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Vor dem Wort:

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Eines vorneweg:

Das ist kein nationalsozialistisches Buch, es ist die seltsame Geschichte des Rudolph Kaiser.

Vom SS - Offizier zum Verlierer, zum Mörder,

ein Leben als armer Mönch und schließlich

auf einer Ebene mit dem Generalsekretär der UNO,

Dr. Kurt Waldheim.

Ja, so ist das Leben, eben.

Ich bin ein alter Mann. Ich war Abt in einem Kloster.

Jetzt lebe ich bei den Ursulinen, die kümmern sich um mich.

Sehr nette Frauen.

Am Wochenende besuchten mich meine alten Gefährten.

Es gibt sogar wieder junge Menschen, die den schweren Weg in einem Kloster gehen wollen.

Ein junger Novize hat mir sein altes Notebook geschenkt und sich die Mühe gemacht mir die Grundbegriffe zu erklären.

Das war ein schwerer Fehler, denn jetzt schreibe ich meine Geschichte auf, ich habe nichts mehr zu verlieren.

Doch zwei und zwei ist nicht zweiundzwanzig.

Die üblichen Verdächtigen:

Gunnar - der isländische Gärtner

Josef - mein bester Freund

Stephan - mein zweitbester Freund

Ich

Der Abt

Der Neue

Bruder Georg Holpfer

Bruder Franz Pfaffl

Bruder Karl Hofstetter

Bruder Alfred Leitner

1

Es schneit ruhig und friedlich. Doch der Himmel ist schwarz von amerikanischen B52 Bombern, die ihre tödliche Last Richtung Berlin fliegen.

Bevor ich die Latrine verlasse, blicke ich kurz in den Spiegel.

Ich bin kein »Herrenmensch Typ«, aber interessant.

Braune Haare, dunkelbraune Augen, Haarschnitt nach Heeresvorschrift.

Die SS - Uniform sitzt tadellos. Größenmäßig habe ich es gerade noch geschafft, dass sie mich genommen haben, aber ich habe es bis zum Stabsgefreiten gebracht.

Diese eingebildeten Arschlöcher.

Ich heiße Rudolph Kaiser und ich bin ein

aufrechter Nationalsozialist.

Trotzdem kommen langsam leichte Zweifel auf, wenn ich den Himmel betrachte.

Ich bin in Offing, Kreis Günzburg stationiert, die spärlichen Reste meiner Kompanie haben den Auftrag versprengte Soldaten sofort zu erschießen. Drückeberger haben in einer national gesinnten Gemeinschaft nichts verloren.

Der Aufruf unseres Gauleiters Karl Wahl, mit aller Härte um den Endsieg zu kämpfen trägt jeder tief in seinem Herzen.

Ich blicke nochmals in den Himmel, auf die zahllosen B52. Sicherheitshalber blicke ich wieder schnell auf den Boden.

Doch was sieht mein deutsches Auge: Ein Kameraden Schwein marschiert seelenruhig die Landstraße entlang. Ich entsichere meine Schmeisser Maschinenpistole und stecke mir ein Stück Pervitin zur Beruhigung zwischen die Zähne.

Die »Panzerschokolade« habe ich von einem Freund, einem Stukapilot erhalten.

Schmeckt toll, dass ich süchtig bin merke ich nicht.

»Halt, du feige Sau!«

Die feige Sau meint:

»Servus Rudi. Ich hab´ dich schon die ganze Zeit gesehen. Wie geht`s deinen Eltern?«

Der Steiner Hans, eine Schulklasse über mir, der mir immer geholfen hat, wenn die »Großen« mich verdreschen wollten.

Seine Eltern sind zeitig gestorben, ein Waisenkind.

Etwas einfältig, aber große Hände und ein großes Herz.

Ich sehe ihn kurz fragend an:

»Hast du einen Kopfschuss in letzter Zeit abbekommen, wir haben den Befehl Deserteure sofort zu erschießen!«

»Kopfschuss hab` ich Gott sei dank nicht, aber kannst du mir vielleicht in den Fuß schießen, ich möchte heim.«

»Der Arzt sieht doch sofort die deutsche Munition!«

Ich kann soviel Blödheit nicht fassen.

»Meinst? Na, ja der Krieg ist sowieso aus und ich geh` nach Hause, mich kann keiner aufhalten, ich bin nämlich unverwundbar. Ich habe dem Tod schon so oft in die Augen gesehen, mir passiert nichts mehr.«

Irgendwie kann ich ihn verstehen, mir geht es ähnlich. Ich war in Frankreich, Jugoslawien, habe in Kiew und Charkow gekämpft und immer am letzten Drücker überlebt. Das Gefühl, dass das Glück aufgebraucht ist, kennen wir nicht. Doch Hans ist dabei, das Glück zu überdehnen.

»Das du noch am Leben bist, ist reiner Zufall du Depp, ein anderer hätte dich sofort erschossen!«

»Rudolph! Der Krieg ist verloren, wer von uns ist den jetzt der Gescheitere?«

Ich muss zugeben, er.

»Komm` mit mir Rudi, wir setzten uns ab. Achtzig Kilometer südlich sind die Amerikaner und niemand kann sie aufhalten.

Willst den Russen in die Hände fallen? Sibirien?«

Er hat recht.

Weit weg, zieht ein amerikanisches Jagdflugzeug, eine Mustang ihre Kreise. Immer größere Kreise.

Jetzt wird es wirklich gefährlich.

»Rudi, der ist weit weg, der kann uns unmöglich sehen!«

Aber die Mustang zieht immer größere Kreise. Sie kommt näher.

»Kaiser Bua, der kann uns nicht sehen, außerdem bin ich unsichtbar, ha, ha.«

Die Mustang gibt einen Feuerstoß aus ihren zwei Zentimeter Bordkanonen in unsere Richtung ab, vermutlich um die Maschinenkanonen zu entladen, er will sich auf seinem Stützpunkt wichtig machen.

Ich werfe mich blitzschnell zu Boden, Hans ist zu langsam.

Die Projektile zerfetzen sein Genick. Der Pilot hat uns nicht einmal bemerkt.

Mein Freund hat keinen Kopf mehr, die Erkennungsmarke liegt zwischen seinen Schulterblättern. Mir zittern dermaßen die Knie, dass ich nicht aufstehen kann.

Auf allen Vieren krieche ich zu ihm, nehme die »Hundemarke« und stecke sie in meinen Stiefel.

Der Krieg ist aus, für Hans und für mich auch.

Die Erkennungsmarke und sein Soldbuch werde ich seinen Verwandten persönlich übergeben.

Das bin ich ihm schuldig.

Ich marschiere nach Offing. Vor dem ersten Haus steht ein Fahrrad, angelehnt am Gartenzaun. Ein altes, schweres Waffenrad. Ich blicke mich kurz um und schnappe mir das Fahrrad.

In diesem Moment biegt eine alte Großmutter, nach den Gesichtsfalten Urgroßmutter um die Ecke:

»Was machen` s denn da?«

»Das Fahrzeug ist requiriert! Das kann Kriegs entscheidend sein!«

»Red` keinen Stuss, Junge! Jetzt haben`s grad gsagt, im Radio, der Führer ist im Kampf gefallen.«

»Ach so? Egal, das Fahrrad wird für den Endsieg benötigt!«

Um jede weiter Diskussion zu unterbinden, radle ich schleunigst davon:

»Heil Hitler!« Was die Alte mir nach schreit kann ich Gott sei Dank nicht verstehen. Ja, so ist das Leben, eben.

2

Ich radle Richtung Süden, den Amerikanern entgegen. Das ist zwar gefährlich, aber der Führer ist schließlich bereits im Endkampf gefallen. Das hat sich aber noch nicht herum gesprochen:

»Halt!«

Ein vierzehnjähriges, blondes Bürschchen richtet seinen alten Karabiner auf mich.

