Schicht als Kellnerin des hoteleigenen Toprestaurants ‚La Veranda‘ anzutreten. Das Restaurant war bis zum Abend Sperrzone für normale Gäste. Die Formulierung ‚Heute geschlossene Gesellschaft‘ prangte dann auch am Haupteingang des ‚La Veranda‘.

Die falsche Kellnerin blieb stehen, als einer der beiden Bodyguards seine Hand der zierlichen jungen Frau entgegenstreckte. Es wäre ein Leichtes für sie gewesen, ihm seine Hand auszurenken, nahezu gleichzeitig dem anderen mit einem Sprungkick das Genick zu brechen und noch mit den Beinen in der Luft dem vor Schmerz schreienden Ersten dasselbe mit ihrem anderen Bein zukommen zu lassen. Die ganze Aktion würde irgendwas zwischen ein und zwei Sekunden dauern.

»Ciao, ragazzi!«, sagte sie keck.

»Ciao, Emiliana. Du solltest heute früher kommen.« Die menschliche Schrankwand in Anzug und Krawatte blickte auf die anderthalb Kopf kleinere ‚Emiliana‘ hinunter.

»Ich weiß, Tonitoni… ich hatte das auch vor.« Sie senkte reumütig den Blick, sprach perfektes Italienisch mit römischem Dialekt und benannte den Bewacher wie stets – wenn mal wieder ‚die Wichtigen von drüben‘ das Restaurant aufsuchten – statt ‚Antonio‘ als doppelten Toni. Das war eine nicht mehr revidierbare Benamung, weil Emiliana ihn vor Jahren aufgrund seiner stattlichen Statur gefoppt hatte, dass er kein Antonio sei, sondern man aus ihm ‚zwei Tonis machen könne‘. Demnach Tonitoni.

Tonitoni nahm ‚Emilianas‘ Zugangskarte und scannte sie mit einem Handscanner, den er anschließend wieder in ein Halfter steckte, dann nickte er sie an. ‚Emiliana‘ legte ihre Handtasche ab, hob ihre Arme, er tastete sie ab. Währenddessen beobachtete sie grinsend beide Bodyguards und wackelte mit dem Po. Sie tippte, welche Waffen die beiden unter ihren Jacketts anhand der Ausbeulung haben konnten. Beim einen tippte sie auf eine Glock, beim anderen auf eine Beretta. Nein, doch nicht. Beide eine Glock. Sicher!

Österreichische Glocks Topwaffen, aber ausrüstungstechnisch seid ihr keine Patrioten!

»Und? Was ist passiert, ragazza?«, brummte der schwarzhaarige Tonitoni. Sein glatzköpfiger Kollege hielt sich mit Worten zurück und versuchte unauffällig zu erhaschen, dass sie auch diesmal keinen BH trug. Es war nicht wirklich unauffällig für eine aufmerksame ‚Emiliana‘. Ihre vollen Brüste spannten das T-Shirt. Bingo! Wieder kein BH! Nunmehr konnte sich der Glatzköpfige ganz ihrer Handtasche widmen, wühlte darin, holte Schlüsselbund, Geldbörse und Handy heraus, ließ sich von ‚Emiliana‘ ihre Armbanduhr aushändigen, gab ihr die Handtasche zurück und nickte in Richtung Metalldetektor.

»Na, was wohl?«, spitzte sie beim Passieren des Metalldetektors. Alles sauber. Sie nahm Uhr, Handy, Geldbörse und Schlüsselbund wieder in Empfang. Routine.

»Aha. Wieder dasselbe, du kleines Luder?«

»Claro. Ich hatte noch netten Besuch, den ich erstmal leermachen musste. … Er kam spät«, setzte sie zweideutig nach und leckte obszön über ihre Lippen.

»Ach deswegen klingt deine Stimme heute so belegt«, scherzte Tonitoni.

Hm hab ich meine Stimme doch ein bisschen zu tief verstellt.

Passt schon hab ja jetzt einen Grund dafür.

Die beiden Bodyguards lachten sich an. Jetzt traute sich auch der andere etwas zu sagen.

»Dann hast du heute schon was zu dir genommen und brauchst später kein Personalessen mehr«, feixte der.

