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Kapitel 2

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Das Reich der Schneeelfen war atemberaubend. Es gab kein anderes Wort dafür – um ehrlich zu sein, könnte ich nicht einmal die Worte finden, die dem Anblick, der sich vor meinen Augen auftat, gerecht werden konnte.

Auf dem Weg hatten Solas und ich die ganze Zeit über geschwiegen. Schon bald hatten wir sowieso Tair und die anderen eingeholt, was es unmöglich machte, uns zu unterhalten. Außerdem war die Strecke, die wir zurück zu legen hatten, um hierher zu gelangen, nicht sehr lange.

Wir befanden uns schon weit oben auf dem Berg, als ein riesiges, filigran geformtes Tor vor uns auftauchte. Links und rechts flankiert von eisigen Mauern; sie waren nicht menschengemacht, sondern vollkommen natürlich – selbst wenn ich mir beim besten Willen nicht erklären konnte, wie so etwas zustande kommen konnte.

Über den Mauern sah ich eine prachtvolle, gigantische eisige Burg – zumindest schien sie aus Eis. Allerdings sah sie so klar und rein und weiß aus, dass ich mich erneut fragte, ob Elfen eigentlich zaubern konnten. Anders konnte ich mir all das hier nicht erklären.

Alles hier schien aus dem merkwürdigen, elfischen Eis geformt zu sein; filigrane Äste und Blätter – das zumindest schien das Vorbild zu sein – aus Schnee und Eis ragten in die Höhe und durchliefen das gigantische Reich, das von dicken, eisigen Mauern eingefasst wurde.

Ich merkte, wie Solas‘ Blick auf mir lag; vermutlich wollte er meine Reaktion einschätzen. Ich konnte nicht anders, als zu starren, auf das was vor uns lag. Es war so wunderschön und rein - und gleichzeitig so kalt. Beinahe kam es mir so vor, als hätte Lilíth ein Stück ihrer Heimat im Wald als Vorbild hierher bringen wollen; gleichzeitig repräsentierte die Kälte dieses Ortes ihren Verlust und ihren Zorn so deutlich, dass ich erschauderte.

Tair redete leise mit den Wachen; und schließlich wurde das gigantische Tor für uns geöffnet.

Wir ritten hindurch; Solas und ich als letzte.

Sobald wir durch das Tor waren, hörte ich, wie es hinter uns wieder geschlossen wurde. Allerdings wandte ich mich nicht mehr um; ich war vollkommen gefangen von dem, was sich vor mir bot.

Eisige gigantische Bauten erhoben sich vor uns; ich konnte es nicht einmal als Häuser beschreiben, dafür waren sie viel zu elegant und filigran geformt. Sie schienen alle aus Eis und Schnee zu sein; doch nun glaubte ich nicht mehr, dass sie hundert Prozent natürlich waren.

Denn sobald wir durch das Tor gekommen waren, bemerkte ich, wie die Kälte schwand. Die Temperatur hier war angenehm warm, immer noch frisch, aber ungefähr so, als wäre ich im Wald.

Vermutlich gab es Elfenzauber wirklich.

Und er war einfach nur cool.

Während wir die eisigen Wege zu dem Schloss entlang ritten, wusste ich nicht, wohin ich meinen Kopf drehen sollte. Meine Augen schweiften über die prachtvollen Säulen des Schlosses, die filigranen Verzierungen. Dann weiter zu den wunderschönen, elegant gekleideten Elfen, die vereinzelt hier herumliefen, immer eine Waffe dabei. Sie warfen uns neugierige Blicke zu; sie selbst waren blass und wunderschön; ihr Haar wie Sternenlicht.

Das Reich war riesig; wohin ich auch blickte, ich konnte kein Ende sehen. Es war nicht nur eine Stadt, es war eine ganze Provinz. Ein Königreich.

Und ich war drauf und dran, der Königin zu begegnen.

Auf einmal breitete sich ein mulmiges Gefühl in meinem Magen aus. Ich wünschte mir, Solas und ich hätten die Chance gehabt, miteinander zu reden, bevor wir seiner Mutter begegneten. Dann wüsste ich wenigstens, woran ich bei ihm war.

