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Binnenschiff „TANNENBERG“ – Versorger zwischen Hamburg und Rendsburg

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Es war einmal bei „Max“ im „Heuerstall“ im früheren Hamburger Seemannshaus, von den Seeleuten das „Weiße Haus am Meer“ genannt, das heutige Hotel Hamburg.


Morgens so gegen 10 Uhr, saßen vier Leute im Warteraum, hofften auf ein neues Schiff, spielten Karten. Max, der Heuerbaas, rieft aus: „Ein Matrose für „MANGAN“ - Reederei Komrowski, weltweite Trampfahrt. Keine Miene wurde verzogen. Man schaute weiter in seine Karten. - Wollt ihr nicht? Hein stand auf, bewegte sich im Zeitlupentempo, um mit Max auf Augenhöhe zu kommen. „Da fahr man alleine. Never-come-back-Line und 2,80 Mark Proviantsatz.“ „Kuddel, du gibst! Weiter geht’s. Nach zweistündigem Vorlesen und Ausrufen von Schiffs- und Reedreinamen konnte Max zwei Leute vermitteln. Der Rest ging wieder dahin, woher er gekommen war, in den Silbersack zu Erna. So ging es in den 1960er Jahren zu im weißen Haus am Meer, und niemand ist auch nur auf die Idee gekommen, auf einem Binnenschiff zu fahren. Seeleute sahen die Binnenschiffer als Schreber unter den Fahrensleuten.

Das änderte sich bei mir selbst total, nachdem ich das Binnenschifferpatent A in Kiel in Empfang nehmen konnte. Es hat sich ergeben, dass ich nach meiner Seefahrtzeit über diverse Tätigkeiten im Hamburger Hafen zur Binnenschifffahrt gestoßen bin. Es eröffnete sich mir eine ganz andere Welt, in der man etwa nicht von einer Lademarke, sondern von Einsenkmarken spricht. Ein Binnenschiff, wie die TANNENBERG kann 1.040 to Ladung befördern und wird von einer Zwei-Mann-Besatzung gefahren.


– Liegeplatz der TANNENBERG an der Ölmühle in Hamburg –

Anfang der 1960er Jahre konnte ein Küstenmotorschiff von 499 BRT (Vermessungswunder) eben gerade einmal 750 to laden. – Diese Schiffe wurden allerdings mit einer Besatzung von 8 bis 11 Mann gefahren. Wer hier der Meinung ist, dass es sich ja um ein Zweiwachenschiff handelt mit jeweils sechs Stunden Wache, dem sei gesagt, dass ein Binnenschiff pro Tag 16 Sundenfahren darf, mit zwei Mann wohlgemerkt.

So etwas wie Festmacher sind in der Binnenschifffahrt völlig unbekannt. Man arbeitet mit Hakentau, Bootshaken und doppelter Bucht. – Beim Laden unter der Schütte wird laufend verholt, die Leinen durchgeholt und gefiert was das Zeug hält. Das gehört zum Binnenschifferalltag.

Einen Bootshaken hatte ich das letzte Mal beim Übungsmanöver „Mann über Bord“ in der Hand.

Kurzum, eines Wintermorgens stand ich in Harburg vor meinem neuen Arbeitsplatz, „TANNENBERG I“. Es war lausig kalt, und der Eigner ließ auf sich warten. Das Schiff war komplett vernagelt, also abgeschlossen, voll abgeladen, Freibord ca. 20 cm, im Ruderhaus eine Schiefertafel mit der Aufschrift: „Auf Abruf für NOK (Nord-Ostsee-Kanal)“.

Nach mehreren Telefonaten, trafen wir uns in einem spanischen Restaurant. Der Eigner, „Siggi“ erzählte kurz, dass es am kommenden Sonntag losgehen solle.


– Das Ruderhaus der TANNENBERG –

Man fährt grundsätzlich mit der Tide mit 650 Umdrehungen per Minute. Der Hauptmotor, 8 Zylinder Deutz, Baujahr 1964, noch verhältnismäßig jung, wenn man bedenkt, dass der Rumpf des Schiffes schon 100 Jahre auf dem Buckel hat. 750 Umdrehungen wäre Vollast, aber eine alte Oma läuft ja auch keine 10,0 mehr auf 100 m.

