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Das Erbe der Scarlet Williams

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„One serving of fish and chips, please.”

Der nette Mann hinter der Theke, überreichte mir die von mir gewünschte Speise. Ich drehte mich um und blickte gegen die hellstrahlende Sonne. Heute, war der erste freie Tag auf meiner Reise. Fünf Tage lang schaute ich mir mit meiner Schulklasse die Sehenswürdigkeiten Londons an. Wir gingen über die London Bridge, betrachteten den Big Ben und waren in vielen verschiedenen Kirchen. Doch das Aufregendste war die Bootsfahrt über die Temse. Am Flughafen, als ich den ersten Fuß auf dieses fremde Land setzte, blitzten Bilder vor meinem geistigen Auge auf. Anfangs waren es nur kurz aufflackernde und sehr verschwommene Szenen. Verschiedene Farben, Bäume, Bänke, lauter wirre Bildfetzen. Aber mit jedem Tag tauchten sie öfter auf und wurden deutlicher. Langsam bemerkte ich, dass die Bäume und Bänke zu einem Park gehörten und die vielen bunten Farben, tausende Blumen waren. Meine beste Freundin Melissa, war auf der Suche nach einer Toilette, während dessen bot ich an, uns einen Platz in der Nähe der Temse zu sichern. Ich hielt mir meine freie Hand vor die Augen, um sie vor der heißen Sonne zu verbergen und bog um die nächste Hausecke. Die Gasse in der ich mich nun befand, war dunkel und furchteinflößend. Das genaue Gegenteil von der Hauptstraße, auf der ich vor wenigen Augenblicken noch war. Ich schickte mich an mich umzudrehen um die Gasse flucht- artig zu verlassen, als erneut Bilder aufflammten. Ich sah nun ganz deutlich, ein Mädchen. Sie hatte große Ähnlichkeit mit mir. Wenn sie nicht einen geflochtenen Zopf und ein langes, lila Kleid, aus dem 19. Jahrhundert, mit einer großen Schleife am Rücke getragen hätte, wäre ich davon überzeugt gewesen mich selbst zu sehen. Sie stand direkt vor mir und schaute mir in die Augen. Es war eigenartig sich selbst ins Gesicht zusehen, so als ob ich vor einem Spiegel stehen würde. Die junge Frau lächelte mich an und ging tiefer in die Dunkelheit der Gasse. So deutlich und real war, bis jetzt noch keine meiner „Visionen“. Mit einem Lächeln tat ich es als Hirngespinst ab. Ich nahm eine Pommes, biss ab und wollte mich umdrehen, als die Frau wieder auftauchte und mich zu sich winkte. Mein Verstand sagte mir natürlich, dass ich nicht einfach irgendwelchen Einbildungen hinterherjagen sollte. Doch sie sah aus wie ich und wieso sollte ich mich selbst in eine Falle locken?

In der Gasse herrschte die totale Finsternis, nur der schwache Schein meines Handys erleuchtete mir meinen Weg durch die Gasse. Auf einmal erschien eine hohe Backsteinmauer vor mir. Ich wurde tatsächlich von einem Gespenst in die Irre geführt. Wenn ich das meinen Eltern erzählen würde, würden sie mich lauthals Auslachen. Eine weitere Pommes verschwand in meinem Mund und leicht aufgebracht, machte ich mich auf den Weg zurück zur Hauptstraße. Mein Herz rutschte mir fast in die Hose, als das Licht eines Schaufensters plötzlich aufflackerte. Mit keuchenden Atem und zitternden Knien starrte ich auf das hellerleuchtete Fenster. Nach wenigen Minuten trat ich vorsichtig näher auf das Schaufenster zu. Das Schild über dem Laden verriet mir das es sich um einen „Jewelry Store“, also ein Schmuckgeschäft handelte. Im Fenster vor mir gab es eine große Auswahl an edel aussehenden Taschenuhr-en, glitzernden Colliers und funkelnden Ringen. Ein silberner Ring, der mit einem strahlenden Saphir besetzt war, hatte mich in seinen Bann gezogen. Angezogen von ihm betrat ich das Geschäft. Es war nur ein kleiner, alter Laden, in dem lauter Schmuck ausgestellt war. Keine noch so kleine Ecke, funkelte nicht. Das Licht des Kronleuchters, an der Decke, wurde von jedem einzelnem Schmuckstück reflektiert und verwandelte den Laden in einen hellglitzernden Himmel voller Sterne. Ich holte den silbernen Ring, aus dem Schaufenster und betrachtete ihn genauer. Das Silber war mit vielen, kleinen Verzierungen versehen, die sich wie Blumen entlang rankten. Der Ring hatte mit Hilfe von acht silbernen Strängen die Form einer Blüte, in dem der blaue Saphir eingefasst war. Von Schmuck verstand ich nicht viel, aber dieser musste ziemlich viel wert sein. Schritte rissen mich aus meinen Gedanken. Sie verstummten und ich wirbelte herum. Vor mir stand ein Mann, vielleicht Mitte zwanzig, mit schwarzen Haaren und türkisfarbenen Augen. Er trug einen altmodischen, doppelreihigen Anzug und einen Zylinder auf dem Kopf. Was seine Augen leuchten lies.

