Читать книгу Monster, Monster überall - Jürgen Höreth - Страница 8
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Diese Story ist bereits einmal in der Sammlung DIRTY CULT erschienen, ein Non-Profit-Projekt, das Ulf Ragnar Berlin und Daniel Bechthold aus der Taufe gehoben hatten. Die Prämisse dazu war, dass man Kurzgeschichten zu einem Gemälde von Daniel Bechthold verfassen sollte (übrigens ein hervorragender Künstler, den ich vor allem für seine s/w-Illustrationen sehr schätze).
Für mich war das Bild eine kongeniale Illustration zu einer lovecraftschen Story, rund um einen Geheimkult, einer monströsen Kreatur aus den Tiefen des Alls und den typischen Lovecraft-Protagonisten: hilflosen Gestalten, die taumelnd dem Abgrund entgegen wanken. Ich hoffe natürlich, dass ich diese lovecraftsche Atmosphäre ein wenig einfangen konnte. Insgesamt war DIRTY CULT eine wunderbare Storysammlung mit fantastischen Autoren, und ich bin ein wenig stolz damals mit dabei gewesen sein zu können.
FERNAB IN DEN HÖHLEN DER SCHMELZENDEN AUGEN
Ich liege im frostfeuchten Gras, blicke zu einem sternenübersäten Himmel empor und kann es nicht fassen, dass ich noch lebe, so viel Unfassbares ist in den letzten Stunden auf mich eingestürmt und drohte mich in die unlotbaren Schlünde der Hölle zu reißen.
Aber wo fange ich mit meiner Erzählung an. Wohl am besten bei der Zusammenkunft mit Gertrud am Vorabend Ihrer Abreise nach Aaroch. Diese Dame, so müssen Sie wissen, war mit mir auf amouröse Weise verbunden, ohne dass wir dies öffentlich bekannt zu machen gedachten. Sie war ein Freigeist, unabhängig und willensstark. Sie hatte sich einen Beruf zu eigen gemacht, der selbst für die modernen und fortschrittlichen Zeiten des Jahres 1902 für eine Frau außerordentlich ungewöhnlich war. Gertrud bestritt ihren Lebensunterhalt als Privatdetektivin. Eine fürwahr profane Tätigkeit, dem Ruf einer Dame mit Sicherheit abträglich, aber das war Getrud jedoch in jeder Weise egal.
Wir saßen bei einem Glas Wein in meinem kleinen Salon beieinander und sie berichtete mir von ihrem neuesten Auftrag. Die Ehefrau eines Astronomieprofessors hatte sie engagiert, um dem mysteriösen Verschwinden ihres Gatten auf den Grund zu gehen.
Jener Professor war vor nunmehr einem Monat mit einigen seiner Studenten aufgebrochen, um den Einschlag eines immensen Meteors in den Tiefen des Bayerischen Waldes zu untersuchen. Sein letztes Lebenszeichen hatte Frau Gottschaid von Ihrem Mann Friedrich aus dem winzigen Städtchen Aaroch erhalten. In dem Brief, den Gottschaid auf der Poststelle in Aaroch aufgab, hatte der Professor überaus enthusiastisch geklungen. Mit einem örtlichen Führer war man in die dunkelgrünen Tiefen des Bayerischen Waldes aufgebrochen, um die Überreste des Meteors zu begutachten. Dessen gewaltiges Aufschlagen auf irdischen Boden hatte man laut einiger Zeitungsberichte noch in 100 Kilometern Entfernung zu spüren bekommen.
Getrud empfand dieses neue Mandat als abenteuerliche Abwechslung in ihrem detektivischen Alltag, der zumeist aus dem Hinterherspionieren von untreuen Ehemännern bestand. Ich verabschiedete mich von ihr an einem kühlen Herbsttag, der meine trübe Stimmung gut widerspiegelte, schließlich würde ich Getrud längere Zeit nicht mehr zwischen den Laken meiner Bettstatt begrüßen können.
Schneidig sah sie aus, meine Schöne, in ihrem Hosenanzug und dem Fedora, den sie keck in den seidigen Nacken geschoben hatte.
An ihrer linken Hüfte beulte sich der Revolver aus, den sie in einem Halfter unter dem Jackett verborgen hatte.