»Junge, siehst du die Totenköpfe auf meinen Kragenspiegel, wenn du das Gewehr nicht sofort in den Graben schmeißt, schaust du auch so aus. «

»Ich habe den Befehl…«

Weiter kommt er nicht, ich trete ihm auf den Fuß, nehme seinen K98 und zerschmettere ihn an einem Baum. Der Kolben ist zersplittert, der Lauf verbogen.

»Geh` nach Hause, du Idiot. Heil Hitler.«

Ich setze mich auf mein Fahrrad, fahre maximal hundert Meter, als es mir meine schöne SS - Kappe vom Kopf reißt.

Ich kann es nicht glauben. Der kleine Idiot hat mir ein Loch in den oberen Rand meiner Mütze geschossen, der schöne Totenkopf ist etwas malträtiert.

Mit verbogenem Lauf, ist das eine stolze Leistung.

Was soll` s, die Geschichte glaubt ihm sowieso niemand.

Ein Loch in der Kappe, spricht für »Feindberührung», ich muss mir nur noch die passende Geschichte dazu einfallen lassen.

Ich radle Richtung Heimatdorf von Hans, doch aus mehreren Kilometern Entfernung sehe ich, die Ortschaft brennt lichterloh.

Ich steige von meinem Fahrrad ab, und setzte mich in den Straßengraben.

Die Erkennungsmarke abgeben kann ich später auch noch, außerdem, wem soll ich sie geben.

Er ist ein Waisenkind. Hat er überhaupt noch jemand? Eigentlich bin ich schon in der Nähe meiner Heimatgemeinde.

Ich habe Sehnsucht nach meiner Frau und meinen kleinen Sohn habe ich überhaupt noch nie gesehen.

Allerdings, wenn mich die Militärpolizei erwischt, hängen sie mich ohne Prozess auf. Munition sparen, sagt unser Gauleiter.

Was soll`s, schlimmer als dem Hans kann es mir nicht ergehen. Ich habe Heimweh.

Die letzten Kilometer trete ich kräftig in die Pedale, es dämmert schon, die richtige Zeit um mich unauffällig in unsere kleine Stadt zu schleichen.

Ich stelle mir das liebevolle Gesicht meiner Frau vor, das Herz klopft mir bis zum Hals.

Ich poche leise an die Türe, sofort wird die Türe aufgerissen:

»Welches Arschloch stört um diese Zeit?«

Die kräftige Stimme gehört dem Fabrikantensohn Gerhart Cekits, Dosennahrung aller Art, unabkömmlich für den Kriegsdienst.

»Bist du nicht der »Alte« von der Hilde? Hilde komm` einmal.

Was machst du eigentlich hier? Solltest du nicht an der Front sein, du feige Sau!«

Ich bin noch immer etwas konsterniert, als meine Frau in der Türe auftaucht. Sie wischt sich sorgfältig die Hände in einem neuem Geschirrtuch ab.

»Was machst den du hier? Der Gerhart ist mein »Neuer«! Etwas geschockt meine ich:

»Dein Gerhart ist ein Hinterlands-Drückeberger.«

Der Fabrikantensohn hat stahlblaue Augen, dichtes blondes Haar und ist zwei Köpfe größer als ich.

Ein Prachtexemplar von Herrenmensch. Er packt mich am Hals und drückt mich mit voller Kraft gegen den Türstock.

»Verschwinde, sonst melde ich dich, oder ich bring dich gleich hier um! Einen Deserteur zu erschießen ist Dienst am Vaterland!«

Er greift in seinen Hosenbund und zieht eine alte Ceska Pistole heraus.

Ich blicke an seiner Schulter vorbei und schreie:

»Nicht, Hilde!«

Der Idiot dreht sich um und ich trete ihm mit meinen kampferprobten Wehrmachtstiefeln mit voller Kraft gegen das Schienbein.

Sein Gesicht fällt leicht nach vor, ich trete ihm ein zweites Mal gegen das Schienbein. Jetzt ist seine Visage in meiner Reichweite. Ich knalle ihm die flache Hand auf die Nase, dass Tränen und Blut an die Wand spritzen.

»Ja, Ja, es ist ein Unterschied ob man in Russland kämpft, oder hier die Weiber fickt.«

Er liegt am Boden und winselt etwas undefinierbares und ich denke er hat kapiert.

Doch meine Frau bedauert den Angeber noch.

»Lass den Gerhart sofort in Ruhe, außerdem fickt er viel besser als du!«

Ich betrachte meine Frau, ich kann es nicht glauben.

Ein Fehler.

Der Fabrikantensohn hat die Ceska aufgehoben, zielt auf mich und eine kurze Sekunde trennt mich vom Tod.

Ich probiere es noch einmal:

»Hilde nicht!«

Der Idiot dreht sich noch einmal um. Es ist nicht zu glauben. Wehrmachtstiefel sind hart.

Ich trete ihm die Waffe aus der Hand, hebe sie auf und setzte sie ihm an die Schläfe.

Wie ihm Chor schreien beide:

»Wir melden dich du Schwein!«

Was bleibt mir übrig.

Ich drücke ab.

Der Schuss geht glatt durch den Schädel und schlägt in der Vorzimmerwand ein.

Meine, mir für ewig Angetraute, bekommt Augen, groß wie Teller.

»Du Versager, dafür wirst du an die Wand gestellt!«

»Falsch, ich bin die SS!«

Ich nehme Gerhart seinen Markenware Hosengürtel ab, schlinge ihn um den Hals von Hilde. Sie spukt mir ins Gesicht.

Ich ziehe den Gürtel zu. Sie hat einen, ebenfalls neuen Arbeitsmantel an, aber keine Unterhose. Seltsam das hat sie bei mir nie gemacht. Ich spreize ihre Beine und ficke sie maximal drei Minuten. Voller Verachtung schreit sie mich an:

»Du bis eine Null, nicht einmal ficken kannst du! Gerhart war viel besser!«

»Entschuldige, ich habe ein Jahr keine Frau gesehen, ich war an der Front.«

Ich haue ihr eine Ohrfeige runter, dass sie auf das Marienbild über unserem Ehebett blickt und ficke sie in den Arsch. Dieses Mal sicher eine halbe Stunde.

Die Haare hängen ihr wild ins Gesicht und sie keucht:

» Du Schwein, du Verlierer!«

Ich ziehe den Gürtel um ihren Hals enger und merke, dass es Spaß macht.

Ich habe so lange keinen Spaß mehr gehabt.

3

Ich wanke zum Küchentisch und saufe mit einem Zug Gerharts abgestandenes Bier aus. Ich bin nervlich am Ende und rauche mir erst einmal eine seiner Chesterfields an.

Wo er die her hat? Neumodisches Zeugs.

Ich setze mich mich blanken Arsch auf den kalten Küchenstuhl und versuche nachzudenken.

Seltsam, ich habe im Krieg so viele Menschen getötet, Menschen, die ich nicht einmal kannte. Und jetzt?

Was ist anders? Eigentlich müsste ich zufrieden sein.

Bin ich aber nicht, zumindest wenn ich an den Galgen denke, der mir droht. Habe gar nicht gewusst, dass es so lange dauert, jemanden zu erwürgen.

Na ja, eigentlich hat Deutschland jetzt andere Sorgen, als mich, kleines Licht.

Aus dem Nachbarzimmer meldet sich mein Sohn zu Wort. Meine Frau hat ihn Michael getauft, hat sie in ihrem letzten Brief geschrieben, nach ihrem Großvater.

Augenblicklich sind alle Sorgen vergessen. Ich öffne die Zimmertüre uns kann es gar nicht fassen. Mein Sohn lächelt mich an!

Zumindest bilde ich es mir ein.

Auf dem Küchentisch steht sein Fläschchen. Ich nehme ihn in den Arm und gebe ihm sein »Abendessen«.

Sofort lauter Protest!

Er akzeptiert mich nicht als seinen Vater.

Ich bin am Boden zerstört.

Eigentlich ist die Trinkflasche eiskalt, ich tauche sie einfach in die noch heiße Suppe der Beiden. Aha, er liebt mich doch.