„Ich interessiere mich für den Ring.“, sagte ich.

Um nicht als Diebin dazustehen, weil ich ihn mir ohne Erlaubnis genommen hatte.

„Das ist wirklich ein sehr schönes Stück.“, gab er geheimnisvoll zu.

„Wie viel würde er denn kosten?“, wollte ich wissen.

In meinen Taschen hatte ich nur noch gute fünf Pfund, das würde zwar niemals für den Ring reichen aber fragen kostete nichts.

Vielleicht wäre ich später wieder gekommen um ihn zu kaufen aber er lachte:

„One kiss.“

Erst jetzt bemerkte ich, dass er mir vorhin in Deutsch geantwortet hatte und jetzt Englisch sprach. Er hatte einen leichten Akzent was ihn noch mysteriöser wirken lies. Vielleicht konnte er nur ein paar Worte Deutsch, ich hoffte er würde meine Worte verstehen:

„Nein, Danke!“

„Dann gib den Ring zurück.“, er streckte mir seine Hand entgegen.

Ich zögerte. Dieser unglaublich, schöne Ring sollte meine Hand nie wieder verlassen.

„A kiss or the ring!“, forderte er mich auf.

Der Ring in meiner Hand fing an leicht zu vibrieren und signalisierte mir damit, dass ich ihn behalten sollte oder ich war geisteskrank. Beides käme in Frage.

„Na gut.“, wisperte ich.

Ich erschrak selbst über meinen plötzlichen Sinneswandel, aber ich wollte diesen Ring haben. Eine fremde Macht befahl es mir. Nervös ging ich einen Schritt auf ihn zu. Ein eingebildetes und hocherfreutes Grinsen machte sich in seinem Gesicht breit. Man sah ihm förmlich an, dass er sich freute, dass ich so schnell nachgab. Am liebsten hätte ich ihn wütend angeschrien, dass er den Ring behalten könne. Aber dann hätte ich den Ring mit Sicherheit nicht bekommen. Er legte sanft eine Hand in meinen Nacken und zog mich näher zu sich. Für dieses Opfer musste mir dieser Ring aber großes Glück bringen. Das war nämlich mein erster Kuss! Die Lippen des Mannes waren viel sanfter und weicher, als ich es mir vorgestellt hatte. Er jagte mir eine Gänsehaut über meinen Rücken und es kam mir fast wie eine Ewigkeit vor bis er seine Lippen von meinen löste. In Wirklichkeit war es noch nicht mal eine Minute gewesen. Er löste seine Hand und riss mir, in diesem Moment, meine Tüte mit Fish & Chips aus der Hand.

„Ein kleiner Bonus.“, schnurrte er und schob sich eins meiner Fischstäbchen in den Mund.

Ich schloss die Hand fester um den Ring und funkelte ihn böse an. Meine Meinung, dass alle Engländer wohl erzogen und nett waren, hatte sich um 180° Grad geändert.

