Читать книгу Goner's Girl - Jules Lux - Страница 5
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ОглавлениеWir haben heute wieder Wetter, Wetter, Wetter. (Die Wochenshow)
Es gibt Tage, an denen nichts funktioniert. Alles geht schief. Wo man auch rumhört, überall nur Unglücke, Schweiß und Tränen. Ich habe mir einen kleinen Kreis von Freunden herangezogen, mit dem ich regelmäßig telefoniere. Zum Beispiel dienstags. Der Dienstag ist ein Tag, an dem immer viele schreckliche, unschöne Dinge passieren. Die Leute sind fertig. Sie sind gestresst, bekommen die Rechnungen vom Montag, stolpern, haben Ärger mit der Bank, mit den Kollegen undsoweiter. Studenten stürzen sich aus den Fenstern der Studentenheime, Mitten-im-Leben- Stehende springen von Parkdecks, Rentner kippen sich in die Gleisanlagen. Je genauer man hinsieht und herumhört, desto furchtbarer sind die Hiobsbotschaften. Der Dienstag ist der schlimmste Tag der Woche. Ich telefoniere.
Bei Manfred hat sich der Teufel seit Wochen eingerichtet. Frau weg, Kind noch da, Steuernachzahlung fällig. Fünfundzwanzig Minuten erzählt er mir von seinen Ängsten und Problemen. Dem Abwasch, der kaum zu bewältigen ist, der Philosophie, dass doch eigentlich nur die Liebe zählt. Ich nicke und sage alle zwanzig Sekunden: „Ja, natürlich, du hast ja recht.“ Dann das mit seiner Frau. „Wir haben uns nur verletzt. Erst ich sie, dann hat sie mich zurück verletzt.“ Manfred beschreibt den täglichen Psychokram als ein blutiges Duell. Verletzt. Zurück verletzt. Verletzt. Wieder zurück verletzt. Dann ist er zur Freundin seiner Frau gegangen, um sich auszuheulen. Ja, sicher, das mögen die Frauen nicht. Was soll er denn nur machen? Wie wird er mit dem ganzen Zeug fertig? Es könnte schon sein, dass sie gerade jetzt durchklingeln will, gebe ich zu bedenken.
„Meinst du wirklich?“
„Ja, klar. Jede Minute, die wir länger sprechen...“
Kurz nachdem ich aufgelegt habe, ist Meike am Apparat.
„Hallo Peter. Wie geht’s?“
„Danke, alles okay.“
Dann geht es los. Meike wird in der Firma gemoppt und bricht in Tränen aus. Was für eine Vorstellung. Sie wimmert, schluckt und prustet, dass es mir fast den Hörer aus der Hand schlägt. Was für ein Unwetter. Da ist die ältere Kollegin, die sie mit dem Arsch nicht anguckt, der Chef, der sie zu Überstunden zwingt und immer „Mädchen, Mädchen“ sagt, die Herren, die mit Zoten den Tag beginnen und ihr gerne den Arbeitsplatz - vor allem die gigantische Schlumpfsammlung auf dem Monitor - durcheinander bringen. Freunde findet Meike auch nicht. Sie meint, es läge am Beruf. Sie ist Junior Sales Managerin.
„Beim Beruf kommt es immer zum Stocken. Ich sage, dass ich Konzepte erarbeite und so. Fertig. Der Typ findet dann einfach keinen Anknüpfungspunkt. Konzepte, fragt er nach. Ja, Konzepte, brülle ich ihn an und versuche eine schicke Definition dessen, was ich den ganzen Tag hinter meinem Schreibtisch tue. Schreibtisch? Ja, Schreibtisch. Businesspläne am Computer, wissen Sie? Businesspläne? Ja, Businesspläne. Das war’s dann. Finito. Oh, verdammte Scheiße. Was soll ich nur machen? Auch Mami kann es nicht verstehen. Weißt du, wie bitter das ist? Deine eigene Mutter denkt, dass du hinter einem Schreibtisch die Fingernägel polierst und die Zeit totschlägt. Dabei sitzt du elf Stunden und entwirfst Businesspläne. Businesspläne? Kindchen, wann bist du denn mit dem Studium fertig und startest ins Berufsleben? Ich bin im Berufsleben! Ja, ja, sicher, aber wann arbeitest du denn richtig? Für Mami bin ich praktisch arbeitslos.“
Nach einer Dreiviertelstunde ist Meike fertig, gluckst einmal tapfer und legt auf. Meine Bad-News-Agency läuft prächtig. Vorige Woche hatte ich noch Meikes Freundin Katja am Apparat. Drei Stunden hat sie mir ihre Probleme erzählt. Ein Epos, das verfilmt werden sollte. Ich wollte ihr zur Kündigung raten, aber das würde Katja am Vormittag niemals akzeptieren. Katja am Abend findet ihr Leben selbstverständlich Scheiße, träumt vom starken Macker aus ihrer früheren Schule und sehnt sich nach der großen Liebe. Sie redet wie ein Teenager. Doch am nächsten Morgen ist aus Katja am Abend das Monster Katja am Vormittag geworden, das unbedingt viel Geld verdienen will und sich auf Konferenzen so konservativ gibt, dass man kotzen könnte.
