Читать книгу Mami Jubiläum 4 – Familienroman - Jutta von Kampen - Страница 3

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Was für ein wunderschöner Frühlingstag!

Rosaly Rubner war in Versuchung, die Straße entlangzuhüpfen, genau wie ihre Kinder Donata und Felix, die sie eben in den Kindergarten gebracht hatte.

Aber die beiden waren sechs und vier, und sie war einunddreißig, und da benahm man sich besser anders! Sie sah sich um: Niemand kam hinter ihr! Also machte sie schnell ein paar Hüpfer. Das Wetter war einfach zu schön!

Selbst hier in der Großstadt zwitscherten und jubilierten die Vögel aus allen Büschen und Bäumen, in den Parks sprossen die Krokusse und Schneeglöckchen auf den Wiesen, und in den Anlagen um die Reiterstandbilder ehemaliger Herrscher und bedeutender Wissenschaftler hatten die Tulpen und Osterglocken schon ganz dicke Knospen.

Und über all dem wölbte sich ein himmelblauer Himmel!

Rosalie strahlte mit der Frühlingssonne um die Wette und merkte nicht, dass die Menschen, die ihr entgegenkamen, sie zuerst erstaunt musterten und dann gleichfalls zu lächeln begannen.

Was für eine hübsche junge Frau, dachten sie wohl. Und so glücklich! Bestimmt ist sie bis über beide Ohren verliebt! Was zutraf.

Rosalie war gut mittelgroß, schlank, hatte dunkelbraunes Haar, das sie in einer frechen Kurzhaarfrisur trug, und leuchtend hellgrüne Augen. Sie hatte ein herzförmiges Gesicht volle rote Lippen, eine kurze Nase und beneidenswert frische Farben. Sie trug ein zyklamfarbenes T-Shirt und einen weiten großgeblümten Rock, in dem sich die Farbe wiederholte. Er saß eng in ihrer schlanken Taille und umspielte bei ihrem weit ausgreifenden Schritt ihre nackten, noch winterblassen hübschen Beine. Die Füße steckten in hochhackigen Sandaletten. Sehr schick war sie – aber das gehörte dazu, seit auch Felix in den Kindergarten ging und sie bei ihrer Freundin in deren Boutique arbeitete.

Rosaly und Johanna Kellner waren seit Kindertagen befreundet, und deshalb freute es beide, dass Benedikt, Johannas Sohn, im Herbst mit Donata in die Schule kam.

Jos Boutique war in hervorragender Lage: im Zentrum, direkt hinter dem Hofgarten, am Eingang zu den Fünf Höfen. Die fand Rosaly zwar scheußlich – aber es bedeutete natürlich etwas, sich dort ein Geschäft leisten zu können.

Unter den Arkaden drehte Rosaly sich noch mal um und schaute zurück in den frühlingsbunten Park. Eigentlich wäre sie jetzt lieber hiergeblieben, als im künstlichen Licht des Geschäftes verwöhnten Damen überteuerte Kleidung zu verkaufen. Andererseits war sie froh, diese Stellung zu haben. Es war so leer zu Hause, seit beide Kinder im Kindergarten waren! Und langweilig war es auch.

»Einen schönen guten Morgen! Ist heute nicht ein herrlicher Frühlingstag?«, rief Rosaly fröhlich, als sie das Geschäft betrat.

»Morgen!«, erwiderte Jo. Es klang verschnupft. Sie war dabei, eine neue Sendung Blusen zu sortieren. Sie trug ein todschickes maigrünes Kostüm mit einer bunt geblümten Bluse, war wie immer erstklassig frisiert und wie leider sehr oft – ziemlich deprimiert. Als sie sich zu ihrer Freundin umdrehte, sah Rosaly, dass sie geweint hatte.

»Oje!«, sagte sie mitleidig. »Was ist denn schon wieder?«

»Immer das Gleiche!«, erwiderte Jo und brach in Tränen aus.

»Ach je!«, sagte Rosaly. Sie wusste wirklich nicht, was sie sonst sagen könnte. Und was Jo zudem auch wirklich hören wollte!

Ihre bildhübsche Freundin Jo war mit dem Internisten Franz Kellner verheiratet. Franz war ein sehr charmanter und sehr, leider sehr gut aussehender Mann von Ende dreißig. Sie waren das, was man ein elegantes, schönes Paar nennt.

