Читать книгу Katzen an die Macht - Juljan Mecklenburg - Страница 5
Aller Anfang ist schwer
ОглавлениеAls wir am nächsten Morgen eng aneinander gekuschelt auf dem Kratzbaum aufwachten, war die Euphorie des vorherigen Abends leider verschwunden. Mama und unsere Geschwister waren nun genauso weit wie die vertraute Umgebung, in der wir das Licht der Welt erblickten, entfernt. Ich wusste, ohne auch nur ein Wort mit meiner Schwester, die leicht zitternd neben mir lag, zu wechseln, dass sie genauso wie ich empfand. Alleine der Gedanke, dass wir unsere Familie vermutlich nie mehr wiedersehen würden, fühlte sich an wie ein Schlag ins Gesicht. Alles schien so endgültig. Hatten unsere Instinkte einen Fehler begangen, als sie uns auf die Reise in ein eigenes Königreich schickten? Als hätte es nicht klischeehafter sein können, so begann es nun draußen auch noch zu regnen. „Na toll…“, dachte ich. „Nun ist auch der Katzengott traurig und weint“, schniefte Amy mit weinerlicher Stimme und setzte damit meine unausgesprochenen Gedanken fort. Anscheinend hatte auch sie den Schmerz in meinen Augen erkannt und da nun nicht mal mehr ihr starker Bruder weit von den Tränen entfernt war, konnte sie sich selbst nicht mehr zurückhalten. Eine kleine Träne machte den Anfang, als diese aus ihrem linken Auge quer über ihre Wange kullerte und dabei eine feuchte Spur auf ihrem Fell hinterließ. Als ich gerade tröstend meine Pfote um sie legte, brach sie in Tränen aus. Mit leerem Blick starrte sie durch das Fensterglas und betrachtete, wie immer mehr Regentropfen auf die Straße fielen, während sie selbst einen ganzen Wasserfall heulte. „Was haben wir uns nur dabei gedacht…“, fragte sie mit weinerlicher Stimme ihr eigenes Spiegelbild im Fensterglas, während sich ihr Atem gegen dieses schlug und es bedeckte. „Amy… ich…“, fing ich den Satz an, doch wusste selbst nicht weiter. „Schon gut Bruderherz… du musst nichts sagen, es ist schon okay…“, schniefte sie. „Kannst du dich noch an Mamas letzten Blick erinnern?“, fragte ich sie. „Ja… ich sehe ihn noch immer vor meinen Augen…“, flüsterte sie leise, während sie sich ihrem Spiegelbild abwandte. Ohne auch nur ein weiteres Wort zu verlieren, schlossen wir beide die Augen und stellten uns genau diesen Blick vor. Mamas Blick war so voller Demut, so traurig, aber gleichzeitig so stolz und so vollkommen liebevoll. „Sie ist für immer in unserem Herzen und wir tragen sie auf Schritt und Tritt bei uns“, unterbrach ich die Stille. Der Gedanke an sie ließ unsere Herzen schneller schlagen und eine Art Wärme machte sich in unseren Körpern breit. Die barmherzige Wärme von einer Mutterliebe, die keinerlei Grenzen kennt. Etwas bestärkt von diesen schönen Gedanken, kuschelten wir uns noch enger aneinander und waren einfach nur füreinander da. Wir hatten immer noch uns und nichts und niemand konnte uns trennen…
Ein herzliches „Guten Morgen, ihr zwei Süßen“ weckte uns erneut. Als Amy und ich, noch etwas verschlafen, langsam unsere Augen öffneten, erblickten wir unsere beiden Dosenöffner. Diese hatten gerade einen himmlisch duftenden Napf voller Nassfutter auf dem nahegelegenen Fensterbrett abgestellt und streichelten uns überaus sanft über das Fell. Zu unserem Erstaunen hatte sich das Unwetter draußen verzogen und so schien die Sonne mit ihren schönen warmen Strahlen durch das Fenster und hieß uns ebenfalls im neuen Zuhause willkommen. Plötzlich ertappte ich mich, wie ich ganz leise mit dem Schnurren begann. Die warmen Sonnenstrahlen, das behutsame Streicheln sowie das herrlich duftende Frühstück. All das ließ mich den