»Bis bald, Herr Bibelfest«, neckte sie mich zum Abschied, in Anspielung auf meine berufliche Tätigkeit als Religionslehrer.
Sie sagte es mir nie, aber vielleicht war der Grund für unsere amouröse Affinität der Reibungspunkt zwischen ihrem absoluten Atheismus und meiner verklärten Gottgläubigkeit. Nun, wer weiß …
Sie winkte mir mit einem herzerfrischenden Lächeln aus dem Fenster des Zuges zu, und ich grüßte Hand wedelnd eifrig zurück.
Vierzehn Tage ohne Nachricht von ihr vergingen, die mich nicht beunruhigten.
Nach weiteren zwei Wochen ergriff mich eine nie gekannte Nervosität und Unruhe, woraufhin ich kurzentschlossen meinen Reisekoffer packte und ich mich gleichfalls auf die Fahrt in das besagte Städtchen Aaroch begab. Rektor Engelbach war alles andere als entzückt von meinem kurzfristigen Urlaubsantrag, aber er bewilligte mir eine Woche und knurrte mir etwas Undefinierbares zum Abschied hinterher.
Ich stieg zweimal um, bevor ich die letzte Etappe in das Herz dieses riesigen Waldgebietes antrat. Die Lokomotive, die lediglich einen Personenwagen zog, mutete mir wie ein metallenes Monstrum aus den Pioniertagen des Transportwesens an. Mit asthmatischem Schnaufen quälte sich diese geschundene Antiquität durch finstere Waldschluchten, die unendlich schienen. Der Urwald, der sich rechts und links der Schienen auftürmte, hatte nichts von der Frische und Vitalität seiner südamerikanischen Vettern, sondern entfachte mit seiner Düsternis und der tiefgrünen Schwermut ein Gefühl der Beklemmung in mir.
Das Städtchen Aaroch entpuppte sich als eine trübselige Ansammlung unverputzter Gebäude, angefressen von beginnendem Zerfall und andauernder Vernachlässigung. Schmutzig graue Schieferdächer hingen wie verbrauchte Rücken durch, abblätternde Wandfarbe allerorts und blinde Fensterscheiben, deren Erneuerung man keine Aufmerksamkeit schenkte. Diese Ortschaft schlug mir ebenso aufs Gemüt, wie die quälende Zugfahrt, und so fragte ich mich, ob Gertrud dieselben Gefühle bei ihrer Ankunft hier beschlichen hatten.
Ich mietete mich im einzigen Hotel der Stadt ein, welches eher den Eindruck eines bäuerlichen Gasthofs machte, der sich aus der Not heraus, noch ein paar Schlafkammern an der Rückseite gestattete.
Das Zimmer war eng und muffig, die Möblierung karg und von niederster Qualität. Im durchgelegenen Bett hatten es sich ein paar Wanzen bequem gemacht, und das einzige Fenster hatte einen bräunlichen Schmutzfilm anstatt einer Gardine.
Das Abendessen nahm ich im Gastraum ein. Ich bestellte das alleinig verfügbare Gericht: Eine wässrige Suppe in der sich einige undefinierbare Brocken tummelten. Die Brocken hatten entfernten Fleischgeschmack, aber ich war mich nicht sicher. Es hätte gewiss auch aufgeweichter Mäusekot sein können.
An den anderen beiden Tischen spielten einige rotgesichtige Männer Karten. Dabei legten sie ein mir unheimliches Schweigen an den Tag.
Ich war es gewohnt, dass kartenspielende Gesellen beim Stechen munter prahlten, fluchten oder zumindest enttäuscht schnauften. Diese sonderbare Gesellschaft starrte nur stumm und finster vor sich hin, bar jeglicher herzerfrischender Konversation.
Ich ließ die Suppe halb gegessen stehen und trat zu dem krummbeinigen Wirt, der hinterm Tresen seine bauchigen Gläser polierte.
Dann nahm ich eine Fotografie von Gertrud aus meiner Geldbörse und hielt sie dem Wirt hin.
»Entschuldigen Sie mein Herr. Eine gute Freundin von mir ist vor circa einem Monat nach Aaroch gereist. Da hier nicht allzu viele Lokalitäten vorzufinden sind, könnte ich mir vorstellen, dass sie hier im Hirschen abgestiegen ist … Können Sie sich vielleicht an sie erinnern?«
Mit einem trägen Blick bedachte der schnauzbärtige Wirt die Fotografie.
