Читать книгу "Icke" fährt zur See - Teil 1 - Seefahrt damals um 1961 - Schiffsjunge und Jungmann - Jürgen Emmrich - Страница 5

Mein Traum wird wahr

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Mein Traum wird wahr

Die Küste war von Berlin, wo ich (icke) meine Jugend verbrachte, weit entfernt. Doch von klein an zog es mich zur See. Ich war nie am Meer, habe nie richtige Schiffe gesehen. Fernsehen und Filme über die „Christliche Seefahrt“ gab es damals noch nicht. Aber ein starker innerlicher Drang, zur See fahren zu wollen, war, seit ich denken kann, vorhanden. Es war mein größter Jugendtraum.

Schiffe, Wasser und die weite Ferne, waren für mich immer von großem Interesse. Ich sammelte Schiffsbilder, die ich aus Zeitungen ausschnitt, damals noch überwiegend von Kriegsschiffen, aber auch von Handelsschiffen. Die deutsche Seefahrt war ja nach dem Krieg erst wieder im Aufbau. Werften und Schiffe waren total zerstört oder von den Siegermächten beschlagnahmt. Ich baute auch Schiffe aus diesen Modellbaubögen, die man damals kaufen konnte. Das waren Schiffsmodelle auf Pappe gedruckt, die man ausschneiden musste, faltete und zusammenklebte, bis ein schönes Schiff daraus wurde. Später kamen auch Plastikmodelle dazu. Für Wasser, also für das Meer, konnte ich mich immer begeistern. Im Sommer verbrachte ich auch jede freie Minute am See und badete. Ich lernte auch sehr schnell schwimmen. Ich fing mit „Hundekraulen“ an und kam dann ganz zügig in die normale Schwimmbewegung herein. Ich musste schwimmen können, denn mein großer Bruder nahm mich immer mit zum Baden, wenn er mit seinen Kumpels zum Schwimmen ging. Ich wollte doch auch immer dabei sein, wenn die Großen auf den See hinaus schwammen. So paddelte ich immer wie ein kleiner Hund hinter den Großen hinterher.

Später war ich noch in einem maritimen Verein, der, so erinnere ich mich noch schwach, „Deutscher Seefahrerbund“ hieß. Neben meiner Pfadfindertätigkeit und meinem Sport, Leichtathletik und Boxen, war auch noch an den Wochenenden „Kutter pullen“, also rudern, angesagt. Und abends beim Knoten üben, wurden auch Shantys gesungen und von der weiten Ferne geträumt. Also lange Weile gab es nicht in meiner Kindheit. Immer lockte das Abenteuer.

Für mich war in dieser Zeit die Seefahrt ja leider nur ein Traum, denn ich war der Meinung, nie auf ein Schiff kommen zu können, da ich viel zu klein war und Seemänner ja groß und stark sein müssen. So blieb es dabei, Schiffsfotos aus allen möglichen Zeitungen auszuschneiden, in ein Heft zu kleben und in Gedanken über die Meere zu fahren.

Mein berufliches Ziel war vom Vater vorgegeben. Ich sollte nach Abschluss der 9. Klasse ins Hotelfach. Die Bewerbung im Hilton Hotel Berlin verlief erfolgreich, der Start als Page sollte nach Beendigung meiner Schule ein Jahr später beginnen, und dann sollte ich in die Schweiz, in eine Hotelfachschule. Eigentlich nicht schlecht. So schwächte sich der Seemannswunsch langsam ab, und ich hoffte, die ungeliebte Schule bald beenden zu können. Dann wäre ich 16 Jahre alt und ein flotter Page im weltberühmten Hilton-Konzern und würde so auch in der Welt herum kommen.

Wenn da nicht die Reise nach Hamburg, zu Onkel Herbert, einem Kriegskamerad meines Vaters, gekommen wäre. Der wohnte in Blankenese.

Schon der Besuch an den Hamburger Landungsbrücken ließ mein Herz höher schlagen. Dort waren große Seeschiffe zu sehen. Im Dock der Stülckenwerft, die heute nicht mehr existiert, lag ein riesiger Tanker. Das Krachen der Niethämmer hallte von der Werft zu uns herüber, Frachtschiffe verließen laut tutend den Hafen Richtung See, und ich fuhr in Gedanken mit – nach Rio, New York, nach Asien oder in die Karibik. Ich glaube, ich hatte Fieber.