Kummer des frühen Morgens irgendwie vergessen. Als mein Schnurren sich nahezu selbstständig verdeutlichte, indem es lauter wurde, packte es mich. Ich musste einfach herausfinden, ob die saftigen kleinen Fleischbrocken im Napf genauso gut schmeckten wie sie dufteten. Kurzerhand verließ ich meine liegende Position und stellte mich auf alle vier Pfoten. Als ich mich dann nach einem kurzen Katzenbuckel streckte und dehnte, schmunzelten die beiden Dosenöffner. Ich muss an dieser Stelle wirklich sagen, dass die beiden sich perfekt verhalten haben. Wir Katzen haben ein überaus sanftes Wesen und sie respektierten dies, indem sie sich ruhig näherten und jede ihrer Bewegung ohne jegliche Hektik ausführten. Wir Katzen mögen es nämlich absolut nicht, wenn wir zum Beispiel übermotiviert gestreichelt und regelrecht mit den Händen gebürstet werden. Weißt du, wenn du uns gut behandelst… nein, lass es mich anders formulieren… wenn du uns wie Könige behandelst und uns auf Händen trägst (natürlich ist dies bildlich gemeint, also bitte trag uns nicht die ganze Zeit hin und her, das mögen wir nicht so), dann sind wir immer für dich da. Wir begleiten dich treu und werden sehr anhänglich. Du kannst schon bald nicht mehr ohne uns leben und wir schenken dir absolute Ausgeglichenheit und sind immer für dich da. Außerdem bringen wir dich gerne zum Lachen, machen tolle Kunststücke und halten dich trotzdem ganz schön auf Trab. Schon zu Beginn unseres Lebens haben wir bereits einen richtigen, eigenen Charakter. In einem Katzenwurf sehen nicht nur alle Kitten irgendwie verschieden aus, nein, wir unterscheiden uns auch schon sehr früh in unserer Art. Klar, wir schlafen alle gerne und dazu später noch mehr, aber du kannst dir gar nicht vorstellen, wie verschieden wir sein können. Es gibt Katzen, die möchten immer im Mittelpunkt stehen und du musst alles dafür tun, dass dies auch so ist. Andere hingegen wollen lieber ihre Ruhe haben, was allerdings nicht heißt, dass sie nicht für dich da sind. Wir sind sehr feinfühlig und merken sofort, wenn du uns brauchst. Allerdings können wir auch überaus deutlich zeigen, dass wir jetzt einfach gerne ein bisschen Zeit für uns hätten und du lieber erst später die Wohnung saugen solltest. Andere hingegen haben nicht nur einmal täglich die berühmten „5 Minuten“, sondern leben ihr ganzes Leben so. Sie sprudeln vor Energie fast über und haben einen stark ausgeprägten Spieltrieb, den sie immer und überall zur Schau stellen. Auch gibt es sehr interessierte Katzen, die dir ganz genau dabei zusehen, wenn du zum Beispiel einen neuen Schrank für „deine“ Wohnung zusammenbaust. Wir reichen dir zwar kein Werkzeug, aber prüfen jede Schraube und lassen ein paar davon zu deinem Frust auch gerne verschwinden. Dann gibt es wieder überaus verschmuste Katzen, die mit Liebkosungen überschüttet werden wollen und dir nicht mehr von der Pelle rücken. Du siehst, wir sind genauso verschieden wie die Musterung unseres Fells und im Laufe der Zeit festigen sich dann bestimmte Charakterzüge, während wir uns perfekt an unsere Umgebung anpassen. Eine Katze ist nicht nur Herrscher über „deinen“ ganzen Kram, nein, sie ist der treueste Begleiter, den du dir vorstellen kannst. Wir kennen euch in- und auswendig und wissen genau, welche Knöpfe wir drücken müssen, um etwas zu bekommen. Von Beginn an sind wir ein vollwertiges Mitglied deiner Familie… nun ja… Eigentlich sind wir die Könige und ihr die Bediensteten… Aber lass uns das einfach mal so stehen, wir wollen ja schließlich, dass ihr glücklich seid und wir dann ein noch besseres Leben haben.