Wir waren nun am Palast angekommen. Tair wies uns an, von den Pferden abzusteigen. Solas sprang elegant von seinem; dann kam er zu mir und half mir, abzusteigen. Ich war ihm dankbar dafür, denn ich wollte mich vor den anderen ehrlich gesagt nicht blamieren.

Und sie hielten es vermutlich nur für eine nette Geste. Sie dachten sicher nicht, dass ich tatsächlich auf meinen Po fallen könnte, hätte der Elf mir nicht geholfen.

„Lilíth erwartet euch“, sagte Tair zu uns. Er wies uns an, die Treppe hinaufzusteigen.

Ich merkte, wie ich nervös wurde, als ich Solas nach oben folgte. Auch die Stufen schienen aus dem Eis geformt zu sein, doch sie waren weder glatt oder rutschig. Hm, vielleicht konnte ich Solas ja mal danach fragen. Oder war das zu verdächtig?

So oder so hatte ich im Moment keine Zeit – geschweige denn die Nerven – mir darüber Gedanken zu machen. Denn wir standen nun vor dem riesigen Tor, das in das Schloss führte.

Und zu Solas‘ Mum.

Konnte ich sie schon als Schwiegermutter betiteln?

Lass den Unsinn, dachte ich ärgerlich. Immerhin war es immer noch gefährlich hier. Wenn ich an Tair und Solas‘ verblüffte Blicke dachte… Schließlich musste ich mich dafür nachher sicherlich noch vor Solas verantworten.

Ich holte innerlich tief Luft, als die gigantischen Tore geöffnet wurden. Mach dir nicht ins Hemd, sagte ich mir. „Sei einfach so, wie du normalerweise nie bist – höflich und nicht zu gesprächig“, würde Caro jetzt sagen.

Und sie würde Recht haben.

Das Tor vor uns wurde geöffnet. Tair verneigte sich, dann drehte er sich um und lief die Treppen hinab – am liebsten wäre ich ihm gefolgt. Allerdings zwang ich mich, nicht sehnsüchtig den Kopf zu wenden, sondern auf das zu blicken, was vor mir lag.

Ich erhaschte einen Blick in einen gigantischen Saal. Kurz fragte ich mich, ob Lilìth wohl auf einem Thron sitzen würde. Dann folgte ich Solas hinein.

Mit einem lauten Geräusch schloss sich das Tor hinter uns. Mein Herzschlag beschleunigte sich. Irgendwie fühlte ich mich unsicher hier. Alles war so gigantisch und prächtig und kalt – ich kam mir klein und unbedeutend vor.

Unsere Schritte hallten laut in dem Thronsaal wider. Kurz blickte ich nach links und rechts auf die gigantischen Säulen, die wunderschöne Verzierungen aufwiesen. Dann wanderte mein Blick nach vorne.

Sie saß auf keinem Thron – das war das erste, was mir auffiel. Stattdessen stand sie gerade und hoch aufgerichtet dort, die Hände locker verschränkt, und blickte uns entgegen.

Sie sah ihm ähnlich – das war mein zweiter Eindruck. Dieselben wunderschönen, ebenmäßigen Gesichtszüge. Dieselben geschwungenen Lippen. Dieselben dunkelblauen, wunderschönen Augen, deren eindringlicher Blick nun auf mich fiel.

Etwas blitzte in ihnen auf.

Es war nur für den Bruchteil einer Sekunde zu sehen, doch es reichte, um mich vollkommen aus der Bahn zu bringen. Ich hatte nicht erkennen können, was es war, doch es schien beinahe… als hätte sie mich schon einmal gesehen?

Unmöglich.

Nun war ich so nervös, dass ich mir nicht einmal darüber Gedanken machen konnte – was im Nachhinein betrachtet vermutlich besser gewesen wäre.

Plötzlich wünschte ich mir, sie säße auf einem Thron. Dann hätte ich sie wenigstens als arrogante Monarchin abstempeln können. So war sie einfach eine wunderschöne Elfenkönigin.