»Doch. Ich bin immer hungrig.«

»Aber auf uns nicht, Zuckerpüppchen«, bemerkte Tonitoni mit nicht nur gespieltem Bedauern. »Kannst uns sogar beide auf einmal haben.« Die Männer lachten und nickten sich an. »Zwei richtige Kerle auf einmal als immer nur die halben Würstchen, die du sonst in dein Bett lässt.«

»Tss, ragazzi! Sexuelle Intimität würde unsere wundervolle Freundschaft killen«, kokettierte sie und rieb kurz über Tonitonis Kinn.

Ups! Ich sollte vielleicht nicht killen sagen. Apropos killen:

Ich k ö nnte dich jetzt t ö ten!

Nur schnell den Finger zwischen Unterkiefer und Adamsapfel

Tut auch gar nicht weh! Naja, nicht lange

»Seh ich anders. Es würd sie vertiefen, würd ich mal sagen. Hahahaha.« Beide Bodyguards lachten dröhnend.

»Aber ich seh‘s nicht anders. Und das zählt«, schnappte die junge Dame.

»Los, rein mit dir!«, brummte ein enttäuschter Bodyguard, der sich die x‘te Abfuhr bei ihr abholte, es aber beim nächsten Mal wieder versuchen würde. Diese scharfe kleine Maus war zweifelsohne ein Miststück, und irgendwann würde auch er mal zum Zug kommen. Hartnäckigkeit zahlt sich aus bei Frauen!

Vom hinteren Gang aus konnte man einen Teil des Gastbereichs sehen. Der hohe Besuch war noch nicht da.

‚Emiliana‘ ging in den Personalraum, schloss ihren Spind auf, sah sich um, ob sie unbeobachtet war und zog dann ihr ziviles Gewand aus. Unter ihrem T-Shirt trug sie doch noch etwas, einen hautengen schwarzen Einteiler, der – kürzer als eine Radlerhose – auf ihren Oberschenkeln abschloss. Eine Kampfmontur, die volle Bewegungsfreiheit ließ. Die immersteifen Silikonnippel hinterließen bei den Bodyguards am Eingang den Eindruck, als ob sie unter dem T-Shirt – wie üblich von Frühjahr bis Herbst – nur nackte Haut trug. Sie hätte am liebsten wieder einen ihrer langen Bodysuits angezogen, um ihre in zahlreichen Einsätzen lädierte, zarte Haut an den Beinen zu schützen. Das wäre an diesem heißen Frühsommertag, an dem nur der obligatorische halbkurze Kellnerinnenrock ihre Oberschenkel bedeckte, allerdings aufgefallen. Was garantiert nicht auffiel, war ihr Schuhwerk. Es sah Emilianas normalen Dienstschuhen frappierend ähnlich, war aber rutschfest, kletter- und kampfgeeignet. Sie trug die Schuhe bereits bei ihrem Erscheinen anstelle der normalen Straßenschuhe, die die echte Emiliana immer erst beim Umziehen gegen die Dienstschuhe tauschte. Männer achten nicht auf Schuhe solche Neandertaler wie die beiden schon mal gar nicht.

Zu guter Letzt entnahm sie die Zacken der Keramik-Wurfsterne aus einer Innenwand ihrer Handtasche und setzte sie zu ganzen, funktionstüchtigen Wurfsternen zusammen. Immer, wenn die ‚Wichtigen von drüben‘ – hohe Würdenträger oder Funktionäre aus der in Fußweite liegenden Vatikanstadt – im Restaurant speisten, gab es Personenkontrolle und Metalldetektoren wie am Flughafen. Sie schob die Stern-Teile sorgfältig mittels der eingefrästen Schienen zusammen, kniff ein Auge zu, besah sie sich aus mehreren Blickwinkeln. Jede Schlampigkeit beim Zusammenfügen würde die Flugeigenschaften und damit Treffsicherheit beeinträchtigen. Aus der steifen Seitenkante der Handtasche zog sie ein paar kleine, ebenfalls keramische Wurfpfeile. Sie knöpfte ihre weiße Bluse zu, platzierte Wurfsterne und -pfeile in einem hauchdünnen Spezialgurt, band diesen um, als Letztes die Kellnerinnenschürze drüber und trat in den Restaurantbereich. Der Chef des Restaurants kam hektisch auf ‚Emiliana‘ zu. Sie lächelte entschuldigend.