Ich stürmte aus dem Laden und schrie: „So werden Sie niemals etwas verdienen!“

Zu meiner Verwunderung gab er nur ganz trocken und ernst wider: „Ich habe überhaupt kein Interesse am Gold der Königin.“

Demonstrativ pfiff ich Luft aus meinem Mund, um möglichst uninteressiert zu wirken. Erleichterung durchflutete mich als ich den Laden verließ. Die Gasse kam mir nun noch dunkler vor, als vorher. Glücklicherweise erleuchtete mein Handy mir zum zweiten Mal heute den Weg zur Hauptstraße. Wenige Meter vom funkelnden Juwelier entfernt drehte ich mich um, um einen letzten Blick auf den Ort zu werfen, der mir meinen ersten Kuss gekostet hatte. Doch das Schaufenster war zu meiner Verwunderung erneut dunkel. Fast so als ob es nie beleuchtet war. Vor Angst entrang ein leises, ungläubiges Lachen meiner Kehle. Auf dem Absatz machte ich kehrt und ging zur Hauptstraße. Das bunte Treiben, das dort herrschte, hatte sich überhaupt nicht verändert. Ich musste Aussehen wie eine Verrückte!

Der schnelle Schritt, den ich gegangen war um die Gasse möglichst schnell zu verlassen, lies Schweißtropfen auf meiner Stirn erscheinen. Meine Hand, die den Ring umschloss, hatte sich verkrampft und ich hatte große Mühe sie zu öffnen. Der Ring schien im Sonnenlicht, wie ein Stern zu erstrahlen. Wie aus heiterem Himmel sah ich statt der Jeansjacke, die ich trug, den Ärmel eines lila Kleides. Die Frau, die ich vorhin gesehen hatte, ich sah mit ihren Augen. Sie steckte sich den Ring an den Zeigefinger und drehte ihn sanft hin und her, bis er an der richtigen Position war. Die Verschmelzung löste sich und ich sah wie sie in Richtung Parkanlage schritt. Ich tat es ihr mit dem Ring gleich und verfolgte sie. Sie war ziemlich schnell und ich hatte es schwer ihrem Tempo zu folgen. Ich schaute mich etwas um und bemerkte, dass sie mich tief in den Park geführt hatte. Keine Menschenseele war zusehen. Die Frau saß auf einer Parkbank und beobachtete die Blätter im Wind und die Vögel die fröhlich zwitscherten. Uns trennten nur noch wenige Meter, als auf einmal ein bewaffneter Mann aus dem Gebüsch trat. Mein Herz fing an zu rasen und mein Puls beschleunigte sich. Der Mann trug, so wie der zuvor im Laden, einen zweireihigen Anzug. Bei dem anderen hätte man denken können, dass er seine Kleidung seinem Geschäft angepasst hatte. Aber dieser sah mehr wie ein Landstreicher und nicht wie ein Juwelier aus. Die Mode war aus demselben Jahrhundert gewesen, wie das Kleid das die Frau trug. Er hielt ihr einen langen Dolch entgegen und brüllte ihr etwas zu. Es war als ob jemand auf dem Fernseher die Stummtaste gedrückt hatte, obwohl er sich fast die Kehle aus dem Hals schrie verstand ich ihn nicht. Sie versteckte ihre Hand hinter dem Rücken und schüttelte ihren Kopf. Der Mann trat näher auf sie zu und sein Gesicht verfinsterte sich. Weiterhin schüttelte sie ihren Kopf. Egal was er wollte, der Gegenstand schien ihr wichtiger als ihr Leben. Ich war viel zu verwirrt und verängstigt von dem Anblick der sich mir bot, um zu reagieren oder überhaupt einen Muskel zu bewegen. Der Mann holte mit seinem Dolch aus und tötete sie. Vor Angst und Ekel entriss ich meinem Blick dem schrecklichen Schauspiel das sich mir bot. Mein Verstand rief mir zu das ich verschwinden solle, doch mein Körper weigerte sich auch nur einen Muskel zu bewegen. Nach kaum einer Minute blickte ich abermals zu ihm und der Mörder drehte sich in meine Richtung, doch es schien als ob er durch mich hindurchsehen würde. Er zog der toten Frau den Ring vom Finger und lief an mir vorbei. Ich war unsichtbar für ihn. Kurz blickte ich ihm nach und wollte dann versuchen der Frau zu helfen, doch sie war verschwunden. In jede Richtung suchte ich mit meinen Augen die Umgebung ab, aber sie blieb verschwunden. Ein Rascheln im Gebüsch lies mich vor Schreck in die Höhe fahren. Mein erster Gedanke war das sich die Frau vielleicht bis ins Gebüsch geschleppt hatte. Aber ein maskierter Mann trat aus dem Dickicht, wie in der Vision zuvor trug er denselben langen Dolch bei sich.

