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1 DER WERKZEUGKASTEN: WIE WIRKT VERTRAUEN?

Unsere Vorstellung von Vertrauen wird durch alltägliche Vorannahmen geprägt. »Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser!«, heißt es immer wieder. Die eigene Umwelt zu kontrollieren ist demnach sicherer, als sich ihr vertrauensselig auszuliefern. Diese Einstellung klingt heute auch in vielen politischen Debatten mit. »Take back control«, die Kontrolle zurückzugewinnen, versprach etwa die letztlich erfolgreiche Brexit-Kampagne. Wenn wir in diesem Buch dennoch für Vertrauen werben, müssen wir also zuerst fragen: Wie verhalten sich Vertrauen und Kontrolle zueinander? Schließen sie sich wirklich aus?

Vertrauen und Kontrolle

Beginnen wir mit einem Gedankenexperiment. Stellen Sie sich vor, Sie wachen morgens auf und haben kein Vertrauen mehr. In nichts und niemanden. Kein Vertrauen in sich selbst. Schaffen Sie es aus dem Bett? Wie sollen Sie den Tag bewältigen – ohne Vertrauen in die Menschen, mit denen Sie leben, Ihre Partner, Kinder oder Mitbewohnerinnen? Die führen doch bestimmt etwas im Schilde! Sind Sie überhaupt noch sicher in den eigenen vier Wänden? Allerdings sähe es draußen nicht besser aus. Den Menschen auf der Straße kann man erst recht nicht trauen. Also doch besser im Bett bleiben? Wer garantiert Ihnen, dass den Sicherheitsstandards, die Ihr Bett erfüllen soll, überhaupt zu trauen ist und dieses nicht im nächsten Moment zusammenbricht?

Statt auf Vertrauen setzen Sie nun also auf Kontrolle, auf Wissen. Wie können Sie Ihren Körper kontrollieren? Immerhin gibt Ihnen Technik die Möglichkeit, die wichtigsten Körperwerte ständig zu überwachen, und lässt Sie wissen, ob Sie fit für den Tag sind. Auch regelmäßige Kontrolluntersuchungen beim Arzt sind zu schaffen. Auf den zweiten Blick müssen Sie jedoch auch der Technik und dem Arzt erst einmal vertrauen. Was Ihre Wohnung angeht, wird es schon aufwendiger. Am sichersten scheint das Überwachen mit Videokameras. Aber woher die Zeit nehmen, die ganzen Aufnahmen zu sichten? Sie brauchen also Angestellte, die das für Sie übernehmen. Und eine Hausmeisterin, die Sonderschichten einlegt, um auch Ihre Einrichtung regelmäßig auf Sicherheit zu überprüfen. Schließlich sind da noch Ihre Nachbarn, weshalb Sie einen Sicherheitsdienst benötigen. Und noch mehr Kameras. Und bei all dem Personal stellt sich die Frage: Wie kontrollieren Sie eigentlich Ihre Angestellten?

Irgendwann in der langen Kette müssen Sie folglich dennoch vertrauen. Vertrauen und Kontrolle schließen sich also gar nicht aus. Vielmehr sind sie eng aufeinander bezogen. Was intuitiv erst einmal schwer nachvollziehbar ist, ist letztlich eine Grunderkenntnis unserer Wissenschaft, der Soziologie. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts schrieb der Soziologe Georg Simmel über eine Welt, in der die Industrialisierung, die anonyme Großstadt und die Oberflächlichkeit des modernen Lebens noch relativ neue Phänomene waren. Vor allem beschäftigte ihn die Frage, wie eine Gesellschaft, in der die Leute sich nicht mehr kennen, nicht auseinanderfällt und in Mord und Totschlag endet. Was hält sie zusammen? Seine Antwort: Vertrauen.1

Mit Blick auf unser heutiges Leben würde Simmel fragen: Wie viel wissen Sie von den Menschen, mit denen Sie im Alltag zu tun haben, wirklich? Von den anderen Verkehrsteilnehmern, der Verkäuferin im Geschäft, Ihrer Ärztin, Ihren Arbeitskollegen, ja selbst von Ihren Freunden? Alles in allem nicht besonders viel, zumindest nicht genug, um hundertprozentig sagen zu können, mit wem Sie es zu tun haben. Sie verbringen eben nur einen bestimmten Ausschnitt Ihres Lebens mit ihnen. Laut Simmel spielt das jedoch keine Rolle. Es genügt, wenn Ihnen diese Leute im Hinblick auf diesen Ausschnitt zuverlässig erscheinen. Wenn sie sich im Straßenverkehr erwartbar verhalten, wenn die Verkäuferin freundlich ist und Ihnen Dinge verkauft, ohne Sie zu hintergehen, wenn Ihre Ärztin kompetent ist, Ihre Kollegen halbwegs zuverlässig sind und Ihre Freunde Sie nicht andauernd versetzen.

