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Sechstes Kapitel.

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An demselben Tage waren die sechs Brüder Grafen von Regenstein alle beieinander versammelt. Ulrich, der dritte in der Reihe und Domherr zu Hildesheim, war bei Bernhard, dem einzigen Verheirateten, auf der Heimburg abgestiegen; Poppo, der in dem für unüberwindlich geltenden Crottorf befehligte, hatte sich mit Günther auf dem Regenstein einquartiert, wo auch der Jüngst, Siegfried, noch sein heimatliches Obdach hatte.

Wohl hatten sie über die kürzlich im Harzgau vorgefallenen Ereignisse schon gesprochen, aber das war es nicht, was die getrennt hausenden Brüder heute vereinigte. Das Friedvollste, was es auf Erden gibt, eine Totenfeier, führte sie zusammen. Sie wollten den Todestag ihres Vaters, des Grafen Ulrich, der ihnen allen ein Vorbild ritterlicher Tugend und Tapferkeit gewesen war, zu seinem ehrenden Gedächtnis festlich begehen, wie sie es alljährlich auch zum Andenken der früher verstorbenen Mutter zu tun pflegten.

Ziemlich in der Mitte zwischen der gewaltigen, steil aufragenden Felsmasse des Regensteins und dem die Heimburg tragenden Bergkegel, aber seitwärts als dritter Punkt eines fast gleichseitigen Dreiecks lag in einem stillen, lieblichen Waldtal lauschig und versteckt Kloster Michaelstein. Es war von der Äbtissin Beatrix von Quedlinburg vor zweihundert Jahren gegründet, und vor etwa sechzig Jahren war ein Graf Ulrich von Regenstein Abt des Klosters gewesen, in dessen gottgeweihtem Frieden schon ganze Geschlechter dieses edlen Grafenhauses im ewigen Schlafe ruhten.

Dort in dem steingrauen Kirchlein hatte der würdige Abt heut eine feierliche Seelenmesse für den seligen Grafen gelesen, und nun knieten die sechs Brüder mit Reginhild, Bernhards Gemahlin und Tochter des Grafen Burchard von Mansfeld, im Kreuzgang vor den Grabsteinen ihrer Eltern. Hinter ihren Herren, in gebührlichem Abstand, lagen die vertrautesten ihrer Dienstmannen auf den Knien, und weit zurück stand der greise Abt vor der Schar seiner Mönche, mit gefalteten Händen der stillen Andacht der kleinen ritterlichen Gemeinde regungslos zuschauend.

Die beiden Grabsteine des gräflichen Elternpaares standen über der Gruft aufrecht an der Mauer nebeneinander, mit dem ihres jungen Sohnes Otto die letzten in der Reihe von zahlreichen ähnlichen ihrer Ahnen. Jeder zeigte das in Stein gehauene Lebensgroße Bild des Abgeschiedenen, eingefasst von einer am Rande hinlaufenden Inschrift.

Graf Ulrich war in voller Rüstung mit Wehr und Waffen dargestellt, im rechten Arme den hohen Stechhelm mit Kleinod und Helmdecke, zur Linken den kleinen dreieckigen Schild mit der vierendigen Hirschstange, und ebenso wie seine Gemahlin auf einem Hunde stehend. Gräfin Bia, eine geborene Gräfin von Kefernburg, war in ein lang herabfließendes Gewand und einen weiten, faltigen Mantel gehüllt, trug um Haupt und Kinn das Gebände geschlungen und hielt in den auf der Brust zusammengelegten, mit den Fingern nach oben gekehrten Händen einen Rosenkranz.

Der stille Klostergarten, mit Kreuzen bepflanzte Friedhof der Mönche, lag halb noch im Schatten, halb schon in der Morgensonne, die mit ihrem goldenen Lichte die Säulen und Säulchen der Hälfte des Kreuzganges beschien, schräge und rundbogige Schatten auf seinen Steinboden werfend. Aus dem Garten duftete der Frühling in die kühle Wölbung hinein, die Sträucher hatten junge Blätter, und zwischen den Gräbern blühten die Veilchen. Tiefes Schweigen herrschte; man hörte nichts als dann und wann das leise Klirren einer Schwertfessel oder eiserner Sporen eines der Betenden.