Ein unglaubliches Gefühl ging durch meinen Körper. Wie ein Suchtkranker, der auf Entzug ist.

War es Sehnsucht, war es Fernweh? Ja, das war es! Ich wollte mitfahren!

Am liebsten wäre ich abgehauen und hätte mich auf ein Schiff geschlichen, so wie ich es in Abenteuerbüchern gelesen hatte. Aber ich war noch zu klein, zu jung und hatte auch „Schiss“. Die brauchen doch auf See richtige Männer und keine Kinder.

Zurück in Blankenese, gingen wir noch ein bisschen am Falkenstein spazieren.

Das ist ein schönes, parkähnliches Gebiet bei Blankenese.

Da kamen wir an einer Seemannschule vorbei. Dort werden, wie uns der sehr junge Wachposten erzählte, Seeleute ausgebildet, d. h. für ihren Einsatz auf Frachtschiffen vorbereitet. Ich war über das scheinbar junge Alter des Wachpostens verwundert und fragte ihn, ab wann man denn zur See fahren kann. Als er mir sagte, ab 16 Jahren und mit dem Einverständnis der Eltern. Man kann sich über das Arbeitsamt bei einer der Seemannsschulen bewerben. Da war für mich klar, dass ich meine Eltern solange nerven werde, bis ich an einer dieser Seemannschulen meine Ausbildung zum Seemann machen kann.

Und das klappte. Ohne große Probleme stimmte mein Vater diesem Wunsch zu und gab seine schriftliche Einverständniserklärung, die damals erforderlich war. Ich glaube er war auch froh, mich loszuwerden, denn ich machte ihm zu Hause doch sehr viel Kummer. Oft hatte ich Ärger mit der Polizei, und er konnte mich nicht bändigen, da er nur am Wochenende nach Hause kam. Und meine Mutter war gegenüber uns Jungs ziemlich machtlos. Ihre Schläge mit dem Kleiderbügel waren für uns Streicheleinheiten. Und wenn wir laut genug schrie, hörte sie mit dem Schlagen auf.

Auf dem Arbeitsamt in Berlin wurden alle Formalitäten erledigt und ich bekam sozusagen meinen Einberufungsbefehl Ende 1960.

So hieß es dann: Dienstantritt bei der Seemannsschule in Hamburg-Finkenwerder im August 1961.

Mitzubringen: Bettzeug doppelt, Handtücher, Waschzeug, Schuhputzzeug, Wäsche etc. Und in jedem Kleidungsstück sollte ein Aufnäher mit dem Namen befestigt sein. Muttern ließ kleine Namensschilder sticken und nähte sie dann mühsam auf meinen Unterhosen und Unterhemden, Taschentüchern, Handtüchern, Hemden und sogar auf den Waschlappen an. Arbeitskleidung wird dort gestellt, wurde mir mitgeteilt.

Stolz nahm ich den gekauften grünen Seesack in Empfang und konnte es kaum erwarten, mit dem Ding auf den Schultern, wie ein richtiger Seebär, mein Elternhaus zu verlassen.

Der Abschied von zu Hause fiel mir nicht sehr schwer. Ging doch endlich mein großer Wunsch in Erfüllung. Mein Bruder beneidete mich sehr, denn er musste noch zu Hause wohnen und täglich zu seiner Lehrstelle als Tischler fahren. Außerdem stand er noch unter der sehr strengen Aufsicht unseres Vaters. Er tat mir ein bisschen leid. Er war doch mein großer Bruder, der mich oft beschützt und getröstet hatte. Ihn werde ich sicher vermissen, wie auch meine Oma und den Opa, der noch in Ostberlin wohnte.

Wie schon angedeutet, zu Hause war es kein Zuckerschlecken. Wir wurden mit wenig Liebe, aber dafür mit viel Härte erzogen. Wir wurden wie Rekruten erzogen und nicht wie Söhne.

Stubenarrest, Prügel mit der dicken, ledernen Hundeleine, später auch mit einem selbstgebauten „Siebenstriem“ (eine Peitsche mit 7 Kabelenden) und Reinigungsdienste waren die Folge von natürlichen Jungenstreichen. Die Eintragung ins Schulheft: Jürgen störte den Unterricht, wurde mit harter Strafe geahndet. Da ich ein sogenannter Klassenclown war (ich suchte so meine Anerkennung), bekam ich natürlich viele Eintragungen und somit auch viel Prügel. Oft wollte ich abhauen oder meinen Vater sogar „plattmachen“. Mir fehlte der Mut abzuhauen, und mein Bruder riet mir auch ab und tröstete mich. Obwohl er selber unter diesen Bedingungen litt. Dieses „Kasernenleben“ trug auch enorm dazu bei, von zu Hause „abzuhauen“, frei zu sein, zur See zu fahren, Abenteuer zu erleben. In der Schreibtischschublade lag ja immer das Geld für die Miete, und damit würde ich mindestens bis Hamburg kommen. Und dann ab, auf ein Schiff...!