Dieser mit anderen geteilte Ausschnitt reicht, um ein gemeinsames Verständnis für die Situation zu entwickeln und das eigene Verhalten darauf abzustimmen: sich gemeinsam durch den Verkehr zu bewegen, einzukaufen, den Körper untersuchen zu lassen, Zeit miteinander zu verbringen. Es braucht nur genügend Anhaltspunkte dafür, dass sich andere Menschen auch tatsächlich so verhalten, wie man selbst es erwartet. Vertrauen ist demnach, so Simmel, eine »Hypothese künftigen Verhaltens, die sicher genug ist, um praktisches Handeln darauf zu gründen«.2 Daraus schließt er im Übrigen auch, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt nicht von der Individualität der einzelnen Menschen bedroht wird. Allerdings ist mit dem zunehmenden Individualismus unbedingt auch mehr Vertrauen erforderlich. Denn wer mit den Menschen im Alltag nicht mehr notwendigerweise gemeinsame Lebenserfahrungen teilt, braucht andere Wege, die Gegenseitigkeit und Verbindlichkeit im Zusammenleben sicherstellen.

Vertrauen ist daher nicht blind. Im Gegenteil: Es beruht auf einer Kombination von Kontrollierbarkeit und Wissen. Im Alltag sind es oft Details, die darüber entscheiden, ob wir jemandem vertrauen. Menschen, die uns äußerlich ähneln, schenken wir zum Beispiel eher unser Vertrauen. Gleiches gilt für Menschen, die wir gut aussehend finden. Beim Vertrauen in Institutionen ist es eine Mischung aus Erfahrungen, die wir gemacht haben, und aus Geschichten, die wir gehört haben. Auch Intuition spielt eine Rolle. Und so sind selbst Fakten kein Ersatz für Vertrauen. Sie steigern das eigene Urteilsvermögen nur so lange, wie man denen vertraut, die sie produzieren – seien es Verwaltung, Wissenschaft oder Medien.

In der Ökonomie und in der Soziologie ist das Verständnis von Vertrauen als »Hypothese künftigen Verhaltens« oft entscheidungstheoretisch zugespitzt worden. Vertrauen wird als eine Wette über zukünftige Handlungen anderer gesehen. Individuen, so die Vorstellung, rechneten sich aus, wie wahrscheinlich bestimmte Handlungen anderer seien, und entschieden dann, ob sich Vertrauen lohnen könnte. Vertrauen erscheint als kalkulierende wie kalkulierbare Ressource sozialer Beziehungen.3

Dabei ist es gerade nicht die Berechenbarkeit, die uns füreinander vertrauenswürdig macht. Vertrauen ist keine Ressource, die in uns selbst steckt und die wir einsetzen, um unseren Eigennutzen zu optimieren. Vielmehr steckt Vertrauen zwischen uns, in unseren Beziehungen. Und in diesen entscheiden wir nur in den seltensten Fällen ganz bewusst, ob wir jemandem vertrauen oder nicht. In der Regel ist Vertrauen in Alltagsroutinen eingebettet, was wir mit unserem Beispiel vom Anfang gezeigt haben: Wenn Sie morgens, ohne weiter darüber nachzudenken, vor die Tür treten, mussten Sie zwar mindestens schon Ihrem Körper, Ihrem Bett, den Menschen, mit denen Sie zusammenleben, und den Menschen auf der Straße trauen. Doch Ihre bewusste Entscheidung war das nicht. Es hat sich einfach bewährt, ist Normalität. Wird Vertrauen also explizit angesprochen, stehen Zweifel und Misstrauen oft schon im Raum. Nicht zufällig ist es für manche Politikerinnen und Politiker zum bösen Omen geworden, wenn Angela Merkel ihnen ihr »vollstes Vertrauen« aussprach: Die Tage ihrer politischen Karriere waren damit häufig gezählt.

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser? Eher bedingen sich die beiden: Vertrauen schenken kann man nur aus einer Position der Stärke, der Kontrolle und des Wissens. »Der völlig Nichtwissende«, so abermals Simmel, »kann vernünftigerweise nicht einmal vertrauen.«4 Es kommt also immer auf das Zusammenspiel an. Eine gewisse Kontrolle ist nötig, um vertrauen zu können. Vollständige Kontrolle aber gibt es nicht: Je mehr man kontrolliert, desto mehr muss man vertrauen. Was ist dann aber die positive Wirkung von Vertrauen? Vertrauen, so der Soziologe Niklas Luhmann, ist sich im Klaren darüber, dass es immer auch anders sein könnte.5 Dort, wo es vorhanden ist, stärkt es folglich auch die Toleranz gegenüber Mehrdeutigkeit. Es lässt sich von dieser nicht verunsichern, sondern ist offen für die unüberschaubare Vielfalt, die unvorhersehbaren Ereignisse des Lebens.