Das Einsatzgebiet des Schiffes war in den letzten Jahrzehnten die Unterelbe. Geladen wurde nahezu ausschließlich nur für einen Kunden, nämlich für die Vollkraft Rendsburg. Futtermittel-Mischwerk, überwiegend Sojaschrot unterschiedlicher Qualität. Man unterscheidet hier zwischen leichter und schwerer Ware. Ladestelle war meistens die Oelmühle Hamburg.

Wenn alles gut läuft, dauert so ein Ladevorgang drei bis vier Stunden.


Volle Ladung Soja – Unter der Schütte der Ölmühle in Hamburg. Man unterscheidet drei Qualitäten: schwere Ware, leichte Ware und Mische. Ein guter Schütter ist für die gleichmäßige Beladung zuständig. Eine zu weit aufgeklappte Schütte ergibt „Berge“, und die Luke lässt sich nicht mehr schließen. Spätestens dann muss von Hand getrimmt werden.


Für die Strecke Hamburg – Rendsburg im Kiel-Kanal benötigten wir zwölf Stunden, sechs Stunden für die Elbe bis Brunsbüttel.

Wenn es briest, fährt man durchs „Kartoffelloch“, scheint die Sonne, von roter Tonne zu roter Tonne. Die Steuerautomatik hilft. Das Schiff, ursprünglich in Holland für das Isselmeer gebaut, hat zwei Eigenschaften, über die normale Binnenschiffe nicht verfügen: eine hohe Back, dadurch ein gutes Seeverhalten. Es bestand die Erlaubnis, bis Windstärke 6 die Unterelbe zu befahren. Wer das Revier kennt, weiß, dass es auf der Unterelbe richtig pusten kann.

Passieren Leuchtfeuer Juelsand auf der falschen Seite, außerhalb des Fahrwassers, da es hier eisfrei ist.

Ballastschiff: Um Gewicht in das Schiff zu bringen, wurde der Laderaum durchgehend einen Meter geflutet.

TANNENBERG I verfügt über ausgezeichnete Flussradargeräte, passt eigentlich gar nicht zum „Liegenden Büssing-Lenkrad“ mit dem die Maschine umgesteuert wird. Das Schiff steuert gut. Die schon etwas ausgelatschte Rudermaschine gewährleistet nach einiger Konzentration einen guten Geradeauslauf.


– Auf dem Revier bei Regenwetter – Automatik-Steuerung und Handruder – Die Schalttafel auf der „optimalen Brücke“ – Eines von drei Radargeräten –

Der „Schipper“ kennt natürlich sein Schiff bis in die kleinste Schraube, und ich als Steuermann musste mich erst daran gewöhnen, dass aus dem Nichts das Ruderhaus durch Vibrationen um ein bis zwei Kettenglieder absackte. Wie auch immer, Aluminium-Rolldeckel, absenkbares Ruderhaus, als Halbtrimmer gebaut.

Das Schiff verfügt über reichlich Platz für die „Besatzung“ Davon kann nur jeder Seemann träumen Der Eigner wohnt achtern: komplette Wohnung. Zusätzlich noch eine Lotsenkammer. Vorne, ein Reich für mich, Wohnküche, Wohn-Schlafraum und Bad mit Waschmaschine etc. – für eine Person. In der Seefahrt undenkbar! Besonders auf den Kümos wohnte man noch zu zweit in einem Maggiwürfel.


– Wohnküche im Vorschiff –

– Passieren Leuchtfeuer an der Einfahrt alte Schleuse Brunsbüttel –


– Einfahrt in die vereiste Schleusenkammer –

Eine Stunde geht für Wartezeit und Schleusung drauf. Auch im Nord-Ostsee-Kanal geht’s nicht ohne Formulare und Kosten. Noch mal fünf Stunden dauert die Kanalfahrt bis Rendsburg.

Aus der Schleuse in den Kanal. Die Flagge N und Stander 2 werden gesetzt. Nun ist für alle ersichtlich: Wir sind Freifahrer, ohne Lotsen und Kanalsteurer. Die Gurte – als zusätzliche Sicherung – werden von den Luken genommen

Siggi, der Eigner, sehr sozial eingestellt, möchte am liebsten alles alleine machen, und es ist nicht immer ganz einfach zu begreifen, dass man in der Binnenschifffahrt auch einmal den Poller „linksrum“ belegt. Während meiner Seefahrtszeit hätte der „Scheich“ (Bootsmann) mich dafür geköpft!

