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Kapitel 1
ОглавлениеDie goldene Krypta
Die Besprechung war genau so langweilig wie die lieblos dekorierten Brötchen, die in der Mitte des Tisches unbeachtet vor sich hin gammelten.
Der Raum war edel und sehr modern eingerichtet.
Schwarzes Leder und glänzender Chrom erzeugten eine coole Atmosphäre.
Ein leichter Duft von Vanille lag in der Luft und der schwindelerregende Blick aus den bodentiefen Fenstern bot ein herrliches Panorama über die Stadt und die umliegenden Dörfer.
Die Zahlen der Bilanzen stimmten und die Wachstumskurve kannte nur eine einzige Richtung – steil bergauf.
Ein weiteres, sehr erfolgreiches Geschäftsjahr neigte sich dem Ende entgegen.
Friedolin leitete seit beinahe fünf Jahren die Abteilung Finanzen und Controlling.
Der Juniorchef des mittelständischen Familienunternehmens, das mittlerweile auch kleine Roboter für namhafte Firmen und private Haushalte herstellte, lobte ihn und alle seine Mitarbeiter in den höchsten Tönen für ihre gute Arbeit.
Der Erfolg zog sich durch alle Abteilungen und es gab jede Mange Gründe, kräftig zu feiern. In allen Abteilungen knallten die Sektkorken, als bekannt wurde, dass jeder Mitarbeiter vier Monatsgehälter zusätzlich als Prämie erhalten würde.
Im Kollegenkreis wurde ausgiebig darüber diskutiert, wie man das Geld wieder schnell unter die Leute bringen konnte. Ganz oben auf der Beliebtheitsskala standen exklusive Luxusreisen, gefolgt von erlesenen Kleinigkeiten, mit denen man seinen Lieben eine große Freude machen konnte: goldene Uhren, kostbare Perlenohrringe oder, auch sehr beliebt, eine Einladung in die Oper.
Friedolin war auch noch aus einem ganz anderen Grund der heimliche Held des Jahres, denn er hatte für Silvester alle seine Kollegen zu seiner Hochzeit eingeladen.
Und jeder einzelne von ihnen wollte sehr gerne bei dieser „rauschenden Party des Jahrhunderts“, wie Friedolin die Party nannte, dabei sein.
Dieses Jahr lief wirklich alles perfekt für Friedolin, der mit Ende vierzig auch nicht mehr der Jüngste war. Umso überraschter war er, dass die zwanzig Jahre jüngere Sigrid sich in ihn verliebte und ihn tatsächlich heiraten wollte.
Friedolins Mutter weinte vor Glück, als sie davon erfuhr. Sie hatte nicht mehr damit gerechnet, irgendwann einmal eine Schwiegertochter zu haben und womöglich auch noch Großmutter zu werden.
Die junge Frau schien es wirklich erst mit ihrem Jungen, ihrem einzigen Kind, zu meinen. Und Sigrid hatte ihr auch bereits verraten, wie das Kind, im Falle eines Falles, nennen würde.
Maximilian Frederik würde so schön zum Nachnamen passen und auf eine vornehme Abstammung schließen lassen.
Die Oma in spe war begeistert und konnte es kaum erwarten.
Doch zuerst musste natürlich geheiratet werden.
Sie kannten sich noch nicht einmal ein Jahr und eigentlich hatte Friedolin, der eingefleischte Workaholic, gar keine Zeit für Familienfeiern, aber Sigrid überzeugte ihn davon, dass er sich um nichts, aber auch gar nichts, kümmern müsse.
Glücklicherweise war Sigrid tatsächlich ein begnadetes Organisationstalent.
Sie überließ nichts dem Zufall.
Friedolin, ein Mann der Strukturen und Ordnungen über alles liebte, war sehr stolz darauf, eine Frau wie Sigrid gefunden zu haben.
Er selbst wäre nicht in der Lage gewesen, eine Hochzeitsfeier zu planen und so ließ er Sigrid völlig freie Hand, was sie sich nicht zwei Mal sagen ließ.
Friedolin bekam so gut wie gar nichts mit von ihren Bestellungen, Buchungen, Rücksendungen und Stornierungen.
Für ihre Traumhochzeit kam nur das Beste vom Besten in Frage.
Das Glück war Friedolin zugeflogen, einfach so.
Eines Tages, er kam gerade zurück von einer Geschäftsreise, saß Sigrid zufällig im Flugzeug neben ihm. Friedolin war müde und freute sich auf eine Mütze Schlaf. Doch Sigrid hielt ihn wach mit ihren Erzählungen von ihrem Urlaub. Sie hatte eine Freundin in Australien besucht, die vor drei, vier Jahren dort hin ausgewandert war.