Dieser kurze Moment wiegt alles auf, was ich in letzter Zeit erlebt habe und meine Gehirnzellen beginnen zu arbeiten.

Hängen sie mich auf, oder werden sie mich erschießen? Ich muss eine Lösung für meinen Sohn finden.

Ein Abschiedsbrief des Fabrikantensohns!

Ich nehme einen kleinen Zettel und schreibe in Blockbuchstaben:

LIEBE ELTERN,

ICH KANN SO NICHT LEBEN. BITTE KÜMMERT EUCH UM MEIN UNEHELICHES KIND!

GERHART

Kurz und bündig. Wer weiß, welche Fähigkeiten die Wissenschaft in fünfzig Jahren hat?

Wenn sich die alten Cekits um meinen Sohn kümmern, dann wird es ihm gut gehen.

Ist das plausibel? Egal, die Leute glauben das, was sie glauben möchten und die Alten brauchen einen Erben. Vielleicht kaufen sie ihm, wenn er erwachsen ist, sogar so einen VW-Käfer.

Ich drehe mich um und blicke noch einmal auf die Beiden.

Mir ist aufgefallen die Drückeberger Sau ist Linkshänder.

Ein Gewehr fällt zu Boden, eine Pistole bleibt meistens in der Hand. Ich habe genug Tote gesehen.

Ich drücke im seine Ceska in die Hand, er ist mit der Situation nicht mehr fertig geworden, hat Hilde ermordet und anschließend Selbstmord begangen.

Ja, genau, so war es!

Ich ziehe Zivilkleidung an, die SS - Uniform, meine Waffe, alles was ich nicht mehr brauche, werfe ich ins Scheiß Haus, drehe das Licht ab und sperre die Haustüre ab. Eine Sekunde später sperre ich wieder auf, bringe meinen Sohn zu Bett, lasse das Licht brennen, sperre von innen ab und klettere aus dem Fenster, das ich vorsichtig wieder zudrücke.

Wir haben neugierige Nachbarn.

Ich weiß, man kann nicht an alles denken, aber das Glück war bis jetzt immer auf meiner Seite.

Es beginnt wieder zu schneien und ich stapfe den Amerikanern entgegen. Nach einigen Kilometern erblicke ich das vollkommen zerstörte Haus eines Bauers. Ich breche die Kellertüre

auf, der Keller ist randvoll mit geräuchertem Speck, Kartoffeln, eingemachtem Obst, sogar zwei Fässer Wein.

Das ist die Vorsehung!

Ich werde zu einer taubstummen Maus mutieren, und das Ende des Krieges abwarten.

4

Keine Ahnung, wie lange ich schon hier unten residiere. Ich bin die meiste Zeit besoffen und habe sicher einige Kilos zugelegt.

So geht es nicht weiter! Ich atme tief durch, mache zwanzig Liegestütze, fülle meinen Rucksack mit Proviant und klettere die alte Holzleiter empor. Es dämmert bereits, ich muss mich über die Kriegslage informieren.

In der Ferne brennt Licht in unserer Kirche. Seltsam.

Es ist eiskalt und ich betrete die Kirche, um mich ein wenig aufzuwärmen.

Ich bin kein gläubiger Mensch aus kirchlicher Sicht. Ich glaube an Gott, doch wer diese allmächtige Macht ist, weiß ich nicht. Besser gesagt, weiß niemand.

Es sind nur eine einige alte Weiber in der Kirche die um Vergebung bitten.

In jungen Jahren den eigenen Mann betrügen und jetzt um Vergebung bitten. Scheiß Huren.

Ich hätte wenigstens einen guten Grund zu beichten.

Eigentlich zwei Gründe.Aber ich beichte ganz sicher nicht.

Trotzdem habe ich das Bedürfnis, mit jemanden zu sprechen.

Verstohlen blicke ich Richtung Beichtstuhl. Das rote Licht brennt! Ein Priester ist anwesend.

Unauffällig erhebe ich mich und verschwinde blitzschnell hinter dem Beichtstuhlvorhang:

»Ich habe gesündigt!«

»Das weiß ich sowieso Rudolph, du warst schon immer kein »Guter«.

Pfarrer Schönhuber! Der fette Pfaffe hat mir gerade noch gefehlt. Hat mich nach jeder Beichte zu zwanzig »Vaterunser« verurteilt.

Aber ich muss mit irgend jemand reden.

»Ich habe die Hilde und den Cekits umgebracht.«

»Brav, äh, wieso?«

»Er war der Liebhaber meiner Frau.«

»Das weiß ich. Wie oft habe ich zu deiner Frau gesagt, tue Busse, ändere dein Leben, komm beichten.

Ja, das Leben ist ungerecht! Unser Herr wurde von Juden ermordet! Hast du Juden getötet?«

»Eigentlich nicht. Na vielleicht war ein Jude dabei. Soldaten schauen alle gleich aus! Der Steiner Hans ist übrigens auch gefallen. Ich habe seine Erkennungsmarke.«

»Um den ist es schade. Er war zwar nicht der Gescheiteste, aber er ging jeden Sonntag zur Kirche, was man von dir nicht behaupten kann! Wieso hast du keinen Juden getötet?

Sie haben unseren Herrn ans Kreuz genagelt!

Auge um Auge, Zahn um Zahn!«

Ich überlege kurz, eigentlich war Jesus auch Jude. Eigentlich waren das Familienstreitigkeiten.

Doch ich denke, es ist besser die Klappe zu halten.

Das war die Richtige Entscheidung, unser Pfarrer gibt sich als aufrechter Nationalsozialist zu erkennen:

»Na gut Rudi, du hast zwei Möglichkeiten. Erstens auswandern nach Argentinien, durch das Zillertal nach Italien, in Genua auf ein Schiff. Im Vatikan hab ich einen kroatischen Freund, den Pater Draginovic, den kenne ich vom Priesterseminar. Der hilft dir weiter.«

»Was mach ich in Argentinien?

Ich kann ja nicht einmal argentinisch.«

»Spanisch du Depp! Aber ich sehe ein, das ist eher nichts für dich.

Aber du könntest endlich einmal ein gottesfürchtiges Leben führen! Als Busse erlege ich dir ein »Gegrüßet seist du Maria«. Das genügt in diesem Fall.

Du bekommst von mir eine alte Soutane, ein Fahrrad und radelst Richtung Felsheim zum Kloster.

Die Amerikaner brauchen sicher noch zwei Tage.

Ich rufe den Abt, den Otto Strohmaier an und werde dich empfehlen. Die Erkennungsmarke vom Steiner Hansi lässt du hier, ich werde mich zur rechten Zeit um neue Papiere für dich kümmern. Ich kenne natürlich auch da wieder jemanden. Deine neuen Papiere schicke ich dir mit der Post.

Dich kenne ich nicht! Du bist dann der Steiner Hans!

Vor dem Pfarrhaus stehen zwei Fahrräder ein Schwarzes und ein Rotes. Du nimmst das Schwarze! Das Rote ist ein Geschenk vom Kardinal. So und jetzt verschwinde!«

»Aha.«

5

Es regnet. Ich stapfe durch die letzten Schneereste zum Pfarrhaus. Spärliches Licht fällt durch die angelaufenen Fenster.

»Was hat er gesagt, welches Rad gehört ihm?«

Egal, ich nehme das Rote.

Ich trete ordentlich in die Pedale, damit mir warm wird. Ich fahre die ganze Nacht durch, im Morgengrauen denke ich, ich sehe nicht richtig.

Schemenhaft erkenne ich die Umrisse des Klosters.

Ich habe noch nie ein Kloster gesehen, ich dachte eigentlich an ein großes Haus, aber was ich erblicke sprengt alle Dimensionen.

Ich kann es nicht glauben, wie groß das Kloster ist.

Als ich vor dem riesigen Eingangstor stehe, merke ich das erste mal, wie klein der Mensch ist.