»Mmmh, eine gute Freundin von Ihnen sagen Sie, was? Und so ganz allein unterwegs in der Welt, das Weibsstück, hm?«
Ich ging auf die Provokation nicht weiter ein und wartete geduldig ab, ob seinen Lippen doch noch eine brauchbare Information zu entlocken sei.
»Na ja, ich erinnere mich schon an das Frauenzimmer. Ist wohl kein Kunststück, so wie die aufgetreten ist. Wie ein Kerl war sie angezogen, und ihr Mundwerk hat sich gleichfalls mit jedem Hundsfott hier drin messen können«, sagte er, wobei er mir dabei ein schiefes Lächeln präsentierte.
»Meine Bekannte war auf der Suche nach einem Professor und seinen Studenten, die den aufgeschlagenen Meteor hier in der Nähe untersuchen wollten …«
»Kann schon sein. Sie hat zweimal hier genächtigt und ist dann mir nix dir nix verschwunden. Wohin das Weibsbild verschwunden ist, kann ich Ihnen nicht sagen. Aber ich schätze mal, sie ist hurtig dem Schulmeister und seinen Gören hinterher …«
»Dem Professor …«
»Hm ja, genau dem … pff … Professor …«
»Und wer hat sie zu der Absturzstelle des Meteors geführt?«
»Was weiß denn ich? Bin doch nicht das Tratschweib vom Dienst«, nölte der feiste Wirt, wandte sich ab und ging an den Tisch zu den Kartenspielern.
Ich schlich an meinen Platz und starrte der Suppe einige Zeit beim Erkalten zu. Ich wollte gerade wieder auf meine Stube gehen, als sich ein Mann von einem der anderen Plätze erhob und sich unaufgefordert an den Tisch setzte.
Der Kerl hatte ein Triefauge und ein vorspringendes Kinn mit ein paar langen Barthaaren, die wie Spinnenbeine anmuteten.
»Hab gehört, sie wollen in den Wald, zu dem Steinklumpen, der aus dem Weltall gekommen ist?«
»Nun ja, wenn Sie es so ausdrücken wollen, dann stimmt das schon …«
»Ich könnte Sie führen. Für ein angemessenes Salär versteht sich.«
»Daran soll es nicht scheitern … Herr … wie war noch Ihr Name?«
»Munck. Johann Munck.«
Munck verlangte eine völlig überzogene Summe für seine künftige Wanderführertätigkeit.
Ich handelte mit ihm ein wenig herum, jedoch bin ich nicht die geborene Krämerseele, und so einigten wir uns auf einen immer noch unverschämten Preis. Da mir vor geraumer Zeit eine kleine Erbschaft hinterlassen wurde, konnte ich mir solche Extravaganzen ohne großes Zögern leisten. Wir gaben uns die Hand drauf und dann verabredeten wir uns zu einem Termin in der Frühe.
Die Nacht verbrachte ich in unruhigem Schlaf. Ich vermeinte immer wieder ein kratzendes Tappen kleiner Pfoten auf dem Stubenboden zu vernehmen. Bilder von zottligen Ratten und ähnlichem Getier schlich sich in meine Gedanken, aber als ich ab und an die Petroleumlampe entzündete, konnte ich nichts auf dem Fußboden entdecken.
Später in der Nacht bemächtigte sich eine Art auf- und abschwellendes Brummen meiner Ohren. Es hinderte mich an einem durchgehenden Schlaf und wurde schließlich so unangenehm, dass ich aufstand, das Fenster öffnete und in die Nacht hinaus spähte, ob ich denn dort die Ursache für dieses seltsame Geräusch finden könne. Aber ich konnte nichts entdecken, außer dem Mond, der eine rötliche Färbung angenommen hatte.
Bis zum Morgengrauen tappte ich immer wieder im Zimmer umher und inspizierte die kleinen Schränke und den Boden unter dem Bett, wobei ich keinerlei Nager oder großwüchsige Kakerlaken vorzufinden wusste.