Aber nun ging das auch offiziell. Von meiner Oma bekam ich zum Abschied noch eine goldene Halskette, an der die Symbole für „Glaube, Liebe, Hoffnung“ hingen. Das waren das Herz, der Anker und das Kreuz. Es war meine erste Halskette, und ich trug sie mit Stolz. Leider wurde sie mir später geklaut. Ich war darüber auch sehr traurig, und ich habe lange darüber nachdachte, ob es mir Pech bringen würde. Ein bisschen abergläubisch war ich schon.

Unsere Großeltern waren die Einzigen, von denen wir Kinder Liebe und Wärme erfuhren. Und das habe ich später sehr vermisst.

Die „Neue Freiheit“ in der Seemannsschule Hamburg-Finkenwerder war aber eigentlich nur die Fortsetzung der elterlichen „Erziehungsanstalt“. Nur gab es dort keine Schläge.

Die dreimonatige, fast militärische Ausbildung war der erste Härtetest für uns Jungspunde.

Wir waren ca. 30 Jungs aus ganz Deutschland, überwiegend aber kamen die meisten aus Süddeutschland. Nur ein Berliner war noch dabei. Aber alle wollten in die weite Ferne, so wie Freddy Quinn es ständig sang. Seine Lieder, die von Fernweh, Sehnsucht und Seemannsromantik handelten, dudelten ständig im Radio und machten uns ungeduldig und auch schwermütig.


Icke“ in der Seemannsschule in Finkenwerder

Aber erst hieß es Seemannschaft und Decksarbeit zu erlernen; d. h. die praktischen Dinge zu lernen, die auf See von großer Bedeutung sind.


Icke“ in der Seemannsschule in Finkenwerder

Vor allem wurde uns Disziplin, Pünktlichkeit, Sauberkeit usw. beigebracht.

Spleißen, Knoten, Pullen (Rudern) mit den großen, schweren Kuttern, Morsen, die Signalflaggen auswendig lernen, Instandsetzungsarbeiten und immer wieder Reinigungsarbeiten, Klamotten waschen, Schuhe putzen, Küchendienst und allgemeiner Unterricht, wie Deutsch, Englisch etc.


Antreten, Abzählen, Abtreten, im Laufschritt hierhin, dahin usw.

Wir wurden gedrillt und ständig kontrolliert. Saubere Fingernägel und geputzte Schuhe, bevor wir am Wochenende für einige Stunden die Schule verlassen durften. Gab es irgendetwas zu beanstanden, war Ausgangsverbot angesagt und man musste Wache schieben.

Eingekleidet wurden wir mit je zwei Paar blauen Latzhosen, zwei khakifarbenen Hemden, mit aufgenähtem Abzeichen der Seemannsschule Finkenwerder, einem blauen, wollenen Pullover, sogenannter Sweater und einer blauen Pudelmütze, die wir lässig, also schräg, auf dem Kopf trugen. Das war unsere „Uniform“, und wir waren stolz, diese Kleidung zu tragen. Waschen mussten wir natürlich alles selber. Ohne Waschmaschine versteht sich. Wir mussten immer sauber gekleidet sein, und das wurde auch ständig, beim Morgenappell kontrolliert.

Am zweiten Tag mussten alle einzeln auf einen ca. 30 Meter hohen Mast klettern. Das sollte der Test sein, ob man schwindelfrei ist. Für mich war das lächerlich, da ich in Berlin schon in den Ruinen über angekohlte Balken, in Höhe der dritten oder vierten Etagen, gerannt bin. Oft brachen die Balken hinter uns zusammen, und wir kamen uns wie Helden vor. Wenn einer vorher mit den Balken abgestürzt wäre, dann hätte er den Fall von ca. zwanzig Meter nicht überlebt. Auch auf hohe Bäume sind wir oft geklettert und haben dort unser geklautes Obst von den Schrebergärten gegessen. Wir waren wie die Affen. Klauen, schnell wegrennen und ab auf die Bäume. Also, ich war total schwindelfrei und hatte auch keine Angst.