Etwas eingeschüchtert gehe ich unter dem Torbogen durch, es ist kein Mensch zu sehen. Na, ja es ist ja noch früher Morgen. Vielleicht schlafen die Mönche noch.

Eigentlich bin ich noch gar nicht im Kloster. Der Teil, den

ich jetzt ehrfürchtig betrachte ist öffentlich zugänglich. Unter dem Torbogen befindet sich die Klosterapotheke, ein gepflegter, weißer Kiesweg führt links zu einer Treppe, die zu einer kleinen alten Kirche führt, vermutlich aus der Gründungszeit des Klosters.Der andere Kiesweg endet vor dem Eingang der heutigen Klosterkirche. Ich beschließe mich in die Kirche zu setzen und auf den Abt zu warten.

Ich nehme auf der harten Bank Platz und simuliere ein Gebet, als hinter mir die Kirchentüre geöffnet wird.

Es erscheint ein altes, dürres Männlein.

»Deutschland hat bedingungslos kapituliert! Der Krieg ist aus!«

Ich springe auf:

»Wehrkraftzersetzung! Ähh, na endlich.«

Der Alte setzt sich neben mich.

»Na, junger Mann, freuen sie sich nicht?«

»Oh ja, sicher. Der scheiß Hitler. Wissen sie vielleicht wo ich den Herrn Abt finde?«

»Der war auf einer Hochzeit. Dürfte etwas länger gedauert haben. Na sicher haben sie gleich auf den Endsieg, Blödsinn, auf den neunten Mai getrunken.

Das wird ein historisches Datum! Sie werden sehen.«

Grußlos verlässt mich der Alte und mir wird klar, dass ich die ganze Zeit nichts gegessen und getrunken habe.

Hunger lässt sich aushalten, aber Durst nicht.

Ich inspiziere das Weihwasserbecken. Mir egal, im Krieg habe ich ganz andere Sachen erlebt.

Als ich das Becken fast zur Gänze ausgesoffen habe, höre ich eine etwas nasale Stimme hinter mir:

» Es tut mir leid Herr Steiner, auf sie habe ich ganz vergessen!

Und den Krieg haben wir auch verloren. Helfen sie mir die Weinflaschen tragen.«

Verdammt. Der Abt!

Ich wische mit meinem dreckigen Ärmel, schnell über die Mundwinkel und drehe mich betont langsam um. Vor mir steht ein mittelgroßer, älterer Mann mit bereits ergrautem Haar und einem kurzen, weißen Bart.

Ich schlage die Hacken zusammen:

»Herr Abt, ich melde mich...«

»Ja, ja, ist schon gut, jetzt nehmen sie mir endlich die Taschen mit dem Messwein ab! Ist übrigens nicht nur Messwein. Die eine oder andere Flasche kann man auch so trinken.«

Er schließt die dunkle Eingangstüre auf, die in den inneren Bereich des Klosters führt. Ich schleppe die schweren Taschen bis auf die gegenüberliegende Seite des Kreuzganges. Er sucht einen weiteren Schlüssel auf seinem riesigen Schlüsselbund. Nach fünf Minuten öffnet er die Türe einer kleinen, muffigen Abstellkammer.

Ich schätze dieser Raum ist seit einhundert Jahren nicht gelüftet worden. Der Abt bietet mir einen völlig verstaubten Sessel an, auf dem vermutlich der erste Chef des Klosters gesessen ist.

»Also, sie möchten ein Mann Gottes werden?«

6

»Herr Abt ich will ehrlich sein. Ich glaube an Gott, aber alle von Menschen geschaffen, von Menschen überlieferten Regeln, lehne ich ab. Ich bin ein Gnostiker, ich bin ein Suchender.

Aber ich weiß nicht einmal was ich suche. Aber hier, in der spirituellen Welt dieses wunderschönen Klosters, könnte ich es finden.«

Der Abt sieht mich lange mit gerunzelter Stirn an:

»Ich muss zugegeben ich habe dich falsch eingeschätzt, Steiner.

Du bist wenigstens ehrlich.

Die ganzen Drückeberger, die schwulen Großbauernsöhne, die sich hier verkrochen haben, die ihre Fahne nach dem Wind richten, sind nicht Gottes Kinder! Wenn du eine feste Überzeugung hast, auch wenn du Mohammedaner bist, kannst du bei uns bleiben.«

Jetzt runzle ich die Stirn: »Meint er das ernst? Mohammedaner? Sind das nicht die Muslime? Wir hatten bei der Waffen – SS einige muslimische Kompanien. Richtige Selbstmordkommandos!

Ohne Rücksicht.

Eigentlich waren die ganz schön weich in der Birne!«

»Steiner, bist eh noch da? Du wirkst etwas abwesend. Also, du kannst bei uns bleiben, du wirst Novize. Das ist so eine Art Lehrling.«

Wir verlassen die historische Kammer. Ich lasse etwas Abstand, der Abt könnte auch ein Bad vertragen. An der Sakristei vorbei führt der Kreuzgang zu einem grau gestrichenen Tor. Der Abt findet dieses mal mit beeindruckender Geschwindigkeit den richtigen Schlüssel.

Ich denke, ein Drittel seines Lebens verbringt ein Mönch mit Tür auf und Tür zu sperren. Ich wanke mit den Weinflaschen dem Abt hinterher, mit letzter Kraft schaffe ich die, von den Mönchen, in Jahrhunderten blank polierten Stiegen empor.

Gott sei dank muss er vor einem schwerem, schmiedeeisernen Zaun seinen nächsten Schlüssel suchen. Auf dem schwarzem Eisenzaun steht mit vergoldeter, altertümlicher Schrift:

»Klausur«.

Jetzt wird es interessant!

Endlich darf ich die Weinflaschen vor der Zelle des Abtes abstellen.

»Danke für´s tragen! Einen jungen, kräftigen Mann, der zupacken kann, ist sicher ein Gewinn für das Kloster. Warten sie eine Moment, ich zeige ihnen ihre Zelle, ich muss nur den Schlüssel suchen.«

Nach zehn Minuten hat er den Schlüssel gefunden.

»Kommen sie, gleich um die Ecke werden sie wohnen, die Sanitärräume sind vis a vis.«

Ich nehme ihm schnell den Schlüssel ab, damit er ihn nicht verlegen kann und sperre mein neues Domizil auf. Eine doppelte Türe, ich blicke auf die hohe Zimmerdecke, für mich ein Symbol der Freiheit, die Mauern sind mindestens einen Meter stark.

Mein neues Zuhause ist ein großes drei Meter hohes Zimmer. Ein Tisch, ein Bett, ein Sessel.

Spiegel, Waschgelegenheit.

Eine Zelle? Nach all den Kriegsjahren ist das purer Luxus!

Der Abt sieht mich fragend an, Ich versuche meine Begeisterung zu verbergen:

»Darf ich in der Zelle rauchen?«

»Eigentlich rauchen fast alle Mitbrüder, ich am meisten. Schließlich bin ich der Abt!«

Ich bedanke mich, schließe die Doppeltüre und werfe mich auf das Bett. Wenn ich aus dem Fenster blicke, sehe ich die schneebedeckten Berggipfel. Einzig die blöde Glocke stört.

Jetzt kann nichts mehr schiefgehen.

Oder?

Müßiggang ist aller Laster Anfang. Hat das der Führer gesagt?

Egal, jetzt hab´s ich gesagt.

Ich beschließe das Kloster zu erkunden. Ich schließe sorgfältig mein neues Refugium ab, ich besitze nur zwei Schlüssel, die aber alle wichtigen Türen sperren.

Als erstes besichtige ich die Nasszelle, die kann man absperren, zur Duschgelegenheit führen einige in den Boden eingelassene Stufen hinab, ein Handlauf ist zur Sicherung montiert. Einfach aber effektiv.

Zwei Türen weiter ist der Eingang zur Empore. Mein Schlüssel sperrt, ich nehme auf der Bank des Organisten Platz und drücke auf den tiefsten Ton der alten Barockorgel. Der Ton ist so tief, dass ihn das alte Weib im Kirchengestühl nicht hören kann. Spaßeshalber rufe ich hinunter:

»Gnädige Frau, könnten sie mir ein «Mönchsgewand« schneidern?