Schließlich ließ mich die Müdigkeit dennoch niedersinken, und ich fand etwas Schlaf. Ich hatte einen wüsten erotischen Traum, der von Gertrud, mir und anderen bleichen, geschwollenen Körpern handelte, was mir eine schmerzende Erektion einbrachte.
Beim Erwachen hatte ich mit eben jener Erektion zu kämpfen, wobei auch noch das eigentümliche Brummen in meinen Ohren zugenommen hatte. Ich schüttelte ein paar Mal heftig den Schädel und schluckte kräftig, aber das Brummen wollte nicht weichen.
Nach einem kargen Frühstück traf ich mich mit Munck vor dem Gasthof.
Er war genauso kurzangebunden und maulfaul wie am Vorabend.
Auf seinem Rücken befand sich ein zerschlissener Rucksack und in seiner Hand ein knotiger Wanderstock.
Graue Wolken und Nieselregen hatten sich der Stadt bemächtigt und ließen mein Gemüt noch mehr sinken.
»Was haben Sie denn da alles im Rucksack drin? Ist es denn so weit zu der Absturzstelle des Meteoriten?«, fragte ich Munck.
»Ein paar Stunden sind wir schon unterwegs, und ich habe immer gerne einen Happen zwischendurch zum Futtern dabei.«
»Sagen Sie mal, hören Sie auch so ein unterschwelliges Brummen? Ich hab das dauernd in den Ohren.«
Munck zuckte mit den Schultern, als wäre dieses Thema keiner Rede wert.
Mit dem Pferdefuhrwerk eines Bauern fuhren wir aus der Stadt hinaus. Automobile sah man in Aaroch nicht, als hätte die industrielle Mobilisierung sich vorerst noch einmal an der Stadt vorbei schlängeln können. Zu dieser frühen Stunde waren nur wenig Menschen auf den Straßen, und die paar, die wir zu Gesicht bekamen, glotzten missmutig drein und schlurften träge ihren Destinationen entgegen.
Als wir die Stadt hinter uns gelassen hatten, fuhr uns der Bauer noch auf einem Feldweg zum Rand des Waldes. Die gewaltige Wand aus Nadelbäumen türmte sich bedrohlich vor mir auf.
Als wir in diesen Moloch aus Blattwerk und Tannennadeln schlüpften, entschwand das fahle Licht des frühen Morgens, und das Halbdunkel des Waldes umschloss uns.
Die mannsdicken Baumstämme der Fichten und Tannen standen dicht an dicht, spinnwebenartige Farne und klebrige Ranken bedeckten den moosigen Boden, die mich stolpern ließen. Ich hatte keine Wanderstiefel wie Munck an den Füssen, sondern meine eleganten Straßenschuhe, deren glatte Sohlen auf dem glitschigen Untergrund rutschten. Auch mein Wolljackett war kein geeignetes Kleidungsstück für ein derartiges Unterfangen, das wie mir schien, augenblicklich in eine anstrengende Expedition ausartete.
Krächzen und Gluckern von Tieren schallte hohl durch die Baumkorridore und gaben dem Ganzen noch einen zusätzlichen Anstrich des Unheimlichen.
»Ich kann keinen Pfad in diesem Monstrum von Wald ausmachen. Wie können Sie sich hier drin nur zurechtfinden?«, sprach ich Munck an, der unbeirrbar losmarschierte, als ob er von einer unsichtbaren Leine ans Ziel gezogen würde.
»Keine Sorge, Meister. Ich kenne mich hier bestens aus. Schon als kleiner Hosenmatz habe ich diese Wälder durchstreift …«
Wir kämpften uns den ganzen Vormittag durch verfilztes Gestrüpp.
Nadelbaumzweige peitschten in mein Gesicht und Kletterpflanzen blieben an meiner Kleidung hängen. Das Brummen in den Ohren verließ mich dabei zu keiner Zeit, nein je weiter wir in das Herz des Waldes vorstießen, desto anschwellender wurde es.
Schließlich gelangten wir in einen Bereich des Waldes, in dem Laub und Astnadeln eine eigentümlich kränkliche Färbung angenommen hatten. Statt des satten, dunkelgrünen vorherrschenden Farbtons dominierte hier eine bleiche, ins Gelbliche hineinreichende Verfärbung, die dem Wald einen helleren, aber nicht unbedingt freundlicheren Charakter verlieh.