Das Härteste in der Seemannschule, war immer das Kutter pullen (rudern mit schweren Rettungsbooten), in denen ca. zehn Mann saßen.

Von Finkenwerder ging es hinaus auf die Elbe, bis Blankenese und zurück. Wegen der Tide, also Ebbe und Flut, war eine Tour natürlich gegen den starken Strom und dann hieß es: Zieh durch, bis die Hände qualmen. Wir waren ja alle erst 16-17 Jahre alt. Hatten noch keine „Muckis“, und unsere Hände waren zart und kraftlos.

Aber wir mussten durchhalten, machten manchmal auch Wettfahrten mit anderen Kuttern der Konkurrenz, also der Seemannsschule Blankenese. Abends in der Koje schmerzten die Schultern, der Rücken und die zerschundenen Hände. Aber wir waren ein Team, jeder gab alles, und wir waren stolz auf uns. So etwas fehlt den heutigen „Warmduschern“. Jede Erziehungsanstalt oder Knast war dagegen ein Kindergarten. Das war hart, aber wir lernten Disziplin, Durchhaltevermögen, Teamarbeit und Kameradschaft.

Trotz aller Härte, mir machte das Spaß, denn wir wurden gedrillt und wenn wir unsere Sache gut gemacht haben, wurden wir auch gelobt und konnten zum Dank auch am Wochenende früher Feierabend machen. So war das okay, denn ich war bereit, alles zu geben, wenn am Ende dabei auch ein Dank oder eine Anerkennung „herausspringt“.


Rettungsboot pullen

Von zu Hause war ich das ja nicht gewohnt. Da hat es noch nie ein Lob gegeben, auch in den späteren Jahren nicht, als mein Bruder und ich doch einiges im Leben erreicht hatten.


Unsere Ausbilder waren alle ehemalige Schiffsoffiziere, der „Schulleiter“ war ein alter erfahrener Kapitän.

Der Bootsmann ein alter harter Hund, aber mit einem guten Herzen.

Wir lernten, dass es an Bord nur einen „Master next Gott“ gibt, nämlich den „Alten“.

Und ohne Disziplin und Demut geht gar nichts. Uns wurde klar gemacht, dass wir an Bord auf uns allein gestellt sein werden.

Keine Polizei, keine Feuerwehr, kein Richter, keine Mamma, keine Hilfe..., nur wir allein, die weite See und der „Alte“, der alle Macht an Bord hatte. Seine Gehilfen, die Offiziere stünden ihm ehrfürchtig zur Seite.

Und wir „Moschkoten“, also die Matrosen und Junggrade hätten zu funktionieren. Da waren noch Vorarbeiter, also der Bootsmann und der Zimmermann, die noch über dem Matrosen stünden. Na ja, da gäbe es noch die Schiet- oder Schmiergang. Das wären die „Heizer“ und die Maschinisten, der Storekeeper, die Reiniger, die Assistenten und Ingenieure, aber die zählten für uns stolze Seeleute an Deck nicht so viel. Die wühlten unter Deck im stinkigen Maschinenraum herum und kämen ölverschmiert zum Essen und Schlafen an Deck.

Die Kombüse wäre besetzt mit einem Koch, einem Schlachter und einem Bäcker, der jeden Tag für frische Brötchen und Brot sorgte. Ja und Stewards gäbe es auch noch. Alles keine richtigen Seelords, so wie wir.

Also wir begriffen sehr schnell, an Bord herrschte die absolute Hierarchie. Und man müsste sich eben hochdienen. So haben wir Jungs in drei Monaten gelernt, was es bedeutet, Seemann zu sein.

Wir haben aber auch gelernt, was Kameradschaft ist, mit den unterschiedlichsten Charakteren und Mentalitäten auf engstem Raum auskommen zu müssen. Es ginge nicht mehr um das Ich, sondern nur um das Wir.

Ich glaube, in der Zeit habe ich auch gelernt, mit jedem auszukommen.

Seeleute sind eigentlich sehr tolerante Menschen. Hautfarbe, Religion oder Nationalität spielen bei „Hein Seemann“ keine Rolle. Hauptsache „der Mensch ist Mensch“ und vor allen Dingen ist er ein „Seelord“, ein richtiger Maat, ehrlich und aufrecht. Die an Land waren vom anderen Stern. Tja, so dachten wir jedenfalls damals, und das stimmte ja auch ein bisschen, wie ich später auch feststellen musste.