»Für den Herrgott mach ich alles! Billig!«

Das alte Mädchen ist also doch nicht taub.

Ich versuche ein altes Kinderlied auf der Barockorgel, die Alte lächelt nachsichtig.

Vielleicht kann ich dieses Instrument erlernen? Ich habe ja Zeit.

Auf dem Boden liegen Notenblätter verstreut. Ich glaube es nicht, die Noten sind über hundert Jahre alt.

Vielleicht verkaufe ich sie an einen Trödler.

Die nächste Türe ist die Speisekammer. Den Mönchen ist nichts abgegangen. Hier hat immer Frieden geherrscht.

Die übernächste, schwere Eichentüre ist nicht abgesperrt, ich öffne sie schwungvoll und blicke zehn Meter in die Tiefe. Klägliche Reste einer alten Eichenholztreppe hängen an der Wand. Ein Bombentreffer, vermutlich versehentlich.

Nach allem was ich erlebt habe, wäre ich um ein Haar auch versehentlich in den Tod gestürzt. Bei Gelegenheit werde ich den Abt auf diesen Lapsus aufmerksam machen.

Na, ja, lieber nicht, sonst fragen sie mich, was ich da zu suchen habe.

Vermutlich weiß das mit dieser Türe jeder. Nur ich nicht.

7

Nach diesem Schock gehe ich noch mal zur Vorratskammer, wenn ich richtig gesehen habe, steht dort eine halbe Flasche Korn.

Ich muss gestehen, mein Pervitin geht mir ab. Diese Substanz könnte man vielleicht später verkaufen, bei Kirchtag Festen, damit die Tänzer länger durch halten.

Jetzt mache ich erst einmal einen großen Schluck Korn.

Auf den Schock habe ich ihn mir redlich verdient. Eine Ausrede findet man immer.

In einer Stunde gibt es Abendessen, fein.

Plötzlich höre ich Schritte! Ich stelle mich in die dunkelste Ecke und halte die Luft an. Ein ziemlich dicker Bruder erscheint, greift sich einen Räucherspeck und ist schon wieder verschwunden. Na ja, der hat Hunger, obwohl fett genug wäre er sicher, um die Zeit bis zum Abend durchzustehen. Was soll´s, geht mich nichts an.

Im Speisesaal sind bereits der Abt und alle elf Mönche um den großen Eichentisch versammelt. Ich entschuldige mich für mein spätes Kommen und will mich unauffällig auch am Tisch platzieren, doch Bruder Josef nimmt mich bei der Hand:

»Du bist der Jüngste, der zuletzt Gekommene, du servierst das Abendmahl! Ich helfe dir.«

Ich serviere, bin ich ein Kellner? Ich bin knapp davor, mein Missfallen im Kasernenton zu äußern, doch Josef blickt mich scharf an:

»Nur diese Woche. Nächste Woche soll ein Neuer kommen.

Dann bist du schon ein Alter, so schnell kann es gehen.«

Na gut, kann ja nicht so schwer sein. Schwungvoll serviere ich die Suppe. Bei Bruder Franz Pfaffl, dem Wohlgenährten, der eben erst den Speck vertilgt hat, schwappt die Suppe ganz leicht über.

»Kann´st nicht aufpassen! So etwas verzeiht der Herr nicht!«

Unter Aufbietung aller Kräfte murmle ich:

»Entschuldigung.«

Ich nehme ein Geschirrtuch, wische den Tisch sauber und mustere meine neuen Kameraden.

Der Abt blickt etwas streng, Pater Alfred Leitner, Pater Georg Holpfer und Karl Hofstätter und der fette Bruder Pfaffl grinsen, die übrigen nehmen den Vorfall kommentarlos zur Kenntnis.

Nur Bruder Josef sieht dicken Pfaffl mit durchdringen Blick an:

»Willst du wahres und unvergängliches Leben, bewahre deinen Zunge vor dem Bösen und deine Lippen vor falscher Rede!

Psalm vierunddreißig, Kapitel vierzehn bis fünfzehn!«

Der dicke Bruder Franz zuckt mit den Achsel und widmet sich seiner Nachspeise.

Josef hilft mir auch beim abräumen, anschließend nimmt er mich ins »Gebet«.

Frater Josef ist einiges jünger als ich, trägt einen dichten, braunen Vollbart, die Haare sind etwas schütter, dafür sind sie lang und strähnig.

Ein seltsamer Typ, aber er hat sofort meine volle Empathie.

»Ja, ja die Hackordnung. Die gibt es nicht nur bei den Tieren, auch bei uns im Kloster. Aber mit etwas Diplomatie ist das kein Problem. Du bist ein Gnostiker. Gefällt mir. Aber erst hältst du dich einmal an die Klosterregeln.

Du trägst Privatkleidung, eine Tunika, oder Habit bekommst du erst nach dem Gelöbnis, der Profess.

Unser Tagesablauf ist streng geregelt, zumindest am Anfang.

Sechs Uhr – Laudes, der Tagesanbruch, dann folgt die

Prim, das Morgengebet für die Arbeit, weiter geht es mit der

Terz, für den heiligen Geist,

Sext, für die Kraft,

Non, Christus Ende,

Vesper, Abend,Komplet, Ende.

Wenn du nicht schlafen kannst, ich halte oft ein Nacht Offizium.

Außerdem sind wir eigentlich alle per Du, außer mit dem Abt natürlich und den Mönchen die du nicht leiden kannst. Der Neue kommt übrigens schon heute Abend. Der muss servieren!

Also alles halb so schlimm.«

«Danke Josef, aber ich schlafe gut und wenn ich mich nicht auskenne, frage ich einfach dich! In Ordnung?«

Wir gehen gemeinsam zu unseren Räumlichkeiten, die Gänge sind nur ganz schwach beleuchtet, der alte Steinfußboden ist eiskalt. Ich finde auf Anhieb meinen Zimmerschlüssel, Josef wohnt schräg vis a vis von mir.

Gleichzeitig wünschen wir uns eine gute Nacht.

Ich habe mir ein Buch aus der Klosterbibliothek organisiert. Mitten in der Nacht wache ich auf, das Buch auf meiner Nase.

»Verdammt und pinkeln war ich auch nicht.«

Ganz leise öffne ich meine Doppeltüren, es ist eiskalt und dunkel auf dem Klostergang, mit Mühe und Not finde die Toiletten. Ich laufe ohne Schuhe, auf dem abgetretenen Steinfußboden, es ist vor Kälte nicht auszuhalten.

Als ich rücksichtsvoll, leise meine Türe schließen will, sehe ich Frater Josef eilig um die Ecke biegen. Der Arme hat sicher sein Nachtoffizium gehalten.

Ich will nur schnell ins Bett.

Auf meinem Nacht Tisch steht zwar ein alter Wecker, doch den benötige ich an diesem Morgen nicht.

Lautes Geschrei dringt durch die dicken Wände, ich ziehe mich hastig an, spüle mir nur den Mund mit kaltem Wasser aus und gehe Richtung Speisekammer.

Neben der Speisekammer steht die schwere Eichentüre des ehemaligen Holztreppenabganges offen. Die Mönche murmeln leise Unverständliches.

Ich verstehe erst, als ich in den Abgrund blicke.

Auf dem Schotterboden liegt der zerschmetterte, fette Körper eines Mönches. Neben ihm, ein großer geräucherter Schinken.

8

Durch das Haupttor biegt mit hoher Geschwindigkeit ein Ami-Jeep.

Zwei Soldaten springen ab und nehmen den rechten Treppen Aufgang.

Ich nehme an, dass die Amerikaner, SS-Männer nicht lieben.

Ich nehme den linken Abgang. Auf halber Höhe merke ich, die zwei haben es sich anders überlegt.

Ich senke den Kopf, falte meine Hände und starre auf die Stiegen.

