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Prolog

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Juna Herold

Winner of my soul

Short Romance

Deutsche Erstveröffentlichung

Ausgabe Juni 2020

Copyright © Juna Herold

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin.

Coverfoto: Couperfield © fotolia.com

Covergestaltung: J.T.

Woher sollte ich wissen, wie es sich anfühlte, auf ein kleines Ultraschallbild zu schauen, auf dem neues Leben zu erkennen war?!

Meine Hände zitterten, so aufgeregt war ich, und es war ganz wunderbar! Ich hätte tanzen können vor Freude … mitten auf der Straße, unter all den Leuten, die wie an jedem anderen Freitag zum Supermarkt fuhren und einkauften. Nur für mich war kein Freitag wie jeder andere …

Ja, ein Kind ist wirklich eine sichtbar gewordene Liebe, dachte ich und griff zum Smartphone, um meinen Mann Brian, den werdenden Vater, zu informieren.

Sein Hi…? am anderen Ende der Leitung klang nicht fragend oder ungläubig staunend, sondern verärgert.

»Entschuldige bitte«, sagte ich kleinlaut, weil ich im selben Augenblick ein schlechtes Gewissen hatte, dass ich ihn überhaupt gestört hatte. Ich rief meinen Mann so gut wie nie während der Arbeit an, aber das hier war nun mal eine einmalige Ausnahme. Es musste einfach sein und war bestimmt kein Grund, so unfreundlich zu mir zu sein!

»Was gibt’s denn so Dringendes?«, fragte er und es klang immer noch ziemlich abweisend, obwohl ich ihn gerade um Verzeihung gebeten hatte.

Ich wusste nicht, wie ich weitermachen sollte.

»Brennt unser Haus?«, fragte er ungeduldig.

»Nein, Schatz, nein, unser Haus brennt nicht«, versicherte ich schnell, »und ich wollte es dir eigentlich erst sagen, wenn du nach Hause kommst. Aber ich muss dir das jetzt sagen, sonst platze ich. Ich halt's einfach nicht mehr aus, bis du endlich heimkommst …«, sprudelte es aus mir heraus.

»Hm«, grunzte er. »Dann schieß los, Baby.«

»Du wirst Vater!«, sagte ich und wartete gespannt auf seine Reaktion.

Er schwieg den winzigen Moment zu lang, der mich bei ihm immer unsicher werden ließ.

Dann fragte er: »Sicher?«

»Ja«, antwortete ich genauso knapp und wusste, dass es ein Problem geben würde. Meine Freude war wie weggewischt.

Die Pause wurde schon wieder endlos lang.

»Kommt ein bisschen ungelegen, was meinst du?«, fragte er dann doch.

»Den richtigen Zeitpunkt für Kinder gibt es nicht, das hat dein Vater immer gesagt!«, warf ich ein, sah auf das schwarz-graue Bild in meiner Hand und musste sofort an Bobbys Schmunzeln denken, wenn er meiner Schwiegermutter, seiner Linda, liebevoll über die Schulter gestreichelt hatte, wann immer sie in seiner Nähe gewesen war. Und das war sie eigentlich immer. Mein Gott, die beiden fehlten mir so sehr!

»Wir finden bestimmt die beste Lösung für uns«, sagte Brian und es klang hart.

Ich war in dem Moment nicht sicher, was er damit meinte, und als es mir Sekunden später dämmerte, was er meinen könnte, wollte ich überhaupt nicht darüber nachdenken. Himmel, warum konnte er sich jetzt nicht einfach mit mir freuen?!

Vorne an der Kreuzung quietschten Bremsen. Ich kam mir auch vor wie aus vollem Lauf abgebremst.

»Du möchtest doch sicher auch die beste Lösung für uns alle, oder?«, fragte er noch einmal und lenkte damit meine Gedanken weiter in eine Richtung, die mir nicht gefiel: Aus seiner Sicht gab es also überhaupt keinen Grund zur Freude. Im Gegenteil, er klang sehr bestimmt und ganz sicher nicht wie der Mann, den ich liebte und aus Liebe geheiratet habe. Ja, aus Liebe und aus keinem anderen Grund!

»Die beste Lösung für uns alle …«, wiederholte ich stereotyp, weil mir gerade nichts anderes einfiel und legte auf. Tränen schossen mir in die Augen und mir war schwindelig.