Selbst der Untergrund wurde trockener, geradezu brüchig. Jeder Schritt erzeugte ein hohles Knirschen. Schließlich kletterten wir auf eine Anhöhe. Der Boden hatte hier die Farbe bleicher Knochen. Und als wir auf dem höchsten Punkt des Hügels angekommen waren, brach der Boden unter unseren Füßen weg.
Wir stürzten in eine Art Schacht. Der Sturz dauerte ein paar Sekunden und ich schätze, dass wir wohl gute 5 Meter in die Tiefe fielen, bis wir hart aufschlugen.
Finsternis und ein scheußlicher, beinah ranzig zu nennender Geruch umgab uns, wobei mir selbst das Atmen schwerfiel. Etwas lief mir warm die Stirn hinab. Blut. Ich hatte mir den Kopf aufgeschrammt.
»Sind … sind sie verletzt, Herr Munck?«, keuchte ich zwischen meinen trockenen Lippen hervor.
»Mein Bein schmerzt extrem. Ich hoffe, es ist nicht gebrochen …«
»Es ist so dunkel, ich kann die Hand vor Augen nicht sehen …«
»Da geht es mir nicht besser als Ihnen.«
Die Öffnung, durch die wir in die Tiefe hinab gefallen waren, präsentierte sich uns als heller Kreis, durch den das dunstige Licht des Tages fiel.
Wir versuchten wieder hochzuklettern, aber die Wände an den Seiten erwiesen sich als zu glatt. Einmal kletterte ich auf Muncks Schultern, was sich jedoch als sinnlos erwies, ich fand auch in dieser Höhe keinen Halt, rutschte ab und schlug wieder hart auf dem Boden auf.
Rechts und links befanden sich eine Art niedrige Gänge, was wir durch Tasten in der Dunkelheit herausfanden. Da wir keine andere Wahl hatten, beschlossen wir unser Glück in einem dieser Gänge zu suchen. Der Gang, für den wir uns entschieden, war so niedrig, dass wir ihn auf Knien entlang kriechen mussten. Wir krochen und krochen, doch der Gang schien kein Ende zu nehmen. Die Luft war stickig und roch immer übler. Ich bekam Staub und Erde in den Mund und spuckte sie aus. Das Brummen in meinem Schädel wandelte sich zu einem stakkatoartigen Klopfen, wodurch ich Nasenbluten bekam und ich Angst hatte, meine Zähne würden sich aus dem Kiefer lösen. Es wurde so arg, dass ich befürchtete das Bewusstsein zu verlieren, aber zu meiner Erleichterung ließ das unheimliche Geräusch schließlich nach. Ob dies an der Quelle dieses Lautes gelegen hatte oder ob sich mein Organismus letztlich an das Crescendo gewöhnte, vermag ich im Nachhinein nicht zu sagen.
Ein dumpfer Aufschrei hinter mir ließ mich innehalten. Etwas scharrte über den Boden. Muncks Körper, den man wegschleifte? Ich hörte Munck wimmern wie ein kleines Kind, dann kreischte er wie ein geschundenes Tier. Angst krallte sich in meine Eingeweide, Angst vor etwas Bestialischem in dieser undurchdringlichen Finsternis. Ich krabbelte in hysterischer Eile weg von Muncks Geschreie. Dabei zerriss meine Kleidung an den Knien und an den Ellbogen und ich scheuerte die Haut wund und blutig.
Ich krabbelte über den Boden, bis ich nicht mehr konnte. Keuchend brach ich zusammen. Meine Kleidung war schweißdurchtränkt und klebte unangenehm an meinem Körper, trotzdem hatte ich Schüttelfrost am ganzen Leib vor urtümlicher Angst.
Ich fand schließlich wieder die Kraft weiter zu kriechen. Panik trieb mich voran.
Wie viel Zeit seit Muncks Verschwinden vergangen war, konnte ich nicht mehr abschätzen. Es dünkte mich, dass ich schier eine halbe Ewigkeit in diesem lichtlosen Labyrinth umhergeirrt war. Hunger wühlte in meinen Eingeweiden, der dort auf Angst vor einem unbestimmbaren, gestaltlosen Schrecken traf. Endlich erreichte ich einen Gang, der sich zu einer Art Höhle vergrößerte, und in dem ich auch stehen konnte.