Die positive Wirkung des Vertrauens

Vertrauen macht das Zusammenleben daher nicht nur »flüssiger«, sondern auch toleranter. Das klingt gut, und so hat das Konzept »Vertrauen« in den letzten Jahrzehnten eine echte Karriere in den Sozialwissenschaften hingelegt. Vertrauen verspricht zweierlei herzustellen: eine starke Wirtschaft – und eine starke Gesellschaft. Im Fall des Wirtschaftens senkt Vertrauen die sogenannten Transaktionskosten. Damit bezeichnet die Ökonomie den Aufwand an Ressourcen, den man für ökonomische Handlungen wie Kaufen, Verkaufen oder Mieten einsetzen muss.

Haben Sie sich schon einmal gefragt, warum Drogen so teuer sind? Das liegt zu einem guten Teil an diesen Transaktionskosten. Auf einem illegalen Markt, auf dem es keinen Staat gibt, der die Regeln bestimmt, können sich die Marktteilnehmer gegenseitig nur sehr schlecht kontrollieren. Ihnen fehlt die Handhabe. So vertraut kein Produzent dem Händler, kein Händler dem Zwischenhändler, kein Zwischenhändler dem Endkunden. Denn wenn etwas schiefgeht, kann niemand einfach die Polizei rufen, niemand auf sein Recht pochen. Damit das Geschäft unter dieser Bedingung des Misstrauens dennoch zustande kommt, muss sich das Risiko lohnen – und deshalb muss mehr für alle herausspringen. In der Ökonomie ist Vertrauen darum als »Schmiermittel« bezeichnet worden.6 Im Fall des Drogenhandels fehlt es und wird durch Geld ersetzt. Die Risikoprämien machen Drogen so teuer.

Die positive Wirkung eines höheren Vertrauens, den diese Theorie in Bezug auf die Wirtschaft behauptet, findet sich durch international vergleichende Umfragen bestätigt. Höheres Vertrauen in Fremde geht demnach mit Wirtschaftswachstum und besserer Ausbildung der Bevölkerung einher. Aber nicht allein ökonomische, sondern auch psychische und soziale Faktoren wie Lebenszufriedenheit oder eine geringere Selbstmordrate hängen mit höherem Vertrauen zusammen.7 Was diese Ergebnisse nicht erklären können: Was war zuerst da? Das Vertrauen? Das Wirtschaftswachstum? Die Zufriedenheit?

Um diese Fragen zu beantworten, muss man sich genauer anschauen, auf welchen Ebenen Vertrauen aufgebaut wird und welche Arten des Vertrauens sich unterscheiden lassen. Im Kleinen gibt es zunächst das, was man »partikulares Vertrauen« nennt. Es basiert auf Beziehungen zwischen Personen, die sich persönlich kennen oder deren Verhalten weitgehend gegenseitig bekannt ist. Solches Vertrauen besteht in Familien, zwischen Freunden, im Idealfall am Arbeitsplatz. Wir sprechen vom kleinen Wir.

Grundlage ländervergleichender Analysen ist demgegenüber das »generalisierte Vertrauen«. Es basiert nicht auf konkreten Beziehungen zu Menschen, die man persönlich kennt, sondern auf dem Bild, das man von seinen Mitmenschen im Allgemeinen hat. Warum dieses generalisierte Vertrauen in einzelnen Ländern so verschieden ausgeprägt ist, wird seit Jahrzehnten diskutiert. Die jeweiligen Erklärungen lassen sich vor allem danach unterscheiden, aus welcher Richtung sie argumentieren: von unten nach oben – oder umgekehrt.

Im ersten Fall wird vor allem die Rolle bürgerschaftlichen Engagements betont. Mit ihm und insbesondere seinem Verfall hat sich der amerikanische Politikwissenschaftler Robert Putnam auseinandergesetzt.8 Er fragte, wie Demokratien funktionieren, und fand die Antwort im sozialen Kapital. Darunter versteht Putnam drei eng miteinander verbundene soziale Mechanismen. Erstens das Vertrauen. Zweitens Normen der Gegenseitigkeit: Ich helfe in der Erwartung, dass mir in der Zukunft geholfen wird. Und drittens freiwillige Vereinigungen, also Vereine oder auch losere Gruppen etwa in der Nachbarschaft, in denen diese Gegenseitigkeit gepflegt und soziales Vertrauen aufgebaut werden kann.

In solchen Vereinigungen lernen die Menschen die Grundnorm der Demokratie, das gegenseitige Geben und Nehmen, und damit das daraus erwachsende Vertrauen. Putnam geht davon aus, dass sich dieses zunächst noch partikulare Vertrauen in der Nachbarschaft oder im Verein schließlich auch auf die Gesellschaft insgesamt übertragen lässt, also zu einem generalisierten Vertrauen wird. Vertrauen beginnt im Kleinen und geht dann ins Allgemeine.9

Andere argumentieren genau umgekehrt und sagen, es seien die großen politischen Rahmenbedingungen, die darüber bestimmten, ob eine Gesellschaft von generalisiertem Vertrauen geprägt sei oder nicht. Als überzeugend hat sich in diesem Zusammenhang insbesondere die Analyse der sozialstaatlichen Modelle erwiesen. So lässt sich zum Beispiel zeigen, dass in den breit ausgebauten Sozialdemokratien Skandinaviens das Vertrauen zwischen den Menschen sehr hoch ist.10

Vertrauensvorschuss

Jutta Allmendinger

An einer Universität ist eine wichtige Professur zu besetzen. Es geht um viel. Die nächste Exzellenzrunde steht an, man sucht ein Zauberwesen: international wissenschaftlich ausgewiesen, breit aufgestellt, neugierig auf die Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen, kollegial, bereit, sich für die Belange der Universität einzusetzen, den Diskurs mit Politik und Öffentlichkeit zu suchen.