Ich starrte auf das Telefon in meiner Hand und ich war plötzlich so wütend wie noch nie in meinem ganzen Leben. Hatte er wirklich so getan, als wäre gerade irgendetwas zu viel auf die Baustelle geliefert worden?

Wollte er unsere Kinder wie eine Palette Ziegelsteine zurückschicken? Kinder, ja. Ich hätte ihm eigentlich noch gerne von unseren Zwillingen erzählt, die in meinem Bauch heranwuchsen, aber dazu war ich ja schon nicht mehr gekommen.

Ich stand immer noch wie versteinert da. Natürlich war das jetzt alles ein bisschen überraschend, weil mir genau derselbe Frauenarzt, vor dessen Praxis ich gerade stehe, noch vor einem halben Jahr erzählt hat, dass ich aufgrund meiner Hormonlage ohne Unterstützung bestimmt kein Kind bekommen könnte. Und wir, Brian und ich, haben uns darauf verlassen. Bisher ohne Folgen. Denn: Zuwenig Gelbkörperhormon, kein verlässlicher Zyklus, heißt im Klartext: alles nicht so einfach. Und ich sollte mal versuchen, mich etwas fettärmer und dafür etwas vitaminreicher zu ernähren, was ich leider nicht sehr konsequent geschafft habe. Chips und Erdnussbutter brauche ich nun mal oft als Nervennahrung, wenn es im Job richtig rundgeht.

Und jetzt das.

»Okay …«, meinte der Arzt vorhin mit Blick auf den Ultraschall. »Sehen Sie? Da hat sich die Natur doch glatt selbst geholfen. Diese beiden Kinder haben einfach zusammengelegt und dadurch haben die Hormone wohl gereicht. Herzlichen Glückwunsch!«

Herzlichen Glückwunsch, ja genau! Wenn der Vater dieser Wunderkinder nur auch so freudig überrascht reagiert hätte …! Aber im Gegenteil. Die beste Lösung für uns alle war dann was? Darüber wollte ich schon gleich überhaupt nicht nachdenken.

Es musste eine Erklärung dafür geben! Zugegeben, Brians Kindheit war schwer gewesen und sie hatte ihm mehr als einen Knacks versetzt, das war mir schon lange klar. Er wollte deswegen auch selbst keine Kinder in die Welt setzen, aber dass ich das nicht so sah, wusste er schon, als er im Rosengarten seiner Eltern vor mir kniete und mir einen sehr romantischen Heiratsantrag machte.

Eigentlich wollte er sich das mit dem Vaterwerden überlegen und ich wollte ihn in derselben Zeit mit meiner Liebe davon überzeugen, dass er sich auch das Vatersein zutrauen durfte. Über diesen Plänen und guten Vorsätzen war ich inzwischen fast dreißig geworden und jetzt war ich schwanger von dem Mann, von dem ich dachte, dass er mich über alles liebte, so wie ich ihn. Weil sich die Natur selbst geholfen hatte! Weil sie mir offensichtlich ersparen wollte, dass ich irgendwelche Prozeduren durchmachen musste von der Eizell- und Samenspende bis zur in-vitro-Befruchtung. Und überhaupt, auch bei einer künstlichen Befruchtung hätten wir mit mehr als einem Kind auf einmal rechnen müssen. Es war doch alles gut so, wie es war. Die beste Lösung, um zu eigenen Kindern zu kommen, die natürlichste Sache der Welt …

Vielleicht brauchte Brian einfach nur etwas Zeit, sich mit dem Gedanken anzufreunden? Oder … ja, natürlich, das war die Lösung! Ich hatte ihn vorhin mitten aus einer außerplanmäßigen Besprechung geholt und das ärgerte ihn, er war mit den Gedanken ganz woanders gewesen. Das war es.

Ich beruhigte mich wieder etwas angesichts dieser Erklärung. Und heute Abend, wenn er von der Baustelle heimkommen würde, würde sich das ganz bestimmt bestätigen.

Ich stieg ich ins Auto und nahm das Ultraschallbild noch einmal aus meiner Tasche, um mir meine beiden in aller Ruhe anzusehen. Zwei Kinder auf einmal. Das würde unser Leben bestimmt ganz gehörig auf den Kopf stellen, du meine Güte! Ich packte das Bild wieder weg.

