Читать книгу Bleeding Cherries - Juliane Liebetreu - Страница 4

2. Es geht los

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Zwei Tage später fand bereits ihre Beerdigung statt. Es kamen nicht viele Leute.

Ich selbst befand mich fast in einer Starre, unfähig zu denken, geschweige denn zu handeln. Deswegen fiel mir vermutlich auch nicht der gutaussehende junge Mann auf, der am Grab meiner Großmutter stand. Erst als ich nach Hause ging und ihn plötzlich vor der Tür antraf, wurde mir bewusst, diesen Mann schon einmal gesehen zu haben.

Seine bleiche Haut verriet, dass er nicht sonderlich viel Sonne bekam und seine dunklen Haare umrahmtem sein kantiges Gesicht. Die tiefliegenden dunklen Augen strahlten eine längst vergessene Romantik aus und seine Kleidung war... altertümlich. Es passte nicht zu seinem jungen Aussehen.

„Entschuldigt mich, aber seit Ihr Susan?“ Er fragte mit tiefer Stimme.

Ich schenkte dem fremden Mann ein Lächeln, nickte höflich und versuchte an ihm vorbei ins Haus zu kommen. Es gestaltete sich schwieriger als erwartet, weil ich über den kleinen Blumentopf stolpern musste, der vor der Tür stand.

Ich sah es in Zeitlupe vor mir, wie ich jeden Moment mit meinem Kopf an die Tür schlagen würde und wartete gespannt auf das Geräusch. Aber es kam nicht. Mister Unbekannt packte mich am Arm, zog mich hoch und ehe ich mich versah stand ich Brust an Brust, Nase an Nase mit diesem Mann.

„Ähm, danke.“, stotterte ich und versuchte seinem stechenden Blick auszuweichen. Seine eiskalten Hände, die mich an Großmutter erinnerten, ließen mich erschaudern.

„Ich denke wir sollten Konversation betreiben.“, meinte er und ließ mich wieder los. Ich musterte ihn verwundert und von ein wenig Neugier gepackt. Schließlich nickte ich zaghaft und ging voran ins Haus. Er kam nicht hinterher.

„Ich denke, sie wollen mit mir reden. Kommen sie rein.“

Er schritt über die Türschwelle, eine Mischung aus Eleganz und Überheblichkeit spiegelte sich in seinen Augen wieder und kaum schloss er die Tür hinter sich, breitete sich sein Mund zu einem Grinsen, welches ich nicht recht einordnen konnte. Für einen kurzen Moment schoss mir der Gedanke „Lauf“ durch den Kopf, aber ich blieb einfach stehen und setzte um, was ich von Großmutter gelernt hatte – sei freundlich zu deinen Gästen.

Einen Augenblick standen wir uns schweigend gegenüber.

„Das mit Ihrer Großmutter tut mir leid. Sie war eine gute Frau.“ Ich holte Luft und bemühte mich um ein zustimmendes Lächeln.

„Ich weiß, Ihr seid verwirrt über mein Erscheinen und vermutlich auch über mein Erscheinungsbild. Aber ich habe Euch ein wichtiges Anliegen vorzutragen.“

„Okay.“ Ich versuchte krampfhaft das Lachen zu unterdrücken, welches sich gerade versuchte den Weg ins Freie zu bahnen. Ich wusste nicht, wann und ob dieser Mann das letzte Mal in den Spiegel gesehen hat. Aber er sah nicht nur so aus, als hätte er einmal zu viel „Romeo und Julia“ gelesen, sondern er hörte sich auch so an.

„Hat Eure werte Großmutter Euch in Eure Aufgabe eingeweiht?“ Verwundert sah ich den fremden Mann an.

Aufgabe? Aufgabe? Die einzige Aufgabe, von der ich wusste, war nicht ernst zu nehmen. Mir blieb also nichts anderes übrig als den Kopf zu schütteln.

„Wer sind sie eigentlich oder woher kennen sie meine Großmutter?“

„Ich bin Graf Alexander und..“

„Sie meinen wie Graf Dracula?“

„Der Vergleich erscheint mir treffend, ob gleich wir nie Freunde waren. Ihr kennt den Grafen?“ Der Typ musste verrückt sein. Graf Dracula kennen?

„Ich habe über ihn gelesen. Vampir, böse, tötet Menschen, eine Legende, mehr nicht.“

„Nun gnädigste Dame. Ihr solltet Euer Weltbild überdenken, wenn Ihr die Aufgabe Eurer Großmutter zu Ende bringen möchtet.“

Ich musste mich setzen. Ich ließ mich in unseren alten Ledersessel fallen und versuchte diesen Irrsinn zu verstehen. Vermutlich war das irgendein Typ aus dem Dorf, der an das Hexengerede glaubte und nun, da Großmutter gestorben war, beweisen wollte, dass sie wirklich eine Hexe gewesen sei. Aber Graf Dracula? Da musste er sich etwas Besseres einfallen lassen.