Ich leite die Berufungskommission. Anhörung folgt auf Anhörung. Begeisterung kommt nicht auf, von einer Einigung ist die Kommission weit entfernt. Ein Mehrheitsentscheid? Eine Neuausschreibung? Ich muss entscheiden.

Trotz zunehmender Frustration macht mir das Verfahren von Beginn an Freude. Das liegt hauptsächlich an einem mir völlig unbekannten Kommissionsmitglied, einer jungen Frau, selbst Professorin an einer kleinen Universität, Mutter dreier Kinder. Ihre Fragen sind hellwach, zeigen ein breites Wissen, zeugen von Humor. Keine Verbissenheit, keine Show. Ihre Art ist von einer sehr bescheidenen Selbstverständlichkeit.

Es braucht eine Weile, dann aber klickt es: Eigentlich suchen wir dieses Kommissionsmitglied. Ich sondiere. Die Einwände kommen schnell: Die Publikationsliste ist zu dünn, die weitere Entwicklung unklar. Drei Kinder. Erwerbstätiger Ehemann. Zu hoch das Risiko. Zu hoch der Vertrauensvorschuss.

Der Rest der Geschichte ist schnell erzählt. Neuer Anlauf.

Das Kommissionsmitglied wird eingeladen und angehört. Anschließend Diskussionen über die Vermessung von Potenzial: Wo stünde die Frau, hätte sie keine Kinder? Wie viel Forschungszeit kostet ein Kind? Gibt es Mengenrabatte bei drei Kindern? Dann: viel Mut. Noch mehr Vertrauen. Berufung. Die junge Frau ist mittlerweile ein Star in ihrem Fach.

Formal war das Verfahren nicht korrekt. Heute wäre es nicht mehr möglich, zu befürchten wäre eine Wettbewerbsklage. Klare Verfahrensregeln schaffen Vertrauen. Das Vertrauen in das Potential der Menschen ersetzen sie nicht.

Unser Konzept

Wie unterschiedliche Menschen in Kontakt kommen

In unserem Ansatz wollen wir einen anderen Blick vorschlagen. Wir wollen nicht fragen, ob Vertrauen von oben nach unten oder umgekehrt herzustellen ist. Wir konzentrieren uns vielmehr ganz auf den relationalen Aspekt von Vertrauen, fragen also zum einen, in welche Beziehungen die Menschen gesellschaftlich eingebunden sind, und zum anderen, inwiefern diese Beziehungen von Vertrauen geprägt sind oder nicht. Für ein »gesundes« Vertrauen, das Grundlage gesellschaftlichen Zusammenhalts sein kann, müssen wir zunächst zwei Bedingungen beachten. Erstens, dass der Kontakt zwischen unterschiedlichen Menschen überhaupt möglich ist. Zweitens, dass die Ungleichheit in der Gesellschaft insoweit begrenzt bleibt, dass ein solcher Kontakt auf Augenhöhe stattfinden kann.

Grundlegend für die erste Bedingung sind die Arbeiten von Mark Granovetter. Der amerikanische Soziologe und Ökonom untersuchte in den 1970er-Jahren, wie Informationen zwischen unterschiedlichen sozialen Kreisen fließen. Dazu schaute er sich die Berufslaufbahnen von Ingenieuren in Boston an und fragte: Wie kommen die Leute eigentlich an ihre Jobs? Das Ergebnis: Nicht Stellenanzeigen und auch nicht enge Freunde halfen dabei. Stattdessen waren es entferntere, flüchtige Bekanntschaften, die die entscheidenden Informationen gaben.11

Die Erkenntnis, die Granovetter daraus zog, war so einfach wie genial: Enge Bindungen zwischen Menschen gehen oft mit großer Ähnlichkeit einher – einem ähnlichen Milieu, ähnlichen Orten, ähnlichem Einkommen, ähnlichen Ansichten und ähnlichen Freunden. Alle Mitglieder solcher engen Kreise haben demzufolge auch Zugang zu ähnlichen Informationen. Weiß es einer, wissen es alle. Je enger diese Kreise sind, desto schwerer finden neue Informationen ihren Weg in sie hinein. Bei der Jobsuche zeigte sich der große Nachteil dieser Enge. Nahe Bekannte konnten den Jobsuchenden kaum mehr mitteilen, als diese eh schon wussten. Umgekehrt hieß das: Schwache Beziehungen erwiesen sich als die eigentlich starken. Wer entferntere Bekannte nach offenen Stellen fragte, bekam nicht nur mehr Empfehlungen, sondern auch eine größere Vielfalt davon.

