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2.5 Traditionen
ОглавлениеGelegentlich nutzen heutige Historikerinnen und Historiker auch Traditionen, die in diesen Schriftquellen bezeugt sind und in eine vorgeschichtliche, weil »vorschriftliche« (s.o. → Kap. 2.1) Zeit zu verweisen scheinen. Es sind vor allem Namen, insbesondere Fluss-, Berg- und Ortsnamen (Toponymika), für die man eine sehr langfristige Kontinuität annimmt, dann auch Wörter, die aus einer alten Sprache stammen und in den späteren und eben erhaltenen Schriftquellen angeführt werden, und nicht zuletzt Traditionen, die auf eine vorgeschichtliche Zeit zurückweisen, die aber auch noch in der durch Schriftquellen bezeugten Zeit Bestand hatten.
Von den Städten in Dakien sind folgende die bedeutendsten: Rhukkonion 46° 30‘ (47° 30‘)/48° 10‘; Dokirava 47° 20‘/48°; Porolisson 49°/48°; Arkobarada 50° 40‘/48°; Triphulon 52° 15‘/48° 15‘; Patridava 53°/48° 10‘; Karsidava 53° 20‘/48° 15‘; Petrodava 53° 45‘/47° 40‘; Ulpianon 47° 30‘/47° 30‘; Napuka 49°/47° 40‘; Patruissa 49°/47° 20‘; Salinai 49° 15‘/47° 10‘; Praetoria Augusta 50° 30‘/47° (30‘); Sandava (Sangidava) 51° 30‘/47° 30‘; Angustia 52° 15‘/47° 15‘; Utidava 53° 10‘ (20‘)/47° 40‘; Markodava 49° 30‘/47°; Ziridava 49° 30‘/46° 20‘; Singidava 48°/46° 20‘; Apulon 49° 15‘/46° 40‘; Zermizirga 49° 30‘/46° (15‘); Komidava 51° 30‘/46° 40‘; Rhamidava 51° 50‘/46° 30‘; Pirum 51° 15‘/46°; Zusidava 52° 40‘/46° 15‘; Paloda (Polonda) 53°/47°; Zurobara 45° 40‘ (46° 40‘)/45° 40‘; Lizisis (Aizisis) 46° 15‘/45° 20‘; Argidava 49° 30‘/45° 15‘; Tiriskon 48° 30‘/45° 15‘; Sarmizegetusa Regia 47° 50‘/45° 15‘; Hydata 49° 30‘/45° 40‘; Netindava 52° 45‘/45° 30‘; Tias(s)on 52°/45° 30‘; Zeugma 47° 40‘/44° 40‘; Tibiskon 46° 40‘/44° 50‘; Dierna 47° 15‘/44° 30‘ (50‘); Akmonia (Ekmonia) 48°/45°; Druphegis (Drubetis) 47° 45‘/44° 30‘; Frateria (Fraterna) 49° 30‘/44° 30‘; Arkin(n)a 49°/44° 45‘ (50‘); Pinon 50°/44° 40‘; Amutrion 50°/44° 45‘; So(u)rnon 51° 30‘/45°.
(Ptolemaios, Geographie 3,8,6–10)
Diese Toponymika verzeichnet im 2. Jahrhundert n. Chr. der griechisch schreibende Gelehrte Claudius Ptolemaios in seiner Geographie (in Klammern stehen in verschiedenen Abschriften überlieferte abweichende Schreibungen) und lokalisiert sie durch Angaben zu dem von ihm verwendeten antiken Längen- und Breitengrad. Die Liste umfasst ein paar römische Namen wie Praetoria Augusta oder Ulpianon, die erst nach der Bildung der Provinz Dacia (s.u. → Kap. 6.3) vergeben wurden. Andere Namen, insbesondere die auf -deva oder -dava endenden Toponymika, werden meist als »vorrömisch« angesehen, also als Beleg für eine dakische Namenskontinuität, die in einer für uns schriftlosen Zeit ihren Anfang nahm und noch im 2. Jahrhundert n. Chr. dem Claudius Ptolemaios bekannt war. So zeigt sich, dass Toponymika aus vorrömischer Zeit auch später in Gebrauch waren, wenngleich wir die von ihnen bezeichneten Orte nicht alle identifizieren und ihre Wortbedeutung nicht verstehen können.
Direkt als »dakische« Wörter sind in der griechischen und lateinischen Literatur über Heilpflanzen mehrere Dutzend Kräuternamen erhalten. Anlass für ihre Aufzeichnung war das Bemühen der Autoren von Büchern über Heilmittel, möglichst viele der in verschiedenen Teilen der antiken Welt gebräuchlichen Bezeichnungen für Pflanzen zu nennen, damit man im Zweifelsfall vor Ort nach einem für eine Behandlung einschlägigen Kraut fragen konnte. Die so in die Tradition eingetragenen Namen wurden weitergegeben, auch wenn sie tatsächlich nicht mehr genutzt wurden. Ein Beispiel: Im Heilkräuterbuch (Herbarius), das unter dem Namen des Apuleius, eines gelehrten Philosophen des 2. Jahrhunderts n. Chr., erhalten ist, werden Pflanzennamen ganz unterschiedlicher Kulturen tradiert.