Ich mochte die Kameradschaft, war eigentlich immer schon ein geselliger Mensch und liebte es, mit Gleichgesinnten zusammen zu sein.

Die Zeit raste dahin, es gab Zwischenprüfungen, wie z. B. in Erster Hilfe, die wir alle bestanden, denn wir haben natürlich gebüffelt und uns gegenseitig geholfen. Uns wuchsen auch die ersten Muskeln und auf den Händen die erste Hornhaut, auf die wir natürlich auch stolz waren. Es fehlten nur noch die Haare auf der Brust, um ein richtiger Seebär zu sein. Aber kommt Zeit, kommt Haar.

In Berlin war inzwischen hohe Aufregung, denn Berlin wurde von einer Mauer zwischen Ost und West getrennt. Mein Vater hatte das vorausgesehen und war mit uns schon 1953 von Ostberlin in den Westen geflüchtet.

Mein geliebter Opa und die Oma (Eltern meiner Mutter), waren nun im Ostteil der Stadt „eingeschlossen“. Würde ich sie jemals wiedersehen können? Die andere Oma, also die Mutter meines Vaters, war ja schon mit meinen Eltern nach Westberlin gegangen.

An der Sektorengrenze sollten Panzer der Russen und Amis aufgefahren sein. Es sollte sich um einen kriegsähnlichen Zustand an der Mauer handeln. Ich war sehr traurig, denn meine Eltern schrieben mir, dass man nicht mehr in den Osten könne. Ich konnte gar nicht fassen, dass so etwas möglich ist. Die können doch nicht einfach die Familien trennen, die den Krieg überlebt haben, alles verloren haben und neu anfangen mussten. Ich war sehr in Panik, aber ich konnte die Schule nicht verlassen. Wem könnt ich dann meine Sorgen antragen, wenn Opa nicht mehr erreichbar war?

So musste ich mit den Sorgen allein fertig werden.

Am 24. Oktober 1961 schaffte ich mit ausreichenden Leistungen die Abschlussprüfung. Wir mussten alle vor dem Haus antreten, und der Kapitän verabschiedete uns. Als wir vor drei Monaten dort zur Einweisung antraten, begrüßte uns der Kapitän mit: „Guten Tag Jungs.“

Nun wurden wir mit: „Gute Fahrt, Männer!“ verabschiedet.

Was waren wir stolz in diesem Moment. Wir waren von Kindern zu richtigen Seemännern ausgebildet worden.

Wir Jungs feierten Abschied voneinander, natürlich mit einem Besäufnis in einer Finkenwerder Kneipe und hofften, dass wir uns irgendwo, in irgendeinen Hafen wiedersehen, dann aber als richtige, gestandene Seemänner.

Die Finkenwerder Fischerjungs waren froh, dass wir abhauten, denn wir spannten ihnen immer die Mädels aus, wenn wir an den Wochenenden zum Tanzen in den Finkenwerder Tanzschuppen „Elbhalle“ kamen.

Der Song „Let`s Twist again“ war da gerade der große Renner, und ich war ein großer „Twister“, aber auch die langsamen Songs lagen mir, und so war ich oft der große Eintänzer in Finkenwerder. Ich war ja wohl mitten in der Pubertät und noch „Jungfrau“. Hatte bei den Mädchen immer viel „Schlag“, schon in der Schule war ich aller Mädel Liebling. Aber es ging noch nichts ab. Mir war das Herumstromern mit meinen Freunden wichtiger. Aufgeklärt war ich auch nicht und lauschte nur den Geschichten der schon erfahrenen Jungs und der Kumpels um meinen Bruder herum, die so glaube ich, alle auch nur sogenannte Verbalerotiker waren und selbst noch nichts erlebt hatten.

Aber irgendwann werde auch ich fällig sein. Ich hatte in Berlin ja auch noch eine Freundin, die Monika, meine erste große Liebe, zurückgelassen. Beim Abschied, den wir bei Andy, einem Freund, feierten, wollte ich ‘ran, aber sie sagte nein, weil ich dann immer auf See wäre und sie sicher vergessen würde. Wir lagen auf einer Couch und betrieben „Petting“. Da merkte ich schon, dass sich im Unterleib etwas tat, wenn man gestreichelt wird oder selber aktiv ist.