„Gut, Graf Alexander. Ich weiß nicht, was sie hier wollen, wovon sie reden oder sonst was. Es ist mir auch egal, okay? Total egal. Meine Oma ist tot, meine Eltern sind tot und ich sitze hier alleine in diesem Haus rum. Die Leute im Dorf mögen mich nicht, ich sie auch nicht und ich habe keine Ahnung, was ich jetzt machen soll.“ Ich redete mich richtig in Fahrt. „Ich weiß nicht, wo ich hin soll und was aus meinem Leben wird. Ich bin siebzehn und genauso lange Single. Ich hätte nicht gedacht, dass ich mit siebzehn auf mich gestellt sein würde. Ich warte gerade darauf, dass das Jugendamt an meine Tür klopft, weil ich noch nicht volljährig bin. Aber die kommen aus der Stadt, da hab ich wohl noch ein paar Tage. Mein Leben ist beschissen, okay? Und wenn sie nur hier sind, um mich zu nerven oder auf den Arm zu nehmen. Da ist die Tür! Gehen sie!“

Graf Alexander stand sichtlich geschockt da. Es hatte ihm wohl zum ersten Mal seine Sprache verschlagen. Er kam langsam auf mich zu und nahm meine Hand. Mir liefen mittlerweile die Tränen herunter, wie Wasserfälle.

„Bitte weint nicht. Ich wollte Euch nicht zu nahe treten. Es liegt mir fern Sie zu verletzten. Doch mit jeder Minute, die wir untätig unsere Zeit vergeuden, kann der Schwarze Lord mehr Macht gewinnen.“

„Bitte was?“

„Das Buch ihrer Großmutter, wo ist es?“

Er wollte das Buch. Gut, sollte er es haben. Ich wollte nur noch meine Ruhe. Das war mir einfach zu viel des Guten. Ich ging an ihren Nachtschrank und holte das vergilbte Irgendwas heraus.

„Ihr Grimoar. Wunderbar.“

„Grimo-was?“

„Grimoar. Das Zauberbuch ihrer Großmutter. Vor fünfzig Jahren schaffte sie es hiermit den Schwarzen Lord zu besiegen, besser zu verbannen. Den Schwarzen Lord zu besiegen ist sehr schwer. Die meisten Hexen in ihrer Familie schafften es nur ihn für fünfzig Jahre zu bannen. Doch es war wahrlich ein meisterhafter Anblick.“

„Wie Anblick?“

„Eure Großmutter damals im Kampf zu sehen war wunderbar. Sie war trotzig, selbstbewusst und kämpfte bis zum Letzten. Ich war wahrhaft beeindruckt. Ich hätte nicht erwartet, sie siegen zu sehen.“

„Sie sind höchstens fünf Jahre älter als ich. Wie wollen sie sie da vor fünfzig Jahren haben kämpfen sehen?“

„Rüstet Euch, Fräulein. Es wird ein langer anstrengender Weg. Doch ich kämpfe an Eurer Seite.“

Ich weiß nicht, ob es aus Einsamkeit, Verzweiflung oder aus welchem Gefühl auch immer geschah. Doch allmählich begann ich dem Fremden fasziniert zu glauben.

Er erzählte von meiner Oma in den besten Tönen, was für eine große Hexe sie gewesen war und das es nur den Frauen ihrer Linie möglich war, den Schwarzen Lord zu besiegen. Vermutlich war es einfach nur absurd, albern und kindisch. Doch tief in meinem Herzen wusste ich schon immer, dass Großmutter anders gewesen war.

„Dieser Schwarze Lord, was hat er vor?“

„Die Macht über alle Welten erlangen. Das müssen wir verhindern.“

„Alle Welten?“

„Eure Welt, meine Welt, die Welt der Kobolde, Werwölfe, Einhörner. Wir sollten

beginnen, Fräulein. Im Buch steht der Zauber, den Eure Großmutter damals anwandte, um den Lord zu bannen.“

Ich blätterte vorsichtig die schweren Seiten um und tatsächlich gab es einen solchen Eintrag:

„Der Schwarze Lord – der ärgste Feind aller Welten – zu vernichten nicht möglich – Bannzauber – man nehme das Blut eines Vampirs; das Gold eines Koboldes; das Haar eines Werwolfes; die Knolle einer schwarzen Rose unter der Zucht eines Zwerges; den Huf eines Einhornes; das Blatt der Eiche, stehend unter dem Schutze der Waldelfen; man koche alles in einem Sud aus Kirschen und benetze damit die Klinge des goldenen Schwertes. Man spreche den Bann, wenn man dem Schwarzen Lord das Schwert ins Herz sticht und er verschwindet für fünfzig Jahre.“

„Toll, und wo soll ich die Zutaten herbekommen?“

Graf Alexander holte ein Messer aus der Tasche. Die Klinge blitzte gefährlich im Licht und meine Knie drohten nachzugeben. Sollte es das gewesen sein? Endete mein Leben hier und jetzt? Doch er schnitt sich nur selbst in die Hand.