So habe ich dazugelernt, und der Satz „Moses, spring an Land“ fiel mir bei jedem Festmachen wieder ein. Abenteuerliches Festmachen und Verholen gehört zur Tagesordnung.

Auch lernte ich während meiner Seefahrtszeit, wie man alleine eine Luke so zuziehen kann, ohne dass der „Alte“ aus der Koje fällt. Man schäkelt den Runner am letzten Deckel ein, und mit viel Gefühl hievt man mit der Winde die senkrecht stehenden Lukendeckel vorsichtig aus der Lukentasche. An Bord von TANNENBERG ist der Lukensüll Achterkante jedoch so hoch, dass Menschen kleinen Wuchses, wie ich, Mühe hatten, natürlich per Hand, die auf Rollen gelagerten Aludeckel überhaupt zu ziehen. Anfangs kam ich mir wie ein Schwächling vor. Siggi zeigte mir, wie so etwas – selbst mit zwei Bruchbändern – noch machbar ist!

Wie auch immer, irgendwie haben wir uns verstanden. Fehlende Kraft in meinen nunmehr schon 64-jährigen Armen, ersetzte ich durch meine Neigung zum Kochen. Während der „Seereise“ war ich für das leibliche Wohl an Bord verantwortlich. Auslaufend Schleuse, in den Kanal nach Rendsburg, entfernte ich die Sicherungsgurte der Lukendeckel und setzte die Kartoffeln auf.


– Heute soll es gefülltes Putensteak geben –

Wenn alles gut läuft, keine dicken Entgegenkommer vor uns sind und wir deshalb in den Weichen warten müssen, sind wir in sechs Stunden in Rendsburg im Kreishafen. Von Brunsbüttel bis Rendsburg sind es 62 km

Natürlich waren wir als Freifahrer unterwegs, hörten eifrig den Funkverkehr der Leitstelle und kamen unserm Zielhafen Rendsburg mit 12 Std./km langsam näher.

Die maximale Geschwindigkeit im Kiel-Kanal beträgt 15 Std./km, aber wir hatten es ja nicht eilig, und wie schon erwähnt, wurde der Hauptmotor mit Streicheleinheiten bei Laune gehalten.


– TANNENBERG an seinem Liegeplatz im Kreishafen –

Am Zielhafen angekommen, lud Siggi zum Abendbrot und zum Bier in das Brückenkaffee unterhalb der Rendsburger Hochbrücke mit Schwebefähre ein.

Das Ziel: Mischfutterwerk der Getreide AG Vollkraft am Kreishafen Rendsburg.

Luken auf. Die Ladung setzt sich während der Reise um mindestens 30 cm

Das Schiff wurde sich selbst überlassen, alles auf Landstrom oder Batterie umgestellt, wir waren ja auch in Sichtweite.

Der Löschbetrieb wurde vollständig vom Ladungsempfänger gemanaged.


Die Restladung im Raum wurde mit einem „Bobcat“ zusammen geschoben. Gelöscht wurde mit einem Greifer.

Die Löschanlage, Greifer und Trichter über Laufbänder war auch schon der Zeit etwas hinterher.

Je nach Art der Ladung, dauerte das Löschen der gesamten Ladung zwischen acht und zehn Stunden (Wenn das Band durchläuft und der Trichter nicht verstopft).

Der Kran schüttet den Greiferinhalt in einen Trichter. Unterhalb des Trichters befindet sich ein Laufband, das die Ware je nach Bedarf in das Lager oder direkt in die Produktion transportiert.

Die Ladungsreste wurden mit einem „Bobcat „zusammen geschoben. Anschließend wurde der Raum gefegt. Der leere, gereinigte Laderaum 2. Die Ladung trimmt sich selbst, und es gibt keinen Unterstau. Der Schiffsboden wurde komplett mit 10 mm Eisenplatten verschweißt. Zu früheren Zeiten waren Holzböden üblich, die jedoch ständig repariert werden mussten.

Ein weiter Nachteil der Holzböden war, dass sie nach Reinigung nass waren und endlos lange trocknen mussten. Dies verzögerte wiederum die Anschlussbeladung. Hier sehr schön zu sehen, der hohe Lukensüll unterhalb des Sülls abgekantet und zum Boden konisch zulaufend.