Granovetters Entdeckung hängt unmittelbar mit dem Vertrauen zusammen. Die kleinen Wirs von Familie und Freunden beruhen, wie schon gesagt, auf einem partikularen Vertrauen. Doch damit alleine ist noch keine Gesellschaft zu machen. Sie entsteht erst im Austausch zwischen den sozialen Kreisen. Jede und jeder Einzelne braucht dafür aber nicht nur soziales Kapital, das enge Bindungen aufbaut, sondern auch ein soziales Kapital, das Brücken baut. Putnam unterscheidet in diesem Sinne das bonding capital vom bridging capital.12 Letzteres sah im Fall der jobsuchenden Ingenieure in Boston etwa so aus: Wer im beruflichen Alltag nicht nur engen Kontakt zu Kollegen, sondern auch ein weitreichenderes, lockereres Netzwerk hatte, profitierte von diesen Beziehungen außerhalb der eigenen kleinen »Blase«.

Die Chance zum Kontakt muss jedoch nicht an die Menschen selbst gebunden sein. Unter dem Begriff des kontextbasierten Vertrauens wird in den Sozialwissenschaften heute mehr denn je diskutiert, wie unterschiedliche Räume vertrauensbildend wirken können. Im Zentrum stehen dabei Nachbarschaften, weswegen in der einschlägigen englischsprachigen Literatur auch von community trust die Rede ist. In der Nachbarschaft kennt man zwar manche, aber nicht alle Leute. Die Kenntnis der wenigen wird durch den Kontext, den die Nachbarschaft herstellt, jedoch verallgemeinerbar. Das heißt, durch die nachbarschaftlichen Beziehungen entsteht ein Umfeld, das dann selbst auf jene vertrauenerweckend wirkt, die sich dort nur vorübergehend aufhalten. Man kennt das aus dem Alltag. Sie fühlen sich in einer solchen Nachbarschaft sofort wohl, auch ohne jemanden zu kennen. Sie vertrauen den Menschen auf der Straße, nicht weil Sie sie als Teil einer bestimmten Gruppe identifizieren, sondern weil die Umgebung selbst das Vertrauen ausstrahlt. Entscheidend ist hier also nicht die Identität, die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe. Es ist der Kontext, der soziale Raum.

Soziale Gleichheit

Gelegenheiten zum Kontakt allein reichen nicht, es müssen auch bestimmte Rahmenbedingungen erfüllt sein, damit sie genutzt werden. Allen voran ist entscheidend, wie groß die sozialen Unterschiede zwischen denen sind, die in Kontakt miteinander kommen. Mit diesen Bedingungen hat sich vor allem der französische Soziologe Pierre Bourdieu beschäftigt. Er fragte: Wie wirkt sich die individuelle Ausstattung mit Ressourcen wie Geld, Bildung und »Vitamin B« darauf aus, wer mit wem in Kontakt tritt? Was entscheidet am Ende darüber, wer einen bestimmten Job bekommt? Um überhaupt für ihn in Betracht gezogen zu werden, braucht man das, was Bourdieu »kulturelles Kapital« nennt – beispielsweise die richtigen Abschlüsse an den richtigen Universitäten, die richtigen Manieren. Erwirbt man diese durch Fleiß, durch Begabung oder weil die eigenen Eltern dort schon studiert haben? Und wenn wir schon dabei sind: Hilft es nicht, wenn den Eltern die Firma gehört oder sie zumindest den Chef kennen?

Bourdieu fragte sich im Grunde also, wie soziale Ungleichheit in der Gesellschaft hergestellt wird. Dabei entdeckte er vielfältige Formen, in denen das geschieht. Es ist demnach nicht allein das Geld, das ökonomische Kapital, das zählt. Daneben gibt es das schon erwähnte kulturelle Kapital, etwa die eigenen Fähigkeiten und Abschlüsse. Und eben auch soziales Kapital. Darunter versteht Bourdieu all jene Ressourcen, die sich aus dauerhaften Beziehungen, gegenseitigem Kennen und Anerkennen ergeben: »Ressourcen, die auf der Zugehörigkeit zu einer Gruppe beruhen«. Innerhalb der Gruppe sorgen diese Ressourcen für Sicherheit und gegenseitige »Kreditwürdigkeit«.13

Soziales Kapital fügt sich hier demnach ein in eine gesellschaftliche Struktur der Ungleichheit, die durch sich gegenseitig verstärkende Ressourcen erhalten wird. Wer viel ökonomisches, kulturelles und soziales Kapital hat, profitiert entsprechend von dem Vertrauen, das im Netzwerk besteht. Innerhalb des Netzwerks erzeugt das Kapital gegenseitiges Vertrauen, das unabhängig von der jeweils bekleideten Position Loyalität garantiert. Und das auch unabhängig von spezifischen Kontexten auf alle übertragbar ist, die zur Gruppe gehören. Die einzige Frage, die zählt, ist folglich, ob jemand dazugehört – oder nicht. Bourdieu untersuchte diese Ausschlussmechanismen am Beispiel der französischen Elite, die die Frage der Zugehörigkeit oft mit einem Blick entscheiden kann. Dazu reicht es etwa schon, nicht mit bestimmten Tischmanieren vertraut zu sein. Nicht zu wissen, wie man ein Fischmesser benutzt, stellt dann diejenigen bloß, die nicht dazugehören und die folglich kein Vertrauen genießen können.