Den Motor zu starten und Gas zu geben fühlte sich gerade genau gut an. So würde es gehen. Gestartet war schon, jetzt mussten wir nur noch ein bisschen Gas geben.

Als ich zuhause aufsperrte und ins Haus trat, wäre ich beinahe wieder rückwärts zur Tür hinausgefallen. Der Geruch von Obst- und Gemüseabfällen aus dem Eimerchen, das Brian heute früh dann wohl doch nicht mit nach draußen genommen hatte, empfing mich auf unangenehmste Weise. Warum vergaß mein Mann eigentlich immer, das Ding mit nach draußen zu nehmen, nachdem er sich seinen exotischen Smoothie zum Frühstück gegönnt hatte? Das war doch nicht zu viel verlangt, oder?

Diese Abfälle stanken einfach bestialisch. Normalerweise hätte ich jetzt gewartet und ihn das abends machen lassen. Bei solchen Gelegenheiten kam bei mir die Erzieherin durch, die ich einmal hatte werden wollen. Schließlich will man ja etwas erreichen bei den Kleinen und nicht immer alles selbst machen. Vor allem im Hinblick auf weitere Mitbewohner dieses Hauses und die Vorbildfunktion, die man als Eltern haben sollte, würde ich wahrscheinlich ab jetzt immer so denken. Ich schmunzelte ein bisschen.

Die Sache mit dem Was-Hänschen-nicht-lernt-Prinzip half mir jetzt nicht wirklich. Das Ding musste aus dem Haus und Brian musste mir einfach glauben, dass es unerträglich gestunken hatte und ich nicht darauf warten konnte, bis er zurückkam und das übernahm. Lerneffekt hin oder her.

Als ich den Kompost-Sammelbehälter im Garten öffnete, gab mir das den Rest. Ich hoffte nur noch, dass gerade nicht alle Nachbarn in ihren Gärten saßen und das kleine Malheur mitbekommen würden und übergab mich ins Gras.

Himmel, das ging nun aber auch noch mächtig auf den Kreislauf, das kannte ich so überhaupt nicht.

Ich taumelte über die Wiese zurück zum Haus und musste mich erst mal auf einen der Stühle auf unserer Terrasse setzen.

»Katie?«, fragte mein Nachbar Shawn durch die Büsche, die unsere Grundstücke voneinander trennten.

Ich überlegte, ob ich mich totstellen sollte. Bestimmt war ich noch ganz grün im Gesicht, aber ich war zweifelsfrei auch im Garten. Das zu leugnen wäre also zwecklos gewesen.

»M-h«, machte ich.

»Ich komme mal kurz rüber, wenn’s dir recht ist.«

Mehr als ein weiteres M-h brachte ich nicht zustande, weil mir vom Geruch des Komposthaufens immer noch ganz übel war.

Da stand Shawn schon auf meiner Terrasse.

»Hi.« Er sah mich besorgt an. »Na, du? Alles okay?«

»Geht, ja«, sagte ich matt und griff mir an den Hals.

»Sieht nicht so aus. Was ist denn los?«

Ich überlegte, welchen Teil der Wahrheit ich ihm erzählen sollte. Die ganze, die halbe oder lieber gar nichts von allem? Wenn ich etwas wusste, dann das: Shawn war ein Mensch, der sich nicht abspeisen ließ. Er hatte mir schon zu oft in die Augen gesehen und Bescheid gewusst, bevor ich ihm irgendetwas erzählen musste.

»Was macht der Garten?«, fragte ich ihn sofort, damit er erst gar nicht auf dumme Gedanken kommen konnte oder sich am Ende noch Sorgen um mich machte.

»Ich wollte auf der Terrasse die Bohlen festziehen. Könnte ich mir Brians Akkuschrauber ausleihen, wenn du ihn gerade nicht brauchst?«

»Mach das, ja. Das Ding liegt im Keller, in seiner Werkstatt. Bediene dich ruhig ...«

Er musterte mich, nickte dann und ging ins Haus.

Shawn vertraute ich absolut. Er war Brians bester Freund aus Studententagen. Am Tag unserer Hochzeit war damals plötzlich eine Frau namens Alice an Shawns Seite aufgetaucht und Brian hatte noch den Verdacht geäußert, sie könnte eine Dame vom Escort-Service sein, weil Shawn nicht alleine auf dem Fest erscheinen wollte.