Die zufällig die Mutter meines Gefährten war.

Weggefährten natürlich.

Solas blieb wenige Meter vor ihr stehen; stolpernd tat ich es ihm gleich.

Eine Weile musterten sich die beiden; wie lange hatten sie sich wohl nicht mehr gesehen? Ich fragte mich, warum sie sich nicht umarmten, in Tränen ausbrachen oder so. Vermutlich hatten sie sich schon Jahrzehnte nicht mehr gesehen – ich wollte mir gar nicht vorstellen, was meine Mum tun würde, wenn sie so lange von mir getrennt sein müsste.

Solas war der Erste, der sich äußerte. „Lilíth.“

„Solas“, erwiderte sie. „Du hast dich verändert.“

„Du hingegen überhaupt nicht“, sagte er und lächelte leicht, was das Eis ein wenig brach. Dann deutete er auf mich. „Das ist Rose, meine… Weggefährtin. Sie war mit mir oben im Norden.“

Ihr Blick schweifte kurz zu mir. Wieder sah ich dieses seltsame Aufblitzen, dann nickte sie mir allerdings freundlich zu. „Rose.“

Da ich nicht wusste, was ich sagen sollte, nickte ich ebenfalls nur leicht.

Außerdem hatte sie ihren Blick schon wieder von mir abgewendet, für den Moment schien sie mich nicht interessant zu finden. Was mir nur Recht war.

„Du warst also im Norden?“, sagte sie. „Hast du die Quelle des Unheils gefunden?“

Er nickte. Kurz warf er mir einen Blick zu. „Ja – und nein. Die gigantischen Wölfe, von denen dir sicherlich berichtet wurde, wurden von einer Höhle aus gesteuert. Uns gelang es, die Quelle in der Höhle zu zerstören. Allerdings… wissen wir nicht genau, was die Quelle war.“

Sie sah leicht irritiert aus. Ich könnte schwören, ihr Blick zuckte wieder zu mir.

„Die Quelle des Unheils“, wiederholte sie. „Ihr wisst nicht, was sie war? Woher weißt du dann, dass ihr sie zerstört habt?“

Sah sie schon wieder zu mir? Oder war ich nun paranoid?

Solas sah leicht verwirrt aus. „Die Wölfe sind tot“, sagte er. „Alle. Und auch die anderen Kreaturen, denen wir auf dem Weg begegnet sind.“

„Die Wölfe sind tot“, wiederholte sie. „Doch woher weißt du, dass nicht neue Kreaturen in diese Welt gelangen?“

„Dessen kann ich mir nicht sicher sein“, sagte Solas. „Deshalb sind wir hier. Um dich um Rat zu fragen – weißt du, woher diese Kreaturen kommen?“ Er schwieg kurz. „Ich dachte, wir würden etwas im Norden finden, ein Zeichen, einen Hinweis, doch dort war nichts.“

Lilìth löste sich von ihrer steifen Position und wanderte ein wenig im Saal umher.

„Die Quelle“, sagte sie schließlich wieder. „Du suchst nach der Quelle des Unheils, nicht wahr? Nach dem Portal, das das Böse in diese Welt gebracht hat? Dieses Mal manifestiert in der Form des Wolfes.“ Sie hielt kurz inne und plötzlich war ich mir absolut sicher, dass ihr Blick mich festhielt. „Vor wenigen Jahrzehnten in Form einer einfachen Frau.“

Und dann begriff ich es.

Melody. Sie sprach von Melody.

Sie wusste, wer ich war. Sie wusste, was ich war.

Panik kam in mir auf. Nein! Verdammt, verdammt, sie hatte es schon gewusst, seit ich in diesen Saal getreten war! Ich merkte, wie das Blut in meinen Adern gefror. Was machte ich nun? Sie würde es Solas sagen; sicherlich würde sie es ihm sagen.

Schon jetzt sah ich, wie auch ihm auffiel, dass sie mich ansah, während sie sprach. Sein Blick war verwirrt.

