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Einleitung

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„Es ist das bescheidene Geschäft oder Amt eines Chronisten, das ich beanspruche.” So erklärt Julius Rodenberg seinen Schreibstil in seiner Berliner Chronik „Bilder aus dem Berliner Leben”. Im Hinblick auf seine herausragenden Leistungen als Herausgeber der „Deutschen Rundschau” ist dieses literarische Werk Julius Rodenbergs bisher auf weniger Beachtung gestoßen. Er bietet uns jedoch eine detaillierte und eindrucksvolle Schilderung des Berliner Lebens vom Ende des 18. bis zum Ende des 19. Jahrhunderts.

Das Besondere an den „Bildern” sind die Beschreibungen des alltäglichen Berliner Lebens, des einfachen Bürgertums und der gehobeneren Schicht des Literatur- und Kulturbetriebs sowie auch des tiefgreifenden Wandels des Stadtbildes. Rodenberg gewährt uns eine neue Perspektive auf die großen politischen, kulturellen und urbanen Ereignisse des Berlins dieser Zeit.

Für jeden, der Berlin schon einmal erlebt hat und die Stadt kennt, ist es eine Freude, gemeinsam mit dem Autor durch ihre Straßen zu wandeln und zu bemerken, was sich seit seinen Spaziergängen verändert hat und was bis heute noch immer beinahe gleich geblieben und leicht wiederzuerkennen ist. Auch Berlin-Neuentdecker kommen auf ihre Kosten und können sich der Hauptstadt auf eine völlig neue Weise annähern. Allen Berlin-Begeisterten wird es ermöglicht tiefer in den Werdegang des jungen Berlins zur europäischen Metropole einzutauchen und einen Teil seiner Geschichte mitzuerleben. Mit seinen Erzählungen greift Rodenberg zum Teil weit in der Zeit zurück, so dass man schließlich ein komplexes Bild vom Berliner Stadtleben des 18. und 19. Jahrhunderts und dessen Persönlichkeiten vor Augen hat. So gibt es Orte, die von Rodenberg noch als ländliche Gegenden mit Feldern und Wiesen beschrieben werden und heute längst zu bebauten und von Menschen wimmelnden Plätzen an Hauptverkehrsstraßen geworden sind. Auch Gegenden wie der Tiergarten mit dem Großen Stern und der Siegessäule in dessen heutiger Mitte, welche zu seiner Zeit kaum Veränderungen erfahren haben, spiegeln sich in seinen Beschreibungen wieder und laden ein Rodenbergs Wegen zu folgen. Ausführlich beschreibt er unter anderem auch die Entstehung der Kaiser-Wilhelm-Straße, der heutigen Karl-Liebknecht-Straße, und bedauert den Verlust vieler historischer Bauwerke, die für den Bau dieser wichtigen Verkehrsader weichen mussten. Die lebhaften und äußerst detailgetreuen Beschreibungen erwecken ein intensives Bild vor dem inneren Auge, so dass der Eindruck entsteht als stünde man selbst neben dem schwärmenden Erzähler und beobachtete gemeinsam mit ihm die Szenerie. Julius Rodenberg, selbst Wahlberliner und ein Kenner vieler europäischer Großstädte dieser Zeit, eröffnete sich dadurch auch ein immer wieder neuer Blickwinkel auf Berlin.

Das künstlerische, speziell das literarische, Leben der Stadt macht einen Schwerpunkt des Werks aus. Seine Spaziergänge führen ihn immer wieder zu Kirchplätzen und Friedhöfen, auf denen wichtige Persönlichkeiten des städtischen Kulturlebens ruhen. Von hier aus beginnt er seine Gedanken schweifen zu lassen und aus seinem tiefen Wissensschatz zu schöpfen. Er weiß ausführlich über jenePersonen zu berichten, unter anderem E. T. A. Hoffmann, den Berliner Verleger Friedrich Nicolai, Moses Mendelssohn oder die großen Damen der Berliner Salons, besonders Henriette Herz und Rahel Varnhagen. Auch der Aufstieg von Großindustriellen wie August Borsig wird von ihm leidenschaftlich beschrieben.