Er groß, schlank, sportlich, mit scharf geschnittenem Gesicht und Erobererblick in den hellen blauen Augen. Sie waren im Tennis-Club und im Segel-Club und in weiß der Himmel was für anderen feudalen Clubs noch, denn Franz war nicht nur schön, er war auch sehr tüchtig und verdiente unheimlich gut, sonst hätte er Jo auch kaum diese Boutique kaufen können.

Er war der Chef einer Gemeinschaftspraxis, in der noch zwei andere junge Ärzte arbeiteten, die nicht ganz so schön, aber genauso ehrgeizig und tüchtig waren.

Es war also nicht von ungefähr, dass vor allem die Damen der Münchner Gesellschaft in diesem Ärztehaus in München Harlaching sich die Klinke in die Hand gaben.

Sie lebten in einer großzügigen Villa, die in einem parkähnlichen Garten stand und die Franz von seinen verstorbenen Eltern geerbt hatte. Auch sein Vater war schon ein sehr gut verdienender Arzt gewesen.

Und dann war da noch Benedikt, ein wirklich süßer Bub, der im Gegensatz zu seinen Eltern kein bisschen versnobt war.

Weil Rosaly sich nicht weiter äußerte, sagte Jo weinerlich: »Er hat eine neue technische Assistentin. Sie war einmal Miss Landshut …«

Rosaly unterdrückte schnell das Lachen, das ihr beinahe entschlüpft wäre.

»Aber Jo, das ist doch lächerlich! Selbst wenn sie eine von diesen dummen Hübschheiten ist – schau doch in den Spiegel: So gut wie du sieht sie garantiert nicht aus!«

Das traf nun wirklich zu. Jo hatte während ihres Studiums, sie studierte Medizin, bis sie Franz traf und sich außer für ihn für nichts anderes mehr interessierte, immer wieder gemogelt. Sie hatte eine Superfigur – hellblondes Haar und ein klassisch geschnittenes, feines Gesicht. Sie war wirklich schön!

»Aber sie ist Mitte zwanzig!«, jammerte Jo.

»Das ist doch Unsinn, Jo! Wenn Franz zehn Jahre älter wäre und in der Midlife-Crisis – aber so …«

»Du nimmst mich nicht ernst!«

»Natürlich nehme ich dich ernst. Nur deine Gründe, weshalb du so unsicher bist, kann ich beim besten Willen nicht nachvollziehen.«

Jo putzte sich ihre jetzt gerötete, klassische Nase und sah Rosaly zornig an.

»Warte nur ab, bis du deinem Mann auf die Schliche kommst!«

»Ach, Jo! Was für ein Unsinn! Georg und ich leben sehr zufrieden miteinander. Auch wenn ich weiß, dass es viel schönere Frauen gibt als mich – du zum Beispiel! – und Georg sich darüber im Klaren ist, dass es weit erfolgreichere Männer als ihn gibt: Zum Beispiel deinen Franz!«

Jo schwieg und zog eine Schnute. Es stimmte: Bei ihrer Freundin kriselte es nie! Und dabei waren die zwei nicht einmal verheiratet! Sie lebten in »wilder Ehe« und das seit acht Jahren und mit zwei Kindern.

»Vielleicht sollten wir uns noch ein zweites Kind anschaffen«, sagte sie.

»Das finde ich eine ausgezeichnete Idee! Das wäre auch für Benedikt gut, wenn er ein Geschwisterchen bekäme.«

»Der Altersunterschied wäre sehr groß!«

»Wenn es ein kleines Mädchen wird, kann er es später einmal beschützen, und wird es ein Bub, dann wird der den großen Bruder ein Leben lang anhimmeln!« Rosaly lachte, und Jo schniefte nochmals und lachte dann mit.

Dann kam die erste Kundin, und Jo verzog sich schnell in den rückwärtigen Raum, um die Spuren ihrer Eifersucht zu beseitigen, während sich Rosaly mit einem strahlenden Lächeln ihr zuwandte.

»Frau Rosenbaum! Einen wunderschönen guten Morgen! Ist heute nicht ein herrlicher Tag? Und wir haben letzte Woche genau das für Sie passende Frühjahrskostüm hereinbekommen. Ein Unikat! Etwas anderes würde ich Ihnen gar nicht anbieten!«

*

Georg Haffner trat auf die Terrasse des Reihenhäuschens, in dem er und Rosaly mit den beiden Kindern lebten. Er reckte und streckte sich und schaute zufrieden in den kleinen, etwas verwilderten Garten. Kommendes Wochenende würde er ihn sich vornehmen: die Büsche zurückschneiden, das Laub des Vorjahres wegrechen und auch die Meisenhäuschen sauber machen, damit sie wieder bezogen werden konnten.