Endlich machte Graf Albrecht eine Bewegung. Er bot der neben ihm knieenden Reginhild die Hand, und sich darauf stützend erhob sich die Gräfin von dem ausgebreiteten Teppich, welchem Beispiel alle übrigen folgten. Die Mönche stimmten einen Gesang an und geleiteten mit dessen sanften Klängen die den Kreuzgang langsam hinabschreitenden Herren und Mannen mit vor die Pforte des Klosters. Dort wurden die von Knechten gehaltenen Rosse bestiegen, und der Reiterzug begab sich auf den Regenstein, wo die Familie den Feiertag mit einem gemeinschaftlichen Mahle würdig beschließen wollte.

Als mittags die sieben den gastlichen Tisch des Ältesten von ihnen umringten, erhob sich dieser und weihte dem Andenken des geliebten Vaters einen Minnetrunk in Sankt Johannis Segen. Dann sprachen sie von dem Geschiedenen und wurden seines Ruhmes nicht müde, wie sie sich einzelne Züge seines tatenreichen Lebens erzählten und sich von ihm gesprochener Worte erinnerten. Dabei gelobten sie sich laut und leise, in seinen Fußstapfen zu wandeln, die von ihm hinterlassene Macht zu verteidigen und zu halten und in Lust und Leid zusammen zu stehen bis in den Tod.

Die kleine Tafelrunde in dem gepflasterten Saale, dessen Wände Hirschgeweihe und andere Jagdstücke, Waffengehänge und Rüstungen verstorbener Ahnherren schmückten, bot ein herzerfreuendes Bild. Da saßen um eine einzige, vornehme und liebliche Frau sechs hochgewachsene, heldenkühne Männer, denen ein wagelustiger Sinn auf der Stirn geschrieben stand und aus deren Blicken eine selbstbewusste, trotzige Kraft sprach. Bernhard, der Zweitälteste, stand dem Erstgeborenen in der Regierung der Grafschaft treu zur Seite, und seine zügelnde Gemessenheit, sein stets bedachtsamer Rat war dem ungestümen Tatendrang des Ältesten gegenüber von großem Wert. Auch der Dritte, Ulrich, der nicht aus freier Wahl in den geistlichen Stand getreten, sondern nur der frommen Meinung der Mutter, von sieben Söhnen wenigstens einen dem Dienste der Kirche widmen zu sollen, gefolgt war, konnte in dem Gewande des Domherrn doch nicht das Blut des Ritters verleugnen, wie er denn auch den von Jugend auf gewöhnten und geliebten ritterlichen Übungen nicht ganz zu entsagen vermochte. Die drei Jüngsten, Poppo, Günther und Siegfried, waren junge Reckengestalten, denen die Kämpfe, die sie schon gesehen oder selber mitgeführt, eine früh ausgeprägte Selbständigkeit und Reife verliehen hatten. Nur Siegfried war mit seinen zwanzig Jahren fast noch ein Jüngling, blühend schön, stark und feurig, der Liebling aller, die ihn kannten, insonderheit der Frauen. Ein warmer, sonniger Glanz lag auf seiner ganzen Erscheinung; wen er nur anblickte, und zu wem er sprach, der fühlte unwillkürlich, dass in dieser jungen Brust ein tapferes, stürmisches, kühn hoffendes Herz schlug.

Nach beendetem Mahle griffen Poppo und Günther zum Schachbrett, während sich Reginhild und Siegfried zu einem heiteren Geplauder in die tiefe Fensternische zurückzogen und die drei ältesten Brüder noch bei einem Nachtrunk am Tische sitzen blieben und über ernste Dinge sprachen.