Alice war aber keine bezahlte Begleitung, sie blieb bei Shawn. Sehr hübsch, nicht auf den Mund gefallen, nur ein bisschen verklemmt, fand ich, aber nach ein oder zwei Drinks passte sie immer gut in unsere Runde.

Shawn hatte sie damals vor sieben Jahren schnell geheiratet, etwas zu schnell meiner Meinung nach. Denn so richtig fürs Leben passte sie nicht zu ihm. Aber das war ja nicht mein Problem, mit wem Shawn glücklich werden wollte. Außerdem: Wo die Liebe hinfällt …

Unsere Häuser wurden jedenfalls direkt nebeneinander gebaut und der große Garten hatte keinen Zaun.

So lange keiner von uns einen Hund hat, den der andere nicht mag, war unsere Abmachung.

Zu viert hatten wir immer sehr viel Spaß. Die beiden liebten Kartenspiele genauso sehr wie wir, und die Abende, die wir miteinander verbrachten, waren jedes Mal lustig.

Und jetzt würde alles anders werden: Brian und ich mit zwei Kindern, Shawn und Alice ohne. Oder würden sie jetzt auch auf dem Gebiet so schnell nachziehen wie mit dem Heiraten?

»Darf ich?«, fragte Shawn und ich zuckte zusammen, weil ich nicht gehört hatte, dass er schon zurückgekommen war.

Er legte den Akkuschrauber vor sich auf den Gartentisch und setzte sich auf einen Stuhl, ohne meine Antwort abzuwarten.

»Bitte«, sagte ich und versuchte, mich auf einen Punkt im Garten zu konzentrieren, den ich gerade mit keinem Geruch in Verbindung brachte. Aber es gab nichts. Selbst das grüne Gras verkaufte mir meine Nase als frisch gemäht und mir wurde schon wieder übel.

»Du siehst nicht gut aus. Hast du dir den Magen verdorben oder ist es der Kreislauf?«, fragte er besorgt. »Oder bist du … nein, bist du etwa schwanger?«

Ich zuckte mit den Schultern und wandte den Blick ab.

»Wenn du mit mir nicht reden willst, musst du nicht. Aber du kannst, wenn du möchtest«, sagte er.

Ich lächelte ein bisschen. »Ich weiß, danke.«

Er stand auf, weil er zwar ein besorgter, aber auch ein höflicher Mensch war, und ich schenkte ihm dafür ein dankbares Lächeln.

»Bleibt’s beim Kartenspielen Freitagabend?«, fragte er und legte den Kopf etwas schief. »Vorausgesetzt, dir geht es bis dahin wieder gut.«

»Unkraut vergeht nicht«, antwortete ich.

»Du bist kein Unkraut«, sagte er und grinste.

»Also dann …« Ich erhob mich und bereute es schon im nächsten Moment, weil mir schwarz vor Augen wurde.

Er drückte mich auf den Stuhl zurück. »Schön sitzenbleiben, Mrs. Heart! Ich hole dir ein Glas Wasser.« Schon war er weg.

Ich überlegte, wie ich Shawn jetzt am schnellsten loswerden könnte, als mir Alice von drüben zu Hilfe kam.

»Shawn!« Ihr Ton klang sogar durch den Filter der Büsche etwas gereizt.

»Komme, mein Schatz«, rief er so freundlich zurück, als hätte er diesen Unterton bei ihr nicht gehört, stellte mir aber noch das Wasser hin. »Und du bist vorsichtig, ja? Du weißt ja, wo wir sind.«

»Ich weiß«, sagte ich und trank einen Schluck Wasser, um meinem Nachbarn zu zeigen, dass es mir schon wieder viel besser ging.

Ich hatte keine Ahnung, ob er mir glaubte, aber er machte sich auf den Weg nach nebenan.

Und ich blieb noch ein wenig sitzen, damit sich mein Kreislauf erholen konnte.

Dann überkam mich allerdings von einem Moment zum anderen so etwas wie ein Nestbautrieb. Ich räumte und putzte, sortierte irgendwelche Papierhaufen. Immer mit den Gedanken an diese beiden kleinen Wesen, die bald unser ganzes Leben durcheinanderwirbeln würden. Nichts würde mehr so sein wie vorher.

Wie recht ich damit hatte, sollte ich noch am selben Abend erfahren.