Nun war sie, genau wie Friedolin, unterwegs von Singapur nach Frankfurt.
Als sich herausstellte, dass beide auch noch in der selben Stadt wohnten, war Sigrid nicht mehr zu bremsen.
„Da muss ich auch hin! Fahren Sie auch mit dem ICE?“
Als Friedolin müde nickte, fuhr sie fort:
„Wenn wir jetzt auch noch im Zug nebeneinander sitzen, ist das ein Zeichen …!“
Obwohl ihre reservierten Sitzplätze nicht nebeneinander waren, hatte Sigrid offensichtlich sehr wohl bestimmte Zeichen wahrgenommen.
Diese, für Friedolin zunächst völlig unsichtbaren Hinweise, veranlassten Sigrid dazu, von nun an nicht mehr von seiner Seite zu weichen.
Friedolin gewöhnte sich überraschend schnell daran und fühlte sich geschmeichelt.
Ja, es fühlte sich gut an, immer jemanden in seiner Nähe zu haben.
Irgendwann dachte sogar, er sei verliebt.
Bis zu jenem Tag, an dem er Magdalena begegnete.
Doch Magdalena traf keine Schuld.
Sie konnte am Allerwenigsten dafür, dass Friedolin sich schlagartig wie ein Verlierer fühlte.
Friedolin und Magdalena wären sich wahrscheinlich nie begegnet, wenn Friedolin an diesem Tag pünktlich, wie es normalerweise seine Art war, bei seinem Rechtsanwalt eingetroffen wäre.
Er verspätete sich wegen einer langweiligen Besprechung jedoch um weit mehr als über eine Stunde und sein Anwalt war dadurch natürlich bereits schon wieder mit anderen Mandanten im Gespräch, als Friedolin abgehetzt am späten Nachmittag in der Kanzlei eintraf.
„Es dauert bestimmt nicht mehr lange. Vielleicht eine halbe Stunde!“, schätzte die freundliche Dame am Empfang.
Ihr Name stand groß und unübersehbar vor ihr auf dem Schreibtisch: Paula Panther.
Friedolin starrte auf ihre extrem langen, spitz manikürten Fingernägel.
„Scharfe Krallen – der Name ist wohl kein Witz?“, fragte er auf seine direkte Art.
Sie schüttelte lachend den Kopf.
„Mit dem Namen könnten Sie glatt Karriere machen!“, dachte Friedolin und biss sich auf die Zunge, damit er diesen Gedanken für sich behielt.
Wie hätte er Sigrid Frau Panthers Kratzspuren erklären sollen?
Die schwarz glänzenden Bubikopf-Haare flogen ihr um die Ohren.
Friedolin schaute genau hin und versuchte, ein Leopardenmuster darin zu erkennen.
Dann fuhr Paula Panther ganz sachlich fort, den weiteren möglichen Tagesablauf vorzutragen.
„Danach hat Herr Dr. Lubitz keine Termine mehr und hätte dann ausreichend Zeit für Sie. Natürlich vorausgesetzt, dass Sie damit einverstanden sind.“
„Oh ja, gerne …!“, sagte Friedolin. Dabei ließ er die langen Fingernägeln, die eifrig über die Tastatur des Computers huschten, nicht aus den Augen.
„Möchten Sie einen Kaffee? Sie können gerne hier Platz nehmen …“, ihr Panther-Blick ging zu der einladenden Sitzecke neben der Eingangstüre.
Die fünf schwarzen Ledersessel schienen sehr neu zu sein, denn Friedolin nahm plötzlich den feinen Geruch von Leder wahr. Auf dem Tischchen, um das die Sessel gruppiert waren, stand ein großer Teller, vollbepackt mit zuckersüßem Weihnachtsgebäck.
Friedolin entdeckte sogar aus dieser beachtlich weiten Entfernung Vanillekipferl, seine absoluten Lieblingskekse, nicht nur in der Weihnachtszeit.
Das Wasser lief ihm im Mund zusammen.
Und eine vernünftige Antwort fiel ihm richtig schwer:
„Vielen Dank, Frau Panther. Gehe lieber eine Runde spazieren. Habe heute bereits viel zu viel Zeit im Sitzen verbracht. Sie wissen schon!“
„Ich kann Sie kurz anrufen, wenn Herr Dr. Lubitz frei ist. Damit Sie ihren ähm … Ihren Bewegungsdrang ausleben können!“ Sie lächelte ihn dabei so freundlich an, dass Friedolin erneut überlegte, doch hier zu bleiben und Fräulein Panther etwas genauer auf den Zahn zu fühlen.