Meine Gliedmaßen waren von der permanenten Krabbelei völlig malträtiert und schnell steif. Ich schüttelte sie gerade aus, damit sie wieder anständig durchblutet werden konnten, als ein Wimmern mich aufschreckte und zusammenzucken ließ.
»Ist … ist da wer?«, brachte ich schließlich mit kratzender Stimme hervor.
»Paul? Paul, bist Du das?«
»Gertrud? Mein Gott, Gertrud …«, stammelte ich und ging in die Richtung, aus der ihre Stimme erklungen war.
Ich stieß mir in der Hast den Kopf an der niedrigen Decke, aber schließlich ertasteten meine Hände warme, menschliche Haut.
»Gertrud … du … du bist nackt?!«
»Paul, oh lieber guter Paul, du bist es wirklich …«, schluchzte sie in der Finsternis. Wir nahmen uns gegenseitig in die Arme, umklammerten uns zitternd und so fest, als ob wir uns nie mehr loslassen wollten.
»Du Verrückter, warum bist Du nur gekommen?«
»Das weißt Du doch …«
»Wir müssen hier raus … schnell!« So taumelten wir Hand in Hand durch die Stollen in einem Meer aus tintiger Schwärze, währenddessen Gertrud mit brüchiger Stimme erzählte.
»Ich bin wohl auf dieselbe Weise hier gelandet wie Du, Paul. Nur hatte ich in meiner Ausrüstung eine Fackel, Streichhölzer und einen Kompass, mit dem ich mich orientieren konnte. Trotz des Kompasses benötigte ich Stunden, bis ich diesem Labyrinth entkam. Ich stieß auf eine tempelartige Halle, die von seltsamen Gewächsen, die an den Mauern wuchsen, beleuchtet wurde. Dabei hatte ich stets dieses scheußliche Geräusch im Kopf, das einem das Hirn aus den Ohren drücken will … Du wirst es sicher auch jetzt spüren …«
»Oh ja.«
»Jedenfalls fand ich Professor Gottschaid und seine Studenten dort vor. Nur waren sie nicht mehr … menschlich.«
»Was meinst Du damit? Nicht mehr menschlich?«
»Sie waren allesamt nackt, nur ihre Köpfe wurden von Kapuzen verhüllt. Sie stanken fürchterlich nach ihren Exkrementen und getrocknetem Schweiß. Ich konnte mir nicht vorstellen, wovon sie sich hier unten ernährten, aber sie waren so stark, dass sie mich überwältigten. Und ihre Genitalien …«
»Was war damit, Gertrud?«
»Sie waren … etwas hatte sie verändert. Auf abstoßende, grauenhafte Weise … Und ich wurde von ihnen zu dem geführt, der diese Veränderung herbeigeführt hatte. Und dieses Wesen … dieses Ding war nicht von unserer Welt. Woher ich dies weiß? Nun, niemand sprach zu mir, alles geschah mit einem fürchterlichen Schweigen, aber etwas fraß sich in meine Gedanken und dann fluteten Bilder in meinen Geist. Bilder von einer anderen Welt. Düster, karg, öde. Eine Welt ohne den Reichtum an Pflanzen, ohne Meere, ohne Schönheit. Und dieses Wesen, das von diesem trostlosen Felsen von einer Welt stammte, spürte einen Ruf … einen Ruf, den der Professor hier in jenem unterirdischen Tempel ausgelöst hatte.«
»Ein Tempel? Hier unten befindet sich ein Tempel?«
»Na, ich würde diese Stätte mal so bezeichnen. Es ist eine Art weitläufige Halle, eingerahmt von steinernen Mauern, auf denen Symbole und Szenen eingemeißelt sind, die einen beim Anblick schwindeln lassen … jedenfalls erging es mir so. In der Mitte dieser Halle befindet sich ein zylinderförmiges Objekt von einfacher Struktur. Feine Linien sind auf die Oberfläche eingeprägt, elegant, aber auch von fremdartiger Schönheit. Und hoch oben auf diesem Zylinder thronte es, dieses Wesen aus den kalten Tiefen des Kosmos. Meine Augen schmerzten bei seinem Anblick, so verwirrend und fremdartig ist diese Anatomie. Der Kopf dieser Kreatur ist monströs. Er ist so groß, dass der Rest des Körpers nahezu verkrüppelt wirkt. Auf diesem Kopf erblühen ein Dutzend Augen, wenn ich diese glanzlosen schwarzen Tümpel als Augen bezeichnen darf. Die Augen … sie starren dich so intensiv an und fressen sich in deine Gedanken. Krallen sich fest, nisten sich ein … Und dann langte das Wesen nach mir …«
Getrud berichtete mit brüchiger Stimme, wie sie von der Kreatur missbraucht wurde. Ich möchte nicht all diese widerlichen Szenen beschreiben, die mir Gertrud schilderte, sondern bekräftigen, wie sehr ich ihren Charakter bewunderte, den der exzessive Missbrauch dieses Monstrums nicht zerstören konnte. Natürlich hatten diese Taten seelische Wunden gerissen, aber Getrud hatte all dies ohne geistige Verkrüppelungen überstanden, und der bittere Hass, der zwischen ihren Worten sprühte, ließ erkennen, dass sie zwar verwundet, aber keinesfalls gebrochen war.