Musste ich dann zurück? Solas würde mich hassen. Ich würde vielleicht zurückmüssen, wo sie mich anblaffen würden, dass ich mich verraten hatte. Hieß das, sie würden es danach irgendwie verhindern, dass ich hierher kam? Ich wusste jetzt, dass ich es selbst kontrollieren konnte, wann ich hierher kam; das bedeutete nicht, dass sie nicht irgendwelche Wege besaßen, mich von hier fernzuhalten. Meine Gedanken überschlugen sich; fieberhaft suchte ich nach einem Plan, etwas, das ich sagen oder tun konnte, damit Lilìth mein Geheimnis nicht preisgab.

„Wovon sprichst du?“, durchbrach Solas‘ Stimme schließlich die Stille. Sein Blick huschte zwischen mir und ihr hin- und her. Er schien absolut nichts zu verstehen.

Jetzt noch.

„Melody.“

Der Name stach durch mich wie ein Schwert. Ich öffnete den Mund; wollte ihr zuvorkommen, wollte etwas sagen, etwas lügen. Doch mein Gehirn funktionierte nicht mehr. Also stand ich nur da und starrte sie an. Das Einzige, was jetzt noch helfen konnte, war das Flehen, das sie sicherlich in meinen Augen sah.

„Du meinst die Frau, die Vater -“ Solas brach ab. Seine Stimme klang leicht zornig.

„Du suchst die Quelle, Solas“, sagte sie wieder. Nun richtete sie ihren Blick wieder auf ihn.

Erleichtert entspannte ich mich.

Dann bohrten sich ihre nächsten Worte wie ein Messer in mich. „Dabei bist du die ganze Zeit mit ihr unterwegs.“

Stille.

Es war, als würde sich mein ganzer Körper langsam mit einer Eisschicht überziehen. Mir wurde kalt. Ich wollte etwas sagen; dass sie log; mich verteidigen. Stattdessen starrte ich sie nur an.

Aus dem Augenwinkel merkte ich, wie Solas begriff. Sein Blick wanderte von seiner Mutter zu mir. Er starrte mich an. „Wie bitte?“ Er klang vollkommen verblüfft.

Ich wollte den Blick drehen, doch ich traute mich nicht, ihn anzusehen.

„Das stimmt nicht“, hörte ich mich schließlich flüstern.

Lilíth‘ Blick bohrte sich in mich hinein. „Ihr seid also nicht Melodys Schwester?“

„Doch, aber -“

„Und Ihr habt nicht die Mission bekommen, die Elfen zu töten?“

„Doch, aber -“

„Ihr kommt nicht aus einer anderen Welt?“

„Doch, aber -“

„Ihr habt nicht den Auftrag bekommen, meinen Sohn in den Norden zu bringen, damit er dort ermordet werden kann; weil Eure Schwester nach Rache aus ist?“

Woher wusste sie das alles?!

„Doch, aber -“

Wie bitte?“ Solas klang nun erschüttert. Fassungslos blickte er zwischen mir und seiner Mutter hin und her. „Was ist hier los?“ Seine Stimme klang scharf.

Schließlich blieb sein Blick auf mir haften; ungläubig. „Rose.“ Ich hörte ihm an, dass er sich wünschte, ich würde ihm sagen, dass es nicht stimmte.

Darüber hätte ich mich freuen sollen.

Doch ich tat es nicht. Stattdessen starrte ich ihn nur an. „Es tut mir leid“, flüsterte ich nur.

Er schien noch immer nicht zu verstehen. „Du bist Melodys Schwester? Du kommst aus einer anderen Welt?“

„Und sie ist die Quelle, die das Unheil hierher bringt“, fügte Lilíth hinzu.

Super, danke.

„Das stimmt nicht -“, versuchte ich zu sagen, aber keiner der beiden wollte mich zu Wort kommen lassen.

„Sie senden von der anderen Welt ihre Kreaturen hier herein, und durch sie und ihre Schwester haben sie Zugang bekommen!“ Lilíth‘ Stimme klang aufgebracht. „Weil ihre Schwester Rache wollte, wurde sie geschickt, um dich zu töten und vermutlich alle anderen Elfen auch.“

Solas starrte mich an. Er schien es nicht begreifen zu können.