Er hatte eine Arbeit zu Hause fertig gemacht. Deshalb ging er heute später ins Büro. Sonst brachte er die Kinder in den Kindergarten, aber heute hatte Rosaly es übernommen. Er sagte prinzipiell »Kindergarten« und nicht »Kita«. So ein dämliches, modernes Wort! Es klang so technisch und unpersönlich, gar nicht nach einem Platz, an dem Kinder sich wohlfühlen konnten.

Auf dem Apfelbaum sang ein Amselmännchen aus voller Kehle. Im Gras hüpfte ein hochzeitlich getupfter Star herum. Er würde noch ein oder zwei Vogelhäuschen besorgen. Gleich heute, damit sie sich nicht anderweitig umsahen.

Georg rieb sich vergnügt die Hände. Es war ein herrlicher Frühlingstag. Aber auch wenn es regnen würde, er konnte nur immer wieder sagen: Es geht uns gut, sehr gut! Wir sind zufrieden!

Das Einzige, was ihn nervte, und das nicht wenig, war, wenn seine Mutter mit klagender Stimme fragte: Wollt ihr denn wirklich nicht heiraten?!

Sein Vater sagte zwar nichts, aber er wusste, dass er ihrer Meinung war. Weniger wegen der Leute, weil die Kinder auch verschieden hießen: Donata nach Rosaly »Rubner« und Felix nach ihm »Haffner«. Sein Vater war Beamter im Finanzamt gewesen. Da hatte er natürlich strengere Ansichten. Antiquierte, fand Georg.

Und die Eltern von Rosaly waren natürlich mit ihnen voll und ganz einer Meinung. Sie fanden es einfach schrecklich, dass die beiden nicht verheiratet waren. Die armen Kinder!

Arme Kinder! Von wegen! Den beiden ging es bestens.

Er kannte nicht viele verheiratete Paare, die so zufrieden und glücklich miteinander lebten wie er und Rosaly und die Kinder dies ohne Trauschein taten.

Eigentlich gar keine, wenn er so darüber nachdachte.

So. Jetzt war Zeit, ins Büro zu gehen! Er streckte sich noch mal, gähnte laut und wollte zurück ins Haus, als die Nachbarin an den Zaun kam, die Zweige auseinanderbog und »Guten Morgen!« sagte.

»Guten Morgen, Frau Peters!«, erwiderte er. »Ist nicht ein herrlicher Tag?«

»Ja, schon. Aber meinem Mann geht es nicht gut. Er hustet so schrecklich!«

»Er raucht zu viel!«, gab Georg zur Antwort. Die Peters waren ein Rentnerehepaar, ruhige, mit den Kindern geduldige Nachbarn, die sich ein wenig einsam fühlten, weil ihre eigenen Kinder wenig Zeit für sie hatten. Wir müssen auch einmal wieder die Großeltern besuchen, rief sich Georg prompt ins Gedächtnis.

»Der Hustensaft geht dem Ende zu. Könnten Sie …« Weiter kam Frau Peters nicht, denn Georg unterbrach sie:

»Wenn es Ihnen genügt, dass ich ihn am Abend, wenn ich nach Hause komme, mitbringe?«

»Aber natürlich! Vielen Dank! Sie wissen ja: Ich gehe so schlecht und …«

»Das tue ich doch gerne!«, versicherte Georg. »Aber jetzt muss ich mich beeilen. Ich bin schon spät dran!«

Nein, er hatte jetzt keine Zeit, sich lange mit Frau Peters über ihre verschiedenen Leiden zu unterhalten. Sonst erlebte sie ja nicht viel, die Arme!

Das Reihenhaus von Georg und Rosaly stand in Fürstenfeld, einem südlichen Stadtteil von München. Sie konnten mit der S-Bahn zur Stadtmitte fahren und dort die kurze Strecke zu ihren jeweiligen Arbeitsplätzen gehen. Bei dem herrlichen Wetter ein reines Vergnügen. Und auch bei schlechtem Wetter verschaffte man sich so wenigstens etwas Bewegung an der frischen Luft.

Ihr kleiner Wagen stand die Woche über in der Garage und wurde nur herausgeholt, wenn die ganze Familie einen Ausflug oder einen Besuch vorhatte. Das war billig – und umweltschonend.