»Emiliana, komm, komm, ragazza! Wir müssen noch alles aufdecken. Avanti!« Er klatschte in die Hände, schüttelte den Kopf und flüsterte

»Die ist nochmal mein Tod!«

Die Kollegen waren bereits mit Aufdecken beschäftigt und grinsten.

Emiliana, wie üblich die Letzte!

Sie bedachte den Chef mit einem Schmunzeln, ging in den Außenbereich und schenkte allen ein Lächeln.

Nein, deiner nicht, mein Guter wenn du mir nur nicht in die Quere kommst

Aha. Es wird also draußen gegessen. Klar, bei dem schönen Wetter. Außerdem heißt es ja La Veranda. Umso besser.

Fuck! Ich muss Sofia nochmal über die neuen Folien für die Finger drüberjagen.

Die halten in der Hitze doch nicht so gut wie versprochen. Scheiß Schweiß.

Naja solange wie das hier dauert, werden sie schon halten.

Hm werd hier wohl auch mal essen wenn ich mal wieder in Rom bin.

Sieht nett aus

Wien, Juni 2011

»Mac is back!«, raunzte Oskar, als er nach der Kärnten-Erfahrung bei seinem Geschäftspartner seine Aufwartung machte. Greg konnte die wichtigen elektronischen Einrichtungen des Hauses vom Smartphone aus steuern. Auf die Art konnte er auf dem OLED-Display des Handys sehen, wer in seinem Eingangsbereich um Einlass begehrte und den Gast gegebenenfalls hineinlassen. Viele waren es ohnehin nicht, die darum begehrten. Er saß wie versteinert in einem Fernsehsessel und starrte auf den riesigen Flachbildschirm in seinem Wohnzimmer. Der altbacken aussehende Fernsehsessel mit Ausklappfußteil war das Lieblingsstück des Hausherrn. Oskar klatschte seine in Gregs Hand, verzog fragend das Gesicht und setzte sich in den anderen, modernen Sessel.

»Weswegen wolltest du, dass ich herkomme?«

Die organisatorische Hälfte antwortete zunächst nicht, griff nach einem Whiskyglas und trank erstmal einen stärkenden Schluck.

»Greif zu. Du wirst es brauchen.« Greg zeigte auf ein leeres Glas und die Flasche.

»Ach so? Okay.«

»Erstmal gratuliere, Alter. Feiner Job.«

»Danke.«

»Nicky hat die Kohle schon voll bezahlt. So lob ich‘s mir«, brabbelte Greg und starrte auf den Fernseher, war trotz der Anmerkung nicht ganz bei der Sache.

»Hm, Nicky ist wirklich flott. Fein.«

Oskar sah zum Flat-TV an der Wand und konnte Gregs Apathie nicht nachvollziehen. Der Fernseher zeigte eine der Nachmittagssendungen, für die angeblich Hausfrauen oder Langzeit-Arbeitslose eine Affinität hegen. Ein übergewichtiges Kind terrorisierte die Mutter, weil es auf Diät gesetzt wurde und ab sofort auf die übliche Tafel Schokolade zum Nachtisch verzichten musste.

»Das ist echt der Hammer«, stammelte Greg.

»Ja, da geb ich dir recht.«

Oskar goss sich Whisky ein und hob sein Glas. Greg sah entgeistert in seine Richtung und stieß mit ihm an.

»Welcome back!«, schien er wieder lebhafter.

»Thanks. Sag, ähem«, räusperte sich Oskar, »adipöse Kinder in prekären Familienverhältnissen sind was Schlimmes, Greg, und ich bin positiv erstaunt, dass dich sowas auf einmal berührt…«

Greg Norman sah ihn noch entgeisterter an als vor einigen Minuten.

»Was?«, fragte er dann auch mit verblüffender Ahnungslosigkeit. »Was quatscht du für‘n Scheiß?«

Daraufhin setzte Oskar einen ahnungslosen Blick auf.

»Ich meine, was dich da gerade so schockiert…« Er deutete mit einem Daumen auf den Fernseher, indem der nun glücklicherweise per Stummtaste seines Kreischens beraubte kleine Dicke herumtobte. Kater Bruno kam derweil aus dem Garten und enterte sein Herrchen. »Ja, hallo! Wen haben wir denn da?« Der Kater wurde mit Kraulen bedacht und schnurrte zufrieden.