Da waren wir schon zu zweit.

Vor wenigen Stunden hatten wir uns noch geküsst, unter den Polarlichtern. Nun würde er mich hassen; ich würde ihn anwidern; ich, der Freak.

Und das Schlimmste war: Ich konnte es ihm nicht einmal verdenken. Ich hatte ihn angelogen. Die ganze Zeit über.

„Du sprichst unsere Sprache nicht“, sagte er langsam. Ich konnte buchstäblich sehen, wie sich die Puzzleteile in seinem Kopf zu einem Bild zusammenfügten. „Du weißt nichts über diese Welt. Du… du hast mich die ganze Zeit angelogen.“ Noch immer klang er fassungslos, und ein wenig verletzt. Ich war mir sicher, dies würde bald in Zorn umschlagen.

„Solas, bitte hör mir zu -“, flehte ich. Ich musste ihm erklären – irgendetwas! Vermutlich war es zu viel zu verlangen, dass er mir verzieh, doch Lilíth hatte es ganz falsch dargestellt. Immerhin hatte ich ihm die ganze Zeit über versucht, das Leben zu retten! Ich hatte versucht, ihm zu helfen – und ich hatte die Quelle zerstört!

Und trotzdem hatte ich ihn die ganze Zeit angelogen.

Ich spürte, wie sich ein Kloß in meiner Kehle bildete. Allerdings durfte ich nun nicht heulend vor ihnen zusammen brechen. Das würde mir auch nicht helfen.

Plötzlich fuhr etwas durch mich hindurch: Was, wenn sie mich nun zurückholen würden? Nein, nein, nein! Ich musste wenigstens noch die Gelegenheit bekommen, ihm ein wenig von der Wahrheit zu erzählen – das war ich ihm schuldig. Selbst, wenn ich dafür wieder Drohungen von ihnen bekam. Ich musste es ihm erzählen – und jetzt wusste er es ja sowieso.

„Sagt mir, befindet sich Eure Schwester dieser Tage auch hier?“, sagte Lilíth plötzlich. Ihre Augen schienen nun beinahe schwarz.

Ich schüttelte den Kopf. „Nein, sie -“

„Du wusstest es“, fiel Solas mir ins Wort. Er sprach langsam, als müsse er gleichzeitig noch alles, was er wusste, zusammensetzen. „Du wusstest, dass mein Vater tot ist. Du wusstest, was wir im Norden suchen. Du wusstest von Anfang an, dass du mich in meinen Tod leiten würdest.“

„Solas, du hättest niemals -“, fing Lilíth nun wieder an.

Mein Geduldsfaden riss. Würden sie mich vielleicht auch einmal zu Wort kommen lassen?

All mein Frust kam aus mir heraus. „So war es überhaupt nicht!“, schrie ich. Meine Stimme hallte so sehr von den Wänden wider, dass ich kurz befürchtete, das Schloss würde nun einstürzen. Für einen Moment hoffte ich es sogar.

Wenigstens hatte ich nun ihre ungeteilte Aufmerksamkeit; zwar starrten sie mich beide an, als sei ich eine irre Lügnerin – wie Melody -, doch immerhin hörten sie mir zu.

„Ja, ich hab die Mission gekriegt. Ja, ich wusste all das. Aber hast du dich vielleicht mal gefragt, warum du noch am Leben bist?“ Ich sprach nun direkt zu Solas. Ich bemühte mich, meine Stimme einigermaßen ruhig zu halten oder es wenigstens zu schaffen, dass sie vor Wut nicht zitterte. „Von dem Moment an, da ich von der Mission erfahren hatte, habe ich versucht, dir das Leben zu retten. Ja, ich bin mit in den Norden in dem Wissen – aber wäre ich nicht mit, hätten sie mich nie wieder zurückgelassen und hätten dich trotzdem umgebracht! Und dann hätte ich keinen Einfluss mehr darauf gehabt. Und immerhin hab ich dir in den Ruinen das Leben gerettet – weißt du eigentlich, was ich dafür ertragen musste?