»Da sind Sie ja«, begrüßte ihn sein Chef, der sich neben Georgs Kollegen über dessen Arbeitstisch beugte. »Haben Sie die Zeichnung fertig?«

»Einen schönen guten Morgen!«, erwiderte Georg. »Natürlich. Hier!« Und er legte sie ihm auf den Tisch. Dann blinzelte er seinem Kollegen zu, der mit saurem Gesicht neben dem Architekten stand.

»Mhm, mhm, mhm!«, sagte Architekt Beissel. »Sehr ordentlich!« Und er nahm die beiden Zeichnungen und verschwand in seinem Arbeitszimmer.

»Was hast du?«, erkundigte er sich dann bei seinem Kollegen, Wolfgang Steffen. »Wie kann man bei einem so herrlichen Frühlingstag so schlecht aufgelegt sein?!«

»Es geht mir eben nicht gut!«, gab er brummig zur Antwort.

»Aber wieso nicht? Will deine Ex wieder Geld von dir?«

»Nein. Ich glaube, sie hat jetzt einen anderen.«

»Na ja. Ihr seid geschieden!«, erinnerte ihn Georg.

»Ja. Leider!«

»Du bedauerst es?«, fragte Georg verwundert.

»Natürlich! Erstens die Scheidungskosten! Dann kriegt sie genauso viel wie vorher und ich muss mich jetzt selbst versorgen: einkaufen, kochen, waschen! Denkst du, das macht Spaß?!«

»Ich weiß nicht«, erwiderte Georg verdutzt. »Wir machen so vieles gemeinsam …«

»Ihr seid ja auch eine irgendwie komische Familie«, fand sein Kollege. Wahrscheinlich hätte er noch weiter herumgemosert, aber jetzt rief Architekt Beissel die beiden zu sich in sein Arbeitszimmer.

*

Heute war der sechste Geburtstag von Benedikt, und natürlich waren Donata und Felix zu der Feier eingeladen.

Das Wetter meinte es gut mit den Kindern und den Eltern. Denn zehn Kinder im Vorschulalter im Haus waren schwer zu beschäftigen. So gab es in dem großen Garten viele Möglichkeiten von Verstecken bis Sackhüpfen, Topf klopfen, Wettrennen und Blinde Kuh.

Der Sieger bekam immer einen Preis und der Verlierer einen Trostpreis, sodass alle auf ihre Kosten kamen und irgendwie jeder zuletzt etwas gewonnen hatte.

Die Väter, die sich Zeit genommen hatten, saßen auf der Terrasse, sahen zu, wie ihre Kinder und Frauen spielten und unterhielten sich über Politik und Wirtschaft und die Reisepläne, die sie für den August hatten – bevor für die Kinder der Ernst des Lebens in der Schule anfing.

»Wir fahren wieder an den Tegernsee«, erzählte Georg. »Dort wohnen die Eltern von Rosaly. Die freuen sich, wenn wir kommen, verwöhnen die Kinder und wir zwei können dann auch einmal etwas ohne die Kleinen unternehmen.«

»Die Eltern von Rosaly? Was sagen die eigentlich …«, fing einer der Gäste an.

Georg lachte und unterbrach ihn:

»Die sagen, dass wir heiraten sollen!«

»Und Ihre Eltern?«, erkundigte sich ein anderer.

»Die sagen das Gleiche!«, erwiderte er belustigt. »Aber da es um uns geht und unsere Beziehung bestens funktioniert, sehen wir keinen Grund, es zu tun.«

Einige der Herren lächelten spöttisch und herablassend und einer meinte:

»Klar, dann spart man sich auf alle Fälle die Scheidungskosten!« Woraufhin alle über den gelungenen Scherz in herzliches Gelächter ausbrachen.

»Warten wir ab, wer von uns sich als Erster von seiner Familie trennt!«, erwiderte Georg etwas genervt und stand auf, um sich zu den spielenden Kindern zu gesellen.

»Jetzt erst kommst du!«, rief ihm Rosaly entgegen. »Jetzt dürfen sie einen Film ansehen, damit wir armen Mütter endlich dazu kommen, Kaffee zu trinken und ein wenig zu verschnaufen!«

»Dann schau ich mir mal an, ob er auch jugendfrei ist!«, scherzte Georg und hängte sich bei Jo und Rosaly ein.