„Was? Verdammt! Was machen sie da?“

„Nehmt mein Blut. Das Blut eines Vampirs.“

Erschrocken sah ich ihn an und sprang rückwärts gegen das Bücherregal. Mal wieder bewahrheitete sich meine Tollpatschigkeit und ein Buch fiel mir auf den Kopf.

„Autsch.“

Der angebliche Vampir kam mit blutender Hand auf mich zu. Seine Hand kam näher und ich hielt die Luft an. Ich sah dieses verschmierte Ding, es war fast in meinem Gesicht. Ich konnte das Blut riechen, diesen leicht metallischen Gestank.

Alexander griff zu.

Einen Moment später hielt er eine Phiole in der Hand und ließ vorsichtig sein Blut hinein tropfen. Kurz danach verschloss sich seine Wunde, als wäre sie nie da gewesen. Er überreichte mir stolz die Phiole, als wäre nichts geschehen.

„Und, holde Maid, darf ich mich über Eure Zusammenarbeit freuen?“

Ich nickte ängstlich und versuchte all meine Gedanken zu verdrängen. Es war nicht real, nur ein Traum. Es gab keine Hexen, Vampire, Kobolde oder sonstige Dinge. Doch mir gefiel dieser Traum. Ich wollte nicht allein sein. Ich wollte mich ablenken von den Gedanken an meine tote Großmutter und in Träumen ist schließlich alles erlaubt. So begann ich das Nötigste einzupacken. Wahllos stopfte ich einige kleine Behältnisse in meinen Rucksack, eine Flasche Wasser, zwei Packungen Müsliriegel und Omas Buch. Schließlich tauschte ich die Sachen der Beerdigung in eine bequeme Jeans, ein lockeres Shirt und meine Lieblingsjacke – schwarzes Leder, wenn auch nur Kunstleder.

„Und wie kommen wir jetzt zu den Kobolden?“

„Ihr solltet das Buch lesen.“

Du willst ins Land der Kobolde reisen, lass dich durch die Bleeding Cherrie weisen.

Langsam im Mund zergehen lasst ihr sie, sprecht dabei dreimal „Troll“, seit in ihrem Lande hie.“

„Blutige Kirsche? Was soll das schon wieder? Muss ich mir in den Finger schneiden und das Blut auf eine Kirsche tropfen oder was?“

„Eure Großmutter hat Euch gar nichts gelehrt, wie mir scheint. Holde Maid, schaut in den Garten.“

Dort stand Omas Kirschbaum. Sie verbot mir von den Kirschen zu essen. Sie seien giftig, sagte sie stets.

„Das sind Bleeding Cherries, auch wenn ihr es nicht zu glauben wagt.“

Ich nahm mir eines von Großmutters Einweckgläsern und ging mit Graf Alexander in den Garten. Wir pflückten so viele Kirschen, wie wir konnten.

Unsicher stand ich Graf Alexander gegenüber. Eine Kirsche in meiner Hand. Würde sie mich umbringen? Graf Alexander konnte nicht mehr sterben, wenn ich ihm glaubte, ein Vampir zu sein. Doch auch ich konnte nicht sterben, man stirbt schließlich nicht in Träumen.

„Eins noch, ehe wir das hier machen. Töten sie mich?“

Graf Alexander schenkte mir ein zweideutiges Lächeln, irgendwas zwischen Belustigung und tödlichem Ernst.

„Mir liegt es fern Euch etwas zu tun. Seit ich Eurer Großmutter begegnete hat sich mein Leben verändert. Ich töte nicht mehr. Ich trinke den Saft des Lebens, um selbst zu überleben. Doch ernähre ich mich hierbei von niedrigen Geschöpfen und trinke nur stets so viel, dass diese nicht ihr Leben lassen müssen.“

„Okay.“ Wir legten die Kirschen vorsichtig in den Mund. Ein bitterer Geschmack machte sich breit. Graf Alexander ergriff meine Hand und gemeinsam ertönten die Worte aus unserem Mund.

Bleeding Cherries

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