Er schrie mich an: „Gib mir den Ring!“

Woher wusste er davon? Ich wich einen Schritt zurück, versteckte ihn hinter meinen Rücken und schüttelte meinen Kopf. Das war das gleiche Erlebnis wie in meiner Vision! Jetzt musste ich nur dafür sorgen, dass es einen anderen Ausgang hatte. Schon oft hatte ich ihn Filmen gesehen, wie die Opfer den Tätern die Waffe aus den Händen gerissen hatten. Aber das waren oft trainierte Menschen oder Schauspieler. Ich brauchte schon verdammt viel Glück um das zu schaffen! Auf einmal spürte ich eine fremde Macht, die in mich fuhr. Wieder sah ich den lila Ärmel anstellte meiner Jacke. Die Frau oder eher der Geist der Frau war in mich gefahren. Sie leitete meinen Körper. Der Maskierte vollführte dieselbe Bewegung wie zuvor, doch mein Körper wich zur Seite aus und ich schlug ihm mit meinem Knie zwischen seine Beine. Er krümmte sich und ich nutzte die Chance um ihm das Messer zu entreißen. Mit der einen Hand wählte ich die Nummer der Polizei und mit der anderen hielt ich ihm das Messer vor die Brust.

„Wer bist du?“, brüllte der Mann.

„Mein Name ist Scarlet Williams.“, meine Stimme verschmolz mit der der Frau.

Das war das gruseligste was ich jemals erlebt hatte.

Eine innere Stimme flüsterte meinem Geist zu: „Danke.“

Der Geist löste sich von meinem Körper. Wenige Minuten später kam die Londoner Polizei und verhaftete den Mann. Die Polizei war verwundert über meine Aussage, dass ich ihn ganz allein überwältigt hatte. Zudem er ein Serien Raubmörder war. Dass ich mit einer Toten meinen Körper teilte, erzählte ich ihnen nicht. Sonst wäre ich so schnell nicht mehr nach Hause gekommen. Meine beste Freundin hatte sich große Sorgen gemacht, als sie mich nicht mehr gefunden hatte. Einen Tag später ging unser Flieger nach Hause. Seit dem Vorfall war ich in Gedanken versunken und überlegte wer diese Frau war. Daheim erzählte ich meiner Mutter von dem Geschehnis. Natürlich war ihre erste Reaktion Entsetzen und Besorgnis. Als ich ihr dann noch erzählte, dass mich ein Geist gerettet hatte, wurde sie ganz still. Gemeinsam suchten wir alte Familienalben heraus und schauten unseren Stammbaum an. Die Schwester meiner Urgroßmutter war mir wie aus dem Gesicht geschnitten.

Unter ihrem Foto war in kleiner Schrift hinzugefügt worden: „Scarlet Williams. Gestorben am 28. Mai 1889 im Hayde Park, London. Todesursache: Mord.“

Nun wusste ich wer sie war. Eine ferne Verwandte und meine Namensverwandte. Seit diesem Tag waren die Visionen verschwunden. Doch den Ring der nach Jahrzenten wieder in unsere Familie zurückgekehrt war, hielt ich in Ehren. Denn es war die einzige Erinnerung an diesen Tag und die Bestätigung, dass dieser Tag real war. Hoffentlich würde die Reise nächstes Jahr nach Spanien ruhiger.

Leb´deinen Traum, denn er wird wahr

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