Draußen war es dunkel, stürmisch und kalt.
Und hier?
Hier war es hell, warm und sehr angenehm.
„Was bist du nur für ein Hornochse! Raus jetzt mit dir – denk‘ daran, was der Doc dir das letzte Mal dringend empfohlen hat: Bewegung, Bewegung, Bewegung!“ Friedolin seufzte und nickte.
„Gerne …! Hier ist meine Karte!“, lächelnd reichte er ihr seine edle Visitenkarte, die auf einen Blick verriet, dass Herr Dr. Friedolin Fritz Fischer eine besonders wichtige Position in seiner Firma inne hatte.
Die Assistentin seines Anwalts hatte natürlich bereits sämtliche Daten von Herrn Dr. Fischer. Sogar seine Schuhgröße wusste sie. Kürzlich hatte ihr Chef erzählt, dass sie festgestellt hätten, dass sie ihr komplettes Outfit beim gleichen Onlinehändler bestellen würden. Schuhe in Größe 44 hatte nur dieser Händler als einziger immer vorrätig.
Dennoch nahm sie die Karte entgegen, behandelte sie wie ein kostbares Geschenk und einen Moment lang blickten sich die beiden in die Augen, die Visitenkarte, die sich weich und glatt wie Seide anfühlte, als spannungsgeladene Brücke zwischen ihren Daumen und Zeigefingern.
Ja, eine Abkühlung würde Friedolin sicher sehr gut tun und als er in die kalte Abendluft kam, atmete er erst einmal tief durch, während Paula die Karte zu den anderen zehn Visitenkarten von Friedolin packte.
Doch Friedolin kam nicht weit.
Nicht weit von der Anwaltskanzlei entfernt traf er auf zwei Kollegen, die sich vor dem beliebten Café Hahn ein Feierabendbierchen gönnten. Sie hatten es sich vor dem überdachten Lokal gemütlich gemacht. Für die Raucher und die Frischluftfanatiker bestand hier die Möglichkeit, auf Holzbänken unter einem Heizstrahler weiterhin am gesellschaftlichen Leben teil zu nehmen. Im Gegensatz zu den meisten anderen Gästen, die draußen saßen, hatten sich Holger und Bernd keine Decke über ihre Beine gelegt.
Sie waren in einer hitzigen Diskussion verwickelt und Friedolin konnte sich vorstellen, worum es ging. Die Übernahme dieses Konkurrenten hatte auch ihm bereits viele schlaflose Nächte bereitet.
„Na Jungs, wieso seid ihr denn noch nicht auf der Weihnachtsfeier?“
Die beiden schauten hoch, als sie Friedolins tiefe Stimme vernahmen, die so gar nicht zu seiner langen, hageren Gestalt passte.
„Also, du hast ja keine Ahnung – stell dir nur vor …!“
„Nein, nein, nein! Jetzt habe ich Feierabend! Lasst uns morgen darüber reden. Und auch auf gar keinen Fall gleich auf unserer Weihnachtsfeier …!“
„Ach ja, die Weihnachtsfeier! Eigentlich wollten wir gar nicht hin gehen. Wie kommt man eigentlich auf die dämliche Idee, montags eine Weihnachtsfeier zu veranstalten? Da kann doch keiner am nächsten Tag vernünftig arbeiten!“ Holger wurde nicht müde, sein Missfallen an diesem ungewöhnlichen Termin laut heraus zu posaunen.
Friedolin sah das ganz anders.
Er freute sich auf die Party.
Schließlich erwartete die Gäste ein erlesenes Buffet im besten Restaurant der Stadt. Der neue Chef, der Sohn des verstorbenen alten Chefs, hatte beschlossen, dass dieses Jahr besonders stilvoll zu Ende gehen sollte.
Es sollte nicht in ein Massen-Besäufnis ausarten, wie in den vergangenen Jahren.
Daher hatte er sich für eine Weihnachtsfeier an einem Montag entschieden und die meisten fanden diese Neuerung gut.
„Diskutiert ihr schon wieder über die Weihnachtsfeier?“ Friedolin schüttelte ungläubig den Kopf. Er rechnete fest damit, dass das Thema gegessen wäre, sobald der umstrittene Termin vorbei wäre.
„Ist nichts geschäftliches, Fridolin! Stell dir vor: Holger hat eine neue Flamme! Wir schauen uns gerade Bilder von ihr an, bevor wir rüber zur Weihnachtsfeier gehen.“ Bernd stieß seinen Ellbogen Holger so heftig zwischen die Rippen, dass er husten musste.