In der soziologischen Forschung werden die Netzwerke, in denen Menschen sich bewegen, und die Frage sozialer Ungleichheit erst seit wenigen Jahren konsequent zusammengedacht. Die Grundannahme ist nun nicht mehr, Armut als Eigenschaft von Personen zu sehen, sondern als eine Struktur, die den Handlungsspielraum von Menschen beschränkt. Um diesen zu erweitern, braucht es Bildung, Geld, Zeit, Selbstsicherheit. Im Falle der Armut ist all das begrenzt. Arme Kinder werden beispielsweise seltener zu Kindergeburtstagen eingeladen. Und selbst wenn, werden die damit verbundenen sozialen Verpflichtungen zum Problem: das Geld für ein Geschenk, die Gepflogenheit, eine Gegeneinladung auszusprechen. Arme Menschen, die häufig in sozial isolierenden Arbeitsverhältnissen stecken, haben zudem weniger Möglichkeiten, sich etwa gewerkschaftlich zu organisieren. Dabei wäre gerade ein solcher kollegialer Kontakt eine notwendige Bedingung dafür, an der eigenen Situation etwas ändern zu können.14

Fassen wir zusammen: Vertrauen und Kontrolle sind keine Gegensätze. Vertrauen kann nur, wer ein gewisses Maß an Kontrolle hat. Vertrauen zu schenken ist riskant. Ein Vorschuss, den man sich leisten können muss. Vertrauen erleichtert das Zusammenleben, es ermöglicht und schafft Diversität. Es wirkt auf ganz verschiedenen Ebenen. Sowohl partikular, in Teilen der Gesellschaft, als auch generalisiert, in der Allgemeinheit. Es wirkt als Ausdruck gemeinsamer Identität ebenso wie durch räumliche Kontexte. Diese positive Wirkung ist abhängig von verschiedenen Rahmenbedingungen. Zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen muss Kontakt bestehen. Es braucht Kontexte, in denen sich einander fremde Menschen begegnen können. Und es braucht ein Mindestmaß an Gleichheit, das den Kontakt auf Augenhöhe ermöglicht.

Das große Wir

Die Vertrauensbeziehungen sind nicht nur für sich genommen wichtig. Sie haben auch Auswirkungen auf die Bilder, die wir von unseren Mitmenschen haben. Wir wollen deswegen ein neues Konzept von Vertrauen vorschlagen, das die Entwicklung der Gesellschaft insgesamt in den Blick nimmt: Vertrauen ist demnach das Bild, das man von sich selbst im Vergleich zu den anderen hat. Eine demokratische Gesellschaft beruht nicht darauf, dass alle das Gleiche denken, das Gleiche wissen, die gleichen Normen haben. Im Gegenteil, sie beruht auf Vielfalt. Für eine Demokratie, die von der Teilhabe aller lebt, braucht es aber ein gemeinsames Verständnis von den Bezugspunkten des Zusammenlebens, das heißt davon, in welche Richtung sich die Gesellschaft entwickeln soll und welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit das gelingen kann. Die Frage ist dabei nicht allein, ob solche Bezugspunkte tatsächlich vorhanden sind, sondern auch, ob man den Eindruck hat, dass das so ist.

So klingt das noch sehr abstrakt. Wir müssen uns also konkret anschauen, welches Bild die Menschen in Deutschland von ihren Mitmenschen haben. In der Vermächtnisstudie haben wir dieses Verhältnis so einfach abgefragt, wie es nur geht. Zuerst fragten wir nach der eigenen Einstellung, dem eigenen Verhalten. Beispielsweise: »Wie wichtig ist Ihnen ein Wir-Gefühl?« Und dann nach den vermeintlichen Einstellungen der anderen: »Wie wichtig ist das den Menschen in Deutschland?«15