Die „Bilder aus dem Berliner Leben” zeichnen sich durch einen nahezu tagebuchartigen Schreibstil aus. Das mag unter anderem daran liegen, dass Julius Rodenberg seit seinem 20. Lebensjahr geflissentlich Tagebuch führte. Er sagt selbst, er habe die „Bilder” so verfasst „wie man ein Tagebuch schreibt”, wodurch es Rodenberg gelingt einen sehr persönlichen Einblick zu vermitteln. Auch sein feuilletonistischer Schreibstil, den Rodenberg sich in seiner jahrelangen Arbeit als Journalist angeeignet hat, spiegelt sich in seinem Werk deutlich wieder.

Rodenberg, den man heute zumeist nur als Herausgeber und Begründer der „Deutschen Rundschau” kennt, war ein ruhiger Mensch mit einer konservativen Haltung und einem großen Harmoniebedürfnis. Er glaubte an „soziale Harmonie” und an eine mögliche „freundschaftliche Annäherung” zwischen Bürgertum und Arbeitern. Dabei verschloss er weitestgehend die Augen vor den unschönen Seiten der Stadt und in der Rezeptionsgeschichte der „Bilder aus dem Berliner Leben” entstand der Vorwurf, er würde die durch die Industrialisierung hervorgerufenen Missstände ausblenden. Das Leid der Arbeiterbevölkerung sowie die aufkommende, ihr Recht einfordernde Arbeiterbewegung wurden von ihm in der Tataußer Acht gelassen. All dies ist jedoch kaum verwunderlich, wenn man seinen Lebensweg betrachtet. Der Schriftsteller führte ein angenehmes, unaufgeregtes Leben. Für ihn bestanden keinerlei Gründe an den bestehenden Verhältnissen etwas ändern zu wollen, so wie er sagt: „Das Bild eines mäßigen bürgerlichen Glücks ist mir das liebste von allen Bildern aus dem Berliner Leben.”

Er selbst sah sich als jemand, der „das Schauspiel menschlicher Tätigkeit betrachten darf wie ein unbefangener Zuschauer und nicht wie einer, der auf der Bühne selber etwas vorstellen will”. In dieser Aussage zeigt sich sein bescheidener und zurückhaltender Charakter: Julius Rodenberg suchte die Ruhe und sah dem bunten Treiben lieber vom Rand aus zu. Er konnte sich dennoch im höchsten Maße daran erfreuen. So wäre es für ihn undenkbar gewesen, auf seine täglichen Spaziergänge durch die Stadt zu verzichten, denen wir heute diese wunderbaren Erinnerungen an das alltägliche Berliner Leben verdanken, welche in anderen historischen Werken in dieser Art seltener zu finden sind. Er gibt uns nicht die Milieustudien eines Heinrich Zilles und äußert sich auch nicht staatskritisch wie Ernst Dronke. Er nimmt sich aber die Zeit, eine Entwicklung innerhalb Berlins zu beschreiben, die nicht von Armut und Repressalien geprägt ist und schildert auf seine spezielle Weise den städtebaulichen und kulturellen Werdegang der noch jungen Metropole.

Hier ist es interessant einmal einen Blick auf den Lebenslauf und die persönliche Entwicklung des Wahlberliners zu werfen: Julius Rodenberg wurde 1831 als Julius Levy und ältestes von sechs Kindern geboren. Er wuchs in einer wohlhabenden, literarisch interessierten jüdischen Familie auf. In demselben Jahr, in dem er sein Abitur in Rinteln machte, veröffentlichte er die Gedichtsammlung „Geharnischte Sonette für Schleswig-Holstein”, eine Sammlung von der Revolution von 1848 inspirierter, politischer Lyrik mit nationalistischem Eifer. Rodenberg strich sie jedoch im Nachhinein aus seiner Gesamtgedichtsammlung, da sie ihm zu radikal erschien.

In den folgenden Jahren absolvierte er ein Jurastudium, welches ihn zum ersten Mal nach Berlin führte. Schon im Alter von 23 Jahren verkehrte er in bekannten Literatenkreisen, denen Paul Heyse, Gottfried Keller, sowie die Brüder Grimm angehörten. Die Großstadt wirkte auf den jungen Studenten zunächst verwirrend und beängstigend, doch schon bald begann er mit seinen ersten Streifzügen durch die Stadt, die ihn sein Leben lang faszinieren sollte.