Ich gehe zum Fenster und sehe auf die Straße. Es regnet in Strömen. Schon seit Wochen regnet es. Das Wasser drückt auf die Stimmung. Wer nicht traurig vor sich hin starrt, kämpft mit großen Wasserflecken an der Decke oder plötzlichen Überschwemmungen im Keller. Wer heiß baden will, dem haut es zum Dank die Sicherung vom Durchlauferhitzer raus. Vor der Haustür geht das Drama weiter. Noch Stunden nach den Schauern fallen von den Bäumen dicke Tropfen. Kein Wunder, wenn die Menschen durchdrehen. Hat denn niemand dem lieben Gott erzählt, dass seine in aller Eile zusammengebastelten Geschöpfe Sonne brauchen? Sie brauchen Sonne, 20 Grad und etwas Wind. Doch es schifft wie aus Kübeln. Alle sitzen zu Hause, gepeinigt von Ängsten und Problemen. Die einen sitzen im Trainingsanzug auf ihren zehn Jahre alten Umzugskisten, die anderen kämpfen mit Schimmelsprays um das letzte Stück Würde beim Wohnen. Wie lange soll das noch so gehen? Bald werden die ersten verrückt werden. Die, die Arbeit haben, trösten sich mit ihren Kontoständen und dem TUI-Katalog. Aber was ist mit den anderen? Werden sie durchhalten können? Hat das Fernsehen genug Kraft, um ihre Wut im Zaum zu halten? Man müsste etwas ändern. Irgendwas. Ich denke an den vergangenen Montag im Supermarkt. Nachdem ich eine Buttermilch und einen linksdrehenden Joghurt einfach auf den Boden geklatscht hatte, stieg in mir der Hass hoch. Der Hass auf diese blöde, nur mit dem Einkaufen beschäftigte Gesellschaft. Zur Strafe packte ich die toten Milchprodukte zurück in das Kühlregal und machte mich nur mit einer Dose Cola unterm Arm auf den Weg nach Hause. Mit grimmiger Miene bestieg ich die U-Bahn und sah plötzlich klar. Es musste etwas passieren. Es fehlte jemand, der die anderen erlöste. Jetzt. Auf der Stelle.
Ich mache zweimal fünfzehn Liegestütze und gehe zurück zum Fenster. Auf der Straße sehe ich einen alten Mann, der erschöpft stehen bleibt und nach Luft ringt. Seinen Jutebeutel hat er um einen Pfahl gewickelt. Er schnaubt und sieht dabei auf den Boden. Es ist doch unglaublich, wie sehr die Leute leiden müssen. Es kann einen ganz fertig machen. Was soll das alles? Als der völlig durchnässte Opa nach sechs Minuten weiter marschiert, wende ich mich ab und schlurfe zurück in die Tiefe der Wohnung. Ich gehe zum Kühlschrank und mixe mir einen Drink. Warum sollte man nicht feiern, dass der alte Mann weiterläuft. Ist das etwa kein Grund, sich einen zu genehmigen? Auf dich, alter Mann, denn du gehst auch ohne Aktentasche noch vor die Tür und trotzt allen Stürmen.
Draußen wird es dunkel. Ich mache kein Licht, sondern bleibe auf meinem Stuhl sitzen, bis ich nichts mehr sehen kann. Ich streike. Weder die Stadtwerke noch der liebe Gott sollen Freude an meinem Stromverbrauch haben. Heute Nacht bleiben die Fenster dunkel. Von oben wird man ein Licht weniger sehen. Es wird nichts ausmachen, aber vielleicht schließen sich ja bald die ersten Leute zusammen, um Punkt acht ins Bett zu gehen und ihre Wohnungen dunkel zu lassen. Vielleicht wird der Schöpfer dann ins Grübeln kommen. Wo sind all die hübschen Lichtlein geblieben? Wo sind die lustigen Fernsehabende und nächtlichen Diskussionsrunden? Muss er jetzt alles neu arrangieren? Vielleicht lässt sich einer seiner Stellvertreter mal zu mir durchstellen und fragt nach dem Warum. Dann werde ich ihn aufklären. Schuld ist dieser verdammte Dienstag mit seinem abartigen Regen.