*

Es klingelte an der Tür und ein Officer in blauer Uniform stand davor.

»Sind Sie Mrs. Heart?«, fragte er und seine Stimme hatte einen väterlichen Unterton.

Ich nickte und wusste sofort Bescheid. Im Blick der Polizistin, die sich am liebsten hinter ihrem Kollegen versteckt hätte, war etwas gewesen, was mich warnte und gleichzeitig wie eine Erkenntnis wirkte.

Ja, ich hatte schon die ganze Zeit gespürt, dass etwas nicht stimmte.

»Dürfen wir hereinkommen?«, fragte die Polizistin vorsichtig und machte trotzdem gleichzeitig einen Schritt auf mich zu.

Ich nickte wieder. »Wie ist es passiert?«

Der Officer legte den Kopf ein bisschen schief. »Sie wollten fragen, was passiert ist, oder?«, fragte er.

»Es ist etwas Schreckliches passiert und es ist etwa eine Stunde her«, sagte ich leise.

»Ihr Mann hatte vor etwa einer Stunde einen Unfall, das stimmt«, erklärte mir die Polizistin und legte mir einen Arm auf die Schulter. »Er liegt im Densewood County.«

Ich schluckte trocken.

»Haben Sie jemanden, der Sie dorthin begleiten kann?«, fragte sie und sah mich besorgt an.

Ich atmete tief aus und fing an zu weinen. Wahrscheinlich, weil ich so erleichtert darüber war, dass Brian lebte.

Die Polizistin sah mich immer noch an. »Haben Sie mich verstanden, Mrs. Heart? Gibt es jemanden, der Sie ins Densewood County Hospital bringen kann?«

Ich zuckte mit den Schultern und schluchzte. »Meine Nachbarn. Vielleicht. Ich meine, ich muss erst …« Die Tränen liefen nur so über meine Wangen, ich wischte sie weg.

»Ich übernehme das für Sie, wenn es Ihnen recht ist«, sagte der Polizist.

»Nein… ich kann sie immer fragen … und um alles bitten, … das ist schon in Ordnung«, stammelte ich ohne Punkt und Komma.

»Sie warten hier mit meiner Kollegin«, schaltete sich der Officer ein. Ich schicke Ihnen gleich Ihre Nachbarn rüber, okay?«

Ich nickte matt und vergrub mein Gesicht in den Händen.

Keine zwei Minuten später standen Alice und Shawn in meiner Küche und fielen mir nacheinander um den Hals.

»Liebes, wir bringen dich hin, das ist doch keine Frage«, sagte Alice und ließ mich nicht mehr los, bis wir im Auto saßen.

Ich hatte keine Ahnung, was ich denken sollte, ich wusste nur, dass mir schon wieder speiübel war und dass diese Autofahrt das Problem garantiert nicht verbessern würde. Im Gegenteil, es wurde mit jeder Kurve schlimmer, obwohl Shawn nicht wie Jenson Button durch die Kurven heizte.

»Shawn, könntest du bitte kurz anhalten?«, fragte ich und er sah mich über den Rückspiegel an.

»Klar, … gleich da vorne. Schaffst du’s noch?« Er klang mehr als besorgt.

Als der Wagen stand, riss ich nur noch die Tür auf und übergab mich nahezu zeitgleich.

Alice blieb sitzen. Es war Shawn, der ausstieg, um das Auto herumging und mir ein Taschentuch gab.

»Geht’s wieder?«, fragte er leise und ich sah, dass ihm seine Frau einen strafenden Blick zuwarf.

Ich wusste ja, dass Alice bei zu schnellen Autofahrten auf so kurvigen Strecken auch schlecht wurde, deswegen saß sie vorne und nicht ich. Aber meine Schwangerschaft vereinfachte die Sache jetzt nicht gerade.

»Möchtest du fahren?«, fragte er mich.

Ich blickte ihn entsetzt an. »Nein!«

»Dann wärst du ein bisschen abgelenkt, meinst du nicht? Es ist nicht mehr weit. Drei Meilen oder so. Ich rase euch beiden ja doch zu sehr.«

Ich warf Alice, die inzwischen das Fenster heruntergekurbelt hatte, einen fragenden Blick zu, aber sie zuckte nur mit den Schultern. Das nahm ich als Angebot.