Für Friedolin war die Nachricht einer neuen Holger-Flamme nichts Besonderes.
Holger war, genau wie die meisten seiner Kollegen, permanent auf der Suche nach neuen Abenteuern und noch mehr Nervenkitzel. Allerdings benahm er sich noch immer so experimentierfreudig wie ein Halbstarker, obwohl er sogar ein, zwei Jahre älter als Friedolin war. Egal ob Tauchen inmitten von Haien, Surfen auf den Monsterwellen vor Hawaii oder Eisklettern – er schien sich nur lebendig zu fühlen, wenn der Tod mit an Bord war.
Erst diesen Sommer konnte Holger nur mit viel Glück aus einer Gletscherspalte gerettet werden. Vier bange Tage lang wurde vergeblich nach ihm gesucht. Als er schließlich wieder zu Hause war, war es wie immer: Holger konnte mit einem neuen Abenteuer prahlen und sich als Held feiern lassen.
„Wann feierst du denn eigentlich deinen Junggesellenabschied? Die Zeit ist knapp und wir haben noch keine Einladung …!“
„Habe ich doch schon tausend Mal erklärt: ich feiere keinen Junggesellenabschied! Dafür fällt eben die Hochzeitsparty größer aus.“
„Ich habe gehört, dass deine Zaubermaus aber sehr wohl Junggesellinnenabschied feiert. Ich meine, die Mädels machen jetzt gerade Party auf Mallorca! Und das bereits seit einer Woche! Stimmt das?“ Holger ließ nicht locker.
„Na und?“ Friedolin nickte genervt.
„Also, wenn du schon keine Party für deine treuen Kumpels machst, dann schau‘ dir jetzt wenigstens diese Bilder an. Hättest du alles haben können, du Esel!“
„Na gut!“ Friedolin setzte sich neben Holger.
Umständlich kramte er seine Lesebrille hervor und setzte sie demonstrativ langsam auf.
„Na, dann zeig‘ mal her!“
Friedolin bekam nun ein paar äußerst pikante Bilder zu sehen, die ihn jedoch schnell langweilten.
War nicht sein Typ.
Außerdem fror er erbärmlich.
Er hatte seinen warmen Mantel im Auto vergessen.
Im strahlend hell erleuchteten Café war es sicher viel, viel wärmer.
Mit klappernden Zähnen unterbrach er Bernd, der gerade sagte: „Hey, nicht so schnell … zurück, das muss ich noch mal …!“
„Jungs, ich geh‘ rein … wir sehen uns gleich auf der Party beim Chef!“
„Spielverderber!“ brummte Holger, ohne aufzusehen.
Die gestochen scharfen Fotos waren für ihn viel interessanter als dieser langweilige, alte Bürohengst, der in ein paar Tagen heiraten wollte.
Im Café Hahn stand Magdalena hinter der Theke und rieb eine große Scheibe Brot sorgfältig mit der Schnittfläche einer halbierten Tomate ein. Es erforderte ein gewisses Maß an Fingerspitzengefühl, das Brot gleichmäßig mit frischer Tomate zu tränken. Magdalena halbierte eine reife Avocado, entfernte die Schale von der kernlosen Hälfte, schnitt gleichmäßig dünne Scheiben ab und legte diese Avocadoscheiben, kunstvoll aufgefächert, auf das nach frischer Tomate duftende Brot. Magdalena schichtete noch abwechselnd Schafskäse, Rucola, Walnüsse und dunkelschwarzen, glänzende Oliven darauf und erhitzte das „Landbrot Avocado“ kurz im Backofen.
Magdalena hatte den Eindruck, dass jeder dieses Avocadobrot haben wollte. Dies war bereits das zwölfte Brot, das sie innerhalb einer halben Stunde belegte.
Sie war nur zur Aushilfe da und wollte nur zum Spülen kommen. Aber da krankheitsbedingt zwei Kollegen ausgefallen waren, übernahm sie auch noch das Belegen der Brote. Langsam bekam Magdalena mehr und mehr Routine und ihre Bewegungen wurden immer schneller. Ihre Freundin Ramona Hahn, die Inhaberin des Cafés, war sehr froh darüber, dass Magdalena so kurzfristig eingesprungen war.
Ramona arbeitete gerne mit Magdalena zusammen.
Die Grippewelle war nun auch bereits seit zwei Wochen auch in dieser Region angekommen und breitete sich nun in Windeseile aus. Auf den Titelseiten der Tageszeitungen hatten Gesundheitsthemen mittlerweile sogar den gleichen Stellenwert erreicht wie Politik, Drohnenkrieg und Bitcoins.