»Während dieses Ding auf mir lag, konnte ich erkennen, wie er auf unsere Welt gekommen war. Diese Bilder schoben sich mit rasiermesserscharfen Kanten in meinen Geist. Er ritt auf diesem Zylinder durch die Eiseskälte des Weltraums, seine Gestalt ein flirrender Streifen, überquellend von der Vorfreude auf jene Neue Welt. Die Luftleere und die Kälte des Alls konnten ihm nichts anhaben, seine schrundige Haut ein Panzer und das wimmelnde Gewürm darunter ein steter Quell der Nahrung …«
Ich starrte Gertrud konsterniert an, meine Augen zweifelnd geweitet.
»Und als er den Professor und sein Gefolge unterwarf, wandelte er sie nach seinem Abbild. Dies konnte ich erkennen, als sich der Professor und die anderen sich über mich hermachten. Nicht nur ihr Geschlecht hatte das Monstrum verändert, nein. Ich konnte diese lächerliche Kapuze, die das Gesicht meines Peinigers verhüllte, von seinem Kopf zerren, und dann starrte ich auf etwas, das nur noch entfernt menschliche Züge beherbergte. Das ganze Gesicht war nur noch ein teigiger Ball, der überall Blasen warf, und aus diesen Blasen schlängelten sich kurze Tentakel hervor. Am schlimmsten aber waren die Augen. Eine schlackeartige Substanz hatte seine Augen ersetzt, als wären die Augäpfel geschmolzen und hätten sich in einen blubbernden Brei verwandelt. Wie Gottschaid damit sehen konnte, war mir ein Rätsel, aber offenbar hatte sich der gesamte Organismus des Professors verändert, in Folge er dadurch vielleicht andere, seltsame Sinne hinzugewonnen hatte …«
»Und wie bist du entkommen, Gertrud?«
»Sie haben mich einfach liegen lassen und sind weggegangen. Als ich mich wieder einigermaßen bewegen konnte, bin ich davongekrochen, mit dem Gesicht in meinem Blut und Urin.«
»Du bist durch diese stockfinsteren Gänge gekrochen?«
»Ja. Natürlich. Was hatte ich für eine andere Wahl … Übleres konnte man mir in diesen lichtlosen Gängen auch nicht mehr antun.«
Dann schritten wir weiter in die Finsternis, schweigend, ihr zitternder Leib dicht an meinen gedrängt.
Endlich erblickten wir einen trüben Lichtfleck vor uns. Voller Erleichterung stolperten wir schneller unserer verheißenen Errettung entgegen. Der Lichtfleck wurde größer und heller, aber plötzlich fühlte ich etwas sich um meine Fußknöchel schlingen, jenes war gewunden und glatt wie eine massige Schlange. Und mit unglaublicher Kraft wurde ich von den Beinen gerissen. Dann wurde ich über den steinigen Untergrund gezogen. Ich tastete nach meinen Knöcheln und fühlte sie … armdicke Tentakel. Ich musste an Jule Vernes Tiefseeungeheuer denken, diese monströsen Leviathane und schauderte ob dieser Vorstellung.