So fuhr ich das letzte Stück und sah ab und zu über den Rückspiegel zu Shawn, der nun hinten saß. Er wirkte beruhigt und meinem Magen ging es tatsächlich etwas besser, er hatte recht behalten.

Zu Unrecht, wie sich gleich herausstellen sollte, denn es gab keinen Grund beruhigt zu sein. Überhaupt keinen.

*

»Wer von Ihnen ist Mrs. Heart?«, fragte die junge Ärztin mit ernstem Blick.

»Ich bin Mrs. Heart«, antwortete ich leise und spürte plötzlich Shawns Arm um meine Schultern. Der eifersüchtige Blick seiner Frau kam prompt und er entging mir nicht, obwohl ich im Moment andere Sorgen hatte.

»Mrs. Heart, ist Ihr Mann Mitglied einer Kirche?«, fragte die Ärztin und da gaben meine Knie nach.

Als ich wieder zu mir kam, lag ich unter grellweißen Neonröhren, die ein gespenstisches Licht verbreiteten, und konnte mich im ersten Moment an nichts erinnern.

Wo war ich und warum?

Dann sah ich Alice und Shawn draußen auf dem Gang stehen.

Alles war wieder da: Wir waren im Densewood County, wo Brian nach einem Unfall lag, und ich musste umgekippt sein.

»Ich muss morgen früh nach New York, ich dachte, wir bringen sie nur schnell hierher!«, hörte ich Alice und dann war da eine unverständliche Antwort von Shawn, der mir zulächelte.

Ich richtete mich langsam auf.

»Bitte, Mrs. Heart, lassen Sie Ihrem Kreislauf noch ein bisschen Zeit«, sagte ein junger, smarter Pfleger und stand von seinem Schreibtisch auf. »Haben Sie Hunger?«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein.«

»Dann trinken Sie das hier.«

Er hielt mir einen Becher Cola hin. »Zucker und Coffein, das können Sie beides brauchen.«

Ich trank erst brav und nach dem ersten Schluck sogar gierig, weil ich sofort merkte, dass er recht hatte. Es war genau das richtige Getränk für mich.

Als ich ihm den leeren Becher zurückgab, sagte er: »Dann bringen wir Sie mal zu Ihrem Mann, ja?«

Ich nickte und setzte mich freiwillig in den Rollstuhl, den er heranschob.

»Versicherungstechnisch besser«, zwinkerte er.

Ich fragte mich, wie er mir in meiner Situation zuzwinkern konnte. Wusste er denn nicht, dass mein Mann auf der Intensivstation lag und um sein Leben kämpfte?

Shawn und Alice folgten uns.

»Alles Gute«, sagte der Pfleger, als er mich an die Schwester übergab, die mich zu Brian bringen sollte.

Die Schwester sah viel ernster aus als er und sie schwieg den ganzen Weg, vom Aufzug über die Klinikgänge bis zu der Station, auf der Brian lag. Mir war klar, was das bedeuten musste, als ich meinen Mann da liegen sah.

Über und über bandagiert und an den wenigen Stellen, an denen kein Verband war, waren Infusionen und Kabel angeschlossen.

Die Stunden und Tage voller Hoffnungen und Zweifel waren eine schreckliche Zeit, die ich nicht in Worten beschreiben kann.

Brian kämpfte um sein Leben und ich versuchte, ihn dabei zu unterstützen, so gut ich es konnte. Ich erzählte ihm, wie sehr wir ihn alle brauchten und liebten.

Aber seine Verletzungen waren zu schwer und er hat das Bewusstsein nicht wiedererlangt, wir konnten nicht mehr miteinander sprechen.

Am dritten Tag – ich hatte gerade ein paar Stunden zuhause geschlafen, weil sie mich heimgeschickt hatten, - kam der fürchterliche Anruf aus dem Densewood County Hospital, den ich nie erhalten wollte.

Danach war alles ganz anders und endgültig nichts mehr wie vorher.

*

Es ging weiter. Irgendwie. Es musste ja weitergehen.

Hätte ich mich selbst aufgegeben, wäre das auch das Ende meiner beiden Kinder gewesen, die in mir wuchsen. Es war meine Aufgabe und meine Pflicht, sie zur Welt zu bringen, das wusste ich, denn sie waren das Vermächtnis meines Mannes.