»Seid ihr immer noch nicht verheiratet?«, fragte eine von Jos Freundinnen etwas spitz.

»Wir leben noch in einer schrecklich wilden Ehe!«, gab Rosaly lachend zur Antwort. »Deshalb läuft es auch so gut!«

Man lächelte etwas gequält.

»Und wie handhabt ihr das Finanzielle?«, fragte eine andere.

»Ich weiß nicht – wie macht ihr es denn?«, fragte Rosaly zurück. »Uns gehört alles gemeinsam!«

»Ja, aber wenn die Kinder jetzt in die Schule kommen?!«

»Daran denke ich auch«, mischte sich jetzt Jo ein. »Ob das Schwierigkeiten gibt?«

»Wieso? Es gibt viele alleinerziehende Mütter, warum soll es da bei uns eine Schwierigkeit geben, wenn der Vater mit erzieht!«, fand Rosaly.

Georg schaute mit den Kindern zusammen den Fernsehfilm an, bis die Damen sich frisch gemacht hatten.

Dann ging es mit ihnen zurück auf die Terrasse, wo das Hausmädchen inzwischen zum Kaffee gedeckt hatte.

»Sind die Fratzen jetzt endlich bei der elektronischen Großmutter gut untergebracht?«, erkundigte sich Franz Kellner.

»Ich habe mit Benedikt zusammen eine DVD ausgesucht. Ich hoffe, wir haben den allgemeinen Geschmack getroffen!«, berichtete Jo.

»Mir hat gefallen, was ich gesehen habe!«, sagte Georg. »Ich denke, den Kindern wird es auch gefallen!«

Die meisten der Kinder waren sechs oder wurden es in den nächsten Wochen. Sie alle sollten im Herbst in die Schule kommen. Außer Felix gab es nur noch zwei jüngere Geschwister. Alle anderen waren Einzelkinder. Man sprach über die Vor- und Nachteile, ein oder mehrere Kinder zu haben.

»Für die Kinder ist es schöner und besser, wenn ein Geschwisterchen da ist«, fand Rosaly. »Auch für später, wenn sie einmal erwachsen sind!«

»Klar! Und sich um das Erbe streiten!«, sagte ein Gast, der Anwalt für Familienrecht war und gleich ein halbes Dutzend abschreckender Beispiele anführte.

»Kommt es nicht auch ein bisschen auf die Erziehung an?«, meinte Georg.

»Klar«, wusste eine Mutter, gleichfalls Anwältin, allerdings für Wirtschaftsrecht. »Aber man darf nicht die äußeren Einflüsse übersehen, die heute sehr viel stärker sind als noch zu unserer Zeit und die spätestens am Tag der Einschulung beginnen!«

»Darum muss man sich in seiner Freizeit auch besonders intensiv mit den Kindern beschäftigen«, sagte Rosaly.

Die Anwältin sah sie herablassend an.

»Man hat doch auch noch ein eigenes Leben! Und nach einem anstrengenden Beruf braucht man etwas Entspannung! Bei Ihnen, die Sie nur als Verkäuferin arbeiten und das auch erst seit Kurzem, ist das wohl etwas anderes.«

»Leicht möglich«, erwiderte Rosaly wenig beeindruckt, »wahrscheinlich liegt es daran, dass nicht nur meine Kinder sich so gut verstehen, sondern auch mein Mann und ich.«

»Ihr Lebensgefährte!«, verbesserte der Anwalt für Familienrecht.

Sie lachte.

»Stimmt! Wir sind echte Lebensgefährten! Wir gehen alle Wege miteinander durch dick und dünn!«

Das war eine Zurechtweisung und wurde auch so verstanden.

Einen Moment herrschte Stille.

Die Gastgeber wechselten einen besorgten Blick. Es ging nicht an, dass sich jetzt die Erwachsenen in die Haare gerieten, während die Kinder sich bis jetzt so gut verstanden.

»So viele Menschen wie es gibt, so viele Einstellungen zum Leben gibt es!«, rief Jo jetzt betont heiter. »Es wäre ja auch langweilig, wenn es anders wäre.«

Die anwesenden Damen stimmten sofort zu – auch sie wollten um Himmels willen keinen Streit! Die Herren widersprachen immerhin nicht. Ihnen fiel es schwerer nachzugeben.

Nun kam die kleine Marisa weinend herausgelaufen. Sie war eines der jüngeren Kinder.

»Mami! Mami! Der böse Drache frisst die Prinzessin!« Sie war die Tochter der Anwältin, und diese rollte genervt die Augen.