Und nur fürs Protokoll: Ich hab die verdammte Quelle im Norden zerstört, weshalb die Wölfe alle tot umgekippt sind!“, blaffte ich nun Lilíth an. „Und meine Schwester hab ich schon seit Jahren nicht mehr gesehen, seit sie an unserer Türe aufgetaucht ist. Ich wusste bis vor ein paar Wochen überhaupt nichts von der ganzen Sache!

Und die Mission, Solas zu töten, war nur von ihr ausgeheckt und nicht von der ganzen… Organisation, die all das verantwortet. Das heißt, Melody hat mich die ganze Zeit über verarscht und nun ist sie verschwunden, aber kann ich etwas dafür, dass sie eine wahnsinnige Irre ist, die zu viel Macht ausübt?

Ich hab die ganze Zeit über nur versucht, dir den Arsch zu retten!“ Die letzten Worte schrie ich Solas ins Gesicht.

Nun sah er vollkommen verdattert aus.

Ich merkte, wie ich meine Gefühle nicht mehr länger kontrollieren konnte; mit einem Ruck drehte ich mich um und stürmte aus dem Saal.

Ich war überrascht, dass mich keiner von ihnen zurückhielt – bis ich das Tor erreicht hatte, hätten sie genug Zeit gehabt -, doch vermutlich hatte ich sie beide überrumpelt.

Wenigstens darüber konnte ich zufrieden sein.

Während ich die Treppen hinunterstürmte, wartete ich die ganze Zeit darauf, dass der Schwindel einsetzte. Nichts passierte. Vielleicht schliefen die in Norwegen gerade. Hoffentlich.

Auch wenn ich jetzt ein Gespräch mit Caro gut vertragen könnte… - ich konnte es nicht riskieren, jetzt hier weg zu gehen – vielleicht hatte Helen dieselben Gedanken und deshalb ließ sie mich hier.

Ich hatte keine Ahnung, wohin ich rannte. Zwischen Häusern hindurch, irgendwohin, wo ich alleine sein konnte. Ich presste meine Lippen so fest zusammen, dass es schmerzte; nur um die Tränen zurückzuhalten.

Meine Gedanken überschlugen sich. Die ganze Zeit über sah ich Solas‘ fassungslosen, verletzten Blick vor mir. Am liebsten hätte ich mich auf den Boden gesetzt und einen lauten, schmerzerfüllten Schrei ausgestoßen.

Und dann Lilíth – bildete sie sich ein, alles zu wissen? Sie hatte mich verurteilt von dem Moment an, als ich in den Saal getreten war. Sie hatte mir nicht einmal eine Chance gegeben.

Wir unterhalten uns, sobald wir mit Lilíth geredet haben, hörte ich wieder Solas‘ Stimme. Ich war mir nicht einmal sicher, ob er überhaupt je wieder mit mir reden würde.

Schließlich hatte ich einen kleinen Unterschlupf gefunden; eine Nische direkt an der gigantischen Mauer. Ich ließ mich dort nieder; meine Tränen mit aller Macht zurückhaltend. Stattdessen schnappte ich nach Luft wie ein Ertrinkender. Ich hatte das Gefühl, nicht mehr atmen zu können; mich gleich übergeben zu müssen.

Als wäre mein Gefühlschaos nicht schon genug gewesen. Nein, jetzt musste auch noch das Schlimmste passieren, was ich immer befürchtet hatte: Solas hatte die Wahrheit erfahren. Von jemand anderem. Er wusste, dass ich ihn die ganze Zeit über angelogen hatte.

Ich hasste Melody. Ich verfluchte Lilíth. Aber am Meisten fühlte ich mich schuldig. Doch selbst zurückblickend hatte ich keine Ahnung, was ich anders hätte machen können. Hätte ich ihm vorhin die Wahrheit sagen sollen? Doch was hätten Helen und die anderen wohl gemacht?

Hätte das die Dinge überhaupt gebessert? Nun, dann hätte er es wenigstens von mir gehört – doch ob ihn das beruhigt hätte, wusste ich nicht.