Hatten wir also morgens um 6 Uhr die Luken geöffnet, konnte man davon ausgehen, dass das Schiff am späten Nachmittag leer war. Manchmal war es so, dass zum Feierabend der Löschcrew noch drei „Schubkarren“ voll Ladung im Raum war, aber Feierabend ist Feierabend, und wir haben deshalb die nächste Nacht noch in Rendsburg verbracht. Am nächsten Morgen ging es dann weiter - 7.00 Uhr – 9,00 Uhr, - fertig. War dieses absehbar, wurde gerechnet, wann in Brunsbüttel die volle Flut läuft.

Es ist auch vorgekommen, dass Rückladung (Brotweizen) vom Kanal mit nach Hamburg genommen wurde. Ich freute mich mit dem Eigner, denn er hatte nun ja keine Ballastreise und somit noch etwas Geld für die schlechteren Monate im Jahr übrig.

Auf dem gleichen Revier Nord-Ostsee-Kanal, geht das Schiff erneut in Beladung. Brotweizen für Hamburg. Geladen wird in diesem Fall nicht aus einem Silo, sondern mit zwei Transportbändern. Der Brotweizen wird pausenlos mit Lastkraftwagen herangefahren, die die Ladung mit Hilfe einer Kippvorrichtung dosiert auf das Transportband schütten.

Trotz allem, das Ratenniveau in der Binnenschifffahrt ist ebenfalls am Boden, und wenn man für eine Tonne von Brunsbüttel nach Hamburg gerade einmal 2,80 € bekommt, bringt es einen kleinen Zugewinn, der in den Wintermonaten durch einen vielfachen Brennstoffverbrauch bei Eisgang wieder aufgefressen wird.

Beladung mit Brotweizen am Kiel-Kanal aus Lastkraftwagen über Transportband.


– Beladung mit Brotweizen aus dem Silo mit Rohrschütte –

TANNENBERG fährt mit Deckslast – Sojaschrot ist leichte Ware. Der geöffnete Laderaum 3 ist mit Plane, bzw. Persenning abgedeckt.

Überholvorgang durch „FLORENCE“ der Reederei A. F. Harmstorf & Co, Hamburg

Packeis beherrscht den Nord-Ostsee-Kanal.

Auffällig ist, dass alle Binnenschiffe, die in diesem Revier unterwegs sind, grundsätzlich alt sind. Auch wenn im Fall TANNENBERG stets erneuert, pausenlos repariert und investiert wird, bleibt es immer ein altes Schiff. Alt ist ja nicht schlecht, nur, wer will in Zukunft so einen Job machen, der so viel Einsatz und persönliches Engagement erfordert?

„Siggi“ wir werden wieder zusammen fahren und ich wünsche uns einwenig Glück mit deiner TANNENBERG.


Die Schleusenkammer ist erreicht und Siggi schaut nach, ob die Hauptmaschine noch da ist, für mich das Signal zur Ausklarierung in der Meldestelle an Land. Raus aus der Schleuse und elbaufwärts nach Hamburg

Der Nord-Ostsee-Kanal – Zahlen und Fakten:

Erbaut: 1887 – 1895 als Kaiser Wilhelm Kanal

Eröffnung: 21.06.1895 durch Kaiser Wilhelm ll

Erweiterung: 1907 – 1914 + Ausbau bis heute

Länge: 98,6 km

Wassertiefe: 11 m

Einteilung in 6 Verkehrsstufen

Verkehrsstufe 6 : Höchste Verkehrsgruppe, Schiffe mit einem Tiefgang bis 9,50 m

Geschwindigkeitsbeschränkungen: 12 Std/km für Verkehrsgruppe 6

Alle anderen: 15 Std/km max.

Lotsenpflicht: ab Verkehrsgruppe 2

Kanalsteurer (siehe Band 40): ab 2.500 BRT und 15 m Breite

Freifahrer und Sportboote: Durchfahrterlaubnis nur bei Tageslicht

Schleusenkammern: je 4 in Brunsbüttel und Kiel, zusätzliche Kammer in Planung

Schleusenzeiten: ca. 40 Minuten

Meistbefahrene, künstliche Wasserstraße der Welt

Begegnungen von Schiffen der Verkehrsgruppen 5 und 6 nur in Weichen

Die Verkehrslenkung erfolgt über Lichtsignale an den Weichen-Ein- und Ausfahrten

Per Revierfunk wird der Schifffahrt halbstündlich ein Verkehrslagebericht über Schiffsbewegungen im Kanal übermittelt.

Freifahrer: Buchstabe N und Stander 2


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