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Mörderisches Manuskript

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Cornelia ‚Conny’ Fuhrmann hatte sich den Sonnabend anders vorgestellt. Nachdem sie einen feuchtfröhlichen Abend in der Rockdisco ‚Dreams verbracht hatte, riss sie das Geklingel des Telefons aus dem Schlaf.

Ohne zu wissen, wo sie sich in diesem Augenblick befand, tastete sie nach dem schwarzen Ungeheuer und krächzte: „Wer stört?“

„Hannes hat sich beim Fußball spielen das Bein gebrochen und wir haben einen ominösen Fall.“

„Toll. Ganz toll. Wieso dürfen Beamte vom Dauerdienst so einen mörderischen Sport treiben?“ Hannes Becher war für den Bereitschaftsdienst eingeteilt worden.

Alles lamentieren nutzte nichts, Conny blieb keine andere Wahl, als sich mit Wechselduschen, tiefschwarzem Kaffee und einer Handvoll Aspirin einigermaßen frisch zu machen. Sie schlüpfte in die enge Lederhose, zog ein ungebügeltes T-Shirt über und schnürte ihre hohen, derben Lederschuhe.

Gerade einmal vierzig Jahre alt hatte es Conny, wie sie allgemein genannt wurde, zur Hauptkommissarin gebracht und konnte auf eine Aufklärungsreihe verweisen, die andere Beamte, speziell die Herren der Schöpfung, bleich werden ließ. Wegen ihrer lässigen, zum Teil recht schnoddrigen Art galt sie nicht unbedingt als das, was man sich unter einer vorbildlichen Beamtin des gehobenen Dienstes vorstellte, aber Conny ging unbeeindruckt ihren Weg.

Nachdem ihr Ex-Mann nach diversen sexuellen Exzessen, ganz im Gegensatz zu seiner so ehrwürdigen Herkunft, die gemeinsame Wohnung hatte verlassen müssen, war Conny wieder auf der Suche nach einem Lebenspartner, weshalb sie auch gerne ihre freien Wochenenden im ‚Dreams’ verbrachte.

Sie hörte eine Autohupe, der neue Kollege hatte ihr mitgeteilt, dass er sie von Zuhause abholen wollte. Cornelia schüttelte den Kopf. Diese recht junge Beamte namens Holger von Bohlbach, ein Schlacks, der fast zwei Köpfe großer als sie war, zudem noch überzeugter Anzugträger, war für sie eine Reizfigur.

Auf der Fahrt zum Schloss Bieberach, in dem ein Schreibseminar abgehalten wurde, teilte ihr der Assistent erste Details mit:

„Der Schriftsteller Sven Overt hat als spezieller Gast eine Lesung seines neuen Buches ‚Das Geheimnis der Mönche’ veranstaltet. Als Besonderheit hat Overt darauf bestanden, dass alle Teilnehmer des Seminars in Kutten gekleidet waren.“

Conny nickte. Sie hatte schon so einiges über den Exzentriker gelesen. Overt galt als Frauentyp, Liebling der Boulevardpresse, aber auch als sehr arrogant und allgemein schwierig. Sein kometenhafter Aufstieg hatte ihn zum Büchermillionär werden lassen.

„Ja und? Was ist nun passiert?“ Trotz der bösen Blicke ihres Kollegen hatte Conny ein Zigarillo angezündet.

„Nun liegt er tot unter einem Plakat von Bram Stokers ‚Dracula’. Ein Wachmann hat ihn bei seinem Rundgang entdeckt.“

Wenig später stoppte das Fahrzeug, die beiden Beamten hatten das Ziel erreicht. Mehrere Einsatzfahrzeuge mit Blaulicht säumten den Parkplatz.

Ein uniformierter Beamter führte die beiden zu der Fundstelle, die bereits von den Kollegen der KTU frequentiert worden war. Der Gerichtsmediziner, dem ebenfalls die Hoffnung auf ein freies Wochenende zerstört worden war, grummelte herum: „Ich weiß, am besten gestern fertig und das Gutachten auf Ihrem Tisch. Die Todesart werden Sie selbst erkennen, Frau Fuhrmann.“

Passend zu dem Plakat hatte der Täter dem Schriftsteller einen Holzpflock in die

Herzgegend eingeschlagen.