Jo nahm sie auf den Arm.

»Keine Sorge, Marisa. Der Drache erwischt sie nicht. Da kommt ein ganz toller Prinz!«

»Ehrlich?«, schnupfte die Kleine.

»Ehrlich!« Jo putzte ihr die Nase mit einem der auf einem Beistelltisch bereitliegenden Tempos. Sie hatte wohlweislich vorgesorgt.

»Dann geh ich wieder rein!«, erklärte Marisa und strampelte sich von der Tante Jo los.

»Eigentlich hätte ich gerne noch ein kleines Mädchen – jetzt, da Benedikt in die Schule kommt!«

»Nachdem wir endlich das Ärgste hinter uns haben?!«

»Na, du hattest damit doch nicht viel zu tun!«, gab sie aufgebracht und gekränkt zurück.

»Du lieber Himmel! Das wollen wir doch nicht in diesem Augenblick klären!«, erwiderte Franz gereizt.

Die Herren schmunzelten, die Damen lächelten verstehend, und Rosaly legte den Arm um die Freundin.

»Komm, sehen wir uns an, ob der Prinz rechtzeitig erscheint!«

Während sie zusammen über die Terrasse ins Haus gingen, sagte sie:

»Wenn das kleine Mädchen erst da ist, wird Franz garantiert verrückt nach ihr sein! Georg hat sich ursprünglich auch erst einen Sohn gewünscht – und jetzt ist er ganz verliebt in Donata!«

»Ach, ihr zwei Komischen!«, erwiderte Jo halb lachend, halb bedrückt. »Und was tun wir, wenn es wieder ein Bub wird?«

»Dann habt ihr ihn genauso gern – und du bist dann eine stolze Bubenmutter!«

Jo lachte mit ihr. »Du siehst wirklich immer alles positiv!«

»Ich versuche es. Und dann wendet es sich auch meistens zum Guten. Du solltest das auch mal probieren!«

*

Jeder zweite Satz Donatas begann mit: Wenn ich in die Schule gehe. Sie freute sich auf die Schule. Die meisten kleinen Mädchen freuten sich auf die Schule. Die meisten kleinen Buben nicht. Auch Benedikt freute sich nicht.

»Benedikt freut sich nicht auf die Schule!«, erzählte Donata vergnügt, als sie wieder einmal aus dem Kindergarten heimkam.

»Ja, das hat mir Tante Jo schon erzählt«, erwiderte Rosaly lächelnd.

»Du freust dich?«, erkundigte sich Felix bei der großen Schwester.

»Und wie!«, gab die stolz zur Antwort. »Da lerne ich lesen und schreiben.«

Felix runzelte die glatte Kinderstirn. Ihn reizte das eigentlich nicht.

»Gehst du dann gar nicht mehr in den Kindergarten?«, fragte er besorgt.

»Pah! Das ist nur für kleine Babys wie dich!«, war die großartige Antwort.

Felix sah Hilfe suchend zu seiner Mutter hin.

»Felix ist schon lange kein Baby mehr!«, verteidigte die ihn. »Und ich bin sehr froh, dass er nicht auch schon in die Schule gehen muss!«

Felix streckte seiner Schwester die Zunge heraus, die rümpfte überlegen ihr Näschen, und dann kamen wieder einmal die schwerwiegenden Überlegungen, was man am ersten Schultag anzog: wenn die Sonne schien, wenn es sehr heiß war, wenn es regnete, wenn es kalt war und wenn es sehr kalt war.

Felix fand es doof, dass man nur mehr von der Schule redete. Besonders, wenn sie noch nicht einmal angefangen hatte! Im Kindergarten waren noch andere Kinder wie er, die noch nicht zur Schule mussten. Aber dann zu Hause! Und in den Ferien, in denen auch der Kindergarten geschlossen hatte, bei Oma und Opa, da redete die Donata wie ein Wasserfall und nur über die blöde Schule. Er fand sie jetzt schon richtig blöd!

Endlich war es so weit.

Die Sonne schien und Donata durfte das neue Tegernseer Dirndl anziehen, das die Oma ihr für diesen feierlichen Anlass geschenkt hatte. Die ganze Familie begleitete sie zu diesem Ereignis. Donata ging zwischen ihren Eltern. Auch Felix, der heute erst später in den Kindergarten ging, war dabei. Er beobachtete an der Hand der Mutter die vielen anderen Kinder, die mit ihren Eltern zusammen im Schulhof standen.