Schon blöd, dass ich keinen Habit besitze, dass muss sich ändern.

Völlig in Gedanken versunken, versuche ich die Zwei zu ignorieren.

»Hey, Mister Nice Guy, wo wohnt der Rabbi?«

Die beiden sehen aber sehr jüdisch aus. Jetzt wird’ es gefährlich.

Blödsinn, Angriff ist die beste Verteidigung. Soll ich ihnen meine SS - Tätowierung zeigen? Lieber nicht, aber Angriff ist die beste Verteidigung:

»Brüder, wir haben zwar dieselbe Bibel, zumindest Teil Eins, aber ihr möchtet sicher den Herrn Abt sprechen.«

Die Zwei heben gleichzeitig den Kopf, wie zwei schwule Ziesel:

»Yeah, den Äbt!«

Na sehr koscher sind mir die Zwei nicht.

Mit den Beiden im Schlepptau, klopfe ich behutsam an die Türe des Abtes, der reißt die Türe auf:

»Was gibt es? Oh, entschuldigen sie, sind sie von der Polizei? Sie möchten sich entschuldigen?

Ihre Luftwaffe hat unsere, über hundert Jahre alte Stiege weg- gebombt! Bruder Franz wäre noch am Leben, wenn der Aufgang noch an seinem Platz wäre!«

Die beiden strecken sich, erscheinen jetzt wesentlich größer. »Wer hat Krieg angefangen, Rabbi?«

Ich habe das Gefühl, Christen und Juden verstehen sich nicht so richtig und versuche zu beschwichtigen:

»Es war ein Unfall. Niemand hat Schuld und außerdem seien wir doch froh, dass dieser schreckliche Krieg zu Ende ist.«

Die beiden eingebürgerten Amis nicken:

»Yes, Unfall. It doesn`t matter. Auf Viedersehen.«

Der Abt hat noch immer einen hochroten Kopf.

»Keine Kultur, diese Ausländer, manchmal verstehe ich den Pfarrer Schönhuber. Antichristliches Gesindel! «

Ich drücke ihn sanft in die Richtung seiner Eingangstüre.

Ich denke, dass ein friedvolles Auskommen mit den Besatzern für das Kloster und vor allem für mich das Beste ist.

»Herr Abt, wir müssen mit den Amerikanern auskommen, die Betonung liegt auf müssen. Sie haben nämlich den Krieg gewonnen! Vielleicht beim nächsten Mal.«

Jetzt schaut der Abt wieder etwas versöhnlich, das nutze ich aus:

»Herr Abt, ich kenne eine alte Frau im Ort die würde mir fast umsonst einen Habit schneidern, nicht in schwarz, so wie ihrer,

in dunkelgrau, meine Hosen machen´s nicht mehr lang.«

»Ja,Ja.«

Noch etwas fällt mir ein, meine Karriere betreffend:

»Stimmt es, ich könnte Frater werden? Also nicht Pater, der ist ja zum Priester geweiht. Bruder Josef hat mir zwar gesagt, das darf man alles nicht so eng sehen,aber...«.

»Ja,Ja.«

Na, wenn der Abt mit alldem einverstanden ist, bleibe ich vielleicht noch eine Weile im Kloster. Um die Nerven des Abtes zu schonen, schließe ich behutsam die Tür seiner Zelle.

Hinter meinem Rücken schleicht der Neue vorbei.

Glatze, Blumenkohlohren.Eine richtige Verbrechervisage.

Kann nicht einmal grüßen, der Idiot. Soll ich ihn einmal scharf ansprechen?

Lieber nicht, auf keinen Fall den Neuen vergraulen.

Sonst muss wieder ich servieren.

Die nächsten Wochen vergehen wie im Fluge, es gibt immer etwas Neues zu entdecken.

Am Dorfplatz treffe ich die alte Frau, die mir versprochen hat, für mich den Habit zu nähen.

Ich habe ihr ein altes Kleidungsstück als Schnittmuster überlassen, sie hat mir einen dunkelgrauen, robusten Habit mit Kapuze geschneidert.

Toll, so kann ich meine Privatkleidung schonen und mich als fast vollwertiger Mönch fühlen. Niemand darf sich aufregen, der Abt hat es ja ausdrücklich erlaubt. Als ich der alten Frau Geld anbieten will, entgegnet sie:

»Ist ja eh´nichts wert, das Papier, beten´s lieber für mich, lieber Klosterbruder, ich werde es bald brauchen!«

Stolz gehe ich durch eine kleine Seitengasse Richtung Kloster. Die Leute blicken mir nach, toll.

Mit geraffter Kutte laufe ich die ausgetreten Klosterstiegen empor und setze mich ins Refektorium und drehe das Radio auf.

Wir haben einen funktionsfähigen Volksempfänger.

Über dem Hakenkreuz, liegt jetzt ein gehäkelte Decke. Vermutlich von meiner alten Freundin.

Einige Brüder schauen etwas verwundert. Pater Georg meint:

»Eine graue Ordenstracht, das geht aber nicht!«

Durch meine Militärzeit erkenne ich Homosexuelle aus hundert Meter Entfernung. Auch ihre immer gleich Masche, zuerst einschüchtern, anschließend als jovialer Freund auftreten.

Doch, bevor ich etwas erwidern kann, reißt der Abt wieder mit hochrotem Kopf die Türe auf.

»Bruder Hans, kommen sie mit mir raus!«

Ich bin ein sensibler Mann, wenn er jetzt etwas negatives über meine Kutte sagt, dann scheppert´s.

Er hat ein großes, braunes Kuvert, mit amerikanischen Briefmarken in der Hand und wedelt damit wild umher.

»Vom amerikanischen Militär Oberkommando, die können ihre puritanischen Vorfahren nicht verleugnen.

Schau dir das an Hans, zur Wiedergutmachung schicken sie mir Aktien. Was ist das überhaupt?

Die Firma heißt Coca Cola. Ist das nicht der Limonaden Hersteller? Die schwarze, süße Brause?

Eine Frechheit! Mit einigen Soldaten für den Stiegen Neubau wäre uns viel mehr gedient. Nimm die blöden Zettel und schmeiß sie unten in die Kohlekiste! Zum Späne anzünden!«

»Geben sie mir die Papiere. Wie gefällt ihnen meine neue Arbeitskleidung?«

»Ja, Ja.«

Und fort ist er.

Na wenigstens ist er mit meiner Kleidung einverstanden.

Ich muss sowieso runter in die Küche, auf halben Weg sehe ich mir die Aktien nochmals an.

Josef kommt mir entgegen.

»Servus Josef, was meinst du zu den Aktien? Die Rückseite der Zettel sind schön weiß, eigentlich könnte ich sie aufheben, für meinen Sohn. Wenn er auch so ein Zeichentalent ist wie ich, braucht er später Papier für seine Kunstwerke.«

Ich mache kehrt, gehe in mein Zimmer und werfe das Kuvert auf meinen Kleiderkasten. Da stört es niemand.

Ich habe noch etwas Zeit, bis zur Vesper. Der Friedhof des

Klosters, interessiert mich. Es ist schon etwas dunkel und auf dem Friedhof brennen mehrere rote Grablichter, in ihren schwarzen, gusseisernen Laternen. Eine mystische Stimmung.

Die Altäbte liegen in einem eigenen Hain. In einer ovalen Mauer hat jeder seine eigene letzte Ruhestätte, vermutlich für die Gebeine. Eine schwarze Steintafel zur Erinnerung.

Gegenüber ist die Türe des Gebeinhauses weit offen.

Als ich den eiskalten Raum betrete ist mir nicht ganz Wohl in meiner Haut. Im flackernden, roten Kerzenlicht lächeln mich hunderte Totenschädel an. Ich bekreuzige mich seltsamerweise.

In der hintersten Ecke des Friedhofes, versteckt unter alten Obstbäumen, liegt das halbverfallene Haus des Gärtners.

Josef hat mir erzählt, der Mann kommt aus Island.