Die jeweilige Antwort auf diese Fragen ist keine objektive Bestimmung, kann es auch nicht sein. Sie ergibt sich vielmehr aus einer Vielfalt einzelner Informationen: eigenen Erfahrungen, dem Kontakt in der Familie, zu Freunden und Kollegen, Beobachtungen in der Öffentlichkeit, auf der Straße. Und schließlich Berichten in den Medien. Aus alldem machen wir uns ein Bild von der Welt und von unseren Mitmenschen, von der Gesellschaft, in der wir leben. Und im Verhältnis dazu bestimmen wir immer auch unsere eigene Position. Weltbezug und Selbstbezug, Weltbild und Selbstbild sind dabei nie ganz stabil, sondern befinden sich in der Dynamik gesellschaftlicher Entwicklung permanent im Wandel.16 Wo die Selbstverständlichkeit von Lebensorientierungen verloren geht, tun sich Vertrauensfragen auf. Ist die Mehrheit vertrauenswürdig darin, dass sie ähnlich denkt und handelt wie ich? Oder geht sie in eine ganz andere Richtung als man selbst? Ja, kann man sich in dem Fall selbst überhaupt noch zur Gesellschaft zählen? Empfindet man sich als Außenseiter? Was hier letztlich verhandelt wird, verstehen wir als das große Wir, also ob sich eine Gesellschaft auch als solche empfindet oder ob sie aus lauter gefühlten Einzelgängern besteht, die ihr eigenes Verhalten im Kontrast zu dem der anderen verstehen.

Schauen wir in unsere Daten, sieht das Bild je nach Thema ganz unterschiedlich aus. Es gibt viele gemeinsame Überzeugungen davon, wie das Zusammenleben gestaltet sein sollte. Wir können dementsprechend keinen allgemeinen Verlust an Vertrauen in das große Wir feststellen, der sich über alle Bereiche des Lebens erstreckt. Vieles ist nicht nur für einen selbst selbstverständlich, man nimmt es auch bei anderen als selbstverständlich wahr. Bei manchen Themen stoßen wir jedoch auf signifikante Unterschiede zwischen dem, was die Menschen über sich und über die Mitmenschen sagen: bei den Fragen zum Zusammenleben in der Familie und zur Erwerbsarbeit sowie bei den Fragen nach gesellschaftlicher Innovationsfähigkeit und Solidarität. Bei diesen Themen sind sich von außen gesehen zwar alle relativ einig, wenn sie über sich selbst reden. Sobald sie aber über die anderen sprechen, gehen sie davon aus, diese sähen es ganz anders als sie selbst. Hier findet eine Entkopplung der Bilder statt, die man von sich selbst und von der Gesellschaft hat.

Unsere Konzeption von Vertrauen holt das Problem gesellschaftlichen Zusammenhalts also auf eine andere Ebene. Als Grundlage für gesellschaftlichen Zusammenhalt identifizieren wir nicht eine besondere gefühlsbetonte Haltung gegenüber anderen, sondern eine Beziehung, die auf Vertrauen beruht. Der Philosoph Martin Hartmann hat in diesem Sinne Vertrauen als Bedingung für kooperatives Handeln überhaupt gekennzeichnet. Vertrauen ermöglicht Dinge, die kein Mensch alleine schaffen kann. Deswegen ist die Wahrnehmung so wichtig, dass man mit dem eigenen Verhalten, den eigenen Ansichten nicht allein dasteht. Vertrauen entspannt das Verhältnis von Ich und Gesellschaft. »Wer vertraut«, so Hartmann, »will nicht, dass sich das Vertrauen nicht bestätigt, aber er riskiert es und kann gar nicht anders, als dieses Risiko in Kauf zu nehmen, wenn ihm die Selbstständigkeit des anderen am Herzen liegt. Diese Selbstständigkeit ist das, was durch das Vertrauen wirklich werden kann.«17 Den anderen Selbstständigkeit zuzugestehen schafft demnach die Grundlage dafür, ihnen nicht als Klischees, sondern anerkennend und respektvoll zu begegnen. Anstelle moralischer Appelle zum Zusammenhalt fragen wir also nach dessen Bedingungen.

Die Wahrnehmung zu vermessen, die man von sich selbst im Unterschied zu den anderen hat, ist deswegen so wichtig, weil die Kehrseite davon Angst ist. Psychologische Theorien erklären Angst als Ergebnis ständig ablaufender subjektiver Bewertungsprozesse. Diese basieren nicht auf bloßen Fakten, nicht auf kalkulierten Risiken, wie sie die Naturwissenschaften liefern, sondern auf der eigenen Wahrnehmung, dem individuellen Wissen und den jeweiligen Motiven. Ist ein Ereignis wahrscheinlich? Ist es für mich schädlich oder gar lebensbedrohlich? Diese Fragen stellen wir Menschen uns unbewusst immer wieder.

Eine bedrohliche und potenziell schädliche Situation allein führt jedoch noch nicht unweigerlich zu einer Angstreaktion. Es kommt darauf an, wie wir mit der Gefahr umgehen. Kann sie in kontrollierbare Risiken überführt werden, gibt es keinen Grund zur Angst. Ich kann mich dann auf meine eigenen Fähigkeiten und auf die Unterstützung anderer verlassen. Ich erfahre Selbstwirksamkeit. Ein vorübergehender Zweifel, ob man in Fragen des Zusammenlebens anderer Meinung ist als die Mehrheit, muss also noch keinen gravierenden Vertrauensverlust mit sich bringen. Das gehört zu einer pluralen, sich im steten Wandel befindlichen Gesellschaft dazu. Sind gesellschaftliche Verhältnisse jedoch dauerhaft durch solche Abkopplungen bestimmt und haben sehr viele Menschen den festen Eindruck, mehr oder weniger alleine dazustehen und keine Hilfe zu finden, dann sind Misstrauen und Unsicherheit die Folge. Wir werden also fragen müssen: Wie lassen sich solche gesellschaftlichen Situationen bewältigen?