Ab 1854 arbeitete er in Marburg als Redakteur am Feuilleton des „Hannoverschen Kurier”. Im selben Jahr riet ihm sein Mentor, der Schriftsteller und Diplomat Karl August Varnhagen von Ense, zur Namensänderung und zur Konvertierung zum Christentum, wovon Rodenberg jedoch nur das erstere verwirklichte. Es folgten weitere Reisen, bei denen er oft als Korrespondent über die damals populären Weltausstellungen berichtete. Wichtigste Stationen waren London und Paris, wo er das Großstadtleben besser kennen lernte und seine Fremdsprachenkenntnisse vertiefte. Nach seiner Promotion in Marburg verlagerte sich sein Interesse weg von lyrischen Arbeiten hin zu Reiseberichten, die seine ersten größeren Erfolge wurden.

1859 erfolgte die endgültige Übersiedlung nach Berlin. Er arbeitete als freier Journalist für das Feuilleton der „Preußischen Zeitung, der „Breslauer Zeitung” und als Korrespondent für die Wiener „Presse” und knüpfte dadurch Kontakte zu national-liberalen Kreisen.

Auf einer Italienreise begegnete er Justina Schiff, Tochter eines reichen Fabrikanten, die er 1863 heiratete und mit der er eine Tochter, Alice Rodenberg, hatte.

Seine Laufbahn als Publizist begann 1862 mit der Herausgabe des „Deutschen Magazins”, einer monatlich erscheinenden Unterhaltungszeitschrift, die jedoch bereits nach zwei Jahren wieder eingestellt wurde. Anschließend übernahm er die Leitung der belletristischen Beilage der Frauen- und Modezeitschrift „Bazar”. 1867 gründete Rodenberg zusammen mit Ernst Dohm die Zeitschrift „Salon für Literatur, Kunst und Gesellschaft”, die er ab 1871 alleine weiterführte.

Mit Hilfe seines großen Netzwerks an literarischen und kulturpolitischen Kontakten, rief er im Jahr 1874 schließlich seine eigene Zeitschrift ins Leben: Die „Deutsche Rundschau”. Diese wurde vierzig Jahre lang von ihm persönlich redigiert und entwickelte sich zu seinem Lebenswerk. Sie etablierte sich zu einer anspruchsvollen, monatlichen Revue und wurde bald zum Forum der Intellektuellen der Gründerzeit. Es handelte sich um ein bürgerlich-konservatives Blatt, das den Anspruch erhob, gleichermaßen liberal wie national ausgerichtet zu sein. Die Zeitschrift förderte viele Autoren, die später teilweise zu Weltruhm gelangten, unter anderem Theodor Storm, Gottfried Keller, Paul Heyse, Conrad Ferdinand Meyer, Ernst Robert Curtius oder Theodor Fontane, mit dem Rodenberg einen regen Briefwechsel pflegte.

Neben seiner Tätigkeit als Publizist verfasste er weiterhin zahlreiche literarische Schriften, beispielsweise den dreibändigen Gesellschaftsroman „Die Grandidiers” (1878), der heute als sein Hauptwerk gilt. Die „Bilder aus dem Berliner Leben” wurden ebenfalls in drei Bänden herausgegeben undim Zeitraum von 1885 bis 1888 in der „Deutschen Rundschau” veröffentlicht. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Rodenbergs publizistische Tätigkeit in seinem Leben eine bedeutendere Position einnahm als seine schriftstellerische.

Im Jahre 1867 zog Rodenberg mit seiner Familie in die Margarethenstraße 1 in Berlin. Hier lud er sich abends gern eine Schar von Gästen ein, speiste mit ihnen und tauschte sich über das Kulturleben Berlins aus. Als Ehrung für seine 25-jährige Redaktionstätigkeit bei der „Deutschen Rundschau” verlieh man ihm 1899 den Professorentitelund er wurde 1911 zum Ehrenbürger der Stadt Rodenberg ernannt.

Julius Rodenberg starb am 11.7.1914 in seinem Wohnhaus in Berlin und wurde auf dem Zentralfriedhof in Friedrichsfelde begraben.

Heute jedoch erinnert kaum noch etwas an diesen leidenschaftlichen Verehrer der Stadt Berlin. Lediglich eine Straße und ein mittlerweile geschlossenes Gymnasium im Stadtteil Prenzlauer Berg sind nach ihm benannt worden, sowie eine Grundschule in seiner Heimatstadt. Doch es lohnt sich, ihn und sein Berlin in die Erinnerung zurück zu rufen und ihm auf seinen Spaziergängen durch diese faszinierende, lebendige Stadt zu folgen, wenn er fragt: „Wohin nun, mein Freund? Ganz Berlin gehört dir; entscheide, triff deine Wahl!”

Bilder aus dem Berliner Leben

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