»Sag mal, hast du im Auto kein Radio gehört?«

»Nö. War die letzten zwei Stunden im Zug und hab mich da per iPod betäubt. Bin direkt vom Bahnhof hierher, weil irgendwas wichtig zu sein schien.«

»Nicky hat dich nicht mit dem Auto nach Wien gebracht?«

Der Blonde schüttelte den Kopf. Kartäuserkater Bruno lag mit halb zusammengekniffenen Augen rücklings auf dem Schoß seines Herrchens und strahlte größtmögliches Behagen aus.

»Nur nach Graz zum Bahnhof. Er hat gesagt, dass er in Graz noch Freunde besuchen will. Der Gute hat wie‘s aussieht überall Freunde.«

»Versteh.«

»Aber ich nicht.« Oskar nippte an seinem Whisky. »Also, was ist los?« Sein Gegenüber antwortete zuerst nicht, also setzte er nach. »Ich möchte nach Hause, mich frischmachen, dann etwas pennen. Oder erst pennen und mich dann frischmachen. Kärnten war, naja, ein wenig anstrengend. Und damit meine ich nicht nur den Job…«

»Versteh«, kam es wieder apathisch.

Oskar schüttelte erneut den Kopf, sah Greg an, dann in sein Glas und trank.

»Wie schön, dass wenigstens du verstehst, mein Bester.«

Greg goss sich noch einen ein, drehte sich mit einem Mal ruckartig nach vorn und beugte sich in seinem Fernsehsessel vor, sodass das Fußteil wieder einklappte. Das war dem vierbeinigen Übernachtungsgast zu laut. Bruno sprang von Oskar hinunter und verzog sich wieder in den Garten.

»Ich hab‘s aufgenommen. Digitales TV ist schon geil. Du kannst Sachen zurückholen und speichern, die grad schon gelaufen sind.«

»Ich weiß.«

»Das hier war auch ein feiner Job. Aber auf einem anderen Niveau als deiner. Damit meine ich nicht die Höhenmeter. In dem Fall hättest du gewonnen, hähä.«

Der blonde Deutsche zog eine Schnute und starrte auf den Flatscreen. Sein Agent startete den Festplattenrekorder.

»Wir unterbrechen unser Programm für eine Sondernachrichtensendung«, eröffnete eine Nachrichtensprecherin. »Erst letzten Monat trat er sein Amt an, heute ist er tot. Giancarlo Lucchese, der neue Präsident der Vatikanbank wurde am mittag in Rom während eines vertraulichen Essens ermordet. Lucchese folgte auf den zurückgetretenen Ettore Tedeschi. Seine Bestimmung zum Chef der Vatikanbank war umstritten. Nicht wenige hielten Lucchese für das Gegenteil eines Neuanfangs in der Vatikanbank, weil sie ihn wegen angeblicher Verwicklungen in dubiose Geldgeschäfte noch kritischer als seinen Vorgänger beurteilten.«

Das Bild blendete in Hubschrauberaufnahmen der römischen Innenstadt über. Der ganze Häuserblock war von Einsatzwagen umstellt.

»Bei diesem Anschlag vor zwei Stunden kamen auch zwei Leibwächter Luccheses ums Leben. Die italienische Polizei hält sich mit Angaben über Verdächtige zur Stunde noch bedeckt. Es sickerte aber durch, dass es sich um einen Einzeltäter handelte. Die Polizei bestätigte das bislang nicht. Es gab keine Festnahme. Das Geschäftsessen galt nach ersten Informationen als geheim und gut bewacht.«

Die Moderatorin wurde wieder eingeblendet.

»Vom Papst wurde verlautbart, dass er schockiert sei. Er sei bestürzt, dass eine ihm nahestehende Person einem menschenverachtenden Anschlag zum Opfer fiel. Seine Gebete gelten den Opfern und ihren Angehörigen. Soweit unsere ersten Informationen über die Geschehnisse in Rom. Wir werden Sie weiterhin auf dem Laufenden halten und uns zuschalten, sobald es neue Informationen gibt.«

»Hammer, oder?« Greg drehte sich zu Oskar, schien mittlerweile euphorisch.