Die kleinen Mädchen mit ihren Schultüten waren herausgeputzt, und auch die Buben waren zumindest jetzt noch sehr sauber. Felix stellte fest, dass die kleinen Mädchen aufgeregt quasselten und kicherten und um sich schauten, während die Buben stumm dastanden, vor sich hinstarrten und einige weinten sogar. Auch der Benedikt weinte, aber nur ein bisschen.

Felix fand das sehr bedenklich. Die Schule war offensichtlich in erster Linie für Mädchen.

Auf einmal kam Bewegung in die Menge.

Vor dem Haupteingang stand ein Herr, der die ganze Zeit geredet hatte, Felix hatte ihm allerdings nicht zugehört. Er hatte zu viel zu tun, alles zu beobachten.

Jetzt mussten die Erstklässler das Schulhaus betreten – und die Eltern blieben zurück.

Auch den meisten Mädchen verging nun das Lachen, stellte Felix fest. Da waren ein paar Freundinnen, die sich an der Hand nahmen und zusammen hineingingen. Donata sah sich um, konnte aber kein bekanntes Gesicht entdecken – nur Benedikt. Sie sah, wie Tante Jo ihr winkte und dann auf Benedikt einredete. Aber der schüttelte wild den Kopf: er wollte nicht mit einem Mädchen zusammen das Schulhaus betreten! Er war blöd. Sie hatte sich das schon immer gedacht.

Trotzdem, im Augenblick wäre es ihr lieber gewesen … Sie sah zu ihren Eltern auf: Mami hatte Tränen in den Augen! Und auch Papi lächelte so verkrampft.

»Tschüs! Bis später!«, rief sie, drehte sich schnell um und rannte weg. Dass ihr auch etwas Nasses über die Wange lief, lag bestimmt nur an dem grellen Sonnenlicht!

»Jetzt hat sie auch geweint!«, stellte Felix triumphierend fest.

»Es ist ja auch sehr aufregend, wenn die Kinder groß werden und zur Schule gehen!«, sagte Rosaly und putzte sich die Nase, wie verschiedene andere Mütter auch.

Jo und Franz Kellner kamen auf sie zu.

»Ja, wir werden alt!«, sagte Franz und seufzte.

»Du hast es gut! Du hast noch Felix!« Auch Jo seufzte.

»Aber sie kommt doch mittags heim?«, fragte Felix entsetzt.

Alle lachten.

»Natürlich kommt sie jeden Tag nach Hause!«, versicherte Georg seinem Sohn.

»Darf ich dann heute auch mittags aus dem Kindergarten heim?«, bettelte Felix.

»Klar«, stimmte sein Vater sofort zu. »Ich komme auch heim. Wir wollen doch alle wissen, wie der erste Schultag war!«

*

Donatas Lehrerin war uralt. Sie sah noch viel älter aus als Oma und Opa. Sie war dünn, hatte einen grauen Knoten und eine Brille. Sie war sehr freundlich, aber Donata hätte lieber den jungen Lehrer gehabt, der die Parallelklasse unterrichtete, in der Benedikt war.

»Guten Morgen, Kinder!«, sagte das Fräulein. »Ich bin Frau Grimm. Wenn ich euch begrüße, dann müsst ihr mir antworten: Guten Morgen, Frau Grimm! Also!«

»Na, schön. Bestimmt geht es besser, wenn ihr erst einmal in euren Bänken sitzt. Jetzt sucht sich jeder einen vorläufigen Platz.«

Die Kinder schubsten sich herum, und natürlich wollten die, die sich kannten, nebeneinandersitzen.

Donata hatte sich ein schwarzes Mädchen ausgesucht. Das Mädchen hatte seine kurzen krausen Haare zu zahllosen Zöpfchen geflochten, die von seinem Kopf abstanden. An jedem Zöpfchen war eine Schleife in einer anderen Farbe. Donata fand die Frisur toll.

»Willst du dich zu mir setzen?«, fragte sie.

Das Mädchen nickte und lachte sie an und Donata strahlte zurück.

»Ich heiße Donata!«, stellte sie sich vor.

»Ich heiße Mia«, erwiderte ihre erwählte Banknachbarin, und dann suchten sie sich einen Platz.