Während Amy die Sonnenstrahlen genoss und sie noch immer keinen großartigen Hunger aufbringen konnte, stand ich bereits vor dem Futternapf und schlug mir hastig den Bauch voll. Schon früh in meinem Leben hatte ich erkannt, dass Fressen einfach meins war und ich muss ehrlich sagen, dass dieses Futter hier das Beste war, das ich bis dahin jemals verköstigt hatte. „Amy, komm’ schon, es ist echt so was von lecker!“, rief ich über meine Schulter in Richtung meiner Schwester. Doch diese kringelte sich erneut ein und signalisierte mir mit einem langem Schnaufen, dass sie einfach noch nicht so weit war. Auch die beiden Bediensteten, die bis dahin einfach nur unsere bloße Anwesenheit genossen hatten, respektierten dies und verließen wieder den Raum. Nachdem ich den Napf komplett geleert hatte, schleckte ich diesen stolz blitzeblank. Anschließend putzte ich mich ausgiebig und als ich gerade eben wieder zurück auf den Kratzbaum wollte, begann mein Bauch mich daran zu hindern. Anscheinend hatte die ganze Aufregung und der nun riesige Berg Nassfutter, der von oben drückte, etwas bei mir ausgelöst, das mich dazu zwang, schnellstmöglich das Katzenklo aufzusuchen. Das ganze Katzenklo-Ding hatte uns übrigens unsere Mama beigebracht. Ach, sie war einfach die Beste. Da ich Mama natürlich auch jetzt nicht enttäuschen wollte, blickte ich in Richtung der extra für uns bereitstehenden Toilette und begann, mich ihr stolz zu nähern. Ein lautes Grummeln in meinem Bauch arbeitete allerdings gegen mich und so wurde die Situation langsam ziemlich brenzlich. Verkrampft versuchte ich, die Ladung noch etwas in mir zu behalten, aber gleichzeitig ziemlich schnell vorwärts zu kommen. Mit jedem Schritt wurde dies allerdings anstrengender, und so kam es, dass ich, als ich gerade eben mit den Pfoten das Streu des Katzenklos erreichte… nun… Sagen wir einfach mal… „explodierte“. Das laute Geräusch ließ sogar Amy aufschrecken, die daraufhin sofort loskicherte. „Hui, das stinkt ja bis hier oben!“, rief sie feststellend zu mir. „Ja, das sollte wirklich schnellstmöglich weggemacht werden“, entgegnete ich als, ich gerade die letzten Krümel Katzenstreu zwischen meinen Pfoten abschüttelte. Gefühlt um die Hälfte leichter, machte ich einen großen Bogen um mein Werk, das sich nicht nur über den Fußboden, sondern auch den kompletten Eingangsbereich des Katzenklos verteilte. Wieder auf dem Kratzbaum angekommen, musste ich feststellen, dass man es wirklich bis hierhin riechen konnte. Aber ich durfte dort oben noch etwas ganz anderes feststellen. Irgendwie hatte ich es geschafft, meine Schwester durch diesen Vorfall aus ihren trüben Gedanken zu reißen, denn diese empfing mich mit einem breiten Grinsen. Etwas peinlich berührt grinste ich zurück. Ein paar Zimmer weiter hatte unser Personal den Duft nun ebenfalls wahrgenommen. Und als diese etwas erschrocken feststellen mussten, wie viel aus so einem kleinen Kater herauskommen kann und mit ab und zu auftretendem Würgereiz damit beschäftigt waren, das kleine Malheur zu beseitigen, lagen uns Amy und ich lachend in den Armen. „Wir schaffen das hier zusammen!“, murmelte ich in ihr Fell. „Ja, ich bin mir sicher!“, entgegnete sie mit frisch geschöpfter Lebensfreude. „Aber Bounty…“, flüsterte sie in mein Ohr. „Ja, was denn?“, fragte ich. „Es klingt vielleicht blöd und ist vielleicht nicht der passendste Zeitpunkt, aber ich habe echt verdammt großen Hunger“, schmunzelte sie. „Ach, das ist kein Problem, das haben wir gleich, Schwesterherz!“, gab ich freudig von mir, während ich wieder hinüber auf das Fensterbrett sprang, mich bestimmend vor den Futternapf setzte. „MIAU! MIAU! MIAU!“