Dummerweise musste ich wieder daran denken, wie er mich unter den Polarlichtern geküsst hatte. Dann, wie er zurückgetreten war.

„Das ist jetzt überhaupt nicht das Problem!“, hörte ich Caro ärgerlich in meinem Kopf. „Verdammt, dein verletztes Ego ist nun nicht das Thema, über das du nachdenken solltest. Überleg dir irgendwas und schwing deinen Arsch in den Palast zurück, bevor seine Mutter ihm noch mehr Lügen über dich eintrichtert.“

Allerdings war das gar nicht notwendig; im nächsten Moment hörte ich plötzlich Schritte.

Ich zog meine Nase hoch und fuhr mir hastig durch die Haare, die sicherlich in alle Richtungen standen. Die Schritte kamen nämlich ganz klar in meine Richtung.

Mein Herz blieb beinahe stehen, als Solas plötzlich um die Ecke kam. Nun war sein Blick zornig, und ich zuckte innerlich zusammen. Sein Zorn war eindrucksvoll; nicht so wie meiner.

Gleichzeitig war da immer noch dieses Verletzliche in seinem Blick, das ich vorhin dort noch nie gesehen hatte. Und die Ungläubigkeit – er konnte es noch immer nicht fassen.

Ich zwang mich, aufzustehen. Ich stand direkt an der Mauer, meine Hände auf das Eis hinter mir gelegt; sodass ich an etwas Halt fand.

So standen wir uns gegenüber und starrten uns an, musterten uns gegenseitig; jeder versuchte, die Gedanken des anderen zu erraten.

Ich wollte nicht die Erste sein, die das Schweigen brach.

Schließlich machte er den ersten Schritt. „Ich will die Wahrheit hören.“

Seine Stimme klang so distanziert, dass ich fast geheult hätte. Weg war die Wärme und die Vertrautheit, die zwischen uns geherrscht hatten.

Allerdings sagte ich mir, dass er immerhin zu mir gekommen war, was ich als ein gutes Zeichen deutete. Er redete noch mit mir. Also nickte ich zitternd. Was sollte ich auch sagen?

„Wann musst du wieder zurück?“ Ich konnte den Zorn in seiner Stimme hören; ich wusste nicht genau, ob er auf mich zornig war oder auf jemand anders; vielleicht auch einfach auf die ganze Situation.

Ich schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht“, flüsterte ich.

Sein Blick schien in meinen Augen etwas zu suchen. „Woher weiß ich, dass du mich nicht wieder anlügst?“

Ich schluckte. „Ich lüge nicht“, sagte ich kratzig. „Ich… bitte. Ich weiß es wirklich nicht. Ich… vielleicht bald. Weil sie wissen, dass du es jetzt weißt. Das hätte nicht passieren dürfen.“

„Hast du es mir deshalb nicht gesagt?“

Glaubte er, ich benutzte das nur als Ausrede? Sein Ton war beinahe kalt; ich zuckte wieder zusammen. Ich hatte ihn noch nie so gesehen. Es war fast, als hätte er sich diesem Ort hier vollkommen angepasst.

„Ich… ja“, sagte ich lahm. „Ich… ich weiß es nicht, okay?!“ Mist, ich hatte okay gesagt. „Ich hab keine Ahnung. Es ging alles so schnell und ich… ich hab alles selbst nicht verstanden und ich hatte Angst, dass sie… dich töten und -“ Ich verstummte.

Solas sah nicht so aus, als würde er mir glauben. Noch immer war er zornig. Dann stieß er plötzlich die Luft aus und nickte leicht resigniert.

„Na schön“, sagte er schließlich. „Ich… ich glaube, wir sollten uns wirklich einmal unterhalten, Rose. Irgendwo, wo wir ungestört sind.“

Ich hoffte, er würde mir nun die Hand entgegenstrecken wie vorhin. Allerdings nickte er nur in die Richtung, in die er vorhatte, mich zu bringen. „Geh voraus.“

Sieh es mal so – immerhin duzt er dich noch, versuchte ich, mich aufzuheitern, als ich an ihm vorbeilief.

Traumwandler

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