Conny Fuhrmann, die für ihren schwarzen Humor bekannt war, kommentierte:

„Der Fall ist so gut wie gelöst. Ich kenne den Verantwortlichen. Van Helsing.“

Der junge Beamte von Bohlbach, dessen Familie angeblich beste Kontakte zum Innenministerium haben sollte, nahm die Aussage für bare Münze.

„Getrennt oder zusammen?“ Er hatte den Notizblock diensteifrig gezückt.

„Was meinen Sie?“

„Na, den Namen, Van Helsing. Wie schreibt er sich?“

Conny Fuhrmann und die übrigen Kollegen brüllten vor Lachen los und deuteten auf das Plakat.

Erst da begriff der Assistent, welche Peinlichkeit er begangen hatte.

„Der Tod wird gegen 23 Uhr eingetreten sein, so viel konnte ich schon ermitteln. Offenbar hat er vorab einen Schlag auf den Hinterkopf bekommen.“

Nun begann der ermittlungstechnische Alltag für Fuhrmann und ihren Assistenten. Neben dem Seminarleiter und vierzehn Teilnehmern erhielt die Hauptkommissarin eine Liste von Gästen, die an dem Abend geladen worden waren. Vierzig an der Zahl.

Die Befragungen, die sich bis in den Morgen hinzogen, ergaben zumindest einen Ansatz. Drei Personen hatten kurz nach dem vermutlichen Todeszeitpunkt recht eilig den Saal verlassen. Die Beschreibung hingegen war jedoch durchaus dürftig, denn sie trugen wie alle Teilnehmer Kutten.

Nach ausführlicher Überprüfung der Gästeliste stieß Conny auf einen Namen, der ihr im Zusammenhang mit dem Ermordeten auffiel: Ina Gruhl. Sie hatte in einer Talkshow recht erbost über Overt gesprochen und ihn einen Blutsauger


genannt. Weitere Ermittlungen ergaben, dass Frau Gruhl als Ghostwriterin für den

Schriftsteller gearbeitet hatte und zudem dessen frühere Geliebte gewesen war. Offenbar hatte sie der Krimiautor, der so gerne im Rampenlicht gestanden hatte, mit einem Butterbrot abgespeist.

Auch der Verleger Gerion Bastenhaupt, ein dicklicher kleinwüchsiger Herr, der das Schreibseminar nach besten Kräften unterstützte, hatte wohl noch eine Rechnung mit dem Toten offen gehabt. Overt hatte kurzfristig seine Verträge gekündigt und war zu einem Konkurrenzverlag gewechselt.

Somit hatte Fuhrmann zwei Verdächtige auf ihrer Liste.

Zu ihrem Erstaunen lieferte von Bohlbach eine weitere Person, die durchaus motiviert gewesen war, dem Schriftsteller einen Denkzettel zu verpassen.

„Dieser Hans Demond, ein Literaturkritiker, der die neuen Bücher von Overt übel verrissen hat. Overt hat ihn als Retourkutsche öffentlich als homosexuell geoutet, sodass der Kritiker seinen äußerst lukrativen Arbeitsplatz bei einer betont konservativen Tageszeitung eingebüßt hat.“

„Dann sollten wir die Alibis überprüfen.“ Fuhrmann war überrascht, dass ihr junger Mitarbeiter bei der kriminalistischen Kleinarbeit sehr viel Fingerspitzengefühl bewies.

Nachdem die drei Verdächtigen vorgeladen worden waren, war der Traum einer schnellen Aufklärung fürs Erste geplatzt, denn jeder von ihnen hatte ein Alibi. Sie waren gemeinsam um 20 Uhr bei dem Rechtsanwalt Ingo Norden verabredet gewesen, da sie eine Gemeinsamkeit hatten: Alle drei wollten Sven Overt verklagen.

„Schon merkwürdig, dass sich die drei an einem Samstag im Privathaus des

Rechtsanwaltes getroffen haben wollen. Wir sollten uns diesen Norden vornehmen.“

„Und sie haben bis spät in die Nacht diskutiert, das sieht sehr konstruiert aus.“

Am anderen Tagen suchten die beiden Beamten den renommierten Anwalt in seinem Haus auf. Conny trat zufällig in den ausladenden Wintergarten.

„Das sieht aber nach einem Kahlschlag aus“, wandte Conny ein, denn der Garten war mit Baumstümpfen übersät.

Norden, ein distinguierter Herr Mitte Vierzig, wechselte die Farbe.