Das Vertrauen, um das es uns in diesem Buch geht, ist also relational. Es dreht sich um die gesellschaftlichen Verhältnisse von Nähe und Distanz, von Identität und Kontext, von Begrenzung und Verallgemeinerbarkeit. Wir sind Teil unserer Familie, unserer Freundeskreise, unseres Betriebs, unserer Nachbarschaft, unserer Vereine, unserer Gesellschaft. Diese vielfältigen Bezüge schaffen weder von sich aus gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalt, noch bedrohen sie ihn. Stattdessen müssen wir den Verbindungen zwischen den Menschen nachgehen. Wie und unter welchen Bedingungen sind die kleinen Wirs miteinander verbunden? Und reichen diese Verbindungen aus, das Vertrauen in das große Wir der Gesellschaft zu übertragen?

Misstrauen

Jutta Allmendinger

Vierhundert Männer sehr früh am Morgen. Wach, quirlig, gut aufgelegt, alle in Orange. Weitere Männer kommen hinzu: Abklatschen, Umarmen, hey Kumpel. Eine spürbare Wärme, eine Kultur des Miteinanders. Ein Männerbündnis?

Es ist sehr heiß an diesem Junitag 2018. Ich bin bei der Müllabfuhr Berlin, Werkhof Gradestraße. Seit drei Jahren sitze ich im Aufsichtsrat der Berliner Stadtreinigung, und noch immer wird in der Sparte Müllabfuhr keine einzige Frau beschäftigt. Ist die Arbeit einfach zu schwer für Frauen? Ich entschließe mich zu einem Selbstversuch.

Am Tag zuvor war ich eingewiesen worden. Nun geht es los. Ich spüre die Blicke, Verwunderung und Staunen. Die Männer grüßen, sind freundlich. Blöde Kommentare über Frauen oder mein Alter höre ich nicht. Aha, so vermute ich, alle wissen, wer ich bin, und halten sich zurück.

Punkt 6 Uhr strömen Hunderte von Männern und ich zu den Müllwagen, springen auf, fahren los, bald dann der erste Ausstieg. Vier Tonnen im Hinterhof rausholen, zum Wagen bringen, an die Hydraulik des Wagens führen, Hebel drücken, entleeren, die Tonnen zurück in das Haus. Das Schieben geht gut, einhängen kann ich gar nicht. Mirko und Christian, meine Kumpel, erklären, geben mir Tipps. Mit dem Knie nachhelfen. Bei Tonne 4 jubele ich, es passt. Wir fahren weiter.

Ich halte mich wacker. Nur die großen Behälter machen mir Probleme. Die beiden Männer helfen, sie tun das selbstverständlich und freundlich. Von Genugtuung keine Spur. Und sie loben. »Sie machen das echt gut«, sagt Mirko immer wieder. »Das darf man doch auch mal sagen, oder?«

Um 10 Uhr eine Pause. Wieder ein Werkhof mit einer Cafeteria. Während wir trinken und essen, kommen andere Kumpel, Türken, Italiener, Deutsche. Alle grüßen, setzen sich dazu. »Bist du ne Neue? Fährst du jetzt immer mit?« Jetzt wird klar, dass die allermeisten nichts über mich wissen. Christian und Mirko erklären. Sofort erwarte ich Bemerkungen in Richtung: »Ach, die ist ein Spitzel.« Falsch. Nichts davon. Auch hier kein Geglotze, keine Anmache, keine dummen Sprüche. Man unterhält sich über Tattoos und das Altern und wie schrecklich Tattoos auf Falten aussehen. Wir arbeiten weiter. Langsam werde ich Teil des Teams und freue mich, als mir Christian das »Du« anbietet, »zumindest auf der Arbeit«, fügt er hinzu. Den Respekt der beiden Männer habe ich. Und schaffe die ganze Tour. Völlig verschwitzt kehre ich mit hochrotem Gesicht zum Betriebshof zurück. Die vielen anderen Männer nehmen mich wahr, schräge Bemerkungen gibt es auch jetzt nicht.

Was habe ich gelernt? Weit mehr, als ich dachte. Ich weiß nun um die Freundlichkeit der Menschen und die Einsamkeit in der Stadt, um die Sichtbarkeit der Müllwerker und die Fähigkeiten von Frauen. Ich weiß um mein Misstrauen, meine eigenen Vorurteile. Diese Erfahrung wird bleiben.

Die Vertrauensfrage

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