Ich schrie voller Panik meine Angst lauthals hinaus. Von Getrud hörte ich lediglich ein erschöpftes Keuchen, ihre Angst hatte sie unlängst aufgebraucht. Und auch ihr Keuchen entfernte sich in eine andere Richtung.
Letztlich wurde ich in einen Tunnel geschleift, der von einem halben Dutzend Lichtschächten durchdrungen war. Aus den Schächten fielen Streifen flirrenden Lichts, die nur bestimmte Stellen beleuchteten.
Und diesem Spiel aus gleißender Helligkeit und tintiger Schwärze sah ich es auf mich zukommen … dieses Wesen, diesen Abgesandten aus jener Welt der Ödnis und des Kummers. Es schob seinen riesigen Schädel, der mich an einen deformierten Oktopus erinnerte durch den Wechsel aus Licht und Schatten, wobei ich immer nur Teile davon erblicken konnte.
Dennoch erkannte ich, dass dieser Kopf wohl ein Dutzend Augen beherbergte. Augen von stygischer Kälte, aus denen Verachtung und absolute Überheblichkeit sprachen.
Und dann erfasste mich der Geist des Wesens, genauso wie es Gertrud zuvor beschrieben hatte, dieser verrottete Kadaver von einem Intellekt, anders kann ich es nicht beschreiben.
In gleicher Weise wie diese Kreatur Getrud missbraucht hatte, so penetrierte mich das Wesen auf geistiger Ebene wie körperlich. Ob dies ein sexueller Akt für das Monstrum war, kann ich nur spekulieren. Jedenfalls waren die dabei entstehenden Schmerzen ein nicht enden wollendes Martyrium. Die Tentakel erforschten jede verfügbare Körperöffnung, drangen ein und suchten sich noch zusätzliche Wege durch meine weiche Bauchdecke.
Danach fiel ich in gnädige Ohnmacht, wodurch ich die weiteren Handlungen der Kreatur nicht mehr bei Bewusstsein ertragen musste.
Doktor Geissner macht sich immer eifrige Notizen auf seinem zerfledderten Notizblock. Ab und zu nickt er beiläufig und schafft es dabei die Haare mit der linken Hand durcheinander zu wuscheln.
Mein Fall scheint zu seiner persönlichen Obsession zu avancieren. Dennoch stellt er mir immer wieder die gleichen Fragen, als ob er verbissen nach Widersprüchen in meinen Ausführungen sucht.
»… und dann erwachte ich nackt auf diesem Hügel. Ich verirrte mich für zwei Tage im Wald, bis ein Bauer, der Karnickel jagte, mich aufgabelte und nach Aaroch brachte. Und … na ja, den Rest kennen Sie ja. Meine Einweisung in diese Anstalt aufgrund meiner Anfälle und der … Wahnvorstellungen.«
»Und dieses Brummen in ihren Ohren … das ist verschwunden?«
»Ja, völlig.«
Oh, wie oft habe ich diese Unterhaltung schon mit diesem Ignoranten geführt.
Später führen mich die beiden kräftigen Pfleger wieder in mein Zimmer und verriegeln die Tür. Meine unkontrollierten Wutausbrüche haben sie vorsichtig werden lassen.
In der Stille meines Zimmers starre ich aus der vergitterten Sichtluke in den Himmel, den die Abenddämmerung rosa einfärbt. Ich weiß unwillkürlich, dass die Kreatur zu den Sternen zurückgekehrt war. Und natürlich hatte ich Geissner angelogen, was das stete Brummen in meinen Ohren anging.
Es war noch immer präsent. Das Wesen war in die Tiefen des Kosmos geflogen, es war nicht mehr auf diesem Planeten. Aber es hatte etwas zurückgelassen. Und ich kann fühlen, wie dieses Etwas unter meiner Bauchhöhle gedeiht. Wächst. Beseelt von demselben eiskalten Intellekt, der mich missbraucht hatte. Unfähig Geissner davon zu erzählen, warte ich nun. Einzig meine Schreianfälle sind Zeichen des Protestes über das, was geschehen wird.
Ich habe versucht mir mit den Fingernägeln die Pulsadern aufzureißen, aber dieses Ding in mir verhindert es.
Es ist schon zu sehr ein Teil von mir. So viel von mir. Und jeden Tag verschwindet ein wenig mehr von mir.
- E N D E -