Ulrich berichtete, dass ihm kürzlich bei einem Besuch in Halberstadt von einem befreundeten Domherrn eine Warnung vor der Rachsucht des Bischofs zugegangen sei, der zum Dompropste bedrohliche Äußerungen getan und weitgehende Pläne zur Bekämpfung der Regenstein'schen Macht verraten habe.

»Das glaub' ich wohl,« sprach Albrecht. »Der Handel mit Emersleben liegt ihm im Magen. Hast du etwas Näheres darüber erfahren?«

»Nein,« erwiderte Ulrich, »mehr war aus meinem Freunde nicht herauszubekommen. Mir wollte es scheinen, als wenn zwischen dem Bischof und der Stadt Quedlinburg irgend etwas im Gange wäre.«

»Wundern sollte es mich nicht, wenn sich die zwei gegen uns verbündeten,« sagte Albrecht. »Der Bischof sucht überall seine Macht zu stärken, nur um sie gegen uns zu brauchen.«

»Sollte man nicht vielleicht durch eine scharfe Frage von den beiden Quedlinburgern etwa herausbekommen, die du in den Felsenkammern liegen hast?« meinte Bernhard.

»Ich habe sie diesen Morgen freigelassen, dem heutigen Tage zu Ehren,« entgegnete Albrecht. »Die hätten auch nichts gewusst.«

»Was willst du aber tun angesichts der starken Befestigungen, die der Bischof in Wegeleben aufführen lässt?« frug Bernhard.

Graf Albrecht schwieg.

»Wollt Ihr nicht Harsleben und Ditfurt befestigen, um Wegeleben in die Mitte zu nehmen und unschädlich zu machen?« frug auch der Domherr.

»Nein,« sprach Albrecht, »ich weiß Besseres.« Die Brüder blickten ihn erwartungsvoll an, und er fuhr fort: »Wir müssen die Lauenburg haben!«

»Die Lauenburg!« wiederholte Bernhard erstaunt, »Albrecht! wir haben kaum Burg Gersdorf an uns gebracht! Und die schon gönnen sie uns nicht!«

»Lass doch die Neidlinge sich boßen!« lachte der Ältere. »Geschenkt kriegen wir nichts; wir müssen zugreifen, wenn wir etwas haben wollen.«

»Und – die Äbtissin?« frug Ulrich.

»Sie hat mir versprochen, die Lauenburg nicht hinter meinem Rücken zu vergeben.«

»Und wenn sie nicht Wort hält?« wandte Bernhard ein.

»Jutta hält Wort,« sagte Graf Albrecht sehr bestimmt.

»Er muss es ja wissen, Bernhard, wie er mit seiner schönen Freundin steht,« lächelte der Domherr. »Ich sehe Jutta doch noch als gebietende Herrin auf dem Regenstein.«

»Dränge mich nicht, Ulrich! Ich tauge schlecht zum Werben und Freien,« sprach Albrecht. »Lasst mich unsere Grenzen noch tüchtig ausrecken im Lande und für den Besitz sorgen, für unseres Stammes Blüte sorgt Bernhard schon, und da sind noch drei, die unseren Namen längern werden,« fuhr er fort, auf die drei jüngeren Brüder deutend.

Die Grafen Ulrich und Bernhard blickten sich lächelnd an, schwiegen aber, und Albrecht entwickelte ihnen nun die Bedeutung der Lauenburg und die Notwendigkeit, sie als Lehen zu besitzen.

Einen von dem dieses Gespräches sehr verschiedenen Inhalt hatte die Unterhaltung Reginhilds mit Siegfried in der Fensternische.

Die junge Frau bog ihr blühendes Antlitz mit einem schalkhaften Lächeln zu ihrem noch jüngeren Schwager hinüber und lauschte aufmerkend, als wenn sie sie zum ersten Male hörte, seiner begeisterten Schilderung eines Turniers in Ballenstedt, bei dem er vom Fürsten Bernhard zum Ritter geschlagen war, an dem aber Reginhild nicht teilgenommen hatte, weil sie damals Wichtigeres zu tun hatte, nämlich ihrem Gatten das zweite Söhnchen zu schenken.