Ramona hatte an der Kasse und an der Kuchentheke alle Hände voll zu tun.
Die große Kaffeemaschine bedienten eine blutjunge Studentin und ein gut aussehender Student. Zwischendurch wirbelten die beiden immer wieder durch das Café, um den Gästen ihre warmen Snack zu servieren.
Im allgemeinen Chaos bemerkte daher niemand, dass Magdalena sich mit dem sehr großen, scharfen Messer in den Handballen schnitt, als sie ihre siebte Avocado aufschlitzte.
Dunkles, dickes Blut tropfte Brot und vermischte sich mit dem hellroten Tomatenabrieb.
„Oh nein! Das schmeckt nicht!“, war alles, was Magdalena noch denken konnte, während sie ohnmächtig lautlos hinter der Theke zu Boden sank.
Das Fleischer-Messer war in die Schüssel mit den dunkelroten Rucola-Blättern gefallen und hinterließ auch dort seine dunkelroten Spuren.
Friedolin öffnete die Türe zum Café.
Warme, angenehme Luft strömte ihm entgegen.
Seine Brille, die er noch immer trug, beschlug augenblicklich in dem Moment, als er den Raum betrat. Blind, wie ein Maulwurf, streckte er die Arme nach vorne um ein mögliches Hindernis zu ertasten.
Beinahe wäre er über den Hund gestolpert, der in diesem Moment aufgesprungen war, um sein Frauchen zu begrüßen, die mit ihrer Beute, zwei großen Latte-Macchiato-Gläsern, zu ihrem Tisch eilte.
Ärgerlich nahm Friedolin seine edle Designerbrille ab und angelte ein Taschentuch aus seiner Manteltasche.
Damit wischte er sorgfältig über die beschlagenen Gläser.
Dann hielt er die Brille prüfend nach oben ins Licht bevor er sie wieder aufsetzte, auf seiner Nase zurechtrückte und interessiert zur Speisekarte blickte, die an der Wand hinter der Theke in schnörkeligen Buchstaben mit weißer Kreide auf einer großen schwarzen Tafel zu lesen war.
Da er nichts entziffern konnte, packte er die Brille verstohlen wieder weg.
Er sah sich vorsichtig um.
Hoffentlich hatte niemand mitbekommen, wie blind und unbeholfen er sich gerade fühlte. Er hatte Glück gehabt. Niemand schien ihn zu beachten und Friedolin stellte sich geduldig an das Ende der langen Warteschlange an.
Hoffentlich würde er noch an die Reihe kommen, bevor die Paula, die Raubkatze ihn anrufen würde. Ursprünglich wollte auch Sigrid am heutigen Termin teilnehmen. Schließlich ging es um ihren Änderungswunsch im Ehevertrag. Doch dann war die Reise mit ihren Freundinnen nach Mallorca dazwischen gekommen.
Friedolin fasste den Entschluss, dass der Termin heute sowieso nicht erforderlich sei. Außerdem wollte er ja auch noch auf die Weihnachtsfeier.
Friedolin rief Paula Panther an und verlegte den heutigen Termin auf morgen.
„Vielleicht mit Sigrid“, kündigte er seine Verlobte an.
Soweit Friedolin informiert war, sollte sie morgen Nachmittag wieder aus Mallorca zurück kommen.
Beim Klang von Paulas angenehmer Stimme wurde ihm wieder ein bisschen wärmer und neugierig studierte er die Speisekarte. Er hatte sich gerade für das „Landbrot Avocado“ entschieden, als er aus den Augenwinkeln beobachtete, wie Magdalena zu Boden ging.
Er beugte seine Knie ein wenig, um durch die Glasvitrine zu spähen.
Dabei sah er das blutige Messer im Rucolasalat liegen.
„Hallo! Hier ist jemand verletzt!“ rief er matt über die murmelnde Menge hinweg, in der Hoffnung, dass ihn irgendjemand hörte.
Ramona schaute verwirrt um sich, in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war, entdeckte Magdalena und eilte zu ihr.
Schnell war auch ein Arzt zur Stelle, der zufällig in der Warteschlange hinter Friedolin stand und ihn davor bewahrte, der Erdanziehungskraft zum Opfer zu fallen.
Beim Anblick von Blut, auch nur vom allerkleinsten Blutstropfen, versagte regelmäßig Friedolins Kreislauf. Er klammerte sich mit letzter Kraft an der Theke fest und nur der beherzte Einsatz des Doktors verhinderte, dass er den gesamten Brotkorb mit sich in die Tiefe riss.