»Ja, das ist wirklich Hammer. Das ist ja noch krasser als damals bei diesem Vierwochenpapst«, stimmte Oskar so dezent zu wie er nickte.

»Vor allem auffälliger.«

»Der Kurzzeitpapst soll wirklich eines natürlichen Todes gestorben sein.«

»Papperlapapp. Das glaubst du vielleicht.«

»Nicht nur ich. Gilt längst als bewiesen. Er hatte ein schwaches Herz.«

»Und wenn schon«, wischte Greg den nüchternen Einwand vom Tisch. »Vergiss den Papst-Quickie aus unseren Kindertagen. Zurück zum Hier und Jetzt. Und hier und heute sind‘s keine Verschwörungstheorien. Der Kerl wurde sauber und superprofessionell abgeknipst.«

»Stimmt.«

Greg stierte Oskar an und wartete auf eine ganz bestimmte Einschätzung.

»Und, was glaubst du? Was glaubst du?«, insistierte er gespannt wie ein Kind. Er setzte sich auf und wackelte in seinem Sessel hin und her. Oskar verdrehte die Augen, zog ein Gesicht, als wenn er Zahnschmerzen hätte. Er ahnte, worauf sein Agent hinauswollte. Oder eher: auf wen.

»Mmm, Junge… komm mir nicht wieder mit Legenden«, seufzte er.

Der wuschelköpfige Amerikaner schüttelte den Kopf und rollte mit den Augen, weil sein Gegenüber immer noch nicht an diese ‚Legende‘ glauben wollte. Oskar gehörte zur Fraktion der Zweifler, was die Existenz der sagenhaftesten Berufskollegin anging. Auf der anderen Seite standen Gläubige wie Greg.

»Junge, was brauchst du noch? Ha!«

»Es war auf jeden Fall einer der Besten, soviel ist sicher«, räumte Oskar ein.

»Nix einer der, dude! Es war die Allerallerbeste von allen!!!

Ha! Topgeheimes Treffen, topgesichtert, Topkunde. Alles top. Und das Beste: supertop ausgeführt. Perfekt. Sogar ohne Kanonen, pffff.

Die Alte ist die coolste Sau unter der Sonne, I swear«, statuierte der langjährig erfahrene Experte in Killerfragen aller Art. Hier wollte jemand unbedingt an etwas glauben. Oskar kniff die Augen zusammen.

»Nicht jeder Topjob wird von deiner sagenumwobenen Killerqueen erledigt. Keiner sagte, dass es eine Frau war. Auch wurde mit keinem Wort erwähnt, dass der Job ohne Schusswaffen erledigt wurde.« Er dachte kurz nach und fixierte Greg. »Glaubst du nur, etwas zu wissen oder weißt du wirklich irgendwas?«

»Geil aussehen soll sie auch noch.« Greg stierte selig vor sich hin und ging weder auf die Frage noch die Zweifel seines Geschäftspartners ein. Für ihn stand nicht nur fest, dass es eine Frau, sondern auch welche Frau es war. Wie kann man nur so verbohrt sein? Aber das dachte wohl jeder vom anderen.

»Und wer sagt das?« Oskar ließ seine Augenlider flackern. Es war hoffnungslos. Ein Irrer!

»Legenden… niemand hat je einen Kampf mit ihr überlebt. Niemand.«

Der Blonde schmunzelte über die unfreiwillige Bestätigung seiner Theorie. Greg steckte sich eine Zigarette in den Mund und fuhr fort.

»Und auch hier hat sie sich verpisst, bevor irgendjemand ihr wahres Gesicht sehen konnte. Noch bevor jemand überhaupt wieder klar denken konnte! Stell dir vor: Sie war als Kellnerin verkleidet. Und bediente erstklassig, hähä. Zack zack zack. Drei Mann… schneller als das Auge sehen kann. Anschließend der standesgemäße Verpissowitsch per Heli, der punktgenau eintraf, als sie die Hits abgeliefert hatte. Der ließ ne Winde runter und zog sie aus dem offenen Innenhof.« Der obergenaue Deutsche dachte sich: Der ließ keine Winde, sondern ein Seil per Winde runter. »Wie im Film. Die Süße is echt Hollywood, dude, einfach die Beste, yippeeeh yeah!« Erst nach seinem Vortrag zündete er die Zigarette an, die währenddessen an seinen Lippen klebte. Der jemand, der unbedingt an dieses Phantom und seine Urheberschaft für diesen Hit glauben wollte, war obendrein ein Fan der sagenhaften Superkillerin.