Seine Erzählung spitzte sich auf einen Glanzpunkt, auf den Augenblick zu, wo ihm eine zarte, jungfräuliche Hand einen Turnierdank gereicht hatte. Es war ein grüner Kranz von Eichenlaub und Efeu gewesen, von einem goldgestickten Bande umschlungen, den diese Hand selber gewunden und auf das blondgelockte Haupt des glückselig Knieenden gedrückt hatte. Jetzt hing er welk und braun in Siegfrieds Schlafkammer zu Häupten seines Lagers, und wenn der junge Ritter die Augen aufschlug, so fiel sein erster Blick auf dieses bescheidene Siegeszeichen. Aber dann erwachte auch eine heiße Sehnsucht in ihm, die wiederzusehen, die ihn mit dem Kranze geschmückt hatte.

»Dunkelbraunes Haar und hellblaue Augen! Reginhild, ich frage dich, hast und schon je etwas so wunderbar Schönes gesehen?« schwärmte Siegfried.

Und Reginhild beteuerte halb lachend, halb ernsthaft: »Niemals, Siegfried, habe ich das gesehen noch je davon gehört. Und du hast das Fräulein seitdem nicht wiedergesehen?«

»Nein,« seufzte der Jüngling und blickte die Schwägerin wehmütig an.

»Aber warum bist du nicht längst einmal hinübergeritten?«

»Wohin soll ich denn reiten? ich weiß ja nicht Namen, nicht die Burg der Vielholden!«

»Hast du denn niemand gefragt?«

»Nein; aber weißt du, was ich möchte, Reginhild?«

»Nun?«

»Satteln, aufsitzen und das ganze Harzland abreiten von Burg zu Burg, bis ich sie gefunden hätte,« rief Siegfried leuchtenden Blickes.

»Und dann?«

»Und dann? nun – dann wieder vor ihr knien und in die hellblauen Augen, in die wunderbaren Augen meiner Lilie schauen, was sonst?«

»Deiner Lilie?«

»So nenne ich sie,« sagte der Jüngling errötend, »um ihr doch einen Namen zu geben, und weil sie Wangen wie die Lilie hat.«

»Wie alt ist sie denn wohl?« frug Reginhild, um einen Anhaltspunkt mehr zur Ermittlung der Unbekannten zu gewinnen.

»Ein bis zwei Jahr jünger als ich,« erwiderte Siegfried, »mir ist, als sähe ich sie vor mir, – aber mich wird sie wohl längst vergessen haben.«

»Wer weiß, Siegfried! wer weiß!« lächelte die Burgfrau. »Wir müssen suchen, bis wir sie gefunden haben.«

Nun rieten sie die Adelsfamilien der nächsten Gaue durch. Aber umsonst; Reginhilds Beschreibung dieses oder jenes Fräuleins wollte immer nicht recht mit dem Bilde stimmen, das Siegfried so lebendig im Herzen trug. Besonders die hellblauen Augen zu dunkelbraunem Haar machten Schwierigkeiten, und Reginhild musste lachend eingestehen, dass sie nicht einmal die Farbe der Augen ihrer besten Freundinnen angeben konnte.

»Schach! Schach und matt!« rief plötzlich Günther so überlaut, dass die beiden in der Fensternische erschreckt auseinander fuhren und auch die älteren Grafen sich nach den Hitzköpfen am Schachbrett umschauten.

»Matt, matt! hilft nichts!« wiederholte der Sieger dem immer noch auf das fast gänzlich entvölkerte Schlachtfeld starrenden Bruder. »Nur her mit dem Sperber! ich kann ihn brauchen in Gersdorf!«

»Sollst ihn haben!« lachte Poppo und befreite seinen gefangenen elfenbeinernen König aus der grausen Verstrickung.

Da trat Ritter Bock von Schlanstedt in den Saal.

Der Raubgraf

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