Gut, dass sie so zurückhaltend war, denn ich hatte keine Kondome, und wer weiß, was sonst passiert wäre. Wir waren doch selbst noch Kinder.

Meine persönliche Bewerbung und dem Vorstellungsgespräch bei der größten deutschen Reederei, der Hamburg-Amerika Linie (HAPAG) oder offiziell „Hamburg-Amerikanische-Paketfahrt-Aktiengesellschaft“, verlief positiv, und ich sollte bald ein Schiff bekommen, auf dem ich dann endlich als Decksjunge oder auch „Moses“ genannt, die Welt erobern könnte. Ich war schon sehr stolz, Mitarbeiter in einer so berühmten Reederei, Deutschlands größte und weltweit bekannteste Reederei, zu sein.

Endlich konnte meine große Sehnsucht gestillt werden.

Endlich war ich Seemann bei der deutschen Handelsmarine.

Endlich konnte ich die weite Welt bereisen, während die anderen an Land jeden Morgen an ihre Werkbank mussten, immer derselbe Trott und ihren Urlaub verbrachten sie, wenn die Eltern vermögend waren, vielleicht mal an der Ostsee. Aber mir lag nun die Welt zu Füßen!

Vorerst musste ich aber noch nach Hamburg, zur SeeBeGe (Seeberufsgenossenschaft), in die Reimerstwiete. Für die Ausstellung eines Seefahrtbuches, musste ich noch ein ärztliches Attest, meine Seediensttauglichkeit, einholen. Zwei Passbilder waren mitzubringen und die Einverständniserklärung der Eltern, sowie ein gültiger Reisepass.

Ich fuhr dann noch mal nach Hause, sah das Elend mit der Mauer und erfuhr, dass mein Bruder es gerade noch so vom Osten in den Westen geschafft hatte, als er bei Schließung der Grenzen einen Freund besuchte.

Für meinen Vater war das selbstverständlich, dass ich die Prüfung an der Seemannsschule geschafft hatte. Kein Lob oder anerkennende Worte. Wie immer wurde ein Erfolg, wenn ich mal einen hatte, nicht anerkannt und gewürdigt. Meine Fehler oder Schwächen wurden natürlich immer altklug bemängelt. Wenn ich erzählte, wie wir Jungs geschliffen wurden, wie hart wir beim Rudern auf der Elbe ‘rangenommen wurden, dann hatte der Alte nur zur Antwort, dass er es früher, beim Militär, viel härter hatte. Fragen wurden nicht gestellt, denn er wusste natürlich immer Bescheid. Er konnte alles, wusste alles und das „kotzte“ uns Söhne an.

Doch ich glaube heute, er war schon ein bisschen stolz auf mich. Ich war kein Klempner oder Maler. Das wäre für ihn nichts Besonders gewesen, obwohl mir mit der Volksschulbildung damals nichts anderes zugestanden hätte.

Aber Seemann, das war irgendwie doch etwas Exotisches. Und bis zum Kapitän war das nur eine Übergangszeit. Jedenfalls träumte meine Mutter schon von ihrem Sohn, der als Traumschiffkapitän über die Weltmeere fährt.

Unsere Oma hatte aber immer ein Ohr für uns. Und wenn wir traurig waren, auch tröstende Worte. Mein Opa war ja noch im Osten, und ich konnte ihn wegen der Mauer nicht besuchen. Da war ich schon sehr traurig.

Sehnsüchtig wartete ich nun auf eine Nachricht der Reederei, und es sollte bald losgehen. In dieser Zeit liefen im Radio Hits von Freddy Quinn, die von Fernweh, Seemannsromantik und Abenteuer handelten. Wie z. B. auch das Lied: „Junge, komm bald wieder“, und das machte mich ganz sehnsüchtig. Ich wollte endlich los und das ganze verfluchte Elternhaus hinter mir lassen. Nichts konnte mich nun aufhalten. Ich war ausgebildeter Decksjunge und gehörte auf ein Frachtschiff.

Die Welt wartete auf mich. Ihr werdet euch noch wundern, zu was ich alles fähig bin, so dachte ich zuversichtlich.

Aber bald sollte mir die Realität zeigen, was an Bord eines Frachtschiffes wirklich abgeht.

Meine ehemaligen Klassenkameraden, mit denen ich noch Kontakt hatte, vor allem mein Freund Andy, beneideten mich sehr, was ich natürlich sehr genossen habe.

Und dann war es endlich soweit!

* * *



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