»Sie floh mit nem Hubschrauber?«

»Yep.«

»Sowas fällt doch auf.« Oskar dachte wieder nach. »Hm…«

»Na und? Wenn‘s nur schnell genug geht. Bevor jemand was peilt, ist sie weg. Den Heli kann sie überall landen. Sogar auf See, falls sie ne Yacht hat, die groß genug dafür ist. Rom liegt nahe zum Meer. Hättest du in Geografie aufgepasst, wüsstest du das, hähä.«

»Jaja, schon klar. Jetzt sind wir aber wirklich bei James Bond, mein Bester.«

»Na und? Wie ich schon sagte, dude: Die Alte ist Hollywood!«, grinste Greg frech in Richtung seines Freundes und Geschäftspartners. Dem platzte nunmehr der Kragen:

»Meine Frage jetzt nochmal zum Mitschreiben: Woher weißt du das alles, zum Teufel???«

Der derart Angerufene blickte auf. Endlich eine Reaktion!

»Hab überall meine Quellen. Natürlich auch in Rom. Und die hab ich gleich nach dem Bericht angerufen«, tat Greg unbescheiden kund. »Die Zeugen haben den Pressefritzen schon viel mehr gesteckt, als sie grad im Fernsehen sagten. Was die wissen, weiß ich jetzt auch. Noch lange bevor es in den Abendzeitungen steht. Falls es überhaupt in den Abendzeitungen steht. Gibt sicher ne Informationssperre, hähä.«

»Und das alles haben deine tollen Quellen gesagt?«

Greg stieß mit seinem an Oskars Glas.

»Es war eine Frau, dude, und sie war alleine. Als Kellnerin verkleidet sah sie wie eine von denen aus. Sie tötete den Scheißpräsidenten und zwei bewaffnete Gorillas mit Wurfgeschossen, unglaublich schnell und eiskalt. Keine Chance. Danach flüchtete sie per Helikopter, der sie aus dem Innenhof zog.

Es war sie! Darauf verwette ich meinen Arsch. Und ich hänge an meinem Arsch, dude.«

»Ersetzlich. Weil: Noch mehr hängst du an deinem Schwanz, du Schmock.«

»Sogar den würd ich drauf verwetten. Das war allerhöchste Spielklasse. Sie

Der Deutsche blickte seinen Partner konsterniert an. Das in langen Jahren aufgebaute, weltumspannende Netzwerk eines scheinbar isolierten Soziopathen war in der Tat beeindruckend. Man sollte Greg nie unterschätzen.

Man sollte niemals niemanden untersch ä tzen!

»Hm… Hubschrauber. Dann hat sie Vertraute. Keine One-woman-show, irgendjemand kennt sie doch.« Oskar stierte ins Leere und grummelte Gedanken in seinen Dreitagebart. Dann beugte er sich resignierend wie genervt vor. Mit einem Gesicht, als ob er gleich kotzen müsste. Er wusste, was nun kommen musste. Da hauchte Greg auch schon den Namen der Legende.

»Kali

…Kali, meine Süße… jaaa… du warst es. Du und keine andere!« Greg geilte sich richtiggehend auf.

»Tss… du kennst sie doch gar nicht.«

»Wen?«

»Na Kali.«

»Ach Kali. Natürlich nicht. Niemand kennt sie.

Naja, bis auf den Hubschrauberpiloten vielleicht… »

»Warum nennst du sie dann ‚meine Süße‘? Du Pfosten.«

Greg grinste. Weder Oskars Skepsis noch seine Schmähungen machten ihm etwas aus.

»Da du schon mal da bist, dude: Wir müssen den nächsten Job besprechen. Passt eh gut zum Thema. Du weißt schon: Es gilt ’n paar Mafiafritzen abzuknipsen. Ist‘n Snack für einen wie dich, hähä.«

»Ich möchte jetzt keinen Snack… ich möchte pennen, Greg.«

»Jaja, später. Kriegst gleich einen guten Kaffee. Nimm derweil noch einen Whisky!«

Oskar trifft die Todesgöttin

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