»Habt ihr jetzt alle einen Platz?« Frau Grimm schaute genau. »Gut. Dann üben wir gleich nochmals.« Sie ging zur Tür, tat als würde sie hereinkommen. »Guten Morgen, Kinder!«

»Guten Morgen, Frau Grimm!«

»Das hat schon ganz gut geklappt!«, lobte sie. »Aber natürlich müsst ihr aufstehen. Das erfordert die Höflichkeit. Also noch mal!« Dieses Mal gab es nichts mehr auszusetzen. »So. Und hier habe ich eine Liste, auf der eure Namen stehen. Ich lese den Namen, und der- oder diejenige steht auf. Das ist, damit ich euch kennenlerne. Ich muss mir ja eine ganze Menge Namen merken: fast dreißig!« Sie schüttelte den Kopf. »Ihr habt es leichter – ihr braucht euch nur meinen zu merken.«

»Mia Adams!«

Das schwarze Mädchen stand als Erste auf.

»Mia. Ist das der ganze Name oder heißt du eigentlich ›Maria‹.«

Das Mädchen kicherte und erwiderte verlegen: »Ich glaube nicht. Ich heiße – Mia!«

»Hm!« Frau Grimm musterte sie streng durch ihre Brille. Offenbar fand sie noch mehr an ihr auszusetzen. »Sag deiner Mutter, dass ich sie sprechen möchte! Du kannst dich wieder setzen!«

Mia setzte sich, sie wirkte verschüchtert.

»Ich wäre auch lieber bei dem jungen Lehrer!«, flüsterte Donata ihr zu.

»Wer schwätzt da? Steh auf! Wie heißt du?« Obwohl Frau Grimm inzwischen andere Kinder aufgerufen hatte, schien ihr nichts zu entgehen.

Donata stand mit hochrotem Kopf auf.

»Donata.«

»Und weiter? Ah, da steht es: Rubner.« Sie sah Donata noch schärfer an, als vorher Mia. »Da steht, dein Vater heißt Haffner!«

»Ja!«

»Es heißt: Ja, Frau Grimm!«

»Ja, Frau Grimm.«

»Bist du sicher, dass du Rubner heißt?«

Die anderen Schüler kicherten. Donata nickte. Ihre Augen begannen zu brennen.

»Und wie heißt deine Mutter?«

»Rubner!«, flüsterte Donata.

»Noch mal. Ich habe dich nicht verstanden.«

»Rubner!«

»Ach so. Deine Eltern leben nicht zusammen«, sagte Frau Grimm und machte sich eine Bemerkung zu Donatas Namen.

»Doch! Sie leben schon zusammen! Wir leben alle zusammen!« Donata fing zu weinen an. Außer Mia lachten alle.

»Wer alle?«

»Mami und Papi und ich und mein kleiner Bruder!«, schluchzte Donata.

»Sag deinen Eltern, dass ich sie sprechen möchte. Mir scheint da etwas nicht klar zu sein. Weine nicht! Es ist nicht deine Schuld!« Sie lächelte säuerlich. »Und ihr hört auf zu lachen!«, sagte sie streng und rief den nächsten Namen auf.

Nachdem alle Namen aufgerufen worden waren, wurde der Stundenplan verteilt – und dann war die Schule für heute aus!

»Morgen dauert es länger!«, ermahnte Frau Grimm ihre Schüler, bevor sie sie entließ. »Von acht Uhr – seid bitte alle pünktlich! – bis zwölf Uhr! Und jetzt verlasst leise das Schulhaus, denn die älteren Kinder haben schon Unterricht!«

*

Jo und Rosaly hatten beschlossen, die Boutique heute nicht zu öffnen: Wegen Familienfeier geschlossen!, stand auf einem Schild an der Tür.

Jos Hausangestellte bereitete das Festmahl vor – da Rosaly keine Angestellte hatte, bat sie Jo, nicht nur Benedikt, sondern auch Donata abzuholen und bei ihr vorbeizubringen.

»Heute war’s nicht schlimm!«, berichtete Benedikt zufrieden, als er seine Mutter am Eingang zum Schulhof traf. »Sie wollte nur wissen, wie wir heißen!«

Da stürzte Donata weinend an ihnen vorbei.

»Halt, Donata, halt!«, rief Jo. »Ich bringe dich doch heim!« Sie lief ihr nach und erwischte sie gerade noch am Arm, bevor sie, ohne rechts und links zu schauen, über die Straße rannte. »Was ist denn los, Liebes? Was ist denn passiert?«

Mami Jubiläum 4 – Familienroman

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