Warum und wieso?

Angeblich ist er schon stumm geboren worden. Im Haus ist es dunkel, ich nehme eine alte Obstkiste, steige darauf und blicke durch das Fenster.

Wie aus dem Nichts taucht plötzlich ein fahles, Augenbrauen loses

Gesicht hinter dem Fenster auf.

Vor Schreck haut es mich von der Obstkiste.

Die Türe geht auf, ein großer Mann mit einer Halbglatze, schmalen Lippen und einer dicken Hornbrille winkt mir zu.

Sein Kiefer mahlt im Leergang und sein großer Zeigefinger, krümmt sich nach Innen.

Das bedeutet wohl, ich soll ins Haus kommen. Ich blicke mich um, keiner zu sehen, falls ich Hilfe benötige. Was soll´s.

Mir einer weit ausladenden Geste zeigt er auf sein Refugium.

Ein Kasten, ein Bett, ein Tisch und ein Sessel.

Ein Bild und ein abgedeckter Vogelkäfig.

Ich strecke den Daumen in die Höhe wie ein Centurio:

»Toll, sehr schön, haben sie es hier!«

Ich vermeine, dass sich seine Mundwinkel bewegt haben:

»Ich muss zur Vesper, jetzt kommt der Frühling, wenn die Obstbäume blühen wird es noch schöner hier.«

Und ganz schnell:

»Auf Wiedersehen!«

In Rekordtempo bin ich in meinen sicheren Zimmer und lege mich auf mein Bett.

Wo bin ich hier eigentlich? Zu weiteren Überlegungen komme ich nicht, es klopft an der Türe.

Ich öffne, im dämmrigen Gang steht Josef und sieht mich fragend an. Ich sehe ihn mit dem gleichen Gesichtsausdruck an, er bückt sich und überreicht mir einen Vogelkäfig, mit einem kleinen weißen Zwergpapagei.

Was soll ich mit dem Vieh? Will es der Gärtner loswerden?

Josef sieht mich etwas seltsam an:

»Jetzt hast du einen Gesprächspartner.«

Ich nehme ihm den Käfig ab und schließe die Tür. Im Käfig liegt ein kleiner Zettel. »Name: Sneilda«

Ich bin sprachlos:

»Na los, sag was!«

Doch der Vogel ist auch sprachlos, vermutlich vor Glück.

Ich stelle den Vogelkäfig auf meinen Kleiderkasten, die Cola-Aktien sind eine gute Unterlage, damit der Käfig gerade steht und wasche mir die Hände, es ist Zeit zur Vesper zu gehen.

Der Abt spricht mit uns ein kurzes Gebet, wir erklären dem Neuen, was er zu tun hat. Seine Blumenkohlohren sind rot vor Ärger.

Ja, ja, Lehrjahre sind keine Herrenjahre.

9

Josef schlägt mir eine Wanderung auf die nächstgelegene Alm vor. Sein Cousin würde sich über unseren Besuch sehr freuen.

Der Abt selbst ist ein passionierter Bergwanderer, er ermuntert uns zu dieser Tour:

»Auf dem Berg oben, ist man Gott näher.«

Ich entgegne: »Ja, das denke ich auch. Gott wohnt sicher nicht im Vatikan!«

Sicherheitshalber ergänze ich:

»Vielleicht wohnt Gott in einem Kloster.«

Josef legt den Zeigefinger auf den Mund, vermutlich meint er,

«Halt´s Maul!«

Eigentlich bin ich kein Wandersmann, ich bin im Krieg genug marschiert, doch mein neuer Freund hat mir die Hütte auf der Alm schmackhaft gemacht:

»Mein Cousin macht den Käse selbst und dazu gibt es selbstgemachten Apfelmost, der allerdings recht stark ist.

Das hat mich überzeugt.

Vor der Abort Anlage des Klosters steht ein alter, weißer Kasten, mit Dingen, die verstorbene Brüder dem Kloster vermacht haben.

Alte Rucksäcke, schwere Loden Jacken, alles was man für eine Tour braucht. Alte Wehrmachtstiefel hat unser Kloster mehr als genug.

Nächsten Tag treffen wir uns in aller Herrgottsfrühe in der kleinen Kapelle links neben der Kirche. Wir haben unsere ältesten Hosen in die Stiefel gestreckt.

Wir haben dem Abt versprochen ein kurzes Gebet in dieser alten Kapelle zu sprechen.

Wir fassen uns kurz und sind schon auf dem Weg. Ich muss zugeben, ohne Zwang zu marschieren ist eine ganz neue Erfahrung, es macht echt Spaß. Ich sehe die Natur auf einmal mit ganz anderen Augen und freue mich, auf dieser wunderschönen Welt zu sein. Wir müssen über zwei Berge und deren Täler, was soll´s.

Nach vier Stunden taucht die Alm aus dem Frühnebel auf. Eine seltsame, dürre Gestalt schlittert uns auf Holzpantoffeln entgegen.

Josef winkt ihm freundlich zu:

»Das ist mein Cousin, er ist etwas zurückgeblieben, seine Brüder haben ihn übervorteilt, als das Erbe der Eltern aufgeteilt wurde. Das Haus, die Äcker haben sie unter sich aufgeteilt, ihn haben

sie das alte Holzhaus auf der Alm gegeben, ihn praktisch abgeschoben.

Aber er ist ein toller Mensch und hier hat er seine Ruhe.«

Ein sehr seltsamer Mensch schüttelt uns die Hand.

Blonde, strähnige Haare, ein Rübezahl Bart, aber listige Augen.

Mit Gesten und aufgeregten Sätzen versucht er uns etwas zu erklären, ich verstehe kein Wort.

Durch die Einsamkeit hat er das Sprechen verlernt.

Mit beiden Händen schiebt er uns in die kleine Blockhütte, sofort stehen zwei, nicht gerade sehr saubere Gläser am Tisch.

Aus einer Korbflasche schenkt er Apfelmost ein, stellt zwei Holzbretter mit Speck, Käse und Brot auf den Tisch und deutet uns zuzugreifen.

Das lassen wir uns nicht zweimal sagen. Nach dem dritten Glas Apfelmost, merken wir, wie stark dieses Getränk ist.

Das Sprechen wird schwerer, seltsamerweise spricht der Cousin jetzt fehlerfrei. Mir fällt auf, Josef verträgt auch so einiges.

Als auch noch Obstbranntwein auf den Tisch kommt, haben wir beide einen ordentlichen in der Mütze, aber wir realisieren, dass wir einen weiten Rückweg haben und es bereits zu dämmern beginnt.

Wir schenken ihm alles Geld in unseren Hosensäcken, er braucht es notwendiger als wir.

Die Verabschiedung fällt heftig aus. Die Verwandtschaft mit den Holzschuhen haut es alle drei Meter auf den Arsch.

Verdammt, und jetzt vier Stunden besoffen nach Hause,

mein neues Zuhause.

Nach zwei Stunden werden wir etwas nüchterner, gerade rechtzeitig, der Aufstieg des letzten Berghanges beginnt.

Josefs Augen verengen sich schon wieder, dieses mal

vor Ehrgeiz.

Er marschiert bergauf, wie unter Drogen.

Hat der Kerl vielleicht auch so etwas ähnliches, wie Pervitin im Rucksack? Na ja, soll er halt der Erste sein. Kaum habe ich das gesagt, schiebt mich der Ehrgeiz nach vorne.

Wir haben beide unsere dicken Loden Janker, fest zu geknöpft an.

Ich bin ein Militär, ich kann strategisch denken!

Obwohl es schon recht kühl ist, ziehe ich meine Weste aus.

Josef hat einen ordentlichen Vorsprung, aber ich rieche seinen Schweiß. Angstschweiß. Angst, dass er überholt wird.

Na gut, dass ist Wunschdenken, doch nach einem Kilometer merke ich, er wird langsamer.

Kein Militärstratege, der Junge, er klettert weiter, bis er nicht mehr kann.