„Es hat einen sehr traurigen Hintergrund. Wissen Sie, meine Frau hat die Fichten anpflanzen lassen, doch sie verstarb vor drei Monaten bei einem schrecklichen Unglücksfall. Daher habe ich einen Gärtner beauftragt, die Bäume zu fällen.“

Völlig frustriert kehrte Conny mit ihrem Assistenten ins Büro zurück. „Das Alibi ist wasserdicht und es gibt keine Beziehung zwischen den Dreien und dem Anwalt.“

Bohlbach schien jedoch nicht zuzuhören. Er telefonierte mehrmals, nickte und notierte. Dann wandte er sich an seine Chefin:

„Vielleicht habe ich doch eine Verbindung. Eine gute Bekannte aus meiner Studienzeit, die als Reporterin für die yellow press arbeitet, hat mir einen Hinweis gegeben, dem ich jetzt noch einmal nachgegangen bin. Die gute Frau Norden hatte eine Affäre mit Sven Overt. Nicht nur das, sie war von ihm schwanger, aber er hat sie mehr oder minder aus seiner Villa geschmissen.

Gerüchte zufolge, so meine Bekannte, hat Frau Norden dann den Autounfall.

Sie raste mit ihrem Sportwagen vor einen Brückenpfeiler. Unfall oder Selbstmord?“

„Und Norden wusste davon?“

Gebieterisch nickte der junge Beamte und ergänzte: „Frau Norden war um

einiges jünger als ihr Mann. Meine Quelle, die Reporterin und die Verstorbene, waren gute Freundinnen.“

„Verdammt, jetzt müssen wir die vier irgendwie festnageln.“

„Der Seminarleiter hat noch einmal bestätigt, dass einer der Kuttenträger möglicherweise der Verlagschef war. Er kennt seine Stimme recht gut.“

„Das reicht nicht.“

„Wir sollten den Gärtner vorladen“, schlug von Bohlbach vor und lächelte sardonisch.

„Was dann?“ Conny legte ihre Vorurteile langsam ab.

„Wie viele Baumstümpfe haben Sie gezählt?“

„Zwölf. Jeweils sechs Bäume haben sich gegenüber gestanden.“

„Dann müsste der Gärtner folglich die gleiche Anzahl an Stämmen beseitigt haben.“

Nach dem Gespräch mit dem Landschaftspfleger, der zudem die Rechnung mitgebracht hatte, sprachen die beiden bei der Staatsanwaltschaft vor.

„Zwölf Fichten gefällt, elf Stämme entsorgt, so haben wir es schriftlich. Zudem ist bewiesen, dass der Pflock aus frisch geschlagenem Fichtenholz gefertigt worden war und man fand Spuren von Harz am Boden.“

Mit den Durchsuchungsbefehlen in der Tasche machten sich die Kriminalisten auf den Weg. Tatsächlich fanden sie Reste eines Fichtenstammes und Werkzeug in dem Geräteschuppen des Rechtsanwaltes und Harzspuren im Kofferraum des Fahrzeugs des Verlegers.

Neben weiteren Faserspuren, die die Beweiskette weiter schlossen, fand ein Beamter bei Ina Gruhl ein Manuskript mit dem Titel: Tod eines Blutsaugers.

Dies sollte den Teilnehmern des Schreibseminars als Übungsmaterial zur Verfügung gestellt werden.

Demond, der geschasste Kritiker, brach das Schweigen und gestand die Tat. Er hatte unter einem Vorwand die Autoren herbeigelockt, während die drei anderen in einer Nische gelauert hatten und ihn niederschlugen. Rechtsanwalt Norden hatte sich unter falschen Namen als Teilnehmer ins Seminar eingeschrieben. Jeder von ihnen hatte auf den Pflock eingeschlagen.

Conny Fuhrmann lud ihren Assistenten ins ‚Dreams’ ein, und war überrascht, dass er in Motorradkluft erschien.

„Nanu, das hätte ich nicht erwartet. Sie und ein Rocker?“

„Dienst ist Dienst und Freizeit ist Freizeit.“

„Jetzt sagen Sie mir aber, wie kamen Sie auf diese Geschichte mit den Fichten?“

Von Bohlbach lachte lauf. „Intuition, liebste Chefin. Ich hatte mir das Motto des Seminars angesehen: Ein Krimiseminar mit dem Thema: Der Mörder ist immer der Gärtner.“

Conny merkte, wie ihr das Blut in den Kopf schoss.

„Also nicht immer Van Helsing?“

„Nein“, lachte Conny, „darauf sollten wir trinken. Prost!“









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