Breitwegerich: Von den Griechen genannt arnoglossa, arnion, probation, cinoglossa oder eptapleuron. Die Gallier nennen es tarbidolotius, die Spanier tetharica, die Sikuler polineuron <oder> tirsion, die Magier ura egneumonos, die Ägypter asaer oder thetarion, die Daker sipoax, die Italer plantago lata, die Römer plantago maior oder septenervia. Wächst vor allem in Sümpfen und Wiesen.
(Pseudo-Apuleius, Herbarius 1)
Die Daker erscheinen hier neben einer Reihe anderer Völkerschaften, deren lokale Bezeichnungen für Breitwegerich aufgeführt werden. Zu anderen Heilkräutern genannt werden Namen in den alten Hochkulturen im Zweistromland – der Heimat der »Magier« (lateinisch profetae) und namentlich des Ostanes sowie des Zarathustra (lateinisch Zoroaster) –, in Ägypten (Aegyptii), dann in Syrien (Syri) und Kilikien in der heutigen Osttürkei (Cilices). Genannt werden Namen, die bei den Griechen (lateinisch Graeci) und speziell auf der Insel Euboia (heute Evvia) bei den Euboei üblich seien. Auffallend ist sodann die Nennung mehrerer Stämme in Ostmitteleuropa, nämlich der Besser, Dardaner (zu diesen s. jeweils u. → Kap. 4.1) und eben Daker, ebenso aber von Völkern in Nordafrika (Punici), Frankreich (Galli) und Spanien (Spani); auch erscheinen in diesen Synonymenlisten einzelne vorrömische Stämme in Italien (Campani, Itali, Lucani, Tusci) und auf Sizilien (Siculi) und natürlich die Römer. Bemerkenswert ist also, dass in dem Heilkräuterbuch neben alten Traditionen von Ägypten bis Italien auch die Daker vorkommen, doch es ist nicht möglich, in all diesen Fällen zu prüfen, ob die Namenstraditionen überhaupt korrekt oder auch nur plausibel sind.
Ein dritter Weg, den man beschreitet, um die »dakische« Sprache wiederzugewinnen, führt über die Etymologie von Wörtern im modernen Rumänischen. Während der Großteil der heutigen Sprache lateinische Ursprünge aufweist (s.o. → Kap. 1.1), gibt es Einflüsse aus slavischen, ungarischen, deutschen, griechischen, türkischen und anderen Sprachen, die von den später in den Gebieten des heutigen Staats Wohnenden oder Herrschenden benutzt wurden. Nun versucht man, Wörter aus einer Sprachstufe zu identifizieren, die noch vor die römische Eroberung und damit auch vor die Besiedlung durch slavisch-, ungarisch- und deutschsprachige und andere Gruppen oder vor die Beherrschung durch das Osmanische Reich und seine griechischsprachigen Verwalter gehört, und bezeichnet diese Sprachstufe dann als »dakisch«. So werden von manchen Gelehrten Begriffe wie balaur (Drache) oder brânză (Käse) auf die vorrömische Zeit zurückgeführt und als »dakisch« aufgefasst. Allerdings lässt sich aus den Wörtern selbst nicht belegen, ob diese kontinuierlich im Gebrauch waren oder ob sie zu einer späteren Zeit von einwandernden Gruppen mitgebracht wurden.
Ähnliches gilt für Traditionen, die eine Verbindung in die »vorrömische« Zeit beanspruchen und die gerade heute gerne wiederbelebt werden, etwa durch »dakische« Kleidung. Deren Gestalt ist freilich meist den Darstellungen auf der Trajanssäule, also einem römischen (und damit gerade nicht »dakischen«) Zeugnis entnommen (s.o. → Kap. 2.1) und wird für die »Re-Enactment-Szene« hergestellt – wie in anderen Regionen, die sich auf eine »vorrömische« Zeit zurückbeziehen wollen, auch. Man denke nur an die »Fellgermanen« in Teilen Deutschlands oder die »Pikten« in Großbritannien, also entsprechend verkleidete Menschen, die auf Festivals oder »Mittelaltermärkten« zu sehen sind und die bei anderen Gruppen, die sich um eine möglichst genaue, aber von modernen nationalen Emotionen unabhängige Rekonstruktion tatsächlich bezeugter Bekleidungstraditionen bemühen, für Stirnrunzeln sorgen.
Mit den Versuchen, indirekte Wege in die Antike zu finden, sind wir erneut damit konfrontiert, dass unsere historischen Quellen nicht »neutral« sind, sondern überhaupt erst durch unsere moderne Fragestellung und die für die Antwort benutzten Deutungsmodelle zu »Quellen« werden. Nach diesen Modellen müssen wir nun fragen.