Als er schweißgebadet, den Rucksack abnimmt, Weste auszieht und verstauen muss, ziehe ich vorbei:

»Ja, so ist das Leben!«

» Eben.«

Auf der Anhöhe, warte ich auf ihn, lasse ihn aus meiner Wehrmachtfeldflasche trinken.

Nach einigen Schlucken stehen auch seine Augen nicht mehr so eng.

Jetzt geht es bergab und ich stimme nationales Liedgut an.

Josef mustert mich, meint »So ein Scheiß!«

Dann singt er mit.

Mittlerweile fast nüchtern erreichen wir das Kloster. Josef hat einen Generalschlüssel, es ist fast Mitternacht und Gott sei Dank stockdunkel. Josef Schlüssel knirscht leise im Schloss.

Ich muss noch einmal pinkeln gehen, Pater Georgs Zellentüre öffnet sich leicht, leichter Lichtschein dringt auf den Gang.

10

Am nächsten Morgen, auf dem Weg in die Mensa grinst uns jeder an. Kaum sitzen wir geht es auch schon los.

Bruder Georg echauffiert sich:

»Besoffen nach Mitternacht ins Kloster zu kommen, das ist nicht christlich!«

«Wir haben nicht gleich zurück gefunden.», wird von unserer Seite beteuert.

»Ja, wenn man betrunken ist, ist das schwer!«

Josef stößt seinen Stuhl um und beugt sich weit über den Tisch:

«Deshalb sind uns die Tage unseres Lebens als Frist gewährt,

damit wir uns von unseren Fehler bessern, vom wem das ist, weiß ich nicht mehr, aber du solltest es beherzigen, du schwule Sau!«

Jetzt springt der Abt auf, packt uns beide am Ärmel und zieht uns aus dem Speisesaal.

»So geht’s nicht!«

Ich versuche beschwichtigen:

»Niemand kann sich aussuchen wie er in diese Welt geboren wird. Niemand kann sich seine Prägung aussuchen, aber ein falscher Bruder ist er schon, der Bruder Georg.«

Der Abt ist sichtlich betroffen:

»Wir sind eine Gemeinschaft und wir müssen zusammenhalten, auch wenn es schwer fällt. Ich kann diese Puritaner auch nicht leiden, aber ich sage es jetzt hier und nur einmal, wir sind eine kirchliche Gemeinschaft!

Pater Georg nehme ich später ins Gebet. Seine Mundwinkel zeigen nach oben. »Abgang!«

Ich schließe meine Zimmertüre ab, füttere meine neue Freundin Sneilda, sie bedankt sich mit einem kurzen Kopfnicken.

Auf dem Rückweg in meine Zelle habe ich wieder einmal vergessen, pinkeln zu gehen.

Der umständliche Weg auf das WC nervt langsam. Aber ich ein rationeller Mensch, ich pinkle einfach in mein Waschbecken, anschließend Wasser laufen lassen, schaut sofort wieder aus wie neu. Sneilda schaut mir interessiert zu, als ich sie anblicke, dreht sie sich aber sofort um und steckt, ihr Köpfchen demonstrativ unter ihren rechten Flügel.

»Reg` dich nicht auf! Ist ja mein Waschbecken, mich stört`s nicht.

Na gut, ich werde mit dem Abt sprechen, vielleicht stellt er eine Putzkraft an. Das war ein Scherz, Vogel.«

Sneilda schaut unbeteiligt aus dem Fenster.

Unter dem Vogelkäfig habe ich mit einem Ami- Kaugummi meine letztes Pervitin festgeklebt. Seltsamerweise ist es aufgebraucht,

»Sneilda, hast du mir meine Panzerschokolade aufgefressen?

Du warst in letzter Zeit so gut drauf!«

Keine Antwort.

Irgend etwas geht mir ab.

Nach dem Komplet werde ich mich wieder einmal unter Menschen begeben.

Ich bin ein Soldat! Und ein Soldat geht in ein Wirtshaus!

Es geht auf neun Uhr zu, in der Klausur herrscht absolute Stille.

Ich habe mein altes Zivilgewand angezogen und schleiche die alten, in der Mitte stark abgegangen Stiegen Richtung Kreuzgang.

Mit voller Konzentration schließe ich leise die alte Türe Richtung Friedhof auf, die Grabsteine glänzen hell im Mondlicht, ein Sprung über die Friedhofsmauer und ich bin in Freiheit.

Völlig unauffällig gehe ich die Dorfstraße entlang, blicke mich einmal kurz um und drücke die Klinke zum »Sankt Lamprechter Hof«, dem einzigen Wirtshaus weit und breit herunter.

Sofort schlägt mir altbekannter Bier und Rauchgeruch entgegen, hier lässt es sich Leben.

Ich setze mich vis a vis von einigen Einheimischen an einen Einzeltisch, in der Hoffnung, dass sie mich ansprechen. Das geschieht sofort, nach dem ich mein Bier bestellt habe.

»He, dich kenne ich doch, bist du nicht einer von den Pfaffn aus dem Kloster?«

Der Bauernlümmel wirkt eigentlich ganz sympathisch, deswegen halte ich mich zurück und sage nur:

»Halt`s Maul!« Es folgt eine kurze Pause:

»Paul.«

Zuerst ungläubiges Staunen, dann fällt bei einigen der Groschen und sie beginnen zaghaft zu lachen, dass sich aber lautstark steigert. Die Bauernburschen schlagen sich vor Lachen auf die Schenkel, außer Einer.

Er steht auf, kommt zu mir rüber:

»Was hast g`sagt?«

Er packt mich hart am Ärmel, das Hemd zerreißt am Unterarm.

Er sieht meine SS - Tätowierung!

»Komm du Pfaffe, gehen wir vor die Türe.«

Unter lautem Gejohle verlassen wir das Wirtshaus. Vor dem Eingang, ich kann es nicht glauben, er krempelt sich in aller Ruhe seine Hemdsärmel auf. Soviel Blödheit muss bestraft werden.

Ich hau ihm eine ordentliche aufs Maul. Das beeindruckt ihn aber überhaupt nicht, er streckt weiter seine Hemdsärmel auf:

»Da schau her Kamerad! Das du einer von uns bist, das hätte ich nie gedacht!«

Er hat eine SS - Tätowierung! Lachend meint er:

»Bist du ein Schutz-Staffel Bruder?«

Jetzt schlägt sich er vor Lachen auf die Schenkel.

»Komm, ich geb` Einen aus!«

Gemeinsam betreten wir wieder die Gaststätte.

Seine Freunde sind etwas enttäuscht, dass wir beide lebend und unversehrt zurückkehren. Aber mein neue Freund Stephan schreit sofort: » Eine Lokalrunde!«

Wir beide bleiben an der Ausschank stehen, Stephan meint mit ernster Miene:

»Jetzt beginnen die Kriegsverbrecherprozesse. Vor einem Jahr haben die gleichen Leute, die jetzt das sagen haben, noch geschrien, haltet aus, die SS haut uns hier raus.

Ja, das geht schnell. Ich bin überzeugt, dass im Laufe der Geschichte auch die Amerikaner Kriege auslösen werden, bin gespannt ob sich die Amis dann auch verantworten müssen.

Ich kann dir nur den Rat geben, verhalte dich unauffällig.

Na gut, unauffälliger wie du lebst, geht es eigentlich nicht. Respekt.«

Ich habe einen neuen Freund, kann man in meiner Lage immer brauchen. Kurz vor Mitternacht verabschiede ich mich.

Mit lächerlichen zwei Promille.

Um Mitternacht toben sich die Kirchenglocken noch einmal richtig aus. Vier Schläge für die volle Stunde, Zwölf Schläge für die Uhrzeit. Die Zeit brauche ich in meinem Zustand alleine für die Friedhofsmauer.

Geräuschlos aufzusperren gelingt nicht ganz, in Pater Georgs Zimmer geht schon wieder das Licht an.

Schläft der schwule Bruder nie?

ABSOLUTION 1945

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