Einige der Menschen, die mir anfangs geholfen haben, kennen mich heute schon fast nicht mehr. Manche sind weggezogen, manche haben einfach nur genügend eigene Probleme, aber ich bin jedem einzelnen für immer dankbar, der mir in dieser Zeit beigestanden hat.

Allen voran meinem Nachbarn Shawn, dessen Frau schon damals sehr oft beruflich unterwegs war.

Ihm konnte ich einfach alles erzählen, von alltäglich bis philosophisch, ihn interessierte alles und er fragte von sich aus, wie er mir helfen konnte. Ich musste ihn nicht darum bitten. Er wich mir auch nicht aus, wenn ich traurig war. So lang danach … Manchmal sind da eben lange Momente, die einem die Tränen in die Augen treiben. Das passiert so lange, bis aus der schmerzenden Erinnerung Dankbarkeit für das Erlebte werden kann. Es braucht Zeit und manche Wunden heilen trotzdem nie.

Inzwischen sind meine beiden Kinder viereinhalb Jahre alt. Die Jahre sind, im Nachhinein betrachtet, wirklich unglaublich schnell vergangen. Es waren die härtesten und auch schöne Jahre. Bittersüß sozusagen.

Nach Brians Tod habe ich mir fest vorgenommen und mich auch bis heute strikt daran gehalten, dass ich nie mehr einen Mann lieben werde. Schließlich könnte ich ihn eines schönen Tages, - Knall auf Fall und völlig unvorbereitet, - wieder verlieren. Das wollte ich niemals mehr erleben.

Wenn ich es genau nähme, käme nur ein einziger Mann in Frage, aber Shawn ist nun einmal vergeben. Und ich brauche ganz bestimmt keine verzehrende Liebe oder ein Dasein als heimliche Affäre im Hintergrund. Mit der Gewissheit, dass ich zwar den Krankenwagen sehen würde, mit dem man meinen Geliebten ins Krankenhaus bringt, aber kein Arzt der Welt mir Auskunft über seinen Gesundheitszustand geben dürfte, weil ich weder verwandt noch verschwägert wäre. Nein danke! Oder wenn wieder mal ein neues Virus über die Welt zieht? Dann wären wir über Wochen oder Monate getrennt und jeder von uns wäre mit dem zusammen auf engstem Raum, mit dem er es laut Papier sein muss!

An der Stelle frage ich mich immer, wie es sein kann, dass die Päpste, die so ein Zusammenleben in einer unglücklichen Ehe nie erlebt haben, über uns bestimmen, dass wir im Zweifel ein Leben lang so leben müssen. Mit genau dem oder der einen …

Jedenfalls fällt der Mann, den ich in der Zeit nach Brians Tod immer mehr zu lieben gelernt habe, schon einmal weg. Ganz einfach, weil eine andere Frau schneller war als ich, ihn geheiratet hat und nun mit ihm zusammenlebt. Weil er nicht in Frage kommt! Gott! Shawn ist verheiratet, er gehört zu einer anderen Frau und ich muss das akzeptieren und zusehen, dass ich eine andere Seele finde, die mich ergänzt.

Bald.

Denn ich bin soweit, dass ich mir wieder einen Mann in meinem Leben vorstellen kann, ja, sogar im Haus. Den Richtigen. Weil ich auch erwachsene Liebe brauche, nicht nur die meiner Kinder, obwohl ich ohne sie die ganzen Jahre nicht überlebt hätte. Sie haben mir gezeigt, dass ein paar Tränen tagsüber schon mal okay sind und sie das gut in ihre kindliche Welt einbauen konnten.

Aber wenn ich mal länger weinen wollte, durfte das nur nachts sein, wenn mich mein Kopfkissen trösten musste. Sie hatten ja recht, dass sie mich tagsüber so fröhlich wie möglich brauchten und da überschütteten sie mich auch mit ihrer Zuneigung. Ich glaube, so sensible und brave Kinder hat sonst keine Mum auf der ganzen Welt.

Was mich zum Umdenken gebracht hat, dass ich es doch noch einmal mit der Liebe versuchen möchte? Ein einwöchiger Surfkurs mit Fitnessprogramm. Der Hauptgewinn in einem Preisausschreiben.

In dem Brief, der mir diese Nachricht überbracht hat, stand ganz einfach: Katie Heart, you are the winner of the day!

Und ich wusste zunächst überhaupt nicht, wie mir geschah.

Winner of my Soul

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